Interpretationen für die Zeitgenossen - oder für die Nachwelt ?

  • Hallo,
    ich denke, es wird kein explizites Interview geben, in dem Celi in etwa gesagt haben könnte, "nach meinem Tod könnt ihr publizieren...".


    Vielmehr wird man etwa so wie bei Thomas Bernhard verfahren sein.
    Der hatte ja testamentarisch ein Aufführungsverbot seiner Werke in Österreich verfügt. Dem entgeht man durch die Thomas Bernhard-Privatstiftung.
    Der Text im Link von Thomas scheint da auch recht deutlich zu sein.


    Wenn ich mich recht entsinne, gab es von Celi aus den 50igern nur technisch höchstens mittelmäßige Rundfunkmitschnitte. Offizielle Lps sind mir nicht bekannt; ich kann mich irren. Es dürften aber nur sehr wenige Aufnahmen sein, wenn überhaupt.


    Ebenso setzte die Veröffentlichungswelle seiner Rundfunkaufnahmen aus den 70igern auch erst nach dem Tode ein, die DGG hat quasi in Konkurrenz zu den Münchener EMI Aufnahmen die Stuttgarter herausgebracht.


    Außerdem bitte ich zu bedenken. Die CDs wurden gut verkauft. Das dürfte den hochsubventionierten Münchenern gut getan haben. Und Trittbrettfahren (DGG) ist eine gern geübte Disziplin.


    Man lerne also: Wenn die Nachwelt es will, es wird doch publiziert.
    Vor allem, wenn nach 50 Jahren die Rechte der Darbietung erlöschen, die Autorenschaft bekanntlich 70 Jahre nach dem Tode des Autors. Aber ein Dirigent und Orchester sind ist keine Autoren! (England und USA wollen deshalb den Zeitraum auf mind. 95 Jahre ausdehnen)
    Gruß S.

  • Persönlich habe ich Celi zweimal live erlebt und kenne Plattenaufnahmen aus seiner gesamten Karriere: die extreme Tempoverlangsamung seiner späten Jahre ist IMO eher nix für den Plattenmarkt, es sei denn, man stilisiert den Dirgenten zu einer Kunst- und Kultfigur wie etwa auch HvK, dessen Platten man einfach so kauft, ohne über die künstlerische Qualität nachzudenken.

    Hallo Thomas,


    nur so am Rande, ohne den Hauptfaden der Diskussion empfindlich stören zu wollen:
    Auf mich, der ich ja auch nur ein Atom dieses Plattenmarktes bin, trifft der Satz zufällig nicht zu, auf andere vielleicht ja, vielleicht auch nicht.


    Ich habe mir nämlich gerade Bruckners Vierte in Celis langsamer Münchner Aufnahme bestellt, gerade weil ich über die künstlerische Qualität -auch hier öffentlich- nachgedacht habe. Zwar habe ich schon im TV eine interessante Filme über Celi gesehen, aber zu einer Kunst - und Kultfigur stilisiere ich ihn wohl nicht hoch....ist ja gerade meine erste Platte von ihm (welch Schande...).
    Aus demselben Grund habe ich mir gerade Finlandia, Valse Triste etc. und Grieg Holberg-Suiten mit HvK bestellt. Ich finde seine Interpretationen hier ausgesprochen gut.


    :hello:


    Glockenton
    PS: Schade, dass ich ihn nie live erlebt habe

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Mich wundert eigentlich, daß hier niemand die kolportierten und in Klassikzeitschriften, bzw in diversen Booklets Geschichten kennt.
    Eine Theorie besagt, daß Celibidache extrem beleidigt war, daß Karajan, und nicht er, die Leitung der Berliner Philharmoniker - die er nach Furtwängler interimsmässig als Intermezzo (1946) tatsächlich überhatte - endgültig übernehmen durfte.
    Und gerade weil Karajan so VIELE Plattenaufnahmen machte und "populär war" (Celi soll ihn mit Coca-Cola verglichen haben) machte er keine. Er wurde gegen Ende seines Lebens Generalmusikdirektor der Stadt München und wurde somit Leiter der Münchner Philharmoniker.
    Celibidache war ein Perfektionist, Leuteschinder und Despot - aber ebenso wie Karl Böhm (von dem er nichts hielt - wie von den meisten seiner Kollegen) erzielte er damit hervorragende Ergebnisse. Die Müncher liefen zur Hochform auf.
    Celibidache verweigerte Aufnahmen seiner Konzerte einerseite mit der Begründung, die langsamen Tempi würden nur in der Akustik des Konzertsaales ihre Wirkung erzielen und auf CD absurd wirken, andrerseits klänge die Musik von den silbernen Bierdeckeln fürchterlich, sie wäre nur ein Abklatsch der Wirklichkeit. Wer IHN, Celeibidache hören wolle - der müsse schon nach München kommen.


    Zu den Münchner Mitschnitten: Sie wurden angeblich - mit vollem Wissen Celis - vom "Haustechniker" zu Kontrollzwecken angefertigt. Wenn das stimmt muss man sagen: Gott sei Dank - Denn das Ergebnis kling natürlicher als manche Multikanalaufnahme diverser Tonträgerkonzerne.


    Es wurde überliefer, daß Celi zur Frage einer allfälligen Veröffentlichung nach seinem Ableben etwa so geäussert haben soll:
    "Nach menem Tod - Macht was ihr wollt !!"


    Im Kampf um die Bänder machte die EMI das Rennen, und angeblich sind sie kaum manipuliert.


    Im Booklet der Ausgabe gibt es ein Statement in englischer Sprache von Celis Sohn, in welchem er in vielen Punkten zu erklären versucht - warum er der Veröffentlichung zugestimmt hat...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Story um die Nachfolge als Chefdirigent kannte ich, es wird allgemein kolportiert, daß Celibidaches angeblich sogar schon Zusagen in irgendeiner Form gemacht worden sein sollen. Nun der Rest ist Geschichte!
    Ich habe mir schon gedacht, daß es Celi rechtherzlich egal war, was aus den Kontrollmitschnitten bzw. Rundfunkmitschnitten nach seinem Tod wird. Vielleicht findet sich ja noch eine entsprechende Äußerung. Damit fällt er aber auch aus einem möglichen Kreis derer, die für ausschließlich für die Nachwelt produziert haben, heraus. strenggenommen könnte man, sagen, er habe gär nicht produziert, weil er nichts davon gehalten habe.


  • Lieber Glockenton,


    die Verallgemeinerung sollte natürlich nicht jeden Käufer dieser Platten treffen. Tatsächlich sorgt die Popularität dieser Künstler dafür, dass die Platten auch von Leuten gekauft werden, die sonst mit den gespielten Werke nicht das Meiste zu tun haben, oder die sich -in Plattengeschäften früher oft erlebt- ein Werk zulegen wollen, aber eher materienfremd sind und einfach nach Karajan oder Celibidache fragen.


    Es gibt sicher wohlerwogene Gründe, sich Platten von beiden zu kaufen, die von Dir angesprochene Bruckner 4 ist ein ebensolches Argument (ich ziehe da allerdings mein Bootleg aus seiner Münchner Frühzeit vor), auch Bruckner 3, oder die bei der DGG erschienene Aufnahmen. Celi hat sein Dirgat auf den Raum bezogen, in dem er dirigierte, und da haben wir es mit Feinheiten zu tun, die die Technik nicht einfangen kann. Somit kann das langsame Tempo, das im Konzertsaal Seeligikeit auszulösen vermochte, auf der Platte als vollkommene Ödnis rüberkommen (Bolero/Ravel, Te Deum/Bruckner). Aber das mag jeder anders hören.


    Zustimmung auch bei HvK und seinem Sibelius (hätte bei dem noch ein paar andere Platten, die exorbitant gut sind).


    Und, s.bummer: ja, es gibt die Studio-Platten von Celibidache. In meiner Sammlung z.B. Prokofieffs "Klassische Sinfonie", Mendelssohns Violinkonzert mit Siegfried Borries und ein kreuzlangweiliger Mozart, die kleine g-moll mit dem London Philharmonic Orchestra..


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Zitat

    Celibidache war ein Perfektionist, ... erzielte er damit hervorragende Ergebnisse. Die Müncher liefen zur Hochform auf.


    Dass man das woanders durchaus anders gesehen hat, zeigt dieser Artikel aus der New York Times.
    New York Times über Münchener Philharmoniker
    Ich zitiere nur mal drei Sätze:
    "By most measures the orchestra had deteriorated under the authoritarian Romanian-born conductor Sergiu Celibidache, who was music director from 1979 until his death at 84 in 1996. Celibidache was a divisive figure full of contradictions. He won a cultlike following for his interpretations, especially of Brahms and Bruckner. But to many listeners his performances were oddly willful and poorly played."
    Genaueres dann in den drei Seiten des Artikels über ein Gastspiel der Münchener unter Levine in New York.


    Gruß S.

  • Zitat

    Damit fällt er aber auch aus einem möglichen Kreis derer, die für ausschließlich für die Nachwelt produziert haben


    Nicht notwendigerweise. Ein gewiefter Taktiker könnt auch die Hoffnung gehabt haben, seinen posthumen Marktwert auf diese Weise zu steigern und plötzlich "genauso interessant wie Karajan" zu sein.
    Eine Rechnung, die aber nicht aufgegangen ist.
    Mancher mag meinen, das wäre ein abstruser Gedankengang.
    Aber Eitelkeit und Hass (und angeblich auch Liebe) sind Gefühle die weit über den Tod hinaus reichen....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Nicht notwendigerweise. Ein gewiefter Taktiker könnt auch die Hoffnung gehabt haben, seinen posthumen Marktwert auf diese Weise zu steigern und plötzlich "genauso interessant wie Karajan" zu sein.
    Eine Rechnung, die aber nicht aufgegangen ist.
    Mancher mag meinen, das wäre ein abstruser Gedankengang.


    Ja, ich gehöre zu den manchen, die meinen, dies wäre ein abstruser Gedankengang!

  • Ich schließe mich der Meinung von Flûtedevoix vollinhaltlich an und möchte nochmal auf das psychologische Phänomen der Projektion hinwiesen, dass geäußerten Meinungen wie der Alfredischen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zugrunde liegen könnte.


    Ich meine, Alfred hätte mal gesagt "ich bin nachtragend bis über den Tod hinaus" oder so ähnlich, kann aber das Booklet gerade nicht finden. (Oder war's kein Booklet ... ?) :hello:


    Im Beitrag Nr. 67 stellt er eine ähnliche Haltung als Möglichkeit eines "gewieften Taktikers" in den Raum. Dabei hat er sich auf ein Zitat bezogen, in dem es um Celi ging. - Dass Celi kein gewiefter Taktiker war, kann man eventuell daran erkennen, dass Karajan ihm durch gewiefte Taktik die Chefposition der Berliner noch abjagen konnte - Celi war ein höchst erfolgreicher Dirigent als Interimschef der Berliner und hat solche Taktikspielchen nicht für möglich gehalten. Die Verbitterung verstehe ich. -


  • Im Beitrag Nr. 67 stellt er eine ähnliche Haltung als Möglichkeit eines "gewieften Taktikers" in den Raum. Dabei hat er sich auf ein Zitat bezogen, in dem es um Celi ging. - Dass Celi kein gewiefter Taktiker war, kann man eventuell daran erkennen, dass Karajan ihm durch gewiefte Taktik die Chefposition der Berliner noch abjagen konnte - Celi war ein höchst erfolgreicher Dirigent als Interimschef der Berliner und hat solche Taktikspielchen nicht für möglich gehalten. Die Verbitterung verstehe ich. -


    Interimschef ist gut; afain hat er sich bis zu Furtwänglers Tod das Dirgat mit eben jenem geteilt. Zum gewieften Taktiker (was auch ich für Celi zurückweisen möchte): in einem Interview sagte er sinngemäß man könne nicht sagen, dass es das persönliche Ziel sei, Karriere zu machen. Man müsse gut sein in dem, was man tut, dann stelle sich Karriere automatisch ein. Was bei ihm ja auch der Fall war.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Interimschef ist gut; afain hat er sich bis zu Furtwänglers Tod das Dirgat mit eben jenem geteilt.


    ... was aber erst möglich war, als Furtwängler entnazifiziert war. Celi hat dafür mit Furtwängler geübt, Interview-Situationen und dergleichen, weil Furtwängler für solche Situationen wohl von Haus aus kein Händchen hatte. -


    Leo Borchert war als Interimschef vorgesehen und vom Magistrat der Stadt Berlin offiziell mit der Leitung beauftragt, wurde aber "aus Versehen" von einem Besatzungssoldaten erschossen. Celi machte den Job.


    Furtwängler wurde 1947 entnazifiziert, wurde aber erst in 1952 wieder Chef der Berliner. -


    Die Verhältnisse waren kompliziert. Celi hatte sich gerade mit dem Orchester überworfen, als Karajan ihr Zutrauen gewann mit Sätzen wie "Ich weiß, wie schön sie unter Furtwängler Brahms gespielt haben. Zeigen Sie mir das bitte!" Nach einer erfolgreichen Amerikatournee mit BPO unter Karajan hatte dieser das Orchester quasi gewonnen ...

  • Irgendwie scheint das Thema dieses Threads mit einer erstaunlichen Bandbreite zum Abschweifen einladen.
    Interessant finde ich es allemal...


    Den nächsten Abschnitt bitte nicht bierernst nehmen:
    Wir kamen ausgehend vom Thema auf die Frage, ob dasselbe eigentlich Humbug sein, dann blitzte kurzzeitig eine psychologische Profilanalyse der digitalen "Kunstfigur Alfred Schmidt" ( :D ) auf, dann wieder Karajan und immer wieder Karajan ( :D ), dann wurde die Mozartinterpreten bzw. Papst und Reformator Böhm und Harnoncourt verglichen (endlich mal), wobei die Zauberflöte, französisch geschärfte Punktierungen und FiDi auch eine Rolle spielten, dann ging es um die Kernfrage, ob klassische Musik auf keinen Fall verstörend wirken darf oder dies eventuelle sogar müsse; ein eingeschobener Widerspruch zur angeblichen verlorenen Klangidentität der Berliner Philharmoniker wurde vom Adressaten ggf. ignoriert, und es wurden ohnehin viele unbeantwortete Fragen gestellt, vielleicht auch weil das Thema "respektvoller Umgang" die Aufmerksamkeit auf sich zog; dann ging es wieder recht kontrovers um die Frage, ob ein Komponist (also der, nicht ein Esel) Klavier immer (gut) spielen könne und ob er normalerweise eher am Instrument oder am Schreibtisch arbeite (oder gar beides), es wurde über die Urteilsrelevanz des Wiener Klassikpublikums gesprochen, zwischendurch ging es tatsächlich auch ums Thema (Theophilus) und momentan sind wir von einer Celi-Diskussion auf die Geschichte der Chefdirigenten des Berliner Philharmonischen Orchesters nach 1945 gekommen.


    Und was sage ich dazu?
    Interessant und im besten Sinne unterhaltsam finde ich es. Manchmal kann OT auch schön sein...


    Nun zum letzten "Unterthema":
    Wolfram
    Ich nehme an, dass Du zum Thema BPO und dessen Geschichte belesen bist, oder täuscht das?
    Wenn ja, dann würde ich mich über ein paar gute Literaturhinweise freuen, weil mich das alles ziemlich interessiert.


    Ausserdem frage ich mich spekulativ, wie die Geschichte des Orchesters, ja vielleicht sogar der Klassik (im Hinblick auf Tonträger und Medien) wohl gelaufen wäre, wenn Celi und nicht Karajan die Stelle des Chefdirigenten bekommen hätte. Damit meine ich sowohl die künstlerische Entwicklung, als auch die Auswirkungen auf den Markt, das Image der "Marke Klassik" in der Öffentlichkeit usw.
    Es ist eigentlich müssig, aber vor dem Kamin sitzend und eine Pfeife rauchend kann man über solche Dinge zu später Stunde nett spekulieren.


    Künstlerisch gesehen muss ich, der ich noch über ein eher bescheidenenes Celi-Wissen verfüge, für mich sagen, dass mir die Film- und Tonaufnahmen aus seinen jungen Nachkriegsjahren nicht besonders zusagen. Er scheint, nicht nur vom Tempo her, nahezu das Gegenteil von dem zu sein, was ich vom altersweisen Celi her kenne. Energisch, schnell.....aber vielleicht doch etwas unausgegoren? Der junge Karajan macht auf mich in seinen Aufnahmen und Filmen dahingegen den Eindruck, dass die wichtigsten Elemente seines Stils schon alle vorhanden waren. Hier sind es dann aber wohl Mitschnitte und Aufnahmen ab den 60er-Jahren, die als schon über 15 Jahre nach dem Krieg entstanden.
    Den reifen Celibidache allerdings finde ich ausgesprochen interessant, und hier noch mehr seinen Bruckner als seinen auch durchaus eigenwilligen Brahms.


    Übrigens finde ich es sehr schade, dass Celibidache als gereifter, alter Dirigent und das BPO in späten Jahren meines Wissens nicht wieder zusammenfanden, noch nicht einmal für ein Konzert. Ob da beide Seiten nicht wollten oder wie es war, wird man wohl herausfinden können...?


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    von den verfügbaren Plattenaufnahmen her beurteilt kann ich das nicht ganz bestätigen. Aus gegebenem Anlass habe ich gestern Abend Mozarts kleine g-moll Sinfonie nachgehört, die Celi für DECCA mit den Londonern aufgenommen hatte, und finde das Werk gefühlt half speed im vergleich zur Klemperer-Aufnahme gespielt. Das ist jetzt etwas übertrieben, aber temepramentvoll geht er dieses Werk nicht an. Vor allem der zweite Satz wird wie ein langsam ruhig fließender Fluss aufgeführt, und ich gebe zu, dass Celibidache speziell in diesem Satz einiges zum Blühen bringt. Auch die Aufnahme von Prokofieffs klassischer Sinfonie mit den Berlinern ist nicht sehr viel schneller als die späte mit den Münchnern. Ich bin nicht der große Celi-Fan, fand den Dirigenten aber immer interesant genug, um ihn in meiner Sammlung über seine Karriere hinweg zu dokumentieren. Bei den ganzen Mitschnitten habe ich den Eindruck, dass Celi beseelter musiziert (mir fällt kein besseres Wort ein). Das kommt Werken wie Ravels Mutter Gans (keine Ahnung, ob diese Rundfunkkopie auss den 1960ern noch verfügbar ist) oder Respighis römischen Pinien ebenso zugute wie den Tondichtungen von Richard Strauss. Für mein Empfinden hat Celibidache nie auf Tempo dirigiert (die im Film dokumentierte Coriolan-Ouvertüre mag da eine Ausnahme sein). Da, wo er sinnliche orchestrale Klangpracht entfalten konnte, war er HvK IMHO durchaus ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen. Bei den Stuttgarter DGG-Aufnahmen lässt sich das teilweise recht schön nachhören.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:


    Glockenton hat natürlich recht mit der Feststellung, dass der Thread kräftig ausgeufert ist. Wenn Ihr einverstanden seid, würde ich die Celi-Diskussion gerne abtrennen und an den ihm gewidmeten Thread anhängen. Bitte um kurzes feedback.

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Thomas,


    wenn das irgendwie sinnvoll und schlüssig geht, warum eigentlich nicht?
    Ich würde es gut finden....wobei es hier ja auch zu anderen Themen ein paar interessante und nicht polemische Diskussionen gab, die eigentlich auch in die entsprechenden Threads (z.B. Mozartinterpretation) gehört hätten.



    Oder man nimmt einige Punkte als Keimzelle für neue Threads, z.B. "Darf klassische Musik verstörend klingen?" oder "Mozartpapst Böhm vs. Reformator Harnoncourt" oder "Karajans Ästhetik - passt sie immer?" und kopiert einige der bisher gemachte Statements hinein.
    Natürlich nur, wenn die vorhandenen Threads dazu nicht besser geeignet wären...


    Oder man lässt es einfach so, wie es ist.


    Im Erstellen von Threads bin ich unerfahren und überlasse das lieber Anderen.
    Ausserdem bin ich mir aus Erfahrung sicher, das Ihr diese Dinge richtig und gut managen werdet ^^


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

    Einmal editiert, zuletzt von Glockenton ()

  • Ich finde das auch eine Gute Idee!


    Neben der Celi-Diskussion würde ich in jedem Falle auch den Interpretationsvergleich Böhm und Harnoncourt separieren. Ich könnte mir vorstellen, daß Glockenton und ich (andere natürlich auch)exemplarisch an ein Paare Werken die unterschiedlichen Ansätze im Vergleich kritisch beleuchten, vielleicht ergänzt um Aufführungspraktische Hinweise.


    Wenn ich mir einen letzten Hinweis, zum Sinn oder Unsinns dießes Threads gestatten darf. Ich bin der festen Übereugung, daß dieser Htread sich nur aufgrund der ausufernden Off-Topic-Abschnitte so lange gehalten hat. substantielles zum eigentlich Thread-Thema war jedenfalls nicht in der Überzahl!

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  • Zitat

    und es wurden ohnehin viele unbeantwortete Fragen gestellt


    Beim nochmaligen Lesen ist mir aufgefallen, daß ich auch zumindest eine wichtige Frage unbeantwortet gelassen habe! Das soll nicht so sein!


    Zitat

    [ Zitat von »flutedevoix«
    Ich habe hier gar nichts verdreht! meine Aussage ist eine allgemeine auf keine Aufnahme bezogen! Es gibt aber definitiv Aufnahmen und Konzerte, die in der von mir beschriebenen Art und Weise ablaufen.
    Nun, wenn deine "allgemeine" Aussage direkt als Replik auf ein konkretes Beispiel kommt, sollte sie zumindest deutlicher davon abgesetzt werden, um nicht missverstanden zu werden. Aber du hast mich jetzt neugierig gemacht: nenne mir eine Aufnahme, auf der alle deine drei genannten Kriterien zutreffen.


    Ich würde gerne auf die Frage antworten, allerdings nicht hier öffentlich! Ich bin mir sicher, daß hier Kollegen mitschreiben bzw. lesen, mit Sicherheit auch Leute aus der Plattenindustrie. Und die mögen es nicht so sehr, wenn man manche Praktiken des Business an bestimmten Aufnahmen festmacht. Das könnte dann schon für mich geschäftsschädigend werden, in dem Sinne, daß ich einige Konzert- und Aufnahmeverpflichtungen weniger haben würde! Gibt es eine Möglichkeit, sich vertraulich hier im Forum auszutauschen?

  • Wolfram
    Ich nehme an, dass Du zum Thema BPO und dessen Geschichte belesen bist, oder täuscht das?
    Wenn ja, dann würde ich mich über ein paar gute Literaturhinweise freuen, weil mich das alles ziemlich interessiert.


    Hallo Glockenton,


    was ich geschrieben habe, sollte in diesen beiden Büchern zu finden sein:



    Stresemann war lange Jahre Intendant der Berliner Philharmoniker. Seine Karajan-Biographie ist weit entfernt davon, eine Hagiographie zu sein - der Titel deutet es schon an. Das Buch von Umbach fand ich auch sehr lesenswert.


    Ansonsten sind zum Thema "Karajan" und "BPO" noch diese beiden gut (die Osborne-Biografie ist vielleicht zu tendenziös):



    Viel Spaß!


  • Hallo Wolfram,


    vielen Dank für die empfohlenen Leckerbissen.
    Werde versuchen, die Bücher günstig zu bekommen.
    Ich mag dieses Thema übrigens auch deshalb, weil damit ja hintergründig die Geschichte Berlins, und damit auch die deutsche Geschichte mit dazugehört.


    Um den Zusammenhang zum Thema zu wahren:
    Allein die Tatsache, dass es solche Bücher wie diese samt einem dafür interessierten Leserkreis gibt, zeigt ja, dass manches, was damals an Musik "produziert" wurde- ob nun wie hier beabsichtigt (Karajan) oder eher unbeabsichtigt (Celibidache)- faktisch "vom Urteil der Geschichte" als für die Nachwelt bestimmt angesehen wurde. Wäre das nicht so, dann würden wir nicht so häufig über Aufnahmen reden, die nicht 2010 oder später, sondern vor Jahrzehnten entstanden sind. Und schliesslich dürften diejenigen, die sich solche Literatur kaufen, in den meisten Fällen auch Besitzer entsprechender Bild- und/oder-Tonträger sein.
    Ich habe online einmal mit jemanden diskutiert, der überspitzt gesagt meinte, dass ihn eigentlich nur die neueste Aufnahme mit den neuesten HIP-Erkenntnissen (und dem hoffentlich noch zügigerem Tempo...) interessiere. Alles was davor (auch HIP)war, könne getrost im Archiv verschwinden, aber wirklich interessant wäre es nicht mehr. Wenn man das Neue mit den neuen Erkenntnissen nicht annehmen wolle, weil es einem nicht gefiele, dann seien in erster Linie die eingefahrenen Hörgewohnheiten schuld.
    Über soviel Fortschrittglauben habe ich mich etwas gewundert und finde auch, dass einem solchen Rezeptionsansatz eine gewisse Tiefe fehlt.




    Mich interessiert zwar auch das Neueste vom Klassik-CD-Markt, aber ich möchte auch manche ältere Aufnahme absolut nicht missen.
    Ich glaube nämlich nicht, dass es so sei, dass die Jüngeren immer auf den Erfahrungen der Alten aufbauen aber deren "Fehler" ausmerzen. Wäre es so, dann müssten die Interpretationen so wie die Computertechnik immer besser werden. Genau das ist aber nicht der Fall. Ich finde zwar keineswegs, dass sie immer schlechter werden. Manches, was abgestellt wurde, wie z.B. Portamenti in den Geigen (um 1900 herum) wünsche ich mir ganz sicher nie wieder zurück.
    Aber eine Einspielung kann auch ein Niveau erreicht haben, durch das nachfolgende Aufnahmen nur noch als etwas Anderes, aber kaum noch als Verbesserung angesehen werden können.
    Ich lehne mich einmal aus dem Fenster heraus, und behaupte, dass die in einem anderen Thread gerade besprochene Concentus musicus Wien- Einspielung des 4. Brandenburgischen Konzerts aus den 80er-Jahren (TELDEC) solche eine Klasse hat. Sie ist tempomässig (für mich unsinnigerweise) überholt worden, aber nicht hinsichtlich der verstandenen und hörbaren Klangrede, dem Dialog zwischen lieblich und streng und dem hochmusikantischen, aus dem sich die detaillierte Tongebung, die agogische Gestaltung und die sprechende Dynamik und Artikulation speisst.


    Natürlich versucht jeder echte Künstler (siehe oben im Thread) bei jeder Produktion, sein Bestes "abzuliefern" ( im musikalischen Zusammenhang ein hässliches Wort, aber dennoch auch passend).
    Ob aber nach dem letzten eingespielten Takt den Ausführenden klar war, dass hier gerade etwas entstanden sei, was in Jahrzehnten noch als Referenz herangezogen bzw. auch heiss diskutiert werden wird?
    In den meisten Fällen wohl nicht....oder vielleicht sogar nie?


    War Gould nach seiner zweiten Goldberg-Variationenaufnahme eigentlich klar, dass er soeben einen Klassiker produzierte hatte und wie bedeutend diese Aufnahme im Jahre 2011 noch sein würde?
    Zwar bin ich mir sicher, dass er es gewiss nicht auf die Berühmtheit und die Zahl der verkauften Tonträger angelegt hat, aber ich nehme an, dass er - und da ist er wohl nicht der Einzige- versuchte, für sich - und ja, vielleicht auch für die Nachwelt, so eine Art von Endgültigkeit in der künstlerischen Aussage und manuellen Perfektion hinzubekommen, wissend, dass es das eigentlich gar nicht geben kann.


    Ich meine schon, dass Aufnahmen, in denen eine lange Erfahrung mit dem Werk und dem Musizieren an sich stecken, und die sich nach so einer vermeintlichen Endgültigkeit ausstrecken, wenigstens das Potential haben, eine Chance zu bekommen, zu einem Klassiker innerhalb der Welt der Klassik zu werden. Das heisst nicht, dass sie dann - auch nach Jahrzehnten - unumstritten sein mögen.
    Von daher steckte bei diesen Produktionen vielleicht doch auch so eine kleiner Hintergedanke im Kopf: "...wer weiss, vielleicht nehmen wir jetzt etwas für die Nachwelt auf", den man dann aber schnell wieder vergass, weil man sich auf seine Arbeit zu konzentrieren hatte.
    Vordergründig wird das aber in so gut wie allen Fällen keine Rolle spielen, und selbst wenn man so etwas schon vorher wüsste, wäre dieses Bewusstsein wohl eine störende Belastung beim Musizieren.


    Bei "Pionieraufnahmen" oder eher seltenen Gesamtaufnahmen von Grossprojekten wie sämtlichen Bach-Kantaten könnte ich mir auch vorstellen, dass dem einen oder anderen vielleicht ein paar Gedanken gekommen sind, das die gerade aufgenommenen Interpretationen nicht nur für das zeitgenössische Publikum, sondern auch für die Nachwelt noch lange interessant sein könnten. Da man das aber nicht wissen kann und man ohnehin keine Zeit hat, sich solchen Gedanken während einer Produktion hinzugeben, wird das - wie gesagt- wohl recht selten der Fall sein und auf die Art und Weise der Interpretation keinen Einfluss haben.


    :hello:


    Glockenton


    PS.: Die Software zeigt an, dass die Schriftart Times New Roman mit der Grösse 14 pt stimme. Trotzdem sieht die Schrift anders aus....sorry, bekomme ich nicht besser hin und verstehe es auch nicht.

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    vielen Dank für Dein durchdachtes Statement! Ich kann im Moment leider nicht angemessen antworten, aber auf die Schnelle so viel:


    Ich habe online einmal mit jemanden diskutiert, der überspitzt gesagt meinte, dass ihn eigentlich nur die neueste Aufnahme mit den neuesten HIP-Erkenntnissen (und dem hoffentlich noch zügigerem Tempo...) interessiere. Alles was davor (auch HIP)war, könne getrost im Archiv verschwinden, aber wirklich interessant wäre es nicht mehr. Wenn man das Neue mit den neuen Erkenntnissen nicht annehmen wolle, weil es einem nicht gefiele, dann seien in erster Linie die eingefahrenen Hörgewohnheiten schuld.
    Über soviel Fortschrittglauben habe ich mich etwas gewundert und finde auch, dass einem solchen Rezeptionsansatz eine gewisse Tiefe fehlt.


    Ja, genau. Fortschritt kann es nur geben, wenn man auf den Erkenntnissen früherer Kollegen aufbaut. - In den Naturwissenschaften würde sich jemand lächerlich machen, der sagen würde, er ist nicht bereit, frühere Erkenntnisse als gegeben hinzunehmen. In der Musik wird gerne ein Pseudoindividualität bemüht ("ich will mich von den Interpretationen anderer nicht prägen lassen, sondern meine eigene Sicht vermitteln") - das ist grundfalsch. - Man überfordert sich, wenn man meint, alleine aus dem Eigenen Großes schaffen zu können. - Den eigenen Standpunkt, die eigene Sichtweise erhält man viel eher aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem Überlieferten, nicht aus der Ablehnung dessen.


    Natürlich versucht jeder echte Künstler (siehe oben im Thread) bei jeder Produktion, sein Bestes "abzuliefern" ( im musikalischen Zusammenhang ein hässliches Wort, aber dennoch auch passend).
    Ob aber nach dem letzten eingespielten Takt den Ausführenden klar war, dass hier gerade etwas entstanden sei, was in Jahrzehnten noch als Referenz herangezogen bzw. auch heiss diskutiert werden wird?


    Ich stehe noch ein wenig unter dem Eindruck der Matthäus-Passion unter Suzuki von Mittwoch abend (vorgestern). Da ist mir klar geworden - und da habe ich an diesen Thread gedacht - : in der Live-Aufführung muss auch der Leiter eines solch hochkarätigen Ensembles hellwach sein und auf kleinste Ungenauigkeiten reagieren und sein Ensemble wieder einfangen können. In einer Aufnahmesituation mag das anders sein, da kann man im Technikraum im Nachgang abhören. - Karajan hat gerne anderes suggeriert, mit geschlossenen Augen dirigiert, als ob er sich ganz dem Werk hingeben würde. Aber in der Praxis muss man immer leicht nachkorrigieren - und sei es nur, weil der Raum mit Zuhörern eine andere Akustik hat als ohne in den Proben.


    Mich interessiert zwar auch das Neueste vom Klassik-CD-Markt, aber ich möchte auch manche ältere Aufnahme absolut nicht missen.
    Ich glaube nämlich nicht, dass es so sei, dass die Jüngeren immer auf den Erfahrungen der Alten aufbauen aber deren "Fehler" ausmerzen. Wäre es so, dann müssten die Interpretationen so wie die Computertechnik immer besser werden. Genau das ist aber nicht der Fall. Ich finde zwar keineswegs, dass sie immer schlechter werden.


    Siehe oben - genau so!


    Manches, was abgestellt wurde, wie z.B. Portamenti in den Geigen (um 1900 herum) wünsche ich mir ganz sicher nie wieder zurück.


    Ja, manchmal ist es aber vorgeschrieben (Mahler). Und als Stilzitat fände ich es auch ok. - Die Frage ist: Wird es als äußerlicher Effekt eingesetzt, oder gibt es eine künstlerische Legitimation dafür, hier und da doch mal ein Portamento einzusetzen (z. B. bei Puccini und Lehar)?

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  • Ich kann mich dem letzten Beiträgen nur anschließen: bewußt produziert, spielt der Künstler ein Album zunächst nur für seine Zuhörer ein. Daraus kann etwas für die Nachwelt werden, ein Klassiker, so etwas wie eine Referenz-Aufnahme, die immer wieder genannt wird. Man denkt als Künstler sicher auch mal während der Produktion daran, wie die Platte ankommen wird, aber es hat effektiv keinen Einfluß auf die Interpretation.
    Anders gesagt, ich spiele für das heute und jetzt und das konserviere ich auf Platte. Ich kann doch gar nicht an den Publikumsgeschmack in 30 oder 40 Jahren denken.
    Man könnte es allenfalls als interessantes Experiment sehen, mal etwas Aufzunehmen, von dem man klingt, so könnte das in 30 Jahren gespielt werden. Das allerdings ist keine ersntzunehmende Herangrhensweise.

  • Zitat

    Anders gesagt, ich spiele für das heute und jetzt und das konserviere ich auf Platte. Ich kann doch gar nicht an den Publikumsgeschmack in 30 oder 40 Jahren denken.


    GENAU DAS, ist es worum es in diesem Thread hier geht !!


    Zig Male habe ich mich geärgert, wenn an Karl Böhm. Herbert von Karajan, Karl Richter oder weiteren Größen ihrer Zeit hier im Forum gemäkelt wurde.
    Man hat stets ausser acht gelassen, daß es sich um die Grössten ihrer Zeit handelte -von Publikum und Kritik gleichermaßen bejubelt.
    Dann wieder gab es Dirigenten die damals allenfalls regionale Bedeutung hatte - Sie werden - auf wenn es zumeist nichts nützt - immer wieder aus der Mottenkiste geholt - weil sie ja eigentlich jene wären, denen das Publikum hätte seine Aufmerksamkeit schenken sollen. - Und EINIGE von denen - auch wenn man keine Aufnahmen von ihnen kennt, werden heute als "Geheimtip" gehandelt.


    "Schwierige Entscheidung", dachte ich bei mir "muß man denn nun das zeitgenössische Publikum vergraulen, um jenes der Zukunft für sich zu beginnen ?" - Und wer würde so dumm sein so etwas zu tun ? Natürlich weiß man nie wie die Beurteilung durch die Zukunft sein wird - und es kann einem auch völlig egal sein. Karajan - um einmal mehr den "Dirigenten aller Dirigenten" als Beispiel zu nehmen - war schlechthin DIE musikalische Instanz, Böhm war "Mozartpapst" (umgeben von einigen Ebenbürtigen, die aber eigenartigerweise nie so richtig ins Bewusstsen der Mehrheit vorgedrungen sind), Karl Richter die BACH-Kompetenz.
    Letzlich ist wohl jedem klar, daß diese fiktive Entscheidung gar nicht existiert - kein Dirigent, der erst posthum bejubelt wurde (und das meist von einer Minderheit) hat für diese Zielgruppe aufgenommen.
    Ich scheine mir an dieser Stelle zu widersprechen - tue es aber nicht.
    Denn NATÜRLICH hatten die Künstler, wenn sie Aufnahmen machten AUCH die Nachwelt im Hinterkopf - allerdings konnten sie nicht ahnen, daß deren Wertesystem und Geschmack sich in sooo kurzer Zeit sooo radikal ändern würde.
    Man hat ja auch in den 60er und 70er Jahren auf Aufnahmen der Vergangenheit "verächtlich" hinabgeblickt - aber das war eher der unzureichenden Tontechnik zuzuschreiben.
    Der Threadtitel war ingewisser Weise eine "Falle", wie übrigens der gesamte Thread. Nicht ich - nein jemand anderer hat genau das geschrieben - was ich geschrieben haben wollte - wenngleich über steinige Umwege.
    Die Frage, die sich daraus ergibt lautet:
    Mit welchem Recht qualifizieren wir, die Nachgeborenen historische Aufnahmen und ihre Interpreten ab, wo die Aufnahmen doch gar nicht für uns gemacht wurden ? Wir können sie annehmen, bewundern - oder negieren. (Ähnliches gilt übrigens für alle in diesem Forum gestarteten Threads - Dazu demnächst mehr im internen Bereich - NICHT HIER !!)


    Zitat

    Man könnte es allenfalls als interessantes Experiment sehen, mal etwas Aufzunehmen, von dem man klingt, so könnte das in 30 Jahren gespielt werden. Das allerdings ist keine ersntzunehmende Herangrhensweise.


    So etwas würde in der Tat nicht klappen. Selbst wissenschaftliche Prognosen und Zukunftsvisionen - und es gab deren eine Menge - lesen sich - 100 Jahre nach ihrer Publikation - lächerlich oder - je nach Beurteilung - peinlich.


    Wir sollten uns daher fragen WARUM historische Aufnahmen so klingen wie sie uns überliefert wurden.
    In vielen Fällen wissen wir es nicht. Aber wir haben auch einige Aussagen oder Hinweise. So wollte beispielsweise Wilhelm Kempff mit seinen selbst kreierten Kadenzen in den Beethoven Klavierkonzerten ein "modernes" Beethovenbild vermitteln - Das diese Kadenzen heut noch verstaubter anmuten als jene die er zu ersetzen versuchte ist eine andere Sache. Sie waren für eine gewisse Zeit, für ein gewisses Publikum gemacht - und verfehlten damals ihre Wirkung nicht. Heute kann man sie noch immer geniessen - als historisches Relikt einer guten Zeit....


    Auch die Wiedergabe von Bachs Goldbergvariationen (und etliches mehr) auf modernem Flügel ist aus dieser Sicht zu sehen - auch wenn das derzeit noch toleriert oder goutiert wird. Man wollte zeigen wie "modern" oder besser gesagt "zeitlos" Bach war - oder ist.
    In meiner Jugend erschien beispielsweise eine Platte "Switched on Bach" - wo Bach auf einem Moog Synthesizer dargeboten wurde - als Beispiel, wie got das doch klänge, wie modern und swingend Bach doch sei - eine geglückte Demonstration......
    Zig Jahre später verwendet ein Kritiker gerade diese Aufnahme als abschreckendes Beispiel - so mache man Bach kaputt....


    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Mit welchem Recht qualifizieren wir, die Nachgeborenen historische Aufnahmen und ihre Interpreten ab, wo die Aufnahmen doch gar nicht für uns gemacht wurden ? Wir können sie annehmen, bewundern - oder negieren. (Ähnliches gilt übrigens für alle in diesem Forum gestarteten Threads - Dazu demnächst mehr im internen Bereich - NICHT HIER !!)


    natürlich können wir sie annehmen, bewundern oder negieren, aber wir KÖNNEN und MÜSSEN diese Interpretationen auch KRITISIEREN! Bei Interpreationen wie bei Threads, von kritiklosem Abnicken oder drüber hinwegsehen halte ich nichts, so etwas kann in größeren und anderen Bereichen und Dimensionen auch ganz fatale Konsequenzen haben, wie uns die Geschichte gelehrt hat!


    Zitat

    "Schwierige Entscheidung", dachte ich bei mir "muß man denn nun das zeitgenössische Publikum vergraulen, um jenes der Zukunft für sich zu beginnen ?" - Und wer würde so dumm sein so etwas zu tun ?


    Man kann und muß, wenn einem sein künstlerisches Gewissen etwas anderes sagt! Und wenn das gut ist, kommt das Publikum auch wieder! Ich würde jedenfalls schon konstatieren, daß ein Harnoncourt, ein Leonhardt, ein Wenzinger, all diese Vertreter der historisch informierten Aufführungspraxis der ersten Stunde auf Platten (nicht generell, das war um die Wende zum 20. Jahrhundert), doch zunächst so dumm waren, das Publikum zu verlieren. Aber durch die Authentizität und affektbetonte Musizierweise, die ja auch in den Kompositionen steckt, schnell auch wieder Publikum bekommen. All diese Leute stehen ja heute ganz hoch in der Publikumsgunst und müßten ja nach der Definition im vorhergehenden Beitrag Päpste und damit sakrosankt sein. Ganz nebenbei halte ich nichts von dieser Art von Päpsten und erlaube mir auch daher zu kritisieren!


    Zitat

    Karajan - um einmal mehr den "Dirigenten aller Dirigenten" als Beispiel zu nehmen - war schlechthin DIE musikalische Instanz, Böhm war "Mozartpapst" (umgeben von einigen Ebenbürtigen, die aber eigenartigerweise nie so richtig ins Bewusstsen der Mehrheit vorgedrungen sind), Karl Richter die BACH-Kompetenz.


    wer hat denn entschieden, daß sie die Instanzen sind und ab wann waren sie diese Instanzen und für wen?
    Ich meine nur, Karajan hat schon eine beträchtliche Zeit dirigiert, als Furtwängler noch aktiv war. Und zu dieser Zeit hat er sicher nicht als Dirigent aller Dirigenten gegolten! Und wenn er Dirigent aller Dirigenten gewesen wäre, dann hätte er ja alles gleich gut bzw. Perfekt können müssen, was wie selbst die größten mir bekannten Karajan-Fans nicht behaupten würden. Jedenfalls hätte es dann nicht auch noch einen Mozart-Papst oder eine Bach-Instanz geben können.
    Wenn mich nicht alles täuscht überschneidet sich auch Böhms Schaffensperiode mit derjenigen von Fritz Busch. Zu Fritz Buschs Lebzeiten galt auch Böhm nicht als Mozart-Papst.
    Gleiches ließe sich jetzt auch über Karl Richter in Bezug auf einen Rudolf Mauersberger oder Günter Ramin sagen. Deren Bach-Sichtweise hat Richter übrigens auch radikal widerlegt und dafür sich nicht nur Glückwunschtelegramme des Publikums erhalten!
    Ich erlaube mir bei der Beurteilung einer Interpretation und eines Künstlers von dem auszugehen, was er aus der Partitur, aus der Vorlage des Komponisten, der er als reproduzierend Schaffender verpflichtet ist (wenn er das nicht will, kann er ja selbst komponieren oder improvisieren), gemacht hat. Für mich spielt die Anzahl seiner verkauften CDs keine Rolle (sonst Küste ich ja Herrn Rieun hinterher Rennen), die Pressekritik spielt bei meiner Einschätzung keine Rolle (denn welchem Kritiker soll ich vertrauen, es gibt eigentlich immer positive und negative Rezensionen) und schon gar nicht die Reaktionen eines anonymen Publikums. Mein Urteil muß dabei keineswegs (für alle) richtig sein, s gibt nun einmal unterschiedliche Geschmäcker. Es ist aber allemal ehrlicher und vermutlich auch fundierter, als das Wiederkauen von Rezensionen oder Verkaufszahlen von irgendwelchen CDs. Vielleicht habe ich einfach auch höhere Anprüche. Das klingt jetzt arrogant, ist aber gar nicht so gemeint.

  • Denn NATÜRLICH hatten die Künstler, wenn sie Aufnahmen machten AUCH die Nachwelt im Hinterkopf - ...

    ...wobei ich hier auch wieder an den vielgenannten Karajan denken muss. Seine wiederholten Einspielungen etwa der Beethoven-Symphonien kann man in perfektionistisch ausgearbeiteten Details innerhalb seiner eigenen Interpretationswelt als Veränderung gegenüber den Vorgängern hören ( ich verallgemeinere jetzt...), aber jeweils völlig neue Einsichten (wie es bei Mehrfachaufnahmen anderer Dirigenten manchmal der Fall ist) wollten sie wohl gar nicht vermitteln.
    Ich nehme an, dass der Grund für die wiederholten Einspielungen zu einem nicht geringen Teil in der sich immer noch weiter entwickelnden Qualität der Aufnahmetechnik zu finden ist.
    Würde der Herbert von Karajan heute noch leben und sich immer noch in friedlicher Zusammenarbeit mit seinem Orchester im Amte befinden, dann würde er sicherlich jetzt einen neuen Beethoven-Zyklus machen, diesmal als Blueray mit unkomprimierten 7.1. DTS-Master-Audio+ HD-Bild (vielleicht sogar gleich in 3D).
    Ob die Einspielungen musikalisch so viel anders wären, als ihre Vorgänger? Wohl eher in Nuancen.
    Wenn man in seine Biographie schaut, dann hat man den Eindruck, dass er dem Sterben irgendwie ein Schnippchen schlagen wollte.
    Er war von der Gültigkeit und der Qualität seiner Produktionen so überzeugt, dass er es für geradezu notwendig hielt, diese Ergebnisse für die Nachwelt so gut es nur ging zu konservieren.
    Bei seinen Audio-Aufnahmen ist ihm das ,aus heutiger Perspektive gesehen, oft auch gelungen. Seine im eigenen Kellerstudio produzierten Videos indes, die ihm ja gerade besonders wichtig waren, wirken heute - ähnlich wie die angesprochenen Kadenzen von Kempff- etwas merkwürdig und wie aus einer anderen, alten Zeit kommend.
    Das liegt m.E. gar nicht an der Musik, sondern an der Bildsprache.
    Seine Bildästhetik, bei der er sich bei den besten Stellen im besten Lichte zu sehen ist und die Musiker rhythmisch wie eine anonyme Armee hingesetzt und unscharf abgefilmt wurden, wirkt auf den heutigen Betrachter eher befremdlich, weil da ein Aspekt des Personenkultes mitschwingt, der heute unüblich ist und auch von seinen Zeitgenossen, wie etwa Böhm, Wand oder Jochum, in dieser Form nicht selbst gefördert wurde.
    Diese persönliche Eigenschaft Karajans lege ich aber zur Seite und konzentriere mich auf seine musikalischen Ergebnisse. Hier kann ganz Hervorragendes dabei sein, oder eben auch Sachen, die man sich besser von anderen Interpreten anhört (was ja eigentlich bei jedem Dirigenten so ist)


    Bild- und Tondokumente, bei denen der Maestro nicht selbst die Bildregie führte und das Orchester auch "normal" sass, strahlen diese befremdliche Wirkung auf mich hingegen nicht aus. Wenn ich diese Aufnahmen aus musikalischen Gründen haben will, dann besorge ich sie mir - wenn möglich- heutzutage lieber als CD.

    - allerdings konnten sie nicht ahnen, daß deren Wertesystem und Geschmack sich in sooo kurzer Zeit sooo radikal ändern würde.

    Ist das eigentlich gut oder schlecht?
    Und wenn es schlecht ist, wer trägt dann "Schuld"?


    Mit welchem Recht qualifizieren wir, die Nachgeborenen historische Aufnahmen und ihre Interpreten ab, wo die Aufnahmen doch gar nicht für uns gemacht wurden ?

    Ich finde auch, dass wir jenes Recht zum Abqualifizieren nicht haben. Natürlich kann man für sich sagen und sachlich begründen, dass einem diese und jene CD mehr oder auch weniger gefällt.
    Bei sehr guten Aufnahmen sind ja Dinge enthalten, die wohl zeitlos ihre Gültigkeit behalten werden, z.B. die Heraustellung des Melos bei Furtwänglers Interpretation der grossen C-Dur-Symphonie von Schubert oder auch der sich aus dem Notentext ergebende klangrednerische Dialog zwischen einer sich in den Vordergrund drängenden Solovioline, zwei "Heile Welt" beschwörenden Blockflöten, und herrisch "dreinschlagenden" und agressiv kommentierenden Tutti-Streichern bei Bachs 4. Brandenburgischen Konzert, in Harnoncourts zweiter Interpretation aus den 80er-Jahren.


    Manches hört sich nach Jahrzehnten bei alten Aufnahmen tatsächlich auch "alt" an, wie etwa die Verwendung dieser, auch noch von Karl Richter eingesetzten sogenannten Cembali, deren Klang im Vergleich zu den heute verwendeten Originalinstrumenten (oder Nachbauten) wohl kaum ernsthaft als singend und schön bezeichnet werden kann. Heute werden die Dinger jedenfalls von keinem Menschen mehr eingesetzt.
    Deswegen sollte man aber Karl Richter als Person nicht arrogant abqualifizieren, denn er war ein Kind seiner Zeit und benutzte nun einmal die Instrumente, die ihm zur Verfügung standen und mit denen er vertraut war. Ähnliches gilt für seine Spielweise, die er auch mit Aufkommen der Historischen Aufführungspraxis nicht mehr ändern wollte, was ich menschlich auch verstehen kann.


    Natürlich ist heute andererseits jeder (bis auf ganz wenige Harte-Kern-Ausnahmen) froh, dass Leonhardt mit seiner berühmten Aufnahme der Bachschen Cembalokonzerte (damals eine Pioniertat, heute auch so ein Klassiker) schon in den 60er-Jahren begann, einen anderen, für die Barockmusik angemesseneren Weg aufzuzeigen.
    Im Vergleich mit Interpreten seiner Generation und auch dem frühen Rilling ziehe ich aber immer noch eine schwungvollere und lebendigere Richter-Aufnahme vor.


    Die damalige Spielweise der Barockmusik bedurfte einer neuen Sicht m.E. wesentlich nötiger als etwa die der romantische oder hochromantischen Literatur, weshalb ich z.B. Furtwänglers Interpretation der Haydn-Variationen von Brahms (nach dem Krieg aufgenommen) auch heute noch sehr gerne und mit grosser Begeisterung höre, ja sogar neueren Aufnahmen musikalisch vorziehe.
    Das Einzige, was mich an diesen Aufnahmen stört, ist eben die historische Aufnahmequalität.


    Erst seitdem die Aufnahmequalität ein angenehm zu hörendes Niveau erreicht hat, wird man aus meiner Sicht überhaupt etwas realistischer den Gedanken an die Nachwelt miteinbezogen haben.
    Heute ist es wohl so, dass die Flut der Neuaufnahmen und die bereits vorhandenen Tonträger dafür sorgen, dass es eine einzelne neue Aufnahme immer schwerer hat, noch zu einem Klassiker zu werden, den auch die Nachwelt noch bewundern wird.
    Die auf dem Markt vorhandenen vielen Aufnahmen machen sie sozusagen das "Leben" gegenseitig schwer.


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Alfred, irgendwie verstehe ich nicht so ganz, wo Du mit deinem Beitrag eigentlich hin willst:


    GENAU DAS, ist es worum es in diesem Thread hier geht !!


    Na ja, dass die Zukunft eine unsichere ist, vor allem weil man nicht weiss, was sie bringt, wurde in diversen Beiträgen dieses Threads angeführt. Der Erkennnisgewinn hält sich also m.E. in Grenzen :S


    Zig Male habe ich mich geärgert, wenn an Karl Böhm. Herbert von Karajan, Karl Richter oder weiteren Größen ihrer Zeit hier im Forum gemäkelt wurde.
    Man hat stets ausser acht gelassen, daß es sich um die Grössten ihrer Zeit handelte -von Publikum und Kritik gleichermaßen bejubelt.


    Das Mäkeln bleibt naturgemäß nie aus, wenn Personen/Künstler auf ein Podest gehoben werden oder sich selber darauf heben. Letzteres kann man wohl einem Karajan nicht ganz absprechen, der in meinen Augen nicht nur ein genialistischer Dirigent, sondern vielleicht noch mehr ein genialer Selbstvermarkter war. Manchmal ist das Mäkeln dann Neid, manchmal vielleicht auch "typisch deutsch" und manchmal macht es auch einfach ein bisschen Spaß! Trotzdem gebe ich Dir recht, dass Mäkeln alleine nicht satisfaktionsfähig ist. Eine fundierte Kritik braucht Argumente. Und derartige Kritik muss immer erlaubt sein - egal, ob es sich um die "Grössten ihrer Zeit" handelt, oder nicht. Und mit Verlaub gesagt, ist es dabei relativ unerheblich, ob Du oder ich oder jemand anderes sich darüber ärgert, denn es handelt sich hier ja wohl nicht um das "Karajan-Gedenk- und Böhm-Bejubel-Forum", sondern - so hatte ich es jedenfalls verstanden und mich u.a. auch deshalb angemeldet - um ein Forum auch für den kritischen Diskurs über klassische Musik und über alles, was damit zusammenhängt!?


    Dann wieder gab es Dirigenten die damals allenfalls regionale Bedeutung hatte - Sie werden - auf wenn es zumeist nichts nützt - immer wieder aus der Mottenkiste geholt - weil sie ja eigentlich jene wären, denen das Publikum hätte seine Aufmerksamkeit schenken sollen. - Und EINIGE von denen - auch wenn man keine Aufnahmen von ihnen kennt, werden heute als "Geheimtip" gehandelt.


    Magst Du hierfür ein Beispiel nennen?


    Karajan - um einmal mehr den "Dirigenten aller Dirigenten" als Beispiel zu nehmen - war schlechthin DIE musikalische Instanz, Böhm war "Mozartpapst" (umgeben von einigen Ebenbürtigen, die aber eigenartigerweise nie so richtig ins Bewusstsen der Mehrheit vorgedrungen sind), Karl Richter die BACH-Kompetenz.


    Okay! Da haben wir genau dieses "auf ein Podest heben", welches den Widerspruch, über den Du dich dann hinterher ärgerst, geradezu - und eventuell beabsichtigt? - provoziert. Warum sollte ich Karajan als den "Dirigenten aller Dirigenten" anerkennen? Warum nicht Furtwängler? Warum nicht Toscannini? Und warum braucht es eine derartige Kategorie überhaupt?



    Der Threadtitel war ingewisser Weise eine "Falle", wie übrigens der gesamte Thread. Nicht ich - nein jemand anderer hat genau das geschrieben - was ich geschrieben haben wollte - wenngleich über steinige Umwege.


    Warum diese Geheimniskrämerei? Wer anderes hat es geschrieben? Und was wolltest Du schreiben?


    Mit welchem Recht qualifizieren wir, die Nachgeborenen historische Aufnahmen und ihre Interpreten ab, wo die Aufnahmen doch gar nicht für uns gemacht wurden ? Wir können sie annehmen, bewundern - oder negieren.


    Tatsächlich wird in diesem Forum sehr viel und zumeist auch sehr kompetent über die interpretatorischen und künslerischen Qualitäten historischer Aufnahmen geschrieben. Ein abqualifizieren vermag eher seltener zu erkennen. Übrigens ist dies auch nur möglich, weil derartige Aufnahmen inzwischen - zum großen Teil zu Spottpreisen - verfügbar sind. Das war vor 25 Jahren, als ich begonnen habe, mich ernsthafter mit klassischer Musik auseinanderzusetzen, anders: Es gab im wesentlichen die sog. Major-Label (DG, Decca, Philips) mit ihren Major-Artists (u.a. eben auch Karajan) und irgendwie habe ich das gute Gefühl, dass heute die Vielfalt deutlich größer ist. Dies betrifft übrigens nicht nur den historischen Sektor, sondern z.B. auch den HIP-Bereich und die moderne und sogar sehr-moderne Klassik. Insbesondere besteht viel mehr die Möglichkeit des kritischen Vergleiches: Ich kann z.B. zwischen einer Unzahl von Beethoven-Zyklen wählen, kann altes gegen neues halten. Gäbe es hingegen nur eine handvoll Aufnahmen, müsste ich vermutlich wirklich "annehmen, bewundern - oder negieren". Aber ich persönlich lebe gefühlt im goldenen Zeitalter der klassischen Musik, jedenfalls was die Verfügbarkeit von Interpretation angeht.


    (Ähnliches gilt übrigens für alle in diesem Forum gestarteten Threads - Dazu demnächst mehr im internen Bereich - NICHT HIER !!)


    Ein Einwurf, den ich nicht verstehe, von dem ich mir aber nicht sicher bin, ob er mich eher neugierig oder ängstlich machen sollte ... ?(

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Nun Alfred,


    dann kannst du ja zufrieden sein. Schön." Karajan hat Maßstäbe gesetzt, die von der Nachwelt über seine Tonaufnahmen nachvollziehbar sind und akzeptiert werden müssen".


    Bei Beethoven antworte ich dir schlicht: Nein.


    In diesem Thread ist aber eins deutlich geworden:


    1. mit Verkaufszahlen lockst du hier keinen Hund hinter dem Ofen hervor.


    2. die Gedanken über so ein allgemein gefasstes, tendenziös und suggestiv gehaltenes Thema drehen sich im Kreis. Die Schlüsse, die man aus den einzelnen, teilweise exzellenten Beiträgen folgern kann, bleiben im Grunde im Nebel. Aber ist das schlimm? Sie verdeutlichen, wie z.B. Glockenton sich intensiv mit dem Thema auseinadersetzt, er erzählt von sich. Toll. Lesenswert, wichtig, eine echte Bereicherung.


    Viele grüße Thomas

  • Zitat

    dann kannst du ja zufrieden sein. Schön." Karajan hat Maßstäbe gesetzt, die von der Nachwelt über seine Tonaufnahmen nachvollziehbar sind und akzeptiert werden müssen"

    Sie müssen nicht akzeptiert werden. Aber sie wurden es längst.


    Das Eigenartige an Internetforen ist, daß sie in der Tat keinen Spiegel der "öffentlichen Meinung" darstellen - sondern sich meist jene dort versammeln, die Kritik an derzeitigen Gegebenheiten üben wollen. Die "Zufriedenen" wollen einfach ihre Ruhe haben - Somit ist das Bild verzerrt.



    Zitat

    mit Verkaufszahlen lockst du hier keinen Hund hinter dem Ofen hervor.

    Hier lockt man mit GAR NICHTS einen Hund hinter dem Ofen hervor. Weder mit Verkaufzahlen, Plattenpreisen, Kritikerlob, Medienpräsenz, schönem Klang, allgemeiner Akzeptanz. Hier hält man an Dirigenten wie Scherchen, Fritz Busch oder Leibowitz fest, deren Aufnahmen zumeist irgendwo in den Archiven modern - so sie dort überhaupt noch vorhanden sind.



    Zitat

    Das Mäkeln bleibt naturgemäß nie aus, wenn Personen/Künstler auf ein Podest gehoben werden oder sich selber darauf heben. Letzteres kann man wohl einem Karajan nicht ganz absprechen, der in meinen Augen nicht nur ein genialistischer Dirigent, sondern vielleicht noch mehr ein genialer Selbstvermarkter war.

    Eigenartigerweise hat man das Karajan immer nachgesagt. In Wahrheit war er ein introvertierter Grübler, der - das ist belegt - ursprünglich Fernsehaufnahmen als Störung empfunden hatte. Auf Party langweilte er sich - weil er kein Meister des "Smalltalk" war. Erst als er erkannte, wie NÜTZLICH derlei zur Durchsetzung seiner Wünsche war lernte er die Spielregeln der Selbstvermarktung - und das - meisterhaft.



    Zitat

    Warum sollte ich Karajan als den "Dirigenten aller Dirigenten" anerkennen? Warum nicht Furtwängler? Warum nicht Toscannini?

    Das hat zum Teil mit der Aufnahmetechnik zu tun - aber wirklich kann ich es nicht begründen - Karajan ist weltweit als Synonim für "klassische Musik" in der Köpfen der Leute verankert - so wie "Caruso" für Tenor und "Callas" für "Primadonna". Carusos Zeitgenossin war die berühmte Adelina Patti (siehe Thread). Sie ist heute ebenso vergessen wie ihre Konkurrentin Nellie Melba (für die "Pfirsich Melba" kreiert wurde) - nur Callas ist unvergessen. Bei Tenören hat sich jedoch kein Nachfolger für Caruso gefunden, der so prägend auf die Opernwelt wirkte, wie er. Im Liedbereich ist Dietrich-Fischer-Dieskau der Monolith, an dem sich alle werden messen lassen - und das vermutlich noch die nächsten hundert Jahre. Und bei Dirigenten ist es halt der Karajan....



    Zitat

    ch meine nur, Karajan hat schon eine beträchtliche Zeit dirigiert, als Furtwängler noch aktiv war. Und zu dieser Zeit hat er sicher nicht als Dirigent aller Dirigenten gegolten

    Natürlich nicht. Dazu sollte man Idealerweise tot sein. Aber eine der wichtigsten Personen der Schallpattenindustrie hatte bereits einen Blick in die Zukunft getan und sich im Streit Furtwängler-Karajan auf Seite des letzteren gestellt... - Es handelte sich um Walter Legge!!


    Wir sind übrigens immer noch nicht OT, sondern loten die Grenzbereiche dieses Threads aus....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bei Tenören hat sich jedoch kein Nachfolger für Caruso gefunden, der so prägend auf die Opernwelt wirkte, wie er.


    Das sehe ich anders, lieber Alfred, und halte dagegen " Luciano Pavarotti ".
    Alleine die veränderte Aufnahmetechnik, die Vermarktung, Werbung und Publikation durch Presse, Rundfunk, TV, Schallplatten/CD´s, die vielen Auftritte an den größten und wichtigsten Opernbühnen der Welt, bedingt durch schnellere Verkehrsmittel und nicht zuletzt eine modernere, bessere Interpretation, gegenüber früherer manchmal kitschiger Auffassung, sprechen für meinen Geschmack für ihn.
    Herbert von Karajan soll sich mal so geäußert haben:" Ein Tenor wie Pavarotti wird in hundert Jahren nur einmal geboren". Besser und deutlicher kann man es nicht sagen.
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Hier lockt man mit GAR NICHTS einen Hund hinter dem Ofen hervor. Weder mit Verkaufzahlen, Plattenpreisen, Kritikerlob, Medienpräsenz, schönem Klang, allgemeiner Akzeptanz. Hier hält man an Dirigenten wie Scherchen, Fritz Busch oder Leibowitz fest deren Aufnahmen zumeist irgendwo in den Archiven modern - so sie dort überhaupt noch vorhanden sind.


    Das ist einfach Unsinn. Die Glyndebourner Mozart-Opern unter Busch sind, praktisch seit ihrem Erscheinen, Klassiker, die kaum je den Katalog verlassen haben. (Ulrich Schreiber hält noch Ende der 1970er nur Kleibers Figaro und, wenn ich recht erinnere Karajans Mono-Cosi aus den 1950ern für gleichwertig.) Natürlich hatten sie den Vorteil, zu den ersten Einspielungen dieser Werke überhaupt zu gehören. Aber sie haben es, wie sonst nur noch sehr wenige Sachen aus dieser Zeit (allen voran Schnabels Beethoven und Schubert oder Casals' Bachsuiten) geschafft, seitdem als Referenz zu gelten, obwohl sie seit den 1950ern klangtechnisch natürlich im Hintertreffen waren. (Ich weiß, dass deiner Ansicht nach "man" Mono ignoriert hat, sobald es was besseres gab. Komischerweise wurden aber dennoch durchweg sehr viele Aufnahmen von Busch, Schnabel, Toscanini usw. verkauft. "man" war anscheinend doch nicht alle Musikliebhaber.)


    Leibowitz' Beethoven hat ebenfalls seit dem Erscheinen Kultstatus. Das mag eher ein "Insider-Tip" gewesen sein, aber da gibt es auch nicht viele, die sich (eben ohne die Riesenpublicity und PR-Maschinerie Karajans) fast 50 als offener Geheimtip halten. Dazu kommt noch, dass diese Einspielungen, weil sie bei Reader's Digest erschienen, im englischsprachigen Raum sehr viel verbreiteter waren. Aber wir wissen ja alle, dass jeder Fiakerkutscher mehr von Beethoven versteht als die Amis... :stumm:


    Du bist nicht in der Lage, deine sehr stark regional geprägten Perspektive (Verkaufszahlen, stark beworbene Standardempfehlungen der major labels, "Ruf" eines Interpreten, besonders in Wien und Salzburg zwischen 1960 und 1975) zu überwinden, auch 40 Jahre später nicht.
    Es mag ja unbestritten sein, dass gewisse Dinge damals genau so gesehen wurden, wie Du erzählst (allerdings scheint es mir auch für damals eine sehr lokale Perspektive zu sein). Darum geht es aber gar nicht, sondern inwiefern das 40 Jahre später relevant sein sollte.
    Aber warum soll denn daraus folgen, dass, was damals Mainstream war, für alle Zeit gelten sollte? Das ist doch offensichtlich Unfug. Es ist doch ganz selbstverständlich, das solche Urteile aus einer größeren Distanz häufig relativiert werden.
    Keiner will Dir Deine Prägung streitig machen. Aber Du kannst doch nicht erwarten, dass irgendjemand anderes meint, dass eine "Verewigung" einer (räumlich und zeitlich) regionalen Prägung plausibel wäre.


    Was nicht damit zusammen stimmt, wird entweder ignoriert oder es bricht große Verwirrung aus, weil dann z.B. einfach nicht erklärbar ist, dass Böhms Beethoven-Sinfonien jahrelang aus dem Katalog verschwunden waren. Da warst Du doch offenbar der Ansicht, dass das ungerechtfertigt war. Wenn jetzt jemand ein ähnliches Argument bzgl. Scherchens Aufnahmen bringt, hältst Du das für schräg. Warum?


    Es ist bei Scherchen sogar viel einfacher zu erklären, weil das Label Westminster schon lange nicht mehr existiert, und die Aufnahmen oft rasch und billig produziert wurden. Wiederum ist es wie bei den Vorkriegsaufnahmen umso bemerkenswerter, dass ungeachtet dieser Probleme die Aufnahmen "Kultstatus" genießen und relativ viel davon immer noch oder wieder zu haben ist. Dass Scherchen vermutlich mehr Dirigenten als Schüler hatte und ziemlich sicher mehr Uraufführungen im 20. Jhd. dirigiert hat als irgendein anderer Dirigent seiner Zeit, ist noch eine ganz andere Sache. Aber wir wissen ja alle, dass so ein Einfluss auf das Musikleben gegenüber den Verkaufszahlen von Schallplatten keine Rolle für den Rang eines Dirigenten spielt.


    Noch eine letzte Anmerkung zum angeblich verletzenden Ton, mit dem über berühmte Interpreten hergezogen werde. Sicher kann man es da übertreiben, aber selbstverständlich muss eine nüchterne Kritik erlaubt sein. Und seltsam wirken solche Aufrufe zur Mäßigung, wenn die, die sich mitunter persönlich beleidigt fühlen, weil irgendein "Papst" kritisiert (=beleidigt?) wurde, nicht davor zurückschrecken, ähnliches oder noch handfesteres Vokabular gegenüber polarisierenden, gleichwohl sehr erfolgreichen Interpreten wie Gould oder Harnoncourt zu verwenden.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Mein lieber Chrissy,
    du weisst, wie sehr auch ich Pavarotti liebe und welche Opfer ich gebracht habe, um seine Live-Auftritte in Wien miterleben zu können.


    Aber was Caruso dem Luciano voraus hatte, war die staunenswerte Repertoire-Vielfalt und die verblüffende Wandlungsfähigkeit seines stimmlichen Ausdrucks. Wie sehr hätte ich mir einen Calaf von Caruso gewünscht, doch leider wurde die "Turandot" erst etwa zwei Jahre nach Carusos Tod uraufgeführt ...


    Rein von der Stimmschönheit stelle ich Björling und Thill, Fleta, Melchior und Wunderlich auch auf dieselbe Stufe mit Caruso und Pavarotti.


    Recht herzliche Grüße aus Deinem Wien, und dass du das 0:3 nicht allzu tragisch nimmst - es wird wieder bergauf gehen!
    Dein Fritz

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

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