Was stört Euch an Wagners Musik?

  • Die funktionsharmonische Analyse allein reicht bei Wagner allerdings nicht aus, wenn man versuchen will, zu verstehen, was er da macht, was man daran mag oder auch nicht. Für mich ist z.B. immer wichtig, wie er denn die Stimmführungen im Satz vertikal und horizontal aufbaut (das Voicing, wie man im Jazz- oder Pop sagt), welche emotionalen Wirkungen die jeweiligen Intervalle auslösen, welche Funktionen z.B. ein -9b-Intervall beim ihm hat, wie er das auflöst, oder in neue Spannungen überführt……etc.

    Lieber Glockenton,


    nun hole ich einiges Versäumte und Aufgeschobene nach! Diese Stimmführungsproblematik finde ich auch sehr wichtig - gerade hier weist Wagner in Richtung Neue Musik. Stichwort: "Stimmführungsdissonanzen" bei Schönberg. Carl Dahlhaus hat sehr schön an einigen Beispielen von Wagner gezeigt, wie die Stimmführungsbewegung an die Stelle einer rein harmonischen Sukzession tritt. Da ist ein großes Vorurteil der traditionellen Musiktheorie im Spiel - die sich immer an der Harmonik als "Zeit"-Phänomen orientiert aber den Bewegungscharakter von Musik unterschlägt. Das populärste Vourteil ist wohl, dass Musik eine reine Zeitkunst sei. Über diese Vernachlässigung von Bewegung und Raum in der Musiktheorie habe ich zuletzt einen Vortrag im Leuvener Husserl-Archiv gehalten.



    Allerdings hätten jene Versuche von harmonischen Analytikern, den tonalen Bezug der Tristanharmonik zu erklären (gab es das nicht schon zu seinen Lebzeiten?) bei ihm wahrscheinlich nur Verachtung hervorgerufen.

    Ja - das Problem bei diesen Funktionsanalysen sehe ich darin, dass sie immer "Eindeutigkeit" unterstellen. Gerade bei Wagner zeigt sich aber, dass harmonische Bezüge eine unauflösliche Mehrdeutigkeit behalten und sich in dieser Disfunktionalität einer "Analyse" entziehen. Die Wissenschaft hat eben die Neigung, alles zu rationalisieren! :D



    Das, was ich an nun der Kritik eines Nietzsche oder anderen vermisse, wäre dann auch, dass sie konkret ein Werk und eine Stelle beispielhaft benennen, also mit Taktangabe von ----> bis, und dann wirklich deutlich und fachlich beschreiben (von mir aus auch mit Kringeln um die Noten herum) was sie daran auszusetzen haben (oder eben anders herum, für die Anhänger seines Sounds).

    Solche Kritiken muß man letztlich richtig zu nehmen verstehen, meine ich. Nietzsche wollte Musik wohl gar nicht analysieren, sondern von ihrer Wirkung und ihrer kulturellen, ästhetischen Bedeutung her beschreiben. Ich sehe das so, dass dies als hermeneutische Andeutung und Anregung für den Leser gemeint ist, das dann selber durch eigene Analyse und Erfahrung zu bestätigen. "Exakte" Analysen können für sich genommen auch im sehr öden Fliegenbeinzählen enden (wobei die Analytiker sich dann unendlich darüber streiten, wie viele Fliegenbeine es eigentlich gibt). Ästhetische Betrachtungen geben der Analyse Orientierung und Sinn, das man überhaupt weiß, was man eigentlich analysieren soll, damit die Analyse nicht nur Banalitäten oder szientistische Selbstläufer produziert, sondern wirklich zu einem bereichernden und klärenden Sinnverständnis von Musik führt.



    Leute wie Goethe und Nietzsche sind geniale Virtuosen, wenn es um die Macht des Wortes geht, aber sie weichen doch zwangsläufig immer auf genau auf das Spielfeld ihrer ureigenen verbalen Ebene aus, wenn sie ihre Thesen über eine Musik mit Argumenten hinterlegen.

    Die Gefahr ist natürlich, dass diese Art über Musik zu schreiben, sich in ihrer eigenen Logik zirkulär verfängt. Deswegen muß man das als (kritischer) Leser finde ich aufbrechen. Wobei ich finde, dass Nietzsche viel näher am Phänomen und Wagner-"Erlebnis" dran bleibt als etwa Adorno. Mit seinem Wagner-Buch habe ich bis heute große Schwierigkeiten, weil ich letztlich nicht weiß, ob Adorno statt über Wagner eigentlich über sich schreibt. Bei Mahler ist das anders - da paßt Adornos "negative Dialektik" einfach genau zum Phänomen Mahler.



    Der pompöse Beginn hat aber auf mich immer eine ganz pompöse Wirkung, er zieht mich wie in einem Sog sofort hinein ins dramatische Geschehen. Man hat gar keine Möglichkeit, sich abzuwenden. Ähnlich wirkt auf mich der Beginn des Holländer. Der hat auch diese Sogwirkung.

    Ja, lieber Rheingold. Das ist das "Problem" von Wagners Rhetorik. Man kann sie kaum eliminieren und sie zieht uns unwiderstehlich in ihren Bann. Aber das liegt im Wesen von Rhetorik überhaupt, dass sie uns "vereinnahmt". :D



    Celibidache hat die Meistersinger auch noch in der Oper dirigiert und danach ganz Abstand genommen von Opernaufführungen. Sie seien zu "unsauber", sagte er. Damit war gemeint, dass sich ein so langer Opernabend nicht bis ins allerletzte Detail bestimmen lasse. Es würden sich zu viele Ungenauigkeiten einschleichen, was ja stimmt. Darin sehe ich aber - gerade bei Wagner - einen Teil der elementaren Wirkung.

    Ich habe mir gestern Abend den Celibidache mit der Meistersinger-Ouvertüre nochmals in Ruhe ganz angehört und war sehr fasziniert - die CD habe ich mir eben bestellt! :)


    Celibidache transformiert radikal und rücksichtslos den Wagner ins Symphonische - macht daraus "absolute Musik". Klar, dass er mit solch einer Ouvertüre gar keine Oper mehr dirigieren könnte. Man sagt (zu Recht), dass der glühende Wagnerianer Bruckner die Dynamik Wagners auf die Symphonie übertragen hätte - Celi dreht das schlicht um, dirigiert Wagner so, als ob es Bruckner wäre, macht aus ihm also einen "Brucknerianer" :D . Er zeigt damit, dass auch ohne alles Operntheater, ohne Virtuosität und rhetorischen Pomp diese Musik, wenn man sie auf einen rein-musikalischen Kern reduziert, eben doch nicht - allen Wagner-Kritikern zum Trotz - einfach substanzlos wird. Man denkt statt dessen: Ist das toll! Eine bessere Werbung für Wagner gibt es eigentlich nicht! :hello:

    Herzlich grüßend
    Holger

  • Solche Kritiken muß man letztlich richtig zu nehmen verstehen, meine ich. Nietzsche wollte Musik wohl gar nicht analysieren, sondern von ihrer Wirkung und ihrer kulturellen, ästhetischen Bedeutung her beschreiben.


    Wenn überhaupt.
    Ein Ausspruch wie "In jeder seiner Opern kommt ein altes Weiblein vor, das erlöst werden möchte" greift ein Phänomen auf, das ausgedrückt in nüchternen Termen kaum Wirkung erzielen würde, schon deswegen, weil es nicht Gegenstand einer ernsthaften Kritik sein kann.


    Dagegen demonstriert er einmal mehr die Genialität Nitzsches, sich in exakten und geistreichen Metaphern auszudrücken.
    L´art pour l´art würde ich es nennen.

  • Es war mir ein Vergnügen, Deine Antwort zu lesen, lieber Holger.


    Carl Dahlhaus hat sehr schön an einigen Beispielen von Wagner gezeigt, wie die Stimmführungsbewegung an die Stelle einer rein harmonischen Sukzession tritt.

    Kannst Du mir da das Buch nennen? War das "Richard Wagners Musikdramen", oder in welchem Buch schreibt er darüber?
    Das ist ja ohnehin ein sehr interessantes Thema, welches für mich auch von praktischem Nutzen sein kann:)
    Wenn ich die Noten Wagners sehe, es spiele oder versuche zu analysieren, dann habe ich es auch schon so empfunden, ohne es derart präzise benennen zu können. Aber es sind in der Tat nicht nur "einfach so" Progressionen, sondern die harmonischen Bedeutungen bekommen durch die Bewegungen und den horitonzalen wie vertikalen Satz der Stimmführungen "im Nachhinein" eine andere Bedeutung, als man im ersten Moment dachte. Von daher spielt der Faktor Zeit schon eine Rolle, denn die Bewegung hängt ja elementar mit der Zeit zusammen (wenn wir noch bei der Frage landen " Was ist Zeit ?" dann wird es wirklich interessant, hat dann aber mehr mit Weltraum als mit Wagner zu tun... :D )


    Wenn Du Bewegung und Raum als vernachlässigte Elemente der Musiktheorie ansiehst, dann bin ich ganz bei Dir, rein aufgrund meiner Erfahrungen beim Hören und Spielen/Singen. Der Unterschied zwischen einem musikalischen Handwerker und einem Künstler ist m.E. auch der, dass der Künstler sich in den "bewegten Raum der Musik" während des Spielens oder auch Hörens hineinbegibt, wobei zwischen beiden Extremen "Musizieren mit der Sensibilität eines Vorschlaghammers" und dem "hochsensiblen Typus" etwa eines Alfred Brendel etc. die jeweiligen Übergänge natürlich individuell und fließend sind.


    Das Körperhafte an sich kommt mir übrigens in der Hochschulausbildung meistens zu kurz, vor allem auch die Verbindung vom körperlichen Empfinden (eher Rhythmus, aber nicht nur) zum seelischen Empfinden (eher Harmonie und Melodie, aber auch nicht nur) .
    Wenn z.B. aus einer platten Stampfbewegung des Fußes Kunst werden soll, dann kommt dieses innere, "seelische" Empfinden und Wollen hinzu (das wäre jetzt meine bescheiden formulierte Theorie...) ;)


    Bei Electronica/Dance oder auch beim Jazz ist ja auf jedenfall die Verbindung der Musik zum körperlichen Erleben durch den Rhythmus immer vorhanden und eine ganz normale Sache.
    Aber es ist in der klassischen Ausbildung auch schon durchaus besser geworden, meine ich. Bei einer derart expressiven Harmonik wie bei Wagner sind selbst scheinbar stehende Klänge ja auch noch Bewegungen, weil sie mitunter nur oberflächlich betrachtet konsonant sind, aber in Wahrheit eine stimmführungsmäßig gut verteilte dissonante Reibung darstellen, die ständige Schwingungsbewegungen hervorrufen. Beim dafür empfindsamen Hörer wird das an den entsprechenden Stellen ein körperlich-bewegtes Nachvollziehen auslösen können.


    Für den Musiker ist dann natürlich im Nachgang dann wieder wichtig, diese ganzen Bewegungsaspekte etc. zu sublimieren, weil er ja zum Spielen auch eine enorme Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung braucht. Auch dem Hörer schadet es nicht, vom "stark bewegten Hören" wieder etwas herunterzukommen, und die musikalischen Bewegungen innerlich nachzuvollziehen. Man hört dann eigentlich mehr. Im klassischen Konzert müssen ja alle stocksteif dasitzen, was eigentlich recht unnatürlich ist. Aber man will sich ja auch nicht gegenseitig stören...., von daher ist es wohl gut so.



    Ja - das Problem bei diesen Funktionsanalysen sehe ich darin, dass sie immer "Eindeutigkeit" unterstellen. Gerade bei Wagner zeigt sich aber, dass harmonische Bezüge eine unauflösliche Mehrdeutigkeit behalten und sich in dieser Disfunktionalität einer "Analyse" entziehen. Die Wissenschaft hat eben die Neigung, alles zu rationalisieren! :D

    Auch einig :D Gerade diese Mehrdeutigkeit macht ja die spezielle harmonische Qualität Wagners aus.
    Das geschieht bei ihm dann irgendwann ständig, wie z.B. beim Parsifal. Wir sprachen ja schon darüber, dass der Hörer dadurch irgendwann in die "Gefahr" gerät, sich einfach in den Rausch der Musik hineinfallen zu lassen, also praktisch seine musikalische Wachheit zu verlieren und die Handlung musikalisch so verfolgt, wie man eine Actionsszene beim Film sieht, und die im Hintergrund wirbelnde dramatische Musik nicht mehr bewusst wahrnimmt, obwohl diese sehr wichtig ist.
    Aufgrund der schieren Qualität der Wagnermusik finde ich aber, dass das eigentlich zu schade ist. Es geht mir so, dass ich im Verlauf des Parsifal oder des Tristan vielleicht nicht immer so schnell denken kann, um zu wissen, welchen Akkord er denn jetzt wieder verwendet (es wird immer apart, wenn er den zweideutigen Akkord von gestopften Bläsern spielen lässt....da nehme ich mir jedesmal vor, hinterher in der Partitur zu sehen, was das war, weil es einfach derart "cool" klingt... 8-) ) , aber ich lasse mich sozusagen in den Raum des rein musikalischen Denkens und Fühlens fallen, aus dem dann hier und da immer wieder Fragmente in die Bewusstseinsebene nach "oben" steigen, um das Freudsche Modell fälschlicherweise zu unterstellen. Dabei ist ja das wache Erleben nicht ausgeschaltet, sondern man denkt eben nicht in Deutsch, sondern in Musik.



    "Exakte" Analysen können für sich genommen auch im sehr öden Fliegenbeinzählen enden (wobei die Analytiker sich dann unendlich darüber streiten, wie viele Fliegenbeine es eigentlich gibt). Ästhetische Betrachtungen geben der Analyse Orientierung und Sinn, das man überhaupt weiß, was man eigentlich analysieren soll, damit die Analyse nicht nur Banalitäten oder szientistische Selbstläufer produziert, sondern wirklich zu einem bereichernden und klärenden Sinnverständnis von Musik führt.

    Da beschreibst Du im ersten Abschnitt mit den Fliegenbeinen das bekannten Phänomen mit dem "Wald voller Bäumen". Mir ist wichtig, dass man nicht bei der technischen Beschreibung von Musik stehenbleibt. Tut man es doch, dann wird man zwar einerseits wissender, andererseits aber gleichzeitig sogar dummer.
    Die ästhetische Betrachtung muss hinzukommen - ganz klar. Für mich wäre dann noch der praktische Nutzen ebenso wichtig, wie die ästhetische Bewertung. Der Nutzen kann für mich nur darin bestehen, in Musik denken zu können. Das ist dann beim Improvisieren, Arrangieren oder Komponieren enorm hilfreich, wenn man das mit der Zeit irgendwann immer besser kann. Ich habe so manchen Kollegen kennengelernt, die sofort zum Klavier rennen und fragen "was war das denn ??" wenn man ein paar von Wagner inspirierte Akkorde am Klavier anschlug. Die harmonische Sprache Wagners zu verstehen und wenigstens ein bisschen davon sich selbst auch verfügbar zu machen, dass ist das, was Leute aufhorchen lässt. Eine zwei sehr talentierte Kolleginnen aus Russland haben mich an der Hochschule unabhängig voneinander angesprochen, weil sie sich so sehr wünschten, etwas von der Sprache des emotional effektiven Harmonisierens auch kennenzulernen. Sie litten darunter, dass sie nur als "Notenspielmaschinen" ausgebildet wurden, dabei aber die Noten auch sehr musikalisch interpretieren konnten. Sobald sie aber ohne Noten dastanden, waren sie praktisch aufgeschmissen.....Ein anderes Thema, aber alles hängt ja mit allem irgendwie zusammen.



    Celi dreht das schlicht um, dirigiert Wagner so, als ob es Bruckner wäre, macht aus ihm also einen "Brucknerianer" . Er zeigt damit, dass auch ohne alles Operntheater, ohne Virtuosität und rhetorischen Pomp diese Musik, wenn man sie auf einen rein-musikalischen Kern reduziert, eben doch nicht - allen Wagner-Kritikern zum Trotz - einfach substanzlos wird. Man denkt statt dessen: Ist das toll! Eine bessere Werbung für Wagner gibt es eigentlich nicht!

    Hier wird sehr schön beschrieben, warum auch ich mich zu Wagners Musik bekenne. Nicht weil ich unbedingt die Oper mit allen Effekten etc. brauche oder generell ein ausschließlicher Opern- oder gar Stimmenfetischist bin, sondern weil es mir der musikalische Kern von seiner schieren Substanz her regelrecht unmöglich macht, davon nicht begeistert und angezogen zu sein. Die Beschreibungen der Celi-Aufnahme mit dem "Brucknerianer" machen jedenfalls schon einmal neugierig... :D


    LG
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Kannst Du mir da das Buch nennen? War das "Richard Wagners Musikdramen", oder in welchem Buch schreibt er darüber?

    Lieber Glockenton, das ist dieses Buch hier:



    Das Beispiel ist das Tarnhelm-Motiv. Das TB gibt es nur noch gebraucht oder antiquarisch. Es lohnt sich aber! Ich habe das behandelt in meinem aktuellen Buch, das für das Erscheinen vorbereitet wird...



    Von daher spielt der Faktor Zeit schon eine Rolle, denn die Bewegung hängt ja elementar mit der Zeit zusammen (wenn wir noch bei der Frage landen " Was ist Zeit ?" dann wird es wirklich interessant, hat dann aber mehr mit Weltraum als mit Wagner zu tun... :D )

    Klar. Die Trennung von Raum und Zeit bei der Bewegung ist künstlich. Das Problem ist die Tradition des Cartesianismus. Demnach gibt es eine "äußere" Wahrnehmung (die räumlichen Dinge) und eine "innere" Wahrnehmung - das sind die "Vorstellungen". Vorstellungen - sagt dann die moderne Psychologie, werden ausschließlich durch die Sukzession geordnet. Dann seziert man das Phänomen musikpsychologisch auseinander und sagt, der Räumlichkeit der musikalischen Bewegungen sei zwar nicht völlig zu leugnen, aber letztlich nur eine >Schein<-Räumlichkeit, weil es sich ja doch bloß um Vorstellungen handelt, die nur zeitlich geordnet sein können. Sonst verwechsle man innere und äußere Wahrnehmung. Auch diese Problematik kommt in meinem Buch natürlich vor.



    Das Körperhafte an sich kommt mir übrigens in der Hochschulausbildung meistens zu kurz, vor allem auch die Verbindung vom körperlichen Empfinden (eher Rhythmus, aber nicht nur) zum seelischen Empfinden (eher Harmonie und Melodie, aber auch nicht nur) .
    Bei Electronica/Dance oder auch beim Jazz ist ja auf jedenfall die Verbindung der Musik zum körperlichen Erleben durch den Rhythmus immer vorhanden und eine ganz normale Sache.

    .... wie im Tamino-Forum der Tanz! :D Über Oper wird viel debattiert und über Instrumentalmusik, über das Lied, aber so gut wie gar nicht über Tanz und Ballett! Das finde ich wirklich ein großes Versäumnis. Wo sind die Ballettfans hier?


    Die Problematik müßte man noch einmal vertiefen. So viel erst einmal - zu den anderen Aspekten Deiner wieder mal wunderbaren Ausführungen komme ich noch! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    vielen Dank für die Antwort und die Buchhinweise :)


    Sag mir gerne Bescheid, wenn Dein Buch herausgekommen ist und wo man es bekommen kann. Falls du es hier nicht im Forum machen willst, könnte Deine Nachricht mich sicher auch über Alfred erreichen - gehe einmal davon aus, dass er es in diesem Fall gerne machen würde.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Dort, wo sie hingehören natürlich.
    In den Folies Bergère.


    Das ist amüsant! :D Schwanensee, Petruschka, Jeux, Daphnis et Chloe, Romeo und Julia, Der wunderbare Mandarin usw., allgemein der im frühen 20. Jhd. entstehende Ausdruckstanz bis hin zu Pina Bauschs phänomenaler Truppe gehören genau da doch wohl eindeutig nicht hin. Die Abwertung des Balletts "ernster" Musik gegenüber hat natürlich ihre lange Geschichte. Schon längst hat sich das Ballett allerdings von der Oper emanzipiert, spielt also nicht mehr nur die untergeordnete Rolle einer unterhaltsamen und im Grunde überflüssigen "Einlage" in einer Opernhandlung. Deswegen ist es wohl auch kaum sinnvoll, die Ballettkultur als reine - im Grunde oberflächliche - leichte Unterhaltungsmuse zu betrachten und auch vom Aufführungsort her auszulagern in irgerndwelche Musical-Pop-Tempel. Eine Aufwertung des Balletts hier im Tamino-Forum fände ich deswegen wirklich an der Zeit.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Sag mir gerne Bescheid, wenn Dein Buch herausgekommen ist und wo man es bekommen kann. Falls du es hier nicht im Forum machen willst, könnte Deine Nachricht mich sicher auch über Alfred erreichen - gehe einmal davon aus, dass er es in diesem Fall gerne machen würde.


    Lieber Glockenton,


    meine Mailadresse kannst Du leicht "ergoogeln" (klingt wie "erbeuten" :D), wie man so schön sagt. Schreibe mich einfach mal an! Ich schicke Dir dann von dem Kapitel eine PDF-Datei im voraus zum lesen! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • Deswegen ist es wohl auch kaum sinnvoll, die Ballettkultur als reine - im Grunde oberflächliche - leichte Unterhaltungsmuse zu betrachten und auch vom Aufführungsort her auszulagern in irgerndwelche Musical-Pop-Tempel. Eine Aufwertung des Balletts hier im Tamino-Forum fände ich deswegen wirklich an der Zeit.


    Vor allem dürften unsere RT-geschädigten Mitglieder schnell feststellen, dass das, was in der Opernwelt ihrer Meinung nach schon lange verloren gegangen ist, in der Ballettwelt nach wie vor dominierend ist: ästhetisch ansprechende Inszenierungen.

  • Deswegen ist es wohl auch kaum sinnvoll, die Ballettkultur als reine - im Grunde oberflächliche - leichte Unterhaltungsmuse zu betrachten und auch vom Aufführungsort her auszulagern in irgerndwelche Musical-Pop-Tempel. Eine Aufwertung des Balletts hier im Tamino-Forum fände ich deswegen wirklich an der Zeit.


    Ein schönes Plädoyer, dem ich durchaus zustimmen will.
    Was Dir aber entgangen ist, Du hattest nach dem Wohnsitz der Fans gefragt.

  • Zitat

    Zitat von Lutgra: Vor allem dürften unsere RT-geschädigten Mitglieder schnell feststellen, dass das, was in der Opernwelt ihrer Meinung nach schon lange verloren gegangen ist, in der Ballettwelt nach wie vor dominierend ist: ästhetisch ansprechende Inszenierungen.


    Lieber Lutgra,


    neben der Oper bin ich auch ein großer Freund vom Ballett und besitze auch eine Menge Ballettaufnahmen. In Großen und Ganzen hast du ja recht, vor allem, was das klassische Ballett betrifft, aber es hat auch hier Entgleisungen gegeben, z.B. Schwanensee in der Irrenanstalt (vgl. ähnliche Muster in der heutigen Oper, wo die Schablone Krankenhaus oder Irrenanstalt auch gerne verwendet wird).
    Und ich habe auch schon ein moderneres Ballett verlassen, wo die Frauen oben ohne und die Männer unten ohne herum hopsten und gewisse Körperteile so schön auf dem Boden hüpften, dass einem der Appetit verging.
    Zumindest dominiert hier wenigstens - wie du richtig sagst - noch die ästhetisch ansprechende Inszenierung. Schade wäre es, wenn auch hier die Verunstaltungen so überhand nähmen wie in der Oper.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Eine Aufwertung des Balletts hier im Tamino-Forum fände ich deswegen wirklich an der Zeit.


    Lieber Holger,


    da kann ich Dir nur uneingeschränkt beipflichten. Zu Deiner Aufzählung würde ich unbedingt noch Manuel de Fallas Ballette hinzufügen, zum Beispiel El sombrero de tres picos (Der Dreispitz), uraufgeführt von der Kompanie Ballets Russes von Sergej Diaghilew, dirigiert von Ernest Ansermet, Bühnebilder und Kostüme von einem gewissen Pablo Picasso ... alleine diese Aufzählung von Namen macht deutlich, welch hochkarätige Künstler hier am Werk waren, und dass man diese Kunstform in der Tat viel stärker in den Blickpunkt rücken sollte.


    Ach übrigens, wenn es nicht vermessen wäre, wollte ich gerne anfragen, ob ich auch den Auszug aus Deinem Buch lesen darf, das würde mich auch sehr interessieren.


    viele Grüße

  • da kann ich Dir nur uneingeschränkt beipflichten.


    Ich dagegen kann niemandem beipflichten, der bei diesem Thema Ludwig Minkus unerwähnt lässt.
    Dieser unerhörten Nachlässigkeit wie auch der Entromantisierung der Oper kann ich nur meine hilflose Klage entgegenhalten.


    Kudá, kudá wy udalilis´
    ihr wonnetrunknen Opernstunden?
    Wo hat die Oper infantilis
    für euch ein neues Heim gefunden?


    O kehrt zurück, das eitle Sehnen
    ist nun gestillt, o kehrt zurück.
    Bieito selbst kämpft mit den Tränen,
    bald lacht uns wieder stilles Glück.


    Doch wär vergebens all mein Flehen
    und kommt ihr nimmer wieder her,
    dann will ich euch besuchen gehen
    alsbald in den Folies Bergère.

  • Ach übrigens, wenn es nicht vermessen wäre, wollte ich gerne anfragen, ob ich auch den Auszug aus Deinem Buch lesen darf, das würde mich auch sehr interessieren.


    Natürlich, gerne, lieber Don! (De Falla, den ich sehr mag, hatte ich glatt vergessen!) :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Zitat von Hami: Ich dagegen kann niemandem beipflichten, der bei diesem Thema Ludwig Minkus unerwähnt lässt.

    Lieber Hans,


    ich besitze einige Ballette zur Musik von Minkus. Aus meiner Ballettsammlung gibt es aber noch viel mehr aufzuzählen, z.B. Prokoffieff, dessen "Romeo und Julia, Cinderella, Die Steinerne Blume" zu meinen Lieblingsballetten gehören, Adam, Chatschaturjan, Delibes, Glasunow, Herold, Glasunow, Lovenskjold, Pugni. Und dann kommen noch Choreographien zu Musiken hinzu, die ursprünglich nicht als Ballette gedacht waren, z.B. Schtschedrins Carmen-Ballett, John Neumeisters Kameliendame zu Klavierstücken von Chopin, die Scheherazade von Nikolai Rimsky-Korsakow, "Der Geist der Rose" zu Webers "Aufforderung zum Tanz" und manche andere.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Und dann kommen noch Choreographien zu Musiken hinzu, die ursprünglich nicht als Ballette gedacht waren, z.B. Schtschedrins Carmen-Ballett...


    Da möchte ich widersprechen. Die Carmen-Suite wurde von R. Schtschedrin extra für seine Gattin Maya Plissezkaja geschrieben, die dazu eine Choreographie erstellte. Die Uraufführung war 1967 im Bolschoi-Theater als Ballett (und es war eine echter Theater-Skandal, den Genossen war die Aufführung viel zu freizügig und erotisch; Die Plissezkaja behielt jedoch Recht, in gut 20 Jahren tanzte sie das Werk ca. 350 Mal!)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Aus meiner Ballettsammlung gibt es aber noch viel mehr aufzuzählen, z.B. Prokoffieff, dessen "Romeo und Julia, Cinderella, Die Steinerne Blume" zu meinen Lieblingsballetten gehören, Adam, Chatschaturjan, Delibes, Glasunow, Herold, Glasunow, Lovenskjold, Pugni.


    Romeo und Julia wurde von Holger schon genannt. Dem Rest der Beschwerde ist stattgegeben.

  • Zitat von Theophilus

    Da möchte ich widersprechen. Die Carmen-Suite wurde von R. Schtschedrin extra für seine Gattin Maya Plissezkaja geschrieben, die dazu eine Choreographie erstellte.


    Das ist natürlich richtig. Aber es wurde die Musik der Oper "Carmen" von Bizet - allerdings für Schlagzeug und Streicher neu bearbeitet, und daher für manchen gewöhnungsbedürftig - verwendet. Insofern kann man natürlich sagen, dass es eine neue Komposition für Ballett ist. Ich habe dieses Ballett vor Jahren auf der Bühne gesehen, und - obwohl ohne jegliche Freizügigkeiten - mit einer von Gestalt und Darstellung her sehr erotisch wirkenden Carmen-Tänzerin.
    Aber wir sind jetzt wieder weit weg vom eigentlichen Thema!


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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  • Ich komme relativ spät auf dieses Thema und möchte nochmals auf die Eingangsfrage zurückkommen: was stört Euch an Wagners Musik?


    Ich muss vorausschicken, dass ich kein großer Freund tragischer Opern bin und auch sonst mein "Opernhorizont" einigermaßen eingeschränkt ist. Dennoch habe ich am Ende eine (vielleicht auch naive) Frage.


    Ich kann durchaus Verdi-Operen etwas abgewinnen oder sogar genießen und kann sie mir von Anfang bis Ende anschauen oder anhören. Bei Wagner ist mir dies, trotz mehrfacher Versuche, noch nie gelungen. Das hat teilweise auch etwas mit Regietheater zu tun, aber das soll hier nicht das Thema sein. Das hat hauptsächlich mit der Musik zu tun, die ich einfach als langweilig empfinde, speziell in den gesungenen Partien (das lang_weilig steht dabei jetzt nicht für die Dauer der Gesangspartie). Für mich hören sich die meisten Gesangspartien an wie ewige Rezitative - sogenannte ewigen Melodien, die man Wagner zuschreibt, konnte ich bisher nicht erkennen. Ganz anders dagegen die Orchesterpartien; die haben so etwas wie eine Melodie oder ein Thema und damit kann ich etwas anfangen.


    Meine Frage: kann man Verdi und Wagner, die doch Zeitgenossen waren, überhaupt miteinander vergleichen oder gar beide mögen, oder schließt der eine den anderen aus?


    ?( Uwe

  • Für mich hören sich die meisten Gesangspartien an wie ewige Rezitative - sogenannte ewigen Melodien, die man Wagner zuschreibt, konnte ich bisher nicht erkennen. Ganz anders dagegen die Orchesterpartien; die haben so etwas wie eine Melodie oder ein Thema und damit kann ich etwas anfangen.

    Das ist halt das Besondere an Wagner, dass sie die "Melodie" oder die Themen ins Orchester verlagert.


    Meine Frage: kann man Verdi und Wagner, die doch Zeitgenossen waren, überhaupt miteinander vergleichen oder gar beide mögen, oder schließt der eine den anderen aus?

    Wagner und Verdi strebten beide nach einer neuen Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit, nach einem neuen "Gesamtkunstwerk" der Einheit von Gesang und Darstellung auf der Opernbühne, allerdings von unterschiedlichen Traditionen ausgehend und in diesen verwurzelt: Blieb bei Verdi nach italienischer Tradition das Primat der Gesangsstimme erhalten (zumindest bis "Otello", "Falstaff" ist dann ein Sonderfall), bekommt bei Wagner das Orchester eine Bedeutung wie nie zuvor - er sah sich auch als Fortführer der deutschen instrumentalen Tradition mit dem speziellen Vorbild Beethoven - und diese instrumentale Dominanz wurde prägend für seine Musikdramen (die sängerischen Anteile sind dann in der Tat häufig rezitativisch und dienen dem Texttransport, aber nicht nur, es gibt immer wieder auch Inseln vokaler Seligkeit bei ihm. Letztlich hat jeder auf seine Weise das perfekte Musikdrama verwirklicht: Wagner mindestens mit dem "Tristan" das perfekte "nordische" oder deutsche Musikdrama und Verdi mit dem "Otello" das perfekte italienische Musikdrama. (Verdis Weg war vielleicht länger und kurviger, suchender, nicht so zielstrebig auf den Endpunkt hin ausgerichtet wie bei Wagner, der schon ziemlich früh wusste, was er anders machen wollte und wie). Man kann beide natürlich vergleichen und ihrer Unterschiedlichkeit unterschiedlich bewerten bzw. jen nach persönlichem Geschmack unterschiedlich genießen, aber man muss sie nicht gegeneinander ausspielen, sondern darf beide als die Musiktheatergiganten des 19. Jahrhunderts ansehen.


    Und noch eine persönliche Ergänzung: Ich liebe beide (oder besser: beider Musik) wirklich sehr, auch wenn ich unter dem Strich zu Hause oder unterwegs doch viel mehr Wagner als Verdi höre: Verdi ist für mich theatraler, da brauche ich (wie bei Mozart auch) die Szene, während ich für das reine Hören meistens Wagner bevorzuge. Meinem besten Freund geht es gerade umgekehrt: Auch er schätzt wie ich Wagner UND Verdi außerordentlich hoch und besucht Aufführungen beider Komponisten, hört auf seinem I-Pod aber fast nie Wagner, sondern fast immer Verdi und andere italienische (und französische) Opernkomponisten.
    Bei mir kommt noch hinzu, dass meine live erlebten Lieblingsopernsänger ihre Meriten fast alle ganz überwiegend im deutschen Fach und bei Wagner hatten. Meinem live erlebten Lieblingsbassisten Siegfried Vogel habe ich in elf verschiedenen Wagner-Rollen live erlebt (Colonna, Daland, Landgraf, König Heinrich, König Marke, Hans Sachs, Veit Pogner, "Rheingold"-Fafner, Hunding, "Siegfried"-Fafner und Gurnemanz), aber nur in einer einzigen Verdi-Rolle (Monterone). Er war ein fantastischer Sachs und Gurnemanz (mit diesem gehe ich fast jeden Abend ins Bett, also meine "Einschlafmusik"), aber nur ein mäßiger Monterone (habe ich vor ein paar Monaten nochmal nachgehört, sehr mäßig). Und ganz ähnlich ist es auch bei meinen anderen Lieblingssängern aus. Deshalb höre ich zu Hause weit mehr Wagner als Verdi, schätze beide aber dennoch sehr hoch ein.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Halllo Stimmenliebhaber,


    vielen Dank für Deine ausführliche Antwort; es ist mir einiges deutlicher geworden. Es ist mir bekannt gewesen, dass sowohl Verdi als auch Wagner sich von der sog. Nummernoper abkehren wollten. Was mir bei Verdi aber besonders gefällt ist, dass der rezitativische Anteil in seinen Opern relativ gering ist und kurz darauf erklingt dann wieder eine wundervolle Arie, ein Duett, Terzett, Quintett usw. Sein radikalerer Schritt zur "durchkomponierten Oper" bei Otello gefällt mir dann auch schon wieder weniger.



    die sängerischen Anteile sind dann in der Tat häufig rezitativisch und dienen dem Texttransport, aber nicht nur, es gibt immer wieder auch Inseln vokaler Seligkeit bei ihm

    Bei Wagner verhält es sich bei mir so, dass ich für meinen Geschmack auf diese "Inseln vokaler Seligkeit" zu lange warten muss. Um einmal diesen möglicherweise unzuverlässigen Vergleich zu wagen: wenn bei einer Nummernoper (oder gar bei einer Operette :!::!::!: ) nur jede 5. Nummer melodisch ansprechend wäre, würde ich von einem nicht so sehr inspirierten Werk sprechen.


    :untertauch: Uwe

  • Lieber Uwe,


    ich liebe beide, die Nummernoper und die durchkomponierte, und ich höre, je nach Stimmung, mal diese und mal jene, wobei mich Wagner irgendwie mehr fesselt. In meiner frühen Jugend schon habe ich neben Mozart, Weber, Verdi u.a. vor allem Wagner gehört. Zwar waren es damals bei Wagner eher Tannhäuser, Lohengrin und Der fliegende Holländer, wo man sicher nicht - wie du es ausdrückst - so lange auf "Inseln vokaler Seligkeit" warten muss. Aber auch die Meistersinger und den Ring habe ich geliebt und jedes Jahr mit heißen Ohren am "Dampfradio" (noch ohne UKW) verfolgt. Lediglich zu "Tristan und Isolde" habe ich erst in späteren Jahren gefunden. Bei Lohengrin z.B. empfand ich früher den ersten Teil des zweiten Aktes (die lange Auseinandersetzung zwischen Ortrud und Telramund und später Elsa) eher als langweilig, obwohl ich die Oper insgesamt sehr liebte. Das kam aber auch daher, weil auch ich damals mehr auf die vokalen Teile fixiert war. Bis ich die orchestralen Schönheiten dieser Musik für mich erobert hatte, hat bei mir auch längere Zeit gedauert. Auf sie achte ich heute in vielen Opern oft mehr als auf die vokalen Schönheiten. Ähnlich ging es mir bei Verdi, mit Otello und Falstaff sowie mancher moderneren Oper, zu denen ich auch erst relativ spät eine Beziehung gewann.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich bin Wagnerianer und mit missfällt an Wagners Musik eher wenig. Ich höre im Verwandten- und Bekanntenkreis sehr häufig, was denen an Wagners Musik missfällt: "Zu schwer". Bei Nachfragen erfahre ich dann meistens, dass die Leute nicht geurteilt, sondern vorurteilt haben, denn es stellt sich häufig heraus, dass sie noch nie eine Wagneroper gesehen, bestenfalls mal nebenbei im Radio Wagnermusik gehört haben. Wenn ich es geschafft habe, die Personen, denen Wagners Musik zu schwer ist, in eine Wagneroper zu schleifen, sind sie hinterher überrascht und zum Teil sogar begeistert. Natürlich fange ich nicht mit "Tristan und Isolde" an, sondern am liebsten mit dem "Fliegenden Holländer". Letzte erfolgreiche Bekehrung eines wagnermusikablehnenden Ehepaares fand am 25.12.15 in Bonn statt: "Wir hätten nicht gedacht, dass die Musik uns so mitnimmt".

  • Zum Antisemitismus Wagners möchte ich Marcel Reich-Ranicki zitieren:


    Als es in einem Gespräch über Wagner zu seinem widerwärtigen Antisemitismus kam, klärte Reich-Ranicki, der Jude, die Situation und Stimmung: Es sei ja wahr, andere Künstler hätten sich ausgezeichnet durch Güte und Großmut und Freigebigkeit und Frömmigkeit und Sanftmut, ja, sie seien einfach bessere Menschen gewesen: "Nur keiner von ihnen hat den Tristan komponiert!"

  • Ich weiß nicht, ob ich es schon irgendwo hier im Forum erwähnt habe, aber mich haben (zumindest früher) die Texte gestört! Dieses gewollte "Reim-Dich-oder-ich-freß-Dich" und reimst dich nicht, dann "alliteriere" wenigstens. - Inzwischen bin ich auch hier ein Stückchen klüger und schätze immerhin den Sinngehalt, während ich zur dichterischen Qualität schweige :untertauch:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • während ich zur dichterischen Qualität schweige :untertauch:


    Welche Operntexte der Wagner-Zeit haben denn eine höhere dichterische Qualität, die dich mehr befriedigt?


    Wobei die Texte ja nicht das Thema dieser Rubrik sind, deren Titel lautet: "Was stört euch an Wagners Musik?"

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Welche Operntexte der Wagner-Zeit haben denn eine höhere dichterische Qualität, die dich mehr befriedigt?

    Als Antwort die Gegenfrage, welche Operntexte denn überhaupt einen derart hohen Anspruch hatten? - Mal abgesehen von Hofmannsthal, aber das war später. - Immerhin hat Wagner seine Texte so sehr als eigenständig angesehen, dass er sie zum Teil vor der musikalischen Komposition veröffentlicht hat.



    Wobei die Texte ja nicht das Thema dieser Rubrik sind, deren Titel lautet: "Was stört euch an Wagners Musik?"

    Grundsätzlich richtig, aber erstens ist Wagner m.E. ein Sonderfall, da er die Texte selber gedichtet und ihnen (s.o.) ein Eigenleben unabhängig von der Musik zugestanden hat. Und zweitens gehört der gesungene Text zweifellos zur Musik Wagners.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Für mich hören sich die meisten Gesangspartien an wie ewige Rezitative - sogenannte ewigen Melodien, die man Wagner zuschreibt, konnte ich bisher nicht erkennen. Ganz anders dagegen die Orchesterpartien; die haben so etwas wie eine Melodie oder ein Thema und damit kann ich etwas anfangen.


    Die "unendliche Melodie" ist kein Widerspruch zum "unendlichen Rezitativ". Wagner meinte mit "unendlicher Melodie" mehrere Dinge. U.a. dass der Unterschied zwischen Arie und Accompagnato aufgehoben wird (was in der Praxis eben eher auf "durchgehendes Rezitativ" als "durchgehende Arie" hinausläuft), aber darüber hinaus es keine grundsätzlichen Unterschiede mehr zwischen Melodien und "Füllpassagen" geben soll. Angeblich hat er u.a. auch im Kontext von Beethovens Eroica von "unendlicher Melodie" gesprochen, weil in deren Kopfsatz seiner Ansicht nach auch schon eine durchgehende organische Entwicklung das gesamte Gewebe erfasst hat, obwohl man natürlich auch noch Themen unterscheiden kann. (Schon Beethoven hat übrigens anscheinend die Idee einer Oper mit durchgehendem Rezitativ geäußert, da bekanntlich alle seine späteren Opernpläne sehr früh scheiterten, kam es nicht dazu.)


    Auch bei Wagner gibt es ja die (nicht ganz glücklich bezeichneten) "Leitmotive", aber der Witz (jedenfalls ab dem Ring und Tristan) ist, wie daraus möglichst "bruchlose" Gebilde entstehen. Die "Logik" der musikalisch-dramatischen Entwicklung soll idealerweise einen gesamten Akt umfassen und die Struktur nicht dadurch bestimmt werden, dass der Tenor auch noch eine Arie braucht...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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