LES TROYENS von Berlioz

  • Ich traue mich kaum es zu schreiben, aber ich habe den heutigen Geburtstag und das Hütenmüssen des Bettes zum Anlass genommen, zum ersten Mal in meinem Leben Les Troyens zu hören. Wie immer informiere ich mich vorher überhaupt über nichts, um einen total ungefilterten ersten Eindruck zu haben.


    Eigentlich sollte meine erste Begegnung mit dieser Oper ja mindestens eine DVD oder besser eine Live-Aufführung sein, aber nun habe ich den oben von JR genannte Radiomitschnitt gehört und bin erstmal ziemlich platt und sprachlos


    Gibt es mittlerweile einen inhaltlichen Thread zu der Oper?


    F.Q

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Gibt es mittlerweile einen inhaltlichen Thread zu der Oper?


    F.Q


    Liebe Fee,


    den können wir hier flugs aufmachen ... Eine unglaubliche Oper - und dass Toscanini mit Vehemenz dafür kämpfte, sie auf die Bühne zu bringen, ist wohl mehr als verständlich.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Gibt es mittlerweile einen inhaltlichen Thread zu der Oper?


    Watt is datt denn?


    :wacky:


    Viele Grüße,
    Medard


  • Möchte ich auch gerne wissen!
    Im "Tamino-Opernführer" gibt es doch schon eiine "Inhaltsangabe".


    :pfeif: :pfeif:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Wahrscheinlich spreche ich eine Geheimsprache, die nur Peter versteht oder watt? 8o


    Ich meine, einen Thread, in dem nicht nur Cover gepostet und Aufnahmen mit :jubel: oder :kotz: vorgestellt werden, sondern in dem über den Ge/Inhalt, Hintergründe, Entsehung, literarische Vorlagen, musikalische Gestaltung etc etc diskutiert wird.


    Offenbar weiss Zweilicht auc h, was ich meine, denn er wollte irgendwann mal sowas anfangen, scheint mir...... :hello:


    Fairy Queen

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  • Na, wenn Du weiter oben mal schaust, sind da zwar einige Aufnahmen (zum großen Teil ganz ohne Bildchen) und Inszenierungen (völlig ohne Bildchen) vorgestellt und auch bewertet worden, dies aber keineswegs nur mit Wackelmännchen sondern durchaus wortreich und - wie ich meine - auch einigermaßen qualifiziert.


    Daß es eines Beitrags brauchen könnte, in dem ein wenig über die Entstehungsumstände des Werks; Berlioz' Libretto-Einrichtung des Vergilschen Epos; seine seinerzeitigen Schwierigkeiten, das Werk zur Aufführung zu bringen und die komplizierte Rezeptionsgeschichte des Werks berichtet würde, sehe ich auch so. Und die zwielichtige Gestalt hatte ja schon vor geraumer Zeit einen solchen Beitrag angedroht.
    Ein solcher Beitrag sollte IMO aber einfach hier eingestellt werden, um nicht noch einen parallelen »inhaltlichen« Thread laufen zu lassen.


    Ich fürchte allerdings, daß es bei einem »inhaltlichen Thread« wieder mal zuvorderst um die Fraulichkeit der Frauen gehen würde (Achtung: Wackelmännchen) ;) - und da hat Berlioz hier ja zwei ziemliche Marken auf die Bühne geschickt...


    Viele Grüße,
    Medard

  • Lieber Medard, ich habe meine Frage ja nun mit Absicht in DIESEM Thread gepostet, um ihn zu reanimieren.:yes: Mit den ausführlicheren und niveauvolleren Cd-Besprechungen hier als manch anderen Ortes hast Du natürlich Recht!
    Und um was es in so einem "inhaltlichen"Thread geht, bestimmt niemand anders als die Taminos, die sich aktiv daran beteiligen.
    Es liegt also auch an Dir und jedem Einzelnen, die "Fraulichkeit der beiden"Marken"" (meinst du Dido und Cassandra?) zum Nebenthema zu degradieren oder gar nciht erst infrage zu stellen.
    Ich weiss über die Oper bisher null und nichts und bin einfach nur neugierig, weil der erste Höreindruck gestenr ziemlich überwältigend war.


    F.Q.

  • Na, wenn jetzt sowohl der Lullist als auch Fairy schon beim ersten Hören von dieser Oper überwältigt waren, bestehen doch gute Chancen, dass es auch anderen so geht, die diesem monumentalen Spitzenwerk bislang ausgewichen sind.


    Ich wollte eigentlich Zwielicht :hello: den Vortritt lassen , bin aber gerne bereit, mich zwischen den Jahren dieser von mir nachgerade vergötterten Oper ausführlicher zu widmen, wenn ihn der Haydn weiter so festzurrt wie im Verlaufe dieses Jahres. Vorher schaffe ich es leider auch kaum.


    Einstweilen lassen sich aber Bewertungen aller kommerziell erhältlichen Aufnahmen mit guten Kommentaren hier finden. Raphaells Opernführer, auf den Harald schon verwies, gibt einen präzisen, wenn auch etwas knappen Überblick über den Handlungsverlauf. Jedenfalls bin ich auch der Meinung, dass das hier geschehen sollte und nicht in einem zusätzlichen Thread.


    Trotzdem spricht m. E. auch nichts dagegen, sich mit dem Sonderthema der Dido zu beschäftigen, denn da gibt es ja auch noch Purcell, Cavalli und einige andere. Ich muss da gelegentlich mal sammeln.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Ich wollte eigentlich Zwielicht :hello: den Vortritt lassen , bin aber gerne bereit, mich zwischen den Jahren dieser von mir nachgerade vergötterten Oper ausführlicher zu widmen, wenn ihn der Haydn weiter so festzurrt wie im Verlaufe dieses Jahres. Vorher schaffe ich es leider auch kaum.


    Lieber Rideamus,


    ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir diese Arbeit abnehmen könntest - wie schon im Haydn-Projektidee-Thread gepostet, kann ich mich momentan noch nicht einmal dem Haydn angemessen widmen. Beizeiten beteilige ich mich dann natürlich sehr gerne an Diskussionen über Les troyens.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Liebe Troyenisten, ich muss hier mal gerade einen aktuellen Zwischenenthusiasmus loswerden.
    J.R. hat mir die DVD der Gardiner/Kokkos Aufführung geliehen und ich kann diese Oper dieser Tage nur häppchenweise hören, weil das eines von den Seligkeitsdingen ist, die ich komplett erstens kaum aushalte und zweitens solange als irgend möglich geniessen will.


    Heute abend bin ich vom dritten bis zum vierten Akt gekommen(vorgestern bereits die ersten Beiden und musste eben den Bildschirm ausmachen, weil es ncihts Schöneres mehr geben kann als das Duett "Nuits d'ivresse". Da muss Zauberei sein.
    Schon bei den vorangehenden Ensembles und der von Mark Padmore gesungen Hymne an Ceres dachte ich , jetzt gibt es keine Steigerung mehr, aber was Susan Graham , Gregory Kunde und Gardiner dann machen, ist so betörend schön..... :angel:
    Und all das kannte ich bis heute nciht- unfassbar!


    Kann ich danach noch weiter hören oder sollte ich besser hier aufhören, um nicht auch noch vom Felsen (der Begeisterung) zu stürzen?



    Fairy Queen



    P.S. Martin wirft die Frage auf, ob Dido ein Sopran oder Mezzo ist. Wenn man sich das Duett mit ihrer Mezzo-Schwester ansieht, ist sie eigentlich ein Sopran. Zwei Mezzi im Duett auf der Bühne habe ich jedenfalls noch nie erlebt und das widersprciht jeder Logik. ebenso wie Mezzo und Tenor als Liebespaar..... :D.
    Aber das ist ohnehin egal. die Rolle sollte sich Jede "krallen", die sie singen und spielen kann, egal welches Stimmfach.

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  • Liebe Fairy Queen,
    irgendwie beneide ich Dich, daß Du diese Musik noch entdecken kannst. Für mich ist sie ein Vademecum - aber sie wächst immer weiter und weiter. Hast Du eine Partitur? Es gibt eine relativ preisgünstige bei Eulenburg - ich halte dieses Werk für die größte Leistung in Sachen Klangfarbe vor dem "Pelléas". Die Kombinationen sehen völlig verrückt aus - aber sie funktionieren. Und wie!


    Übrigens mag ich auch die Rezitative: Es ist unglaublich mit welcher Natürlichkeit Berlioz das Französische deklamiert. Einfach sagenhaft geschmeidig, jeder Tonfall sitzt und läßt doch dem Interpreten genug Raum, sich selbst einzubringen. Und dazu diese wunderbare Noblesse des Tonfalls ohne Verlust der Emotionalität. Das meinte ich, als ich einmal schrieb, es führe ein direkter Weg von Rameau zu Berlioz. Das ist eben diese durch und durch französische Ästhetik.


    Insoferne: Nicht aufhören, obwohl es noch besser wird. Einfach ein Sprungtuch unter dem Felsen aufspannen... :D


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Einfach ein Sprungtuch unter dem Felsen aufspannen... :D



    .. und dann Karten für eine der drei Februarvorstellungen an der Staatsoper Stuttgart ordern, um dort weiterzuschwelgen!!!



    LG, Elisabeth

  • Lieber Edwin, nachdem mir nun mehrere Kenner bestätigt haben, dass es wirklich noch schöner wird (wie soll das bitte gehen?????) mache ich weiter!
    Kennst du "le mal du Stendhal"? Hier besteht allergrösste Gefahr! Also falls ich die nächsten Tage entschwunden sein sollte, wisst ihr warum! :faint: ;)


    Nein, ich habe keinen Klavierauszug und gehe erst viel viel spâter an Analysen¨. Ich will/muss eine unbekanntes Werk dieser Dimension erst immer ohne jeglcihe Vorkenntnis in mich aufnehmen, um seine ganze Wirkung zu erfahren. Wenn mich das packt, geht's weiter. Hoffentlcih bei Tamino.
    Wenn nicht, nutzen mir die Noten auch nciht mehr, als Respekt vor dem Komponisten zu haben.


    Ja, ich beneide mich auch, dass ich noch so Vieles entdecken kann- das ist aber eine grundsätzliche Lebensstrategie. Siehe meine Signatur. :D


    Fairy Queen


    Liebe Elisabeth, leider geht das terminlich überhaupt nicht bei mir zu machen, ich musste ja bereits die Perlenfischer mit Calleja aus demselben Grund absagen. ;( ;( ;(


    Stuttgart ist ja auch nciht eben um die Ecke und wäre mindestens ein 3-Tages Projekt- vor Ende Februar/Anfang März ist da nichts drin.
    Wird die Oper denn zu einem späteren Zeitpunkt noch mal gegeben?

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Lieber Edwin, nachdem mir nun mehrere Kenner bestätigt haben, dass es wirklich noch schöner wird (wie soll das bitte gehen?????) mache ich weiter!
    Kennst du "le mal du Stendhal"? Hier besteht allergrösste Gefahr! Also falls ich die nächsten Tage entschwunden sein sollte, wisst ihr warum! :faint:;)


    Nein, ich habe keinen Klavierauszug und gehe erst viel viel spâter an Analysen¨. Ich will/muss eine unbekanntes Werk dieser Dimension erst immer ohne jeglcihe Vorkenntnis in mich aufnehmen, um seine ganze Wirkung zu erfahren. Wenn mich das packt, geht's weiter. Hoffentlcih bei Tamino.


    Liebe Fairy,


    es freut mich natürlich sehr, dass die DVD so voll eingeschlagen ist. Nachdem der zwielichtige Bernd mich schon gebeten hat, die TROYENS einmal ausführlicher darzustellen, weil er nicht dazu kommt, habe ich mir schon Gedanken darüber gemacht, wann und wie das machbar ist, ohne diesen Thread neu aufzuziehen, zumal es hier (TMOO - Troyens, Les ) schon weitere und erfreulich vielseitige Bewertungen der einschlägigen Aufnahmen gibt.


    Ich denke, das beste wäre ein eigener Thread nach dem Vorbild der MANON oder des DON CARLO. Damit möchte ich aber dem laufenden von Thomas über die TURANDOT nicht in die Quere kommen und sollte natürlich auch ein etwas breiteres Interesse vorhanden sein. Es wird also noch ein wenig dauern und hinreichend Zeit bleiben, das Werk noch besser kennen zu lernen. Auch frage ich mich, ob es vielleicht sinnvoll wäre, Purcells DIDO AND AENEAS mit in die Betrachtungen dieer grandiosen Geschichte einzubeziehen.


    Wie steht Ihr dazu?


    :hello: Jacques Rideamus

  • Wie der Blitz, Coup de foudre sagt man hier dazu!
    Heute abend stelle ich mich dem 5. Akt und spanne das Sprungtuch auf.


    Natürlich bin ich auch für einen umfassenden Trojanischen Thread, aber das Problem ist: ich weiss nichts dazu. :(
    Ich lerne den Berlioz Musik ja gerade erst kennen und bin ausserdem ab Montag bis Ende Februar so eingespannt, dass ich keine Zeit für ausgiebige Hörerlebnisse und Lektüre haben werde.
    Ich kann also nur sehr unwissenschaftlich subjektiv und aus dem Handgelenk bei solchen Threads mitschreiben- wenn das genehm ist, tue ich das natürlich gerne.
    F.Q.

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  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Heute abend bin ich vom dritten bis zum vierten Akt gekommen(vorgestern bereits die ersten Beiden und musste eben den Bildschirm ausmachen, weil es ncihts Schöneres mehr geben kann als das Duett "Nuits d'ivresse". Da muss Zauberei sein.
    Schon bei den vorangehenden Ensembles und der von Mark Padmore gesungen Hymne an Ceres dachte ich , jetzt gibt es keine Steigerung mehr, aber was Susan Graham , Gregory Kunde und Gardiner dann machen, ist so betörend schön..... :angel:
    Und all das kannte ich bis heute nciht- unfassbar!


    Kann ich danach noch weiter hören oder sollte ich besser hier aufhören, um nicht auch noch vom Felsen (der Begeisterung) zu stürzen?


    Das Schönste kommt erst noch! Berlioz baut eine kontrastreiche Steigerung während des vierten Aktes auf: das Ballet und die Hymne an Ceres sind ja "nur" Beispiele für die Hofhaltung Didons und für die käufliche Schönheit, die sie sich leisten kann, um ihre innere Unruhe zu übertünchen. Denn sie weiß ja eigentlich, dass das mit Énée erstens nicht gutgehen kann, weil er nach Italien muss, und sie weiß auch, dass sie gegen das Ideal der univira, dem sie sich freiwillig verschrieben hatte, nun verstoßen hat. Dann kommt dieses herrliche Septett mit Chor, währenddessen man die Meeresbrandung so schön hört - schon hier beginnt die Musik mit den Protagonisten, die Realität zu verlassen. Dann das Duett, bei dem Didon und Énée ganz abgehoben sind und Didons Ruhe in ihrer Realitätsflucht anscheinend endlich hergestellt ist. Vielleicht hat sie auch nur endlich genug libyschen Wein intus.
    Dann Auftritt Mercures, wo dem Zuhörer deutlichgemacht wird, dass das alles nur eine Scheinwelt ist, die sich Didon und Énée aufgebaut haben.
    Und dann gibts wohl auch bei Liveaufführungen eine Pause - und nach der Pause, in der schlichten Arie für Haute-contre "Vallon sonore", da erfährt man erst die vielen wirklichen Tragödien: nie mehr nach Hause zu kommen, die Mutter nie mehr zu sehen, nie mehr Familie zu haben, sein ganzes Leben, und ja: mit seiner Heimat auch seine Identität verloren zu haben; und das ist nur ein Beispiel für die vielen Schicksale aller mit Énée geflohenen Trojaner!
    Hier hört man eine stille Trauer und einen stillen Schmerz, die weniger pathetisch sind als Didons hysterische Racheausbrüche und ihre dekadenten Abschiedsinszenierungen, mit denen sie sich das Mitleid möglichst vieler Leute erpressen will - aber dafür ehrlicher und tiefer. Mit dieser Arie wird Didon für mich richtig unsympathisch, weil aus ihr danach im Vergleich dazu nicht mehr die Stimme unglücklicher Liebe spricht, sondern die Stimme grenzenlosen Egoismus. Und tötet sie sich, weil sie ohne Énée nicht leben will? Oder nicht eher, weil ihr erst jetzt so richtig bewusst wird, dass sie ihren Schwur gebrochen hat, sich dem erstbesten an den Hals geworfen hat wie eine Dirne und dem gesellschaftlichen Ideal der Zeit nicht mehr entspricht? Und weil sie ohne einen karthagischen König Énée das alles nicht rechtfertigen kann?
    Die Niedrigkeit ihres Selbstmordes kontrastiert jedenfalls durchaus bewusst mit dem Heroismus, mit dem Cassandre und die Trojanerinnen in den Tod gehen.


    Zitat


    P.S. Martin wirft die Frage auf, ob Dido ein Sopran oder Mezzo ist. Wenn man sich das Duett mit ihrer Mezzo-Schwester ansieht, ist sie eigentlich ein Sopran. Zwei Mezzi im Duett auf der Bühne habe ich jedenfalls noch nie erlebt und das widersprciht jeder Logik. ebenso wie Mezzo und Tenor als Liebespaar..... :D.
    Aber das ist ohnehin egal. die Rolle sollte sich Jede "krallen", die sie singen und spielen kann, egal welches Stimmfach.


    Sie wird tendenziell aber eher von Mezzi gesungen, von Sopranen eigentlich nur, wenn sich jemand die Doppelrolle Cassandre/Didon antut. Und eigentlich passt meiner Meinung nach ein sinnliches und dunkles Mezzo-Timbre auch besser zu luxe, volupté und Verkommenheit des karthagischen Hofes.
    Die Frage ist außerdem, inwieweit Didon dem Typ der "jugendlichen Geliebten => Sopran" entspricht, und ob sie nicht eher unter "femme fatale/Bösewichtin => Mezzo" fällt, da sie ja Énées Sendung behindert und Vergil und Berlioz (vgl. die Schlussszene) ja auch Karthagos feindselige Haltung gegenüber Rom immer im Auge hatten.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Lieber Martin,


    Deine Bewertung des wunderschönen Lieds des Hylas im Fünften Akt, das Berlioz nach eigenem Bekunden im Gedenken an seinen eigenen Sohn geschrieben hat, der - man bedenke! - später tatsächlich auf See umgekommen ist ohne seine Heimat wiedergesehen zu haben, teile ich ohne Einschränkung. Wie Berlioz, dessen dramatischer Instinkt solche "Einlagen" liebte (s. Berlioz' musikalischer Weihnachtsfilm: L'ENFANCE DU CHRIST), hier sogar eine eigene Rolle schafft und mit einem fast filmisch zu nennenden Sinn für die besondere Ausleuchtung eines vermeintlich marginalen Details ein komplexes atmsphärisches Geflecht evoziert, ist wirklich grandios. Es spricht für die Stärke des Liedes, dass sich kaum ein Intendant oder Regisseur traut, dieses für die eigentliche Handlung überflüssige Lied zu streichen um Zeit und einen guten Tenor zu sparen.


    Deine Bewertung der Rolle der Dido im letzten Akt kann ich dagegen nur verstehen, aber nicht teilen. Ich sehe hier eher eine verzweifelte, weil zweimal von einer großen Liebe verlassene Frau, die zunächst natürlich auch wild wuchernde Rachegelüste hat, sich dann aber auf dem selbst errichteten Scheiterhaufen - (Vor-) Echos von Jeanne d'Arc - in einen visionären Wahn-Sinn hinein steigert, der einem das Herz zerreißt, zumal sie sich selbst da noch, wie das Zitat des "Nuit d'ivresse" belegt, nicht von ihrer letzten großen Liebe lösen kann. Die finale Beschwörung Hannibals als Rächer ihres Volkes entbehrt ja auch nicht der bitteren Ironie, wie jeder mit ein wenig Geschichtskenntnissen weiß.


    (Eine Frage an die Humanisten unter Euch: gibt es diese Vision schon bei Vergil? Zeitlich wäre das nämlich arg eng und für einen römischen Staatsbürger sowieso)


    Wenn man das mal von Janet Baker oder Susan Graham (aber auch Tatjana Troyanos oder Deborah Polaski) gehört hat, kommt - jedenfalls bei mir - keine Wahrnehmung einer rachsüchtigen Furie auf. Am hesten noch bei Agnes Baltsa und Waltraud Meier, die man (bezeichnenderweise konzertant) auf YouTube in dieser Passage hören und sehen kann. Eher die Vorstellung einer buchstäblich todtraurigen Königin, die den Untergang nicht nur ihres Reiches, sondern vor allem ihres Volkes betrauert, das sie nicht von ungefähr so verehrt. Wenn es eine melodische Wendung gibt, die mich noch tiefer rührt als das Oktett und das nachfolgende "Nuit d'ivresse", dann ihr "Adieu fière cité". Auf Youtube könnt Ihr Euch das übrigens von Janet Baker (allerdings auf englisch) gesungen ansehen.


    Aber vielleicht sollten wir diese Diskussion für den inhaltlichen Thread aufsparen, der sicher kommen wird, wenn auch nicht mehr unbedingt in diesem Monat - jedenfalls von mir. Gerade die unterschiedlichen Interpretationen dieses Aktes durch die verschiedenen Didos von Régine Crespin bis Susan Graham finde ich nämlich besonders faszinierend.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Lieber Jacques!


    Berlioz versucht ja eh und bemüht sich redlich, mir Didon sympathisch zu machen, und ihr Monolog "Adieu, fière cité", nachdem sie sich schon ausgetobt hat, ist wirklich außerordentlich gelungen. :D
    Bei Vergil wütet sie viel heftiger und der Zusammenhang zwischen der Untreue zu Sychaeus und ihrem Selbstmord wird deutlich herausgearbeitet, indem die Opfer, die sie an seinem Gedankaltar darbringt, sich schwarz verfärben und ein Uhu ständig vom Dach des Tempels ruft... Am Scheiterhaufen verflucht sie Aeneas und die Römer und wünscht sich ewige Feindschaft zwischen Karthago und Rom und dass aus ihren Knochen ein Rächer erstehe ("nostris ex ossibus ultor"), mit dem Vergil natürlich auf Hannibal anspielt, ohne den Namen zu nennen (was in der antiken Literatur nicht allzu ungewöhnlich ist; man ging von einem gebildeten Publikum aus, das sowieso versteht, was gemeint ist.).


    Auch dass sich Dido noch dreimal zu erheben versucht, als Anna sie anspricht, steht bei Vergil. Berlioz hat sich oft sehr genau an die ihm sehr liebe Vorlage gehalten - gerade manche Passagen in den Monologen der Didon sind fast wörtlich Vergil -, und wo er abweicht, etwa beim Massenselbstmord der Trojanerinnen, den es in der antiken Literatur ja nicht gibt (Kassandra wird Agamemnons Beutefrau und gebiert ihm Zwillinge, alle vier werden von Klytaimnestra und Aigisthos umgebracht), schafft er meiner Meinung nach großartiges Eigenständiges.


    Ich will ja eigentlich der inhaltlichen Diskussion auch nicht allzu weit vorgreifen, aber noch eine Anmerkung: Das Heimweh, das in der Arie des Hylas so ergreifend zum Ausdruck kommt, hätte eigentlich auch in der Charakterisierung Énées und Didons Platz - schließlich sind sie alle Migranten! -, wo es aber bewusst ausgespart bleibt.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Lieber Martin,


    vielen Dank für diese aufschlussreiche Erweiterung meines trojanischen Horizonts in Richtung Vergil.


    Ich muss sagen, ich freue mich immer mehr auf die Detaildiskussion meiner Lieblingsoper, aber erst noch gibt's ja auch noch die THAIS.


    Vive l'Opéra Francaise ! :yes:


    :hello: Jacques Rideamus

  • Moralisierende Bewertungen und psychologisierende Betrachtungen von Charakteren in Werken der Fiktion liegen mir fern, auch wenn das in den hiesigen Opern- (besser: Libretto-)Analysen sehr en vogue ist. :D


    Dass Dido von Berlioz jedoch analog zu Kassandra nicht nur als Seherin, sondern auch als eine Figur des Widerspruchs gegen den vorherbestimmten Lauf der Geschichte gestaltet ist, daran lassen Text und Musik keinen Zweifel. Im zweiten und dritten Bild erlebt man bei Dido eine Explosion widersprüchlicher Emotionen, die ihresgleichen sucht: Verletztheit und Verzweiflung - aber eben auch Stolz, Auflehnung und Hass. Dabei kommt es zu einem einzigartigen, schockierenden Einbruch des Barbarischen in Text und Musik, wenn sich Dido - kaum alleingelassen - mit einem unartikulierten (wenn auch in Notenschrift fixierten) Schrei zur Furie verwandelt. Ihre zwischenzeitliche Beruhigung und Gefasstheit ist nur scheinbar, wie Berlioz mit dem Bezug des Verses Je sens rentrer le calme dans mon cœur auf die berühmte und bewunderte Orest-Stelle in Glucks Iphigénie en Tauride (Le calme rentre dans mon coeur) deutlich macht (nach U. Schreiber referiert). Dido gibt sich nicht - wie es ihrer Rolle als Frau entsprechen würde - mit dem resignierten Hinsterben zufrieden (Purcell!), sondern stachelt in einer wilden Vision erfolgreich den Völkerhass an, mit dem die Oper dann so brutal und unversöhnlich zu Ende geht (Konfrontation des trojanischen Marsches mit dem Kriegsgeschrei der Karthager).


    [Provokationsmodus] Das ist eben keine Kuscheloper à la Massenet oder Gounod, sondern ein eminent politisches Werk. [/Provokationsmodus] :D



    Viele Grüße


    Bernd

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  • Ihr geht ja hier schon ganz ordentlich ins Eingemachte! 8o :jubel:


    Mir war die Didon bisher kein bisschen unsympathisch-im Gegenteil!
    Allerdings lebt sie bei mir ja noch und stirbt erst in etwa zwei Stunden. Aber was ist an verzweifletem Liebesleid, das keinen Ausweg mehr sieht unsympathisch? Aggression und Raserei sind erstmal ganz gesunde Reaktionen in einer solchen Situation. Dass sie in Selbstdestruktion enden, ist dann weniger gesund, aber entspricht der antiken Mentalität vollkommen. Siehe Lucrezia und Genossinnen.
    Auch Dido hat ihre Ehre verloren und weiterleben ohne Ehre ist unmöglich. erst Recht für eine Königin!
    Cassandras Beispiel im zweiten Akt macht das bereits deutlch, wie ihr ja ebenfalls oben feststellt.


    Ich denke auch , das Grundthema ist immer noch serh aktuell und nachvollziehbar:
    Der Mann muss hinaus ins feindlcihe Leben und was ist schon die Liebe gegen Heldentum und Vaterland?
    Bei der Frau ist es eher umgekehrt-heute noch fast genauso wie schon zu Didons Zeiten.
    Glauben jedenfalls nachfolgender Herr W. Irving :



    "Einer Frau ganzes Leben ist eine Geschichte der Liebe. Das Herz ist ihre Welt.... Sie sendet ihre Gefühle auf abenteuer aus, und erleidet sie Schiffbruch, so ist ihr Fall hoffnungslos, denn es ist ein Bankrott des Herzens."
    Da kann frau sich doch wirklich nur noch ins Meer oder auf den Scheiterhaufen stürzen, während mann in Italien viel Wcihtigeres zu tun hat.


    Da ich aber die Oper noch gar nicht ganz kenne, jetzt erstmal :stumm: :stumm: :stumm:


    F.Q.

  • Nur zur Verständigung: Diskutieren wir die "Troyens" hier weiter oder in einem neuen Thread? Ich halte mich vorerst zurück, damit dann die Moderation nicht so viel Arbeit beim Transferieren hat. Der Thread scheint ja jetzt richtig ins Rollen zu kommen.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Nur zur Verständigung: Diskutieren wir die "Troyens" hier weiter oder in einem neuen Thread? Ich halte mich vorerst zurück, damit dann die Moderation nicht so viel Arbeit beim Transferieren hat. Der Thread scheint ja jetzt richtig ins Rollen zu kommen.
    :hello:


    Ja, und meiner Meinung nach sollte man die Threads schmieden, solange sie heiß sind! :D

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Ihr geht ja hier schon ganz ordentlich ins Eingemachte! 8o:jubel:


    Dass sie in Selbstdestruktion enden, ist dann weniger gesund, aber entspricht der antiken Mentalität vollkommen. Siehe Lucrezia und Genossinnen.


    Liebe Fairy,


    wenn Du den Hinweis eines Oberlehrers gestattest: Berlioz wäre entsetzt gewesen, wenn er gehört hätte, wie Du Lukrezia und Konsorten und ihre Psychologie so mir nichts, Dir nichts, in die Antike verfrachtest. Martin und Bernd haben völlig Recht, wenn sie das Werk als eine GESCHICHTSOPER begreifen, denn um die Unaufhaltsamkeit der Geschichte ging es Berlioz ganz wesentlich. Der Hinweis darauf, dass die Oper eben nicht einfach ein grandioses Liebesdrama ist (das auch, aber eben nicht vor allem), sondern, wie anscheinend schon Vergil, den ich erst hätte querlesen wollen, Geschichte versinnbildlicht, indem sie sie vermenschlicht, wäre ein Eckstein meiner Einführung gewesen.


    Es kommt aber wohl nicht von ungefähr, wenn Bernd und ich uns schwer tun, die Oper mit einem Grundsatzartikel vorzustellen, denn es steckt einfach viel zu viel darin.


    @ Edwin und Martin:


    Ich gebe Euch deshalb gerne Recht. Der Thread kommt schon ganz von selbst ins Rollen, und ich finde, man sollte so etwas nicht mit künstlichen Ordnungssystemen aufhalten. Ich denke also, wir sollten ruhig weiter in die Vollen gehen. Dann kommen die Grundlagen zum Werkhintergrund eben zum Schluss, wenn dann noch nötig, und all unsere Gedanken können da mit einfließen.


    Das wäre doch mal was Neues.


    Also kann es von mir aus auch gleich losgehen, und jede/r mache mit, wie er kann. Schließlich ist ja auch hier das Wesentliche, dass man sich überhaupt im Detail mit einem Werk befasst, wenn es einen gepackt hat, und dabei ist sowieso der Weg das Ziel.


    :hello: Jacques Rideamus


    PS: vielleicht wäre es aber sinnvoll, wenn wir uns erst einmal mit dem ersten Teil befassen, denn der kommt leider im Angesicht des großartigen Zweiten Teils fast immer zu kurz. Dann kann auch Purcells Dido erst einmal außen vor bleiben.

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  • Lieber Jacques, ich gestatte dir ja gerne so gut wie Alles, aber jetzt musst du mir gestatten zu fragen, warum Lucretia nciht in die Antike gehört???
    Ich meine natürlich die Gattin des Tarquinius, die sich lieber umbrachte als entehrt zu leben . und ehe ich jetzt endlich zum 5. Akt schreite: natürlich mûssen Threads geschmiedet werden, solange sie heiss sind, sonst enden sie schneller als einem lieb ist oder kommen erst gar nciht ins Rollen.
    Daher geh ich auch gleich in die Vollen: neben der hehren und fatalen Geschichte spielt m.E. das Thema Liebe versus Bestimmung (siehe Cassandra und Chorebe wie Dido und Enée ) und "Ehre der Frau " durchaus auch eine grosse Rolle. Nicht umsonst hat Berlioz ja die sich selbst tötenden Trojanerinnen eingesetzt.
    Und ich wiederhole nochmal, dass dieses Bild dem Ideal der antiken Frauenehre (VOR der dekadenten Caesaren- Zeit) vollkommen entspricht und keine moderne Psychologisierung ist.
    Abgesehen davon hat Berlioz durchaus auch Figuren auf die Bühne gestellt, mit denen man sich identifizieren darf und soll. :yes: :boese2:
    Warum sollte er sonst sowas Himmlisches wie "Nuit d'ivresse" über 10 Minuten hin komponieren, wenn es ihm nur um hehre Geschichte geht?


    F.Q.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Mir war die Didon bisher kein bisschen unsympathisch-im Gegenteil!
    Allerdings lebt sie bei mir ja noch und stirbt erst in etwa zwei Stunden. Aber was ist an verzweifletem Liebesleid, das keinen Ausweg mehr sieht unsympathisch? Aggression und Raserei sind erstmal ganz gesunde Reaktionen in einer solchen Situation. Dass sie in Selbstdestruktion enden, ist dann weniger gesund, aber entspricht der antiken Mentalität vollkommen. Siehe Lucrezia und Genossinnen.
    Auch Dido hat ihre Ehre verloren und weiterleben ohne Ehre ist unmöglich. erst Recht für eine Königin!
    Cassandras Beispiel im zweiten Akt macht das bereits deutlch, wie ihr ja ebenfalls oben feststellt.


    Liebe Fairy Queen!
    Bei dir hat meine bewusst provokant negative Zeichnung der Didon jedenfalls gewirkt! :D
    Wie meistens sind wir aber gar nicht weit voneinander entfernt. Ich wollte keineswegs Liebe und Liebesleid gegenüber Heldentum und Vaterland geringschätzen - ganz im Gegenteil! Ich denke schon, dass ich bei meiner Darstellung des Leides der Trojaner gerade auf Liebe, Familie, Beziehungen und Geborgenheit Bezug genommen habe, nicht aber auf Heldentum. Auch "Heimat" möchte ich nicht als "Vaterland" verstanden wissen.
    Aber ich bezweifle ja die Liebe im romantischen Sinne zwischen Énée und Didon, Liebesduett hin oder her (in dem die beiden interessanterweise ja berühmte Liebesgeschichten rezipieren, als suchten sie nach einem eigenen Ausdruck, und sich schlussendlich selbst in diese Reihe eingliedern). Berlioz versucht, die Liebesgeschichte zu stärken, das gebe ich zu, aber der Antike war Liebesdenken, wie wir es heute pflegen, eigentlich fremd.
    (Bei Vergil - knapp und daher notgedrungen oberflächlich zusammengefasst - begehren Dido und Aeneas einander, und als Aeneas absegelt, treiben Dido ihre Schuldgefühle (sie hat ihrem geliebten Mann Sychaeus ewige Treue versprochen) in Wahnsinn und Tod.)
    Interessanterweise, obwohl Berlioz diesem Treueschwur sonst so viel Raum zugesteht (vgl. das Duett Anna-Didon im 3. Akt und das Quintett im 4., wenn Ascagne Didon den Ring des Sichée entwendet), kommt dieser Hauptauslöser von Didos Katastrophe im fünften Akt kaum mehr vor (einmal "ma honte", einmal "mon amour insensé", was man darauf beziehen könnte) und verschiebt hier das Gewicht zugunsten der romantischen Liebe erheblich. Trotzdem stelle ich noch einmal fest, wieder in Übereinstimmung mit der Feenkönigin, dass es Didon letztendlich nicht um Liebe, sondern um Ehre geht.



    Die Frauengestalten dieser Oper sind nämlich nicht solche Frauen, deren ganzes Leben Liebe ist und deren Welt das Herz ist! Cassandre ist eine politische Frau, im ersten Teil quasi die Gegenspielerin Énées, die mit ihren Prophezeiungen versucht, das Geschick Trojas zu beeinflussen und es in ihrer beeindruckenden Szene im zweiten Akt tatsächlich vermag, dem Schicksal einen Tod in Freiheit nicht nur für sich, sondern für alle Trojanerinnen abzutrotzen. (Inwieweit man das jetzt positiv sieht oder nicht, ist freilich Geschmackssache, ich werde mich hüten, diese Handlung moralisch zu beurteilen :D )


    Ebenso ist Didon eine politische Frau. Ihr Hintergrund, der in der Oper eigentlich wenig beleuchtet wird, weist sie als intelligente, willensstarke Persönlichkeit aus, die die Lokalfürsten in Numidien übers Ohr haut, Karthago gründet und als verwitwete Migrantin zur Königin der ganzen Region aufsteigt. Ist das nicht eine Erfolgsgeschichte für eine Frau, erst recht in der damaligen Zeit? Aber dann zieht sie ihren Verstand versehentlich mit den Kleidern aus, als sie sich dem Schiffbrüchigen hingibt und gibt aus eigenem Verschulden ihre Ehre preis. Énée kann nichts dafür! Denn Didon weiß ja - es wird ausdrücklich festgehalten, dass das eine allseits bekannte Tatsache ist -, dass Énée nach Italien soll, und sie ist auch noch nicht so vergesslich, dass sie sich an ihren Schwur, kein zweites Mal zu heiraten, nicht erinnern würde. Auch sie versucht, das Schicksal zu umgehen, aber (wenn ich nun doch moralisch werden darf) aus Egoismus, weil sie Énée halten will, nicht aus politischen Motiven. Narbal beklagt diesen Rückschritt Didons im Duett mit Anna im vierten Akt: Die Aufgaben, die Didon früher erfüllten, der Wille zur politischen Gestaltung, das alles interessiert sie jetzt gar nicht mehr. Die "Liebe" Didons und Énées erweist sich nicht nur als negativ für den göttlichen Auftrag des Trojaners, sondern auch als schädlich für Karthago. Didon vernachlässigt für ihre persönliche Befriedigung ihre königlichen Pflichten und verletzt ihren heiligen Eid.
    Sie stirbt nicht triumphierend wie Cassandre, sondern elend, im Unglück - und mit dem unsympathischen Zug, dieses Sterben mit einem Fluch (nicht wie Cassandre mit einem Segen!) in der Öffentlichkeit zu inszenieren und zu zelebrieren, um, neidisch auf das Glück anderer, möglichst viele andere Leute in ihr Unglück mithineinzureißen (nicht wie Cassandre, um sie dem Unglück zu entreißen!).
    (NB. Ich sehe Didon nicht so negativ wie gerade ausgeführt und so unsympathisch ist sie mir dann doch wieder nicht, aber ich habe jetzt auf den Vergleich Cassandre-Didon hingearbeitet und verstärkt die Kontraste herausgezeichnet. Das ist nicht als vollständige Charakterisierung zu werten.)


    Und auch die Oper ist selbstverständlich eine politische Oper! Ich tendiere dazu, den Anteil der Liebesgeschichte noch geringer zu werten als Jacques Rideamus. Aber, liebe Feenkönigin: Es ist nicht der heroische Auftrag des Énée, der im Kern dieser Oper steht, es geht nicht um hehre römische Geschichte. Die Hauptfiguren sind doch Cassandre und Didon! Man leistet der Oper mit einer Überbetonung der Liebesgeschichte Énée-Didon meines Erachtens keinen guten Dienst: Es könnte leicht dazu führen, dass das dazu führt, den ersten Teil unterzubewerten und als "Vorspiel" zur eigentlichen Tragödie zu sehen. Das wäre ein fataler Fehler! Ich habe schon einige Bezüge zwischen den Selbstmorden der Protagonistinnen hergestellt, man findet noch viele weitere Parallellen zwischen erstem und zweitem Teil. Berlioz hat hier zwei persönliche Schicksale kontrastiert - zwei Schicksale, die sich allerdings vor dem Hintergrund und eigentlich im Zwiespalt von Geschichte/Politik und Privatleben, auch zwischen kollektivem und persönlichem "Glück", abspielen - durchaus realitätsnäher als das übliche Opernlibretto. Die Dramaturgie und Handlung von "Les Troyens" ist moderner, als es vielleicht zunächst den Anschein hat!
    @ Rideamus: Daher kann man m. E. ersten und zweiten Teil in der Diskussion nicht ganz trennen.


    Die Liebesgeschichte Cassandre-Chorèbe wird nicht so leicht überbewertet. Warum? Nur weil Berlioz ihnen kein so schönes Duett gegeben hat? Dabei gefällt sie mir eigentlich besser: die wollen einander nicht besitzen, sondern beschützen! Und eine dritte Liebesgeschichte, die bei Vergil breiten Raum einnimmt, nämlich Aeneas-Kreusa (seine trojanische Frau), wird von Berlioz gar nicht erst erwähnt.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Sind "Les Troyens" wirklich eine politisch zu verstehende Oper?
    Ich bin mir dessen nicht so sicher.
    Wo hat Berlioz seine Dramaturgie gelernt? - Das sagt er in seinen Schriften oft genug: Bei Shakespeare. Nun sollte man aber im Gedächtnis haben, wie man Shakespeare zur Zeit von Berlioz auffaßte. Der herbe Renaissance-Shakespeare ist eine Entdeckung des 20. Jahrhunderts (u.a. Rothe, wenn er auch viel Unheil angerichtet hat). Berlioz begriff ihn sicherlich primär als einen Dichter der Leidenschaften - zumindest fand er diesen Aspekt am anziehendsten.
    Somit hat er meiner Meinung nach das Vergil-Epos psychologisiert, wobei Berlioz natürlich ein Kind seiner Zeit geblieben ist. Was an politischem Kontext einfließt, entsteht meiner Meinung nach dadurch, daß Berlioz als extrem intelligenter und sensibler Künstler durch die Strömungen der Zeit nolens volens beeinflußt war. Ich glaube jedoch nicht an eine bewußte politische Botschaft seitens Berlioz; daß sie dennoch vorhanden ist, leugne ich keineswegs, sie ist eine der Schichten des Werkes, aber meiner Auffassung nacht nicht seine wesentliche.


    Mich würde aber auch ein anderer Aspekt interessieren: Berlioz hat den Text selbst geschrieben. Was haltet Ihr von seinen dichterischen Qualitäten?


    :hello:

    ...

  • Ich habe gerade die Oper beendet , den vierten Akt nochmal gehört sowie den fünften Akt zum ersten Mal.
    Ein grandioses, überwältigendes Werk, das mich von der ersten bis zur letzten Minute gefesselt hat, inhaltlich wie musikalisch.
    Und ich bin sehr froh, diese Gardiner/KokkosVersion von J.R. als ersten Theater-Eindruck bekommen zu haben, die sängerisch und mit ihrer Regie genauso wie musikalisch meinen Geschmack getroffen hat.


    Zum Vergleich habe ich ja schon den Nelson auf Cd gehört, musikalisch genauso gut, vielleciht sogar noch spannungsvoller , aber die Sänger um Klassen schlechter.


    Lieber Edwin, ich finde im allerersten Eindruck, dass hier das Politische nicht die erste Geige spielt.
    Die erste Geige spielt m.E. die Spannung zwischen Schicksal/Bestimmung und dem Individuum.
    Berlioz ist ein Romantiker und diese Oper atmet das aus jeder Pore.
    Hier lehnt sich das Individuum musikalisch gegen die Grausamkeit der göttlicihen Bestimmung auf und leiht seine schönsten Momente eben der Klage und dem, was gegen den Willen der Götter gerichtet ist.
    Das kann doch kein Zufall sein!


    Der grösste und schönste Teil der Oper dreht sich um das Schicksal der Dido, und um eine unglückliche Liebesgeschcihte.
    Warum?


    Das Schicksal und die göttliche Bestimmung sind so grausam, dass am Ende nur Tod, Hass und Vernichtung übrig bleiben.
    Ist das keine klare Sympathieerklärung gegen antikes Schicksals-Denken und für eine romantische Weltsciht?



    Erste Gedanken und Fragen, die natürlich noch weiter reflektiert werden müssen und mit eurem Wissen um diese Oper revidiert werden können.
    Ich habe mich ja absichtlich null vorbereitet und bin einfach so reingesprungen. Nciht mal den Inhalt hab ich vorher studiert.
    Und nun hab ich die Stendalsche Krankheit und keiner hat mich vorher geimpft. :faint: :faint: :faint:


    F.Q

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Sind "Les Troyens" wirklich eine politisch zu verstehende Oper?
    Ich bin mir dessen nicht so sicher.
    Wo hat Berlioz seine Dramaturgie gelernt? - Das sagt er in seinen Schriften oft genug: Bei Shakespeare. Nun sollte man aber im Gedächtnis haben, wie man Shakespeare zur Zeit von Berlioz auffaßte. Der herbe Renaissance-Shakespeare ist eine Entdeckung des 20. Jahrhunderts (u.a. Rothe, wenn er auch viel Unheil angerichtet hat). Berlioz begriff ihn sicherlich primär als einen Dichter der Leidenschaften - zumindest fand er diesen Aspekt am anziehendsten.
    Somit hat er meiner Meinung nach das Vergil-Epos psychologisiert, wobei Berlioz natürlich ein Kind seiner Zeit geblieben ist. Was an politischem Kontext einfließt, entsteht meiner Meinung nach dadurch, daß Berlioz als extrem intelligenter und sensibler Künstler durch die Strömungen der Zeit nolens volens beeinflußt war. Ich glaube jedoch nicht an eine bewußte politische Botschaft seitens Berlioz; daß sie dennoch vorhanden ist, leugne ich keineswegs, sie ist eine der Schichten des Werkes, aber meiner Auffassung nacht nicht seine wesentliche.


    Ich glaube auch nicht an eine bewusste politische Kernaussage, gestatte mir aber, "Les Troyens" ebenso als politisches Drama zu sehen, wie die Königsdramen Shakespeares (sieht man von deren Propagandafunktion ab), nämlich in dem Sinne, dass die Politik die wichtige Triebfeder des Handelns ist. Nicht unbedingt eine politisch zu verstehende Oper, aber eine politisch motivierte Oper, in der auch Politik vorgeführt wird, die natürlich interpretiert werden kann.
    Wesentlich ist aber der psychologische Konflikt, in den die Hauptpersonen zwischen politischen und privaten Entscheidungen geraten, zwischen göttlichen Befehlen, tradierten Moralvorstellungen und eigenem Willen:


    Zitat

    Original von Fairy Queen
    Die erste Geige spielt m.E. die Spannung zwischen Schicksal/Bestimmung und dem Individuum.


    :yes:


    Zur Berlioz'schen Dichtkunst möchte ich mich, nachdem ich des Französischen nicht mächtig bin, nicht äußern; was Dramaturgie betrifft, finde ich ihn ziemlich genial, originell die Idee, den Text des Liebesduetts Didon-Énée aus anderen Liebesgeschichten zu beziehen. Manche Passagen sind mehr oder weniger wörtliche Vergilübersetzungen.


    :hello: Martin

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