Richard Wagner - Zeitlose Kunstwerke oder Kitsch pur ?

  • Lieber Edwin, muss ich dich demnächst etwa auch ablehnen?????? :baeh01:


    Nein, Gesulado verzeihe ich. Mîge er in Dantes Inferno noch zum Fegefeur aufsteigen und eien treue Beatrice finden! Immerhin hat er niemanden durch Anti-Schriften ideologisch infiltriert und ich wüsste auch nciht, dass sich irgendwelche menschenverachtenden Regime auf ihn bezogen haben. Mord aus Eifersucht oder Leidenschaft ist zwar kein Kavaliersdelikt für mich , aber seine anhaltenden musikalischen Depressionen sprechen wohl für sich... wahrscheinlci hist er seiens Lebens nie mehr froh geworden.
    Heidegger finde ich indiskutabel, aber nicht wegen seines Charakters sondern wegen seiner Sprache. Brecht war ein A.... vor allem wohl den Frauen gegenüber, hat aber sonst nichts mir Unverzeihlcihes verbrochen, und über Gorkis Sünden klâre mcih bitte auf!
    Bitte nciht hier das Kind mit dem Bade auskippen: ich lehne niemanden allein wegen charakterlichen Mängeln ab, davon hab ich selbst genug!
    Im Falle Wagner liegen die Sachen um soviel komplexer, dass ein Vergleich mit Gesualdo wohl eher eine Lappalie ist.
    Die Folgen von Gesualdos Verbrechen sind wohl mit Wagners Wirkung kaum vergleichbar! :boese2:


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen


    Heidegger finde ich indiskutabel, aber nicht wegen seines Charakters sondern wegen seiner Sprache.


    Fairy Queen


    Indiskutabel ist Heidegger nun wirklich nicht. Man diskutiert viel zu wenig über ihn - sondern wirft sich ehrfürchtig vor ihm nieder. Dabei sollte man wirklich mal die mit ihm verbundenen Fragwürdigkeiten diskutieren: wegen seiner Philosophie, seiner kryptoethymologisch vor sich hin delirierenden Sprache, seiner bis zum bitteren Ende völlig uneinsichtigen politischen Haltung, wegen seines nie reflektierten Antisemitismus, wegen seiner Freiburger Rektoratsrede, seiner Hölderin Interpretation, seiner Gogh Analysen, seiner Einführung in die (völkische) Metaphysik usw. Über seinen Charakter weiß ich allerdings gar nichts zu sagen. Kenne nur seine Schriften... Wer allerdings bis heute glaubt, Heidegger sei ein politischer Naivling gewesen und seine Philosophie so gar nicht politisch kontaminiert, der muß ein wenig blind sein 8).
    Jetzt aber vielleicht doch wieder Wagner, oder?
    Herzlichst,
    Medard

  • Zitat

    Original von Draugur
    Die Frage ist aber, ob über die Musik von Michael Jackson oder Tina Turner noch 124 Jahre nach deren Ableben (!) irgendjemand reden wird.


    Die Frage ist, ob sie überhaupt jemals sterben ? Irgendwie erinnern die ja schon etwas an Zombis.... :pfeif:



    Zum Stabreimgedöns:


    Ich muss gestehen, dass ich an vielen Stellen auch nicht nachvollziehen kann, dass es Wagner vollendet gelungen sei, mit dem Stabreim immer hauptsächlich die sinntragenden Silben zu treffen. Darüber hinaus beschleicht mich manchmal das Gefühl, der Sinn des Satzes sei hoffnungslos entstellt zugunsten des unbedingten Zwanges zum Stabreim, wobei sich der Sinn dieses Zwangs allerdings nicht erschließt.


    Dennoch darf man aus meiner Sicht bei einer Textanalyse nicht die musikalische Komponente außer Acht lassen, denn letztendlich ist es ein harter Kampf, der deutschen Sprache so etwas wie Kantilene abzuringen, was Wagner an vielen Stellen trefflich gelungen ist - um den Preis eines des öfteren lächerlich anmutenden Textes. Die Lächerlichkeit verliert sich aber spätestens dann, wenn sich die Silben auf der Bühne mit Wohlklang über die Lippen bringen lassen, nicht umsonst knallt er uns Worte wie "heer" pausenlos um die Ohren und ich kann mir gut vorstellen, dass diese Konstruktion sozusagen rückwirkend den Stabreim dahingehend beeinflusst hat, dass ein Kompromiss erzwungen wurde, der - Gesamtkunstwerk hin oder her - zu Gunsten der Musik ausging.



    @Wagner allgemein: Ich bin immer wieder erstaunt über das Vorurteil, Wagner sei lediglich ein bombastisches, lautes etwas. Lässt sich dieser Vorwurf durch eine Partituranalyse, die die ungemeinen Subtilitäten der Komposition deutlich macht, problemlos entkräften, hält er sich doch sehr hartnäckig in der "Gegnerschaft".


    Gruß
    Sascha

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Jetzt aber vielleicht doch wieder Wagner, oder?


    Dazu eine vorsichtige Anregung: Es gibt ja bereits einen Thread, in dem heftig über Wagners Charakter, seine politischen Wandlungen, seinen Antisemitismus, seine Rezeption u.a. durch den Nationalsozialismus etc. diskutiert wurde:


    Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein kleiner Schritt - Das Phänomen Richard Wagner


    Vielleicht könnte man die entsprechenden Debatten in dem verlinkten Thread führen, während wir uns in diesem Thread eher Wagners "Werk" im weitesten Sinne widmen würden?


    Mir ist klar, dass diese Trennung der Thematik eine sehr künstliche wäre - Wagners künstlerisches Werk ist von der ideologischen Problematik und Fragen der Rezeption nicht wirklich zu trennen. Mich interessieren beide "Stränge" und ihre Verknotungen sehr.


    Meine Befürchtung ist nur, dass die Debatten um Charakter und Politik aller Erfahrung nach auch in diesem Thread sehr schnell die anderen Fragestellungen überlagern werden (abgesehen davon, dass es dann mal wieder zwei Threads gibt, die letztlich genau das gleiche Thema behandeln).


    Viele Grüße


    Bernd


  • Hallo Bernd,
    ich bin ganz Deiner Meinung - und habe bisher auch kein Wort über Wagners Charakter geäußert. Beiseite: sein Charakter interessiert mich auch gar nicht, ich muß ja nicht mit dem Herrn an einem Tisch sitzen.
    Daher zielte mein »Jetzt aber vielleicht doch wieder Wagner, oder?« darauf, zur Diskussion über Wagners Werk zurückzukehren, die wir zuvor hier begonnen hatten. Ganz in diesem Sinne war auch meine Replik auf Edwin gemeint. (»Heidegger« ist leider ein Reizwort für mich - Sorry! Aber auch da ist mir der Charakter schnurz...)
    Herzlichst,
    Medard

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  • Zitat

    Original von Klawirr
    Hallo Bernd,
    ich bin ganz Deiner Meinung - und habe bisher auch kein Wort über Wagners Charakter geäußert. Beiseite: sein Charakter interessiert mich auch gar nicht, ich muß ja nicht mit dem Herrn an einem Tisch sitzen.
    Daher zielte mein »Jetzt aber vielleicht doch wieder Wagner, oder?« darauf, zur Diskussion über Wagners Werk zurückzukehren, die wir zuvor hier begonnen hatten. Ganz in diesem Sinne war auch meine Replik auf Edwin gemeint. (»Heidegger« ist leider ein Reizwort für mich - Sorry! Aber auch da ist mir der Charakter schnurz...)
    Herzlichst,
    Medard


    Hallo Medard,


    Du warst selbstverständlich nicht gemeint ;) - eher bin ich noch selbst Adressat meiner eigenen Warnung, da ich auch schon intensiv über die entsprechenden Themen diskutiert habe.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Klawirr
    seiner kryptoethymologisch vor sich hin delirierenden Sprache


    :jubel: :jubel: :jubel:


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Hallo Medard,
    dennoch ist es meiner Meinung nach eine falsche Relation, Wagner anhand einiger sicherlich nicht geglückter Verse "aufzumachen". Du findest auch bei Goethe miserable Gedichte, bei Schiller völlig daneben gegangene Passagen (auch in den Dramen). Selbst ein großer Stilist wie Kleist war vor sprachlichen Fehlleistungen nicht absolut sicher. Und das sind Dichter, deren Werke nicht als Grundlage von Lied oder Oper dienen, sondern durch ihren Eigenwert getragen sein sollten.
    Zufällig habe ich eben wieder einmal eine "Ring"-Session hinter mir (dank der DVDs mit dem Pierre-Audi-"Ring" aus Amsterdam) - und ich war wieder einmal überrascht, wie viele dichterische Wendungen und präzise Sprachbilder Wagner geschrieben hat, die in ihrer Diktion mir eher den antiken Dramen und Shakespeare abgelauscht scheinen und mir keineswegs als Stabreimgeklepper vorkommen.
    Ich glaube, daß der Stabreim durch all das Schindluder, das mit ihm getrieben wurde, in der deutschen Sprache so verdächtig geworden ist, daß man Wagners Dichtungen automatisch in den Verdacht miteinbezieht, obwohl man die übleren Auswüchse meint.
    Andererseits ist der Reiz des Stabreims und der mit ihm verbundenen Spruch-Diktion so groß, daß wir ihm täglich in den Medien begegnen, ohne ihn für verdächtig zu erklären. Ich denke an "Titel - Thesen - Temperamente" oder an Schlagzeilen bzw. exponierte Satzteile wie "Merkel merkt Meinungsverschiedenheit", "Gusenbauers Genossen grübeln über Koalitionspakt" etc. etc.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin BaumgartnerIch glaube, daß der Stabreim durch all das Schindluder, das mit ihm getrieben wurde, in der deutschen Sprache so verdächtig geworden ist, daß man Wagners Dichtungen automatisch in den verdacht miteinbezieht, obwohl man die übleren Auswüchse meint.
    Andererseits ist der Reiz des Stabreims und der mit ihm verbundenen Spruch-Diktion so groß, daß wir ihm täglich in den Medien begegnen, ohne ihn für verdächtig zu erklären. Ich denke an "Titel - Thesen - Temperamente" oder an Schlagzeilen bzw. exponierte Satzteile wie "Merkel merkt Meinungsverschiedenheit", "Gusenbauers Genossen grübeln über Koalitionspakt" etc. etc.
    :hello:


    Die nachwagnerschen Stabreimdichtungen kennt doch heute so gut wie niemand mehr, von daher dürfte es schwierig sein, seine Verdächtigung auf sie zurückzuführen... ich sehe da eher die Verknüpfung von allem Germanischem mit dem Nationalsozialismus (der m. E. mit nichts weniger zu tun hatte als mit Germanentum) im Hintergrund.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Völlig korrekt, Draugur - niemand kennt sie. Aber der Konnex wird auch ohne Kenntnis aus erster Hand hergestellt; vereinfacht: Die Korrumpierung dieser Versform durch den Nationalsozialismus fällt auf die Dichtungen Wagners zurück.


    Übrigens bin ich davon überzeugt, daß das auch der Grund ist, weshalb Alliterationen in der deutschen Dichtung bis heute als "verdächtig" gelten, während sie etwa in der angloamerikanischen Dichtung teilweise bis in unsere Gegenwart eines der wichtigsten Mittel der Formung von Sprache sind.


    :hello:

    ...

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  • Dabei muss man aber noch so weit differenzieren, dass es vielleicht Leute gab, die mit der Verwendung des Stabreims im NS irgendwie punkten wollten oder da ein Forum für ihre Germanophilie gegeben sahen, aber dieses Forum war m. E. niemals vorhanden, genausowenig wie eine Rückkehr zum Heidentum o. ä. jemals wirklich Thema im NS war. Aber jetzt verzetteln wir uns (bzw. ich mich) schon wieder...

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Wagner war ein Meister der Tiefenpsychologie (die es zu seiner Zeit noch gar nicht als Gegenstand gab) und stellt die ewigen menschlichen (Seelen-)Dramen sprachlich und musikalisch äußerst treffend dar. Er "wusste", was er da komponierte, was ihn sicher oft belastete, und zwar wusste er es nicht immer intellektuell sondern oft instinktiv, seherisch, und das macht ihn für mich zum genialen Künstler. Etwas im Unterschied zum Beispiel zu Richard Strauss, der vielleicht sogar "noch besser komponieren" konnte, aber der mir im Vergleich zu Wagner mehr wie ein Kunsthandwerker vorkommt. Die leidige Diskussion über "lächerliche" Stabreime oder sonstige seltsame Dramentexte zielt immer etwas daneben, finde ich, denn sie müssen im Kontext des gerade stattfindenden Dramas gesehen werden. Wagner war in seinen theoretischen Schriften weder ein guter Philosoph noch ein guter Autor, aber er war beides in seinen Musikdramen. Und dass er ein ausgezeichneter Musiker war, ist ja sicher unbestritten. Aber man muss auch berücksichtigen, dass sich manche Menschen nicht in dieses (musikalische) Drama Wagners einleben können (genauso wie es Menschen gibt, die nach ein paar Seiten Proust oder Shakespeare sagen "das interessiert mich nicht"). Es ist ähnlich wie bei fantastischen Träumen: während wir sie träumen, sind sie archaisch, Superlative, doch beim bloßen Lesen (sofern wir sie schriftlich festgehalten haben) sind sie wenig interessant oder sogar lächerlich. Es fehlt sozusagen die Musik und die mit ihrer Hilfe ausgelösten Emotionen.


    In Wagners Werk finde ich nicht viel Kitsch, wohl aber in der Umsetzung durch manche Regisseure.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.


  • Lieber Edwin,
    ich sehe Deinen Punkt, glaube aber nach wie vor, daß er an meiner Argumentation vorbei geht und zudem einige Positionen voraussetzt die so (sorry!) nicht richtig sind. Da ich etwas in Hast bin, jetzt nur eine telegrammartige Replik (Entschuldigung):


    a) glaube ich kaum, daß Alliterationen in deutschsprachiger Dichtung heute verdächtig sind aufgrund einer der Alliteration als solcher unterstellten politischen Incorrectness. Alliterationen sind bis eine durchaus gängige rhetorische Figur (sowohl in der Lyrik als auch in der Prosa).


    b) der Stabreim (der gerade NICHT mit der einfachen Alliteration korrespondiert - derowegen ist auch Dein Beispiel »Titel, Thesen, Tempramente« nicht zutreffend, weil hier nichts stabt sondern einfach nur drei aufeinanderfolgende Wörter gleich anlauten) ist zwar außer Mode; dies aber auch weniger, weil er politisch kontaminiert wäre, als vielmehr, weil es sich um eine veralterte Form gebunder Rede handelt, die in ihrer bedeutungskonstitutiven Funktion heute (und auch schon im 19. Jahrhundert) ins Leere weist. Das gilt gleichermaßen für andere Versformen wie klassische Distichen, Alexandriner, jambische Trimeter - um nur einige zu nennen. Könnte man auch auf größere Formen übertragen: Versepos oder Sonnettkränze etwa (das heißt nicht, daß niemand mehr solche Formen nutzt oder nutzen dürfte, sondern nur, daß diese Formen, die allesamt Geschlossenheit suggerieren, historisch und sozial gebunden gewesen sind und heute einfach viel von ihrer bereits auf formaler Ebene gesetzten Bedeutungsdimension verloren haben).


    c) mein Einwand gegen Wagners »Dichtung« bezog sich dann auch nicht darauf, daß das Staben irgendwie aufgrund politisch-weltanschaulicher Implikationen fragwürdig sei, sondern darauf, daß der Stabreim bei ihm als textkkonstitutives Schema zugrunde liegt - aber eben nicht funktioniert. Wagner will ja nicht einfach alliterieren (wie eben »Merkel meint«) sondern der Gleichklang der Anlaute ist bei ihm das poetische Programm, über dem er grundsätzlich die Textoberfläche des Librettos generiert. Und da eben liegt der Hund begraben: es gelingt ihm einfach nicht. Und dies IMO aus zwei Gründen: 1. weil der das Prinzip des Stabreims mißversteht (nicht aus Dummheit sonder schlicht aus kultur- und diskursgeschichtlichen Gründen) und 2. weil die Aktualisierung eines nahezu tausend Jahre alten Formschemas, das um 1850 auf keine kontinuierte literarische Tradition zurückgreifen konnte, wahrscheinlich einfach nicht so recht gelingen kann. So entsteht dann das (Entschuldigung!) Wagnersche Alliterationsgeklapper mit all seinen Stärken an betimmten Stellen und all seinen Lächerlichkeiten an anderen.
    Das hat nix mit Politik zu tun, sondern ausschließlich mit Poetik.


    Hallo Draugur,
    ganz so einfach ist das mit dem NS nicht. Neuheidentum und Germanophilie haben schon eine nicht zu unterschätzende Rolle in der NS-Bewegung gespielt, die bei weitem nicht so monolitisch gewesen ist, wie sie aus der Distanz bisweilen erscheint. Sicherlich hast Du recht, daß beide Faktoren nicht zum zentralen Programm in der NS-Führungsriege avaciert sind (obwohl ich mir da bei Rosenberg und Himmler nicht so sicher bin - über den Ludendorff-Kreis [der zugegeben nicht ins Machtzentrum zu rechnen ist] braucht man da wohl gar nicht erst zu diskutieren). Jedenfalls haben sich die verschiedenen völkischen und bündischen Strömungen, in denen solche Dinge gepflegt worden sind, unter dem Dach des NS nicht so richtig unwohl gefühlt und auch eine ganz bedeutuende Rolle im Kontext der Konsensbildung vor und während der NS-Zeit gespielt.


    Soviel ganz schnell für den Augenblick...


    Herzlichst,
    Medard

  • Lieber Medard,

    Zitat

    dies aber auch weniger, weil er politisch kontaminiert wäre, als vielmehr, weil es sich um eine veralterte Form gebunder Rede handelt, die in ihrer bedeutungskonstitutiven Funktion heute (und auch schon im 19. Jahrhundert) ins Leere weist. Das gilt gleichermaßen für andere Versformen wie klassische Distichen, Alexandriner, jambische Trimeter - um nur einige zu nennen.


    So verabsolutieren würde ich das nicht.
    Bestimmte scheinbar tote Versformen wurden von Zeit zu Zeit aufgegriffen und dadurch zu neuem Leben erweckt, daß das mit ihnen geschaffene Werk lebendig war, also gültig. Dabei will ich nicht abstreiten, daß diese Versformen ihr neues Leben eventuell nur auf dieses eine Werk beschränkten. Ich denke dabei an Hölderlins und Goethes antike Versmaße, an Hofmannsthals "Jedermann"-Knittelverse, an Wildgans Hexameter-Epos "Kirbisch", Rudolf Henz' (leider fast vergessenes) Terzinen-Epos "Turm der Welt", an Artmanns Quatrainen etc.


    In dieser Reihe steht für mich (formal, nicht im Gehalt) eben auch der "Ring": Keine "Rettung des Stabreims" - wie ja auch Artmann nicht die Quatraine rettete. Sondern als Material, das, eventuell aus einem Mißverständnis heraus, als Verweis auf die Quelle des Mythos diente. Denn selbstverständlich haben wir es mit einer extrem stilisierten Form des Musiktheaters zu tun, das seine Wurzeln im kultischen Spiel der Antike hat. Ich sehe also weniger Konsonentengeklapper als Versuch einer Sprachritualisierung. Daß dieser Versuch zu Ergebnissen unterschiedlicher Qualität führt, ist ohnedies von meiner Seite unbestritten.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Lieber Medard,


    So verabsolutieren würde ich das nicht.
    Bestimmte scheinbar tote Versformen wurden von Zeit zu Zeit aufgegriffen und dadurch zu neuem Leben erweckt, daß das mit ihnen geschaffene Werk lebendig war, also gültig. Dabei will ich nicht abstreiten, daß diese Versformen ihr neues Leben eventuell nur auf dieses eine Werk beschränkten. Ich denke dabei an Hölderlins und Goethes antike Versmaße, an Hofmannsthals "Jedermann"-Knittelverse, an Wildgans Hexameter-Epos "Kirbisch", Rudolf Henz' (leider fast vergessenes) Terzinen-Epos "Turm der Welt", an Artmanns Quatrainen etc.




    Lieber Edwin,
    stimme weitgehend mir Dir überein. Allerdings möchte ich dennoch eine kleine Falte in unseren Konsens einknicken ;) : Goethe verwendet etwa im Faust II Versformen, die bestimmte Konnotationen mit sich tragen und (in Goethes poetischen Programm) eine spezifische Funktion erfüllen: die der (kultur)historischen Verortung der jeweiligen Szene. So verwendet er im etwa im Helena-Akt jambische Trimeter, die Versform der Illias, um so auf die griechische Antike zu verweisen. Und allein über die Verwendung von Alexandrinern im IV. Akt wird Fausts Ausflug in die Politik ungefähr im 17. Jahrhundert verortet.
    Ganz ähnlich scheint mir Wagner im Libretto des Rings verfahren zu wollen, dessen Handlung er ja keineswegs im historischen Mittelalter zu verorten beabsichtigt, sondern in der germanischen Mythologie. Deshalb benutzt er ja auch nicht etwa Nibelungenstrophen (die zwar formal aus germanischen Langversen bestehen aber bereits auf den Stabreim verzichten, sondern - für die Zeit um 1200 ganz konventionell am französischen Stil orientiert - bereits den Endreim), sondern greift auf ein vorhöfisches Reimschema zurück, wie sie etwa im (bereits vor 800 entstandenen) Hildebrandslied vorliegt. Das ist verständlich und konzeptuell auch überzeugend. Das Ergebnis aber - anders als bei Goethe - dagegen weniger. Und das ja nun alles was ich versucht habe deutlich zu machen.
    Was Deine anderen Hinweise anbetrifft, würde ich Dir in jedem Fall folgen, wobei Hofmannsthal den Knittelvers ja nicht neu zu entdecken brauchte (da gibts ja doch einige und zum Teil doch seeehr erfolgreiche Dramen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, die ganz ordentlich vor sich hin knitteln); Artmann und die Wiener Gruppe nutzten traditionelle Formen häufig - doch aus ganz anderen Gründen als Goethe oder Hölderlin oder Wagner; Henz rekurriert doch - wenn ich mich recht erinnere - ziemlich explizit auf Dante; Wildgans' »Kirbisch« kenne ich leider gar nicht.


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    In dieser Reihe steht für mich (formal, nicht im Gehalt) eben auch der "Ring": Keine "Rettung des Stabreims" - wie ja auch Artmann nicht die Quatraine rettete. Sondern als Material, das, eventuell aus einem Mißverständnis heraus, als Verweis auf die Quelle des Mythos diente. Denn selbstverständlich haben wir es mit einer extrem stilisierten Form des Musiktheaters zu tun, das seine Wurzeln im kultischen Spiel der Antike hat. Ich sehe also weniger Konsonentengeklapper als Versuch einer Sprachritualisierung. Daß dieser Versuch zu Ergebnissen unterschiedlicher Qualität führt, ist ohnedies von meiner Seite unbestritten.


    :hello:


    Hier bin ich ganz Deiner Meinung!
    Übrigens war es gar nicht meine Absicht, den Ring von mißlungenen Stabreimen aus »aufzumachen«. Ich hatte eingangs nur meinen persönlichen Eindruck des »Rings« als Gesamtkunstwerk schildern wollen und dabei darauf hingewiesen, daß ich die Dichtung - nicht den dramatischen Entwurf und die Storyline - für wenig(er) gelungen halte. Ich denke, Wagner war als Komponist (erheblich) bedeutender denn als Dichter - wer weiß, was wir sagen würden, wenn Goethe seinen »Faust«, den »Egmont« oder gar den »Tasso« eigenhändig in Musik gesetzt hätte...
    Herzlichst,
    Medard

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  • Lieber Medard, ich komme nochmal kurz zum "indiskutablen" Herrn Heidegger, weil es hier gerade um Sprache geht.
    Du hast natürlich vollkommen Recht, dass sein Tun und Wirken absolut diskussionsbedürftig sind. Aber soweit ich weiss, wird das ja nun auch reichlich getan, zumindest war es zu meinen Studienzeiten so. :yes:
    Was ich aber wirklich indiskutabe finde, sind schreibende Menschen, die nicht in der Lage sind, eine Sprache zu finden, die jeder halbwegs gebildete Bürger mit einem normalen IQ verstehen kann. Wer das nicht kann, kann meiner Ansicht nach auch nicht klar denken, denn Sprache ist ja nichts Anderes als das.
    Ich sehe nicht ein, mich durch solches Gewabere und wie du so treffend sagst "Delirium" auch noch durchzuarbeiten und meine Zeit damit zu vergeuden. :no:
    Hier in Frankreich wäre solche Zumutung schon allein aufgrund der Sprachstruktur gar nciht möglich und mancher deutsche Schreibende(egal in welchem Genre) sollten sich mal an Beispiel an angelsächsischer oder frz. Wissenschaftssprache nehmen. Aber da sind wir fast wieder bei Wagner:
    es muss eben wabern, wogen und wallen, um den richtigen Weihenfestspiel-Duft zu haben. Alles Andere wäre ja verdächtig, weil auch von Normalsterblichen zu verstehen. Mon dieu, wie banal! :boese2:


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Lieber Medard, ich komme nochmal kurz zum "indiskutablen" Herrn Heidegger, weil es hier gerade um Sprache geht.
    Du hast natürlich vollkommen Recht, dass sein Tun und Wirken absolut diskussionsbedürftig sind. Aber soweit ich weiss, wird das ja nun auch reichlich getan, zumindest war es zu meinen Studienzeiten so. :yes:


    Liebe Fairy,
    nun weiß ich nicht, wann »Deine Studienzeiten« waren - in der Zeit, in der ich studierte, so Anfang der 1990er, war Heidegger jedenfalls wieder groß im kommen und seine politischen Verwicklungen wurden zunehmend eher als verzeihlicher Irrweg umgedeutet, der mit seiner Philosophie selbst nichts zu tun habe. Heute herrscht gegenüber Herrn H.'s Schriften jedenfalls weitestgehend weihevolle Andacht...


    Zitat

    Original von Fairy Queen
    Was ich aber wirklich indiskutabe finde, sind schreibende Menschen, die nicht in der Lage sind, eine Sprache zu finden, die jeder halbwegs gebildete Bürger mit einem normalen IQ verstehen kann. Wer das nicht kann, kann meiner Ansicht nach auch nicht klar denken, denn Sprache ist ja nichts Anderes als das.
    [...]
    Hier in Frankreich wäre solche Zumutung schon allein aufgrund der Sprachstruktur gar nciht möglich und mancher deutsche Schreibende(egal in welchem Genre) sollten sich mal an Beispiel an angelsächsischer oder frz. Wissenschaftssprache nehmen. Aber da sind wir fast wieder bei Wagner:


    Fairy Queen


    D'ACCORD - allerdings gibt's (gerade auch) in den französischen Humanwissenschaft einige Leutchen, die durchaus eine opake Sprache pflegen bzw. gepflegt haben (Derrida, Baudrillard, Lacan, Badiou, selbst Foucault ...). Und dennoch ist es lohnend, deren »Gewaber ... durchzuarbeiten«.
    Der Heidegger-Komplex scheint mir da allerdings insgesamt noch etwas anders gelagert zu sein... Aber da könnte oder müßte man einen eigenen Thread aufmachen.


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Hallo Fairy Queen,

    Zitat

    es muss eben wabern, wogen und wallen, um den richtigen Weihenfestspiel-Duft zu haben. Alles Andere wäre ja verdächtig, weil auch von Normalsterblichen zu verstehen. Mon dieu, wie banal!


    Wenn es wabert, wogt und wallt, hast Du ein völliges Wagner-Mißverständnis seitens der Regie und/oder des Dirigenten vor Dir.
    Pierre Boulez etwa, der gewiß kein Freund einer ziellos wabernden Weihe ist, weist in seinen Artikeln nach, daß Wagner in seinen reifen Werken keine überflüssigen Noten schrieb und daß das, was man vermeintlich als Wabern, Wogen und Wallen hört, strukturell genau geplant ist. Die Banalité, so sie auftritt, ist also die der Ausführenden, nicht die des Komponisten.
    :hello:

    ...

  • Lieber Medard, ich hatte wohl, etwa gleichzeitig mit Dir...... ;), das grosse Glück, einen Philosophieprofessor zu kennen, der absoluter Heidegger-Gegner war, sich aber selbst keinesfalls einer simplen Sprache befleissigte.
    Das scheint der Zunft irgendwie eingeboren.
    Dass Heidegger inzwsichen aber allgemein mit weihevoller andacht betrachtet wird, höre ich mit Erschrecken. Haben die Leute den wirklich GELESEN oder kommt der Respekt daher, dass sie nix kapiert haben und ER dann eben genial sein MUSS???????


    Aber nun Schluss damit. sonst kommt noch die Zensur. :stumm: Immerhin werden wir im Zweifelsfall hier zu zweit verpruegelt, was mich doch sehr tröstet!!!!! :yes:



    Was die von Dir genannten Monsieurs Philosophes,(Post-) Structuralistes etc angeht, muss ich Dir Recht geben... die habe ich wohl irgendwie verdrängt... das Durcharbeiten war zu mühsam und offenbar fruchtlos......
    Ich bin einfach bei Montaigne und Pascal stehengeblieben. Etwas Besseres gibt es ohnehin nicht und ein Lese-Leben ist gerade kurz genug!
    Tanti saluti affetuosi
    Fairy Queen :angel:

  • Lieber Edwin, da magst Du sicher Recht haben. Wagner braucht wahrscheinlcih Dirigenten und Auszuführende die gerade dem Wabernden entgegenhalten und Strukturen hör/sichtbar machen. Aber es ist auch wahrlich Herrn Wagners Schuld, dass er Z.B. von den Sängern diesbezüglcih quasi¨Unmögliches verlangt hat. Sie sollen gegen ein Riesenorchester ankommen und noch schön singen.(Belcanto war angeblich sein Ideal!)
    Sie sollen sprech-singen und gleichzeitig immer wieder dramatiissimo tönen.
    Das dann leise und schlichte, klare und lyrsich schöne Ansätze nur in absoluten Ausnahmefällen noch sängerisch machbar sind, wie etwa bei Ben Heppner, ist nicht verwunderlich.(und so jemand wurde dann als wagneruntauglich ausgepfiffen, ich glaube in Wien????? :motz:)
    Und dass die Regisseure da eine Hauptverantwortung haben(neben den Dirigenten und Orchestermusikern) sehe ich auch so.
    Gerade bei Wagner muss die Rücksicht auf die Sänger absolut im Vordergrund stehen. Sie stehen in vorderster Schusslinie und werden doch zu Marionetten der Interessen anderer. :boese2:
    Wieviele haben sich in diesem gnadenlosen Gewoge schon die Stimmen ruiniert?aber das ist jetzt schon wieder ien anderes Thema.....

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  • Zitat

    Original von Barockbassflo
    Der Mensch Wagner interessiert mich kaum - höchstens wenn ich mal wieder schmökere:

    Wer zündende Anti-Wagner-Formulierungen sucht wird hier von Friedrich Nietzsche bestens bedient...


    :hello:
    BBF


    Hallo BBF,


    hat das Büchlein etwa einen Co-Autor Dr.H.M. alias B. ?

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Lieber Siegfried,


    das Nachwort in dieser Ausgabe stammt nicht von Herrn PD Dr. Mehnert (bekannt und beliebt als Übersetzer und Kommentator zB des Librettos zur Traviata oder des Reclam-Bandes zur Commedia dell' arte), sondern konträr von keinem Geringeren als Herrn Martin Gregor-Dellin, Autor des Buches über das Verhältnis von Richard Wagner und Friedrich Nietzsche.


    Besonders interessant ist die unzeitgemäße Betrachtung über Wagner, da Nietzsche dort eigentlich noch ein Loblied auf Wagner singen will, ihm der Nebtrebko-Faktor der ersten Bayreuther Festspiele aber schon zu schwer auf dem Magen liegt als dass er dies noch könnte.


    Nota bene wird Nietzsche sich in einem seiner Turiner Wahnsinnszettel mit Richard Wagner identifizieren (neben Caesar und Dionysos), und auch in Ecce homo wird er neben aller Kritik Wagner herausheben als den einzigen Menschen, der ihm gemäß gewesen sei.


    OT: Mein liebster Turiner Wahnsinnszettel ist der an Jacob Burckhardt, wo er ihm schreibt (ich zitiere aus dem Gedächtnis) "Sehr geehrter Herr Professor, zuletzt wäre ich doch viel lieber Basler Professor als Gott, aber ich habe es nicht gewagt, meinen Privat-Egoismus so weit zu treiben um seinetwegen die Schaffung der Welt zu unterlassen. Sie sehen, man muss Opfer bringen wie und wo man lebt."


    Ohne weiteren Kommentar,
    aber herzlich grüßt
    der
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Hallo Fairy Queen,
    so arm sind die Wagner-Sänger doch gar nicht: Mag schon sein, daß sie einen langen Atem brauchen, aber Wagner hat ein einziges Mal ein wirklich großes Orchester verlangt - im "Ring". Aber da liegt nach dem Wunsch des Meisters ein Schalldeckel drüber, der das Blech stark zurücknimmt.


    Was schon eher ärgerlich für die Sänger ist: Einfach dahinsingen und es dem Dirigenten überlassen, wie er das Hm-ta-ta in den Takt einpasst, der zwar als 6/8 notiert ist, aber hier mal die Länge von einem 5/8 und dort wieder die eines 7/8 hat, ist nicht mehr. :pfeif: Der Sänger ist nicht wichtiger als meinetwegen die Oboe - weil eben alles einem Konzept unterworfen ist, das im Dienst des Dramas steht, nicht im Dienst der Stimme.


    Ärgerlich finde ich, wenn das Publikum nicht begreift, daß Wagner wunderbar lyrisch zu singen geht und immer nach dem Tenor- oder Sopran-Gebrüll verlangt. Wenn man Wagner aber schlanker, beweglicher aufführt (Boulez, Dohnanyi), merkt man aber auch, wie herrlich sangbar diese Musik ist.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo Fairy Queen,
    so arm sind die Wagner-Sänger doch gar nicht: Mag schon sein, daß sie einen langen Atem brauchen, aber Wagner hat ein einziges Mal ein wirklich großes Orchester verlangt - im "Ring". Aber da liegt nach dem Wunsch des Meisters ein Schalldeckel drüber, der das Blech stark zurücknimmt.


    Das konnte Wagner zumindest bei einem Großteil der Komposition noch nicht einmal vorausahnen!



    Zitat

    Ärgerlich finde ich, wenn das Publikum nicht begreift, daß Wagner wunderbar lyrisch zu singen geht und immer nach dem Tenor- oder Sopran-Gebrüll verlangt.


    Das stimmt so auch wieder nicht. Wenn die Herren Dirigenten so spielen ließen, dass man lyrischen Gesang auch hören könnte, würde kein Bedarf nach Gebrüll bestehen!


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Wenn man Wagner aber schlanker, beweglicher aufführt (Boulez, Dohnanyi), merkt man aber auch, wie herrlich sangbar diese Musik ist.
    :hello:


    Volle Zustimmung, Edwin !!
    Dann müssten wir auch nicht diese unästhetischen Sumo-Fleischberge :no: erdulden, sondern könnten uns an schlanken :angel: , wohlklingenden :jubel: Stimmen erfreuen. :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ärgerlich finde ich, wenn das Publikum nicht begreift, daß Wagner wunderbar lyrisch zu singen geht und immer nach dem Tenor- oder Sopran-Gebrüll verlangt.


    Das sehe ich auch so, mir sind schlankere Stimmen bei Wagner meistens lieber als diese dröhnenden Stimmen mit Riesenvibrato. Aber besteht zumindest bei den sehr großen Partien nicht für Sänger/innen des lyrischen Fachs so oder so die Gefahr des Stimmenverschleißes? Ich habe mal als Elisabeth eine Sängerin gehört, deren Stimme mir wegen ihres lyrischen Timbres sehr gefiel, die aber gegen Ende merklich Probleme hatte, ihre stimmliche Leistung aufrecht zu erhalten.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Das ist ja das Elend, lieber Draugur und das werfe ich Herrn Wagner persönlch vor: seine Megalomanie zwingt die Sänger, stundenlang durchzuhalten und sich kaputtzusingen. Weniger wäre da wahrhaftig für alle Beteiligten mehr gewesen. :boese2:
    Wenn dann noch unbarmherzige Regie und grössenwahnsinnige Dirigenten dazukommen, halten nur noch besagte Sumi-Berge à la Siegfreids Post :D durch.(wobei dicker Mensch nciht gleich dicke Stimme ist!!! Fett resonniert NICHT, entgegen aller Vorurteilel!!!!)
    Und herauskommt das, was ICH nicht hören/sehen will und gottseidank etlcihe Andere hier ja auch nicht.
    Aber auch das Publikum muss umerzogen werden. Wenn lyrische Stimmen ausgepfiffen werden und nur Dezibel-Marathone erwartet und bejubelt werden,dreht sich die Spirale leider weiter.Ich wUrde mir im Test gerne mal einen Edwin-Ideal-Wagner mit meinen Ideal-Sängern antun und dann urteilen, wieweit eine andere Aufführungspraxis mein Bild verändern kann. Wäre ein sehr spannender Versuch!


    Keine Angst: Anna N. macht bestenfalls die Frau Venus als Statistin :baeh01:

  • Liebe Zauberelfe,


    ich fühle mich da hin- und hergerissen. Ich mag auf der einen Seite schlanke, lyrische Stimmen, wenn da aber andererseits eine gewaltige Stimme über ein ganzes Orchester hinwegstrahlt, hat das auch einen enormen Reiz. Wie gesagt sollten die lyrischen Tenöre und Soprane auch nicht mit gigantischen hochdramatischen Partien ihre Stimmen ruinieren.


    Es stimmt schon, dass Wagner die Anforderungen an Sänger auf eine neue Ebene angehoben hat, aber mit diesen Anforderungen dürfte auch das Niveau des professionellen Gesangs auf lange Sicht gewachsen sein, vermute ich. Dass es solche gigantischen und gleichzeitig wunderschönen Partien gibt, dürfte doch für die meisten Sänger/innen ein Ansporn sein.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Lieber Theophilus,

    Zitat

    Das konnte Wagner zumindest bei einem Großteil der Komposition noch nicht einmal vorausahnen!


    Und ob! Beim "Ring" hat er es vorausgeahnt, beim "Parsifal" hat er aus den Erfahrungen mit dem "Ring"-Orchester gelernt. Alle anderen Opern sind in der Instrumentierungstechnik anders gearbeitet. Die "Meistersinger" haben gar nur 2-faches Holz (plus 3. Flöte).


    -----------


    Meiner Meinung nach haben Dirigenten und bestimmte Sänger ein Wagner-Bild entworfen, in dem Brüllstimmen darin wetteifern, den wogenden, uferlosen Orchestersatz zu übertönen.
    Vielleicht ist das richtig.
    Wenn ich dann aber daran denke, daß der von Wagnerianern hochgeschätzte Dirigent Reginald Goodall nur knapp unter drei Stunden an einem "Rheingold" dirigiert - das laut Wagner in zwei Stunden fertig sein sollte, wenn der Dirigent kein "Langweiler" ist...
    Ich bin überzeugt, daß auch die gesteigerte Lautstärke falsch ist - wenn man nämlich nicht von absoluten Lautstärken ausgeht (fff, ff, p, pp etc. ist immer dieselbe Lautstärke), sondern von einer relativen (fff ist an der bestimmten Stelle wesentlich lauter als das p ein paar Takte zuvor). Das ermöglicht, das Orchester zurückzunehmen, wenn gesungen wird, aber aufzudrehen, wenn das Orchester seine rein-symphonischen Kommentare in Zwischenspielen etc. beisteuert.


    :hello:

    ...

  • Eine erhebliche Milderung der Probleme ergibt sich auch durch Verwendung zeitgenössischer Instrumente, wie die eindrucksvolle Aufnahme unter Bruno Weil lehrt:



    Wie herrlich wäre es, einen Tristan, einen Ring auf historischen Instrumenten zu haben...


    :träum:


    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

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