Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781):
NATHAN DER WEISE
Ein dramatisches Gedicht in fünf Akten
Uraufführung am 14. April 1783 in Berlin, Döbbelinsches Theater
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Sultan Saladin
Sittah, dessen Schwester
Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem
Recha, dessen angenommene Tochter
Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha
Ein junger Tempelherr
Ein Derwisch
Der Patriarch von Jerusalem
Ein Klosterbruder
Ein Emir
nebst verschiedenen Mamelucken des Saladin
Das Geschehen ereignet sich in Jerusalem zu Zeit des dritten Kreuzzuges.
INHALTSANGABE
ERSTER AKT
Als der jüdische Schuldeneintreiber Nathan von einer Reise nach Babylon ins heimatliche Jerusalem zurückkehrt, erfährt er von seiner christlichen Haushälterin und Gesellschafterin seiner Tochter Recha, dass es in seinem Haus gebrannt hat. Dabei ist Recha nur durch die Hilfe eines Tempelherrn, den Sultan Saladin begnadigt hatte, knapp dem Tode entronnen. Für diese Tat habe der Retter keinen Dank haben wollen und sei verschwunden. Seitdem halte Recha den Mann für einen Engel Gottes. Nathan ist über den Ausgang des Geschehens natürlich hocherfreut und beschließt, den Tempelherren selbst zu suchen, um ihm zu danken. In diesem Moment sieht Nathan einen Mann auf sein Haus zukommen und die Haushälterin Daja erkennt den Derwisch Al-Hafi, der mit Nathan hin und wieder Schach spielt. Nathan bittet seinen Freund ins Haus.
Al-Hafi trägt ein prächtiges Gewand, das ihn als Schatzmeister des Sultans ausweist. Er sagt, dass er heute nicht Schachspielen will, sondern seinen Freund um eine Geldspritze für den Sultan bitten möchte. Nathan lehnt sofort Al-Hafis Bitte ab. Der Derwisch ist enttäuscht, und informiert Nathan, dass er sein Amt aufgeben werde, weil er befürchtet, in seinem Amt das Menschsein zu vergessen. Er will am Ganges mit den Lehrern seines Glaubens leben und sich damit einen Traum erfüllen. Ehe Nathan das Gespräch auf den Tempelherrn bringen kann, ist Al-Hafi verschwunden.
Daja kommt und berichtet, dass Recha den Tempelherrn aus dem Fenster gesehen hat. Nathan will Daja zu ihm schicken um ihn in seinem Namen ins Haus zu bitten, doch sie sagt, dass die Tempelherren niemals das Haus eines Juden betreten. Daraufhin beschließt er, selbst die Einladung aussprechen. Erst aber muss er die Reisekleidung wechseln, darum soll Daja die Straße beobachten.
Dem Tempelherrn, der unter den Palmen spazieren geht, folgt mit Abstand ein Klosterbruder, der stehen bleibt, wenn er innehält, der aber weitergeht, wenn er weitergeht. Der Tempelherr geht auf ihn zu und fragt, was er von ihm will. Der Klosterbruder stottert, dass der Patriarch ihn beauftragt habe, über ihn, den Tempelherren, etwas in Erfahrung zu bringen und dann ihm, dem Patriarchen, zu berichten. Der Tempelherr schweigt zunächst, sagt dann aber, dass der Sultan ihn aus einem ihm unbekannten Grund frei ließ. Das möge er, der Mönch, an den Patriarchen weitergeben und damit wisse der genug.
Der Klosterbruder lässt nicht locker, weiß vom Patriarchen, dass er, der Tempelherr, von Gott für besondere Taten auserwählt sein muss. Und er, der Kosterbruder, soll den Tempelherrn im Auftrag des Patriarchen für verschiedene Aufträge, bis hin zum Sultansmord, der sogar von Gott gewünscht sei, wie der Patriarch behauptet, gewinnen. Doch der Tempelherr will weder Spion noch Mörder sein und lehnt ab. Der Klosterbruder erklärt ihm, dass der Patriarch weiß, warum der Sultan ihn in Freiheit ließ: weil er, der Tempelherr, seinem verstorbenen Bruder ähnelt. Abschließend sagt der Klosterbruder, dass er nur den Befehl des Patriarchen gehorcht hat.
Daja hat das Gespräch beobachtet und tritt auf den übel gelaunten Tempelherrn zu, um ihn im Namen ihres Brotherrn ins Haus einzuladen. Sie stellt Nathans Weisheit heraus und ergänzt, dass sie als Christin auch deshalb bei ihm bleibe und seine Tochter Recha erziehe. Doch ihre Worte nerven den Tempelherrn und er sagt, dass er in Zukunft niemanden mehr aus Flammen retten werde, da man ihn nicht in Ruhe lasse. Er geht ab, Daja aber folgt ihm mit Abstand.
ZWEITER AKT
Sultan Saladin liebt das Schachspiel, ist aber heute beim Spiel mit seiner Schwester Sittah nicht bei der Sache, weil ihn der durch die Tempelritter gebrochene Waffenstillstand nervt. Sein Plan, Sittah mit Richard I. zu verheiraten und seinen Bruder Melek mit der Schwester Richards, ist obsolet geworden. Sittah ist von diesen Heiratsplänen ohnehin nicht begeistert, denn die Christen sind ihr zu hochnäsig, haben sie doch tatsächlich verlangt, dass sie vor der Hochzeit konvertieren muss. Saladin ist oft mit seiner Schwester einer Meinung, aber hier stimmt er ihr nicht zu, denn er geht davon aus, dass der Waffenstillstand gebrochen wurde, weil die Christen die Stadt Acca nicht aufgeben wollen. Damit aber kann Richards Schwester Acca nicht als Brautschatz in die Ehe einbringen, wie es eigentlich vereinbart war. Saladin lässt Al-Hafi zu sich rufen, damit Sittah ihren Spielgewinn bekommt.
Den Sultan beunruhigt noch, dass seinem Vater das Geld für die Soldaten knapp wird und die Feldzüge nicht weitergeführt werden können. In diesem Moment kommt Al-Hafi mit der Nachricht, dass Gelder aus Ägypten erwartet werden. Saladin nimmt das zur Kenntnis, antwortet aber darauf nicht, sondern weist Al-Hafi an, seiner Schwester tausend Dinar auszuzahlen. Al-Hafi hat unterdessen das Schachbrett gesehen und sagt zu Saladin, dass er das Spiel noch nicht verloren hat. Saladin reagiert kühl und wirft das Spiel sogar um. Sittah aber stellt klar, dass sie alle bisherigen Gewinne beiseitegelegt hat, da sie von den leeren Kassen weiß. Al-Hafi ergänzt, dass sie sogar die Aufwendungen des Hofes der letzten Zeit übernommen hat. Saladin ist überrascht und dankbar zugleich. Er sieht jedoch keine weiteren Einsparmöglichkeiten, doch Al-Hafi könnte bei den Reichen der Stadt Geld eintreiben. Sittah kommt mit dem Vorschlag, dass er Schatzmeister bei seinem jüdischen Freund Nathan Geld borgen könnte; das lehnt Al-Hafi in Kenntnis von Nathans Ablehnung jedoch ab. Er macht Nathan sogar absichtlich schlecht, um ihn zu verhindern, dass er finanziell in den Ruin getrieben wird. Er erwähnt einen reichen Mohren, den er aufsuchen wird - und eilt davon.
Sittah versteht die Welt nicht mehr: Hat Al-Hafi nicht immer seinen Freund Nathan gelobt, dessen Weisheit, Güte und Vorurteilslosigkeit in den Himmel gehoben? Sie fragt sich, was der Grund dafür ist und nimmt sich vor, Nathan selbst zu kontaktieren. Nützlich wäre es, dabei seine Schwachpunkte herauszufinden. Zu ihrem Bruder sagt sie, er soll mitgehen und sich zunächst ihre neue Sängerin anhören.
Nathan wartet derweil mit Recha auf Daja, die herausfinden sollte, wo sich der Tempelherr aufhält. Sie kann jedoch nichts Neues berichten - der Mann hat sie erneut abgewiesen. Nathan will es nun selbst in die Hand nehmen. Er schickt Daja mit Recha ins Haus, damit der Tempelherr nicht sofort wieder umdreht, wenn er sie sieht. Als er dann kommt, bringt Nathan sofort Sympathie für ihn auf. Allerdings ist der Tempelherr auch ihm gegenüber reserviert und sagt, dass man ihm nicht Danken muss, da er nur seine Pflicht getan habe. Nathan fragt, ob er etwas für ihn tun kann. Tatsächlich hat der Tempelherr einen Wunsch: er möchte gerne den lädierten Mantel geflickt haben oder sich auch Stoff für einen neuen kaufen, doch müsste ihm Nathan das Geld dafür borgen. Nathans Antwort bringt den Tempelherrn aus dem Gleichgewicht: Er wünscht den Brandfleck des Mantels zu küssen und will, dass auch seine Tochter das tut.
Das folgende Gespräch überzeugt Nathan, in dem Tempelherrn eine Freund gefunden zu haben: der entschuldigt sich nämlich für seine geäußerten Vorurteile und Nathan antwortet, dass er, der Tempelherr, der Beweis dafür sei, dass es überall auf der Welt gute Menschen mit guten Gedanken gebe. Der Tempelherr ist nicht so optimistisch, er sieht Unterschiede: dass Juden beispielsweise an ihrem Anspruch festhalten, den wahren Gott anzubeten, was andere Religionen herabsetzt. Das hat dazu geführt, dass nun Christen und Muslime den gleichen Anspruch erheben und sogar Kriege deswegen führen, was ihn abstößt. Deshalb ist er ein Gegner der Kreuzzüge. Erstaunt sagt Nathan, dass er soeben aus fremdem Mund seine eigene Meinung vernommen habe. Daraufhin drückt der Tempelherr Nathans Hand - und Daja bringt die Nachricht, der Sultan wünsche Nathan zu sprechen.
Dem will Nathan natürlich nachkommen, sagt aber dem Tempelherrn noch, dass der Sultan sie verbindet, denn wenn Saladin ihn nicht freigelassen hätte, dann wäre Recha gestorben. Er will deshalb Saladin aus Dankbarkeit dienen - was auch immer er verlangen wird. Mit dem Abschiedsgruß stellt sich der Tempelherr mit seinem richtigen Namen vor: Curd von Stauffen. Der Name elektrisiert Nathan, hat er doch mal einen Mann mit Namen „Wolf“ und „Filnek“ gekannt, doch fällt ihm Näheres nicht mehr ein - zunächst muss er zum Sultan.
Doch hält ihn jetzt Al-Hafi auf und erklärt, heute nicht im Auftrag des Sultans zu kommen, sondern um sich zu verabschieden. Er wird sich seinen indischen Traum erfüllen. Er erzählt, dass er ihn bei Saladin und Sittah herabgesetzt hat, damit Nathan nicht finanziell ins Trudeln kommt. Um Saladins Sorglosigkeit in Gelddingen zu unterstreichen, berichtet er von dem absichtlich verlorenen Schachspiel mit Sittah, dass er durchaus hätte gewinnen können, aber offensichtlich nicht wollte, was ihn dann tausend Dinar kostete. Für Nathan eine wichtige Information. Bevor Al-Hafi geht, verspricht Nathan seinem Freund, dass er seine Schulden bezahlen werde.
DRITTER AKT
Der Tempelherr hat seinen Besuch im Hause Nathans angekündigt und Recha wartet mit Daja auf ihn. Als er dann kommt, wirft sich Recha zu seinen Füßen nieder und erklärt diese Geste damit, dass er ja keinen anderen Dank annehmen will. Es ist nur ein kurzes Gespräch, das die drei führen, denn der Tempelherr hat erfahren, dass Nathan beim Sultan ist und er ihn dort abholen will. Recha staunt nach seinem Abschied über ihre Ruhe bei seinem Besuch, obwohl sie doch vorher so aufgeregt war. Daja ist sich sicher, dass sie das Gefühl bald wieder erleben wird.
Im Palast warten Saladin und Sittah auf Nathan; sie wollen dem reichen Juden eine Falle stellen. Sittah weist ihren Bruder darauf hin, dass diese Falle nur zuschnappen kann, wenn Nathan sich als geizig und furchtsam erweisen sollte. Saladin schickt seine Schwester mit der Bitte, nicht zu lauschen, aus dem Saal. Den eintretenden Nathan begrüßt er betont freundlich und geht direkt auf dessen Ruf als weiser Mann ein. Er fragt ihn, welcher Glaube ihn am meisten überzeugt, denn er hängt bestimmt nicht zufällig seinem Glauben an, sondern es muss dafür Gründe geben. Und die möchte er kennenlernen, um selbst darüber reflektieren zu können. Er gewährt Nathan noch Bedenkzeit, während er hinausgeht um zu prüfen, ob Sittah gelauscht hat.
Nathan überlegt nach dem Abgang des Sultans, was er wirklich von ihm will. Die Frage nach dem Glauben empfindet er als eine Falle und in die will er nicht tappen. Er entschließt sich, die Antwort nicht direkt, sondern in der Form einer Parabel zu geben. Wenn er nämlich das Judentum als die einzig wahre Religion benennt, beleidigt er Saladin (was er nicht will), wenn er einen anderen Glauben überzeugender findet, müsste er entsprechend konvertieren. Dem zurückkehrenden Sultan eröffnet Nathan seine Gedanken dann mit folgender Parabel:
Ein irgendwo im Osten lebender Mann besaß einen wertvollen Ring, der die Eigenschaft besaß, seinen Träger vor Gott und den Menschen angenehm erscheinen zu lassen, wenn er denn in diesem Glauben getragen wurde. Dieser Ring sollte immer vom Vater an den liebsten Sohn vererbt werden und dieser würde dann das Familienoberhaupt sein. Dann kam der Ring eines Tages an einen Vater, der seine drei Söhne liebte, weshalb er den Ring allen dreien versprach. Da er sein gegebenes Wort einhalten wollte, ließ er vor seinem Tod zwei Duplikate herstellen, die gut gelungen waren, dass er den echten Ring auch nicht mehr erkennen konnte. Er gab also jedem Sohn einen Ring und erteilte auch jedem seinen Segen. Nach seinem Tod kam es demzufolge auch zum Streit unter den Söhnen und trotz aller Bemühungen war der echte Ring nicht herauszufinden.
Hier unterbricht sich Nathan und erläutert Saladin, dass die drei Ringe für die drei Religionen stehen, die man jedoch nicht unterscheiden kann. Saladins Einwand, dass Unterscheidungen sehr wohl möglich sind, beispielsweise in der Kleidung und den Speiseregeln, widerspricht Nathan mit der Begründung, dass alle Religionen auf Überlieferungen basieren, an die auch alle glauben, die damit aufwuchsen. Dann fährt er fort:
Es kam die Sache vor Gericht und jeder behauptete, den echten Ring vom Vater bekommen zu haben. Der Richter meint, die Wunderkraft des Ringes bringe die die Entscheidung und fragt die Söhne, wen zwei der Söhne am meisten lieben. Als die Antwort ausbleibt entscheidet der Richter, dass der echte Ring schon dem Vater verloren gegangen sein muss, sodass er drei Duplikate anfertigen ließ. Der Richter fügt hinzu, dass jeder versuchen soll, die Macht seines Rings hervorzulocken, dann wird sich im Laufe der Zeit zeigen, welcher der echte Ring ist.
Der Sultan ist beeindruckt und bietet Nathan im Überschwang der Gefühle seine Freundschaft an. Nathan fragt ob er eine Bitte vortragen dürfe und erklärt nach Saladins Zustimmung, dass er auf seinen Reisen viel Geld verdient hat, nun aber nicht weiß, wo er es sicher aufbewahren kann. Deshalb hat sich überlegt, ihm das Vermögen anvertrauen. Saladin staunt und Nathan erklärt, dass er zunächst einen Tempelherrn bezahlen muss, den Rest dann aber an Saladin schicken werde. Dem neugierig nachfragenden Sultan erklärt er, dass der Tempelherr seine Tochter aus dem Feuer gerettet habe. Saladin wirft ein, dass ihn diese Tat an seinen verstorbenen Bruder erinnert, der auch so gehandelt hätte. Er bittet Nathan, neugierig geworden, den Tempelherrn in den Palast zu bringen; auch Sittah soll ihn kennlernen.
Die Szene wechselt in die Nähe eines Klosters: Der Tempelherr wartet auf Nathan und ärgert sich, dass er Nathans Haus zu schnell verlassen hat, denn er hat sich in Recha verliebt und nun immer ihr Bild vor Augen. Monologisierend stellt er fest, dass nicht mehr ohne Recha leben kann. Ein anderer Gedanke kommt ihm in den Sinn: sein Orden ist ihm fremd geworden, was auch daran liegt, dass er für tot gehalten wird. Ein anderer Gedanke sagt ihm, dass er ein anderes Verhältnis zu seinem Dasein gewonnen hat und das bedeutet Vorurteile abgelegt zu haben. Jetzt kann er seinen Vater auch besser verstehen - den Gedanken führt er allerdings nicht weiter aus, weil Nathan kommt und ihm klar wird, wie sehr er Rechas Vater schätzt. Mit Nathan im Gespräch legt er sich fest, sein Haus erst wieder zu betreten, wenn er Recha heiraten darf. Nathan reagiert darauf eher kühl, teilt ihm aber Saladins Befehl mit, in den Palast zu kommen.
Bevor sie erneut zum Sultan gehen, will Nathan vom Tempelherrn näheres über seinen Vater wissen, weil er einst einen Conrad von Stauffen kannte. Es stellt sich heraus, dass der Tempelherr dessen unehelicher Sohn ist. Nathan sagt, dass er sich bisher nicht zu Stauffens Heiratsplan geäußert habe, liege am Klärungsbedarf in einigen Dingen. Aber er wird die Klärung nicht auf die lange Bank schieben. Dann geht er ins Haus und Daja tritt hinter einem Baum hervor; sie spricht den Tempelherrn an und benennt ihm zwei Geheimnisse: erstens ist Recha eine getaufte Christin ist und zweitens Nathan nur ihr Ziehvater. Das weiß Recha aber nicht, weil es Nathan ihr auch bisher nicht sagen wollte. Der Tempelherr reagiert erstaunt, bittet Daja dann, zu gehen, denn er muss nachdenken. Daja äußert noch die Bitte, dass er sich nichts anmerken lassen soll und sie doch nach einer Heirat nach Europa mitnehmen soll.
VIERTER AKT
Während der Klosterbruder in Kreuzgängen wandelt und mit den Befehlen des Patriarchen hadert, kommt ihm der Tempelherr entgegen. Sofort sind Befürchtungen in ihm wach, dass es sich der Tempelherr anders überlegt haben könnte und dem Patriarchen doch helfen will. Der zerstreut diese Befürchtung jedoch mit dem Hinweis, dass er den Patriarchen um eine Rat als Christ, nicht aber als kirchliche Amtsperson bitten will. Beruhigt weist der Klosterbruder ihm den Weg zum Patriarchen.
Der kommt ihm schon in prunkvollem Gewand und mit großem Gefolge entgegen, und ist dem Tempelherrn sofort unsympathisch. Er bleibt jedoch höflich und bittet um den Rat in einem pikanten Fall, worauf der Patriarch das Gefolge wegschickt. Dann schildert er den Fall von Nathan und Recha, ohne jedoch ihre Namen zu nennen. Mit Entsetzen im Gesicht stellt der Patriarch die Gegenfrage, ob es sich eine theoretische Frage handelt oder ob es um einen realen Fall geht. Als der Tempelherr erstaunt sagt, dass das doch völlig egal sei, entgegnet der Patriarch, dass es durchaus nicht egal sei, denn bei einer realen Begebenheit müsse man den Juden als Verbrecher dem Flammentod übergeben. Außerdem müsse bedauert werden, dass jenes Kind nicht gestorben, durch den Juden aber ewiger Verdammnis ausgesetzt ist. Der Tempelherr will sich, entsetzt über das Gehörte, zurückziehen, doch der Patriarch dringt in ihn, die Namen der betreffenden Personen zu nennen, aber der Tempelherr schweigt. Dann muss er zum Sultan gehen, sagt der Patriarch, denn der hat vertraglich zugesagt, die Kirche zu schützen. Das trifft sich gut, antwortet der Tempelherr, denn er selbst wurde auch zu Saladin gerufen, und kann ihn, den Patriarchen, gern beim Sultan anmelden. Der Patriarchen stimmt zu, beschließt aber, den Klosterbruder auf den Fall anzusetzen.
Der Sultan hat Nathans Geldschatz bekommen und Saladin hat einen Teil davon an Sittah gezahlt und den Rest in Verwahrung genommen. Sittah hat ein Bild des verstorbenen Bruders gefunden und zeigt es Saladin, der sich schmerzlich an den Verstorbenen erinnert. Aber das Bild will Sittah auch als Vergleichsmöglichkeit mit dem Aussehen des Tempelherrn nutzen. Als der in den Saal geführt wird, setzt sie sich schnell den Gesichtsschleier auf, um nicht erkannt zu werden, wohl aber genau beobachten zu können.
Der Tempelherr betont, dass er sein Leben in den Dienst des Sultans stellen will, was der mit Freuden zur Kenntnis nimmt. Er bittet ihn, bei ihm zu bleiben und lobt ihn für die Rettung Rechas. Weil die Reaktion des Tempelherrn kühl ausfällt, hakt er nach und erfährt, dass sein Gegenüber von Nathan enttäuscht ist, weil er ihm erst seine Tochter angepriesen hat, dann aber auf sein Werben um Recha nicht eingegangen sei. Saladin fragt, ob Nathan von ihm den Übertritt zum Judentum verlangt hätte, was der Tempelherr verneint. Dann platzt er mit der Nachricht heraus, dass Recha in Wirklichkeit eine getaufte Christin ist und Nathan lediglich der Ziehvater - was doch wohl Nathans Scheinheiligkeit beweise.
Saladin betont, dass Nathan den Tempelherrn bestimmt nicht täuschen wollte. Es muss einen anderen Grund für seine als kühl empfundene Reaktion geben. Er empfiehlt ihm, sich alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Als der Sultan dann jedoch hinzufügt, dass er die Rache des Patriarchen befürchtet, wenn der Vorfall bekannt wird, ruft diese Äußerung den Tempelherrn in die Realität zurück. Nur zu gut erinnert er sich an die fürchterlichen Worte des Patriarchen. Die Befürchtung, dass der Sultan ihm nicht mehr gewogen ist, weist Saladin zurück. Außerdem hält er es nicht für ausgemacht, dass die Heirat mit Recha endgültig abgesagt ist.
Nach dem Abgang des Tempelherrn sprechen Sittah und Saladin miteinander. Sie findet es schade, dass er den Tempelherrn nicht nach seinen Eltern gefragt hat. Das muss Saladin leider zugeben, spricht aber die Vermutung aus, dass der Tempelherr wegen der großen Ähnlichkeit ein Sohn seines Bruders Assad sein könnte - zumal der früher auch bei Christenfrauen sehr beliebt war. Sittah hat sich inzwischen entschlossen, Recha zu sich zu nehmen, um sie dem Einfluss Nathans zu entziehen. Saladin hat dagegen keine Einwände, bittet aber, darauf zu achten, dass es nicht so aussieht, als solle sie Nathan gewaltsam genommen werden.
In der Zwischenzeit hat sich Daja die Stoffe, die Nathan von seiner Reise mitgebracht hat, angesehen und einen ausgewählt, der sich für Rechas Brautkleid eignen würde. Sie dringt in Nathan, die Hochzeit Rechas mit dem Tempelherrn zu genehmigen. Der sagt, dass er vorher noch einiges klären muss, grundsätzlich aber zustimmt. Weil gerade der Klosterbruder auf das Haus zukommt schickt er Daja hinaus und ist gespannt, was der Kuttenträger von ihm will. Er wird nicht enttäuscht, denn er hört Interessantes aus früheren Zeiten, z.B., dass der Klosterbruder früher als Einsiedler bei Jerichos lebte. Als seine Klause zerstört wurde, ist er nach Jerusalem zum Patriarchen geflohen. Der versprach ihm, später dorthin zurückkehren zu dürfen, aber bisher ließ der Patriarch ihn nicht gehen. Im Gegenteil, ihm werden ständig neue Aufgaben gegeben, die er gar nicht erfüllen will. Beispielsweise soll er jetzt einen Juden finden, der ein Christenkind aufzieht.
Nathan wird unruhig, wird jedoch durch eine andere Mitteilung überrascht: Der Klosterbruder war Reitknecht eines Wolf von Filnek und der hat ihm vor achtzehn Jahren ein Mädchen, nur wenige Wochen alt, überlassen, weil er in den Krieg ziehen musste und die Mutter, leider, schon verstorben war. Übrigens hat jener Wolf von Filnek sein Kind nie wiedergesehen, denn er starb in der Schlacht bei Askalon. Nathan sagt erstaunt, dass er nicht nur ein Freund dieses Wolf von Filnek war, sondern auch mit ihm gekämpft hat. Weil ihm der Klosterbruder sympathisch ist, geht Nathan aus sich heraus und erzählt seinem Gegenüber, dass er Frau und Kinder durch die Christen verloren hat, die sein Haus angezündet haben, weil sie alle Juden tot sehen wollten. Drei Tage hat er Jehova gezürnt, dann sei er, der Klosterbruder, mit jenem Kind zu ihm gekommen, dass er dankbar annahm und aufzog.
Im Folgenden stellt sich heraus, dass der Klosterbruder von dem im Krieg gefallenen Conrad von Stauffen ein Buch besitzt, in dem in arabischer Schrift alle Verwandten Rechas erwähnt sind. Aufgeregt schickt Nathan ihn den los, um das Buch zu holen; er hofft, dass damit alle offenen Fragen geklärt werden können. Daja tritt ins Zimmer und meldet, dass Sittah Boten geschickt hat, um Recha zu holen. Nathan befürchtet eine Falle des Patriarchen, weshalb er selbst mit den Boten sprechen will. Daja glaubt, dass Saladin an Recha Gefallen gefunden hat und sie seinem Harem einverleiben will. Sie beschließt, Recha über ihren wahren Glauben zu informieren und das kann sie am besten auf dem Weg zum Palast.
FÜNFTER AKT
Saladin ärgert sich über Al-Hafis Unauffindbarkeit. Es tritt ein Mameluck auf, der mit der lang erwarteten Geldkarawane aus Ägypten eingetroffen ist. Saladin steckt ihm dankbar Gold zu, doch der Mameluck nimmt nur einen kleinen Teil und geht. Es kommt ein zweiter Mameluck, der ebenfalls die Karawane ankündigt und Saladin gibt ihm auch Gold. Dieser Mameluck möchte jedoch etwas mehr haben, da er mit dem dritten Mamelucken, der gestürzt ist, teilen will. Saladin freut sich über seine guten Mamelucken. Überraschenderweise tritt noch ein Mameluck auf und kündigt den Führer der Karawane, Emir Mansor, an. Saladin begrüßt den Emir und beauftragt ihn, den größten Teil der Gelder gut bewacht in den Libanon zu seinem Vater zu bringen. Er nimmt die Karawane vor ihrem Aufbruch in Augenschein und begibt sich dann zu Sittah.
In einer neuen Szene sieht man den Tempelherrn vor Nathans Haus in Gedanken versunken auf- und abgehen. Er fragt sich, warum er auf Nathan so erzürnt ist, zumal er ihm Recha nicht verweigert hat. Als er Nathan mit dem Klosterbruder aus dem Haus treten sieht, ist sein erster Gedanke, dass der Patriarch mit der Hilfe des Klosterbruders herausgefunden hat, wer der Jude in dem geschilderten Fall war. Nun fühlt er sich schuldig des Verrats. Er wartet beiseite stehend, bis der Klosterbruder gegangen ist.
Jenes Buch in arabischer Schrift hat der Klosterbruder Nathan gerne überlassen, zumal es Rechas Erbe ist, und er bittet ihn, seine Güte gegenüber dem Mädchen nie zu bereuen. Nathan versichert, dass dies nie der Fall sein wird. Die Frage, ob es wirklich der Tempelherr war, der den Patriarchen auf ihn aufmerksam gemacht hat, bejaht der Klosterbruder. Nathan bedankt sich und sagt, dass er froh ist, dass Buch zu besitzen. Schließlich hat er jetzt nichts mehr zu verbergen und kann sich frei und gelöst fühlen.
Nach dem Weggang des Klosterbruders geht der Tempelherr auf Nathan zu, um mit ihm zum Sultan zu gehen. Auf dem Weg erkundigt er sich bei Nathan, ob der Klosterbruder etwas über ihn gesagt hat und Nathan erwidert, dass er von ihm, dem Tempelherrn, vor dem Patriarchen angeklagt wurde. Erschrocken weist der Tempelherr darauf hin, dass er zwar dort war, die Namen aber nicht preisgegeben habe. Heute muss er eingestehen, dass er falsch gehandelt hat und bittet Nathan um Vergebung. Sein Wunsch, Recha zu heiraten, besteht aber weiter, denn dadurch wird sie vor dem Kloster bewahrt, in das sie der Patriarch bestimmt stecken würde. Und es ist ihm will egal, welcher Religion sie angehört, wichtig ist allein, dass er sie heiraten kann.
Nathan enthüllt dem Tempelherrn, dass Recha einen Bruder hat, bei dem er nun um ihre Hand anhalten muss. Der Tempelherr reagiert erschrocken und denkt daran, dass jener Bruder einen anderen Ehemann aussuchen wird. Er möchte deshalb mit ihr sprechen und sie auffordern, die zu Familie zu vergessen und ihn zu heiraten. Nathan bereitet dem Tempelherrn einen zweiten Schock mit der Nachricht, dass Recha bei Sittah ist, dass er aber jenen Bruder auf jeden Fall in Kürze kennlernen wird.
Sittah und Recha unterhalten sich, wobei die Prinzessin sich bemüht, Rechas Vertrauen zu gewinnen. Die Unterhaltung gipfelt in Sittahs Angebot, als Schwester Rechas betrachtet zu werden. Als Recha zu weinen beginnt, sich der Prinzessin zu Füßen wirft und klagt, dass sie ihren Vater Nathan verlieren soll, versichert ihr Sittah, dass das nicht geschehen werde. Als sich Recha beruhigt hat, berichtet sie Sittah, dass sie von Daja auf dem Weg in den Palast erfahren hat, eine getaufte Christin zu sein und Nathan nur der Ziehvater ist. Das war ein Schock für sie, doch schlimmer war, dass Daja, ihr Mutterersatz, der sie viel zu verdanken hat, verlangte, den einzigen Weg des Heils als Christin zu gehen.
Als Saladin hinzukommt, will sie sein Versprechen, dass sie Nathan als Vater nicht verlieren wird. Saladin versichert ihr genau das, bietet ihr sogar an, die Vaterrolle zu übernehmen, falls sich andere um sie streiten sollten. Saladin wird ernst und meint, dass Väter sterben können, und es deshalb wichtig sei, sich einen Mann auszusuchen. Recha stellt es so dar, als kenne sie noch keinen Mann, doch Saladin merkt die Lüge und sagt, er habe einen Mann herbestellt. In diesem Moment kündigt ein Diener Nathan und den Tempelherrn an.
Tatsächlich kommen die beiden dazu und Saladin heißt sie herzlich willkommen. Er wendet sich zuerst an Nathan mit der Bemerkung, dass aus Ägypten eine Karawane mit Geld eingetroffen ist, Nathan also sein Vermögen zurückhaben kann. Anscheinend sind das für Nathan im Moment jedoch Peanuts, denn er geht sofort auf Recha zu, nennt sie während einer innigen Umarmung ‚meine Tochter‘ und sie ihn ‚mein Vater‘. Der Sultan stört die beiden und führt Recha zum Tempelherrn und bittet sie, der Wahrheit die Ehre zu geben und ihm ihre Liebe zu gestehen - von Sittah unterstützt. Doch Nathan verhindert ein Liebesgeständnis, weil Rechas Bruder noch ein Wörtchen mitzureden hat. Er erklärt, dass des Tempelherrn Name nicht Curd von Stauffen ist, sondern Leu von Filnek. Als kleines Kind wurde er von seinem Onkel Konrad von Stauffen wie ein Sohn aufgezogen. Sein Vater war allerdings ein Mann, der sich Wolf von Filnek nannte und mit einer Deutschen aus dem Geschlecht der Stauffen verheiratet war - folglich ist er Rechas Bruder, denn die ist mit dem richtigen Namen Blanda von Filnek zur Welt gekommen. Der Tempelherr fällt aus allen Wolken, doch überwiegt dann schnell die Freude über die wiedergefundene Schwester, und nimmt sie innig in die Arme.
Nathan möchte auch des Tempelherrn Vater, was der annimmt und sich mit einem herzlichen Händedruck bei Nathan bedankt. Danach umarmen sich die drei. Saladin und Sittah haben dem Geschehen erstaunt und gerührt zugesehen, doch Saladin nimmt Nathan dann beiseite (während Sittah sich zu den Geschwistern stellt) und fragt ihn, wie er alles herausgefunden hat. Nathan zeigt dem Sultan nun das Büchlein des Klosterbruders, der sofort die Handschrift seines verstorbenen Bruders Assad erkennt und anhand der Aufzeichnungen feststellt, dass Wolf von Filnek der Alias-Name Assads war und Leu und Blanda seine Kinder sind*. Damit erklärt sich auch die Ähnlichkeit zum Tempelherrn, aber es betrübt Saladin schon, dass er und auch Sittah ihren Neffe und ihre Nichte nicht sofort erkannt heben. Es kommt zu einer allgemeinen Umarmung und der Vorhang fällt.
*Assad ist nicht gestorben, sondern zum Christentum konvertiert und nennt sich nun Wolf von Filnek. Außerdem verliebt er sich in die Schwester von Conrad von Stauffen und heiratet sie. Sie leben in Deutschland und bekommen einen Sohn namens Leu. Allerdings fühlen sie sich in Deutschland nicht wohl und ziehen zurück nach Palästina. Den kleinen Leu lassen sie beim Bruder der Mutter zurück, damit dieser ihn erzieht. In Palästina bekommen sie ein zweites Kind, eine Tochter namens Blanda. Die Mutter stirbt bei der Geburt des Mädchens und Blanda wird wenig später vom Reitknecht des Vaters zu Wolfs Freund und Waffenbruder Nathan gebracht, da Wolf/Assad in den Krieg ziehen muss. Er stirbt kurz darauf in einer Schlacht bei Askalon.
Die folgende gekürzte Aufnahme, entstanden 1956 in Berlin, wurde gehört:
Sultan Saladin: Franz Schafheitlin
Sittah, dessen Schwester: Verena Wiet
Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem: Ernst Deutsch
Recha, dessen angenommene Tochter Luitgard Im
Daja, Christin: Käthe Haack
Ein junger Tempelherr: Siegmar Schneider
Ein Derwisch: Manfred Inger
Der Patriarch von Jerusalem: Ernst Sattler
Ein Klosterbruder: Hans Hessling
Regie: Karl-Heinz Stroux
© Manfred Rückert für den Tamino-Schauspielführer 2021