Die Genialität des Balladenkomponisten Loewe ist mir jüngst auf beeindruckende Weise wieder einmal bewusst geworden, - als ich die Vertonung der Goethe-Ballade „Der Zauberlehrling“ durch den Pianisten und Liedbegleiter Michael Gees in der Interpretation durch Christoph Prégardien hörte. Ich kannte sie nicht, war höchst neugierig darauf, hörte gespannt und aufmerksam zu, - und blieb danach ratlos zurück. Der erste klare Gedanke, der sich danach einstellte, war: Im Gegensatz zu der Vertonung durch Carl Loewe ist hier der Geist der Ballade in keiner Weise getroffen.
Sie ist ja eigentlich schwer zu vertonen: In der Kombination aus den metrisch strengen drei- und vierhebigen Trochäen der direkten Ansprache und dem fließenden Rhythmus der Beschwörungsformeln. Schwer auch wegen der mehr und mehr sich entfaltenden Hektik und Atemlosigkeit des Geschehens, das von der Musik irgendwie eingefangen werden muss. Es ist immerhin auffällig, dass diese Ballade vergleichsweise wenige Vertoner gefunden hat: Neben Loewe und eben Michael Gees konnte ich nur noch Zelter und Zumsteeg ausfindig machen. Die großen Lied- und Balladenkomponisten Schubert, Schumann und Hugo Wolf haben sie gemieden.
Loewe gelingt es auf durchaus überzeugende Weise, das Geschehen und die sprachliche Gestalt, in der es sich artikuliert, in Musik zu fassen, wobei es gerade die Rasanz, ja die Atemlosigkeit in Melodik und begleitendem Klaviersatzes sind, die so überzeugend wirken. Er operiert mit zwei Tonarten: Dem C-Dur, das für die reale Welt, und dem Des-Dur, das für das Zaubergeschehen steht. Und was wichtig für die innere Einheit der Balle ist: Er arbeitet mit wiederkehrenden melodischen Motiven. Da ist die in raschen Schritten steigende, fallende, wieder steigende und schließlich auf den letzten beiden Versen zu einer Art konstatierenden vorläufigen Ruhe kommende melodische Linie, die auf den Hauptstrophen liegt. Und da ist die Melodik der Beschwörung, die aus permanent sich wiederholenden Fallbewegungen besteht und am Ende in ein insistierendes Deklamieren auf einer tonalen Ebene mündet. Und schließlich ist da noch der überaus markante und deutlich von der Hektik der vorangehenden Melodik abgesetzte, fast schon pastoral wirkende Ton, in dem Meister spricht.
Gelingt es Loewe, auf gleichsam in Bann schlagende Weise den hektischen Lauf des Besens und die wachsende Angst des Zauberlehrlings musikalisch zu imaginieren – das ist eben seine große Stärke - , so ist Michael Gees mit seiner Komposition meilenweit davon entfernt geblieben. Sie wirkt im Vergleich zu der Loewes fast beschaulich, ja sogar auf wunderliche Weise monoton. Man vernimmt sie als eine Art additive Aneinanderreihung von melodischen Einzelaussagen, in denen es zwar gleichsam Binnensteigerungen der Expressivität gibt, die aber in ihrer Aufeinanderfolge gerade nicht die permanent sich aufbauende Steigerung der Hektik, der Erregung und der schließlich in Panik mündenden Angst musikalisch zu imaginieren vermögen, die der Balladentext eigentlich fordert.
Eine eigentümliche Monotonie zeichnet die Melodik aus, der ein im Viervierteltakt rhythmisierter Klaviersatz zugrunde liegt, der auch die immer gleichen klanglichen Figuren aufweist. In der melodischen Linie wiederholen sich auf fast schon penetrant wirkende Weise immer wieder identische Sprung- und Fallbewegungen, wobei sich nur die tonale Ebene der Deklamation und die Harmonisierung verändern, nicht aber die Struktur der Bewegung selbst. Und was regelrecht nervt, das ist, dass den Sprungbewegungen häufig das gleiche Intervall, eine Quart nämlich, zugrundeliegt.
Und dann sind da noch die theatralischen Komponenten, die der Komposition den Anflug von schierer Effekthascherei verleihen. Dort, wo es „dramatisch“ wird, greift Gees zum Mittel der Wiederholung. Da hört man schon einmal: „Will ihn fassen“ zweimal, „Helft mir, ihr hohen Mächte“ oder „hört mich rufen“ mehrfach. Und wenn der „alte Meister kommt“, fängt der Lehrling regelrecht an zu stottern. Der Meister selbst benutzt – und das ist besonders bemerkenswert – die gleichen melodischen Figuren wie der Lehrling, - nur dass er ruhiger deklamiert. Und was – im Unterschied zu Loewe – besonders auffällt, das ist das Fehlen einer Umsetzung der lyrisch-sprachlichen Aussage in Musik. Bei den Worten „Verruchter Besen“ zum Beispiel ist dieser expressive Ton des Fluches in keiner Weise zu vernehmen. Es geht immer so weiter in der permanenten Abfolge gleicher melodischer Figuren.