Mein persönlicher Zugang zu Sibelius - und mehr ........

  • Dies ist der erste neue Thread, der dem "Jahresregenten" Jean Sibelius gewidmet ist. Es existieren schon einige Threads über diesen Komponisten, die wir, so sie uns geeignet erscheinen, weiterführen werden. Sie werden im Laufe des Threads hier verlinkt, so daß dieser Thread ein guter "Wegweiser" sein wird.


    Jean Sibelius (1865-1957) befindet sich ja an der Schwelle zwischen Spätromantik und (klassischer) Moderne. Er war eigentlich nicht unumstritten - und im deutschen Sprachraum nicht unbedingt bekannt und geschätzt. Das hat sich in den letzten Jahren/Jahrzehnten doch sehr gewandelt - und man fragt sich nach den Ursachen. Hier in diesem "allgemeinen" Thread geht es um persönliche Ein- und Wertschätzung - Hörvergleiche und Rezensionen finden jeweils in den entsprechenden Spezialthreads statt.


    Bei reger Teilnahme sind weitere Threads dieser Machart über andere Komponisten geplant.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Er war eigentlich nicht unumstritten - und im deutschen Sprachraum nicht unbedingt bekannt und geschätzt. Das hat sich in den letzten Jahren/Jahrzehnten doch sehr gewandelt - und man fragt sich nach den Ursachen.


    Dazu gäbe es sehr vieles zu sagen. Es müssten auch die Unterschiede der Rezeptionsgeschichte zwischen Ost und West herausgestellt werden. Wollte man aber näher und tiefer darauf eingehen, wären wir wieder bei jenem Thema und jenen Namen, welche Du lieber Alfred, in Deinem Forum gar nicht genannt haben willst. Deshalb wundere ich mich, dass Du ausgerechnet noch vor dem eigentlichen Sibelius-Jahr an dieser Stelle zu bohren beginnst. Ich weiß, mein kurzer Beitrag hier ist es was kryptisch, aber ich habe meine Gründe für die Verklausulierung. Denn mir wurde ja erst neulich erst bedeutet, dass es unpassend sei, bestimmte historische Epochen in Deutschland begründend und erklärend hinzuzuziehen. ;)


    Ich bin sehr gespannt, wie sich dieser Thread entwickelt. Denn für mich ist die Musik von Sibelius fast schon existenziell. Ein Leben ohne ihn kann ich mir gar nicht vorstellen. Seit ich bewusst Musik höre, höre ich ihn. Nicht nur die Sinfonien und die sinfonischen Dichtungen. Der Auslöser war mit zwölf/dreizehn Jahren die 2. Sinfonie mit dem Gewandhausorchester unter Garaguly. Sehr wichtig sind mir seine Lieder geworden wie sie Kirsten Flagstad singt. In diesem Forum habe ich viele neue Eindrücke empfangen, für die ich sehr dankbar bin. :hello: Es gibt Mitglieder, die noch viel mehr verstehen von Sibelius als ich. Unser Freund Joseph II. hat vor einiger Zeit die "Waldnymphe" ins Gespräch gebracht, ein Werk, das ich bis dahin nicht kannte oder einfach nicht zur Kenntnis genommen hatte, weil ich vielleicht doch zu sehr an den Hauptwerken klebte. Nun bin ich schon süchtig danach. Mein Zugang ist vor allem emotional. Anders geht es ja gar nicht. Ich kann ihn nicht theoretisch begründen. Ich bin nach Finnland gereist, um sein Denkmal zu sehen, das seinerzeit heiß diskutiert wurde als eine Art neuer Denkmalskultur. Die Gesamtaufnahme seiner Werke auf CD des Labels Bis ist hinsichtlich der Vielseitigkeit seines Werkes, das ja erstaunlich frühzeitig abgeschlossen war, eine unerschöpfliche Quelle für überraschende Entdeckungen. Sie öffnet das Ohr für die Ränder des Schaffens. Sibelius sollte wirklich nicht nur auf die grandiosen Orchesterwerke, von denen es eine schier unerschöpfliche Anzahl von faszinierenden Aufnahmen gibt, die nach meinem Eindruck alles etwas für sich und wenig gegen sich haben, festgelegt werden. Das ist eine neue Erfahrung für mich.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hier in diesem "allgemeinen" Thread geht es um persönliche Ein- und Wertschätzung

    Mein persönlicher Weg zu Jean Sibelius begann im Sommer 1988 am Balaton in Ungarn, wo ich als 14-Jähriger bei einem gemeinsamen Sommerurlaub erstmals eine Tante (Schwester meiner Mutter) und ihren Mann kennen lernte, die in Westdeutschland lebten und sich weigerten, uns in der DDR zu besuchen. Sie hatten wohl von meinen Eltern erfahren, dass ich mich zu einem Klassik-Fan entwickelt hatte, der Musikkassetten mit klassischer Musik auf seinem Walkman rauf- und runterhört, deshalb brachten Sie mir als "Begrüßungsgeschenk" eine solche Klassik-MC mit: Herbert von Karajan dirigiert die Berliner Philharmoniker, Sibelius: 5. Sinfonie, Finlandia und Valse triste.
    Ich erinnere mich noch, wie enttäuscht ich war, als ich die Kassette auspackte und auf einen Komponisten stieß, dessen Name mir bislang noch gar nicht untergekommen war. Ich war damals total Beethoven- und Verdi-geeicht. Meinen ersten Hörversuch der neuen Kassette brach ich nach ca. 20 Minuten ab und konnte mit dieser so ganz anderen Musiksprache erst einmal gar nichts anfangen. Das änderte sich aber schon in den nächsten Tagen, als ich begann, diese Musik zu verschlingen und wertzugewinnen. Die Fünfte von Sibelius gehört noch immer zur Top-10 meiner Lieblingssinfonien, vielleicht sogar Top-5. Bei anderen Sibelius-Sinfonien tue ich mich schwerer. Zu meinen Lieblingswerken gehörten aber schon bald auch sein Violinkonzert und weitere seiner Sinfonischen Dichtungen wie "En saga", "Nächtlicher Ritt und Sonnenaufgang"und "Der Schwan von Tuonela".


    Sibelius ist mit seiner Orchestermusik zu einem meiner Lieblingskomponisten geworden, weil ich hier Emotionen finde und dadurch auch empfinde, die ich so nur bei ganz wenigen anderen Komponisten finde, wenn überhaupt. Seine Musik empfinde ich häufig als einen Seelenspiegel.


    In der 5. Sinfonie gibt es zudem (im 1. und im 3. Satz) zwei der eindrucksvollsten "musikalischen(!) Orgasmen", die ich kenne, wo sich also Spannung aufbaut, die sich gewaltig steigert, bevor sich diese Spannung dann in einem gewaltigen Höhepunkt entlädt und danach wieder Entspannnung eintritt.



    Die Steigerung beginnt eigentlich schon bei etwa bei 07:30, dann aber endgültig bei 08:27, der Schlussspurt bei ca. 09:30 die Entladung im 1. Satz bei 09:47 - im 3. Satz beginn die Schlusssteigerung bei etwa 33:25, die "Verschärfung" setzt bei etwa 34:00 ein, der "Schlussspurt" bei 34:40 die Entladung erfolgt beginnt bei 35:25)


    Ich hoffe, ich konnte mit dieser völlig unwisschenschaftlichen und sehr subjektiven Schilderung meine besondere Vorliebe für die Musik von Sibelius einigermaßen verständlich machen. :) :rolleyes: :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich kann bis heute weder verstehen, warum Sibelius' Musik solche Verehrung (außer halt in Finnland), noch, warum sie solch scharfe Polemik ausgelöst hat. Ich glaube auch nicht, dass Adornos kurzer Text aus den 1930ern dazu geführt hat, dass Sibelius im deutschsprachigen Raum es lange eher schwer hatte und bis heute nicht so häufig gegeben wird wie in angelsächsischen Ländern oder in Skandinavien (wie sieht es eigentlich in Osteuropa und Russland aus?). Dass Verfechter der Avantgarde wie Adorno oder Leibowitz Sibelius eher distanziert gegenüberstanden, ist nicht so verwunderlich. Für die völlig überzogene Schärfe ist wohl Sibelius' Ruhm, besonders in den USA?, verantwortlich gewesen. Das fiese "le plus mauvais compositeur du monde" (der schlechteste Komponist der Welt) Leibowitz' ist wohl durch einen Artikel ausgelöst worden, in dem Sibelius als größter lebender Komponist gepriesen worden war.
    (Jedenfalls bis sich dann mit Klangflächen und Minimalismus zeigte, dass Sibelius hier manches vorweggenommen zu haben scheint, "postmoderne" Stimmungsmusik wie Kancheli ist vermutlich auch anschlussfähig.) Es haben aber auch "konservative" Dirigenten Sibelius' Musik weitgehend ignoriert und selbst ein "Sibelius-Apostel" wie Karajan hat eingeräumt, mit der 3. Sinfonie nichts anfangen zu können. Daher glaube ich einfach nicht an eine Trendsetzung und Verschwörung der bösen Modernskys, die alle Macht im deutschen Musikleben zwischen 1950 und 1980 gehabt haben sollen. (Adornos Polemik gegen Tschaikowskys 5. und vermutlich auch noch ein paar andere ist weit bösartiger als gegen Sibelius und hat nicht zur Vernachlässigung PITs geführt.)


    Außer evtl. "Finlandia" habe ich Sibelius erst relativ spät, nach fast 10 Jahren Hörens klassischer Musik kennengelernt und, wie angedeutet, hat sich bei mir bis heute weder extreme Begeisterung noch Ablehnung eingestellt. Einiges gefällt mir ziemlich gut (zB 1., 4., 5. Sinfonie), anderes finde ich emotional distanziert und musikalisch nicht besonders spannend (wie etwa die 3. Sinf.), anderes ist in Maßen genossen beeindruckend, droht aber (wie Weihnachtsplätzchen oder manches von Tschaikowsky) bald von Überdruss begleitet zu werden (Violinkonzert, 2. Sinfonie), die Klavierstücke mit Gould fand ich einfach nur langweilig. Ich habe sogar zwei CDs mit weniger bekannter (früher) Kammermusik (frühes Streichquartett, Klavierquintett) aus der BIS-Reihe gekauft, aber das fand ich auch nicht viel mehr als ganz nett, so dass ich hier auch nicht auf weitere Entdeckungen hoffe. Allerdings müsste ich mir "Kullervo" und auch sinf. Dichtungen (die ich außer den drei bekanntesten oder so nicht kenne) nochmal vornehmen.
    Den anderen Jubilar Nielsen (der anscheinend nie solch überschwengliche oder scharfe Reaktionen ausgelöst hat wie Sibelius), finde ich seit einiger Zeit interessanter, selbst wenn Sibelius wohl eher und deutlicher einen eigenen "Ton" gefunden hat.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Daher glaube ich einfach nicht an eine Trendsetzung und Verschwörung der bösen Modernskys, die alle Macht im deutschen Musikleben zwischen 1950 und 1980 gehabt haben sollen.

    Ich schon! ;)


    Aber Puccini galt denen ja auch als minderwertiger Komponist, der spätestens 50 Jahre nach seinem Tod vergessen sein würde... 8-)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Meine Bekanntschaft mit der Musik von Sibelius begann Anfang der 60er Jahre, als der finnische, im vergangenen Jahr verstorbene Bariton Tom Krause an die Hamburgische Staatsoper verpflichtet wurde. Es entwickelte sich zwischen ihm, seiner Familie und mir eine nette Bekanntschaft, aus der eine Freundschaft wurde. Von ihm lieh ich mir seine Sibelius-LPs aus, neben sinfonischer Musik und dem Violinkonzert auch seine erste LP mit Liedern von Sibelius und Strauss.


    Heute in Finnland lebend, komme ich natürlich nicht an der Musik des finnischen Nationalkomponisten vorbei. So hörte ich einen Tag vor dem finnischen Nationalfeiertag hier in Mikkeli ein interessantes Konzert der Saimaa Sinfonietta unter dem jungen Dirigenten Sasha Mäkilä, der vor seiner Berufung nach Mikkeli Assistent bei Kurt Masur in Paris und Franz Welser-Möst in Cleveland war. Programm : Valse romantique, Violinkonzert sowie die 3. Sinfonie. Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass im kommenden Jahr Sibelius (zu?) oft zu hören ist, natürlich auch bei dem von Valery Gergiev geleiteten Mikkeli Music Festival, bei dem im Eröffnungskonzert Der Schwan von Tuonela und die 1. Sinfonie auf dem Programm stehen, also zwei Werke, zu denen der russische Dirigent (neben dem Violinkonzert) einen engen Bezug hat, ganz im Gegensatz zu den anderen Sinfonien, die er hier im Laufe der Jahre dirigiert hat.


    Nun ist es nicht so, dass seine Interpretation der Musik von Sibelius bei allen Zuhörern auf Gegenliebe stößt, denen diese zu dramatisch ist. Dazu eine nette Anekdote : Vor einigen Jahren bildeten Strawinskys Jeu des cartes und Sibelius' Karelia-Suite den ersten Teil eines von Gergiev geleiteten Konzerts. Leider war im Festivalprospekt die Reihenfolge vertauscht worden, also erst Sibelius, dann Strawinsky. Nach dem Strawinsky hörte ich, wie eine Zuhörerin zu ihrer Nachbarin sagte : "Jetzt klang unser Sibelius aber wirklich russisch!"

  • Lieber Johannes,
    solche zu Sibelius eher distanzierten Beiträge, wie Deiner (B.4) halte ich aus meiner Sicht genau so für Einzelfälle, wie die historischen und unbedeutenden Sichten von Adorno und Leibowitz.


    Mein Zugang zu Sibelius fand schon zur LP-Zeit durch die Sibelius-Sinfonien-GA (DG) mit Kamu (1-3) und Karajan (4-7) statt. meine Wertschätzung war gleich von Anfang von ungebrochen hoher Begeisterung gekennzeichnet. Die Aufnahmen der Sinfonien Nr.1 und 2 mit Kamu wurden schnell durch "zackigere" ergänzt. Auch die anderen sinf.Werke liessen nicht lange auf sich warten - ganz gross Tapiola, die 4Lämminkäinen - Legenden op.22 und Pohjohlas Tochter u.v.m.
    Aber erst auf CD habe ich durch Ashkenazy, Berglund, Barbirolli, Bernstein richtig kennen gelernt, was wirklich in Sibelius noch schlummert.


    Sinfonie Nr.3:
    Die Sinfonie Nr.3 hielt ich jahrelang in der Kamu-Aufnahme auch für ein eher nicht so interessantes Werk, sodass ich gedanklich sogar Verständnis aufbrachte, das Karajan diese nie aufgeführt hat.
    ;( Wie sehr ich mit diesem Vorurteil daneben lag, hatte mir nicht nur die glnzende Ashkenazy-Aufnahme (Decca) schon eindrucksvoll vorgeführt, sondern noch mehr die Roshdestwensky-Aufnahme (in der Melodiya-GA) gezeigt, welch grossartige und spannende Sinfonie auch diese ist ... :angel:
    Roshdestwensky liefert einen Zugang, der mich von Anfang an für das Werk gefangen nimmt. Er erreicht dies auch durch seine unglaublich zügige Darbietung, die alle Anderen deutlich übertrifft:
    9:44 - 7:44 - 9:31


    Zitat

    Für die völlig überzogene Schärfe ist wohl Sibelius' Ruhm, besonders in den USA?, verantwortlich gewesen.


    Welche überzogene Schärfe ???
    Das ist die wunderbare Emotion, die Sibelius ausmacht und erst richtig begeistern kann.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Lieber Stimmenliebhaber,


    deine hohe Wertschätzung für die Sinfonie Nr.5 teile ich; nicht aber das die weiteren Sinfonien weniger begeisterungsfähig wären.


    Du hast wichtige Höhepunkte anhand der Bernstein-Aufnahme mit den Wiener PH deutlich gemacht. Ich habe diese Stellen mal nach Deinen Angaben nachgehört.
    Die Bernstein-Aufnahmen der Sinfonien stehen bei mir ohnehin an der Spitze - besonders aber die mit den New Yorker PH; auch die Sinfonien Nr.1,2,7 mit den Wiener PH.
    :!: Aber gerade die Sinfonie Nr.5 ist mir in genau dieser Bernstein-Aufnahme zu breit geraten. Wie straff, bei eindeutig gleichem Emotionsgehalt, hat er dies doch in New York durchgezogen.
    Kennst Du diese CBS-Aufnahme auch ?


    Bei mir wirken diese Höhepunkte dort eindeutig noch wirkungsvoller mit Gänsehautfeeling, die bei mir in Wien bei der Fünften durch das langsame Tempo zu abgebrochen vorkommen. Den Eindruck hatte ich bei der Sinfonie Nr.5 bereits vor vielen Jahren, als ich mir die DG-Box mit den Wiener PH kaufte. Auf Video zieht diese Aufnahme durch den gleichzeitigen Bildeindruck noch mehr, als "nur" über die CD, wo man sich ganz auf die Musik konzentrieren kann/muss.
    Leider hat er mit den WPO leider nur noch die 1,2,5,7 aufnehmen können.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Aber gerade die Sinfonie Nr.5 ist mir in genau dieser Bernstein-Aufnahme zu breit geraten. Wie straff, bei eindeutig gleichem Emotionsgehalt, hat er dies doch in New York durchgezogen.


    Lieber Teleton,


    ich habe diese Aufnahme ja nur gebracht, weil sie bei Youtube zu finden war. Im mp3-player habe ich eine andere mit ihm (weiß nicht genau welche, habe sie mir nur mal mit der Angabe "Bernstein" rübergezogen) und in meiner Lieblingsaufnahme unter Karajan kommen diese Höhepunkte auch weit besser zum Tragen als im verlinkten Video unter Bernstein - dass die dort schwächer wirken als von mir beschrieben, habe ich beim Anhören des Videos auch so empfunden. :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zu Sibelius bin ich vor vielleicht etwa drei Jahren, also relativ spät, gekommen. Mit dem Namen verband ich lange nichts, anders als bei Grieg. Ich kaufte mir damals alle von Karajan eingespielten Symphonien (1. und 2. auf EMI, 4., 5., 6. und 7. auf DG) plus die von Karajan nie eingespielte Dritte von Neeme Järvi (das Werk ist einzeln schwer erhältlich). Besonders beeindruckt haben mich damals die 1. und die 4. Symphonie. Karajan gelingt die düstere Vierte in seiner 60er-Aufnahme wirklich vorzüglich. Mir ist bis heute ein Rätsel, wieso ich die 2. Symphonie damals gar nicht so hoch schätzte — heute ist sie mein Favorit. Die Karajan-Aufnahme von 1980 ist für mein Empfinden sogar sehr gut gelungen. Sukzessive entwickelte sich Sibelius zu einem meiner Lieblingskomponisten, von dem ich zahlreiche Gesamtaufnahmen der Symphonien zusammentrug. Besonders die Zweite liegt mir am Herzen; kaum eine Symphonie dürfte ich in mehr Aufnahmen besitzen. Es folgten die sonstigen Orchesterwerke, die wirklich teilweise unglaubliche Perlen beinhalten ("Kullervo", "Der Schwan von Tuonela", "Die Waldnymphe" u.v.m.). Auch einige Orgelwerke gefielen mir sehr gut. Daneben gibt es noch Vokalwerke und einiges für Klavier. Der Mann war ein Multitalent. Wieso er von manchen in diesem Forum in die Nähe des Kitsches gerückt wird, ist mir ein Rätsel. Sibelius' Werke wirken auf mich eher sehr ernsthaft, seriös. Bei kaum einem anderen Komponisten verspüre ich diese ehrliche Naturverbundenheit. Wieso er im deutschsprachigen Raum lange so negiert wurde, ist mir ein Rätsel. Furtwängler dirigierte immerhin "En Saga", Knappertsbusch das Violinkonzert. Das spricht zwar jetzt nicht unbedingt dafür, dass diese großen Alten ihn wirklich in ihr Repertoire aufgenommen haben, aber doch dafür, dass keine grundsätzliche Abneigung bestand. Klemperer, der nüchtern-sachliche Geist, hatte kein Problem, zu Sibelius' 70sten 1935 die Zweite zu dirigieren, die dann von New York aus im Rundfunk auch bei der Geburtstagsfeier in Finnland gesendet wurde. Er soll später auch noch Sibelius' Vierte gemacht haben, wovon sich leider keine Aufnahme erhalten hat. Dass Sibelius ein Kitschfabrikant gewesen sein soll, scheidet schon deswegen aus, weil sich hochprofessionelle Dirigenten, die gewiss nichts Mittelmäßiges dirigiert hätten, auch schon damals mit ihm befassten. Nehmen wir etwa George Szell oder Arturo Toscanini, auch Sir Thomas Beecham oder Hans Rosbaud. Für mich ist Sibelius einer der Größten. Als spätromantischer Symphoniker hat er nur wenige Ebenbürtige neben sich. Für mich fällt er gegenüber Mahler in keiner Weise ab. Der ist heute seltsamerweise unangreifbarer geworden als der große Finne, was nicht immer so war. In den 30er Jahren galt Sibelius gemäß einer repräsentativen US-Umfrage als der bedeutendste zeitgenössische Komponist, als lebende Legende. Wieso er im angloamerikanischen Raum immer viel mehr geschätzt wurde, wäre eine interessante Frage, kommt Sibelius doch dem "deutschen" Klang m. E. sehr nahe.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Daneben gibt es noch Vokalwerke und einiges für Klavier. Der Mann war ein Multitalent.

    Mir ist er bislang eigentlich ausschließlich als Komponist für großes Orchester untergekommen. Gäbe es tatsächlich ausreichend genug kammermusikalische Werke, Werke für Klavier und Klavier-Lieder, um daraus einen kompletten Konzertabend zu gestalten, der dem Komponisten nicht nur quantitativ, sondern seiner Beudeutung auch qualitativ gerecht wird? Kann man das Phänomen Sibelius und seine besonere Faszination nur mit Sänger und Klavier vermitteln? Ich zweifle.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich meinte, dass die überzogene Schärfe des Verrisses von Leibowitz als "schlechtester Komponist der Welt" in dem Enthusiasmus für Sibelius, besonders in Amerika, den Musiker wie Leibowitz überzogen fanden, gründet. Gewiss gründet die Polemik auch in der Frustration, dass Komponisten wie die der zweiten Wiener Schule, für die sich Leibowitz u.a. besonders eingesetzt haben, anscheinend zugunsten von Sibelius ignoriert wurden. (Wobei ich nicht glaube, dass das so viel miteinander zu tun hat.)


    Ich halte eine eher "lauwarme" Reaktion auf Sibelius (wie meine) nun nicht für außergewöhnlich, denn es ist wohl kaum zu bestreiten, dass von wenigen Stücken (besonders dem Violinkonzert natürlich) abgesehen, er in D und A immer noch kein rechter "Mainstream" geworden ist. Jedenfalls höre ich immer mal wieder Beschwerden, dass Sibelius ja viel zu wenig gespielt würde und unterschätzt sein usw. Obwohl alle Geiger das Konzert spielen und viele "jüngeren" Dirigenten Sibelius dirigieren. Daher vermute ich mal, dass wie bei jedem anderen Komponisten es Hörer gibt, die die Musik hoch schätzen, solche, die wenig damit anfangen können, und viele, die eher dazwischen liegen.


    Die Kammermusik wird von dem "Voces intimae" Quartett überragt, das als einziges Werk Mainstream genannt werden kann. Ich fand das frühe Klavierquintett ganz nett, aber m.E hängt der spezifische Reiz von Sibelius' Tonsprache schon ziemlich stark am entsprechend eingesetzten Orchesterklang. Daher wundert es mich weniger, dass die gar nicht so wenigen Werke kleiner Besetzungen weitgehend unbekannt sind. (Seine Lieder habe ich nie gehört, vielleicht wäre das mal einen Versuch wert... aber das scheinen auch eher Geheimtips zu sein.)

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  • Es gibt von Sibelius z. B. eine "Melodrama"-Fassung der "Waldnymphe" mit Klavier und Erzähler (auf Schwedisch):



    Mehr als hörenswert!

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Es gibt von Sibelius z. B. eine "Melodrama"-Fassung der "Waldnymphe" mit Klavier und Erzähler (auf Schwedisch):



    Mehr als hörenswert!

    Dieses Klavier muss so viele Register haben, das klingt schon fast wie ein Orchester... :thumbsup:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • "Die Waldnymphe", op. 15 (Fassung für Sprecher, Klavier, zwei Hörner und Streichorchester, 1895).

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    – Luís de Camões

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  • Und trotzdem spielt beim verlinkten Video ein Orchester. Oder etwa nicht? 8-)


    Wie gesagt: Ich hatte nach Sibelius-Werken ohne Orchester gefragt. Sollte dein Beitrag zur "Waldnymphe" keine Antwort auf diese Frage gewesen sein, bitte ich um "gnädigsten Pardon"!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Auch ich gehöre zu jenen, die Jahrelang mit Sibelius wenig anfangen konnten. Selbstverständlich lagen da 3 oder 4 (tatsächlich gehörte) CDs im Archivschrank - aber er erschien mit zu spröde , schwerfällig etc. Kein Wunder, wenn man üblicherweise im Umfeld Mozarts zu Hause ist. Vor einigen Jahren indes war hier im Forum eine regelrechte Sibelius-Welle, was dazu geführt hat, daß ich mich einerseits intensiver mit dem Komponisten auseinandergesetzt habe, andrerseits meine Sammlung erheblich aufgestockt habe. Na ja - so erheblich ist das auch wieder nicht - ich habe soeben nachgezählt es sind 11 CDs. Da ich keine Gesamtaufnahme aller Sinfonien besitze, sind dennoch die wichtigsten Dirigenten dabei, wobei mit die Aufnahmen mit Paavo Berglund am besten gefallen. Ich werde dieses Jahr indes auf jeden Fall nutzen, Sibelius Musik noch mehr zu schätzen.
    Daß Sibelius hierorts zwar bekannt, aber nicht überaus populär ist,ist IMO der Tatsache zu verdanken, daß nordische Musik erst in letzter Zeit mehr Aufmerksamkeit bekommt. Dabei bin ich mir nicht mal sicher, ob dies ein allgemeines Phänomen ist, ober ob die neuerdings festzustellende Zuwendung nicht eher eine lokale, hier im Forum, ist. Auf jeden Fall wird Sibelius diesem Jahr vermutlich genügend Aufmerksamkeit geschenkt werden, um seinen Bekanntheitsgrad zu steigern, ein Effekt der vermutlich einge Jahre anhalten wird oder sogar langfristig stabil bleiben wird. Ich gehe davon aus, daß die existierenden Threads doch einigermaßen genutzt werden - und es gibt da eine ganze Menge.........


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Ich glaube auch nicht, dass Adornos kurzer Text aus den 1930ern dazu geführt hat, dass Sibelius im deutschsprachigen Raum es lange eher schwer hatte und bis heute nicht so häufig gegeben wird wie in angelsächsischen Ländern oder in Skandinavien (wie sieht es eigentlich in Osteuropa und Russland aus?).


    Ich glaube schon, dass Adornos Verdikt - zumindest im akademischen Bereich - nachgewirkt hat. Aber ich glaube, man muss sich noch etwas anderes vergegenwärtigen. In den angelsächsischen Ländern traf die Musik auf ein gewisses Vakuum, was die eigene (amerikanische und englische) symphonische Tradition anbelangt, da gab es kaum etwas in diesen Ländern. In den skandinavischen Ländern praktisch nichts. Völlig anders die Situation in Zentraleuropa, wo zu der Zeit Dutzende hochbegabter Komponisten um das Interesse des Publikums buhlten und Sibelius Musik einfach einer viel breiteren "Konkurrenz" ausgesetzt war. Deshalb wurde und wird Sibelius vermutlich auch in Frankreich kaum rezipiert.


    Ich persönlich schätze die Musik von Sibelius überaus, interessanterweise aber im Gegensatz zu den meisten hier vor allem sein Spätwerk, Symphonien 4, 6 und 7 und Tapiola. Dies sind für mich rätselhafte und damit unerschöpfliche Werke. Und ich liebe das Violinkonzert, von dem ich mehr Aufnahmen habe als von allen anderen außer vielleicht Beethoven und Brahms. Mit dem Voces Intimae Streichquartett bin ich erst vor kurzem warmgeworden. Ich erwarte gerade diese Aufnahme:


  • Weil es auch hier gut passt, zitiere ich mich mal selber aus einem anderen Thread:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Da es hier um den persönlichen Zugang zu Sibelius geht, möchte auch ich "mein Scherflein beitragen". Wie schon öfter gesagt, analysiere ich Musik nicht, denn dazu fehlt mir die Ausbildung, sondern erlebe Musik mehr mit meiner Empfindung.
    Sibelius kenne ich schon länger, es muss in den 70er oder 80er Jahren gewesen sein, als ich mir erstmals ein paar Schallplatten leisten konnte, denn Klassik im Radio konnte ich zu feststehenden Sendezeiten oft aus beruflichen und anderen Gründen nicht hören. Dabei lernte ich zunächst seine sinfonischen Dichtungen wie Finlandia, die Karelia-Suite, En Saga. Pojohlah's Tochter, Tapiola kennen und mich dafür begeistern. Später, als die CD erschwinglicher wurde, habe ich mir dann noch weitere sinfonische Werke und und alle 7 Sinfonien zugelegt, von denen zwar die 5. mein Favorit ist, ich aber auch die anderen gerne höre. Lediglich zu Kullervo habe ich noch nicht den rechten Zugang gefunden.
    Ich habe bei aller Vielseitigkeit auf dem Gebiet der klassischen Musik eine besondere Vorliebe für nordische (zu denen Sibelius gehört) und russische Komponisten. Klavierwerke von Sibelius kenne ich allerdings nicht und würde darüber gerne noch mehr erfahren. Wenn ich z.B. an Grieg denke, der sehr viel Klaviermusik geschrieben hat, die ich vollständig besitze und immer wieder noch einmal auflege, ist mir von Sibelius bisher nicht ein Einziges bekannt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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  • Es ist bemerkenswert, wie ein so großer Geist wie Adorno sich in primitivster Art und Weise über einen der bedeutendsten Komponisten der Spätromantik auslässt.

    In der Tat, einfach widerlich! Adorno hätte sich Wagner lieber als Komponisten-Vorbild nehmen sollen, anstatt wie dieser so widerlich schriftstellerisch zu polemisieren. Nun gut, von Wagner bleibt seine grandiose, unvergängliche Musik - aber was bleibt von Adorno? Vom hier zitierten Blödsinn hoffentlich herzlich wenig!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Aber ich glaube, man muss sich noch etwas anderes vergegenwärtigen. In den angelsächsischen Ländern traf die Musik auf ein gewisses Vakuum, was die eigene (amerikanische und englische) symphonische Tradition anbelangt, da gab es kaum etwas in diesen Ländern. In den skandinavischen Ländern praktisch nichts. Völlig anders die Situation in Zentraleuropa, wo zu der Zeit Dutzende hochbegabter Komponisten um das Interesse des Publikums buhlten und Sibelius Musik einfach einer viel breiteren "Konkurrenz" ausgesetzt war.


    Bei der Entwicklung einer eigenständigen und idiomatisch scheinenden Sinfonik suchte man eine allzu offensichtliche Anlehnung an die
    überaus dominante deutsch-österreichische Tradition zu vermeiden. Da es im frühen 20. Jahrhundert auf augenfällige Weise besonders
    Sibelius war, der dem Sonatensatzschema keine besondere Priorität mehr einräumte, lag er als Vorbild nahe, zumal angesichts seiner
    "mitnordischen" Herkunft. Darüber hinaus gab es noch keine sinfonische Tradition in Skandinavien, von er man sich hätte abhängig
    machen müssen. Übersehen haben wird man die Wirkung, die Bruckner auf Sibelius hatte. Mahler hingegen, der mindestens als
    Dirigent auf sich aufmerksam gemacht hatte, rekurrierte auf das alte "deutsche" Sonatenprinzip, sei es nicht selten auch
    auf ironisierende oder gar destruktive Weise. Adorno, der die deutsche Musikliteratur als massstäblich betrachtete, hatte ja in diesem Sinne nicht ganz unrecht, wenn er Sibelius - im Vergleich mit Mahler - Schwächen bei Satztechnik, polyphoner Arbeit, Instrumentierung
    und allgemein "intellektuellem Aufwand" vorwarf. Insofern konnte b.z.w. wollte Adorno die grundsätzlich andere Ästhetik, die ihm
    ihm bei Sibelius begegnete, nicht akzeptieren. Diese offensichtliche Ignoranz mag auch darin begründet sein, dass Sibelius nicht wenigen
    Epigonen als Vorwand für in diesen Fällen tatsächlich öden und handwerklich mangelhaften Arbeiten diente, während Anhänger Mahlers
    andere Wege gehen mussten. (Nicht übersehen sei jedoch, dass Sibelius im wilhelminischen Deutschland kaum geringere Erfolge feierte als im edwardianischen Britannien...)

  • Der Gipfel ist wirklich, dass er Sibelius in NS-Nähe rückt ("Blut und Boden").


    Ich finde, dass die Tiraden, die Adorno hier gegen Sibelius loslässt, sich im Tonfall von dem, mit dem Nazis in den 20er und 30er Jahren jüdische Künstler verunglimpft haben, nur unwesentlich unterscheidet. Ein Opfer übernimmt die Sprache der Täter, tragisch.

  • (Nicht übersehen sei jedoch, dass Sibelius im wilhelminischen Deutschland kaum geringere Erfolge feierte als im edwardianischen Britannien...)


    Tatsächlich? Das war mir bislang gar nicht bewusst. Gab es denn Aufführungen seiner wichtigsten Werke (besonders der 2. Symphonie) vor 1914 auf deutschem Boden?

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    – Luís de Camões

  • Ich hatte nach Sibelius-Werken ohne Orchester gefragt.


    Es gibt tatsächlich auch ein kurzes Stück "Waldnymphe" für Klavier: The Wood-Nymph, Op. 15, 1894–95, arr. 1895, 3'18, Molto sostenuto. Sibelius hat einiges aus seinem Werk für Klavier solo arrangiert, auch größere Ausschnitte aus "Finlandia", "Pelléas and Mélisande", Belshazzar’s Feast" etc. Alles sehr üppig im Satz.


    Noch eine kurze Bemerkung zu Adorno, obwohl ich die mir eigentlich verkneifen wollte. Nach meiner Auffassung werden diese Auslassungen, die ich auch für völlig daneben halte, leicht überschätzt. Sind sie nicht historisch überlebt? Was ist nicht alles geschrieben worden. Wenn man erfahren will, wie Adorno zu solchen einem Urteil, das sich für uns als ein eklatantes Fehlurteil heraus stellt, kommen konnte, muss man halt in die Zeit hinabsteigen, aus der es kommt (1938), politisch und kulturell. 1933 hatte es schließlich den Zivilisationsbruch, der auch enorme kulturelle Folgen hatte, gegeben. Man sollte auch Adornos ganz persönliche Situation in Betracht ziehen. Man vergisst außerdem immer, dass er auch Komponist gewesen ist. Letztlich konnte Adorno Sibelius nichts anhaben. Ich hoffe sehr darauf, dass es im nächsten Jahr endlich eine große Sibelius-Biographie gibt. Oder kennt jemand eine, die ich verpasst habe? Für Tipps wäre ich sehr dankbar.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Ich hoffe sehr darauf, dass es im nächsten Jahr endlich eine große Sibelius-Biographie gibt. Oder kennt jemand eine, die ich verpasst habe? Für Tipps wäre ich sehr dankbar.


    Ich kenne es noch nicht, es wird aber vieler Orten gelobt.


    "Sein Buch zu Jean Sibelius Poesie in der Luft (Breitkopf & Härtel 2007) erhielt 2008 den Preis "Geisteswissenschaft international" und wurde in Steven Lindbergs englischer Übersetzung als Jean Sibelius (2011) veröffentlicht." (source: http://de.wikipedia.org/wiki/Tomi_Mäkelä)


    Hier - lieber Rheingold - findest Du einige reviews zur englischen Übersetzung des Buches:

  • Danke, lieber lutgra, wird sofort besorgt. Wir können ja später darauf zurück kommen, wenn wir es gelesen haben.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Nach meiner Auffassung werden diese Auslassungen, die ich auch für völlig daneben halte, leicht überschätzt. Sind sie nicht historisch überlebt?

    Das denke ich auch.

    Ich hoffe sehr darauf, dass es im nächsten Jahr endlich eine große Sibelius-Biographie gibt.

    Das wäre in der Tat sehr zu wünschen. Das hier in den Raum gestellte Buch von 2008 mit dem Titel "Studien" scheint mir keine herkömmliche Biographie zu sein, aber vielleicht irre ich mich ja auch.


    Es gibt tatsächlich auch ein kurzes Stück "Waldnymphe" für Klavier: The Wood-Nymph, Op. 15, 1894–95, arr. 1895, 3'18, Molto sostenuto. Sibelius hat einiges aus seinem Werk für Klavier solo arrangiert, auch größere Ausschnitte aus "Finlandia", "Pelléas and Mélisande", Belshazzar’s Feast" etc. Alles sehr üppig im Satz.

    Und kann man damit Leute, die keine Orchesterwerke von Sibelius im Ohr haben (oder auch Leute, die gerade seine Orchesterwerke im Ohr haben) so für das Faszinosum Sibelius begeistern? Ich frage mich, inwieweit es Sibelius eher nützt oder eher schadet, wenn man zu seinem 150. Geburtstag Aufführungsabende seiner Werke ohne Orchester ansetzt? Die Feststellung, dass er selbst einige seiner Orchesterwerke für Klavier solo arrangiert hat, bestärkt mich eher in meinem Verdacht, dass er eben doch ein genuiner Orchesterkomponist war und dass man seinen besonderen Klang und die Emotionen, die einige Musik von ihm transportiert, ohne ein großes romantisches Orchester nur sehr schwer vermitteln kann.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Liebe Taminos,


    tatsächlich sind Sibelius wenige Klavierwerke wohl kaum dazu geeignet, einen noch unerfahrenen Hörer für ihn zu begeistern, zu einfach, untypisch sind sie einfach. Seine recht bekannten Bagatellen, in die ich auch selber mal reingespielt habe, sind nicht mehr als Salonstücke... m.E. nicht mal besonders gute und ohne den typischen Sibelius-Klang. Seine Lieder hingegen, bei denen Sibelius größtenteils nur die Stimme und Klavier nutzte, halte ich doch für sehr wichtig in der nordischen Musikwelt. Besonders sein Var det en dröm?, welches Du, Stimmenliebhaber ja schon gehört hast, ist eine seiner schönsten Schöpfungen. Auch bei weiteren Liedern ist Sibelius durchaus inspiriert und weiß einige seiner Orchesterfarben auch auf das Klavier zu übertragen. Natürlich ist dies nicht so intensiv, wie es nun mal mit einem Orchester, welches die ganze Tiefe und Mythologie Finnlands bei ihm darstellt, möglich ist, doch scheint er besondern durch die Lyrik in Bezug mit Klavier zu weitaus mehr fähig gewesen zu sein, als bei den Solostücken.


    Die biografischen Studien zu Leben und Werk habe ich mal vor einigen Jahren in unserer städtischen Bibliothek ausgeliehen und fand sie sehr gelungen!
    LG
    Christian

  • Zitat


    Tatsächlich? Das war mir bislang gar nicht bewusst. Gab es denn Aufführungen seiner wichtigsten Werke (besonders der 2. Symphonie) vor 1914 auf deutschem Boden?


    Anfang 1903 war die Erstaufführung der 2. Sinfonie in Berlin vorgeshen, zunächst durch Busoni, dann durch Strauss. Dies zerschlug sich zunächst - immerhin dirigierte Busoni ersatzweise die Uraufführung der revidierten Fassung von En Saga. Die "ausserskandinavische" Erstaufführung der Zweiten fand m.W. schliesslich im Januar 1904 in Hamburg unter Max Fiedler statt. Dabei verglich der Hamburger Kritiker Ferdinand Pfohl das Werk immerhin mit Brahms. Die erste Sinfonie wurde erst 1907 aufgeführt, zuerst in Lübeck, dann auch in Berlin und in Leipzig unter Arthur Nikisch, der zuvor schon mehrfach und mit Erfolg Finlandia und "Schwan..." dirigiert hatte - etwas später folgte Weingartner in Wien. Zudem fand die Uraufführung mehrerer sinfonischer Dichtungen in Deutschland statt. Und natürlich auch die "Weltpremiere" des wohl immer noch bekanntesten Werks, des Violinkonzerts (in der heute üblichen Fassung) durch Richard Strauss und die Hof[nachmalige Staats-]kapelle Berlin.


    In seiner noch immer noch grundlegenden Sibeliusbiographie verdeutlicht Erik Tawastjerna die fundamentale Bedeutung Deutschlands für die frühe Sibeliusrezeption so: "After the first decade of the century Sibelius was to become a great name in the Anglo-saxon world. But all this originated with Germany. It was the successes of Heidelberg, Hamburg and Berlin, and the work of Breitkopf and Härtel and Robert Lienau, that the foundations of his international reputation were laid." (Bd. 1, S. 294)

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