Béla Bartók:
Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta Sz 106
komponiert 1936 für Paul Sachers Basler Kammerorchester (im Umkreis: 5. Streichquartett (1934), Sonate für zwei Klaviere & Schlagzeug (1937), (2.) Violinkonzert (1937/38 ), Divertimento für Streicher (1939)).
Es dürfte sich hierbei nach dem Konzert für Orchester und dem 3. Klavierkonzert um eines der bekanntesten und beliebtesten Orchesterwerke Bartoks handeln. Noch wesentlich beliebter als beim Publikum scheint es bei Musikwissenschaftlern zu sein; das Stück gilt als eines der bedeutendsten Werke Bartoks und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aufgrund der teils frappierenden Dichte und Komplexität werde ich mich, zumal ich keine Noten auftreiben konnte, daher auf sehr allgemeine Anmerkungen beschränken. Es wäre mir zu schwierig, was ich an analytischen Kommentaren gefunden habe, verständlich zusammenzufassen (sofern ich es überhaupt nachvollziehen konnte...).
Diese Musik macht es dem Hörer nicht immer leicht; verglichen mit dem schmissigen Konzert für Orchester, dem abgeklärten 3. Klavierkonzert oder volkstümlich mitreißenden Stücken wie der Tanzsuite oder dem Divertimento, wirkt es sehr dicht, stellenweise herb und mitunter zunächst fremd.
Es vermeidet allerdings auch die Extreme des "Wunderbaren Mandarin" oder der ersten beiden Klavierkonzerte. Ein strenges, fast klassisch zu nennendes Werk steht es nach meinem Eindruck dem 4. und besonders dem 5. Streichquartett nahe. Die ungewöhnliche Besetzung kann allerdings klanglich durchaus faszinieren und eine nähere Beschäftigung lohnt sich auf alle Fälle!
Besetzung:
Doppeltes jeweils fünfstimmiges Streichorchester (Vl. 1+2, Vl., Vc., Cb),
Schlagzeug, Xylophon, Harfe, Klavier, Celesta,
Es existierte eine Aufstellungsskizze Bartoks: Die beiden Streichorchester sitzen links und rechts außen, jeweils gestaffelt mit den Bässen hinten, dazwischen die Batterie, mit dem Klavier im Vordergrund.
Spieldauer ca. 28 min. (nach Bartok sollte es wohl eher 24-25 min., dauern, aber meine Aufnahmen bewegen sich zwischen knapp unter 28 und ca. 32 min.)
1. Andante
Ein Fugato mit einem eindrücklichen chromatischen Thema, das für das ganze Werk als eine Art Hauptthema fungiert. Es beginnt sehr leise und steigert sich in mehreren Bögen zu einem Höhepunkt (markiert durch den ersten deutlichen Schlagzeugeinsatz und angeblich nach dem "Goldenen Schnitt" plaziert), danach senkt sich der Spannungsbogen, am Ende ist wieder pp erreicht.
Das Material dieses Satzes wird von einigen als Basis für das gesamte Werk gesehen. Die Beziehung zum 2. langsamen Satz und die "Zitate" sind für mich durchaus hörbar, weniger die zum Material der schnellen Sätze.
Allein dieser Satz scheint ein ganz besonderer Liebling der Analytiker zu sein. Er ist außerordentlich streng und konsequent gebaut; man hat den Begriff "Fächerfuge" geprägt, da zu Beginn die Einsätze nacheinander abwechselnd eine Quinte nach oben bzw. nach unten vom Ausgangston (a) erfolgen, also eine Auffächerung des Tonraums erfolgt. Aber auch ohne diese technischen Einzelheiten annähernd zu durchschauen, kann man sich von der Steigerung und der ausdrucksvollen Chromatik begeistern lassen.
Vielleicht besteht hier eine gewisse Reminiszenz an die Tradition der Kirchensonate mit einem langsamen, mitunter kontrapunktisch gearbeiteten ersten Satz (und an das Werk, das ebenfalls mit einer langsamen Fuge, die den Keim alles kommenden enthält, beginnt: Beethovens opus 131). Dazu kann man vermutlich Verbindungen zu der Tradition von Lamento- oder Klagemusik herstellen und sicher auch zu J.S. Bach (h-moll-Fuge im WTC I mit ihrem chromatischen Thema?)
2. Allegro
(Ab jetzt ist das Orchester geteilt, was, besonders in den beiden schnellen Sätzen auch zu deutlichen Stereoeffekten genutzt wird; den ersten Satz hatte Bartok wohl schon als reinen fünfstimmigen Streichersatz komponiert oder wenigstens konzipiert, bevor der Plan eines Doppelorchesters mit Schlagzeug in der Mitte enstand.)
Der Satz wird als "Sonatensatz" bezeichnet, was allerdings nicht in einem strikt neoklassizistischen Sinne genommen werden darf. Die Reprise ist stark verändert und die Abschnitte sind hörend nicht so leicht zu erkennen. Jedenfalls ein mitreißender, rhythmisch vertrackter, aber packender Satz wie wir ihn von Bartok kennen. In der Durchführung werden zwischendurch alle Instrumente als eine Art Schlagzeug behandelt: die Streicher spielen "Bartok"-pizzicati, wobei die Saite so hart angerissen wird, daß sie aufs Griffbrett schlägt...es rockt!
3. Adagio
Rein klanglich wohl der ungewöhnlichste Satz des Werks: ein geheimnisvolles "Nachtstück". Mit diesem Begriff hat man eine Reihe von Sätzen Bartoks bezeichnet, die eine "misterioso"-Stimmung durch ungewöhnliche Klänge, die mitunter an Wassertropfen, Insektenschwirren oder Vogelstimmen erinnern, erzeugen. Hier bieten sich keine so unmittelbaren Deutungen wie etwa im Mittelsatz des 3. Klavierkonzerts, es ist eher eine surreale, bisweilen vielleicht auch alptraumhafte "soundscape". Berühmt und stilprägend der Beginn mit Tonrepetitionen des Xylophons und Paukenglissandi. Das thematische Material ist eng und erkennbar dem des 1. Satzes verwandt. Dazu werden die Teile der "Brückenform" A B C B A jeweils durch zitatähnliche Vorkommen des Hauptthemas markiert (nach "http://www.satzlehre.de/themen.html", dort finden sich ziemlich ausführliche Anmerkungen, besonders zum ersten Satz). Das ist recht gut zu hören. Der Satz verklingt wie er begann im geheimnisvollen pianissimo.
4. Allegro molto
Es scheint, daß sich die Tradition des vergleichsweise leichten Finales hier wiederfindet. Hier trifft man nun eine gelöst-tänzerische Stimmung mit deutlicheren Volksmusikanleihen als in den vorhergehenden Sätzen.
Bemerkenswert und unüberhörbar die Wiederkehr einer Variante des Hauptthemas des Anfangssatzes vor dem Ende. Es hat hier einen beinah hymnischen Charakter, da die ursprüngliche Chromatik in diatonische Schritte umgewandelt worden ist. Nachdem dieser Bogen geschlagen ist, geht es wieder in flotten Tempo mit der Musik des Satzanfangs zu Ende.
Trotz der unbestrittenen Dichte, der Metamorphosen des Materials, der mannigfaltigen Verflechtungen zwischen den Sätzen (und auch innerhalb eines Satzes), die sich nur dem geschulten Analytiker enthüllen, gewiß ein Werk, das viele Hörer, so sie sich denn auf seine Klangwelt einlassen, begeistern kann.
JR