Die wirklichen grossen "drei Tenöre" der 80er/90er Jahre waren, wie auch Kesting richtig festhält Bergonzi, Kraus und Gedda.
Und wenigstens einen, der versucht sich den von Dir aufgeführten Stress des heutigen Opernbetriebes weitgehend vom Leib zu halten, und der durch seine Leistung meistens zu überzeugen vermag, haben wir im Tenorfach immerhin: Piotr Beczala.
Diese stimmliche Langlebigkeit gab es in allen anderen Stimmlagen auch, aber die drei sind unter den Tenören gute Beispiele aus der näheren Vergangenheit. Haben sich aber auch langsam entwickelt und haben am Beginn ihrer Karrieren lange Jahre nicht an vorderster Fronot gestanden. (Gedda vielleicht etwas weniger). Bergonzi hat sich 1951 von Bariton auf Tenor umgeschult und war bis etwa 1955 nicht gerade ausgebucht und Zeit seines Lebens, auch von den Plattenfirmen, etwas stiefmütterlich behandelt, weil ihm halt der Glamour-Faktor fehlte. Die Konkurrenz in Italien unter den Tenören war zu dieser Zeit auch wirklich noch imposant. Aber in diesen Lehrjahren hatte er Zeit sein Repertoire zu lernen und seinen Stil zu finden. Als er dann international durchstartete 1956/57 an der Met war er schon ganz er selbst und mußte nur noch ein wenig an sich feilen. Folgendes will ich mit diesem Beispiel sagen. So viele Sänger sind nicht ausgelernt, haben sich zu wenig Zeit gelassen, um ihre Stimme kennenzulernen und zu finden, werden zu schnell mit Engagements geködert noch bevor sie ein richtiges Repertoire erarbeitet haben, daß sie an kleineren Bühnen auch ausprobieren konnten, lernen neue Rollen im Flieger und debütieren damit gleich an den großen Häusern, verpflichten sich Jahre im voraus für (neue) Rollen, von denen sie nicht wissen, ob sie sie dann noch singen können, ob sie dann überhaupt noch singen können
Der Sänger allein trägt die Verantwortung für seine Stimme. Er kann sich bewußt für das schnelle Geld und ein "quick killing" entscheiden oder den langsamen, aber stetigen und weniger spektakulären Weg einschlagen. Was wir heute vor allem sehen oder besser hören sind junge, frische, unnverbrauchte Stimmen, die ihre Mängel in den ersten Jahren mit der Frische der Jugend oder Willenskraft noch recht gut kaschieren können, aber nach 5-8 Jahren verschwinden sie in der Versenkung.
Und was den Stress betrifft: wenn man sich Sängerbiographien etwa von Luisa Tetrazzini durchliest, unter welchen Bedingungen damals Tourneen und Reisen stattgefunden haben, dann wundere ich mich, daß sie überhaupt einen Ton herausgebracht hat. Stress für heutige Sänger ja. Aber der hat meistens mit Marketing-Dingen zu tun oder damit, daß die Sänger selbst zu viel Verantwortung aus der Hand geben, das ist zu einem großen Teil durchaus steuerbar - je nachdem was für eine Karriere man machen möchte.
Beczala - gebe ich Dir recht. Sehr vielversprechend, aber auch mit Einschränkungen. Ich weiß nicht, ob er bei der Wiener Lucia indisponiert war, total fit hat er nicht geklungen, aber in der Schlußszene, bei den zwei Wiederholungen von "bell´alma innamorata ne congiunga il nume", die so undankbar in der Übergangslage liegen hat man schon ein paar Takte davor gemerkt, daß das nicht gut gehen wird. Beide Male hat er fürchterlich geschmissen. Das waren keine Spitzentöne, die daneben gehen können, sondern sie haben genau gezeigt, wo es bei ihm hapert. Er neigt dazu, die Bruststimme kraftvoll hochzutreiben - was sehr effektvoll klingt - aber er macht die Stimme so breit, daß er in der Übergangslage nicht mehr richtig umschalten konnte. Die Höhe klingt dann häufig unproportioniert eng und zum Teil glanzlos. In Wien gab es anläßlich Björlings 100. Geburtstag eine Veranstaltung, wo er die Maskenball Arie gesungen hat. Eindrucksvoll. Aber er singt mit solchem Kraftaufwand, daß er nach 5 Minuten kurzatmig war.