Was für ein Verhältnis hat eigentlich der Komponist zum Publikum und wie hat sich dieses historisch entwickelt?
Dieser Satz: "Was sitzen sie da wie die vollgefressenen Schweine" stammt von Edward Elgar. Und zwar hatte dieser mit seiner 1. Sinfonie einen großartigen Erfolg gefeiert. Aber als dann die Uraufführung seiner 2. Sinfonie kam, da hatte der gute Elgar wohl die Befürchtung, daß sie durchfallen würde und in der Tat war diese Sinfonie wohl zunächst ein Mißerfolg. Und vor der Uraufführung der 2. Sinfonie fiel von Elgar dann dieser Satz.
Wie hat sich dies aber alles eigentlich entwickelt? Ich habe so ein bißchen den Eindruck, daß die Sitten im Verhältnis von Komponist und Publikum im Verlauf des 19. Jahrhunderts reichlich verwildert sind. Die Uraufführung von Bruckners 3. muß einer Hinrichtung gleich gekommen sein. So wie ich es gelesen habe, war Bruckners 3. im Publikum vor allem auch ein Heiterkeitserfolg.
Wären solche Heiterkeitserfolge zu Zeiten der Wiener Klassik möglich gewesen? Oder war das Publikum zu jener Zeit disziplinierter, so daß zwar vielleicht auch mal ein Werk "durchfiel", aber "Hinrichtungen" doch nicht statt fanden?
Man muß allerdings, wenn man sich über Bruckners Hartnäckigkeit angesichts seiner Mißerfolge wundert, immerhin bedenken: Bruckner schrieb zu einer Zeit als zeitgenössische Musik intensiv wahrgenommen und diskutiert wurde - diesen großen Vorteil hatte der arme Bruckner einem Komponisten aus heutigen Zeiten sicher voraus.
Dann fällt mir in diesem Zusammenhang natürlich noch Schönberg ein. Darüber habe ich gelesen, daß Konzerte des Schönbergkeises irgendwann nur noch "im privaten Kreise" statt fanden. Man gründete sozusagen einen Club und die "Öffentlichkeit" war schon nicht mehr zugelassen. Komischerweise drang diese "nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Musik" dann doch irgendwie in die Öffentlichkeit und bestimmte dann nach dem 2. Weltkrieg eben die Öffentlichkeit dessen, was als zeitgenössische Musik galt.
Wie sieht es heute aus? Zeitgenössische Musik wird nicht mehr hingerichtet. Allerdings wird sie auch nicht sonderlich wahrgenommen. Insgesamt habe ich den Eindruck, daß Beifall heute - nicht nur gegenüber dem Komponisten sondern auch gegenüber dem Interpreten - als ein Zeichen von Höflichkeit gilt, weshalb ich es mir dann überlege, ob man den Beifall nicht ohnehin ganz abschaffen sollte, und dazu übergehen sollte, nach einem Konzert "Buh" oder "Bravo" zu schreien, oder schweigend hinaus zu gehen.
Gruß Martin