Lebende Dirigenten und ihre "Referenzeinspielungen"

  • Liebe Forianer,


    Ja länger man Schallplatten (CDs) sammelt, desto mehr an der Vergangenheit orientiert wird die Sammlung. Neue Interpreten und Dirigenten werden zwar wahrgenommen, aber nur mehr in seltenen Fällen geschätzt, kennt man doch fast immer eine ältere Aufnahme, die besser ist. Das ist durchaus natürlich, weil der "pool" an hervorragenden Einspielungen langsam aber sicher größer wird. Zudem hat unsere Zeit kaum charismatische Dirigenten vom Schlage eines Furtwängler, Karajan oder Klemperer aufzuweisen, von Celibidache rede ich erst gar nicht Auch die großen lebenden "alten" (Abbado, Muti, Mackerras) sind keine Charismatiker, dazu kommt noch die restriktive Aufnahmepolitik der multinationalen Schallplattenkonzerne, die das Aufblühen eines "Stars", und hier meine ich einen wirklichen, sehr erschwert.
    Auch selbst ist man an dieser Tendenz schuld, greift man doch lieber zu seinen Lieblingsdirigenten der Vergangenheit, statt neues (das allzuoft enttäuschend ist) auszuprobieren, immer im Hinterkopf die Streichpolitik der Plattenlabel habend....


    Zur Definition "Enttäuschung": Ich bin auch dan enttäuscht, wenn eine aufnahme zwar gut ist, ihr Wiedererkennungswert jedoch null ist, damit meine ich "belanglos".


    Dennoch gibt es gelegentlich auch heute Aufnahmen die aufhorchen lassen (ich konnte mich beim Abhören von Rene Jacobs´neueren Mozart- und Haydnaufnahmen davon überzeugen) die so charakteristisch sind, daß sie den Vergleich mit älteren nicht zu scheuen brauchen, schon allein dadurch, weil sie eine eigene, unverwechselbare Auffassung repräsentiren (ohne das Werk zu vergewaltigen), sodaß sich der Vergleich erst gar nicht anbietet.


    Daß ich jetzt um Vorschläge Eurer Favoriten bitte, habt Ihr längst erraten, meine Vorstellung hier wären so drei bis vier Dirigenten
    (lebend und aktiv !!), aber das ist kein Dogma.
    Eine erläuternde Erklärung oder eine "idealaufnahme" wäre super, ist aber nicht Bedingung


    Grüße aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Hallo Alfred,


    so einen ähnlichen Thread wollte ich auch schon starten, hat sich damit aber wohl erübrigt :D.


    Tatsächlich ergeht es mir auch so, dass ich, wenn ich hier Empfehlungen ausspreche, mich wirklich mehr an den "großen alten Namen" und deren Einspielungen orientiere. Ich frage mich natürlich, ob es mir so geht, wie vielen "älteren" Leuten, die sich schlecht mit neuen Dingen, gleich auf welcher Ebene, anfreunden können, oder ob die Dinge früher wirklich besser waren - nicht generell, aber vieles, gerade auch im (uns hier interessierenden) kulturellen Bereich.


    Alfred schrieb:

    Zitat

    Auch selbst ist man an dieser Tendenz schuld, greift man doch lieber zu seinen Lieblingsdirigenten der Vergangenheit, statt neues (das allzuoft enttäuschend ist) auszuprobieren, immer im Hinterkopf die Streichpolitik der Plattenlabel habend....


    Nein. Diese "Schuld" nehme ich so nicht auf mich, denn natürlich habe ich meine alten Lieblinge, bin aber als eifriger Plattenkäufer natürlich immer noch auf der Suche nach dem Besseren, der ja bekanntlich der Feind des Guten ist. So gebe ich eben auch allen "Neuen" immer wieder Chancen, ihre Präsenzen in meinem CD-Regal zu erhöhen.
    Und es gibt auch wirklich noch Dirigenten, die tatsächlich einen eigenen Stil besitzen und, jenseits aller Maazelierung, relativ unverwechselbar klingen. Dazu zähle ich Harnoncourt, auch wenn ich nicht alles von ihm mag, besonders mit seinem Beethoven-Zyklus, J.E.Gardiner, den ich eigentlich sehr schätze, mit vielen seiner Aufnahmen (besonders Schumann, Beethoven, Mozart) und dazu zähle ich auch Boulez (aber auch hier mag ich nicht durchgehend alles). Ebenfalls der schon erwähnte Jacobs, Herreweghe und William Christie. (Da fällt doch auf, dass viele aus der Beschäftigung mit alter Musik kommen).
    Wenn du nach Charismatikern fragst, kommt allerdings noch Giulini in Frage. Allerdings auch mehr mit älteren als mit neuen Aufnahmen. Hier möchte ich den Don Giovanni hervorheben und Bruckner 8.



    Gruß aus Hamburg
    Uwe

  • Hallo Uwe, hallo Taminoianer, hallo Rest der Welt.


    irgendwie reizt mich dieser Thread, (na ja Faden ist es ja eigentlich noch keiner, es existiert dezeit ehe nur die Nadel zum Einfädeln) zum Lachen:


    Hätte ich geschrieben;


    "Heutige Dirigenten sind uninteressant" , welch ein Protest wäre da gekommen ...


    Die Reakton war interessant, auch wenn sie nur sehr partiell stattgefunden hat. Mehrheitlich ist Euch dazu nix eingefallen, oder die neuen Dirigenten haben euch halt nicht so interessiert.


    Bezeichnend war Uwes Beitrag, der formal ja im abgesteckten Rahmen blieb:
    einen lebenden Dirigenten zu nennen. Am Thema vorbei ging er nur insofern, daß Giulini heute kaum mehr oder nicht aktiv ist. :D


    De facto wurden also weitgehend alle heute aktiven Dirigenten nicht für der Mühe Wert befunden, hier erwähnt zu werden :yes:


    Ihr seid ja noch konservativer als ich !! :D



    Gruß aus Wien


    Alfred

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  • Einspruch, euer Ehren!


    Alfred schrieb:

    Zitat

    Ihr seid ja noch konservativer als ich !!


    Denn Uwe schrieb:

    Zitat

    ...zähle ich Harnoncourt, auch wenn ich nicht alles von ihm mag, besonders mit seinem Beethoven-Zyklus, J.E.Gardiner, den ich eigentlich sehr schätze, mit vielen seiner Aufnahmen (besonders Schumann, Beethoven, Mozart) und dazu zähle ich auch Boulez (aber auch hier mag ich nicht durchgehend alles). Ebenfalls der schon erwähnte Jacobs, Herreweghe und William Christie


    ...du hast vielleicht übersehen, dass ich sehr wohl einige Namen genannt habe, nur eben nicht mit Referenzeinspielungen (da bin ich eigentlich immer vorsichtiger, weil ich denke, es braucht immer etwas längere Zeit, dies angemessen beurteilen zu können).



    Alfred schrieb:

    Zitat

    "Heutige Dirigenten sind uninteressant"


    Ich muß wirklich zugeben, ältere Dirigenten haben/hatten für mich einfach mehr Charisma. Deswegen fällt mir wahrscheinlich auch zu Rattle nichts wirklich aufregendes ein. :D


    Gruß aus Hamburg
    Uwe

  • Referenzaufnahme von Messiaens letztem, vollendeten Werk, einem Glanzpunkt der Klassischen Moderne:



    Arnold Schoenbergs noh immer weitgegend unbekanntes Oratorienfragment "Die Jakobsleiter" unter der Leitung von Berlins
    charismatischstem Dirigenten :D



    Abbados Abschiedsgeschenk an die Berliner, unglaublich selbstverwirklichend und bei Mahler und Wagner voller Wärme, Liebe und gekennzeichet von großem gestalterischem Vermögen:



    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo,


    Nachdem tatsächlich einiges von Euch gekommen ist, auch Dirigenten die ich noch nicht kenne (Nagano), allerdings wenig was den Kern der Klassik also, die Großen 4 trifft.


    Ja es wurde Harnoncourt genannt, in meinen Augen ein hervorragender Musikwissenschafter, als Dirigent trifft er jedoch nicht meinen Geschmack. Er liebt es "Brüche" und "Kanten" herauszuarbeiten, selbst wenn da keine sind, ja ich würde ihn (und den unseligen Göbel) geradezu für die Begründer dieser Mode betrachten.


    Mein Urteil über Simon Rattle ist vielleicht deshalb so positiv, weil ich soviel negatives von ihm erwartet habe :yes:


    In meiner Jugend sah ich in ihm einen englischen Priovinzkapellmeister, der einem ebensolchen Orchester vorstand. War es wert ein Auge (Ohr) auf ihn zu werfen, wenn man in einer Stadt lebte das eines der weltbesten Orchester zu verfügung hat, und wo in jenen Zeiten einander Bernstein, Böhm und Karajan die Klinke in die Hand gaben?
    Nun es ist viel Zeit vergangen, inzwischen dirigiert er sowohl die Wiender, als auch die Berliner, die ihn immerhin zu ihrem Chefdirigenten kürten (Die Wiener haben diese Position gar nicht)
    Beim Abhören seiner Beethoven Sinfonien. und noch mehr beim Live-Erlebnis (Ich war beim Mitschnitt der 4. und 7. im Musikvereinssaal anwesend) gewann ich jedoch einen eher positiven Eindruck: Sooo radikal modern, wie angedroht, war der gar nicht, allerdings setzte er giwisse Akzente anders, was ja gerade den Reiz der Sache ausmacht.



    Roger Norrington lernte ich bei einem Bekannten kennen mit seinen Bruckner-Einspielungen, die extrem schlank geraten waren.
    Ich bin kein Bruckner Fan und wenn, dann von Böhm oder Jochum, Norrington hat mich nicht überzeugt.
    Dann sah ich ein Filmportrait des Dirigenten im Fernsehen, mit Musikbeispielen von Mozart, Schubert und Beethoveh (so erinnerer ich mich jedenfalls). Sofort war alles ganz anders:
    Schon am nächsten Tag durchforstete ich die Geschäfte in Wien um seine im Fonoforuim gelobten Haydn Sinfonien zu kaufen: Fehlanzeige-gestrichen !! So erging es mir aich mit Beethoven, Schubert und Mozart.
    Nach und nach tauchten seine EMI-Aufnahmen im Mid-price-Sektor (Virgin-Veritas) wieder auf, und so konnte ich etliches erwerben. Sicher ziehe ich Böhm, Krips und Bruno Walter vor, aber trotzdem: Bei den heutigen Dirigenten mischt IMO Norrington ganz vorne mit.
    Ads gibt IMO besonders für die Aufnahmen die er für Hänssler gemacht hat.


    Eine wirkliche Überraschung, zumindest im Bereich Oper, war und ist für mich René Jacobs. Mit seinen Opernaufnahmen der "Cosi" und des "Figaro" hat er sich IMO einen Platz ganz nach vorne unter den lebenden Mozart-Opern-Dirigenten erarbeitet, als Spezialist der Alten Musik war er ohnedies schon lange anerkannt.


    Es gibt noch einges, aber vielleicht konnt das von
    Einer oder Einem von Euch


    Viel Grüße


    Alfred

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  • Hallo zusammen,


    beim Stöbern in alten Threads stieß ich auf diesen hier, der wohl seinerzeit an mir vorbei ging. Alfred schrieb damals:


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Zudem hat unsere Zeit kaum charismatische Dirigenten vom Schlage eines Furtwängler, Karajan oder Klemperer aufzuweisen, von Celibidache rede ich erst gar nicht Auch die großen lebenden "alten" (Abbado, Muti, Mackerras) sind keine Charismatiker, dazu kommt noch die restriktive Aufnahmepolitik der multinationalen Schallplattenkonzerne, die das Aufblühen eines "Stars", und hier meine ich einen wirklichen, sehr erschwert.


    Wie man ja in einem ähnlich gelagerten Thread des Forums sehen konnte, können die Ansichten darüber, wer bzw. was genau wirklich charismatisch ist, stark auseinander gehen.
    Ich möchte aber vor allem in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es sich bei den meisten genannten Dirigenten der Vergangenheit um einen ganz speziellen "Charisma-Typus" handelt , man könnte gut noch Toscanini hinzunehmen und hat eine illustre Versammlung an Autokraten, die sich im Umgang mit ihren Musikern zwischen unerbittlicher Strenge bis hin zu diktatorischen Auswüchsen bewegten. Die Früchte dieser Arbeitsweise liegen natürlich eindrucksvoll in unbestrittener Quali- und Quantität vor.


    Nur glaube ich, dass sich mittlerweile in der Tat einiges verändert hat - und zwar hinsichtlich dessen, was ein Orchester sich bereit ist bieten zu lassen. ;)


    (Hier als Einschub eine Anekdote aus den Proben zur mittlerweile berühmten Aufnahme von Bruckners achter Sinfonie mit den Berliner Philharmonikern unter Günter Wand aus dem Jahre 2001. Ein Musiker berichtete später in einem offiziellen Magazin des Hauses etwas folgendes: Günter Wand war bei den Proben nicht sehr nett zu uns, aber hinterher waren wir alle mit dem Ergebnis unserer Arbeit hochzufrieden. :D)


    Betrachtet man sich mit Abbado (den ich durchaus für sehr charismatisch halte, nur halt nicht für extrovertiert!) und Ozawa z.B. zwei Dirigenten der jetzt alten Generation, hat man halt einen anderen Menschentypus vor sich. Wobei Abbado bei der Probenarbeit alles andere als zahm ist, aber die Herangehensweise schon dieser Generation an das gemeinsame Musizieren war ungleich demokratischer, als die unter den "großen Alten". Simon Rattle ist in dieser Hinsicht sicher ein Prototyp der neuen Generation (ob er so erfolgreich sein wird, wie die vergangenen, wird man erst später beurteilen können ;)).


    Nun ja, lange Rede: Ich wollte einfach mal den Gedanken anstoßen, dass ein erfolgreicher Dirigent (erfolgreich im Sinne von "Der Kunst dienlich" verstanden !) ja vor allem dadurch ausgezeichnet ist, dass er seine Vorstellung von Musik dem Orchester vermitteln kann, ansonsten ist seine ganze künstlerische Potenz wertlos. Und dazu ist erstmal die Grundvoraussetzung, dass ihm das Orchester folgt (bei aller Demokratie bleibt es natürlich ein Diktatorenjob :D). Und insofern erscheint es mir durchaus fraglich, ob sich ein Orchester heutzutage noch so unterordnen lassen würde, wie einst üblich. Bzw. anders und genauer formuliert: Es muss sich ja unterordnen wollen und die Kunst ist es nun, es dazu zu bringen. Und vielleicht braucht es da in modernen Zeiten auch einen anderen Charismatypus. ;)


    Gruß
    Anti

  • Lieber Uwe ,
    kein Zweifel : Giulini ist einer der grössten Dirigenten aller zeitehn . Au jeden Fall der vielleicht seriöseste .
    M e i n e Refernzaufnahmen seiner Aufnahmen sind :
    verdi : Requiem mit Schwartkopf u.a. (EMI)
    Mozart : Le Nozze di Figaro ( EMI )
    Verdi ; La Traviata : Callas , Bastinaini , di Stefano (EMI )
    Verdi : Rigoletto : Cappuccilli , Cotrubas , Domingo (DG )
    Beethoven : Symphonien Nos 3 (los Angels Philh Orch. ) ; 7 ( Chicago Symphony Orchestra )
    Mozart: Klavierkonzert KV 467 , C-Dur, mit Alexis Weissenberg
    Tschaikowsky : "Pathétique" ( Philh. Orch. London ; EMI )
    Brahms ; Symphonien Nos 1-4 (Philh Orch Lond. ; EMI - n i c h t die spätere Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern
    Vivaldi : Le Quattro Stagioni ( mit Manou Parikian , Violine - Testament)
    Brahms : Klavierkonzerte 1 und 2 mit Claudio Arrau ( EMI )
    Phantastisch auch sein "Fallstaff" mit völlig unverbrauchten jungen Sängern ( DG ) !!!
    Dvorak : Symphonien Nos. 7 und 8 (EMI)
    Schumann : "Rheinische" (DG)
    Beste Grüsse
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Mal abgesehen davon, dass ich "Referenz" für problematisch halte und den einzigen Zweck in einer konkreten Referenz sehe, z.B. wenn einer eine Neuaufanhmen von z.B. Bruckners 8. rezensiert und als Referenz, also als die Einspielungen, auf die er sich hauptsächlich zum Vergleich stützt etwa Haitink, Jochum und Giulini angibt, denke ich, dass ein gar nicht kleiner Teil sowohl der Musik des 20. Jhds. und vor allem natürlich barocker, vorbarocker, teils auch klassischer Musik von noch lebenden Musikern in "Referenzqualität" eingespielt worden ist. In diesen Fällen ist die Frage daher recht trivial zu beantworten :D
    Barock und älter lasse ich daher weg. Allerdings sind einige der Einspielungen ca. 30 oder mehr Jahre alt, obwohl die Musiker noch leben und aktiv sind, also alphabetisch


    Claudio Abbado:
    Brahms Chorwerke: Nänie, Gesang der Parzen, Schicksalslied etc. Hier ist Konkurrenz (mit Ausnahme der Alt-Rhapsodie) so mau, dass eine wirklich gut Einspielung in modernem Klang Referenzcharakter erreicht. Sonst finde ich Abbado auch oft eher blaß.


    Pierre Boulez:
    Mahler - Das Klagende Lied
    Ravel - Orchesterwerke
    Debussy - Orchesterwerke
    (alle um 1970 eingespiel)


    Michael Gielen:
    Bruckner - 7. Sinfonie
    Er hat auch fast alle anderen eingespielt, ich schätze besonders die 5. auch sehr, aber diese 7. scheint mir deshalb besonders hervorzuheben, weil es sich um eine schlanke, zügige, sehr klar strukturierte Einspielung handelt, ähnliches gilt natürlich auch für seine anderen Bruckner-Aufnahmen


    Mahler - inzwischen sämtliche Sinfonien bei Hänssler; ich kenne noch nicht alle, einige aber schon recht lange, vielleicht könnte man auch hier die 7. hervorheben.
    Nun ist bei Mahler heute eine "Referenz" sicher schwer auszumachen, es gibt ja ständig neue Aufnahmen (Chailly, Tilson Thomas, Nagano) meistens technisch herausragend; ich kenne die natürlich auch längst nicht alle, aber Gielen ist jedenfalls sehr gut.
    Ich schätze auch seine Beethovensinfonien, eigentlich alles, was ich von ihm kenne, sehr.
    (eingespielt von Mitte der 80er bis vor wenigen Jahren bei den neuesten Mahleraufnahmen)


    Nikolaus Harnoncourt:
    Mozart - Sinfonien 25-41
    Das ist zumindest meine Referenz :D auch wenn sie naturgemäß umstritten sind.(aufg. Anfang der 80er)


    Dazu würde ich meinen, dass heute bei fast allen Chorwerken, nicht nur denen des Barocks eine neuere Aufnahme (ab ca. 1970) als Ko-Referenz genannt werden wird, einfach weil mit ein oder zwei Ausnahmen die Chöre früher oft ziemlich mies waren, z.B. Missa solemnis mit Gardiner, Haydn-Messen mit Weil oder Harnoncourt, Brahms-Requiem mit Herreweghe.
    Wenn man das zusätzlich zu der Tatsache, dass praktisch alle vor 1770 oder nach 1950 entstandenen Musikstücke, ebenso viele früher weniger beachtete Komponisten wie Zemlinsky oder Nielsen, moderne "Referenzaufnahmen" aus den letzen 20-30 Jahren haben, beschränkt sich der Totenkult auf das Kernrepertoire von Beethoven bis Wagner und Brahms.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Taminoaner,


    die Bezeichnung Referenzaufnahme ist immer relativ und wenn man schon länger in diesem Forum weilt, weiß man das man mit dieser Bezeichnung vorsichtig sein sollte.


    Aber dennoch möchte ich eine Gesamtaufnahme des Dirigenten Neeme Järvi, der oft als Vieleinspieler bezeichnet wird, als seine Referenzaufnahme bezeichnen. Es sind die Nielsen-Sinfonien, zu denen ich vorige Woche einen Thread gestartet hatte:


    :] Was Järvi aus den Partituren herausholt, wie er die hervorragenden Göteborger Sinfoniker zu ihren Höchstleistungen animiert, unterstützt durch allerbeste DG-Klangqualität, die alles aus den Lautsprechern tönen läßt, ist eine ganz besondere Referenz !


    ;) Ich kenne eine Menge Järvi-Aufnahmen und bin bisher nie von diesem Dirigenten enttäuscht worden. Grieg, Schostakowitsch, Khatchaturian, Tubin, Tschaikowsky, Prokofieff, Strawinsky, Barber, Ives, Honegger sind die Komponisten, die mir spontan mit meinen Järvi-CD´s einfallen - aber die Krone sind seine nun neu aufgelegte DG-Aufnahme der Nielsen - Sinfonien.
    P.S. Järvi hat zuvor auf dem Label BIS mit gleichem Orchester eine Nielsen-Sinfonien-Gesamtaufnahme gemacht.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich hole diesen Thread mal wieder aus der Versenkung. Einerseits weil ich das Thema interessant finde, andererseits weil einige der bisherigen Threads – ich bitte um Verzeihung – von Loriot stammen könnten.


    Das klänge ungefähr wie folgt: Unterhalten sich zwei Klassikliebhaber. Sagt der erste: „Kennst du lebende Dirigenten?“ Darauf der zweite: „Wieso das denn? Braucht doch keiner.“ Der erste, etwas beschämt: „Na ja, ich möchte mal hören, wie die Jugend so spielt.“ „Also gut“, findet der zweite: „Giulini, Abbado…“ Er denkt angestrengt nach, ihm fällt aber sonst keiner ein. Also bestimmt er: „Das sollte reichen.“ Der erste merkt an: „Giulini ist 1914 geboren, Abbado 1933. Sind die nicht schon ein bisschen alt?“ Antwort des zweiten, belehrend und ernst: „Nein, in der Klassik ist man nie zu alt.“


    Angemerkt sei, dass Giulini im Jahre 2005 gestorben ist.


    Jetzt im Ernst. Es gibt tatsächlich bei Klassik-Sammlern eine Tendenz zum Althergebrachten. Was liegt da näher, als sich mit der Frage zu beschäftigen, welche jungen Dirigenten heute hörenswert sind. Immerhin, so könnte man denken, war beispielsweise vom jungen Karajan Außerordentliches zu hören. Wo sind sie also die neuen Karajans? Ich vermute, das war bei Erstellung des Threads die Idee von Alfred. Er hat ja auch zur Nennung von Giulini sogleich eine ironische Anmerkung gemacht. Nur war die Vorgabe, lebende Dirigenten, doch wohl etwas zu weit ausgeholt. Ich möchte den Thread also umtaufen. Es geht nicht um lebende Dirigenten, sondern um Dirigenten, die jetzt noch nicht 50 Jahre alt, also ab 1957 geboren sind.


    Damit fallen bereits heraus: Chailly (*1953), Chung (*1953), Gergiev (*1953), Rattle (*1955)


    Im zeitlichen Rahmen und hörenswert aber sind:


    Marin Alsop (*1956, aber im Oktober): Barber, Sinfonien Nr. 1 und 2:


    Ingo Metzmacher (*1957): Wozzeck:


    Esa-Pekka Salonen (* 1958) Adams: Naive and sentimental music:


    Andrew Litton (*1959): Schostakowitsch: Klavierkonzert Nr. 1 mit Hamelin:


    Antonio Pappano (*1959): Massenet: Manon


    Welser-Möst (*1960): Schmidt: Sinfonie Nr. 4


    Un der mit Abstand Jüngste: Daniel Harding (*1975): Britten: Turn of the Screw:


    Zu nennen ware sicherlich auch Christian Thielemann. Von dem aber kenne ich bislang noch nichts.


    Mit Lust auf mehr grüßt

  • Wenn man die virtuelle Bandbreite dieses Threads betrachtet, dann war das Ergebnis - von hervorragnden Einzelbeiträgen abgesehen - eher mager - und deutet entweder auf ein gewisses Desinteresse an lebenden Dirigenten hin (der 2004 genannte Giulini ist ja inzwischen leider verstorben, sowie einige andere potentielle Anwärter) - oder aber es wird auf die Tatsache hingewiesen, daß es derzeit kaum lebende Dirigenten mit "Referenzaufnahmen" gibt.
    Ich werde in den nächsten Tagen versuchen einige Namen und ihre Aufnahmen ins Spiel zu bringen - und freue mich schon jetzt auf heftigen Widerspruch. Man sollte allerdings das Wort "Referenzen" nicht allzu streng sehen, sondern vielleicht in der Hinsicht -"Aufnahmen, die unsere Zeit prägen" - ungeachtet dessen, daß es vermutlich zumeist eine 35 oder 50 Jahre alte Aufnahme gibt, welcher "besser" ist...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

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  • GMD a. D. Prof. Wolfgang Sawallisch (geb. 1923):



    Fraglos eine der gelungensten Gesamteinspielungen der Schumann-Symphonien.


    Diese nur stellvertretend für unzählige referenzträchtige Aufnahmen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Egal wie man zu ihm steht, Christian Thielemann ist zweifellos eine der derzeit prägenden Dirigentenpersönlichkeiten unserer Zeit. Schon mit seinen esten Aufnahmen für die Deutsch Grammophon erregte er durch seine Programmauswahl - die eigentlich die Programmauswahl seines damaligen Labels -der Deutschen Grammophon Gesellschaft - den Unmut gewisser Kritikerkreise - weil er es wagte Pfitzner zu dirigieren.
    Und dann noch Richard Strauß - und Richard Wagner. (!!!)
    Aber das alles hat er und sein Publikum einfach negiert - er ist seinen Weg gegangen, hat sein Kernrepertoire dirigiert und auf Tonträger aufgenommen - und von Aufnahme zu Aufnahme, von Angriff zu Angriff (auf seine Person) seine Position uind seinen Ruf gefestigt. Man hat ihn mit Furtwängler verglichen - und auch mit Karajan - aber das hätte er nicht gebraucht er ist Eigenpersönlichkeit genug.



    Sein Beethovenzyklus wurde teilweise (auch im Foruim) heftig angegriffen, aber auch bejubelt. Er ist ein Dirigent der polarisiert - und wenn wir Rückschau halten, so waren es zumeist jene Künstler, die in aller Munde waren und oft noch viele Jahre nach Ende ihrer Karriere noch sind. Die Wiener Philharmoniker schätzen ihn und ein Großteil des Publikums, das deutsches Repertoire bevorzugt - ebenso.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Man hat ihn mit Furtwängler verglichen - und auch mit Karajan - aber das hätte er nicht gebraucht er ist Eigenpersönlichkeit genug.


    Na ja. Es war ja vorauszusehen, dass der lethargische Beethoven-Zyklus Thielemanns hier auf den Referenzthron gehoben werden soll. Natürlich ist Österreich ein freies Land, und wer dieser Meinung ist, der darf sie äußern. Aber keiner kann gezwungen werden, solche Äußerungen ernst zu nehmen.


    Ich beginne mal mit barockem Repertoire:



    :hello:

  • Und die Klassiker:



    (Zur "Schöpfung" habe ich keine echte Referenz ... Harnoncourt I? Gardiner?)



    (Beethoven? Nee ... Harnoncourt? Gardiner? Paavo Järvi?)

  • Im 19. Jhd. wird es dann eng. Beethoven habe ich schon erwähnt.


    Schubert: Furtwängler, Klemperer, Wand und Mackerras sind tot.


    Wenn man mag, kann man dem Mendelssohn-Zyklus unter Abbado und dem Schumann-Zyklus unter Sawallisch die Referenzkrone aufsetzen. Ich tue mich ein wenig schwer damit - beiden Zyklen fehlt ein Quäntchen Begeisterungsfähigkeit, sie sind eher fehlerfrei als mitreißend. Dennoch, auch mangels Alternativen gehören sie zu den ersten Empfehlungen für beide Zyklen:



    Die Mendelssohn-Oratorien unter Frühbeck de Burgos (Paulus) und Sawallisch (Elias) haben trotz Herreweghe und Masur immer noch Referenzstatus:



    Bruckner? Wand und Celibidache sind tot, von Schuricht, Knappertsbusch, Horenstein u. v. a. ganz zu schweigen. Bei Herreweghe tue ich mich mit dem Referenzstatus schwer. Doch die 5. und 6. mit Barenboim und Blomstedt sind ausgezeichnet:


    (<--- Klick mich!)


    Bei Brahms muss ich passen. Furtwängler, Walter, Klemperer, Wand, mit Abstrichen Karajan und Mackerras sind hier meine Platzhirsche. Leider alle tot.


    Tschaikowsky und Dvorak? Zumindest bei ersterem tut sich eine ganze Menge auf dem Plattenmarkt. Kenne ich aber nicht und halte es mit Mrawinsky (Tschaikowsky) und Kubelik/Giulini (Dvorak).


    Auch die großen Mahler-Dirigenten (Walter, Klemperer, Horenstein, Bernstein, Tennstedt) haben das Zeitliche gesegnet. Blieben noch Abbado und Haitink. Und Rattle! Zwar fand ich dessen Aufnahmen aus Birmingham oft recht dünn und kraftlos, doch mit den Berlinern ist ihm m. E. Außerordentliches gelungen. Und die 6. mit Gergiev finde ich phänomenal.



    Soweit mal von Schubert bis Mahler ...

  • Im 20. Jhd. könnten wir mit Strauss beginnen. Kempe, Reiner und Karajan sind tot, doch können wir uns bspw. an Dohnanyi (auch klangtechnisch) fulminanten Aufnahmen erfreuen. Alpensinfonisch bin ich leider nicht auf dem letzten Stand, da hat es wohl einige bemerkenswerte Aufnahmen in den letzten Jahren gegeben.


    () <--- Klick mich!


    Bei Sibelius und Nielsen wären wenigstens Ashkenazy (vor allem für die 1. und 5.) und Blomstedt zu nennen:



    Schönbergs Gurrelieder sind bei Chailly, "Verklärte Nacht" und die Kammersinfonien bei Holliger in besten Händen:



    Strawinskys unverwüstlicher Sacre profitiert natürlich von modernster Aufnahmetechik. Ausgezeichnet unter Boulez und Jansons:



    Auch Schostakowitschs Sinfonien liegen dem lettischen Dirigenten - diese Box darf bei Freunden dieser Musik nicht fehlen:


  • Im 20. Jhd. könnten wir mit Strauss beginnen. Kempe, Reiner und Karajan sind tot, doch können wir uns bspw. an Dohnanyi (auch klangtechnisch) fulminanten Aufnahmen erfreuen. Alpensinfonisch bin ich leider nicht auf dem letzten Stand, da hat es wohl einige bemerkenswerte Aufnahmen in den letzten Jahren gegeben.


    Lieber Wolfram,


    das schöne bei Strauss ist, daß man ihn die Wiener Philharmoniker auch ohne Dirigenten spielen lassen könnte und das Ergebnis immer noch fantastisch ausfallen würde. So darf es wenig verwundern, daß Thielemanns (für mich) "beste Aufnahme" tatsächlich die der Alpensinfonie ist... ;) :stumm:


    Von Dohnanyi präferiere ich ebenfalls, aber ibs. André Previn:



    "Klangschwelgerischer" als er ist kaum jemand, zudem spielen die Wiener Philharmoniker auf allerhöchstem Niveau, bei allerbester (Telarc-gemäßer) Klangtechnik.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Von vielen referenzträchtigen Aufnahmen Gergijews sticht m. E. besonders die exquisite "Leningrader" Symphonie von Schostakowitsch hervor:



    Für mich die moderne Referenzaufnahme dieses Werkes.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Ein Dirigent mit "Profil" wäre beispielsweise Roger Norrington. Ich habe mir oft die Frage gestellt, ob er mit seinen London Classical Players "gescheitert" ist, ob er sich von EMI auf eigenen Wunsch getrennt hat, oder ob er abgesägt wurde, weil die merkantilen Erwartungen nicht erfüllt wurden. Wie dem auch sei - Norrington hat das Kunststück geschafft mit einem völlig anders strukturiertem Orchester, nämlich dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart an die Erfolge in London anzuknüpfen, bzw sie noch zu übertreffen und diesen Klangkörper nach seinen Vorstellungen umzugestalten, sodass ein eigener Klang, oft "Stuttgart Sound" genannt - entstanden ist.



    Nun ist die vibratolose - oder besser gesagt vibratoarme - Spielweise sicher nicht jedermann Geschmack - und zudem eignet sie sich für manches Materiel besser, für anderes eben weniger gut - aber die Konsequenz mit der Norrington über Jahre hindurch seine Vorstellung verwirklicht, das ringt mir schon irgendwie Hochachtung ab....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

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