Mozarts Figaro gehört nicht zu meinen Lieblingsopern, mir wird zuviel parliert, zu wenig gesungen. Die Arien sind auch nicht so tiefsinnig, so seelisch fundiert (abgesehen von den eineinhalb Arien der Gräfin) wie etwa bei Cosi fan tutte oder Don Giovanni. Die Oper ist zudem mit gut drei Stunden Spieldauer recht lang. Stefan Herheim hat sie aber ganz gut in den Griff bekommen. Vor allem ab dem 3. Akt führten Bühnenbild (Christof Hetzer), Lichtregie (Andreas Hofer), Kostüme (Gesine Völlm) und die Personenführung durch den Regisseur zu einem poetischen Gesamtbild mit genügend Kraft, um die Handlung in den Hintergrund treten zu lassen. Musik (Ottavio Dantone leitete das Philharmonische Staatsorchester), Bühne und Ensemble verschmolzen zu einer Einheit, wie ich es bisher bei Figaroaufführungen nicht gesehen habe. Der erste und zweite Akt gerieten dagegen eher langweilig. Die Bühne bestand aus einem sich nach hinten verengenden Guckkasten mit sich in der Tiefe (fast) treffenden Notenlinien, was die Sänger im Hintergrund optisch größer werden ließ (Ähnliches hatte bereits das hiesige Aida-Bühnenbild von Johannes Leiacker aufgewiesen). Die Wände und die Decke waren mit weißen Notenblättern bedeckt, die am Ende des zweiten Aktes auf das Ensemble herabsegelten und ein wüstes Papierchaos hinterließen. In der Mitte stand ein großes Bett, welches als Versteck diente, aber aus dem auch der Gärtner Antonio (gut gesungen und gespielt von Franz Mayer) aus dem Unterboden hervorkriechen konnte. Die Kostüme (überwiegend Rokoko) von Figaro (Wilhelm Schwinghammer) und Susanna (Katerina Tretyakova) waren farblich auf die hellen Wände abgestimmt und mit Noten bedruckt. Durch die Einheitsfarbe bei weitgehend allen Beteiligten und nur einem einzigen Requisit (dem Bett) war es schwer, der Handlung (die man natürlich kennt) zu folgen.
Wie wurde gesungen? Nicht schlecht, aber auch nicht wirklich überzeugend. Vor allem die beiden weiblichen Hauptpartien hätten besser sein können. Katerina Tretyakovas heller Sopran wirkte anfangs recht flach, später, in der Rosenarie gelangen ihr auch noch berührendere Töne. Die von neuen Direktion des Hauses engagierte Prima Donna (zwei Premieren, vier weitere Hauptpartien in dieser Saison), die erst 28jährige Julia Maria Dan (in Münchner zuletzt u.a. als Frasquita besetzt), schien mir mit der Gräfin überfordert. Ihre eher dunkel grundierte, tragfähige Stimme klingt durchaus schön, das seelische Befinden der Gräfin vermag sie aber (noch) nicht auszudrücken. Am schönszen sang die als Barbarina eingesetzte Maria Chabounia, sie verfügte über eine weiche, groß aufblühende und modulationsfähige Stimme. Nie habe ich die kleine Nadel-Arie so schön und intensiv gehört wie heute von dieser jungen Sängerin. Gesanglich überdurchschnittlich und dem Niveau des Hauses angemessen sangen Katja Pieweck die Marcellina und Tigran Martirossian den Don Bartolo. Schade, dass Mozart der Marcellina nicht mehr Noten auf die Stimmbänder geschrieben hat. Der Cherubino wurde, ebenfalls schönstimmig, von Dorottya Lang gesungen. Wilhelm Schwinghammer und Kartal Karagedik (Almaviva) zeigten sich spielfreudig mit insgesamt guter gesanglicher Leistung. Für das Vor- und das Nachspiel hatte die Regie sich eine nette Videoüberraschung ausgedacht. Die auf eine Leinwand projizierten Noten des Komponisten verselbständigten sich u.a. zu Strichmenschen, die, über das Blatt laufend, sich einzufangen versuchten. Abschließend bleibt die intensive Ensembleleistung hervorzuhen, für die der Regisseur zu loben ist. Mit gewissen gesanglichen Abstrichen war es ingesamt eine gelungen Aufführung.