Der Stimmfachwechsel-Organische Entwicklung oder gefährlicher Weg ?

  • Hallo,


    ich möchte zu einem Thema einige Bemerkungen machen, das durch den vielbeachteten Stimmfachwechsel von Placido Domingo vom Tenor zum Bariton wieder in der Diskussion ist. Ich weiß, daß Domingo als Bariton begonnen hat, bevor er sich zum Tenor umschulte, ich weiß auch, daß es bei Carlo Bergonzi so war, den "Gott aller Wagnertenöre" Lauritz Melchior nicht zu vergessen, ganz zu schweigen von der Achterbahnlaufbahn Ramon Vinays, der Lyrischer Bariton, Heldentenor, Dramatischer Bariton und schließlich Baß war. Meine Meinung ist schlicht die, daß nur Sänger mit sehr starken, widerstandsfähigen Stimmen, etwa Melchior oder eben Domingo, oder hervorragende Techniker, wie Bergonzi, den Fachwechsel stimmlich meistern und überleben ! Beispiele, bei denen es eben nur für eine gewisse Zeit funktionierte, sind Peter Hofmann, der nach eigener Aussage zuerst Bariton war und sein Kollege Poul Elming. Ich habe mir Interpretationen Domingos von Rigoletto und Simone Boccanegra angehört, sie überzeugen mich gegenüber denen, die sozusagen von Anfang an im Baritonfach waren und sind, nicht. Die Stimme ist einfach immer noch zu hoch ! Kauft und hört man Domingos Bariton-Produktionen etwa nur, weil sie vom erfolgreichsten Tenor der Operngeschichte stammen !


    Um nicht nur von Tenören und Baritonen zu reden: Der legendäre Hans Hotter hat neben allen Baßbariton-Partien Wagners auch sämtliche Baß-Partien Wagners gesungen, überzeugen konnte er mich lediglich als Gurnemanz. Ist der Stimmfachwechsel oft gefährlich ? Ich erbitte Meinungen !


    Antalwin

  • Die Stimme ist einfach immer noch zu hoch !


    Die Stimme ist nicht zu hoch, denn er singt ja keine höheren Töne als die anderen, nämlich die festgelegten! Die Stimme ist höchstens nach deinem subjektiven Empfinden zu hell, zu tenoral gefärbt - aber das ist wie gesagt ein rein subjektives Empfinde bzw. eine Gewöhnungssache - nur die Tonhöhe, nicht die "Helligkeit" des Tones sind durch die Notation festgelegt.






    Der legendäre Hans Hotter hat neben allen Baßbariton-Partien Wagners auch sämtliche Baß-Partien Wagners gesungen, überzeugen konnte er mich lediglich als Gurnemanz.


    Ist das sicher, dass er wirklich alle Basspartien von Wagner sang? Daland? Landgraf? (Ich weiß nur, dass er viel Wolfram sang.) König Heinrich? Fasolt? Fafner? Hunding? Hagen?
    Sein König Marke aus Osaka 1967 gefällt mir in der Tat nicht und auch sein Titurel in der ansonsten so hochkarätig besetzten Studio-Aufnahme von Solti (Ludwig, Kollo, Fischer-Dieskau, Frick) ist vokal zweifellos ein Schwachpunkt.





    Ist der Stimmfachwechsel oft gefährlich ? Ich erbitte Meinungen !


    Das kommt immer auf die jeweilige Stimme und ihre Entwicklung an. Der Stimmwachwechsel ist oft gefährlich, aber genauso oft kann es gefährlich sein, nicht zu wechseln, obwohl sich die Stimme verändert.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hallo Stimmenliebhaber,


    ich habe ein Buch über Hotter, in dem innerhalb einer Liste steht, daß er auch fast alle Baß-Partien von Wagner sang. Sicher erinnern kann ich mich bezüglich König Heinrich, Hunding und Hagen.


    Gruß,


    Antalwin

  • Aber Landgraf sang er auch? Hagen überrascht mich, wird wohl nicht sehr oft gewesen sein...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Danke für die Antworten ! Auch in Büchern kann offensichtlich Falsches stehen. Bei der Gelegenheit muß ich bemerken, daß ich auch vom Stimmfachwechsels des, meiner Meinung nach, ohnehin nicht mit einer großen Stimme beschenkten, Baßbaritons Albert Dohmen ins Baßfach nicht besonders begeistert bin !


    Gruß,


    Antalwin

  • Ich weiß nicht, warum das Dohmen-Bashing so beliebt ist, und ich weiß auch nichts von einem Fachwechsel bei ihm. 1990 habe ich ihn mal als Escamillo erlebt, 1999 als König Heinrich (eine Basspartie!), 2003 und 2007 als Wotan und Wanderer und 2014 als Jochanaan (auch eine Bassbariton-Rolle). Im letzten Sommer übernahm er den Alberich in Bayreuth - das spricht für mich alles nicht für einen Fachwechsel zum Bassfach, sondern viel eher für einen Bassbariton, der sowohl Bass- als auch Baritonrollen singt. Vor allem merkt man, dass er weiß, was er singt, er beherrscht und verinnerlicht die deutsche Sprache, in der ich ihn stets singen erlebt habe - das hat er so manchen Fachkollegen voraus...


    Als Beispiel für einen "Fachwechsel" scheint mir sein Fall hingegen gar nicht zu taugen.


    Wer zuletzt tatsächlich einen Wechsel in die reinen Basspartien vollzogen hat (auch wenn er ab und an noch Bassbaritonrollen wie Pizarro oder Kaspar singt), ist sein Bassbaritonkollege Falk Struckmann.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Der große Bassist Josef Greindl sang ab etwa 1960 vermehrt (Bass-)Bariton-Partien wie den Hans Sachs, den Holländer, den Wanderer und sogar den "Walküren"-Wotan einmalig im Jahre 1970. Trotzdem stand im selben Jahr auch noch der Hagen in Salzburg auf dem Programm.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Da bin ich beim Stöbern im Forum auf ein Thema (und ein Problem) gestoßen, das mich mein Leben lang begleitet hat. Deshalb kann ich vielleicht einiges Nützliche dazu sagen.
    Jemand, der wie ich selber Sänger werden wollte, aber nach der Ausbildung eingesehen hat, dass die stimmliche Ausstattung für eine Sängerlaufbahn zu bescheiden ausgefallen ist, hat zu diesem Thema eine besonders sensible Beziehung.


    Die Gründe für einen Fachwechsel (oder einen Abbruch!) können sehr unterschiedlich sein. Bei Frauenstimmen sind die Übergänge eher fließend, besonders bei dramatischen Stimmen, die ohnehin einen großen Umfang brauchen, sodass manche mühelos zwei Fächer (oder genauer: zwei Stimmlagen) abdecken können (z.B. Waltraud Meier).
    Bei den Männerstimmen gibt es zwischen Bass und Bariton ebenfalls fließende Übergänge, zumal sich da auch noch der Bassbariton dazwischen geschoben hat. Das entscheidende Kriterium ist weniger der Stimmumfang als die KLANGFARBE, das TIMBRE.


    Wenn man von Fachwechsel spricht, ist meistens ein Stimmlagenwechsel gemeint (denn Fachwechsel ist dann gegeben, wenn eine Stimme wächst oder reift (z.B. vom lyrischen zum Lirico-Spinto-Tenor). Ich glaube, lieber Antalwin, du meinst hier eher den Stimmlagenwechsel. Und da (um bei den Männerstimmen zu bleiben) tut sich ein gefährlicher Abgrund auf zwischen Bariton und Tenor.
    Als alte Opernhasen wissen wir ja alle, wie etwa ein Tenor zu klingen hat. Er bekommt seinen hellen Glanz durch einen hohen Anteil an Kopfresonanz, der in der Höhe zunimmt. Und der Bariton hat auch in der hohen Lage noch mehr Brustresonanz, was ihm (hoffentlich) den virilen Klang des gestandenen Mannes verleiht.


    Was jetzt kommt, sage ich nur ganz leise, damit es nicht in falsche Ohren kommt:
    Es gibt Tenöre, die in der Mittellage relativ dunkel klingen (Paradebeispiel Kaufmann). Wenn der aber, sagen wir in zehn Jahren,
    seine strahlende Höhe verlieren sollte, wäre er trotzdem kein Bariton, weil ihm dafür der spezifische Klang fehlte, der einen Luna oder Amfortas ausmacht (Frauen wissen, was ich meine!).
    Und genau das ist derzeit bei Domingo zu beobachten: Er hat alle Töne, die ein Bariton braucht, aber sie eher klingen wie ein abgesungener Heldentenor. Was ihm trotzdem den Erfolg beschert, ist seine künstlerische Ausstrahlung und (wenn wir ehrlich sind) seine grenzenlose Popularität. (Mir war bei seinem Salzburger Luna eher zum Heulen zumute.) Aber im Zeitalter der totalen Vermarktung müssen wir wohl mit dergleichen leben.


    Es gibt noch manches dazu zu sagen. Aber eine Zäsur kann an dieser Stelle nicht schaden.


    Vorerst beste Grüße von Sixtus

  • Und genau das ist derzeit bei Domingo zu beobachten: Er hat alle Töne, die ein Bariton braucht, aber sie eher klingen wie ein abgesungener Heldentenor.


    Helge Brilioth hat als ehemaliger Bariton später u.a. den Parsifal, Tristan und Siegried mit großem Erfolg gesungen. Habe ihn selbst oft auf der Bühne erlebt.

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  • Die Entwicklung vom Bariton zum Wagner'schen Heldentenor (da dort die Höhe nur an drei Stellen (1mal Siegfried, 2mal Götterdämmerung) über das a hinausgeht, was auch von einem guten Bariton erreichbar ist) ist gar nicht so selten (man denke nur an Vinay). Allerdings geht es in den wenigsten Fällen viele Jahre gut (die goldene Ausnahme ist Melchior). Gerade Brilioth hatte dann demzufolge nur eine eher kurze Karriere (knappe zehn Jahre), die schon bald von stimmlichen Schwierigkeiten geprägt war.

  • DIe Beispiele, die ihr anführt, zeigen ja grade auch die Problematik dieses Stimmlagenwechsels:
    Brillioth war, rund heraus gesagt, nie ein echter Heldentenor (wie übrigens auch Jerusalem, wenn auch aus anderen Gründen). Was beide gemeinsam hatten, waren die Schwierigkeiten.


    Melchior sollte man nicht als Beispiel anführen - der war ein Naturereignis und keinesfalls zu verallgemeinern. Bei Vinay liegt der Fall schon eher in der Regel: im Scheitern. Seine Heldentenorpartien (Otello, Tristan, Tannhäuser) waren zwar imponierend, aber auch immer gefährdet. Das Symptom war immer eine gewisse Stumpfheit des Klangs. Als er schließlich wieder zum Bariton zurückkehrte, war sogar der stumpf, weil durch Überanstrengung abgenutzt.


    Es mag banal klingen, aber man könnte sagen: Schuster, bleib... Apropos Schuster: Greindl blieb trotz Sachs u.ä. immer ein echter Bass. Er hatte nur einen großen Stimmumfang. Solche Fälle gibt es immer wieder: Hotter, Jerome Hines... Aber da sind, wie gesagt, die Übergänge fließend. Dagegen ist der Sprung zwischen Bariton und Tenor immer gefährlich. Die goldenen Ausnahmen wie bei Bergonzi kann man lange suchen - und sie halten selten lange.


    Ich glaube, man könnte es so sagen: Ein Sänger, der sich in seiner Stimme nicht wohl fühlt, versucht es in einem anderen Fach. Doch meistens ist die Ursache ein gesangstechnisches Problem. Oder zu großer Ehrgeiz! (Fischer-Dieskau als Holländer und Sachs!)


    Wer nicht selber betroffen ist, hat ein Problem weniger!


    Beste Grüße von Sixtus

  • Die echten Bässe, die den Sachs gesungen haben (Greindl, Tozzi, Ridderbusch), überzeugten mich mehr als gewisse echte Baritone, die sich an diese Partie gewagt haben (Fischer-Dieskau als das Musterbeispiel). Gerade Greindl gelangen in dieser Rolle mustergültige Interpretationen, die bereits von Zeitgenossen als wahrhaft herausragend wahrgenommen wurden. Gleichwohl hatte er die Partie nur relativ kurz im Repertoire, vermutlich 1960 bis etwa 1967 (letzter mir bekannter Auftrit: 30.06.67 an der Wiener Staatsoper).


    Wobei sich mir hier wieder die Frage auftut, was Karl Ridderbusch eher zum "richtigen" Bass macht als Otto Edelmann, der fast durchgängig als Bassbariton geführt wird. Wenn ich die beiden Stimmen vor meinem geistigen Ohr höre, würde ich ja fast meinen, Edelmanns Sachs klang bassartiger.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die echten Bässe, die den Sachs gesungen haben (Greindl, Tozzi, Ridderbusch), überzeugten mich mehr als gewisse echte Baritone, die sich an diese Partie gewagt haben (Fischer-Dieskau als das Musterbeispiel). Gerade Greindl gelangen in dieser Rolle mustergültige Interpretationen, die bereits von Zeitgenossen als wahrhaft herausragend wahrgenommen wurden.

    Komisch, wenn ich mit Leuten spreche, die sowohl FiDi als auich Greindl als Sachs live erlebt haben, höre ich immer wieder, dass FiDi als Sachs herausragend gut gewesen ist, während Greindl gerade in dieser Partie häufig eine Qual war. Die mir bekannten Greindl-Sachs-Dokumente überzeugen mich auch nicht wirklich, sein Pogner von 1943 unter Furtwängler hingegen umso mehr.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Die zuletzt genannten Beispiele haben nur eine Schnittmenge: Beide, Greindl und FiDi, hatten große künstlerische Ausstrahlung. Ansonsten war der Sachs für den einen eine Grenzpartie (wegen der Höhe), dem anderen fehlte einfach das grundierende Brustregister - und das Volumen, das für schwere dramatische Partien unerlässlich ist.
    Dass er trotzdem viele beeindruckt hat, liegt an seiner schauspielerischen Eloquenz. Immer wenn er auf der Opernbühne gut war, hat er gleichsam als Liedersänger überzeugt, nicht als Stimme. Ich habe ihn einmal als Mandryka gehört. Die lyrischen Passagen - wunderbar. Bei den dramatischen Ausbrüchen hat er mimisch und gestisch von der fehlenden Stimme abgelenkt. Ähnlich macht es heute K.F.Vogt, der alles ist, nur kein Wagnersänger.


    Das bringt mich zum eigentlichen Fachwechsel: Viele Sänger haben nicht die nötige Geduld, damit zu warten, bis die Stimme reif ist. Oder sie werden von der Medienindustrie dazu gedrängt - und dadurch verheizt, also vorzeitig verschlissen. Das große Geld lockt, und hinterher ist es keiner gewesen. Aber einer war es: der Zeitgeist. Das werden wir nicht aufhalten. Nur starke Charaktere schaffen es, dem zu widerstehen.


    Also Fachwechsel ja, wenn sich die Stimme gefestigt hat; aber bitte nicht vorher - und manchmal auch, mangels Masse, besser nie!


    Das empfiehlt Sixtus

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  • Macht da I. Bostridge eine lobenswerte Ausnahme?


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Basso profondo, von Bostidge kenne ich nicht vilele Aufnahmen.
    Aber wenn er im lyrischen Tenorfach geblieben ist, dann ist er gut beraten. Denn die Stimme ist von ihrer Textur her schlank, weich und vor allem hell. Das deutet darauf hin, dass er ein lyrischer Tenor bleiben wird.


    Beczala hat ja auch als lyrischer Tenor begonnen. Aber man merkte der Stimme schon zu Beginn an, dass da Reserven da sind. Zugespitzt könnte man sagen: Wenn ein junger Tenor den ersten Gefangenen singt, kann man oft schon hören, ob daraus eher ein Florestan werden kann - oder ob es beim Jacquino bleiben wird.


    Bei Bässen dauert es meistens etwas länger, bis sich herausstellt, ob sie sich zum Sarastro entwickeln können - oder eher zum Don Giovanni. Oder gar nicht! Entscheidende Kriterien sind nicht nur Umfang und Volumen, sondern vor allem: Wo sitzt das Zentrum der Stimme. Manche gehen nach oben auf, andere ruhen in der Tiefe. Aber man sollte die Prognosen nicht übertreiben, vor allem die hoffnungsvollen.


    Eine interessante Frage ist auch: Warum gibt es in Deutschland kaum noch (deutsche) Verdi-Baritone? Vielleicht ein andermal...


    Beste Grüße von Sixtus

  • Ich bedanke mich vielmals für die kenntnisreichen Antworten ! Sixtus hat den Sachverhalt in die Worte gefaßt, die mir bei der Eröffnung des Themas noch fehlten: Bei Ramon Vinay, dessen Fan ich trotzdem bin, hörte man immer bei den Heldentenorpartien die Gefährdung durch stimmtechnische Schwierigkeiten, doch die Physis der Stimme, ihre ungeheuere Kraft und ihr Volumen, überdeckte diese Schwächen. Vinay übernahm den Ruhm des Heldentenors mit ins Dramatische Baritonfach, d.h., die Fans berauschten sich dann mit seinem Telramund im Ensemble mit Jess Thomas und Anja Silja und an seinem Jago neben Mario del Monaco. Der stimmfachgewechselte Sänger, der seine Berühmtheit in einem anderen Fach erlangte, wird zum Besetzungs-Knalleffekt. Bei Domingo wird es ähnlich werden: Die Knalleffekt-Besetzung Vittorio Grigolo/Placido Domingo hatten wir bereits in Rigoletto. Was kommt noch: Roberto Alagna/Anna Netrebko/Placido Domingo in Lohengrin ? Mit Domingo als Telramund. (Ja, Alagna lernt den Schwanenritter). Oder Kaufmann als Otello und Domingo als Jago ? Oder, auch nicht irreal, wie man hört: Ein Tannhäuser mit Klaus Florian Vogt. Warum nicht irgendwann in der Kombination mit Domingo als Wolfram ?


    Gruß,


    Antalwin

  • Ist das sicher, dass er wirklich alle Basspartien von Wagner sang? Daland? Landgraf? (Ich weiß nur, dass er viel Wolfram sang.) König Heinrich? Fasolt? Fafner? Hunding? Hagen?
    Sein König Marke aus Osaka 1967 gefällt mir in der Tat nicht und auch sein Titurel in der ansonsten so hochkarätig besetzten Studio-Aufnahme von Solti (Ludwig, Kollo, Fischer-Dieskau, Frick) ist vokal zweifellos ein Schwachpunkt.


    Ich habe Hans Hotter Xmal gehört und ihn in den Baritonpartien und als Liedersänger sehr geschätzt. Ich wüßte allerdings nicht, dass er die oben angeführten Rollen je gesungen hätte. Die liegen alle für ihn zu tief. Hotter war ein kluger Sänger, deshalb hätte er sich nie an den Hagen gewagt. Gegenwärtig ist es höchst interessant und absolut ungewöhnlich, dass Falk Struckmann diese Partie singt. Ich bin extra mikt meiner Frau nach Wien gefahren, um mir seinen Hagen anzuhören und seine Leistung war darstellerisch großartig und auch gesanglich höchst achtbar, wenn auch bei den tiefen Stellen in den Mannenrufen die stimmlichen Grenzen deutlich hörbar wurden. Hier kann man wiederum die Frage stellen, ist es bei Struckmann ein Stimmfachwechsel oder einfach die Erweiterung des Rollenspektrums? Genau hier liegt die Grundfrage dieser Diskussion: Wann ist es ein Stimmfachwechsel oder ist es nur eine Rollenerweiterung, wenn Sopranistinnen auch Mezzopartien oder umgekehrt singen?


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Hans! Nett, dass wir uns mal wieder treffen.


    Bei Hotter handelte es sich zwar auch um einen Bassbariton, und zwar um einen echten, der beide Stimmlagen vereinte (besonders in seinen jungen Jahren), bei dem sich aber später die Stimme insgesamt "gesetzt" hat. Die logische Konsequenz war Gurnemanz.


    Bei Struckmann ist es eher so, dass er ein Bassbariton ist, der aus stimmtechnischen Gründen Probleme mit der Höhe hat(te) und deshalb die Notbremse gezogen hat. Aber das macht noch keinen Hagen. Da fehlt nicht nur die Tiefe, die Stimme ist zu hell (man darf nicht an Frick denken!).


    Echte Bässe sind zur Zeit in Mitteleuropa rar. Man sollte einige Russen einfangen und ihnen anständiges Wagner-Deutsch beibringen. (Kleiner Scherz, bitte nicht juristisch ausschlachten!)
    Ähnlich sieht es bei den Baritonen aus. Leider wachsen die Hvorostovskis und Kwiecziens nicht im deutschen Wald. Bei uns weiß (vor lauter Dieskau-Epigonen) kaum noch jemand, wie ein echter Bariton klingt. Metternich!!


    Aber das gehört schon nicht mehr hierher. Ich wechsle jetzt über zu meinem eigenen Thread "Stimme - Fingerabdruck der Seele", den bisher noch kaum jemand zur Kenntnis genommen zu haben scheint - und versuche ihn nochmal anzuleiern.


    Also Vorsicht bei Fachwechsel - und erst recht bei Stimmlagenwechsel!


    Herzliche Grüße von Sixtus

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  • Lieber Operus !


    Ich muß gestehen, daß es mir neu war, daß Struckmann, von dem ich Gesamtaufnahmen als Holländer und Amfortas habe, in die tiefe Baßlage gewechselt ist. Wenn Du ihn in einer Aufführung der Götterdämmerung als Hagen gesehen hast, so brauchen wir beide wohl nicht darüber zu reden, wen wir für den einzigen, wahren Hagen halten, oder ?


    Das Grundproblem ist im Wagnerfach ein ganz anderes: Wir haben nämlich nicht in erster Linie ein Tenorproblem, sondern, meines Erachtens, ein Bariton- und Baßproblem ! Es gibt heute den klassischen, wagnerschen Heldenbariton, Stimmen für Holländer, Sachs, Wotan, Amfortas, ebenso selten, wie den tiefen Wagner-Baß, Daland, Landgraf, König Heinrich, Marke, Fafner, Hunding, Hagen. Deswegen wirken die Sänger, die heute diese beiden Stimmfächer besetzen, in beiden oft zu leichtgewichtig. Merkwürdigerweise hat sich gerade deswegen, meines Erachtens, durch die Vorbilder Hans Hotter und Theo Adam eine ungute Wechselneigung von Baß zu Baßbariton, oder von Baßbariton zu Baß entwickelt. Zu erinnern sei hier nur an den Baß John Tomlinson, der als Hagen und Hunding auf Platte gebannt wurde, aber auch lange als Wotan und Holländer unterwegs war, oder der amerikanische Baß Simon Estes, Baß im italienischen Fach, aber Holländer, Sachs, Wotan und Amfortas bei Wagner. Nicht zu vergessen, der berühmte, belgische, hohe Baß Jose von Dam, der grandiose Aufnahmen von Holländer, Sachs und Amfortas machte, stapelweise Aufnahmen von italienischen und französischen Baßpartien hinterließ und unter Karajan einen grandiosen Sarastro aufnahm !


    Nur bei den heutigen, besprochenen Beispielen handelt es sich, meiner Meinung nach, nicht um künstlerische Experimente, sondern um Besetzungsnot, von Sixtus richtig erkannt !


    Gruß,


    Antalwin

  • so brauchen wir beide wohl nicht darüber zu reden, wen wir für den einzigen, wahren Hagen halten, oder ?

    Also ich kann mir beim besten Willen bicht vorstellen, dass "Operus" in seiner Wahrnehmung so beschränkt wäre, Gottlob Frick für den EINZIGEN, WAHREN Hagen zu halten. Wäre ja auch furchtbar, wenn das so wäre, weil dann in 99,99% aller bisherigen (und 100% aller gegenwärtigen und künftigen) "Götterdämmerungs"-Vorstellungen immer falsche, unwürdige Hagen-Interpreten gesungen hätten - und das ist nun definitiv nicht so: von Ivar Andresen und Emanuel List über Josef Greindl (ja, ich bin kein ganz großer Fan von ihm und billige ihm trotzdem zu, ein wahrer Hagen zu sein) und Kurt Böhme bis hin zu Fritz Hübner und Matti Salminen. Allen Genannten und noch vielen anderen Ungenannten tut man mit der gewählten Formulierung unverzeihliches Unrecht!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich habe Falk Struckmann als Hagen per Livestream der Wiener Staatsoper gesehen und auch als Gurnemanz im Radio gehört. Dort stand als Stimmlage die Bezeichnung Bass bei der Bsesetzungsübersicht. Für den Tannhäuser Wolfram finde ich Domingos Stimme leider nicht mehr lyrisch genug, da er ja jtzt auch schon einige Verdi Partien im Bariton Fach gesungen hat. Nur wie plant man so ein Stimmfachwechsel, da die Opernhäuser ja auch auf 5 Jahre hinaus ihre Besetzungen planen.

  • Lieber Stimmenliebhaber !


    Du hast Recht ! Weil mir klar war, daß Operus und ich Gottlob Frick sehr schätzen, habe ich meine Aussage zu apodiktisch formuliert. Verzeihung ! Ich wollte damit eher ausdrücken, daß Operus vermutlich Zweifel an Struckmanns stimmlichem Kaliber für den Hagen hatte. Es gab vor Frick hervorragende Hagen und nach ihm, aber als Wagner-Baß ist er eine Klasse für sich !


    Gruß,


    Antalwin

  • Eng verwandt mit der Entscheidung für Fach- oder Stimmlagenwechsel ist das Problem der rollendeckenden Besetzung. Nur ist hier die Perspektive umgekehrt: Nicht der Sänger entscheidet, sondern die Theaterleitung.


    Solange es die Kassenlage und der Bestand an Sängern erlauben, wird in der Regel einigermaßen adäquat besetzt. Bei kleineren Häusern wird es da leider oft problematisch. Dann kommt es zu Engpässen in der Besetzung. Dadurch entstehen Fehlbesetzungen.


    Kürzlich hatte ich eine Rigoletto-Produktion zu rezensieren. Die meisten Rollen waren ordentlich besetzt. Aber an zwei Stellen ging die Rechnung nicht auf:
    Weil der einzige echte Bass des Ensembles als Sparafucile eingesetzt war, musste Graf Monterone, der für den Fluch eine donnernde Bassstimme braucht, von einem schlankstimmigen Charakterbariton gesungen werden. Resultat: Die tiefe Lage fiel dünn aus, und der Höhe fehlte die dräuende Wucht.
    Schlimmer war es mit dem Herzog. Ein Lirico-Spinto-Tenor fehlte im Ensemble. Also musste der lyrische Tenor die Macho-Partie ausfüllen. Er sang sauber und schön, aber die Stimme war viel zu schmächtig. Für Sonnambula wäre der Tenorino richtig gewesen, aber bei Verdi war er quasi überhaupt nicht vorhanden - und fehlte als Verführer unentschuldigt. Der typische Fall einer Unterbesetzung. Damit wurde dem Stück ein wesentlicher Charakterzug vorenthalten.


    Solche Fehlgriffe passieren beinahe regelmäßig, besonders an kleinen Stadttheatern. Doch auch bei größeren Bühnen kommt es vor, wenn im Besetzungsbüro Leute sitzen, die zu wenig von Stimmen verstehen. Doch oft werden solche Schwächen weder vom Publikum noch von der Presse bemerkt - ein Zeichen schwindender Sachkenntnisse in punkto Gesang im Medienzeitalter. Bedauerlich, aber leider immer häufiger zu beklagen.


    Es sind also nicht immer die Sänger schuld.


    Das meint, mit den besten Grüßen,


    Sixtus

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  • Diese Fehlgriffe gehen oft "mörderisch" für den betroffenen Sänger aus. An einem kleineren Haus wurde ein Hausbassist vom Intendanten, der "Zar und Zimmermann" selbst inszenierte, gezwungen, die Partie des Zaren zu singen. Folge - der hoffnungsvolle junge Sänger verdarb sich durch die seiner Stimme nicht liegenden Höhen dieser Partie seine Stimme. Heute arbeitet er als erfolgreicher Unternehmensberater und Coach auch weiterhin im Opernbereich. Ein krasses Beispiel zur treffenden Darstellung des Besetzungsproblems von Sixtus.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Danke, Hans, für dieses buchstäblich schlagende Beispiel für fremdbestimmten "Fachwechsel"!


    Ich glaube, der wichtigste Ratgeber für solche Entscheidungen, die eine Sängerkarriere fördern oder zerstören können, ist der betroffene Sänger selbst. Bedingung ist allerdings, dass er/sie das nötige Augenmaß und Urteilsvermögen besitzt. Und das ist nicht immer leicht, wenn es um die eigene Stimme geht. (Wer hört sich schon selber objektiv?!)


    Beratung ist natürlich auch wichtig. Aber die sollte von Sachverstand untermauert und im wohlverstandenen Interesse des jungen Sängers sein. Leider spielen dabei aber falscher Ehrgeiz, Eitelkeit und geschäftliche Spekulation die Hauptrollen: der schnelle Erfolg, die steile Karriere, und vor allem das schnelle Geld.


    Von außen kann man da nur bange zusehen und hoffen, dass junge Talente nicht verheizt werden - oder aber sich selber ruinieren.
    In seltenen Fällen gibt auch ein Agent einmal Ratschläge, die den Betreffenden weiter bringen.


    Herzlich grüßt Sixtus

  • Stimmfachwechsel können ja unterschiedliche Gründe haben. Zunächst gibt es da unzählige Beispiele, dass selbst den Gesangspädagogen nicht immer klar ist, ob sie einen Sopran oder Mezzo hören; bei Tenor und Bariton verhält es sich ähnlich.
    Ein bekanntes Beispiel ist der Tenor Kurt Schumacher, der wegen Schwierigkeiten in der Höhe zum Bariton wurde und mit der Stimmlage auch seinen Namen wechselte und zu Marcel Cordes wurde.


    Astrid Varnay dagegen hatte schon eine lange und erfolgreiche Soprankarriere hinter sich gebracht, als sie etwa drei Jahrzehnte nach ihrem Debüt bemerkte, dass sich ihre Stimme verändert hatte und sie einen Fachwechsel vollzog.


    Als Beispiel unserer Tage fällt mir der Tenor Christian Elsner ein, den ich erstmals 1997 in einem Schubert-Liederabend in Köln hörte - er stand da und sang wie ein Engel ... wunderbar.
    Hätte mir damals jemand gesagt, dass der einmal Parsifal und Sigmund singt, hätt´ ich ihm den Vogel gezeigt; man kann sich irren ...

  • Als Beispiel unserer Tage fällt mir

    Thomas Mohr ein, der mal als Bariton startete (Papageno, aber auch - zumindest im Studio - Hans Heiling) und dann u.a. über den Siegmund den Fachwechsel zum Tenor vollzog. Inzwischen ist der tatsächlich beim Siegfried gelandet.


    Astrid Varnay dagegen hatte schon eine lange und erfolgreiche Soprankarriere hinter sich gebracht, als sie etwa drei Jahrzehnte nach ihrem Debüt bemerkte, dass sich ihre Stimme verändert hatte und sie einen Fachwechsel vollzog.

    Diese Reise ins Charakterfach habe ja nun viele Sängerinnen hinter sich gebracht. Mir fallen spontan neben der Varnay auch Martha Mödl und Anny Schlemm ein. Auch Kirsten Flagstad sang am Ende ihrer Karriere Mezzo-Partien. Also eine solche Reise über die Jahrzehnte scheint mir eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Die Ausnahme ist, dass eine 60-Jährige noch genau die Partien singt, mit denen sie Jahrzehnte früher begonnen hat (gibt es aber in der Tat auch!).


    der wegen Schwierigkeiten in der Höhe zum Bariton wurde

    Kurioserweise vollziehen Baritone mit Höhenproblemen häufig einen Fachwechsel zum Tenor!!!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ganz so kurios, wie sich das anhört, ist das nicht unbedingt. Das hängt wieder mit dem Einsatz bzw. der Mischung von Brust- und Kopfregister zusammen.


    Junge Sänger, die ihr Kopfregister noch nicht richtig entdeckt haben, halten sich für einen Bariton - und singen, wenn der Gesangslehrer auch nicht merkt, wo die Stimme ihr Zentrum hat, in dem von der Sprechstimme vorgegebenen Brustregister, also in der mittleren Lage.
    Irgendwann bekommen sie Probleme, wenn sie anspruchsvolle Partien singen müssen. Dann fangen sie bei einem anderen (besseren) Lehrer nochmal von vorn an, entdecken das (Tenor-)Potenzial ihrer Kopfresonanz - und fühlen sich viel wohler als zuvor, weil sie mit der richtigen (ihnen gemäßen) Technik singen.


    Nicht selten hört man deshalb von Sängern, die menschliche Stimme sei das schwierigste Instrument. Recht haben sie!


    Man denke an Bergonzi, von dem man sich kaum vorstellen kann, dass er als Bariton angefangen hat.


    Herzliche Grüße von Sixtus

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