Dem Lieben Gott - Anton Bruckner: Sinfonie Nr 9 in Referenzaufnahmen

  • Als Erlebnishörer wird man - so wie ich es finde- bei Karajan besser mitgenommen.

    Lieber Glockenton,


    das Wort "Erlebnishörer" hat mich noch zu einigen Überlegungen angeregt. :) Der junge Friedrich Nietzsche verarbeitete in seinem Frühwerk seine Wagner-Erfahrung. In Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik gibt es die berühmt gewordene und sehr wirkungsmächtige Unterscheidung des Apollinischen und Dionysischen. Das "Dionysische" ist der Rausch. Da war Nietzsche sicher durch Wagner inspiriert - das rauschhafte Erleben von Musik. Was bedeutet das für die ästhetische Erfahrung? Das macht der Unterschied zum Apollinischen deutlich. Das steht nicht nur für das Prinzip der Formklarheit - sondern auch die Distanz. Apollon mit Pfeil und Bogen hat bei Homer den Beinamen der "Ferntreffer" Apollon. So etwas weiß Friedrich Nietzsche, der Professor für klassische Philologie in Basel, natürlich sehr gut. Während das Dionysische, das rauschhafte Erleben, die Distanz aufhebt in einer Erlebnis-Unmittelbarkeit, schafft das Apollinische gerade Distanz. Das Apollinische ist das Distanz schaffende Schauen und Anschauen eines Schönen.


    Gerade im Hinblick darauf ist nun Hanslick interessant. Das "Organ" der ästhetischen Wahrnehmung ist für ihn nicht das Gefühl, sondern die Fantasie. Die Fantasie schafft nämlich ästhetische Distanz. Das Rauschhafte, die Erlebnis-Unmittelbarkeit, war dem Ästheten Hanslick suspekt. Das ist nun eine sehr "klassische" Haltung, die sich schon bei Friedrich Schiller findet. Eine Tragödie soll phobos und eleos erregen, was meist sehr blass mit "Furcht und Mitleid" übersetzt wird: "Schauder" und "Jammer" ist treffender. Interessant ist nun, dass Schiller hier ein Motiv einfügt, das es bei Aristoteles gar nicht gibt. Er sagt nämlich, dass bei der Rührung durch das Leiden im Drama diese Rührung nicht so weit gehen darf, das man selber gerührt wird. Im Unterschied zu Aristoteles betont er die ästhetische Distanz, welche die Erlebnis-Unmittelbarkeit nicht zulässt.


    Wie sieht es nun bei der Romantik aus? Ein zentraler Text ist hier Wackenroder/Tieck Herzergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders ("Herzergießungen" - das ist die Sprache des Pietismus). Bei Wackenroder und Tieck wird einerseits das Gefühl betont - das Gefühl kann nur durch ein Fühlen erschlossen werden. Aber interessanter Weise bedeutet das für den Romantiker gerade keine rauschhafte Gefühls-Unmittelbarkeit. In diesem Roman gibt es die schöne Stelle, wo die Betrachter von Ferne (!) einer Tanzszene zuschauen und sich daran ergötzen. Das ist sehr apollinisch! Die Haltung des Musikhörens ist romantisch die kontemplative Andacht - aber Voraussetzung dafür ist ästhetische Distanz. Der Romantiker will sich gerade nicht einfach nur affektiv berauschen lassen - er verabscheut geradezu die Affektivität. Zitat des Erzromantikers Novalis (Friedrich v. Hardenberg): "Poesie soll keine Affekte machen, Affekte sind so etwas wie Krankheiten."


    Nun kommen wir zurück zu Karajan und Bruckner. Karajans sehr integrative Sicht betört den Erlebnishörer, weil sie aus der Musik einen Klangrausch macht und so die ästhetische Distanz in eine Distanzlosigkeit aufhebt. Die Frage ist aber, ob man das als originär romantisch und authentisch in Bezug auf Bruckner ansehen kann. Will und soll eine Bruckner-Symphonie wirklich den Hörer in einen Rausch versetzen? Die Frage kann man vor dem historischen Hintergrund nicht einfach mit einem eindeutigen "Ja" beantworten, finde ich. Das ist eine legitime Sicht - aber die andere mehr apollinische ästhetische Distanzhaltung, die dann auch mehr Formklarheit schafft, ist es auch.


    Noch eine Anmerkung. Bruckner wurde ausgerechnet im Hanslick-Kreis entdeckt und in seiner Bedeutung geradezu überhöht. Das war bei August Halm, der wie Hanslick ein strenger "Formalist" ist - und übrigens auch komponierte. Bei jpc zu bestellen ist eine Aufnahme seiner Symphonie, die ich habe.



    August Halms bekanntestes Buch - Halm ist ein ungemein kluger und geistreicher Musikschriftsteller, dessen gesammelte Werke Adorno herausgeben wollte, wozu es aber nicht kam - ist Von zwei Kulturen der Musik:


    md31569205315.jpg


    Die beiden Kulturen bei Halm sind Bach und Beethoven - und ihre Synthese findet Halm bei Bruckner, der für ihn den krönenden Abschluss der Musikgeschichte darstellt. Er hat auch ein Bruckner-Buch geschrieben:


    August-Halm+Die-Symphonie-Anton-Bruckners.jpg


    Liebe Grüße

    Holger

  • Erst durch Deinen Hinweis, lieber Glockenton, auf die 1976er Einspielung und der damit einhergehenden Auseinandersetzung mit der Partitur und mit anderen Einspieungen, muss ich diese Vormachtsstellung, die ich HvK hier bislang eingeräumt habe, aus den bereits genannten Gründen - vor allem wegen der Legato-Dominanz der Streicher - revidieren, zumindest was die Neunte betrifft (in allen drei DG-Aufnahmen). Somit hat also Deine durchaus nachvollziehbare Bewunderung für HvKs Bruckner bei mir genau zum Gegenteil geführt.

    Lieber Christian,


    spannend. An Karajan scheiden sich offenbar immer wieder die Geister... :) ^^ Hast Du Chailly mit dem KCO und Haitink gehört - auch hochgeschätzte Einspielungen?


    Liebe Grüße

    Holger

  • Chailly live erlebt, im Gewandhaus. Grandios.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Für den Anstoß zu dieser befruchtenden Auseinandersetzung und für die immer sehr persönlichen und fachkundigen Beiträge möchte ich mich bei Dir bedanken!

    Lieber Christian B.,


    gerne geschehen!

    Allerdings finde ich den Ausgang Deiner Beschäftigung mit der Symphonie und den Einspielungen ( hier speziell die von mir favorisierte HvK-DVD) dann doch etwas traurig in dem Sinne, dass ich gerne Andere in die Begeisterung für diese Sternstunde mithineingezogen hätte, statt sozusagen auf ein abschreckendes Beispiel hingewiesen zu haben.


    Erst durch Deinen Hinweis, lieber Glockenton, auf die 1976er Einspielung und der damit einhergehenden Auseinandersetzung mit der Partitur und mit anderen Einspieungen, muss ich diese Vormachtsstellung, die ich HvK hier bislang eingeräumt habe, aus den bereits genannten Gründen - vor allem wegen der Legato-Dominanz der Streicher - revidieren, zumindest was die Neunte betrifft (in allen drei DG-Aufnahmen). Somit hat also Deine durchaus nachvollziehbare Bewunderung für HvKs Bruckner bei mir genau zum Gegenteil geführt.

    Ja, das finde ich eigentlich schon etwas schade.

    Die Begründung kann ich nicht ganz nachvollziehen: ein dichtes Legato der Streicher ist bei dieser Musik - je nach Stelle in der Partitur- durchaus angezeigt und nur die allerbesten Orchester und Dirigenten bekommen das so hin.

    Zudem kann ich nicht erkennen, wo denn genau die Streicher eine von Bruckner aus der Partitur nicht gewollte Überdominanz ausübten und an welcher Stelle Karajan hier gegen den Willen des Komponisten ein dominantes verströmendes Legato spielen ließ, obwohl Bruckner es anders wollte.


    Geht es denn tatsächlich nur um diese eine Stelle Buchstabe E, die in dem Analyse-Film treffend als "Love-group" bezeichnet wird? Ich kann an der Stelle bei Karajan alle Gegenstimmen gut hören, nur werden die Hörner 1-4, die aus Gründen der Klangmischung die Begleitstimmen der Violen und der Celli verstärken, nicht so deutlich herausgestellt wie gerade bei Honeck, bei dem mir noch nicht einmal klar ist, ob es einfach an dichter platzierten Stützmikrofonen und/oder der Abmischung liegt. Wenn man den klanglichen Reiz der Obertöne der laut spielenden Blechbläser hier unbedingt hören will, dann ist das wohl legitim, aber man könnte ja auch auf die Idee kommen, dass es hier um einen romantisch-warmen Tutti-Klang gehen soll. Immerhin spricht der wackere Analyst in dem Video von "Love-group". Das kann ich gut nachempfinden, denn mit Beginn der "Gesangsphase" Ziffer D wird kontinierlich Wärme und sehnende Zuneigung aufgebaut, die sich in einer in der Tat schwärmerischen Liebeserklärung bei Buchstabe E entlädt. Hier darf es wirklich frei strömen, der Kontext der Partitur ( es beginnt bei D, die Harmonik, die Melodik, die eingezeichneten Legatobögen, die eingezeichnete Dynamik und die klangfunktionale Instrumentation) untermauert diese Auffassung so, dass es nur mit Hilfe von kaum musikalischen Gedankengebäuden widerlegt werden kann.

    Gelehrsamer Kontrapunkt, der an jener Stelle eindeutig nicht vorhanden ist, als verströmende Liebeserklärung?


    "Ja doch, hier ist sie, meine große Liebe, aber ich muss doch noch auf andere wunderschöne Frauen aus unserer Reisegruppe hinweisen, sozusagen als Kontrapunkt zu dem, was ich dir gerne sagen möchte. Außerdem sollte ja immer auch der Kopf angesprochen werden, nicht wahr, und bei aller Liebe: wir müssen aus ästhetischen Gründen irgendwie auch eine gewisse Distanz wahren, ich will Dich hiermit nicht überwältigen, behalte gerne Deine beobachtende Distanz"

    Das überzeugt mich ehrlich gesagt nicht. Die Musik spricht eine andere Sprache, und wenn man denn in der Lage ist, gerade auch diese Stelle so zu spielen, wie es die Wiener Philharmoniker taten, dann ist das doch nur wunderbar.



    Und selbst wenn es so wäre, dass Karajan etwas macht, was Bruckner so nicht wollte, dann sollte es einleuchtend und gut gemacht sein, wovon man hier ausgehen kann.

    Thielemann erzählt in einem Film, dass er in Anwesenheit von Komponisten/Komponistinnen offensichtlich von den musikalischen Parametern her ein bisschen anders spielen ließ, als es die Partitur vorschreibt.

    "Ja" hat die Komponistin gerufen "interpretieren Sie, das finde ich sehr gut!!"

    Auch Karajan berichtet von solchen Erlebnissen bei entsprechenden Begegnungen mit Komponisten - wenn ich mich recht erinnere, war es Strauss.

    Ich selbst habe das in Gegenwart von norwegischen Komponisten auch erlebt. Einer fand sogar, dass ich ein Stück besser spielte, als er es sich ursprünglich dachte...

    Wenn ein Komponist eigene Noten spielt oder dirigiert, dann interpretiert er sich selbst. Dann wird es jedesmal anders. Ich spiele ja meine eigenen Preludien, Vorspiele, Postludiums und dergleichen über die Jahre auch immer anders, weil man immer dazulernt und die Musik in einem weiterarbeitet. Auch die Noten werden dann unter Umständen verändert/überarbeitet.

    Aber - wie gesagt- ich kann nicht eindeutig erkennen, dass Karajan hier einen undbrucknerschen Bruckner spielt, der dem Notentext entgegenstünde.


    Außerdem kann ich bezeugen, dass ich Karajans Bruckner nicht im Grundsatz immer vorziehe. Von der Berliner Gesamteinspielung hörte ich neulich die Neunte, die Vierte und die Fünfte.

    Die Vierte hat mich regelrecht schockiert - da komme ich vielleicht später zu- die Fünfte fand ich vor allem gleißend und fast schon tragisch missverstanden und die Neunte kommt in meinen Ohren nicht an die Wiener Einspielung (DVD) heran.

    Seine späte Arbeit mit den Wiener Philharmonikern finde ich jedoch wiederum sehr gut.

    Ein Karajan-Fan bin ich nur dann, wenn sein Konzept - wie bei dieser Live-Aufführung- voll aufgeht. Dann ist er tatsächlich "der Karajan" und den Dirigenten.


    Von daher kann ich Holger nur zustimmen:


    Zu Karajan würde ich ebenfalls sagen: Hier geht sein Konzept voll auf. Ich würde da auch nicht herummäkeln wollen.

    So ist es.


    Überhaupt befürchte ich fast, dass man beim Lesen dieser Diskussion einen verzerrten Eindruck bekommen kann, nämlich dass die von mir im ersten Impuls der Begeisterung vorgestellte Karajan-DVD am Ende aus lauter negativen Aspekten bestünde: verschwommen, seifig, streicher-dominant, legato-selig, die Form verwischend, schwärmerisch, gar dekadent, nur auf Rauschwirkungen abzielend, einseitig nur einen philosophischen Ansatz verfolgend, und so viel mehr.


    Ein Hineinhören in die Musik ergibt indes einen ganz anderen Eindruck, wie ich finde.

    Ich kann nur die Mitleser usw. ermuntern, genau dies zu tun. Es relativiert ggf. den Eindruck, den man aus dieser Diskussion gewinnen kann.


    Hören und - wenn möglich- selbst musizieren, ist am Ende dann wohl doch besser, als darüber zu reden.

    Sich etwas durch einen Gedankenaustausch bewusst machen, da bin ich schon dafür.

    Im Übrigen spreche ich eigentlich lieber positiv über entsprechend gelungene Konzerte und Aufnahmen - gerade die Sternstunden- als negativ über die weniger gelungenen, allein schon, weil ich weiß, dass bei den nicht so tollen Ergebnissen oft auch sehr viel Arbeit und Anstrengung dahinterstehen kann.


    Auch ich bedanke mich für diese für mich durchaus lehrreiche Diskussion !


    Gruß

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Geht es denn tatsächlich nur um diese eine Stelle Buchstabe E, die in dem Analyse-Film treffend als "Love-group" bezeichnet wird?

    Hallo lieber Glockenton,


    nein, ich hatte diese Stelle nur genannt, weil sie auch ohne Partitur (die ich beim Verfassen meines Beitrag noch nicht zur Verfügung hatte) leicht zu identifizieren ist und weil sie Karajans Stil auch in den anderen Sätzen meines Erachtens gut charakterisiert (was ich zeitlich nicht weiter ausführen kann).


    Viele Grüße

    Christian

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  • So ist es.


    Überhaupt befürchte ich fast, dass man beim Lesen dieser Diskussion einen verzerrten Eindruck bekommen kann, nämlich dass die von mir im ersten Impuls der Begeisterung vorgestellte Karajan-DVD am Ende aus lauter negativen Aspekten bestünde: verschwommen, seifig, streicher-dominant, legato-selig, die Form verwischend, schwärmerisch, gar dekadent, nur auf Rauschwirkungen abzielend, einseitig nur einen philosophischen Ansatz verfolgend, und so viel mehr.


    Ein Hineinhören in die Musik ergibt indes einen ganz anderen Eindruck, wie ich finde.

    Lieber Glockenton,


    manchmal vermischen sich einige Dinge in solchen Diskussionen. Aber genau - man muss letztendlich hören! :) Das habe ich gestern gemacht. Erst einmal bin ich Dir sehr dankbar für Deine Meldung nach so langer Zeit und gerade zu dieser Symphonie! Ich bin ja sehr "Mahler fixiert" und Bruckner steht bei mir eher hinten an... ^^ Was für ein origineller Satz ist das! Der passt in keine Kategorie! Unglaublich! Und wohl unglaublich schwer zu interpretieren. Ich höre ihn auch nicht "architektonisch". Ja, man merkt irgendwo, wo der Durchführungsteil anfängt. Aber wenn dem Verlauf folgt, orientiert man sich doch an anderen Dingen.


    Gestern habe ich einige Interpretationen kurz Vergleich gehört - und dann den Satz mit Abbados durchgehört. Hiroshi Wakasugi war eine Bank in Düsseldorf - wenn er dirigierte, war der Opernabend gelungen. Seine Aufnahme ist sehr organisch - aber auch ein bisschen nüchtern. Wand gefällt mir irgendwie weniger, Haitink (bei ihm muss man sich wohl die richtige Aufnahme raussuchen, wie bei Mahler sind sie alle unterschiedlich) und Chailly gefielen mir beim Reinhören sehr gut. Guilini am Anfang, irgendwann fand ich ihn ein bisschen statisch. Vielleicht ist die späte Aufnahme von ihm aus Saarbrücken noch besser. Mrawinsky hat seine bekannten Qualitäten. Bislang springt bei mir der berühmte Funke bei keiner Aufnahme über, so dass ich sagen kann. "Die ist es für mich,wie ich es gerne hätte ..." Dieser Satz ist offenbar verdammt schwer zu interpretieren, so dass man bei keiner Aufnahme rundum zufrieden ist. Immer vermisst man bei der einen das, was die andere wieder hat.


    Und nun zu Karajan: Joachim Kaiser schrieb mal über Friedrich Gulda - und das war als ganz großes Kompliment gemeint - bei ihm werde Beethoven "überschaubar einfach". Genauso ist diese einfach perfekt gelungene Karajan-Aufnahme aus Wien: Bruckner wird da "überschaubar einfach". Interessant ist der Vergleich mit Celibidache - seine letzte Aufnahme von 1995 folgt im Prinzip derselben Ästhetik. Auch da gibt es so eine Art barocken Bewegungszug, der alles verbindet, einen musikalischen Strom, in dem die Ereignisse schwimmen. Celi ist nur viel langsamer. Bei Karajan hören wir gleichsam allstimmig den großen Strom, bei Celi die einzelnen Ströme, Rinnsale und Biegungen, aus denen er sich zusammensetzt. Aber die Ästhetik ist dieselbe. Man kann das nun nicht mögen und diese Ästhetik ablehnen - aber das sagt dann nichts darüber aus, ob es gelungen ist. Eine wirklich immanente Kritik kann da nichts herummäkeln. Das ästhetische Konzept ist zwingend umgesetzt. Bei Abbado und Anderen wohl auch gibt es eine andere Wahrnehmung der Zeit. Wenn alles im Fluss ist, gibt es im Grunde nur einen Bewegungsansatz und alles bewegt sich nur immer weiter. Wenn man diesen Fluss nicht hat, sondern immer wieder neue Bewegungsansätze, werden die endlose Wiederholungen bei Bruckner anders wahrgenommen. Bei Abbado denke ich an Sisyphos, der einen Stein den Berg rauf rollt, der aber immer wieder runterkullert und er wieder von vorne beginnen muss. Das hat etwas sehr Quälerisches und Tragisches. Ich stelle mir Bruckner als einen Bergsteiger vor, der zum Gipfelkreuz will. Er verläuft sich immer wieder, kehrt zu seinem Ausgangspunkt zurück, sucht nach neuen Wegen, häuft Erinnerungen an und ganz am Ende hält er oben das Gipfelkreuz. Die spätromantische Komplexität, diese unglaublichen motivischen Verbindungen und Verdichtungen nimmt man natürlich, wenn alles im Strom schwimmt, nicht so wahr. Das ist der Preis des überschaubar Einfachen. Aber das ist dann eine Grundsatzfrage der Ästhetik. Ich finde Karajan gar nicht seifig und da ich kein "Rausch-Hörer" bin, auch keinen irgendwie den Hörer einlullenden Klangrausch bei ihm. :D Das ist eine Frage der Rezeptionshaltung letztlich, ob man sich berauschen lassen will. Verboten ist es natürlich nicht - Wein, auch den musikalischen, darf man trinken. Puritanismus in der Kunst - nein Danke! ^^ :saint: Das ist für mich als Ästheten und ästhetischen Hörer letztlich nicht das Kriterium, dass ich Karajans Aufnahme herausragend finde, dass Karajan zu berauschen vermag. Auch ohne das hat sie ihre unbestreitbaren Qualitäten, die liegen in seiner Ästhetik und der bezwingenden Art, wie er sein Konzept umsetzt. Genau da ist diese Aufnahme ein Glücksfall - selbst großen Musikern gelingt so etwas nicht immer. Da ist alles wie aus einem Guss und nirgendwo kann man sagen: Das ist nicht Bruckner. Für Celibidache gilt dasselbe. "Ich mag diese Ästhetik nicht" - das kann man natürlich sagen, nur sollte man das dem Interpreten nicht anlasten, der ja ein Recht hat, seine eigene Ästhetik zu haben. Schade nur, dass es diese Karajan-Sternstunde nicht auf CD gibt! Ich muss mir wohl noch einige Aufnahmen anschaffen von Bruckner 9. :)



    Liebe Grüße :hello:

    Holger

  • Lieber Holger,


    es ist schön zu lesen, dass meine Bruckner-Initiative doch einige positive Wirkungen zeigt. Die Beschäftigung mit dieser 9. Symphonie lohnt sich allemal.


    In und auswendig kenne ich ja auch die Vierte, zu der ich eigentlich demnächst etwas schreiben wollte.


    Dann hat sich in letzter Zeit aber die Fünfte dazwischengedrängt, die ich beim Hören und auch beim Vergleichen sozusagen lerne.

    Wenn ich im Moment Zeit habe, dann höre ich Musik, und zwar Bruckner-Symphonien. Nachrichtensendungen werden vernachlässigt, weil ich finde, dass der Bruckner Interessanteres zu sagen hat.


    Was für eine Musik! Ich weiß noch, wie ich vor Freude aufjauchzte, als ich zum ersten Mal dieses hehre Wanderer-Motiv aus dem Siegfried im letzten Satz hörte. Genau dieses habe ich mir nämlich schon vor Jahren herausgeschrieben und daraus Sequenzübungen gemacht, damit ich solche Sachen unter die Haut, bzw. in die Finger bekomme.

    In einem Responsorium ( weiß nicht, wie man es in Deutschland nennt) habe ich das Motiv auch schon eingebaut, passend zum Text natürlich.

    Obschon Wotan/der Wanderer ein heidnischer Gott ist, spricht das Motiv ( Text dazu: "Heil Dir, weiser Schmied") in eben dieser Harmonisierung von unendlichen Weiten, von Würde, Heiligkeit, Transzendenz - also all dem, was mich so sehr interessiert !

    Wie sehr habe ich mich gefreut, dass der Bruckner offensichtlich auch davon begeistert war! Es war mir eine unerwartete Bestätigung, mit meinen speziellen Vorlieben nicht alleine dazustehen.

    Und dann schreibt der auch noch eine Fuge darüber - Wahnsinn.

    Zur Fünften dann ggf. später.


    Seit heute kam noch die Achte hinzu, die ich vor längerer Zeit mit eben jener Karajan-DVD kennenlernen konnte, auf der auch die Neunte enthalten ist. Das dort zu sehende Live-Konzert mit der Achten wurde in einer Kirche aufgenommen.

    Allerdings habe ich auch hier wieder so eine Aufnahme gefunden, bei der ich - genau wie bei der Fünften- sage: " das ist sie, hier stimmt einfach alles - ein Traum". Ich meine, dass ich jedenfalls für die alle anderen liegenlassen kann.

    Und nein, diesmal ist es nicht Karajans Live-Einspielung....l ( ....und die Spät-Aufnahme Karajans kenne ich noch nicht)


    Die von der angesprochene Nr. 9-Aufnahme Celis habe ich auch. Ich hörte früher etwas hinein und fand sie irgendwie "weicher" vom Zugriff her als Karajan, gerade bei zupackenden Stellen, wie etwa im Scherzo.

    Aber sie hat mir immer sehr gut gefallen und ich werde sie mir demnächst einmal wieder auflegen.

    Ich bin bei Bruckner auch meistens Pro-Celi eingestellt, finde allerdings, dass man andere Interpretationen auch kennen sollte, die mit "normaleren" Tempi arbeiten.

    Hörte heute gerade einen amerikanischen Kritiker der über Celis Bruckner sagte " it`s complete insanity, but I like it". He fills his slow tempi with details"

    Höre gerade etwas in das Scherzo rein: ein irrwitzig langsames Tempo. Er bewegt sich genau auf dem schmalen Grad zwischen einzigartiger Größe und entstellender Lahmheit.

    Aber da er ja die Zeit mit Leben und Spannung ausfüllt und man Details hört, die man gerne sonst überhört, ist es ja schon sehr Besonders.

    Am Ende ist es mir dann aber doch zu langsam, glaube ich...


    Seine 7. mit den Berlinern ( das Wiedersehen mit Probe, erst war er gerührt, später kam in der Probe auch der aufgestaute Ärger über die eingeübten Dinge zu Vorschein, die er ablehnte...) mag ich sehr.

    Die Sache mit dem langsamen Tempo fällt mir bei ihm am wenigstens bei der Vierten auf. Es ist eine der besten Aufnahme der Vierten überhaupt, die er da mit den Münchnern bei EMI aufnahm.


    Aber, wie gesagt: bei der Fünften und Achten habe ich etwas gefunden, das ist so gut, dass ich meine, keine anderen CDs mehr haben zu müssen.

    Dazu später mehr...


    Christian B.


    Wo kann ich denn diese CD finden? Ich habe versucht, die PCM-Spur der DVD herunterzurippen, aber das Programm sagt dann "sorry, hier ist ein Copyright" und dann geht es nicht weiter.

    Ich muss mich eh einmal besser mit den Möglichkeiten meines TIDAL-Premium-Abos beschäftigen. Möglicherweise kann man da auch den Sound herunterladen - weiß ich im Moment gerade nicht.

    Es gibt so ein paar Aufnahmen, die ich einfach gerne physisch hätte. Man weiß ja nie...



    Gruß

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Kleiner Nachtrag:


    habe noch einmal in Giulinis und Karajans Scherzo hineingehört. Das finde ich in diesem Tempo doch überzeugender. Es klingt bei Celi dagegen fast wie eine Übung....

    Das Tempo ist für am besten bei Karajan ( DVD), Harnoncourt, Rattle und Wand mit den Münchner Philharmonikern gewählt.

    So rastet es förmlich ein. Es darf nicht zu langsam sein, muss aber in den Tutti-ff-Stellen auch genug Momentun für die Kraftentfaltung ermöglichen.

    Bei Wand mit den Münchnern gefiel es mir - bis auf einen uneleganten Oboeneinsatz- von den Nicht-Karajan-Aufnahmen am besten.



    Später hat er es dann schneller gemacht, zwar auch sehr gut, aber dieses Scherzo ist ihm meiner Meinung nach am besten mit den Münchnern gelungen, wenigsten vom Tempo her. Man hört überdies alles - auch bei den Holzbläsern.

    Was für ein Bruckner-Dirigent!


    Vielleicht hatten die Münchner damals noch die Celi-Details verinnerlicht...


    Gruß

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Lieber Christian B.,


    vielen Dank! Ich gehe da mal drauf...


    Habe übrigens gerade ein Programm gekauft, mit dem man die TIDAL-Alben herunterladen kann. Es nennt sich TunePat TIDAL Media Downloader.

    Zum Glück funktioniert es.

    Die Ausgabequalität kann man einstellen. Ich habe mich hier für das verlustfreie Flac entschieden, könnte aber auch gleich z.B. in WAV konvertieren, wenn ich das z.B. in Cubase zum Transkribieren oder so einladen wollte.

    Ansonsten wäre WAV dann schlecht, wenn die Qualität bei TIDAL höher als WAV ist, was gar nicht so wenigen Aufnahmen der Fall ist. Sie nennen es dort "Master".


    Für ein Jahr zahlt man knappe 59 Dollar.

    In dem Jahr kann man sich schon so einige seiner Lieblings-CDs herunterladen, die man nicht schon eh physisch im Bestand hat.


    Die oben verlinkte Wand-CD mit dem NDR- Orchester und den Münchnern lädt gerade probeweise.

    Und, wie gesagt, diese Bruckner 9 hat tatsächlich ihre Meriten. Es hört sich nach einem Live-Mitschnitt an. Da gibt es im langsamen Satz Stellen ( Pausen) , da glaubt, es bliebe einem das Herz stehen.

    Das sind ja Dinge, die eigentlich nur live so richtig spürbar werden. Aber bei dieser Aufnahme kommt dieses spezielle Etwas doch schon herüber.


    Gruß

    Glockenton


    PS: 21 Eur für eine Aufnahme, die man ja schon hat - da überlege ich noch ;)

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Dr. Holger Kaletha, wie schon weiter oben vermerkt, wurde die DVD als CD veröffentlicht, und zwar in der Ausgabe anbei (derzeit auch gebraucht bei Amazon erhältlich).

    Lieber Christian,


    vielen Dank! Da geht der Weg dann über den Gebrauchtmarkt! Was Deine "Bekehrung" in Bezug auf den Karajan-Bruckner angeht: Bei mir ist es so, dass ich auf die Aufnahmen, die ich von Anfang an geschätzt habe, immer wieder zurückkomme, auch wenn man sich an mancher zwischenzeitlich reibt. Sie behalten ihren Wert. Auch über die besten Aufnahmen kann man freilich geteilter Meinung sein, weil es in der Ästhetik letztlich keine Absolutheit gibt. Aber Du wirst doch sicher auch zugeben können, dass sich herausragende Aufnahmen dadurch auszeichnen, dass man sie besonders mögen - oder auch gar nicht mögen - kann. Mittelmäßige oder belanglose kommen dafür erst gar nicht in Frage! ^^ :hello:

    Wenn ich im Moment Zeit habe, dann höre ich Musik, und zwar Bruckner-Symphonien. Nachrichtensendungen werden vernachlässigt, weil ich finde, dass der Bruckner Interessanteres zu sagen hat.

    Lieber Glockenton,


    da bist Du in einer glücklicheren Lage als ich. Bei mir reicht es derzeit wenn ich hören kann nur für kurze Stücke... ^^ Der Berg ungehörter Aufnahmen ist groß...

    Ich bin bei Bruckner auch meistens Pro-Celi eingestellt, finde allerdings, dass man andere Interpretationen auch kennen sollte, die mit "normaleren" Tempi arbeiten.

    Hörte heute gerade einen amerikanischen Kritiker der über Celis Bruckner sagte " it`s complete insanity, but I like it". He fills his slow tempi with details"

    Genau. Celi übertreibt es manchmal mit der Langsamkeit. Es gibt ja auch seine früheren Aufnahmen von Bruckner aus Stuttgart. Da hat er wohl etwas flüssigere Tempi. Ich ärgere mich, dass ich sie nicht habe! Dann bin ich gespannt auf Deine Besprechungen der 4. und 5. Ich habe einige Bruckner-Symphonien mit Eliahu Inbal - Teile seiner Gesamteinspielung einschließlich der 0. Von der 5. habe ich auch noch Konwitschny - aber schon lange nicht mehr gehört. :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Aber Du wirst doch sicher auch zugeben können, dass sich herausragende Aufnahmen dadurch auszeichnen, dass man sie besonders mögen - oder auch gar nicht mögen - kann. Mittelmäßige oder belanglose kommen dafür erst gar nicht in Frage!

    Lieber Holger,


    ich finde eigentlich, dass die meisten Aufnahmen, die ich mir angehört habe, auf einem sehr, sehr hohen Niveau musiziert sind. Ich persönlich bevorzuge eher analytische Aufnahmen. Mit den Dirigenten der alten Generation und den hier üblichen Temposchwankungen (Furtwängler, Jochum) kann ich wenig anfagen. Schade, dass es von Boulez keine Aufnahme gibt, seine Achte mit den Wienern ist schon was Besonderes. Vielleicht kommen wir ja demnächst darauf zu sprechen. Bin auch gespannt auf die Aufnahme von Poschner, dessen Zyklus gerade im Entstehen ist und der sehr spannend ist.


    Der größte Gewinn war diesmal für mich aber der Blick in die Partitur des ersten Satzes - ich bin hin und weg, wie planvoll und durchdacht das alles angelegt ist!!!


    Viele Grüße

    Christian


    PS: Bei Bedarf schicke ich von der Karajan 1976er Aufnahme gerne mp3-Dateien. Mehr kann ich leider nicht bieten, da ich im letzten Jahr alle CDs verkauft habe.

  • Kurzer Hinweis. Heute (13.08.) auf ARD Alpha um 21.45 Uhr die 9. Bruckner, dazu Berg Violinkonzert (Gil Shaham). Es spielt das Sinfonierorchester des BR unter Mariss Jansons.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Danke für den Hinweis, La Roche! Ich schätze Jansons sehr, auch weil er sich hier in München für den dringend benötigten Konzertsaal eingesetzt hat. Habe ihn einmal auf einem Managementseminar erlebt, in dem er von seiner Arbeit erzählt hat. So ein feiner Mensch und Humanist.


    Seine Bruckner-Aufnahmen mit den BR-Orchester sind klanglich fantastisch, besser kann man das nicht aufnehmen. Und das Orchester ist ja auch sensationell gut. Allein, der Funke springt bei mir nicht über, ich kann mit seinem Bruckner nichts anfangen, es gelingt ihm einfach nicht, diese großen Spannungsbögen herzustellen.


    Viele Grüße, Christian

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Seine Bruckner-Aufnahmen mit den BR-Orchester sind klanglich fantastisch, besser kann man das nicht aufnehmen. Und das Orchester ist ja auch sensationell gut. Allein, der Funke springt bei mir nicht über, ich kann mit seinem Bruckner nichts anfangen, es gelingt ihm einfach nicht, diese großen Spannungsbögen herzustellen.

    Lieber Christian, ich finde Deine Aussage sehr interessant, denn ich empfinde genauso.


    Zugegeben, die 9. Sinfonie mit dem SO des Bayer Rdfs kenne ich (noch?) nicht, allerdings etliche andere Bruckner Aufnahmen, u.a. die 9. mit dem Concertgebouworchester.



    Zügige Tempi haben auch andere Dirigenten bei der 9,. Sinfonie gewählt. Aber Jansons (23:05, 10:52 und 20:44 mit dem CGO) empfinde ich in erster Linie als "einfach nur schnell". Die "innere Beteiligung", die Antwort auf die Frage "Was habe ich zu dieser Sinfonie zu sagen?" fehlt mir größtenteils (so wie auch bei anderen Bruckner Sinfonien).


    Ich schätze Mariss Jansons bei vielen anderen Komponisten. Bei Schostakowitsch oder Mahler höre ich die von Dir genannten "großen Spannungsbögen", bei Bruckner fehlen sie mir zu häufig.

    Die einzige Bruckner Sinfonie mit Jansons, bei der ich nichts großartiges auszusetzen habe, ist die live 6. aus Berlin. Die empfinde ich als rundherum gelungen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • ich finde eigentlich, dass die meisten Aufnahmen, die ich mir angehört habe, auf einem sehr, sehr hohen Niveau musiziert sind. Ich persönlich bevorzuge eher analytische Aufnahmen. Mit den Dirigenten der alten Generation und den hier üblichen Temposchwankungen (Furtwängler, Jochum) kann ich wenig anfagen. Schade, dass es von Boulez keine Aufnahme gibt, seine Achte mit den Wienern ist schon was Besonderes. Vielleicht kommen wir ja demnächst darauf zu sprechen. Bin auch gespannt auf die Aufnahme von Poschner, dessen Zyklus gerade im Entstehen ist und der sehr spannend ist.


    Der größte Gewinn war diesmal für mich aber der Blick in die Partitur des ersten Satzes - ich bin hin und weg, wie planvoll und durchdacht das alles angelegt ist!!!

    Lieber Christian,


    ich bin ja auch so geprägt. Das Orchesterrepertoire habe ich mir als Jugendlicher und Student vornehmlich durch Aufnahmen von Pierre Boulez und Claudio Abbado erschlossen, also die "analytische" Richtung. Dazu kommt meine besondere Affinität zu Claude Debussy, dessen Orchesterwerke für die Auflösung des integralen Orchesterklangs stehten. ^^ Karajan ging meist in eine andere Richtung, betont gerade das Integrale. Um seinen satten Streicherklang zu erzeugen, hat er oft die Besetzungen verändert, die Kontrabässe verdoppelt etc. Wenn das zum Selbstzweck wird, das "Baden" im Streichersound, habe ich damit ein Problem. Hier aber, bei der 9. Bruckner, dient die Betonung der Streicher dem Verständnis der musikalischen Form, indem ein durchgehender, quasi barocker Bewegungszug entsteht. Da finde ich geht die Karajan-Ästhetik auf die Essenz und dient dem Verständnis des Werks. Man muss es hier freilich nicht so machen - und jeder Gewinn ist immer auch ein Verlust. Was einem letztlich lieber ist, ist dann natürlich auch eine Geschmacksfrage und Ausdruck davon, was einem mehr Wert ist. Das ist selbstverständlich legitim und gerade eine Bereicherung und kein Mangel, finde ich. Es wäre ja schrecklich, wenn man ein Stück nur auf eine und eine einzige Art interpretieren - und hören - könnte. ;)

    PS: Bei Bedarf schicke ich von der Karajan 1976er Aufnahme gerne mp3-Dateien. Mehr kann ich leider nicht bieten, da ich im letzten Jahr alle CDs verkauft habe.

    Das wäre toll! Das ist doch besser als die Youtube-Qualität - und ich kann nun direkt die Aufnahme mit meinem Cambridge-DAC von der Festplatte spielen, der einen Kopfhörerverstärker hat und mit meinen sehr guten Kopfhörer hören. :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Zügige Tempi haben auch andere Dirigenten bei der 9,. Sinfonie gewählt. Aber Jansons (23:05, 10:52 und 20:44 mit dem CGO) empfinde ich in erster Linie als "einfach nur schnell". Die "innere Beteiligung", die Antwort auf die Frage "Was habe ich zu dieser Sinfonie zu sagen?" fehlt mir größtenteils (so wie auch bei anderen Bruckner Sinfonien).

    Lieber Norbert,


    ich glaube gar nicht, dass es am Tempo liegt, die Münchner Aufnahme ist etwas langsamer, aber kaum spannender. Ich habe mir jetzt im ersten Satz einmal etwas genauer die Ausgestaltung der sogenannten Gesangsperiode, also des 2 Themas, angehört (weiter oben war davon auch schon die Rede). In der CGO-Aufnahme beginnt diese bei 3.18. Bevor nun dieses Thema seinen ersten Höhepunkt findet (bei 4.35) wird es einmal gesteigert wiederholt. Bei Dirigenten wie Wand, Karajan, aber auch Klemperer sind diese Sequenzen klar abgegrenzt, das Thema hat sich vorher drängend aufgebaut und setzt und nun noch einmal von vorne an um sich dann bei 4:35 in voller Pracht zu entfalten. Wand, Karajan und Klemperer bauen da eine immense Spannung auf, indem sie zwei sich steigernede Sequenzen auf eine dritte Sequenz zusteuern lassen, Jansons hingegen scheint mir über diese Sequenzen hinwegzuspielen, jedenfalls findet hier kein ähnlicher blockartiger Spannungsaufbau statt. Somit scheint ihm die strenge Formsprache Bruckners nicht zu liegen? Wirklich ein Jammer, denn rein klanglich ist vor allem die Münchner Aufnahme ein Genuß.


    Viele Grüße

    Christian

  • *

    - Wiener Philharmoniker; Großes Festspielhaus, Salzburg, 27. August 1967 MONO? (Rundfunk)

    Vermutlich in Stereo.

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    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)

  • Als neues Mitglied, soeben von Herrn Schmidt freigeschaltet (vielen lieben Dank dafür), möchte ich im Hinblick auf AB`s NEUNTE auf Herrn Celibidache hinweisen und sehe mit Spannung Meinungsäußerungen dazu entgegen. Mit diesem meinem ersten Beitrag im TAMINO-Klassikforum möchte ich gleichzeitig ausprobieren, wie das hier funktioniert. Liebe Grüße an alle Mitglieder und Freunde des Forums aus dem hessischen Odenwald!

    "Von Herzen - Möge es wieder zu Herzen gehen"

    (Ludwig van Beethoven über den Beginn des "Kyrie" seiner "Missa Solemnis")

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  • Joseph II. Diskographie hatte ich übersehen:


    "Karajans offizielle Diskographie in Sachen Bruckners Neunte:


    - Berliner Philharmoniker; Jesus-Christus-Kirche, Berlin, 15.-19. März 1966 (DG)

    - Berliner Philharmoniker; Philharmonie, Berlin, September 1975 (DG)

    - Wiener Philharmoniker, Musikverein, Wien, Mai 1978 (DG - DVD)

    - Berliner Philharmoniker; Philharmonie, Berlin, 24. November 1985 (Sony - DVD/Blu-ray)


    Dazu gesellen sich weitere Mitschnitte in unterschiedlich guter Qualität, die zu Lebzeiten des Dirigenten nicht zur Veröffentlichung gedacht waren:


    - Wiener Philharmoniker; Musikverein, Wien, 26. Mai 1962 MONO (Archipel) [im Konzert mit Bruckners Te Deum]

    - Wiener Philharmoniker; Großes Festspielhaus, Sealzburg, 27. August 1967 MONO? (Rundfunk)

    - Berliner Philharmoniker; Philharmonie, Berlin, 22. Jänner 1970 MONO? (Rundfunk) [im Konzert mit Verdis Te Deum]

    - Berliner Philharmoniker; Musikverein, Wien, 21. Juni 1974 MONO? (Rundfunk) [im Konzert mit Bruckners Te Deum]

    - Wiener Philharmoniker; Großes Festspielhaus, Salzburg, 25. Juli 1976 (DG) [im Konzert mit Bachs Violinkonzert BWV 1042]

    - Berliner Philharmoniker; Kunsthaus, Luzern, 2. September 1976 (IMC)

    - Wiener Philharmoniker; Musikverein, Wien, 8. Mai 1978 (Andante) [im Konzert mit Bruckners Te Deum]

    - Berliner Philharmoniker; Kunsthaus, Luzern, 31. August 1985 (Rundfunk)

    - Berliner Philharmoniker; Philharmonie, Berlin, 23. November 1985 (Rundfunk)

    - Berliner Philharmoniker; Großes Festspielhaus, Salzburg, 24. März 1986 (Rundfunk) [im Konzert mit Bachs Violinkonzert BWV 1042]"

    "


    Dann sind die Karajan Live-Aufnahmen mit den Wienern auf CD und DVD nicht identisch! Die oben abgebildete CD-Ausgabe (Beitrag 187) stammt aus dem Jahr 1976, die DVD aus dem Jahr 1978. Auch wenn sich Karajans Konzept nicht wesentlich geändert haben dürfte, haben Glockenton und ich dann doch ein bisschen aneinander vorbei geredet bei unserer Diskussion, da ich mich immer auf die CD-Ausgabe bezogen habe, er sich jedoch auf die DVD!


    Viele Grüße

    Christian

  • Als neues Mitglied, soeben von Herrn Schmidt freigeschaltet (vielen lieben Dank dafür), möchte ich im Hinblick auf AB`s NEUNTE auf Herrn Celibidache hinweisen und sehe mit Spannung Meinungsäußerungen dazu entgegen. Mit diesem meinem ersten Beitrag im TAMINO-Klassikforum möchte ich gleichzeitig ausprobieren, wie das hier funktioniert. Liebe Grüße an alle Mitglieder und Freunde des Forums aus dem hessischen Odenwald!

    Herzlich Willkommen, lieber Bernd! Über die Celi-Aufnahme mit den Münchnern und insbesondere den zweiten Satz wurde weiter oben schon ein bisschen diskutiert. Es gibt ja noch eine frühere aus Stuttgart. Ich hatte gestern in die späte Aufnahme reingehört und mir erscheint die Herangehensweise zu langsam und zu sehr buchstabiert ;-)


    Viele Grüße

    Christian

  • Danke lieber Christian B. für das "Herzlich willkommen". Das freut mich sehr. Es zeigt mir auch, wie lebendig dieses Forum ist, wenn so prompt eine Reaktion erfolgt. In der Tat, an Celi scheiden sich die Geister. Insbesondere, wenn er beim Finale manch einer Aufnahme mitsingt...

    "Von Herzen - Möge es wieder zu Herzen gehen"

    (Ludwig van Beethoven über den Beginn des "Kyrie" seiner "Missa Solemnis")

  • Danke lieber Christian B. für das "Herzlich willkommen". Das freut mich sehr. Es zeigt mir auch, wie lebendig dieses Forum ist, wenn so prompt eine Reaktion erfolgt. In der Tat, an Celi scheiden sich die Geister. Insbesondere, wenn er beim Finale manch einer Aufnahme mitsingt...

    Auch von mir ein herzliches Willkommen, lieber Bernd. Celibidache war für mein Verständnis ein Live-Dirigent, der genau die klanglichen Möglichkeiten der Konzertsäle auslotete, in denen er auftrat. Auf Tonträger ist das schwer darzustellen, weswegen er zeitlebens einer Veröffentlichung der Mitschnitte nicht zugestimmt hatte (von den wenigen Schallplattenaufnahmen der 1950er Jahre mal abgesehen). Was ich von ihm in Köln live erlebt hatte war fabelhaft, bei den Tonträgern tendiere ich aber auch eher zu den etwas flotteren Aufnahmen mit den Stuttgartern, die die DGG veröffentlicht hat. Ausnahme: die 4. Die ist mit den Münchnern umwerfend (besonders das Finale; das ist sein Di-Di-Di durchaus verschmerzbar, hat man auch im Konzertsaal so gehört).


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Auch von mir ein herzliches Willkommen, lieber Bernd. Celibidache war für mein Verständnis ein Live-Dirigent, der genau die klanglichen Möglichkeiten der Konzertsäle auslotete, in denen er auftrat. Auf Tonträger ist das schwer darzustellen, weswegen er zeitlebens einer Veröffentlichung der Mitschnitte nicht zugestimmt hatte (von den wenigen Schallplattenaufnahmen der 1950er Jahre mal abgesehen). Was ich von ihm in Köln live erlebt hatte war fabelhaft, bei den Tonträgern tendiere ich aber auch eher zu den etwas flotteren Aufnahmen mit den Stuttgartern, die die DGG veröffentlicht hat. Ausnahme: die 4. Die ist mit den Münchnern umwerfend (besonders das Finale; das ist sein Di-Di-Di durchaus verschmerzbar, hat man auch im Konzertsaal so gehört).


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Lieber Thomas Pape! Danke für Deine freundliche Begrüßung. Dieses Forum hat wirklich Niveau. Und es ist ein schnelles Forum. Zu Celibidache kann ich Dir nur zustimmen: wie er die 4. mit den Münchnern im Finale förmlich in ihre Einzelteile "zerlegt" und trotzdem dabei den gigantischen Aufbau nicht zerstört (im Gegenteil!), das ist schon beeindruckend. Also gut - so nehmen wir notgedrungen sein Di-Di-Di hin. Du hast also sein Singen auch im Konzertsaal erlebt? Ich konnte es Gott sei es gedankt nicht hören. Saß seinerzeit in St. Florian zu weit hinten. Seine Dritte Bruckner war damals dennoch grandios!


    Liebe Grüße Bernd

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  • Lieber Christian,


    ich werde anhand Deiner anschaulichen Beschreibung demnächst in die entsprechende Passage hineinhören.


    Keinesfalls wollte ich den Eindruck erwecken, es läge an den schnellen Tempi, dass mir Jansons' Bruckner-Aufnahmen nicht übermäßig zusagen.


    Es gibt hervorragende Aufnahmen von Bruckners 9. Sinfonie, die mit einer Gesamtspielzeit von unter einer Stunde auskommen. Carl Schuricht (EMI; 25:37, 10:28, 20:17) wurde schon erwähnt, auch Wilhelm Furtwängler (23:36, 9:29 und 25:39 im Oktober 1944) und Bruno Walter 1957 (20:30, 10:19, 19:44) wählten zügigere Tempi als Mariss Jansons, aber interpretierten die Sinfonie hochspannend, stellenweise hochdramatisch (was ibs. auf Furtwänglers Live-Aufnahme zutrifft).


    Ich hatte mir vergangenen Sonntag teilweise den Münchner Konzertmitschnitt angeschaut und konnte einen durchaus engagierten, "beteilgten", motivierten Dirigenten Mariss Jansons erleben, aber zum Beispiel fehlte dem Scherzo ebendiese "Beteiligung". Es klang "schön", aber es fehlte das letzte bisschen Dramatik, die bedrohliche Atmosphäre im stampfenden Rhythmus.


    Und das finde ich, ebenso wie Du, sehr schade.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

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    Lieber Bernd, auch von mir ein herzliches Willkommen.


    Es gibt hier viel zu entdecken, u.a. haben wir einen Vorstellungsthread, Mitglieder stellen sich vor , in dem Du gerne ein paar Worte über Dich schreiben darfst, wenn Du magst...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

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  • Lieber Bernd, auch von mir ein herzliches Willkommen.


    Es gibt hier viel zu entdecken, u.a. haben wir einen Vorstellungsthread, Mitglieder stellen sich vor , in dem Du gerne ein paar Worte über Dich schreiben darfst, wenn Du magst...

    Hallo lieber Norbert!


    Danke Dir für Deine Grüße und Willkommens-Wünsche. Oh ja, hier gibt es viel zu entdecken. Danke für den Hinweis auf den Vorstellungsthread. Nach und nach - und nicht ganz so langsam wie Celi...


    Gruß Bernd

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  • Den Herrn hatte ich mir auch schon angetan. Bruckner singen würde er natürlich besser nicht :)

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