Leistungsschutzrechte sollen auf 95 Jahre verlängert werden

  • Hallo liebe Taminos,


    ich bin gerade auf diesen Artikel bei klassik.com gestoßen. Es geht darum, dass die EU-Kommission einen Vorschlag einbringen will, der die bisherige Laufzeit der Leistungsschutzrechte von 50 auf 95 Jahre ausweitet. Ich zitiere:


    "Mit einem solchen Vorschlag will die EU-Kommission historische Aufnahmen, die nach der derzeitigen Regelung schon bald gemeinfrei wären, auch zukünftig schützen und damit den Forderungen der Plattenindustrie nachgeben."


    Was haltet ihr davon? Falls das durchgesetzt würde, müssten wir wohl laaaaaaaaaaaaaaange auf diverse historische Aufnahmeschätze warten ... Diversen Billig-Labeln würde mit dieser Regelung auch ziemlich zugesetzt ...


    Best , DiO :beatnik:

  • "Junge ausübende Künstler würden nach Ansicht der EU-Kommission durch eine 95-jährige Schutzdauer davor bewahrt, dass sie sich im Alter einem plötzlichen Einkommensausfall gegenübersähen."


    Kinderstars, die dann über 100 werden, oder was?


    Gewiß sind diese Zahlen irgendwo willkürlich (sie zeigen m.E. wie dünn das Konzept des "geistigen Eigentums" überhaupt ist), aber die bisherigen 50-70 Jahre scheinen mir völlig angemessen. Warum sollen die Enkel noch exklusiv von einer Platte des Großvaters profitieren?
    Ich glaube auch weniger, daß diese Initative aus dem Klassikbereich herrührt. Klar, da werden jetzt langsam die ersten Stereoaufnahmen zugänglich.
    Aber eher denkt man wohl an solche Hungerleider wie die Beatles oder Stones, deren erste Platten in ein paar Jahren auch die 50 überschreiten werden. Es ist natürlich ein Gebot der Moral und Gerechtigkeit, daß Jaggers Einkommen dann auf keinen Fall um eine Million auf dann nur noch x Millionen sinkt... ;)
    Interessant finde ich aber die Klausel "wenn kein kommerzielles Interesse besteht". Soll das heißen, daß die Recht verfallen, wenn z.B. eine Aufnahme nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird?


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Also, das ist ein Vorhaben, das ich in jeder Hinsicht unterstütze. :jubel: :yes: :D Immerhin leben eine kleine feine, aber doch beachtenswerte Zahl von Musikern davon, dass sie für die CDs, die sie eingespielt haben, Tantiemen bekommen. ?( Heute sieht es so aus, dass ein Musiker, der mit 18 eine Aufnahme eingespielt hat, mit 68 nichts mehr zu essen hat, weil er die Riesentantiemen aus den CD-Umsätzen neben seiner Rente aus der Künstlersozialkasse nicht mehr bekommt. Da wird Schmalhans Küchenmeister sein. Zukünftig kann er 113 Jahre alt werden und trotzdem in Saus und Braus leben. Das wird doch besonders die armen Orchestermusiker freuen.


    Ich weiß, jetzt stimmen die üblichen Verdächtigen wieder das große Geschrei an: Jaaa, die ausführenden Musiker werden doch sowieso von den Musikkonzernen ausgeblutet, da bleibt doch eh nichts mehr übrig, und schon mal gar nicht für das Alter, bei Einspielungen gibt es doch allenfalls pauschale Abgeltungen und ganz sicher keine laufenden Beteiligungen an zukünftigen Verkäufen, und soweiter undsofort.


    Alles richtig, nur kommt es darauf gar nicht an. Solange auch nur die geringste Chance besteht, dass eine vielleicht doch irrtümlich einem einzelnen Musiker zufließende zukünftige Tantieme gegen die Ansprüche aus der Künstlersozialkasse gegengerechnet werden und die öffentlichen Haushalte so entlastet werden können, muss diese Chance ergriffen werden! Alles andere wäre grober Unfug.


    Deshalb kann ich nur sagen: Weiter so!!! :yes: Immerhin hat der zuständige EU-Kommissar beteuert, dass er nie und nimmer an großverdienende Stars des Musikbusiness gedacht hat, sondern ausschließlich um den kleinen Orchester- oder Bandmusiker besorgt ist, der eben mit 68 im Armenhaus enden muss, wenn er nicht weiter Tantiemen erhält, die er sowieso nie gesehen hat. :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh


    Immerhin hat der zuständige EU-Kommissar beteuert, dass er nie und nimmer an großverdienende Stars des Musikbusiness gedacht hat, sondern ausschließlich um den kleinen Orchester- oder Bandmusiker besorgt ist, der eben mit 78 im Armenhaus enden muss, wenn er nicht weiter Tantiemen erhält, die er sowieso nie gesehen hat.


    He, gebt dem Ehrenmann sogleich
    nur siebenundsiebenzig Sohlenstreich!


    Hinterher dann natürlich geköpft und gehangen...



    Oder will man uns zu Schellack-Hamsterkäufen veranlassen?


    :boese2: >>> :angry: >>> :motz:



    LG


    Waldi

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  • Dann kaufen wir eben wie früher wieder Aufnahmen des "grauen Marktes" unterm Ladentisch. Wird halt nur teurer. Wobei ich davon ausgehe, dass die Regelung nur ex nunc gelten soll.

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Oder will man uns zu Schellack-Hamsterkäufen veranlassen?


    Lieber Waldi, sei gewiss, solcherart Unbotmäßig- und Nickeligkeiten wird man obrigkeitlicherseits schon zu begegnen wissen! Und wenn es nur unter Androhung der sich umgekehrt gegen den Schellack-Hamster richtenden Bastonade geht ... :D :yes:


    Ich wundere mich sowieso, dass noch niemand wirkungsvoll gegen diesen unsäglichen Gebraucht-CD-Markt vorgeht. Eine gesonderte Verbrauchssteuer auf jeden Gebraucht-CD-Kauf könnte doch in wunderbarer Weise "der Tonträgerindustrie helfen, sich an das Internet-Zeitalter anzupassen" und ihre "Investitionen in neue Talente aufrecht zu erhalten" (-> klassik.com-Artikel vom 18.07.2008 ).


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh
    Also, das ist ein Vorhaben, das ich in jeder Hinsicht unterstütze. :jubel::yes::D Immerhin leben eine kleine feine, aber doch beachtenswerte Zahl von Musikern davon, dass sie für die CDs, die sie eingespielt haben, Tantiemen bekommen. ?(
    ...
    Deshalb kann ich nur sagen: Weiter so!!! :yes: Immerhin hat der zuständige EU-Kommissar beteuert, dass er nie und nimmer an großverdienende Stars des Musikbusiness gedacht hat, sondern ausschließlich um den kleinen Orchester- oder Bandmusiker besorgt ist, der eben mit 68 im Armenhaus enden muss, wenn er nicht weiter Tantiemen erhält, die er sowieso nie gesehen hat. :hahahaha::hahahaha::hahahaha:


    Liebe Grüße, Ulrich


    Lieber Ulrich,


    :D :jubel: :hahahaha:


    Deinem Plädoyer kann ich mich nur vorbehaltlos anschließen. Ich finde es ja auch unverschämt, dass Heintje plötzlich nichts mehr kriegen soll, obwohl er gerade erst das Rentenalter erreicht. Man darf dann allerdings nicht vergessen, die Rasterfahndung dann auch auf diejenigen auszudehnen, die sich schon viele Aufnahmen von Walhalla, Line u.a. zugelegt haben und dann natürlich nachlöhnen müssen. Bei den Firmen geht das nämlich dann nicht mehr, denn die sind schon vor der Gültigkeit des Gesetzes pleite und vom Markt verschwunden. Das ex nunc kann man bekanntlich ganz leicht dadurch vermeiden, dass man kein neues Gesetz schafft, sondern eine Dienstanweisung zur Neuinterpretation der alten Schutzgrenze nachschiebt, etwa dahingehend, dass diese künftig nicht ab der ersten, sondern erst ab der letzten Herausbringung einer Scheibe gilt. :wacky:


    Auf eine Künstlersozialabgabe auf den Handel mit gebrauchten Scheiben warte ich eh schon lange. Wir Deutsche werden dann so lange das Gesetz blockieren, bis eine Möglichkeit geschaffen ist, eventuelle Knacker und Störungen nachzuprüfen und den Sozialabgabesatz entsprechend zu mindern. Damit schaffen wir viele arbeitslose Orchestermusiker von der Bildfläche, die von dieser Abgabe bezahlt werden und so dem Staat Arbeitslosengeld und Hartz IV - Zahlungen ersparen - vorausgesetzt, die zusätzlichen Einnahmen gehen nicht schon für die Pensionen der profilsüchtigen Eurotiker und ihrer im Elfenbeinturm darbenden Entwurfsdiarrhoetiker drauf.


    Im übrigen bin ich der Meinung, dass in der Konsequenz künftig nur noch Intendanten und Verwaltungspersonal entlohnt werden sollten. Die Ausübenden haben ja ihre Tantiemen kriegen bei Bedarf nachgewiesenem Bedarf (also natürlich erst, wenn sie ihre Autos, Versicherungen, Eigentumswohnungen und Plattensammlungen verkauft haben) pro Probe und Aufführung einen Essensgutschein für die örtliche Tafel. Dann haben die endlosen Klagen über die teuren Opernhäuser und Orchester auch ein Ende, und wir können endlich wahre Begeisterung für die Musik bei denen festmachen, die trotzdem noch musizieren. Verhungern können sie ja künftig auch im hohen Alter nicht mehr, und für das übrige Leben sollten die dicken Einnahmen reichen, den sie aus den Tantiemen ihrer fortan nicht mehr veraltenden Leistungsschutzrechte schlagen - vorausgesetzt natürlich, sie melden ihre Ansprüche in mehrfacher Ausführung bei ihrer jeweiligen Leistungsschutzgesellschaft an, und der bleibt bei dem vielen Verwaltungsarbeit noch etwas zum Ausschütten übrig.


    Im Ernst: natürlich geht es ausschließlich um die Bedürfnisse der darbenden Tonträgerindustrie und ihrer Muttermultis. Wieviele ausführende Künstler gibt es schon, die überhaupt, geschweige denn so lange, über das ihnen bezahlte Garantiehonorar hinaus Zahlungen erhalten? Die Musiker sollten sich übrigens als erste gegen diesen Unsinn wehren, denn warum sollten Firmen, die problemlos von der Verwaltung ihrer Uraltaufnahmen leben können, überhaupt noch Neuaufnahmen mit ihnen machen, bis wenigstens der handliche Minichip mit lebensechter 3D-Bild- und Tonwiedergabe erfunden ist, für die dann natürlich nur noch Sänger/Innen und Interpreten mit makelloser Model-Erscheinung engagiert werden? Die muss man dann allerdings wirklich konservieren, denn haltbar sind diese Erscheinungen ja nur höchst selten.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Interessant finde ich aber die Klausel "wenn kein kommerzielles Interesse besteht". Soll das heißen, daß die Recht verfallen, wenn z.B. eine Aufnahme nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird?


    Also, wenn Plattenfirmen ihre Backkataloge nicht auf dem Markt verfügbar machen, weil sie zur Zeit nicht als kommerziell verwertbar erscheinen, und Radioarchive ihre Schätze weiterhin unveröffentlicht horten, dann verliehren sie ihre eigentumsrechtlich geschützten Verwertungsrechte? Das wäre ja schön, aber ich fürchte, dass Gegenteil ist der Fall. Wenn keine Rechte zur eventuellen kommerziellen Nutzung mehr geltend gemacht werden, werden die Werke oder Aufnahmen auch vor den 95 Jahren zu Commons. Zwar kann dann eine solche Komposition jeder, ohne Tantiemen zu zahlen, aufnehmen, die Tantiemen für diese Aufnahme gehen dann aber voll an ihn, für 95 statt 50 Jahre. Oder: eine ungeschützte, gemeinfreie Einzelaufnahme kann zwar jeder weiterverbreiten, eine bestimmte Compilation aus solchen Werken unterliegt aber wieder dem Schutz.
    Das wäre also nicht anders, als bisher, bloß, dass eben die Leistungsschutzrechte verlängert sind, faktisch ungenutzte Hortungen noch länger möglich sind.


    Interessant wird aber, wie die Klausel "wenn kein kommerzielles Interesse besteht" genauer ausgestaltet wird. Wird hier etwa erleichtert, dies festzustellen? Dann wäre sogar gerade die private Aneignung von Commons erleichtert. Ich bin aber kein Jurist und hier wäre es sicher interessant, einen Spezialisten für diese Fragen zu hören.


    M.E. muß man wohl diesen ganzen Vorstoß im Kontext des tendenziellen Übergangs vom Handel mit konkreten Gütern zum Handel mit Lizenzen und Verwertungsrechten sehen, von dem etwa Jeremy Rifkin schon vor einigen Jahren sprach, und im technischen Kontext von gegen Bezahlung Downloaden statt Trägermedien kaufen usw. Kurz, es geht vor allem um Verbesserung der Schutzrechte für Oligopolisten.


    Ansonsten sehe ich es auch so, wie JR.


    Doch auch die bestehende Regelung hat ihre problematische Zweischneidigkeit: Zur Zeit sind im Jazz-Bereich immer weniger Original-CDs, die älter, als 50 Jahre sind, verfügbar. Die Majors horten ihre Backkataloge erst recht, da lauter Billig-Compilations auf den Markt geworfen werden, die aber auch nach 50 Jahren nicht die identische Zusammenstellung mit identischer Ausstattung (Booklet etc.) reproduzieren dürfen. Da heißt, die Original-CD ist nicht mehr verfügbar, weil durch Billigkonkurrenz nicht mehr renditeträchtig genug erscheinend, Abzüge vom Masterband (in womöglich verbesserter Tonqualität mit zusätzlich unveröffentlichten, oder nur gekürzt veröffentlichten, nur auf dem Masterband befindlichen Stücken) erscheinen seltener, denn das Masterband ist ja Privatbesitz ohne Zeitlimit. Weiter hat es jetzt schon zur Folge, dass ich z. B. auf 100 unterschiedlichen Billig-Compilations von Charlie Parker zum großen Teil immer wieder die selben Stücke und Aufnahmen finde, die besondes bekannt sind und als popuär gelten, andere Stücke und Aufnahmen aber gar nicht mehr zu bekommen sind.
    Andererseits führt diese BilligKonkurrenz verstärkt dazu, dass inzwischen von bekannteren Künstlern und Aufnahmen regelmäßig zumeist schon einige Zeit vor Ablauf der 50-Jahre-Grenze erweiterte De-Luxe-Boxen mit erheblich mehr unveröffentlichtem Material von den Original-Bändern herausgebracht werden. Diese neue Komplettaufnahme ist dann wieder zumindest bei den Kennern und Fans konkurrenzfähig und vor allem wieder 50, bzw 95 Jahre geschützt. Die Erben Charlie Parkers sehen jetzt davon aber gar nichts mehr. Von Kim Parker, übrigens selbst eine ausgezeichnete, leider fast völlig unbekannte Sängerin, weiß ich, dass sie sowieso auch bislang alles andere, als reich geworden sind: Die Erben Charlie Parkers!


    Da werden die kleinen Orchester- oder Bandmusiker wirklich jubeln, dass man so besorgt um sie ist.


    :hello: Matthias

  • Zitat

    Original von musicophil
    Kann dieser Beitrag nicht besser nach diesem Thread verschoben werden?
    Darüber wird dort ausgebreitet diskutiert.


    LG, Paul


    Lieber Paul,


    das sehe ich ausnahmsweise nicht so wie Du, denn dieser Thread ist öffentlich und sollte es auch bleiben.


    :hello: J. R. II

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  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Im übrigen bin ich der Meinung, dass in der Konsequenz künftig nur noch Intendanten und Verwaltungspersonal entlohnt werden sollten. Die Ausübenden haben ja ihre Tantiemen kriegen bei Bedarf nachgewiesenem Bedarf (also natürlich erst, wenn sie ihre Autos, Versicherungen, Eigentumswohnungen und Plattensammlungen verkauft haben) pro Probe und Aufführung einen Essensgutschein für die örtliche Tafel. Dann haben die endlosen Klagen über die teuren Opernhäuser und Orchester auch ein Ende, und wir können endlich wahre Begeisterung für die Musik bei denen festmachen, die trotzdem noch musizieren.


    Cher Jacques,


    :hahahaha: :jubel:
    das finde ich mal ein wirklich kreatives Modell, quasi die globale Problemlösung für alle städtischen Kulturetats. Bravo. Bravissimo!


    Zur weiteren Info:
    Heise.online verweist zu dem Thema auf die Pressemitteilung IP/08/1156 der EU-Kommission vom 16.07.2008, die sich hier findet: hatetepe://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/08/1156&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en


    Hintergrundinformationen hat die EU dann hier mitgeteilt: hatetepe://ec.europa.eu/internal_market/copyright/term-protection/term-protection_de.htm . Daraus ergibt sich für die kommerzielle Geltendmachung der Schutzrechte folgende Aussage: "Die 'Gebrauch-es-oder-verlier-es' Klausel, die jetzt in die Verträge zwischen Künstlern und Plattenfirmen aufgenommen werden müssen, ermöglicht, dass Künstler ihre Rechte zurückfordern können, wenn der Hersteller die Aufnahme in der erweiterten Schutzfrist nicht weiter vermarktet. Auf diese Weise wird der Künstler entweder eine andere Plattenfirma finden oder seine Musik selbst verkaufen - insbesondere im Internet. Falls weder der Künstler noch der Produzent die Aufnahme vermarkten, wird die Aufnahme nicht weiter geschützt. Auf diese Weise versucht der Vorschlag zu verhindern, dass kommerziell weniger attraktives Repertoire, das gleichwohl eine kulturelle Bedeutung hat, ungenutzt in den Archiven der Plattenfirmen verbleibt."


    Danach soll es also - nach Ablauf der ersten 50 Jahre - auf die tatsächliche Vermarktung der Aufnahme ankommen.


    Aber Charlie McCreevy hat ja schon vieles erzählt, und wie das dann im endgültigen Verordnungstext aussieht und auszulegen ist, wird sich erst noch zeigen - müßig wäre es, jetzt schon Spekulationen über diesen Punkt anzustellen.


    Zum Thema "Geltung ex nunc": Darin würde ich einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz vermuten. Ex nunc zwar insoweit, als die Verwertungsstücke Dritter aus zwischenzeitlich bereits freigewordenen Aufnahmen sicher noch weiterverbreitet werden dürfen, soweit sie bereits hergestellt sind. Aber ich sehe nicht den sachlichen Gesichtspunkt, aus dem heraus Aufnahmen einer Übergangszeit, für die der Gesetzgeber schlicht geschlafen hat, anders behandelt werden sollten, als solche Aufnahmen, die nach der Rechtsänderung nicht mehr frei sind. Von daher gehe ich eher von einer Wirkung ex tunc aus.


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh


    Hintergrundinformationen hat die EU dann hier mitgeteilt: hatetepe://ec.europa.eu/internal_market/copyright/term-protection/term-protection_de.htm . Daraus ergibt sich für die kommerzielle Geltendmachung der Schutzrechte folgende Aussage: "Die 'Gebrauch-es-oder-verlier-es' Klausel, die jetzt in die Verträge zwischen Künstlern und Plattenfirmen aufgenommen werden müssen, ermöglicht, dass Künstler ihre Rechte zurückfordern können, wenn der Hersteller die Aufnahme in der erweiterten Schutzfrist nicht weiter vermarktet. Auf diese Weise wird der Künstler entweder eine andere Plattenfirma finden oder seine Musik selbst verkaufen - insbesondere im Internet. Falls weder der Künstler noch der Produzent die Aufnahme vermarkten, wird die Aufnahme nicht weiter geschützt. Auf diese Weise versucht der Vorschlag zu verhindern, dass kommerziell weniger attraktives Repertoire, das gleichwohl eine kulturelle Bedeutung hat, ungenutzt in den Archiven der Plattenfirmen verbleibt."


    Danach soll es also - nach Ablauf der ersten 50 Jahre - auf die tatsächliche Vermarktung der Aufnahme ankommen.


    Da bin ich mal gespannt, wie die Erbengemeinschaften der Callas und Bernsteins die Scala-MEDEA in Abstimmung mit den dortigen Chor- und Orchestergewerkschaften im Internet verwerten wollen.


    Hier wird doch eindeutig, dass da nur an Solokünstler aus dem Popbereich gedacht wurde - und natürlich an die Plattenfirmen. Das sind doch nur nachgeschobene und völlig undurchdachte Rückzugsmanöver nach den ersten massiven Protesten.


    Aber vielleicht glauben die zuständigen Eurotiker ja auch, dass Elvis immer noch lebt und Schutz braucht.


    Je näher man hinschaut, um so grotesker bis empörender wird das.


    :kotz: Jacques Rideamus

  • Lieber Ulrich,


    ich bin von Haus aus zwar nur Verwaltungsrechtler ( :D ) und habe vom Urheberrecht im Studium allenfalls periphere Kenntnis erlangt. Aber wenn die neue 95-Jahre-Schutzfrist auch ex tunc auf bereits (nach altem Recht) gemeinfreie Aufnahmen angewendet werden würde, dann wäre das m.E. ein Fall der sog. "echten Rückwirkung". Und ich kann ehrlich gesagt keine zwingenden Gründe des Gemeinwohls erkennen, die eine solche Schutzfristerweiterung im nachhinein rechtfertigen würden. Dass die Unterhaltungskonzerne das anders sehen, ist klar. Dann wäre also in Zukunft nach dem Abverkauf aller anderen Editionen beispielsweise nur noch die EMI-Ausgabe der 1953er Callas-Tosca "legal" und die Leute von der Abbey Road könnten in aller Seelenruhe die Preise entsprechend erhöhen. Das ist doch wirklich reine Klientelpolitik. Da hoffe ich dann mal, dass sich die eine oder andere Regierung diesem Kommissionsentwurf entgegenstellen wird.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)



  • Lieber Giselher,


    was heißt hier "nur" Verwaltungsrechtler? ( :D )


    Die Problematik der echten Rückwirkung würde ich genauso sehen wie Du, aber hat das bei der Kommission schon mal jemanden interessiert?


    Ich habe berufsbedingt jedenfalls gelernt, dem, was aus "Brüssel" kommt (Taminas ausgenommen ;) ), große Skepsis entgegenzubringen :untertauch:



    LG, Elisabeth


    auch nur Verwaltungsrechtlerin

  • Zitat

    Original von Elisabeth
    Ich habe berufsbedingt jedenfalls gelernt, dem, was aus "Brüssel" kommt (Taminas ausgenommen ;) ), große Skepsis entgegenzubringen :untertauch:


    Nieder mit "Solange II"! :D


    Zitat

    Original von Elisabeth
    auch nur Verwaltungsrechtlerin


    :lips:


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

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  • Wir alle können nur hoffen, daß dieseOrganisation namens EU ehebaldigst zerschlagen wird, die sich - was ich immer schon vorausgesehen habe zu einer Diktatur übelsten Ausmaßes entwickelt, die Eingriff auf daen Lebenstill aller Nationen nimmt, und radikale Verschlechterungen des Lebensstandards und der Lebensfreude mit sich bringt


    Die Politiker sind allenfalls noch Vasallen der Industrie, für die die Bevölkerung lediglich als Arbeitskraft und kritikloser Konsument eine Rolle spielt. Kranke, Arbeitslose und Alte sind eine lästige Bürde, welcher man sich gerne entledigen würde. Kleinunternehmer werden systematisch durch spezifische Bedingungen, die sie nicht erfüllen können in den Ruin getrieben.
    Hier in Österreich bilden sich bereits Vereinigungen, welche den ehebldigsten Austritt aus der EU fordern. - und sie werden von Tag zu Tag stärker.....


    PS: wer bekiommt schon lebenslang Tantiemen für eine erbrachte Leistung ?
    Aber um das geht es in Wahrheit gar nicht: Die Tonträgerindustrei möchte eigentlich einen EWIGEN Leistungsschutz - und der Künstler ist ihr dabei ziemlich egal. Wer bekäme beispielsweise die Tantiemen für Caruso-Aufnahmen ?


    Am liebsten wäre denen noch dazu, wenn alle 5 Jahre andere Tonträgersysteme auf den Markt kämen (kommen ja - aber setzen sich glücklicherweise nicht durch) damit man seine Sammlung immer wieder von vorne beginnen müsste.


    Als "Gesetzgeber" hätte ich eine teuflische Idee:


    Lesitungschutzrechte 95 Jahre ist ok


    ABER !!! - im Gegenzug dazu


    JEDE Tonaufnahme die länger als drei Jahre vom Markt genommen (gestrichen) wird - soll frei sein für JEDERMANN !!!


    Das würde das willkürliche "Aussterben" von Aufnahmen verhindern.


    Im übrigen sehe ich keinen Vorteil für die Tonträgerindustrie, wenn der Leistungsschutz verlängert würde.
    Unter der Hand würde vermutlich mehr kopiert als je zuvor - uind kaufen würden die alten Aufnahmen auch kaum jemand - Sie begannen erst dann zu boomen, als sie wohlfeil (billig) zu haben waren.


    Ich glaube ohnedies, daß jene Riesenlabels , die derzeit scheinbar gezwungen sind ihre Bestände zu verramschen in zukunft keine allzugroße Rolle mehr im Klassikgeschäft spielen werden.


    Künstler werden Tonstudius mieten - was heuite recht kostengünstig zu realisieren ist - und ihre Produkte entweder im Eigenvertrieb, via Kleinlabels oder via Klassikforen wie beispielsweise unserem vermarkten.


    Natürlich kosten auch diese Vetriebswege Geld - aber das Lesitungschutzrecht verbleibt in solchen fällen in der Tat beim Künstler - und nicht bei der Vertriebsfirma ........


    Die ersten Ansätze sind schon da...


    mfg aus Wien


    Alfred



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Liebe Elisabeth, lieber Giselher,


    finde ich ein richtig gutes Argument. Lehnen wir uns doch mal entspannt zurück und schauen, was da auf uns zukommt.


    Gerade sah ich, die EU registriert jetzt alle Lobbyisten mit Namen, vertretenen Interessen und Geldmengen (?), die dahinter stehen. Da ist ja bestimmt große Ehrlichkeit bei den Auskünften zu erwarten. Und die Damen und Herren der Plattenindustrie stehen ganz sicher als erste Schlange, um bekannt zu geben, dass sie für die Fristverlängerung keinerlei Zahlungen auf den Tisch gelegt haben. :stumm:


    Für Alfreds Vorschlag habe ich allerdings einige Sympathie: Die generelle Bindung der Schutzrechtsinhaberschaft an deren tatsächliche Vermarktung binnen drei Jahren - da würden viele Aufnahmen plötzlich wieder auftauchen, die mir ursprünglich lieb und teuer waren und werden könnten. Ich fürchte nur, der Pferdefuß daran könnte sein, dass die ohnehin eingeschränkte Neuaufnahmefrequenz dadurch noch weiter zurück gehen könnte - ob das, wie manche meinen, sogar wümnschenswert sein könnte, ist allerdings wieder ein ganz anderes Thema.


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Nun ist fast ein Jährchen ins Land gezogen. Weiß jemand, was sich in dieser Sache getan hat? Wurde die eingebrachte Richtlinie mittlerweile schon zum Gesetzt? Oder wird immer noch mit harten Bandagen gekämpft?


    Ich erlaube mir an dieser Stelle außerdem, einen Passus aus dem Vorschlag der EU-Kommission zu zitieren, der speziell den Fall Oper / Operette anspricht:


    "Die Oper „Pelléas et Mélisande” illustriert hervorragend, wie die verschiedenen Berechnungsmethoden für gemeinsam geschriebene Musikkompositionen zu einer unterschiedlichen Schutzdauer in den einzelnen Mitgliedstaaten führen. Debussy, der Komponist, lebte bis 1919, während Maeterlinck, der Librettist, erst viele Jahre später (1946) starb. In Mitgliedstaaten, die eine einheitliche Schutzdauer anwenden (z.B. Frankreich, Portugal, Spanien, Griechenland, Litauen), bleibt die gesamte Oper bis zum Jahr 2016 geschützt (Lebensende des letzten überlebenden Urhebers, Maeterlinck, plus siebzig Jahre). In Ländern dagegen, die Musik und Libretto als zwei unterschiedliche Arbeiten (z.B. Vereinigtes Königreich, Niederlande, Österreich, Polen, Slowenien) oder als zwei Arbeiten betrachten, die getrennt genutzt werden können (z.B., Tschechische Republik, Ungarn, Deutschland), erlöschte die Schutzdauer für die Musik im Jahr 1989, während lediglich der Text (Libretto) bis 2016 geschützt bleibt.


    Weitere Beispiele sind u.a. die Johann Strauss-Operette „der Zigeunerbaron“[20], das Lied „Fascination (Love in the afternoon)“ mit der Musik von Fermo D. Marchetti (Todesjahr 1940) und einem Text von Maurice de Féraudy (Todesjahr 1932) oder das Lied „When Irish Eyes Are Smiling“ (Musik: Ernest R. Ball (Todesjahr 1927), Text: Chauncey Olcott (Todesjahr 1932) und George Graff, Jr. (Todesjahr 1973)"."


    Den kompletten Text gibt es unter "http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:52008PC0464:DE:NOT".


    Best, DiO :beatnik:

  • Hallo Alfred,


    Der Vorschlag ist garnicht schlecht!
    Ich denke aber, dass 3 Jahre etwas zu kurz sind - sagen wir 10 - ich denke, spätestens dann, sollte wiederaufgelegt werden!


    Persönlich finde ich es auch eine Frechheit und ein Graus, dass so extrem viele Musikschätze einfach nicht mehr greifbar sind und damit in irgendwelchen CD-Archiven verstauben, während sich Andere die Finger danach lecken!


    LG
    Raphael

  • Bezogen auf die USA habe ich einen interessanten Artikel gefunden. Ziemlich heftig fand ich folgenden Passus:


    "The bottom line, then ,is that all recordings made in the U.S.from the dawn of commercial recording (c.1890) are covered until 2067, either by state (pre-1972) or federal (1972-on) law."


    Vor 2067 nichts Public Domain??? Da sind wir ja in Deutschland ziemlich gut bedient ...


    Best, DiO :beatnik:

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