Ein paar Bemerkungen zur Inszenierung:
Der Regisseur John Dew erläutert im Programmheft ausführlich und in aller Breite, wohinaus es ihn treibt: 1964 erfaßte ihn als jungen Menschen, dem es vergönnt war, den "Parsifal" in Bayreuth zu erleben, mitten im 2. Akt, als der Protagonist sich seiner großen Aufgabe bewußt zu werden beginnt, "ein Gefühl des Unvollkommenen, eine Gewissheit, dass mein Leben sich anders entwickeln musste als bis dahin".
Die Darmstädter Inszenierung läßt keinen Zweifel, was damit gemeint ist: Religiöse Erweckung in der sehr christlichen Gralswelt im scharfen Kontrast zur atheistischen Klingsor-Welt. Die Bühne des 1. Akts zeigt einen Gurnemanz in schwarzer Priesterkleidung mit seinen Ministranten, die vor und hinter einer Mauer aus Großbuchstaben agieren, aus denen die Namen der vier Kirchenlehrer Augustinus, Hieronymus, Gregorius und Ambrosius sichtbar sind.
Unfreiwillige Komik entstand für mich beim Auftritt Parsifals, der mit dem riesigen Schwan-Kadaver konfrontiert wurde und äußerlich nur wenig überzeugend den unwissenden Knaben gab.
Im 2. Akt dann eine ähnliche Mauer mit Voltaire, Nietzsche, Marx und Spinoza, dahinter ein überdimensioniertes aufgeschlagenes Buch mit zwei Seiten aus Nietzsches "Fröhliche Wissenschaften" (Abschnitt "Der tolle Mensch"), aus denen Klingsor im Gelehrtenrock Kundry und die Blumenmädchen zaubert: So hübsch dieser Einfall eigentlich ist: erotische Phantasien als Kopfgeburten des Verstandes oder ähnlich - peinlich erscheint das mir angesichts der völligen Ironiefreiheit der christlichen Gegenwelt. Christentum = gut; Atheismus = böse.
Ein weiteres Detail: Das vornüber geneigte Kreuz (in Anspielung an ein Dali-Bild) zunächst mit Christus, dann mit der Schlange, mit weitaufgerissenen Maul. Auch hier: Eindeutige Symbolik.
Der 3. Akt setzt recht wortgetreu die Anweisungen Wagners um, mit grüner Aue und projizierter heiliger Quelle - die Schlußszene wie im 1. Akt im dunklen Kirchenraum. Und wer am Ende die eindeutige Botschaft immer noch nicht verstanden hätte, dem wär's spätestens im Schluß deutlich, wenn das Wagner-Zitat zu lesen ist: "Da wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten."
Wer den "Parsifal" so versteht, der darf sich hier bestätigt fühlen. Auch wenn der Regisseur sich von der "Bühnenweihspiel"-Attitüde des Beifallsverbots distanziert und hoffte, das Publikum möge der Tradition hier nicht folgen und den Darstellern wie sonst auch applaudieren. Dem Wunsch wurde entsprochen, wobei die musikalische Leistung dies auch verdiente, wie ich bereits beschrieben hatte.
Fazit: Zuviel 1:1-Umsetzung, viel zu nah und vor allem völlig distanzlos an Wagners Ideologie der "Kunstreligion". Religion in der Musik? Die suche und finde ich angemessener bei Messiaen oder Bach (z. B. in einer wirklich ansprechenden Aufführung der Matthäus-Passion letzten Samstag) - oder bei Dieterich Buxtehude, an dessen "Membra Jesu nostri" in Heidelberg ich gestern selbst mitwirken durfte.