Hallo,
1910 komponierte Ferruccio Busoni seine "Fantasia contrappuntistica", in der er versucht hat, für die unvollendete letzte Fuge in Bachs "Kunst der Fuge" eine Ergänzung zu finden.
Der vollständige Titel lautet:
Fantasia contrappuntistica. Choralvariationen über 'Ehre sei Gott in der Höhe', gefolgt von von einer Quadrupelfuge über ein Bachsches Fragment für zwei Klaviere. 1. Choral-Variationen (Einleitung - Choral und Variationen - Übergang), 2. Fuga I, 3. Fuga II, 4. Fuga III, 5. Intermezzo, 6. Variatio I, 7. Variatio II, 8. Variatio III, 9. Cadenza, 10. Fuga IV, 11. Corale, 12. Stretta.
Der Pianist Eduard Erdmann stellte in einer seiner Veröffentlichungen kurz nach Entstehung der FC begeistert fest:
"Zum Schluß Busoni. Er vertritt gewissermaßen den internationalen Künstlertypus. In unserer Zeit ist er der geistvollste Komponist – im abgrenzenden Sinne des Wortes. Nicht in der schöpferischen Erfindungskraft liegt bei ihm der Schwerpunkt, aber in seiner schaffenden Intelligenz, seinem psychischen Sonderleben, seiner klangkombinatorischen Phantasie. Sein stärkstes gibt Busoni in katholischer Mystik, spukhafter Phantastik, resignierender Stille. Er schenkte uns wohl das bedeutendste Werk der modernen Klavierliteratur: die Fantasia contrappuntistica. Dieses Werk muß man kennen… In Busoni verbindet sich die artistisch-koloristische mit der im engeren Sinne expressionistischen Richtung zu einem neuen, lebendigen Ganzen" (Hervorhebung durch Unterstreichung durch mich).
In dem Thread "Bach:Busoni Bearbeitungen" habe ich am 23.12.2005 geschrieben:
Bei Bach/Busoni denke ich zunächst natürlich an Orgel- und Violintranskiptionen. Nicht vergessen sollte man aber auch Busonis Fantasia Contrappuntistica für ein bzw. zwei Klaviere. Das Werk basiert auf der Kunst der Fuge, stellt eine zum Teil recht atonale, für manche vielleicht gewöhnungsbedürftige, gleichwohl eine für meinen Geschmack großartige Auseinandersetzung mit und Vollendung von Bachs Fugenkunst dar. Alfred Brendel hat hierzu angemerkt:
"Man beschäftige sich längere Zeit hindurch mit der 'Fantasia Contrappuntitica', dieser monumentalen Zusammenschmelung von These und Antithese, Kontrapunkt und Phantasie, Bach und Busoni, ungeahnter Verfeinerung des Klavierklangs und barocker Unabhängigkeit von den Klangmitteln - und man wird vielleicht eine neue Sphäre der Instrumentalkunst vor sich ausgebreitet finden."
Recht hat er. Für mich jedenfalls zählt die Fantasia zu den beeindruckendsten Werken für Tasteninstrumente eingangs des 20. Jhdts.
Sehr gut eingespielt wird dieses Werk von Grau/Schumacher oder von Peter Serkin/Schiff (ECM).
Wie steht Ihr zu diesem Werk? Spielt es in Eurer persönlichen Diskographie überhaupt eine Rolle?
Beste Grüße