Perfektion - unabdingbar oder Tod der Kunst?

  • Perfektion im Konzert wird erwartet. Von Tonaufnahmen ganz zu schweigen.


    Wie geht ihr damit um, wenn ein falscher Ton getroffen wird?

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Kommt es nicht ganz darauf an? Bei einer Hochglanz-Studioproduktion, die zumindest früher noch dazu sündteuer zu erwerben war, darf man sich etwas, was der Perfektion nahekommt, schon ohne schlechtes Gewissen erwarten, zumindest im orchestralen Bereich. Da ärgert es mitunter durchaus gewaltig, wenn es vermeidbare Patzer gibt, die nicht ausgebessert wurden. Wie meinte andererseits weiland Otto Klemperer während der Studioproduktion des "Don Giovanni" nach einem Verspieler, den der Aufnahmeleiter ausradieren wollte: "Mein Gott! Nun kommt mal 'ne falsche Note. Schad't ja nichts", um anschließend auf "diese Gesellschaften heutzutage" zu schimpfen, die immer der Perfektion nachhecheln.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das kommt drauf an. Wenn die Horn-Intonierung prominent daneben geht, dann ärgert mich das im Konzert schon und auf CD (passiert selten) finde ich es nicht tolerierbar.

    Wenn bei Skrjabinschen Tonkaskaden mal ein Ton nicht passt, dann höre ich das entweder gar nicht, oder es stört mich nicht weiter, wenn die anderen Parameter stimmen.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Als alter Jazzer hab ich es da einfacher ;) Charles Berthoud (ein begnadeter Bassist) hat dazu scherzhaft folgendes zu sagen:

    "Über Musik zu schreiben ist wie über Architektur zu tanzen..."

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Perfektion im Konzert wird erwartet. Von Tonaufnahmen ganz zu schweigen.


    Wie geht ihr damit um, wenn ein falscher Ton getroffen wird?

    Wenn ich ihn selbst spiele, schäme ich mich. Bei anderen stört es mich weniger und vor allem dann nicht, wenn es aus künstlerischer Risikobereitschaft geschieht. Schlechte Vorbereitung ist natürlich etwas anderes, die ist niemals tolerierbar.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Perfektion im Konzert wird erwartet. Von Tonaufnahmen ganz zu schweigen.


    Wie geht ihr damit um, wenn ein falscher Ton getroffen wird?

    Ich würde da als Hörer sofort zwischen dem Live-Erlebnis und der Konserve unterscheiden. Bei einem Live-Geschehen geht ja man schon mit dem Interpreten vor Spannung mit. Da ist manchmal der kleinere Patzer unvermeidlich und gehört zum Risiko und auch zum Erlebnis.


    Bei der Konserve ist der Fehler ja leider exakt so wiederholbar. Ist er erstmal wahrgenommen, entwickelt er sich zu einer Art chinesischer Folter. Früher hat mich das schon bei Knacksern auf der Platte verrückt gemacht. Deswegen hatte ich eine paranoide Plattenpflege betrieben. Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei! :)  :hail:

  • Ich würde sagen: Patzer sind ganz natürlich - Und im Konzert sind sie zu tolerieren (was natürlich von der Mentalität des Hörers abhängt(

    Anders ist das bei Tonaufnahmen. Bei jedem Mal abspielen ist der Patzer zu hören, man wartet eventuell schon darauf - und er scheint von Mal zu Mal auffälliger zu werden.

    Genau aus diesem Grund haben die Tontechniker dann begonnen, Fehler auszumerzen.

    In der Steinzeit der Tontechnik war das nicht möglich - und es gab berühmte Pianisten, die geradezu berühmt - berüchtigt für ihre Verspieler waren.(Edwin Fischer, Alfred Cortot und andere)

    Ihre Reputation hat das - zumindest zu Lebzeiten - kaum geschadet.

    Allerdings gab es auch Pianisten, welche sich vor den Aufnahmestudios fürchteten ("Folterkammer") - und davor, daß sie vor der "Nachwelt" eventuell nicht bestehen könnten

    Es gibt verschieden Tendenzen:

    Noch vor 30 Jahre waren Verspieler auf Schallplatte - im Gegensatz zu Konzert - quasi ein no go

    Durch die heute immer wieder häufiger werdenden Live Mitschnitte aus Kostengründen - ist man wieder gezwingen Fehler zu akzeptiern oder zu "schneiden" - wobei letzteres dank der modernen analytischen Aufnahmetechnik oft störender ist als der Fehler an sich.

    Einerseits wird Virtuosität abfällig bewertet - andrerseits sollen keine Fehler gemacht werden - Das geht sich niemals aus !!!

    Es ist auch eine Frage des Zeitgeistes:

    Während bis vor einigen Jahren die Perfektion das Maß aller Dinge war, der man in Zweifelsfall auch die Spontanität opferte und mogelte, was das Zeug hielt - de fügte man z.B im Extremfell bei Gesangsaufnahemen auch Spitzentöne von anderen Sängern ein, wenn der an siech auserwählte nicht in der Lage war sie zu singen. Heute geht das nicht mehr wirklich - die Aufnahmetechnik ist zu "entlarvend" , so sind heute Live-Aufnahmen eher erwünscht. Letztlich auch von der Tonträgerindustrie - weil sie doch erheblich billiger in der Produktion sind.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Es ist erstaunlich, dennoch wahr, dass bei sehr guten Vokalensembles auch in Life-Konzerten die Fehlerquote sehr gering ist. Hier wird natürlich auch länger geprobt, manche der Sänger haben eine Gesangsausbildung. Außerdem wird das natürlich auch toleriert. Ich kann mich erinnern beim Singen der RIKADLA (Kinderreime) von Janacek einen Wiederholungsbefehl der Partitur übersehen zu haben. Dann habe ich weiter gesungen, aber nur einen Ton und habe blitzschnell umgeschaltet. Auf der Tonaufnahme ist das deutlich zu hören. Aber außer liebevollem Spott gab es keine Reaktion. Bei den "Musikalischen Exequien" von Schütz sang einer der Bässe im Duett "Unser Leben währet siebenzig Jahr" einen völlig anderen Text. Wir anderen, die wir ja nicht dran waren, haben uns amüsiert, einschließlich Chorleiter. Im Publikum hat das bestimmt keiner gemerkt. Wir waren auf der Empore, in diesem Fall unsichtbar. Auch hier: liebevoller Spott. Bei unserem letzten Konzert (Ende August) hatte ich für unser erstes Stück (eine Brahms-Motette, die nicht einfach war) wegen Krankheit viel zu wenig Probenzeit gehabt. In diesem Fall habe ich das Stück nach Absprache mit dem Chorleiter einfach nicht mitgesungen.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)