Lieblingsgedichte

  • Aus dem "Rilke-Projekt" von Schönherz und Fleer


    Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
    Sie sprechen alles so deutlich aus:
    Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
    und hier ist Beginn und das Ende ist dort.


    Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
    sie wissen alles, was wird und war;
    kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
    ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.


    Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
    Die Dinge singen hör ich so gern.
    Ihr rührt sie an: sie sind starrr und stumm.
    Ihr bringt mir alle die Dinge um.



    Rainer Maria Rilke

  • Aus dem Rilke-Projekt



    Welche Wiesen duften deine Hände?
    Fühlst du wie auf deine Widerstände
    stärker sich der Duft von draußen stützt.
    Drüber stehn die Sterne schon in Bildern.
    Gib mir, Liebe, deinen Mund zu mildern;
    ach, dein ganzes Haar ist unbenützt.


    Sieh, ich will dich mit dir selbst umgeben
    und die welkende Erwartung heben
    von dem Rande deiner Augenbraun;
    wie mit lauter Liderinnenseiten
    will ich dir mit meinen Zärtlichkeiten
    alle Stellen schließen, welche schaun.



    Rainer Maria Rilke

  • Zum Einschlafen zu sagen



    Ich möchte jemanden einsingen,
    bei jemanden sitzen und sein.
    Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
    und begleiten schlafaus und schlafein.
    Ich möchte der Einzige sein im Haus,
    der wüßte: die Nacht war kalt.
    Und möchte horchen herein und hinaus
    in dich, in die Welt, in den Wald.
    Die Uhren rufen sich schlagend an,
    und man sieht der Zeit auf den Grund.
    Und unten geht noch ein fremder Mann
    und stört einen fremden Hund.
    Dahinter wird Stille. Ich habe groß
    die Augen auf dich gelegt;
    und sie halten dich sanft und lassen dich los,
    wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.



    Rainer Maria Rilke

  • Die Nixe Binsefuss ist von Hugo Wolf kongenial vertont worden. :jubel:


    Ich gebe euch mal ein Gedichträtsel auf, das ich bei einer Dame, die sich selbst für eine grosse Dichterin hielt gefunden habe:


    Nur ich die schier wie Verfluchte
    Ich, Feenkönigin
    Ich find nie das Gesuchte,
    nie den verwandten Sinn.


    Umsonst verschied'ner Malen
    Stieg ich vom Lilienthron,
    Es währte mein Gefallen
    Nie lang am Erdensohn.


    In üpp'gen Sommernächten
    Bei schwülem Vollmondschein
    Dacht oft: jetzt hab ich den Rechten!
    Und wollte schon mich freun.


    Doch immer im Morgengrauen
    An's Herz gedrückt noch warm
    Musst mit entsetzen ich schauen
    Den Eselskopf im Arm!


    Nun wand'l ich einsamen Pfades
    Schon manches lange Jahr;
    Es weilt nciht einmal im Hades
    Einer, der mir was war!

  • Lieber Jacques, hier gibt es nun schon zwei Feenköniginnen-Spezies, die sich mit dichtenden Damen auskennen, aber noch nicht Alles verraten wollten.
    Peter hat die Lösung auch schon bei mir eingereicht-war wohl zu leicht....... :wacky:


    Oder: bravo! :jubel:


    Fairy Queen, die DAS nciht fabriziert hat!!!!!!!!

  • Ich hab ihn im Schlafe zu sehen gemeint,
    noch sträubt vor Entsetzen mein Haar sich empor,
    o hätt ich doch schlaflos die Nacht durchweint,
    wie manche der Nächte zuvor!


    Ich sah ihn verstört, zerrissen und bleich,
    wie er in den Sand zu schreiben schien,
    er schrieb unsre Namen, ich kannt es gleich,
    da hab ich wohl laut geschrien.


    Er fuhr zusammen, vom Schrei erschreckt
    und blickte mich an verstummt wie das Grab,
    ich hielt ihm die Arme entgegen gestreckt,
    und er, er wandte sich ab.


    Adalbert von Chamisso

  • Mir fällt gerade auf:
    Ich hatte mein Rätsel noch gar nciht offiziell aufgelöst.
    Peter und J.R. haben es sofort erraten: das Titania Gedicht stammte von Kaiserin Elisabeth von Österricht und Königin von Ungarn(Sissy), die sich selbst als die Königin der Feen und als eine grosse Dichterin sah. Ihre zahllosen Gedichte - angeblich in Heines Nachfolge und teilweise von ihm selbst in spiritistischem Kontakt in die Feder diktiert-hat sie in einem Safe in der Schweiz hinterlegt.
    Sie waren laut Testament für die "Zukunftsseelen" bestimmt und durften erst 1950 geöffnet werden. Viele Gedcihte sind politischen und satirischen Inhalts und enthalten scharfe Kritik an Mitgliedern des Habsburger Herrscherhause und des Wiener Adels.
    Die Kaiserin war politisch eine entschiedene Gegnerin ihres eigenen Ehemannes und hatte eine dezidiert republikanisch-liberale Gesinnung.


    Persönlich muss sie allen Zeugnissen zufolge eine hochneurotische Person gewesen sein.
    Magersüchtig, depressiv, eine ewig Reisende ohne Halt und Ziel, sich selbst mit endlosen sportlichen Extremaktivitäten quälend.
    Die in den Sissy-Filme romantisierte Liebesehe währte nur sehr kurz und wurde dann zur lebenslangen einseitigen Werbung und Anbetung Franz-Josephs für seine Frau, die als die damals schönste Frau der Welt galt.
    Elisabeth war nur noch serh selten mit ihrem Ehemann zusammen und sorgte sogar eigenhändig für Ersatz, in dem sie ihm eine Bezeihung zu der Schauspielerin Katharina Schratt legal ermöglichte(sie ermutigte ihn nachdrücklich und zeigte sich regelmÂssig mit dem Paar und bot damit allen Gerüchten Einhalt) und sogar über ihren Tod hinaus, eine Wiederverheiratung des Kaisers mit der Schratt favorisierte.
    Liebhaber sind nicht bekannt, die engen Freundschaft mit dem Minister Gyula Andrassy oder ihrem Reitlehrer Bay Middleton waren allen Zeugnissen nach "nciht ehewidrig".


    Das eingestellte Gedicht könnte also durchaus als eine Art Programm gesehen werden. La belle dame sans merci.
    Zur literarischen Qualität- von wegen Heine- sage ich ncihts weiter, das soll jeder selbst beurteilen.


    Fairy Queen

  • Bitte



    Weil' auf mir, du dunkles Auge,
    Übe deine ganze Macht,
    Ernste, milde träumerische,
    Unergründlich süße Nacht!


    Nimm mit deinem Zauberdunkel
    Diese Welt von hinnen mir,
    Dass du über meinem Leben
    Einsam schwebest für und für.


    Nikolaus Lenau

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  • Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,
    wie dein Atem noch den Raum vermehrt.
    Im Gebälk der finstern Glockenstühle
    laß dich läuten. Das, was an dir zehrt,


    wird ein Starkes über dieser Nahrung.
    Geh in der Verwandlung aus und ein.
    Was ist deine leidendste Erfahrung?
    Ist dir Trinken bitter, werde Wein.


    Sei in dieser Nacht aus Übermaß
    Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,
    ihrer seltsamen Begegnung Sinn.


    Und wenn dich das Irdische vergaß,
    zu der stillen Erde sag: Ich rinne.
    Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.

  • Weniger ein Lieblingsgedicht als ein Schmunzelstück wegen der Aktualität:


    Kurt Tucholsky schrieb schon 1930 in der „Weltbühne“ folgendes:


    Wenn die Börsenkurse fallen,
    regt sich Kummer fast bei allen,
    aber manche blühen auf,
    ihr Rezept heißt Leerverkauf.


    Keck verhökern diese Knaben
    Dinge, die sie gar nicht haben,
    treten selbst den Absturz los,
    den sie brauchen – echt famos!


    Leichter noch bei solchen Taten
    Tun sie sich mit Derivaten:
    Wenn Papier den Wert frisiert
    Wird die Wirkung potenziert.


    Wenn in Folge Banken krachen,
    haben Sparer nichts zu lachen,
    und die Hypothek aufs Haus
    heißt, Bewohner müssen raus.


    Trifft´s hingegen große Banken,
    kommt die ganze Welt ins Wanken –
    auch die Spekulantenbrut
    zittert jetzt um Hab und Gut!


    Soll man das System gefährden?
    Da muß eingeschritten werden:
    Der Gewinn, der bleibt privat,
    die Verluste kauft der Staat.


    Dazu braucht der Staat Kredite
    Und das bringt erneut Profite,
    hat man doch in jenem Land
    die Regierung in der Hand.


    Für die Zechen dieser Frechen
    Hat der Kleine Mann zu blechen
    Und – das ist das Feine ja –
    Nicht nur in Amerika!


    Und wenn Kurse wieder steigen,
    fängt von vorne an der Reigen –
    ist halt Umverteilung pur
    stets in eine Richtung nur.


    Aber sollten sich die Massen
    Das mal nimmer bieten lassen,
    ist der Ausweg längst bedacht:
    Dann wird bisschen Krieg gemacht.

  • Eine Reminiszenz an den Hugo Wolf -Thread:


    Nachtzauber


    Hörst du nicht die Quellen gehen
    zwischen Stein und Blumen weit
    nach den stillen Waldesseen,
    wo die Marmorbilder stehen
    in der schönen Einsamkeit?


    Von den Bergen sacht hernieder,
    weckend die uralten Lieder,
    steigt die wunderbare Nacht,
    und die Gründe glänzen wieder,
    wie du's oft im Traum gedacht.


    Kennst die Blume du, entsprossen
    in dem mondbeglänzten Grund
    Aus der Knospe, halb erschlossen,
    junge Glieder blühendsprossen,
    weiße Arme, roter Mund,
    und die Nachtigallen schlagen
    und rings hebt es an zu klagen,
    ach, vor Liebe todeswund,
    von versunk'nen schönen Tagen -
    komm, o komm zum stillen Grund!
    Komm! Komm!


    (J.Eichendorff)

  • Palmström steht an einem Teiche
    und entfaltet groß ein rotes Taschentuch:
    Auf dem Tuch ist eine Eiche
    dargestellt, sowie ein Mensch mit einem Buch.



    Palmström wagt nicht sich hineinzuschneuzen -
    er gehört zu jenen Käuzen,
    die oft unvermittelt-nackt
    Ehrfurcht vor dem Schönen packt.



    Zärtlich faltet er zusammen,
    was er eben erst entbreitet.
    Und kein Fühlender wird ihn verdammen,
    weil er ungeschneuzt entschreitet.


    (Christian Morgenstern: Palmström)

  • Worte! Worte! keine Taten!
    Niemals Fleisch, geliebte Puppe,
    Immer Geist und keinen Braten,
    Keine Knödel in der Suppe!


    Doch vielleicht ist dir zuträglich
    Nicht die wilde Lendenkraft,
    Welche galoppieret täglich
    Auf dem Roß der Leidenschaft.


    Ja, ich fürchte fast, es riebe,
    Zartes Kind, dich endlich auf
    Jene wilde Jagd der Liebe,
    Amors Steeple-chase-Wettlauf.


    Viel gesünder, glaub ich schier,
    Ist für dich ein kranker Mann
    Als Liebhaber, der gleich mir
    Kaum ein Glied bewegen kann.


    Deshalb unsrem Herzensbund,
    Liebste, widme deine Triebe;
    Solches ist dir sehr gesund,
    Eine Art Gesundheitsliebe.


    Henirch Heine


    Hatte doch nichts mit den Deutschen zu tun,da hab ich wohl etwas mit "gedankenreich aber tatenarm" verwechselt. :untertauch:



    P.S. Was dieses viel- seitige "Manner und Frauenleben" angeht, macht es mir den Dcihter im Hinblick auf den Opus 42 keinesfalls sympathischer........ Vieles kann man ja sogar wörtlich übernehmen.
    Man braucht wohl einfach den historischen Wissenschaftlerblick und die germansitische Abstraktionfähigkeit, um das goutieren zu können..... :wacky:


    Fairy Queen

  • Gustav Sack (1885-1916)



    Das Moor



    Oh du Geliebte, wenn ich je gedächte,
    dich einem Erdendinge zu vergleichen,
    so wählte ich den Berg unzähliger Leichen,
    so wählte ich das Moor und seine Nächte.


    Du schmutziger Knäuel bodenloser Schächte
    verborgen unter sammetseidenweichen
    und tief türkisenblaun Nymphäenteichen -
    daß dich dein eigener Gestank umbrächte!


    Denn arg hast du mein Tölpelherz verführt
    mit deiner glatten Haut Melancholie
    und deinem gramdurchtränkten Liebesschwure


    und mitternachts mir einen Trank gerührt
    aus Kot, Gestank und Teufelspoesie -
    vergib mir! - oh vergib mir, große Hure!

  • Friedrich Schiller



    Der spielende Knabe



    Spiele, Kind, in der Mutter Schoß! Auf der heiligen Insel
    Findet der trübe Gram, findet die Sorge dich nicht,
    Liebend halten die Arme der Mutter dich über dem Abgrund,
    Und in das flutende Grab lächelst du schuldlos hinab.
    Spiele, liebliche Unschuld! Noch ist Arkadien um dich,
    Und die freie Natur folgt nur dem fröhlichen Trieb,
    Noch erschafft sich die üppige Kraft erdichtete Schranken,
    Und dem willigen Mut fehlt noch die Pflicht und der Zweck.
    Spiele, bald wird die Arbeit kommen, die hag're, die ernste,
    Und der gebietenden Pflicht mangeln die Lust und der Mut.

  • Heinrich Heine


    Belsazar


    Die Mitternacht zog näher schon;
    In stummer Ruh' lag Babylon.


    Nur oben in des Königs Schloß
    Da flackert's, da lärmt des Königs Troß


    Dort oben in dem Königssaal,
    Belsazar hielt sein Königsmahl.


    Die Knechte saßen in schimmernden Reih'n,
    Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.


    Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht';
    So klang es dem störrigen Könige recht.


    Des Königs Wangen leuchteten Glut;
    Im Wein erwuchs ihm kecker Muth.


    Und blindlings reißt der Muth ihn fort;
    Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.


    Und er brüstet sich frech, und lästert wild;
    Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.


    Der König rief mit stolzem Blick;
    Der Diener eilt und kehrt zurück.


    Er trug viel gülden Geräth auf dem Haupt;
    Das war aus dem Tempel Jehovahs geraubt.


    Und der König ergriff mit frevler Hand
    Einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand'.


    Und er leert ihn hastig bis auf den Grund,
    Und rufet laut mit schäumendem Mund:


    "Jehovah! dir künd' ich auf ewig Hohn, -
    Ich bin der König von Babylon!"


    Doch kaum dies grause Wort verklang,
    Dem König ward's heimlich im Busen bang.


    Das gellende Lachen verstummte zumal;
    Es wurde leichenstill im Saal.


    Und sieh! und sieh! an weißer Wand
    Da kam's hervor wie Menschenhand;


    Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
    Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand.


    Der König stieren Blicks da saß,
    Mit schlotternden Knien und totenblaß.


    Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
    Und saß gar still, gab keinen Laut.


    Die Magier kamen, doch keiner verstand
    Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.


    Belsazar ward aber in selbiger Nacht
    Von seinen Knechten umgebracht.

  • Joseph von Eichendorff


    Es war, als hätt' der Himmel
    Die Erde still geküßt,
    Daß sie im Blütenschimmer
    Von ihm nur träumen müßt'.


    Die Luft ging durch die Felder,
    Die Ähren wogten sacht,
    Es rauschten leis die Wälder,
    So sternklar war die Nacht.


    Und meine Seele spannte
    Weit ihre Flügel aus,
    Flog durch die stillen Lande,
    Als flöge sie nach Haus.

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  • Lieber SMOB,


    das Werk von Charles Bukowski ist noch copyright-geschützt, deshalb kann der Text hier nicht stehen bleiben.


    Peter

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler



  • :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Fast wie im richtigen Leben, ich betone natürlich FAST...... :stumm:


    Nun, evtl kann ich dem Herrn Chamisso doch noch was abgewinnen, das Gedciht von heute ist ja auch recht hübsch..... :pfeif:

  • Theodor Storm: Abseits (1848 )


    Es ist so still; die Heide liegt
    Im warmen Mittagssonnenstrahle,
    ein rosenroter Schimmer fliegt
    Um ihre alten Gräbermale;
    Die Kräuter blühn; der Heideduft
    Steigt in die blaue Sommerluft.


    Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
    In ihren goldnen Panzerröckchen.
    Die Bienen hängen Zweig um Zweig
    Sich an der Edelheide Glöckchen,
    Die Vögel schwirren aus dem Kraut -
    Die Luft ist voller Lerchenlaut.


    Ein halbverfallen, niedrig Haus
    Steht einsam hier und sonnbeschienen,
    Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
    Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
    Sein Junge auf dem Stein davor
    Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.


    Kaum zittert durch die Mittagsruh
    Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;
    Dem Alten fällt die Wimper zu,
    Er träumt von seinen Honigernten.
    -Kein Klang der aufgeregten Zeit
    Drang noch in diese Einsamkeit.




    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Friedrich Hölderlin



    Hälfte des Lebens


    Mit gelben Birnen hänget
    Und voll mit wilden Rosen
    Das Land in den See,
    Ihr holden Schwäne,
    Und trunken von Küssen
    Tunkt ihr das Haupt
    Ins heilignüchterne Wasser.



    Weh mir, wo nehm' ich, wenn
    Es Winter ist, die Blumen, und wo
    Den Sonnenschein,
    Und Schatten der Erde?
    Die Mauern stehn
    Sprachlos und kalt, im Winde
    Klirren die Fahnen.

  • Das geht so nach dem Motto steter Tropfen höhlt den Stein. Dabei finde ich, daß Re-entry eine überaus geeignete Methode der Belebung unverzichtbaren Kulturguts ist. Deswegen: Die »Hälfte des Lebens« kann man gar nicht oft genug in diesem Thread posten!
    Vielleicht solltest Du das Gedicht einfach im Acht-Wochen-Takt immer mal wieder auf den Plan setzten. Da Du den Text am 5.10.2008 zum letzten mal eingestellt hattest, müßte er Ende Januar 2009 wieder dran sein.


    Ich freu mich jetzt schon drauf!


    Viele Grüße,
    Medard

  • Ja, freu Du Dich, Medard! Selbst ein großer Freund iterierten Wohlgefallens, erinnere ich mich da an ein Histörchen. Peter hat schon anhand unseres Beispielexemplars am Orte die Zitation des Zitats erfolgreich und ausgiebig hier eingeführt: 29. September 2007 und 15. März 2008.


    Dann kam ein gewisser Klawirr daher, und brachte das unschuldige und etwas huschelige kleine Etwas, welches vom Autor überhaupt nur deshalb in gedankenloser Eile zusammengestochert wurde*, weil Wilmans noch einen Bogen in seinem "Taschenbuch für das Jahr 1805" vollkriegen wollte, ein drittes Mal aufs virtuelle Papier (Mai 2008, auf meinen Hinweis dann durch ein anderes Poem ersetzt)!


    Offenbar machen wirklich erst zwei Hälften ein Ganzes. Auf einem Bein kann man nicht stehen, aber mit zweien kann man gleichwohl immer noch ästhetisch auf die Nase fallen.


    Das beste an diesem armen, bis zur Besinnungslosigkeit durchzitierten Gedichtchen finde ich ja, daß kein Schwein sich irgendwas darunter vorstellen können muß, um es genuß- und sinnreich zu zitieren. So, wie Kinder Wörter gebrauchen, deren Verwendungszusammenhang ihnen noch gar nicht annähernd einleuchten kann.


    Und warum nicht? Auch ein von Geburt Blinder kann ja eine Lieblingsfarbe haben...


    Man hofft wohl, etwas von der mutmaßlichen Geistigkeit des herzangelegentlich zitierten großen Autors werde schon auf einen selbst abfallen. Das wäre auch aufs Innigste zu wünschen, nur liegt der Fall so einfach nicht, wie man befürchten muß.


    Ich bin aber doch beruhigt, daß die Halbwertzeit der eigenen Vergehen hier so lange nicht zu dauern scheint.


    Unter dem Arbeitstitel "Die andere Hälfte des Lebens" hat Hölderlin 1817 ein Manuskript an Waiblinger hinterlassen, welches in seiner luziden Publikumsverachtung noch heute zu den gewaltigsten poetologischen Zeugnissen der deutschen Sprachgemeinschaft zu zählen sein dürfte:


    "Die Leute meynen, wen man von Rosen und Früchten und lieblichem Thierzeugs schreibt, sey man gleich ein Litteratus! Die Naren! Erzpoetische Momenten erkenen sie nicht, weils viel zu ser im Eigentlichen wurzelt. Da muß man tapfer sein und mit vestem Griff in die Natur, ein paar Blumen oder weiß der T*** was herausgezogen, und die Leute sind gestimt! Und dann gehe ich hin, und neme irgendwas an Begrifen, was mir gerad zufallt! Schmeise es zusammen und schreibe einen Titel drüber. Huiii! Bin ich Poet? Ich bin´s, mein Freund. Und wenn nicht jezt, dann spater, wenn die Leute traurig sind, daß alles schon so lange her ist... Das ist mein Rezept, und gebe Dir die gute Muse etwas Änliches zu fressen..."



    Schönen Tag noch, Medard!


    Alex.



    *Hierzu verweise ich auf meinen knapp dreihundertseitigen Essay "Hälfte des Hirns", publiziert im Quartalsheft der TübingerTurmGesellschaft 1998/III.

  • Immerhin betrachte ich Medards Einwurf als Einladung, meinerseits ein geliebtes Gedicht von Rilke hier zu doublettieren:


    Herbsttag


    Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
    Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
    und auf den Fluren lass die Winde los.


    Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
    gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
    dränge sie zur Vollendung hin, und jage
    die letzte Süße in den schweren Wein.


    Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
    Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
    wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
    und wird in den Alleen hin und her
    unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:


    Datum des Erstpostings 13.10.2008

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    Ja, freu Du Dich, Medard! Selbst ein großer Freund iterierten Wohlgefallens, erinnere ich mich da an ein Histörchen. Peter hat schon anhand unseres Beispielexemplars am Orte die Zitation des Zitats erfolgreich und ausgiebig hier eingeführt: 29. September 2007 und 15. März 2008.


    Dann kam ein gewisser Klawirr daher, und brachte das unschuldige und etwas huschelige kleine Etwas,


    Na siehste, lieber Graf, auf diese Weise ward es Dir immerhin vergönnt, gemeinsam mit mir auch mal Teil eines Zitierkartells zu sein. Und das ist doch eine schöne Erfahrung, nicht wahr?


    Die früheren Repititionen des Textchens waren mir indes durchaus noch bewußt. Allein, ich fände es eigentlich schöner, wenn die immer selbe Person es ab jetzt übernähme, uns von Zeit zu Zeit an diesen schönen Text zu erinnern.


    Und wenn Du enttäuscht bist, daß Du das Halbzeitsgedicht nicht mehr schröftlich uns zu Gesöchte bringen darfst, dann kannste ja einfach mal wieder Schillers Nänie einstellen - hatten wir ja jetzt ebenfalls schon länger nicht mehr...


    Auch darauf freu' ich mich!


    Viele Grüße,
    Medard

  • :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Ihr seid wirklich als Advocati diabolici in diesem Forum nicht zu überbieten und für mich hat das neben der notwendigen Hirndurchlüftung auch durchaus grossen Unterhaltungswert! :] :untertauch:


    Dennoch eine ganz unspektkuläre und (nicht gewollt aber nciht zu verhindern gewusste) spassverderbende Anmerkung :
    manche Verse kann ich gar nicht oft genug lesen. :yes: :angel:


    Ich nehme an, das geht Diotima genauso......


    F.Q.

  • Ludwig Uhland



    Des Sängers Fluch


    Es stand in alten Zeiten ein Schloß so hoch und hehr,
    Weit glänzt' es über die Lande bis an das blaue Meer,
    Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz,
    Drin sprangen frische Brunnen im Regenbogenglanz.


    Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
    Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
    Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
    Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.


    Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
    Der ein' in goildnen Locken, der andre grau von Haar;
    Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß,
    Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.


    Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit mein Sohn!
    Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton!
    Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!
    Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz."


    Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,
    Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl;
    Der König furchtbar prächtig, wie blut'ger Nordlichtschein,
    Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein.


    Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
    Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll,
    Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
    Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.


    Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit,
    Von Freiheit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit;
    Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,
    Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.


    Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,
    Des Königs trot'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott,
    Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust,
    Sie wirft dem Sänger nieder die Rose von ihrer Brust.


    "Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?"
    Der König schreit es wütend, er, bebt am ganzen Leib,
    Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt,
    Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.


    Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm,
    Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm,
    Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß,
    Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß.


    Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis,
    Da faßt er seine Harfe, sie aller Harfen Preis,
    An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt,
    Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:


    "Weh euch, ihr stolzen Hallen! nie tönte süßer Klang
    Durch eure Räumje wieder, nie Saite noch Gesang,
    Nein! Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt,
    Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!


    Weh euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht!
    Euch zeig ich dieses Toten entstelltes Angesicht,
    Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt,
    Daß ihr in künt'gen Tagen versteint, verödet liegt.


    Weh dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängertums!
    Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhms,
    Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht,
    Sei wie ein letztes Röcheln in leere Luft verhaucht!"


    Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört,
    Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört,
    Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht,
    Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.


    Und rings statt duft'ger Gärten ein ödes Heideland,
    Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand.
    Des Königs Namen meldet kein Liede, kein Heldenbuch;
    Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch.

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