Moin.
Als Aufhänger für diesen Diskussionsfaden zitiere ich aus dem Mahler-2-Faden etwas, das mir persönlich übel aufstösst:
Viele Künstler haben die Erfahrung geschildert, die sie in der Konfrontation mit ihren eigenen Werken gemacht haben, und die Heiner Müller auf die knappe Formal brachte: »Der Text ist immer klüger als sein Autor.« Das bedeutet meiner Ansicht nach, dass es klug ist, die Selbstäußerungen des Autors zwar zur Kenntnis zu nehmen, aber vor allem den Text (in diesem Falle die Musik) selbst zu untersuchen und sich dabei möglichst wenig durch die Interpretationen anderer – einschließlich des Komponisten – aus der Bahn drängen zu lassen. Solche programmatischen Äußerungen können hilfreich sein, sie können aber auch völlig in die Irre führen, zumal selbstverständlich auch sie selbst der Interpretation bedürfen.
Das klingt für mich so wie der derzeitige Verdacht, daß KIn (künstliche Intelligenzen) künftig die „Herrschaft über die Menschheit“ übernehmen könnten (zauber- und zugleich grauenhaft in der schwedischen (Original-) Serie Real Humans umgesetzt).
Gerade der Blick auf die Intention(en) des Künstlers scheint mir persönlich wichtiger zu sein als das, was theoretisch interpretierbar ist - um hier dem Zitatgeber einfach mal zu widersprechen. Jedenfalls bezogen auf Künstler und deren (zugegeben: angenommenes) Kunstverständnis bis zum frühen 19. Jahrhundert.
Ich habe ein grundlegend anderes Verständnis von „Interpretation“:
Interpretation (lateinisch interpretatio „Auslegung, Übersetzung, Erklärung“)
Für etwas, dessen Grenzen von vorneherein als vereinbart gesteckt gelten sollten, benötige ich keine Interpretation. Ich nenne das dann (erwartbaren) Freiraum, in dem ich mich bewegen darf; also beispielsweise dynamische Abstufungen, Temposchwankungen ... Wenn etwas unklar formuliert ist, bedarf es einer Nachfrage oder Nachforschung, sofern noch möglich, ansonsten eben einer Auslegung, also:
„Du bist komisch.“
Lebt die aussagetreffende Person noch, kann ich fagen, ob sie das im Sinne von humorvoll oder seltsam meint. Lebt sie nicht mehr oder kann ich sie nicht erreichen, muß ich natürlich versuchen, aus dem möglicher Weise vorhandenen Kontext zu schließen. Wenn ich die Person persönlich kenne/kannte, so werde ich zeimlich sicher wissen, wie es gemeint war.
Bei einer „Auslegung“ sollte man sich m. E. doch recht eng an die Gegebenheiten halten, versuchen, diese einzugrenzen und nicht in zu weite Felder greifen; ich sehe ein, daß das sehr verlockend ist und so manche „Interpreten“ reizt, etwas zu zeigen, daß zwar theoretisch auch im Werk inkludiert ist, aber nicht die Absicht des Künstlers war - und deshalb auch als Nebenprodukt ignoriert werden sollte. Für den Künstler selbst ist es natürlich überaus schwierig, derlei (Um-) Deutungen/Auslegungen auszuschließen - ich glaube, er vertraut auf eine gewöhnliche Darbietung (um es nochmals klarzustellen: ich rede nicht von modernen Künstlern/Kunstwerken und bin sicher, daß man hier unterscheiden muß - wo die Grenze ist, muß ggfs. ausgelotet werden). Und ganz klar wäre auch ich als Schöpfer irgendeines Kunstwerkes sicher entsetzt über eine völlig andere Deutung als die von mir gewollte; das Zitierte kann ich also nachvollziehen. Das ist gewissermaßen ähnlich mit der Erfindung der Kernspaltung ... sie sollte positiv genutzt werden, kann aber auch anders; okay, daß ist etwas arg krass, aber zur Verdeutlichung meiner Meinung vielleicht hilfreich.
Im Sinne von „Wenn der Kuh langweilig ist, begibt sie sich auf's Eis“: das Büffet ist eröffnet.