Rita Streich, die "deutsche" Nachtigall?
Sic transit gloria
Wenige deutsche Sängerinnen sind offenbar so schnell in der Vergessenheit versunken wie jene Sängerin, die vermutlich eine der schönsten Stimmen hatte, die Deutschlands je besaß: die Sopranistin Rita Streich. Sie war eine der bedeutendsten deutschen Koloratursopranistinnen der Nachkriegszeit.
Sie hatte eine sehr helle Stimme, die ein unverkennbar eigenes Timbre hatte. Und ihre Technik war über allem technischen Zweifel erhaben. Eine wunderbare Königin der Nacht gab sie ab.
Rita Streich wurde am 18.Dezember 1920 bei Nowosibirsk geboren. Als sie noch Kind war, zog die Familie nach Deutschland (der deutsche Vater war Kriegsgefangener in Sibirien). Da wuchs sie zweisprachig auf. Zu ihren Aufnahmen zählen sowohl deutsche, italienische, französische als auch russische Vokalmusik.
Oper, Operette, Lieder, ja sogar Volkslieder, alles sang sie. Und wie.
Sie artikulierte perfekt, und es war deshalb auch für Ausländer einfach, ihr zu folgen. Mit einer fabelhaften Leichtigkeit konnte sie heiterere Rollen singen, sie verstand es sogar - wenn nötig - gerade die "Frechheit" in jenen Rollen zu unterzubringen. Als Ännchen in Webers "Freischütz", als Amor in Glucks "Orpheus" aber besonders als Annina in Strauß' "Eine Nacht in Venedig" überzeugte sie mich immer. Aber auch die Königin der Nacht sang sie fabelhaft, und darum habe ich es nie verstanden, warum sie immer die "leichteren" Rollen bekam. Ohne Zweifel war sie in ihrer Zeit eine der führenden Koloratursoprane in Europa.
Ihre Lehrer waren Willy Domgraf-Fassbaender (Vater der Mezzo Brigitte Fassbaender), Maria Ivogün und Erna Berger. Beste Voraussetzungen also für die schweren und trotzdem so leichtklingenden Konzert- und Opernarien Wolfgang Amadeus Mozarts.
Streich debütierte während des Krieges (1943) am Stadttheater von Aussig in Böhmen als Zerbinetta (Ariadne auf Naxos, R. Strauss). 1946 wurde sie an die Staatsoper Berlin geleitet, wo sie bis 1952 blieb.
Rita Streich um 1950
Da sang sie u.a. Olympia (Hoffmanns Erzählungen, Offenbach) und Blondchen (Die Entführung aus dem Serail, Mozart). Und dann ging ihre Karriere fast kometenhaft empor.
Berlin bot ihr weitere Rollen; Bayreuth kam dazu (1952); 1953 wechselte sie an die Wiener Staatsoper. Die restlichen zwanzig Jahre ihrer Opernkarriere verbrachte sie als Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper. Daher nannte man ihr auch "die Wiener Nachtigall".
1957 unternahm sie eine ausgedehnte Tournee durch Nordamerika und gastierte dabei auf allen bedeutenden Bühnen.
Manchmal wurde sie als die Nachfolgerin von Berger betrachtet, aber (Geschmackssache) Streichs Timbre gefällt mir besser. Sie hatte ein wirklich sehr markantes Timbre, so schön und, wie ich schon sagte, sofort zu erkennen. Und daneben ein prächtiges Vibrato. Es ist und war wirklich einen Genuss, diese Stimme zu hören (ich bin ja seeehr subjektiv).
Eine ausgezeichnete Mozartsängerin war sie. Nicht nur in seiner letzten Oper, als Königin der Nacht, sondern auch in den anderen glänzte sie.
Rita Streich als Susanna
Und daneben brachte sie mühelos Mozarts Konzertarien. Zu ihren absoluten Spezialitäten gehörten die von Mozart für die hochvirtuose Koloratursopranistin Aloysia Weber komponierten Bravourarien KV 316, 416, 419 oder 538. Rita Streichs federleichte, farbenreiche und in allen Bedeutungsnuancen faszinierenden Interpretationen werden vorbildhaft bleiben für alle Sängerinnen, die diese Arien zu singen wagen.
Als Frau Nachtigall persönlich wurde Rita Streich 1959 im Berliner Telegraf begrüßt: »Mit einer der schwersten Mozart-Koloraturarien "Ah se in ciel, benigne stelle" (KV 538 ) begann Rita Streich ihr Konzert im Hochschulsaal und bot ein Meisterstück des Kunstgesangs, wie es ihr so bald keine international berühmte Sängerin nachtun kann. (...) Rita Streichs geschmeidiger Sopran hat an Wärme ebenso wie an lichter Schwerelosigkeit gewonnen.«
Aber auch Strauss und Milhaud waren ihr nicht unbekannt.
Und desgleichen Schuberts Lieder. So schön sind z.B. ihre Interpretationen der "Nachtviolen" und "Auf dem Wasser zu singen". Noch immer rühren mich diese Ausführungen.
Schon im Februar 1956 konnte man im Giornale d’Italia lesen: »…leidenschaftliches und strenges Studium hat sie zu einer vollkommenen Reinheit der musikalischen Ausdrucksweise gebracht: die Technik der Staccati und der Legati des Gesangs ist mit einen anmutigen und lebhaftigen Musikalität erfüllt«.
Die Schallplattenkarriere von Rita Streich hatte schon 1952 begonnen. Bedingt durch die technische Weiterentwicklung des Tonträgers und den daraus resultierenden längeren Spielzeiten, konnten die Firmen nun Opern als Gesamtaufnahmen ausbringen. Hier fielen Rita Streich wichtige Rollen und Funktionen zu. Der doch bestimmt kritische Ferenc Fricsay hatte sie für seine feste Gruppe ausgewählt. Dazu zählten neben ihr Maria Stader, Ernst Haefliger, Dietrich Fischer-Dieskau, Josef Greindl und Peter Anders (bis er 1954 verschied). Dadurch verdanken wir die Tatsache, dass es ziemlich viel Aufnahmen ihres künstlerischen Lebenswegs beim gelben Label gibt.
Das erste Foto, an das ich mich von ihr erinnere, stammt aus dem Jahr 1948. Auf irgendeiner LP ist das zu finden. Ziemlich mageres Gesicht damals. Vielleicht weiß einer, um welche LP es sich handelt. Ich dachte, dass Erna Berger auch darauf stand.
Die Scala, Covent Garden, Chicago, Aix-en-Provence, Glyndebourne, alle luden diese wunderbare Sopranistin, in der gute Technik, schöne Stimme, wunderbares Timbre und Sprachkenntnisse gebündelt waren, ein. Schon in den 50er-Jahren galt sie als “Star”. Sowohl Soubrette als auch Koloratursopran, beide Typen beherrschte sie meisterhaft. Deswegen konnte sie auch so wunderleicht Operettenrollen darstellen.
Wie schon erwähnt, die Liedkunst war ihr nicht fremd. Ihre Liederabende wurden sehr geschätzt. Ein sehr schönes Dokument ist diese CD.
Rita Streich singt Volkslieder und Wiegenlieder
Du, du liegst mir im Herzen; Frere Jacques; Drink to me only with thine eyes; Nobody knowsthe trouble I've seen; Spimladenez; Tschubtschik; Wenn ichein Vöglein wär'; Der Mond ist aufgegangen; Muß i denn zum Städele 'naus; Weißt du wievielSterne stehen; In der Fruah; Abendlied u. v.a.
Im September 1958 entstanden Rita Streichs Aufnahmen einer Reihe von Mozart-Arien, in Zusammenarbeit mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Münchner Herkules-Saal. Die Aufnahmen wurden bereits stereophon produziert, konnten jedoch dank ihrer sogenannten Kompatibilität mit einem Tonarm, bzw. Abtaster auch auf älteren, herkömmlichen Geräten, dann aber ohne den räumlichen Stereo-Effekt abgespielt werden. Jene LP wird von mir gehegt.
Rita Streich singt Arien von Mozart
Von 1974 an unterrichtete sie an der Folkwang-Hochschule in Essen; ab 1983 gab sie während der Salzburger Festspiele Meisterklassen. Und von 1983 an bis kurz vor ihrem Tod 1987 in Wien leitete sie das Centre du Perfectionnement d'Art lyrique in Nizza.
Zitat30-6-2005 Gino_Poosch
Nicht selten wurde Sängermusik mit «Nachtigallenmusik» gleichgesetzt. Was stets Degradierung statt Sublimierung bedeutet! Die Partien bekamen eine Stimme, kein Gesicht. Ein fataler Irrtum.
Es ist unstrittig, dass eine adäquate technische Ausführung der musikalisch-technischen Anforderungen immer Voraussetzung sein muß, für eine darüber hinaus reichende identifikatorische Leistung. Zugegeben, nicht selten haben Künstler letzteres geschickt auszunutzen verstanden, um ihr Defizit bei ersterem zu kaschieren. Dies ist falsch und wirkt zuweilen lächerlich.
Ich fand dieses Zitat bei dem Thread über Joan Sutherland.
Mit Kraft möchte ich betonen, daß Rita Streich bezeichnen als “Nachtigall” nie etwas derartiges war.
Sie war keine Darstellerin, nein. Sie verkörperte sogar nicht jene Rolle. Nein, sie war jene Person. Und das mit einem ungeheueren Ausstrahlungskraft.
Deshalb begeisterte sie den Menschen. Keck, wenn nützlich; seriös, wenn nötig. Und das alles mit einem fabelhaften Technik und einer immens schönen, klaren Stimme.
Leider, ich wiederhole leider, habe ich nur ganz wenig Quellen gefunden. Größtenteils ist dies zusammengestellt aus Wikipedias Artikel, ein Booklet der CD "Rita Streich – Mozart Arias" und mein (unzuverlässiges) Gedächtnis.
Peter war wieder so freundlich zo korrigieren (DANKE). Nachher wurde aber von mir noch soviel geändert, daß er das Resultat nur mit Mühe erkennen wird. Fehler sind also meine Schuld.
LG, Paul