Bruckner-Dirigenten - gestern und heute

  • Ich habe bei JPC den kurzen Einspielfilm über Venzago gesehen:


    http://www.jpc.de/jpcng/cpo/th…name/cpo+Venzago+Bruckner


    Bei diesen Trailern geht es mir genauso wie mit den Kino-ZTrailern. Bei den meisten denke ich: Diesen Film musst du unbedingt sehen.
    Und auch hier sind die Einspielungen und Texte und Eindrücke faszinierend. Nur: ich habe schon sehr viele verschiedene Einspielungen von Bruckners Sinfonien. "Entstaubt" sind die meisten davon ja auch. So neu ist das nun auch wieder nicht. Auch Jochum ist für mich nicht "verstaubt" oder "Gedöhns". Und spätestens seit Günter Wand ist das doch erledigt - von Ausrutschern wie Thielemann, den ich auch ganz gern mal mit seinem Buttercreme-Bruckner ganz gern mal höre, vielleicht mal abgesehen.



    Die Idee, die verschiedenen Sinfonien mit verschiedenen Orchestern einzuspielen, finde ich schon spannend.
    Viele der Bruckner-Fans, die dieses Forum mitprägten, sind leider nicht mehr an Bord. Vielleicht mögen andere sich dazu äußern.
    Ich habe mir jetzt jedenfalls die Celi-Box von EMI bestellt und sammle die Berliner Aufnahmen mit Wand.


    Freundliche Grüße aus dem Land, in dem Bruckner nie war, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Zitat

    Andrew: von Ausrutschern wie Thielemann, den ich auch ganz gern mal mit seinem Buttercreme-Bruckner (ganz gern mal) höre, vielleicht mal abgesehen.

    Ich habe zur Eröffnung der noch laufenden Saison am 6. September 2011 in Essen Thielemann mit der Staatskapelle Dresden mit der Achten Bruckner live erlebt. Von Buttercreme habe ich da aber nichts bemerkt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Hallo Andrew,


    klappern gehört ja bekanntlich zum Handwerk; es sind ja durchaus markige Worte, die Venzago findet.
    Den "anderen Bruckner" würde ich auch gerne einmal wieder hören, zum Beispiel den Bruckner, den Bruno Walter bis 1957 spielte, den Bruckner mit schnellen, aber nicht (wie bei Norrington stellenweise) überhetzten Tempi, den Bruckner mit "Wärme ohne Weihrauch".
    Es hätte mir auch gut gefallen, wenn Venzago nicht nur bei der 1., sondern auch bei der 4. Sinfonie die Erstversion gewählt hätte - hier gibt es mehr Entdeckungspotenzial als bei der bekannten "Romantischen". Tempomäßig ist er bei der 4. eher etwas zügiger (im Bereich von Klemperer) unterwegs und bei der 7. im "Mittelfeld" (Gielen ist ca. sechs, Walter [1954] gar acht Minuten schneller).


    Seine Aufnahmen haben durchaus gute Kritiken bekommen; bei der 4. und 7. werde ich bald sagen können, ob sie gerechtfertigt sind... ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,
    irgendwie werben alle damit, dass sie die Werke fettreduziert, entschlackt und cholesterinarm, ohne Weihrauch und Schwulst, ganz anders und ganz neu, ganz entstaubt und ganz kitschlos aufführen. Ich fühle mich manchmal wie in einer B-cel-Werbung. Da sehnt man sich ja fast danach, dass jemand mal sagt: ich bringe jetzt mal einen wirklich anderen Bruckner: einen monumentalen Bruckner mit Weihrauch, verstaubt, gefühlsselig und mit religiöser Inbrunst.
    Aber ein bisschen neugierig bin ich doch.
    Zum Stichwort "Wärme ohne Weihrauch" fällt mir Stanislaw Skrowaczewski ein, dessen Bruckner-Einspielungen ich sehr mag.



    Anton Bruckner:
    Symphonien Nr. 0-9
    +Symphonie in f (WAB 99);Ouvertüre in g;
    Adagio aus Streichquintett in F (arr. Skrowaczewski)
    Künstler: RSO Saarbrücken, Stanislaw Skrowaczewski
    Label: Oehms , DDD, 93-01


    Neulich war ein Bericht über ihn zu sehen, von seiner Bruckner-Tournee in Japan. Im nächsten Jahr wird er 90. Respekt.
    Die Bruckner-Dirigenten (Celi, Wand, Jochum, Skrowaczewski ...) werden alt.


    Freundliche Grüße von Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Hallo Andrew,


    zu deiner Ansicht über Scrowaczewski kann ich dir nur voll zustimmen. Eine sehr schöne Gesamtaufnahme mit warmem und zugleich transparentem Streicher- und Bläserklang, stimmig in Dynamik und Tempogestaltung, die ich seit vielen Jahren in meiner Sammlung habe, seit sie damals sukzessive bei Arte Nova erschien.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo Norbert,
    irgendwie werben alle damit, dass sie die Werke fettreduziert, entschlackt und cholesterinarm, ohne Weihrauch und Schwulst, ganz anders und ganz neu, ganz entstaubt und ganz kitschlos aufführen.


    Hallo Andrew,


    bloß wer macht das denn? Järvi und Rattle zumindest nicht. Und wenn's mal jemand versucht, so wie Marcus Bosch oder Roger Norrington, dann klingt's zu oft belanglos oder verhetzt und zu selten innovativ oder interessant.


    Die interessanteste 7. der letzten Jahre habe ich von Bernard Haitink gehört (die Aufnahme werde ich hoffentlich demnächst genauer vorstellen), ansonsten muß man auf Volkmar Andreae oder Bruno Walter vor 1957, vor seinem Herzinfarkt im März, zurückgreifen, um Bruckner wirklich "anders" hören zu können.


    Das, was bei Beethoven seit ca. 30 Jahren passiert, nämlich die "Entstaubung", ist bei Bruckner noch ganz weit entfernt...


    PS.: Skrowaczewski gefällt mir auch sehr gut. Er präsentiert einen sehr "warmherzigen" Bruckner.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    bloß wer macht das denn?


    Ich dachte, Günter Wand und Michael Gielen z.B. sind schon schlank.
    Norringtons Bruckner kenne ich nicht, aber sein Mahler ist mir etwas zu sehr dem jugendlichen Schlankheitsideal verschrieben.


    Ich weiß nicht, wer Bruckner noch kalorienbewusster dirigiert ...


    ... fragt sich Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Ich dachte, Günter Wand und Michael Gielen z.B. sind schon schlank.


    Da stimme ich zu. Im Vergleich zu Jochum oder Furtwängler sind das äußerst geradlinige, sachliche Interpretationen, die die Form klar herausarbeiten und auch die Tutti-Stellen mit ihrem Blechpanzer nicht im satten Sound ersäufen, sondern transparent bleiben.



    Ich weiß nicht, wer Bruckner noch kalorienbewusster dirigiert ...


    Herreweghe. Aber den finde ich bei Bruckner ... na ja, sagen wir gewöhnungsbedürftig, geichwohl interessant.

  • Zitat

    Die Bruckner-Dirigenten (Celi, Wand, Jochum, Skrowaczewski ...) werden alt.


    Tja, ich sollte mit dem Dirigieren mal langsam anfangen. Und dann zu Bruckner wechseln. :thumbsup:


    Übrigens Wand war schlank. Gielen wirkt auf mich leicht untersetzt, aber wirklich nur leicht.


    Gruß aus Kiel

  • Hallo Andrew,


    ich würde zwar zwischen Gielen und Wand noch etwas differenzieren wollen (nicht nur in Bezug auf die Orchesteraufstellung), aber grundsätzlich stimme ich bei beiden Namen zu.


    Bloß: Günter Wand ist seit zehn Jahren tot, und Michael Gielen mit fast 85 Jahren kein "Newcomer" mehr. Wer ist denn da aus der "nachfolgenden Generation", der sich traut, bei Bruckner etwas schnellere Tempi anzuschlagen? Neeme Järvi bei der 5. fällt mir gerade ein mit einer Gesamtspielzeit von 62 Minuten und einem Adagio (sehr langsam laut Partiturangabe) mit einer Spieldauer von 11'15''. Da haben wir es dann eher mit einer Karikatur und einer Vergewaltigung Brucknerscher Intentionen zu tun und nicht mit einer ernstzunehmenden Auseinandersetzung.


    Hallo Wolfram,


    Herreweghe ist in der Tat ein sehr interessanter Name bei Bruckner. Bruckners Sinfonien "historisch informiert" aufzuführen ist wahrlich innovativ. Während die 7. Sinfonie für mich an Anämie kaum zu überbieten ist, ist es Herreweghe imo inzwischen gelungen, "Größe" und Transparenz zu verbinden. Spätestens mit der 5. Sinfonie hat er einen eigenständigen, sehr interessanten und diskutablen Ansatz gefunden Bruckner zu interpretieren.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Wolfram: Im Vergleich zu Furtwängler und Jochum sind das (Günter Wand und Michael Gielen) äußerst geradlinige, sachliche Interpretationen...

    Lieber Wolfram, kennst du die Gesamtaufnahme der neun Bruckner-Sinfonien von Eugen Jochum mit der Staatskapelle Dresden? Da ist alles äußerst transparent, und da werden auch keine Tuttistellen in ihrem Blechpanzer ersäuft. Und dass Günter Wand äußerst sachlich wäre, ist mir auch neu. Natürlich stammt von ihm der Ausspruch: "So, und nicht anders", aber damit war die Umsetzung dessen gemeint, was "hinter den Noten steht", und das geschah auch und gerade bei Günter Wand mit allem Gefühl, das ihm zu Gebote stand. Jedenfalls habe ich nie wieder ein emotionaleres Konzert erlebt als das letzte, das Günter Wand in Lübeck im Juli 2001 dirigierte mit der "Unvollendeten" von Schubert und der "Unvollendeten" von Bruckner.



    Zitat

    Norbert: Bloß, Günter Wand ist seit zehn Jahren tot, und Michael Gielen sit mit 85 Jahren kein Newcomer" mehr. Wer ist denn da bei der nachfolgenden Generation traut, bei Bruckner etwas schnellere Tempi anzuschlagen?

    Lieber Norbert, das Thema lautet doch: Bruckner-Dirigenten gestern und heute, und da ist es doch eigentlich egal, wie lange Günter Wand schon tot ist, oder Eugen Jochum. Beide gehören m.E. zu den größten Bruckner-Dirigenten des 20. Jahrhunderts, und was das 21. Jahrhundert bringt, müssen wir erst mal abwarten. Auch ich habe die Siebte in der Interpretation von Herreweghe in meiner Sammlung, und ich finde sie etwas schmalbrüstig: Bruckner historisch informiert und kammermusikalisch durchleuchtet? Nicht, dass wir uns falsch verstehen, ich schätze Herreweghe sehr, wegen seines Mendelssohns un seines Bachs, und auch mit seinem Beethoven werde ich mich noch beschäftigen, aber Bruckner?
    Im übrigen habe ich gerade mal die Speilzeiten der neun Symphonien Bruckners in der besagten GA Jochums mit der Staatskapelle Dresden vorliegen:
    1. Symphonie: 47:08 min.
    2. Symphonie: 52:41,
    3. Symphonie: 55:13,
    4. Symphonie: 65:07,
    5. Symphonie: 77:30,
    6. Symphonie: 56:23,
    7. Symphonie: 69:27,
    8. Symphonie: 76:07,
    9. Symphonie: 60:46,


    Liebe Grüße


    Willi ?(:rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Wolfram, kennst du die Gesamtaufnahme der neun Bruckner-Sinfonien von Eugen Jochum mit der Staatskapelle Dresden?


    Lieber Willi,


    ich kann meine Eindrücke leider nur auf der Basis der DG-Aufnahmen der 4., 8. + 9. schildern, die seinerzeit (1995?) zwar sehr günstig waten, aber nach deren "Genuss" ich auf weitere Anschaffungen der Kombination Bruckner/Jochum verzichtete. Wand schien mir da mit seinem Kölner Zyklus doch deutlich geradliniger zu sein.


    Vielleicht sollte ich meinen nun fast zwanzig Jahre alten Eindruck mal wieder überprüfen - einen versuch wäre es wert.


    :hello:

  • Ich kann mich dazu nicht kompetent äußern, da ich kein Kenner von Jochums Einspielungen bin. In den Rezensionen wird öfter die bessere Qualität der anderen, früheren Bruckner-Einspielungen Jochums mit der Berlinern und Bayern herausgestellt. Die seinerzeit supergünstige Brillant-Ausgabe der Dresdener Einspielungen mit Jochum war für mich die Sammlung, mit der ich Bruckner überhaupt kennenlernte. Jetzt höre ich diese Einspielungen nicht mehr so häufig, halte sie aber als "erste Liebe" immer in Ehren. Genaueres zum Vergleich dieser beiden Einspielungen ist sicher in einem Thread über Jochum gut aufgehoben.
    Freundliche Grüße, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Lieber Norbert, das Thema lautet doch: Bruckner-Dirigenten gestern und heute, und da ist es doch eigentlich egal, wie lange Günter Wand schon tot ist, oder Eugen Jochum. Beide gehören m.E. zu den größten Bruckner-Dirigenten des 20. Jahrhunderts, und was das 21. Jahrhundert bringt, müssen wir erst mal abwarten.


    Lieber Willi,


    danke, der Threadtitel ist mir durchaus geläufig ;) .
    Bloß interessiert es mich erheblich mehr, welcher Dirigent sich heute traut, gegen das "Einheitstenuto" und den "dicken Einheitspinsel" zu dirigieren.



    Zitat

    Auch ich habe die Siebte in der Interpretation von Herreweghe in meiner Sammlung, und ich finde sie etwas schmalbrüstig: Bruckner historisch informiert und kammermusikalisch durchleuchtet? Nicht, dass wir uns falsch verstehen, ich schätze Herreweghe sehr, wegen seines Mendelssohns un seines Bachs, und auch mit seinem Beethoven werde ich mich noch beschäftigen, aber Bruckner?


    Wie schon geschrieben, es gibt einen gewaltigen Qualitätssprung von der 7. über die 4. bis hin zur 5. Sinfonie. Ich persönlich bin froh, nicht schon nach der 7. Herreweghes Bruckner ad acta gelegt zu haben.
    Nebenbei: Er "kann" sogar Mahlers 4. ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich habe lange nicht den Überblick über Bruckner-Einspielungen wie Norbert und andere (und bin auch nicht so ein Brucknerianer), aber aus meiner begrenzten Hörerfahrung:


    meist zügig, eher nüchtern, "transparent": Rosbaud (ich weiß nicht, ob es mehr als die 7. gibt), Gielen, Boulez (nur 8), Inbal, Klemperer (ist zumindest in den älteren Aufnahmen und Mitschnitten und auch noch in der Studio-4. ziemlich flüssig), evtl Horenstein (da kenne ich nur die 7. von 1928)
    meist zügig, aber leidenschaftlicher: Andreae, Schuricht, Van Beinum
    eher zügig: Harnoncourt (kenne nur 4., 9. noch nicht gehört)
    nicht ganz so zügig, eher nüchtern: Wand

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich stelle mal die Gegenfrage:


    In welcher Einspielung hört man denn Bruckner mal so richtig mit Weihrauch?


    :hello:


    Bruckners 5. 1958 (BRSO) und 1986 (CGO, letzte Aufnahme) mit Jochum sowie vor allem 1959 (Münchner Philharmoniker, live) mit Knappertsbusch (Schalk-Bearbeitung).


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich würde diese noch dazuzählen:



    Bruckner: 5. Symphonie
    Concertgebouw Orchestra, JOchum
    aufgeführt zur 1200-Jahrfeier der Abtei Ottobeuren
    im Mai 1964


    Eine weihevolle, feierliche und ergreifende Aufführung (besonders stark die berühmten Bläser im Finale), die sogar bei einem eingefleischten Protestanten wie mir gewisse gänsehautartige Reaktionen hervorruft. Eine wunderbare Aufnahme - eine Jahrhundertaufnahme, die auch bei aller Vorliebe zu transparenten Interpretationen Verehrung und Zuneigung verdient.


    Klingt das jetzt etwas pathetisch? Vermutlich. Aber dazu stehe ich.


    Mit protestantisch-norddeutsch-nüchternen Grüßen, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Muss "weihevoll, feierlich und ergreifend" denn negativ sein, lieber Andrew? Auch Günter Wand, dessen Interpretationen hier im Forum gerne von verschiedenen Forianern als nüchtern und sachlich bezeichnet werden, war durch und durch emotional mit vollem Herzen dabei und hat den Glauben an ein höheres Wesen als Motivation, einen "glaubhaften" Bruckner abzuliefern, nie geleugnet. Insofern kann ich deine Begeisterung für diese Aufnahme voll und ganz verstehen. Für mich besteht das große Bruckner-Triumvirat ohnehin aus Wand, Jochum und Celibidache.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Muss "weihevoll, feierlich und ergreifend" denn negativ sein, lieber Andrew?


    Nein, lieber Willliam B.A., im Gegenteil, diese Einspielung verehre ich in ganz besonderer Weise, darum sehe ich diese Aufnahmne überhaupt nicht negativ, sondern kann sie nur in höchsten Tönen loben, wie ich ja auch geschrieben habe:



    Eine wunderbare Aufnahme - eine Jahrhundertaufnahme, die auch bei aller Vorliebe zu transparenten Interpretationen Verehrung und Zuneigung verdient.


    Deine Sichtweise der Interpretationen Wands teile ich absolut. Es gibt eine Form von Emotionalität, die sich in einer zurückhaltenden Form mitteilt, und die dann mehr berührt, als das, was so betont gefühlsstark daherkommt oder emotional inszeniert wird.


    In diesem Sonne, norddeutsch-nüchtern-herzliche Grüße von der Küste, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Ich stelle mal die Gegenfrage:


    In welcher Einspielung hört man denn Bruckner mal so richtig mit Weihrauch?


    Hallo Wolfram,


    ich denke, jeder definiert seinen "persönlichen Weihrauch" anders ;) , deswegen kann die Frage pauschal schwer beantwortet werden, aber neben den schon genannten Aufnahmen fallen mir spontan zwei ganz fantastische Aufnahmen mit Kurt Sanderling ein:
    Beide Aufnahmen warten mit fast der exakten Spielzeit von knapp über 71 Minuten auf und sind von Wärme, breiter Bogenführung, abgemilderten Bläserakzenten und Liebe gekennzeichnet. Ist das "Weihrauch"?


    Überhaupt die 4.: Tennstedt sei genannt mit seinem "breitesten Pinsel", als "Außenseiter" Karl Richter und, atypisch für ihn im Vergleich zu anderen Bruckner-Einspielungen, Bruno Walter.



    Die 8., nebenbei, ist von einem ganz anderen Kaliber mit einem aufgerauhten Klangbild und geschärften Akzenten.



    Oder Eugen Jochum und die 9.:



    Nicht notierte Generalpause vor dem ersten Klimax, breitestes Vibrato im Adagio, etliche Rubati, aber auf seine Art faszinierend. In jeder Note wird Jochums Liebe zu Bruckner spürbar.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Eigenartiger Weise war Karajan für mich nie wirklich engere Wahl, wenn es um Bruckner geht. Nun höre ich nach langer Zeit doch noch einmal seine Einspielung der 3. mit den Berliner Philharmonikern. Und mein Vorurteil wird ganz bestätigt. Irgendwas stimmt einfach nicht. Es kommt mir oberflächlich vor. Mir fehlt der typische Brucknerton, das Schwere, Gewaltige. Es klingt so tänzerisch bei ihm, es hat für mich etwas von Popmusik, ich kann es aber überhaupt nicht wirklich festmachen. Aber es gibt Stellen, da könnte man "Trallalla" mitsingen.
    Ich werde bald noch mal den Bosch mit den Aachenern gegenhören, der genau die Wucht ganz toll bringt.
    Aber Karajan? der wird wohl wieder hinten im Regal verschwinden.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Ich werde bald noch mal den Bosch mit den Aachenern gegenhören, der genau die Wucht ganz toll bringt.


    Hallo Klaus,


    die Wucht und kein Rumgeplänkel ist gerade das was die Karajan-Bruckner-Aufnahmen auszeichnet ! Ich finde darüber hinaus nicht nur seine Bruckner 3 gut gelungen.


    Es ist ja schwer zu ergründen, was Du bei Bruckner suchst, aber in Punkto "Wucht" wird Dir Bosch auch kein Fitzelchen mehr bringen ...
    und wenn man sogar angereizt wird mitzusingen, dann sehe ich das eher als positiven Effekt, ;) der bei Dir angekommen war. Im 3.Satz mit seinem "Perpetuum mobile" könnte sich dafür etwas ergeben; und wie Karajan da dann das Orchester durch den Sturm brausen lässt meistert er für meinen Geschmack vorbildlich.
    Du solltest Dich durch dein Vorurteil nicht leiten lassen, denn die Karajan-GA allgemein hat nichts "hinten im Regal" verloren, :thumbup: sondern gehört präsent in die CD-Schulade ! Alles packende Aufnahmen, denen ich das Attribut "oberflächlich" keinesfalls zusprechen würde - im Gegenteil !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Wer ist denn "Bosch mit den Aachenern"? Habe ich da was verpasst?


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Markus Bosch, bis jetzt Generalmusikdirektor des Aachener Stadttheater. Jetzt geht er leider. Er hat mit dem Aachener Synphonieorchester alle Brucknersynfonien in einer Aachener Kirche eingespielt. - Und zwar teilweise mit beeindruckernder Wucht!. Seine 3. wurde immer wieder mal lobend erwähnt, obwohl man natürlich das Aachener Orchester gern übersieht. Was aber ein Fehler sein kann. Mir gefällt die 3. jedenfalls nicht nur ausnehmend gut, sondern mir gefällt keine besser! Ich finde sie archaisch, was Teleton vielleicht ein wenig hilft zu verstehen, was ich bei Bruckner suche (Wobei ich mich sehr geschmeichtelt fühle, dass er dass überhaupt will).
    Ja Bernward, ich glaube, du hast etwas verpasst. Hör mal rein. Dieser Markus Bosch hat zwar lange bei uns in der Provinz gewurschtelt, aber der hat echt Potentzial.
    Und zum wiederholten Male möchte ich daher hier einen anderen Provinzler erwähnen, der uns leider verlässt. Ed Spanjaard geht von Maastricht weg und ich finde das sehr sehr traurig.
    Tschö aus der Provinz
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Nach vielem Widerstand hat mich der Preis überzeugt, mir eine Wand-Aufführung zu kaufen.


    Und, naja, das ist ja wirklich nicht schlecht. Das ist sogar ziemlich gut. Die Klarheit, das Exakte machen tatsächlich die Wucht und das Erhabene nicht kaputt. Teilweise sogar im Gegenteil. Es hat allerdings in der Wirkung auf mich etwas, was ich mit christlicher Religiosität bezeichnen würde, etwas, das mich an meine Kirchenerlebnisse in der Kindheit erinnert. - Keine schöne Erinnerung! Dem mag man entgegenhalten, dass Bruckner so etwas im Auge hatte. Aber das, tut mir leid, spielt für mch in diesem Zusammenhang keine Rolle.
    Und dann natürlich das Ende. Da bin ich wohl für alle Zeit von meinem Ed Spanjaard verdorben worden. Es ist mir nie beeindruckend genug und auch hier bei Wand ist das Verhauchen bestenfalls Durchschnitt.
    Bei alledem fand ich die Prägnanz und Transparenz doch so schön, dass ich mir wohl, wenn mal wieder ein attraktiver Preis lockt, noch die eine oder andere Wand-Aufführung zulegen werde.
    Was ich gar nicht wusste war, dass er wohl immer die Urfassungen gespielt hat???


    Aber meine Hoffnung ist nach wie vor, dass ich irgendwann bei Saturn eine Box sehe, alle Bruckner Urfassungen von Mariss Jansons mit der Bayerischen Rundfunkorchester...
    TSchö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • eine Box sehe, alle Bruckner Urfassungen von Mariss Jansons mit der Bayerischen Rundfunkorchester...


    Sei froh, dass es wohl kaum die Ur-Fassungen sein werden.
    Die sind zwar auch als Ergänzung interessant (habe einige mit Inbal (TELDEC)), aber ich sage es ganz krass:
    8-) Die Sinfonien wurden nicht ohne Grund von Bruckner (u.a. auch von seinen Schülern) nachbearbeitet !


    **** Betrachte mal nur die Sinfonie Nr.4, wie gut dem Werk die Bearbeitung bekommen ist.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Was ich gar nicht wusste war, dass er wohl immer die Urfassungen gespielt hat???


    Das mußt Du gar nicht wissen, das ist nämlich Unfug.


    Bei der 3. Sinfonie stammt die Urfassung von 1873, Wand hat die "Drittfassung" von 1889 gespielt.
    Die 4. Sinfonie wurde in der Urfassung 1874 beendet, Wand spielte die gängige Fassung von 1878 mit Finale von 1880.
    Bei der 8. Sinfonie stammt die Urfassung von 1887, Wand spielte die Haas-Version von 1890.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • Sei froh, dass es wohl kaum die Ur-Fassungen sein werden.
    Die sind zwar auch als Ergänzung interessant (habe einige mit Inbal (TELDEC)), aber ich sage es ganz krass:
    8-) Die Sinfonien wurden nicht ohne Grund von Bruckner (u.a. auch von seinen Schülern) nachbearbeitet!


    **** Betrachte mal nur die Sinfonie Nr.4, wie gut dem Werk die Bearbeitung bekommen ist.

    Ne!
    Find ich nicht. Ich habe immer bei Urfassungen das bessere Gefühl. Sicher gibt es hier auch immer eine gewisse Kantigkeit, manches kommt wild und ungebügelt daher und irgendwie scheine ich manchmal einen Hauch von Aggression zu spüren. Aber genau das gefällt mir, genau das macht für mich Das ganz besondere an Bruckner aus.
    Es leben die Urfassungen!! :jubel:

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.