In meiner Biographie steht, daß Chopin in seiner gesamten (!) Pariser Zeit gerade mal 7 oder 8 Konzerte gegeben hat. Er war ein sehr öffentlichkeitsscheuer Mensch. Damit konnte er sich seinen Lebensunterhalt sicher nicht verdienen.
Da ging es auch darum, dass Chopin kein "lauter" Spieler war - später auch aufgrund seiner Krankheit. Schon in Liszts Biographie über Chopin kann man lesen, dass er Liszt die Interpretation seiner Etüden neidig war, weil er kein Tastentiger war. Er spielte lieber im kleinen Kreis.
Konzertgeben war zudem in damaliger Zeit, in Abwesenheit von Managern, eine anstrengende Angelegenheit: Man musste sich um einen Saal, um den Druck der Plakate und Programmzettel, um weitere Teilnehmer (verkleinert die Saalmiete) - und natürlich um die Verteilung der Plakate bemühen. Ich denke nicht, dass es sich finanziell rentierte, Konzerte zu geben, außer man hieß Liszt oder Thalberg, oder man brauchte die Reputation. Chopin brauchte diese nicht: daher blieb er lieber im Salon und unterrichtete - wie die Mehrzahl der "Tonkünstler" damals (so nannte man die Musiker in Personalunion Komponist/Interpret/Pädagoge).
die Bewertung von Komponisten wechselt ja auch im Laufe der Zeiten. Es gibt welche, die wurden zu Lebzeiten vergöttert und sind heute fast vergessen oder zumindest ungespielt, und es gibt andere, die wurden zu Lebezeiten ignoriert und gelten der Nachwelt als Gigant. Dass Chopin von den Romantikern für ein Genie gehalten wurde, heißt also nichts zwangsläufig, dass man das heute unbedingt genauso zu sehen hat. Bei Chopin habe ich das Gefühl, dass seine Wertschätzung in den letzten 50 Jahren tendenziell(!) eher ein wenig abgenommen als zugenommen hat. Dass er ungeachtet dessen einer der bedeutendsten Klavierkomponisten der Romantik bleibt, steht außer Frage, aber seine Mitwelt hielt ihn natürlich auch für ein Genie AUF dem Klavier, und das können wir heute nur schwer beurteilen (wenn auch glauben) und ist für unsere Wertschätzung nicht so wichtig wie für die Zeitgenossen: Für uns zählt doch eigentlich nur noch der Komponist Chopin, nicht der Interpret Chopin.
Das Ganze nennt man "Rezeption".
Und der Begriff "Genie" ist gänzlich subjektiv - wie man auch sehr schön an dieser und vielen anderen Diskussionen im Forum sehen kann ...