Ist serielle und atonale Musik out?

  • Hallo Edwin,


    in einem gewissen Sinne polarisierst du selbst mit diesem Beitrag nicht weniger, als du selbst einigen hier zum Vorwurf machst. Wer möchte hier zu Mozart zurückkehren - einem Komponisten, der mir persönlich z. B. deutlich weniger sagt als Wagner? Ich für meinen Teil mag einfach keine Musik ohne tonale Grundlage. Trotzdem erstreckt sich die Spanne an "klassischer" Musik, die ich bevorzuge, vom Mittelalter bis zu Hindemith und Britten, die, soweit ich von ihrem Schaffen Kenntnis habe, immer auf gewisse Grundbedürfnisse des tonal empfindenden Menschen Rücksicht genommen und Wert gelegt haben. Gerade Hindemith hat dies in seiner "Unterweisung im Tonsatz" entschieden betont.


    Zitat


    Johannes Roehl:


    Und wenn man tonal in dem engeren Sinn von "funktionsharmonisch" versteht


    Natürlich würden Perotinus, Josquin und Gesualdo dann herausfallen. Aber was sollte es für einen Sinn haben, Tonalität auf Funktionsharmonik festzulegen? Es bliebe jedenfalls dabei, dass die letztgenannten Komponisten tonal komponiert haben und sich somit in einer musikgeschichtlichen Kontinuität mit Bach, Beethoven, Brahms usw. befinden - aus der sich die Zwölfton- und seriellen Komponisten verabschiedet haben.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von rappy
    Schön, dass wir die gleichen Gedanken haben. Jetzt müssen wir das nur noch den heutigen Komponisten erklären!
    Die Frage ist: wie auf tonaler Ebene "Neues" schaffen?


    Aus meiner Sicht lautet die Antwort: Jazz - Gary Burton, Pat Metheney, Charlie Haden etc.

  • Zitat

    Original von Draugur


    Natürlich würden Perotinus, Josquin und Gesualdo dann herausfallen. Aber was sollte es für einen Sinn haben, Tonalität auf Funktionsharmonik festzulegen? Es bliebe jedenfalls dabei, dass die letztgenannten Komponisten tonal komponiert haben und sich somit in einer musikgeschichtlichen Kontinuität mit Bach, Beethoven, Brahms usw. befinden - aus der sich die Zwölfton- und seriellen Komponisten verabschiedet haben.


    Weil "atonale" Musik mit denselben Tönen und Akkorden arbeitet wie tonale und nicht mit Dritteltönen oder Sinusmixturen, der Begriff ist daher unsinnig. Wenn das alpha privativum einen Gegensatz ausdrücken soll, dann kann es höchstens den zur "tonikalen" Musik meinen.


    Man kann sich nicht aus einer musikgeschichtlichen Kontinuität verabschieden. Ich halte das für eine Illusion (und das Schönbergs da getan hätte, entspricht weder seinem Selbstbild noch der üblichen musikhistorischen Position). Selbst Komponisten mit fast auschließlich "negativem" Traditionsbezug (wie Satie oder Cage) können dem nicht entkommen. Vgl. eine meiner Antworten an KSM im "Wo ist das Kunstwerk"-thread.
    Auch wenn (das ist die Engstirnigkeit zu der Adorno &Co neigen) die Zwölftonmusik nicht die *einzige* logische (oder dialektische) Fortsetzung der Tradition ist, so war sie ganz gewiß *eine*, die gar nicht so wenige ziemlich kluge Köpfe und gute Musker plausibel fanden. Was ist eine 12-Tonreihe letztlich anderes als ein sehr spezifischer "Modus"? Abgesehen davon, dass heute ja wohl kaum jemand streng 12tönig komponieren wird.


    Zum Jazz: Ich kenne mich hier nicht aus. Aber mein Eindruck ist, dass man auch hier eine Entwicklung von relativ starren funktionalen Schemata (Blues usw.) zu relativ "willkürlichen" Modi und Skalen (ab Ende der 50er) und schließlich zu noch freieren "Formen" (freie Improvisation ist wohl nur noch in Anführungszeichen Form) stattgefunden hat. Für meine unprofessionellen Ohren hört sich eine Menge (und nicht nur "free") Jazz *sehr viel chaotischer* an als Bergs Orchesterstücke (Kein Wunder, denn ich bin mit dieser Klangsprache nicht vertraut). Was nur mal wieder zeigt, dass man sich an allem gewöhnt, selbst am Dativ...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Klar, im Jazz gibt es genauso wie in der Klassik die "Orkus-Ecke", Free-Jazz gehört sicherlich dazu.


    Aber ein anderer Teil des Jazz ist dennoch die logische Weiterführung des Tonuniversums des Barock mit scheinbar (?) anderen Mitteln, Tsuyoshi Yamamoto ist ebenso Mitglied wie der große Oscar Peterson, Keith Jarrett oder Wynton Marsalis (der auch schon an die atonale Ecke stößt) - oder im weiteren Sinne Pink Floyd mit Atom Heart Mother, größtenteils atonal UND assoziationsstark, und das schließlich in die neueren ernstzunehmenden Musikformen wie Pop (Janis Joplin ist auch Pop) und Rap (2-Pac, der vermutlich ein gerüttelt Maß an klassischer Musik kannte) mündet.

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Man kann sich nicht aus einer musikgeschichtlichen Kontinuität verabschieden. Ich halte das für eine Illusion (und das Schönbergs da getan hätte, entspricht weder seinem Selbstbild noch der üblichen musikhistorischen Position).


    Wenn man die Frage, ob Musikstücken ein tonales Zentrum zugrunde liegt oder nicht, für belanglos erachtet (was ich nicht tue), dann mag Schönberg meinetwegen in einer Kontinuität mit Wagner oder Brahms stehen.


    Zitat

    Was ist eine 12-Tonreihe letztlich anderes als ein sehr spezifischer "Modus"?


    Zur Definition eines Modus gehört m. E., dass er einen Grundton aufweist. Die Zwölftonreihe hat, wenn ich nicht total falsch informiert bin, keinen solchen.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Hallo,


    Zitat

    Wenn man die Frage, ob Musikstücken ein tonales Zentrum zugrunde liegt oder nicht, für belanglos erachtet (was ich nicht tue), dann mag Schönberg meinetwegen in einer Kontinuität mit Wagner oder Brahms stehen


    Warum sollten Musikstücke ein tonales Zentum haben müssen. Was sagt die Existenz eines tonalen Zentrums über die Qualität des Musikstückes aus? Ich meine, das eine hat nichts mit dem anderen zu tun.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Von müssen war ja auch keine Rede, nur wer beim Komponieren kein tonales Zentrum setzt, verweigert dem Hörer etwas ganz Grundlegendes. Konkret gesprochen ist ein tonales Zentrum wie der feste Boden unter den Füßen. Ohne diese Grundgegebenheit läuft alles, was musikalisch passiert, Gefahr, zum Geräusch zu verkommen. Das ist zumindest meine Empfindung und es ist mir egal, wenn das von einigen als unmodern wahrgenommen wird.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    nur wer beim Komponieren kein tonales Zentrum setzt, verweigert dem Hörer etwas ganz Grundlegendes


    Lieber Draugur,
    Super, das ist es, was ich immer schon mal loswerden wollte-ich unterschreibe jedes einzelne Wort Deines Beitrages, ohne leider irgendetwas beisteuern zu können.....


    LG, :hello:


    Michael

  • Dies von einem echten Profimusiker zu hören, ehrt mich :hello: Das stärkt mich für die kommenden Gegenargumente von JR, die ich jedoch wegen ihrer Fundiertheit ebenfalls sehr schätze.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Aber man muß darüber wirklich nicht streiten-ich persönlich respektiere jede andere durchdachte Sicht dieses Themas.
    Man kann die wohl fundierten Meinungen wirklich nebeneinander stehen lassen.
    LG :hello:
    Michael


    Zitat

    Dies von einem echten Profimusiker zu hören, ehrt mich


    P.S.Ähh, das ehrt MICH ungemein, aber ein Profimusiker ist nicht unbedingt besser qualifiziert, oft eher das Gegenteil :untertauch:

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  • Zitat

    Original von rappy
    1) Es gibt Dinge, wie z. B. die Schönheit eines Sonnenuntergangs, die NIE "ausgereizt" sind, und da können keine theoretische Gedanken etwas dran ändern.


    Nur ist der Sonnenuntergang leider kein Kunstwerk.
    :baeh01:

    Zitat

    2) Vollkommene Harmonik/Tonalität, wie wir wie bei den großen Meistern schätzen, musste im Laufe der Zeit erst gefunden werden und kam nicht einfach so. Natürlich konnte niemand sagen "ab heute schreiben viel in Tonika, Dominante, Subdominante und Dur und Moll!". Man hat sich langsam daran herangetastet, anfangen mit der frühen Mehrstimmigkeit, Parallelorgani, über modale Tonarten hin zum Barock.
    Man schöpfte nun alles, was die tonale Harmonik hergab, aus.


    Der letzte Satz ist Unsinn. Wann soll das gewesen sein? Was verstehst Du unter tonal?

    Zitat

    In etwa, wie wenn man eine neue innovative Erfindung in die Hand bekommt und alle Funktionen erst einmal ausprobiert.
    Nun geht man allerdings danach nicht hin, und sagt, ich kenne sie jetzt alles, jetzt zerstöre ich sie!
    Das hat man in der Musik allerdings getan. Man hat ihr das Fundament geraubt, und ein Chaos geschaffen, kein Halt, wo sich der Hörer dran binden kann, um sich zurechtzufinden. Kein modernes atonales Werk heutzutage kann man mehr verstehen, ohne zur Elite zu gehören und ein Vorwissen zu haben, oft braucht man es vom Komponisten selbst.


    Das mit dem "Verstehen" tonaler Musik ist eine Art Selbsttäuschung.

    Zitat

    Und wenn man es dann "verstanden" hat, stellt sich immer noch die Frage, ob es überhaupt schön ist, ob es einem gefällt, ob die Musik nicht nur den Verstand antrifft.


    Vergiss das "Verstehen".

    Zitat

    3) Zwar war Musik immer an die damalige Zeit gebunden; doch es gibt heute keine einheitliche Kultur mehr, wie z. B. den Barock oder die Romantik, heute macht jeder etwas anderes - was er will.


    Es gibt auch im 19. Jh. keine "einheitliche Kultur" vor allem nicht "der Romantik", der Belcanto gehört nicht zur Romantik.

    Zitat

    Das einzige, was die modernen Stücke gemeinsam haben und was man evtl. dem "Stil der Zeit" zuordnen könnte, ist ihre bewusste Abkehr von allem, was dem Hörer vertraut ist.


    Das setzt wieder die Definition eines standardisierten "Hörers" vorraus, den es nicht gibt.

  • Zitat

    Original von Draugur
    Von müssen war ja auch keine Rede, nur wer beim Komponieren kein tonales Zentrum setzt, verweigert dem Hörer etwas ganz Grundlegendes.


    Darum haben auch so viele Leute Probleme mit Musik vor dem Barock: Es gibt in der Musik des Mittelalters und der Renaissance kein "tonales Zentrum".


    Das "tonale Zentrum" mag es geben von ca. 1600 bis ca. 1900.


    Es ist mitnichten grundlegend in unserer Kultur.

  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    Die Frage ist für
    mich nur : Hat diese Musik Bestand,wird sie von einer
    breiten Zuhörerschaft angenommen ? ich meine,eine
    Zuhörerschaft,die Wagner,Bruckner,Mahler,Strauss,etc.
    als Endpunkt der abendländischen Musik hören möchte ?


    :hahahaha:
    Eine Hörerschaft, die "Wagner,Bruckner,Mahler,Strauss,etc. als Endpunkt der abendländischen Musik hören möchte" wird natürlich "Wagner,Bruckner,Mahler,Strauss,etc. als Endpunkt der abendländischen Musik hören" und braucht dementsprechend keine jüngere Musik, denn dann wären "Wagner,Bruckner,Mahler,Strauss,etc." nicht mehr der "Endpunkt der abendländischen Musik".


    Ein sehr aufschlussreicher Beitrag, Herbert!


  • Das sehe ich ähnlich. Da ich nicht in Harmonielehre ausgebildet bin, klingt für mich ein Großteil der Musik von 1100-1600 zunächst ähnlich fremd wie ein Teil der "nachtonikalen" Musik des 20. Jhds. Spannung und Auflösung, "harmonische Richtung" sind bei alter Musik ebenso ganz anders als bei Mozart wie sie es bei Schönberg sind. Aber der Reiz liegt ja u.a. darin, dass andere Mittel und damit auch eine anderer Ausdruck zur Verfügung steht.

    Ich erkenne auch Fragmente von Balkanmodi oder was immer bei Bartok ungefähr so gut oder schlecht wie 12-Tonreihen. Ich muß das auch genausowenig hören wie ich wissen muß, dass mit bestimmten Gewölbeformen statisch bestimmte Gebäude möglich sind und andere nicht und ebenso mit Stahlbetonkonstruktionen bestimmte Gebäude möglich sind und andere nicht, um ein Gebäude ästhetisch ansprechend zu finden oder nicht.


    Ein Bildnis ohne Zentralperspektive verweigert dem Betrachter etwas ganz Grundlegendes. Ein abstraktes Bild erst recht. Ein unkolorierter Stich verweigert dem Betrachter die Farbe usw.


    Dennoch besteht doch wohl kein Zweifel, dass es eine kunsthistorische Entwicklung hin zur Zentralperspektive und auch wieder weg davon gibt. Gewiß kann man Brüche aufzeigen, die ebenso in der Musikgeschichte auftreten. Aber rein klanglich, vom Eindruck der Musik, sind die Terzen von Dunstable gegenüber den Quinten und Quarten vorher oder die affektgeladene Monodie gegenüber dem Palestrina-Stil ab 1600 ein größerer Schock als Schönberg gegenüber Wagner.


    Nochmal zum Jazz (wobei ich auf Expertenkommentar hoffe, Uwe?): Das Interessante finde ich nicht in erstere Linie, dass es dort Musik gibt, die für meine Ohren chaotisch klingt, sondern die ansatzweise analoge Entwicklung von Funktionsharmonik zu Modi und freien Skalen bzw. dort auch von sehr streng reglementierter zu praktisch ungebundener Improvisation. (Das letzte ist in der Klassik ja insofern anders, dass die "Durchorganisation" aller Parameter und das Verschwinden improvisatorischer Elemente zunächst immer zunimmt, bis zum strengen Serialismus, dann im Gegenschwung Aleatorik)
    Aber vielleicht ist das eine einseitige Sichtweise.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Jetzt noch zum Eröffungsbeitrag, den ich recht amüsant finde.


    War das in den 1950ern anders? Manche glaubten sehr kurzfristig, dass da finanzieller Erfolg möglich sei, sahen aber rasch ein, dass der wo anders stattfindet.

    Zitat

    Ich bin der Meinung,
    daß die tonale Musik der Harmonie der Welt und damit der
    Harmonie des Menschen entspricht,und das sie die meiner
    Meinung nach modischen Strömungen jeder Art überleben wird.


    Die "Harmonie der Welt" war aber auch eine modische Strömung ...
    Zumindest hat wohl immer was anderes dazugehört. Die Natur war mal dabei, mal nicht, der Himmel brauchte als harmonische Ergänzung die Hölle, die jetzt auch wieder out ist. Ziemlich unharmonisch, die Sichtweisen der "Harmonie der Welt", oder?

  • Zitat

    Original von KurzstueckmeisterEs gibt in der Musik des Mittelalters und der Renaissance kein "tonales Zentrum".


    Das ist natürlich wieder Definitionssache, aber wenn diese Musik auch nicht funktionsharmonisch erfassbar ist, zeichnet sie sich doch durch die Bezugnahme auf einen Grundton aus.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von Draugur


    Das ist natürlich wieder Definitionssache, aber wenn diese Musik auch nicht funktionsharmonisch erfassbar ist, zeichnet sie sich doch durch die Bezugnahme auf einen Grundton aus.


    Eben das würde ich nicht sagen.


    Nur weil ein dorisches Stück, das ohne Vorzeichen notiert ist, auf d endet, ist das, was vorher kommt, noch nicht auf d bezogen. Ebensogut könnte am Schluß die Kadenz auf a sein und dann hätten wir einen anderen Modus gehabt und einen anderen Grundton.


    Ich glaube, dass die Bezeichnung "Grundton" erst im Barock beginnt, Sinn zu machen.

  • Hallo Draugur,

    Zitat

    Wer möchte hier zu Mozart zurückkehren - einem Komponisten, der mir persönlich z. B. deutlich weniger sagt als Wagner?


    Die Rückkehr zu Mozart ist unbedingt notwendig, denn, wie ich (keineswegs polemisch) anmerkte, hat mit Wagner und Konsorten ja diese ganze scheußliche Atonalität begonnen. Daher gehört er als Wegbereiter der üblen Tat aus dem Kreise seliger Harmoniestifter verbannt.
    Der Liszt übrigens auch - wegen der Zwölftonreihe am Anfang der "Faust"-Symphonie und wegen seiner nicht mehr tonartengebundenen späten Klavierwerke.


    Und dann Bruckner und Mahler - ja, schreibt denn kaner ka schöne Musik net mehr?


    --------------------------------------------------------------------------


    Wenn ich mir die Postings so durchlese, verschaffen mir zahlreiche Bauchweh - aber aus ganz anderen Gründen, als man vielleicht glaubt. Ich habe nämlich schon Probleme mit der Themenstellung selbst.


    Herbert, Du als Threadstifter: Ich bitte um eine kurze Erklärung, was Du als "atonal" bezeichnest. Denn entweder verstehen Deine Mitdiskutanten etwas Anderes darunter oder ich kenn mich überhaupt nicht mehr aus.
    In der Frage der Serialität bitte ich ebenfalls um Klärung: Serialität nennt man in der Regel präfixierte Vorgänge, wie ich sie bereits im Pärt-Thread ausgeführt habe. Oder beziehst Du Dich ausschließlich auf den Darmstädter Kreis in der Nachfolge von Messiaens "Quatre Etudes rhythmiques"?


    ----------------------------------------------------------------------------


    Auch in der Folge wird alles wieder durcheinander geworfen. Was soll denn die Modalität in der ganzen Diskussion?
    Modalität kann Musik hervorbringen, die (mehr oder weniger scheinbar) den Gesetzen der Dur/Moll-Harmonik unterliegt; sie kann aber auch Musik hervorbringen, die der Dur/Moll-Harmonik fernsteht. Es kommt auf den Modus an.
    Lautet der Modus beispielsweise d-e-f-g-a-h-cis-d, werde ich relativ leicht zu tonalen Bindungen im Dur/-Moll-System kommen.
    Lautet der Modus beispielsweise c-cis-d -fis-g-as-c, werde ich relativ wenige tonale Bildungen im Dur/Moll-System erzielen.
    Gleichwohl wäre die Musik in beiden Fällen unter keinen Umständen "atonal", sondern modal; auch dann, wenn sie keine wahrnehmbare Tonika hat. (Der Modus tritt an die Stelle der Tonika.)


    -----------------------------------------------------------------------------


    Insgesamt geht es mir hier wie dem Kurzstueckmeister: Ich habe das Gefühl, es soll "bewiesen" werden, daß Richard Strauss das non-plus-ultra an Modernität ist, weil nichts von dem, was nachher kam, überlebt hat.
    Aber auch das ist ein schiefer Diskussionsansatz, weil die Werke eines oder mehrer bestimmter Komponisten mit den harmonischen Systemen und Kompositionstechniken anderer Komponisten verglichen werden.
    Wenn ich das konsequent weiterdenke, müßte ich fragen: Was schmeckt Dir besser: Ein Thunfisch oder das Ökosystem der Ägäis?


    Jedenfalls kann ich diesen ganzen Diskussionsansatz auch gegen die tonale Musik verwenden, indem ich behaupte, daß die "Japanische Festmusik" und das "Festliche Präludium" von Richard Strauss belegen, daß es in der Tonalität nichts mehr zu sagen gibt, zumal Berg, Messiaen und Henze zeigen, welch wunderbar tiefgründige Musik auf einer nicht Dur/Moll-orientierten Basis möglich ist.


    :hello:

    ...

  • Zuguterletzt noch zur Titelfrage, wenn auch nur zum ersten Teil.


    Ich antworte jetzt auf eine Frage, die gar nicht gemeint war.
    ;)


    > Ist serielle Musik out?


    Wann war serielle Musik out?


    Erster Vorschlag: In den 60er Jahren, da vor allem durch Cages Vorbild eine chaotischere pluralistischere Musiksprache den Serialismus als Modeströmung in Europa ablöste.
    Allerdings entwickelten viele ihre seriellen Ansätze weiter.


    Zweiter Vorschlag: In den 70er Jahren, als der Bezug zur alten Musik interessant wurde.
    Allerdings geschah das oft mit Techniken, die vom Serialismus oder der Aleatorik kamen.


    Dritter Vorschlag: In den 80er Jahren, als konstruktiven Verfahren eine stark subjektive spontane Komponierweise mit deutlicher Romantik-/Expressionismussehnsucht entgegengehalten wurde.
    Allerdings wurden selbst in diesem Stil Zwölftonfugen geschrieben und als Gegengewicht entsteht der musikalische Dekonstruktivismus namens New Complexity, der auf neue Art auf dem Serialismus aufbaut.


    Und jetzt?
    Schwer zu beurteilen. Die alten "jungen Wilden" der 80er (Rihm, Müller-Siemens, Bose) beginnen sich nach konstruktivem Rückhalt zu sehnen und scheinen von der New Complexity fasziniert zu sein. Das spräche eher für einen gewissen klassizistischen Zug der Gegenwart, wobei die zugehörige "Klassik" der Serialismus wäre ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Herbert, Du als Threadstifter: Ich bitte um eine kurze Erklärung, was Du als "atonal" bezeichnest. Denn entweder verstehen Deine Mitdiskutanten etwas Anderes darunter oder ich kenn mich überhaupt nicht mehr aus.


    Du kennst Dich nicht aus, habe ich Dir schon im Pärt-Thread gesagt! :D


    Ich habe bisher bewußt nichts geschrieben, da ich schon bei Herberts Eingangsposting das Gefühl hatte, es läuft auf die übliche Diskussion hinaus (Atonal ist, was mir nicht gefällt! Atonal ist, was nicht "schön" klingt).


    Wenn ich Dir Unrecht tue, Herbert, erläutere Deine Position bitte näher. :hello:

  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Servus Edwin,
    Du weißt ja viel besser als ich,was atonale oder serielle Kompo=
    sition ist.Aber gut,ich verstehe unter atonaler Musik,die
    Kompositionstechnik,die jetzt schon annähernt 100 Jahre
    alt ist und in der laut Hauer auf Tonalität zugunsten der
    "Verbindung aller Töne mit allen"verzichtet wird.
    Die serielle Kompositionstechnik wurde um 1950 entwickelt
    (O.Messiaen,P.Boulet u.a.).Ihr Ziel ist : Die Parameter eines
    musikalischen Werkes nach vorher festgelegten Reihengesetz=
    mäßigkeiten zu ordnen.Man könnte die Erklärung noch weiter
    ausführen,aber dazu habe ich keine Lust.
    Ich möchte noch bemerken,daß ich A.Bergs Werke besonders
    schätze und,daß dissonant nicht mit atonal gleichgesetzt
    werden kann.Viele Komponisten des 20sten Jahrhunderts
    setzten Dissonanz als Ausdrucksmittel ein (Strawinsky,Bartok,Britten,
    Janacek,Ives u.v..a.).Man hat aber bei zeitgenössischer Musik
    oft den Eindruck,daß Dissonanz nur ihrer selbst wegen
    verwendet wird.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Wenn ich Dir Unrecht tue, Herbert, erläutere Deine Position bitte näher.


    Du verstehst das Thread-Konzept nicht.
    :D


    Das ist ein klassischer "aneinander-vorbeired-Thread". Die beiden Lager bedienen sich komplett elementfremden Vokabulars. Die Wörter sind zwar dieselben, die Bedeutung hat aber nichts miteinander zu tun.


    An Austausch an Information zwischen den Lagern besteht kaum Interesse. Die "wissenschaftliche Fraktion" beweist der anderen, dass jene nur Unsinn schreibt, während die andere Fraktion ihre Statements produziert, um ein "ja so ist es" zu ernten, und sich gar nicht widerlegt fühlt, da die wissenschaftliche Fraktion ja am Thema vorbei schreibt. (Drum ist das Thema auch so formuliert, dass es eigentlich keinen Sinn macht, wenn man die Wörter in ihrer musikwissenschaftlichen Bedeutung auffasst.)


    Ein musikwissenschaftlich korrekter Threadtitel zu dem Thema wäre: "Mag heute noch jemand das schiefe Zeugs des 20. Jahrhunderts" - hier wird jeder Begriff korrekt verwendet. Indem aber musikwissenschaftliches Vokabular eigentlich nicht verwendet sondern zitiert wird und zwar so, dass es - will man dem Posting unterstellen, dass es einen Sinn haben soll - in der Bedeutung verfremdet wird, gibt man sich einerseits den Anschein, gebildet zu sein und auf hohem Niveau zu diskutieren, entzieht aber mittels Fehlanwendung der anderen Seite die Möglichkeit ernsthafter Diskussion, da die Fehlanwendung nicht ein zurücknehmbarer Irrtum war sondern Methode hat.


    Darauf kann man verärgert irritiert oder amüsiert spöttisch reagieren und am Thema vorbeischreiben indem man die Fachwörter als das nimmt, was sie sind: Fachwörter.

  • Hallo Thomas,
    Es ist schon was dran : Der"Verdi out" Thread hat mich zu
    diesem "inspiriert". :D
    Aber ein Tread ist doch auch eigentlich nur interessant,
    wenn verschiedene Meinungen aufeinander prallen,oder?


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    Viele Komponisten des 20sten Jahrhunderts
    setzten Dissonanz als Ausdrucksmittel ein (Strawinsky,Bartok,Britten,
    Janacek,Ives u.v..a.).Man hat aber bei zeitgenössischer Musik
    oft den Eindruck,daß Dissonanz nur ihrer selbst wegen
    verwendet wird.


    Oh, die Bösen, die sich nicht ausdrücken wollen.


    Also, wenn man Konsonanz verwendet, um die Harmonie der Welt auszudrücken, ist das OK.


    Alles was sich nicht in Harmonie auflöst, ist böse.


    :beatnik:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    ..entzieht aber mittels Fehlanwendung der anderen Seite die Möglichkeit ernsthafter Diskussion, da die Fehlanwendung nicht ein zurücknehmbarer Irrtum war sondern Methode hat.


    Ja, da bleibe ich doch lieber bei meiner religiösen Ebene :D Da kann ich sogar Schweinitz und Schnebel hören... :]


    Im übrigen halte ich es mit dem Reichsmarschall: Was atonal ist, bestimme ich! ;)

  • Hallo Herbert,
    jetzt stimmt's aber schon wieder nicht!
    Ives ist nämlich atonal. Er geht sogar noch weiter: Er schichtet tonale und atonale Elemente übereinander.


    Außerdem: Welcher Komponist hat "Dissonanzen um ihrer selbst willen" komponiert?
    Was ist überhaupt eine Dissonanz? Etwas so Scheußliches wie der "Tristan"-Akkord (unaufgelöst, wohlgemerkt!)?


    Und liegt "Dissonanz" nicht nur im Ohr des Zuhörers? (Für mich etwa ist eine Renaissance-Polyphonie "dissonanter" als Messiaens "Chronochromie" - abgesehen davon, daß ich beides zutiefst verehre.)


    Oder reden wir doch von den Dissonanz-Begriffen der Harmonielehre? Also etwa vom Dominantseptakkord?


    Allerdings: Würde ein Dominantseptakkord in Pendereckis "Anaklasis" vorkommen, hätte man den Eindruck einer plötzlichen konsonanten Entspannung.
    Messiaen liebt das etwa ganz besonders: Auf Akkordketten zunehmender Dichte setzt er einen Dur-Akkord mit Sixte ajoutée (c-e-g-a) - Eindruck perfekter Konsonanz. Raffiniert obendrein, weil die Sixte ajoutée verhindert, daß der Dur-Akkord im Zusammenhang schwach, weil leer wirkt.
    Aber diese Sixte ajoutée ist nach herkömmlicher Harmonielehre eine Dissonanz.
    Ergo: Böser Messiaen!


    -----------------------------------------


    Ach ja, ich gebe Dir, Herbert, übrigens auch in einem Punkt recht: Es gibt tatsächlich Komponisten, die die Dissonanz um ihrer selbst willen verwenden. Diese Wahnsinnigen schreiben Dissonanzen nicht des Ausdrucks wegen, sondern nur wegen des Farbwertes.
    Debussy etwa.
    Ein wahrer Dissonanzenteufel, der Komponist von "La Mer"....


    :hello:



    P.S.: Und, lieber Robert, das war nicht der Reichsmarschall, sondern unser Wiener Bürgermeister Karl Lueger. Diesen bitte u-e und nicht ü auszusprechen!

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Allerdings: Würde ein Dominantseptakkord in Pendereckis "Anaklasis" vorkommen, hätte man den Eindruck einer plötzlichen konsonanten Entspannung.
    Messiaen liebt das etwa ganz besonders: Auf Akkordketten zunehmender Dichte setzt er einen Dur-Akkord mit Sixte ajoutée (c-e-g-a) - Eindruck perfekter Konsonanz. Raffiniert obendrein, weil die Sixte ajoutée verhindert, daß der Dur-Akkord im Zusammenhang schwach, weil leer wirkt.


    Ich verwende Dreiklänge auch sehr gerne und zwar in einer Art "Ohrfeigenfunktion". Die können so wunderbar FALSCH wirken!


    Ob das dann Ironie oder Ausdruck ist, will ich mal offen lassen.


    Inzwischen versuche ich auch, tonale Verbindungen als etwas betont Schräges einzusetzen. Also die Tonalität als Kuriosum sozusagen.


    Demzufolge bin ich der Ansicht, dass auch die Tonalität nicht out ist.

  • Nein, ist sie natürlich nicht. Es ist die Frage, wie sie eingesetzt wird. Ich bin immer wieder verblüfft, wie sperrig "Tonalität" als Kontrast zu einem gut ausgehörten "atonalen" Satz wirken kann.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    P.S.: Und, lieber Robert, das war nicht der Reichsmarschall, sondern unser Wiener Bürgermeister Karl Lueger. Diesen bitte u-e und nicht ü auszusprechen!


    Ist zwar OT, aber trotzdem:


    War es nicht Hermann, der sich so über GFM Milch geäußert hat? In welchem Zusammenhang hat denn Lueger den Satz fallen lassen? Kläre mich bitte auf... :hello:

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