Nichts für die Operngala: große Opernszenen

  • 1. Auf dieses Thema bin ich gekommen, als ich auf Tristans Anfrage zur Jenufa geantwortet habe, denn Jenufa ist ein Paradebeispiel für große Opernszenen.

    Dies hier ist ein "weiches Thema", weil manchmal die Trennlinie zwischen Arie und Szene nicht klar ist. Für mich gilt das etwa in Bezug auf die große Szene/Arie (?) des Orfeo (Monteverdi) "Possente spirto".

    Diese Einleitung hier enthält nur die Namen der Opern und die Titel der Szenen. Beispiele sollen später folgen, wobei sich hier jeder beteiligen kann. Es ist wünschenswert, dass Beispiele mehrfach genannt werden, dann natürlich in einer anderen Aufnahme. Mir ist bewusst, dass in meiner Aufzählung bestimmte Komponisten kaum bis gar nicht vertreten sind. Dies sind vor allem die italienischen Opern, nicht nur Verdi und Puccini. Wagner ist absolutes Glatteis für mich, aber hier haben wir ja eine geballte Kompetenz.

    2. Die Abgrenzung zu Arie.

    Hier kann man sich so behelfen: Arien, vor allem berühmte, werden in der laufenden Vorstellung beklatscht. Arien sind von 3 Tenören singbar, Szenen eher nicht.Bei durchkomponierten Opern gibt es für Arien eigene Konzertschlüsse. Liebesduette würde ich immer unter Arien verbuchen, nicht unter Szenen. Beispiele für Arien muss ich hier sicher nicht nennen.

    3. Chöre

    Hier bin ich unsicher. Als Beispiel nehme ich mal die Johannespassion, weil sie (wie die Matthäuspassion) klar strukturiert ist. Choräle: Beitrag der Gemeinde, die früher auch mitsang. Evangelist: Bibeltext als Grundlage der Handlung. Arien: die gläubige Seele (freie, gedichtete Texte). Chöre: einmal Chöre auf gedichtete Texte - etwa "Ruhet wohl, ihr heiligen Gebeine" - oder Teil der Handlung (Turbae-Chöre - "Lasset uns den nicht zerteilen".

    4. Beispiele: es gibt hier kein Ranking und auch keine YouTube-Verweise. Diese Verweise können nachgeliefert werden - auch von euch.

    -Jenufa, Akt II: Dialoge der Küsterin mit Stewa, Laca und Jenufa nachdem die Küsterin das Kind ermordet hat.

    -Mathis der Maler: die große Szene von der Versuchung des Heiligen Antonius

    - Don Giovanni: die Komturszene

    -Palestrina: die Szene im 1. Akt, Palestrina und die alten Meister

    -Jenufa, 1. Akt: das Sextett

    -Suor Angelica: die Schlussszene.Hier könnte man auch Salomé, die Sache Makropulos, Osud nennen

    -Totenhaus: die Szene des Schischkoff

    -Don Carlo: Philipp II und der Großinquisitor

    -Figaros Hochzeit: Aktschluss II; die Sache mit dem Gärtner. Humorvolles ist relativ selten! Zu nennen wäre noch aus dem 2. Akt von Palestrina die burleske Szene mit dem Bischof von Budoja und dem Patriarchen Abdisu.

    Es gibt auch umstrittene Szenen, etwa der Aktschluss des Giovanni nach dessen Höllenfahrt

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Lieber Dr. Pingel, nicht so einfach ist diese Aufgabe - eben wegen ihrer Abgrenzung. Als Szene werden und wurden ja unterschiedliche Dinge in der Operngeschichte bezeichnet. Gemeint ist wahrscheinlich, das entnehme ich deiner Einleitung, eher ein zusammenhängender und zusammengehörender durchkomponierter Abschnitt, weniger ein ganzes "Bild"...

    Damit kommen freilich fast nur (annäherend) durchkomponierte Opern in Frage, die Opera seria ist quasi raus. Wenngleich es auch hier Beispiele für größere Szenen gibt, z.B. die Todesszene des Bajazet in Händels "Tamerlano". Dann gibt es die vor allem im Belcanto und noch bei Verdi (aber z.B. auch bei Tschaikovsky) zu findende "Scena e Aria", also die nach bestimmten Regeln zusammengestellte Abfolge von Rezitativ und verschiedenen Arientypen. Solche zu nennen ist trotz deutlich erkennbarer Arien sicherlich auch im Sinne des Threads?

    Und schließlich verschmelzen die Abgrenzung freilich mit Fortgang der Operngeschichte zunehmend. Da stellt sich dann auch die Frage, wie lang eine Szene sein kann. Denkt man z.B. an den "Tristan", scheint sie halbe bis fast ganze Akte dauern zu können.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Beginne ich also mit DER Oper für mich: R. Wagner - "Tristan und Isolde", 2. Akt, "O sink hernieder" ff.


    Ein großer Teil des 2. Aktes des Tristan besteht aus diesem unglaublichen Liebesduett des Titelpaares. Die langsame Steigerung beginnt schon lange vor "O sink hernieder Nacht der Liebe" (aber irgendeine Abgrenzung braucht es hier ja). Zu zärtlicher und zunächst sanfter Musik entwickelt sich dieser leidenschaftliche Wunsch der Liebenden. Langsam aber kontinuierlich steigert sich der Zwiegesang zu Worten wie "Bricht mein Blick sich wonnerblindet, erbleicht die Welt mit ihrem Blenden". Doch der eigentliche Höhepunkt ist noch nicht erreicht und der Gesang verlischt nach einer Art zweiter 'Strophe' zu ruhiger Begleitung zunächst wieder.

    Was nun folgt ist großartigste Musik, einer der tollsten Momente der Operngeschichte - Gänsehaut für mich: 'Brangänes Nachtruf'. Wie aus der Ferne erhebt sich sanft, aber bestimmt die warnende Stimme Brangänes, die sich wachend mit den Liebenden verbündet hat: "Einsam wachend in der Nacht wem der Traum der Liebe lacht, habt der Einen Ruf in Acht". Zum leise verklingenden Liebesmotiv und einigen Harfen-Arpeggien erhebt sich dieser erhabene Gesang wie aus der Ferne. Zu interessanter Harmonik gesellt sich die Solovioline als begleitende Umspielung der Gesangslinie. Es entsteht eine einmalige, beseelte Stimmung, die im fließenden Übergang wieder vom Liebesmotiv abgelöst wird.

    Brangänes Warnung hat nur ein kurzes Innehalten der Liebenden bezweckt, die 'ewige Melodie' geht erbarmungslos weiter. Bedeutungsvoll sagt Tristan: "Lass mich sterben – nie erwachen". Brangänes Warnung ist Widerschein der harten Realität (also dem anbrechenden Tag), in der das Liebespaar nicht vereint sein kann. Dies lässt die Erkenntnis wachsen, nur im Tod vereint sein zu können. Erlösung durch Tod wird eins mit Erlösung durch Liebe, was freilich der zu Grunde liegenden Idee Schopenhauers nicht mehr entspricht. "So stürben wir um ungetrennt, ewig einig ohne End, ohn' Erwachen, ohn' Erbangen, namenlos in Lieb umfangen". Aus dieser fatalistischen und schicksalhaften Einsicht erwächst ein letztes Mal in dieser Nacht das irdische Liebesduett. Erneut ertönt Brangänes "Habet Acht". Doch in den wenigen zurückliegenden Momenten ist die Warnung bedeutungslos geworden. Auch Isolde kommt nun zu der Einsicht: "Lass mich sterben". Das Morgen, der Tag, spielt keine Rolle mehr für die ewige Liebe der beiden Todgeweihten. In diesem wahrhaft rauschartigen Moment zählt nur das Hier und Jetzt, die Nacht, die momentane Vereinigung und die Gewissheit über die künftige Vereinigung im Tod. So kann mit "O ewge Nacht" der Höhepunkt des größten Wagnerschen Liebesduetts folgen. Die bekannten Motive, die im zurückliegenden Akt fast unaushaltbar gesteigert und entwickelt wurden, kommen nun zu einem eruptiven, mitreißenden Ausbruch. Kurzzeitig jubelt es: "Ohne Trennen, ohne Nennen, neu Erkennen, neu Entbrennen, ewig endlos, ein-bewusst, höchste Liebeslust". Genau in diesem Moment bricht die Musik auf dem Höhepunkt mit einem Schrei Brangänes ab und das Liebespaar wird in flagranti entdeckt. Gradezu ein musikalischer Koitus interruputs: Ein Abbruch auf dem Höhepunkt der die Spannung nicht aufzulösen vermag.


    Im Grunde geht die Szene natürlich direkt weiter. Man könnte ebenso sagen, dass sich gleich die nächste großartige Szene im Sinne des Threads anschließt.


    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • R. Wagner - "Tristan und Isolde", 2. Akt, "Tatest du's wirklich?" ff.


    Der Monolog des gehörnten König Marke ist ein erschütterndes Psychogramm des Betrogenen. Tief traurig entwickelt sich die herzzerreißende Klage des Königs. Ausgerechnet sein treuer Tristan hat ihn betrogen. Bemerkenswert ist, dass sich der Betrogene nicht wütend oder rachsüchtig zeigt, sondern schlicht tieftraurig. Die Welt, die ob dieser Treulosigkeit zusammenbricht, wird hörbar. Schlagartig wechseln die Sympathien, die bisher dem Liebespaar galten, zum betrogenen König. Die Musik gibt sich hier eher dramatisch-deklamatorisch, während die Motive im Hintergrund bleiben. Die Bassstimme Markes wird durch den Einsatz der Bassklarinette in der Begleitung hervorgehoben. Auch textlich gehört diese Klage zu den schönsten und ergreifendsten Stellen der Oper. Die leise Klage ist hier von größerem Eindruck, als ein wütender Ausbruch je sein könnte.

    "Wohin nun Tristan scheidet, willst du Isold ihm folgen?" Diese rhetorische Frage stellt Tristan kurz nach dem Monolog Markes. Klar ist, dass beide nicht im Land Markes bleiben können. Metaphorisch meint Tristan mit dem "Wohin" den Tod, der zur einzigen möglichen Erlösung wird. Zu einem völlig neuem Motiv das seltsam zwischen Dur und Moll changiert und sich mit dem Liebesmotiv verbindet, präzisiert Tristan: "Dem Land das Tristan meint, der Sonne Licht nicht scheint. Es ist das dunkel nächt'ge Land". Verklärt und fast geheimnisvoll wirkt dieser neue Gesang. Offenbar umweht ihn zu abwechselnd düsterer Horn- und lichter Streicherbegleitung bereits die Todesgewissheit. Isolde nimmt die Melodie nun als Antwort auf, führt sie kurzfristig nach Dur und verklärt sie dann noch weiter.

    Nun ist auch der bezwingende Aktschluss nicht mehr fern: "Dem König, den ich verriet". Zur tödlichen Verwundung bricht die Musik peitschend in sich zusammen um diesen großartigen Akt mit einem wütenden Tuttiakkord zu beenden.


    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • A. Dvorak - "Rusalka", 2. Akt, "Kvetiny bile po ceste"


    Nun eine kürzere Szene. Dvoraks Rusalka liebe ich sehr, der zweite Akt gefällt mir musikalisch am besten. Wir erleben die missglückte Hochzeitsfeier des Prinzen mit Rusalka. Der Chor singt das eingängige Hochzeitslied, das schöne Motiv bleibt für die Szene bestimmend. Denn der Wassermann taucht auf, beobachet die Szene und nimmt Rusalka wieder zu sich. Währenddessen, stimmt er ebenfalls in dieses Motiv, vom Chor begleitet, ein.


    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Für mich ein unendliches Thema. Große Opernszenen, die sich für Wunschkonzerte nicht eignen, aber in der Wirkung fast alle anderen Szenen der Oper deutlich übertreffen können gibt es viele.

    Eine davon ist für mich der Epilog der Oper "Mefistofele" von Arrigo Boito. Der arme Teufel hat vergebliche Versuche unternommen, seine Wette um die Seele des Dr. Faust zu gewinnen. Im Epilog zieht Faust eine Art Bilanz, wobei die reale Liebe zur Margaritha schmerzlich endet, die ideale Liebe zu Helena nur ein Traum blieb und auch die Walpurgisnacht ihn nicht positiv beeinflußt haben. Seine Bilanz läßt ihn meinen, im irdischen Leben keine Erfüllung finden zu können. Ich meine, er beginnt sogar an einen Gott zu glauben. Das ist gar nicht nach Mephistos Geschmack. Während die himmlischen Heerscharen Faust zu sich holen, verzweifelt der Teufel, dem nichts anderes übrig bleibt, als darauf zu pfeifen. Musikalisch grandios, mit einer wunderbaren Faust-Arie, dem um den Gewinn seiner Wette bemühten Mephisto und dem gewaltigen Chor der himmlischen Krieger endet die Oper einer ungeheuren Apotheose und kraftvoll, daß man mitunter glaubt, das Finale einer Mahler-Sinfonie zu erleben.

    Ich genieße oft, sehr oft eine DVD aus San Francisco mit dem unvergleichlichen Samuel Ramey als Teufel und O´Neill als nicht minder guten Faust. Live habe ich die Oper noch nie gesehen, vor Jahren in Erfurt habe ich es verpaßt.


    http://www.youtube.com/watch?v…5eUUhw0eHbI&start_radio=1


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich habe es als weiches Thema bezeichnet, sodass hier von euch Autoren eine gewisse Breite erlaubt, ja geboten ist. Eine Szene ist das, was man für eine Szene hält. LaRoches pragmatische Antwort (für Wunschkonzerte nicht geeignet) trifft es gut. Die bisher benannten Beispiele von euch sind für mich wichtig, weil ich bei Wagner nicht kompetent bin. Aber so wie jetzt läuft das Thema gut. Es ist ja auch schwerer, als die berühmten Arien zu nennen. Damit fängt man ja meistens an, ich z.B. als Jugendlicher. Nach und nach schätzt man dann die Szenen, gerade weil sie so komplex sind.

    Gerade der heute gern geschmähte Lortzing hat ja in der Billard-Szene (Wildschütz) eine sehr große Szene geschaffen, für mich eines seiner Meisterwerke. Auch die Schulmeisterszene aus Zar und Zimmermann ist eine überzeugende Szene.

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    Einmal editiert, zuletzt von Dr. Pingel ()

  • Dein Erdenpensum ist noch nicht getan - die Erscheinung der alten Meister in Pfitzners Palestrina

    (Kubelik-Aufnahme)





    Palestrina verzweifelt nach dem drohenden Abgang Kardinal Borromeos. Es erscheinen die alten Meister, z.T. benannt (etwa "ich kenne dich, Josquin, du Herrlicher"; Heinrich Isaac -" tedesc' Enrico nannt ich dich so gern"). Da erscheinen die alten Meister. Als Tenor hört man die hohe Stimme John van Kesterens, in den tiefen Stimmen die besten Baritone und Bässe, die man damals aufbieten konnte, Prey, Ridderbusch, Weikl, Nienstedt, Meven). Zum Mitsingen!

    In der Neuinszenierung (München, Hamburg; Stöckl, Simone Young) hat der Regisseur die Alten Meister als grelle Karikaturen gezeichnet, die Palestrina "auf die Pelle rücken". Abominable!

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

    Einmal editiert, zuletzt von Dr. Pingel ()

  • La Roche hat natürlich recht: Es gibt hier unzählige Möglichkeiten, weil die Operngeschichte zum Glück voller großartiger Szenen ist. Eine weitere Lieblingsoper von mir, könnte man fast als komplette und einzige Szene bezeichnen. Nehmen wir hier die Schlussszene: R. Strauss - Salome, 4. Szene, "Ich verlange von dir den Kopf des Jochanaan".

    Eine Szene abzutrennen ist dennoch kaum möglich. In den unmittelbaren Kontext gehört hier auch schon der Tanz der sieben Schleier Salomes für Herodes zur Bedingung der Erfüllung was es auch sein möge. Nach einiger Verhandlung eben der Kopf des Jochanaan. Wie die gesamte kurze Oper ist die Szene unheimlich dicht, spannungsvoll, faszinierend bösartig und mitreißend. Verkommenheit, Entsetzen, Erotik und Dekadenz werden hörbar. Auch die Schlussszene gehört ganz der Salome, Herodes leistet schwachen Widerstand, die anderen schauen zu, gleichzeitig voyeuristisch angezogen und entsetzt. Salome setzt ihren Willen und ihre Rache durch, der Kopf des Täufers wird abgeschlagen und sie vergeht sich an ihm. Die Szene und die Oper enden mit dem berühmten Dissonanz-Akkord und dem entsetzten Ausruf: "Man töte dieses Weib" zu vier peitschenden Akkorden.



    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Hallo, Tristan 5211,


    Salomes Schlußszene gehört auch zu meinen Lieblingshappen. Nicht wegen des abgehackten Kopfes oder sonstwas, aber kaum in einer Arie liegen auf engstem Raum abstrakte und unglaubliche, fast furchtbare Text- und Musikpassagen neben melodiösen und lieblichen Liebesgeständnissen an den toten Kopf, die in Blitzeschnelle wechseln können. Schönes und Häßliches liegen unmittelbar nebeneinander, vom Anfang bis Ende, von Narraboths Schwärmerei bis zu seinem Selbstmord, vom Auftritt des Jochanaan bis zu seinem alles andere als angenehmen Tod, aber auch in den Dialogen des Herrscherpaares könnte kein Ton, keine Textpassage geändert werden. Selbst im keifenden Religionsdialog liegt etwas Besonderes, wenn man genau hinhört, vernimmt man sogar aktuelle Bezüge.

    Textbeispiele (aus dem Kopf geschrieben) "warum hast du mich nicht angesehn" oder "Du hättest mich geliebt" - und das fast zynische Gegenstück "ich lebe noch, aber du bist toooot!". Alles übertönt der musikalische Höhepunkt, für mich ein Triumphgesang "Ich habe Deinen Mund geküßt, Jochanaan, ich habe ihn geküüüüßt, daeinen Mund" in einem herrlichen schwelgerischen Bogen. Ich habe Salome fast 10x live gesehen, aber am meisten fesselt mich die DVD mit Teresa Stratas, der auch optisch (und darstellerisch) der Wandel von der den Propheten anhimmelnden Kindfrau zum tanzenden Vamp bis zum bitteren Ende, die ihren Sieg ausgekostet hat, dafür aber mit dem Leben bezahlen muß. Was für eine tolle Oper.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Ich genieße oft, sehr oft eine DVD aus San Francisco mit dem unvergleichlichen Samuel Ramey als Teufel und O´Neill als nicht minder guten Faust. Live habe ich die Oper noch nie gesehen, vor Jahren in Erfurt habe ich es verpaßt.

    hach - welch' guter Vorsatz für's laufende Jahr :) besagte DVD schlummert bei mir seit etlichen J. ungesehen herum...


    ((habe mir einfach eine zu üppige Sammlung angeschafft - und hoffe, übermorgen beim Flohmarkt (im Foyer eines Arthaus-Kinos: ergo erwarte ich vergleichsweise 'gehobenes' Publikum) so einiges loszuwerden!!))

    R. Wagner - "Tristan und Isolde", 2. Akt, "Tatest du's wirklich?" ff.

    hach zum Zweiten; ich hatte gerade mal den Titel dieses threads gelesen - und sofort an eben diese Szene gedacht:!:mit dem zweiten Tristanakt fremdle ich doch erheblich (erinnere ich richtig, ging das schon Thomas Mann nicht anders ;)), aber ab Markes Auftritt bin ich dabei....


    bei aller Verehrung für Georg Zeppenfeld (20 J. wird nicht reichen, dass ich ihn noch in Münster in Janaceks 'Totenhaus' erlebt habe!!) finde ich Josef Greindl in der Furtwängler-Aufnahme doch überzeugender . . .


    :hello:

    Egoismus in der Wolfshaut, Egoismus im Schaafpelz. Unvernünftige Klugheit, unkluge Vernunft. Energie ohne Grundsäze, Grundsäze ohne Energie. Strenge ohne Menschlichkeit, Menschlichkeit ohne Strenge. Heuchlerische Gefälligkeit, schaamlose Unverschämtheit, altkluge Jungen, läppische Männer. Man könnte die Litanei fortsezen von Sonnenaufgang bis Mitternacht und hätte kaum ein Tausendtheil des menschlichen Chaos genannt! (Hölderlin, Brief an J. G. Ebel, 10.01.1797)

  • Sehr berühmt ist natürlich diese Szene: G. Puccini - Tosca, 3. Akt, Schlussszene. Hier kommt alles zusammen, was große Oper ausmacht: Spannung, Emotion, mitreißende Musik, großer Gesang. Der Plot ist wahrhaft fantastisch: Doppelter Betrug, große Szenerie und tragisches Ende mit Cavaradossis Tod, den Tosca erst erfassen muss. Zur Steigerung des Ganzen noch der finale Sprung von der Engelsburg. Für genau solche Szenen gibt es den Begriff von "ganz großer Oper" (was noch über "ganz großes Tennis anzusiedeln ist ;))!


    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Sehr schön gerade das Beispiel mit ihrem damaligen Mann. In der Tosca ist für mich allerdings das Finale des 1. Aktes an Fulminanz (etwa ab "3 Häscher in einem Wagen") mit dem TeDeum als donnerndem Abschluß das Größte. Das Publikum bleibt in der Regel erst einmal mit offenem Munde sitzen, wenn es nicht in die grellen Schlußakkorde bereits mit Bravorufen mitwirkt.

    La Roche

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    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Zwei nicht allzu exotische Nennungen von mir:


    - Die Komtur-Szene im Don Giovanni


    - Wotans Abschied mit dem Feuerzauber aus dem letzten Aufzug der Walküre


    Für mich die beiden größten Opernszenen...


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Eine Szene ist mit Sicherheit eine interessantere Einheit als eine, buchstäblich aus dem Kontext gerissene, Arie. Ich merke, wie anders ich die Stücke auf einer CD mit „der und die singen dies und das“ höre - die ganze Aufmerksamkeit wird ausschließlich der Gesangstechnik und dem Klang der Stimme und Orchester gewidmet. Eine Szene hingegen beinhaltet Dramaturgie - einen unverzichtbaren Bestandteil der Oper.


    Hier ist eine meiner Leblingsszenen - die Begegnung vom Schwachsinnigen mit Boris Godunov. (Ist sehr aktuell in meinem Leben, weil Ich seit Weihnachten eine stolze Besitzerin der DVD bin)


    Boris Godunov Film 1954


    Ivan Koslovskis Darstellung des Schwachsinnigers ist legendär. Dem Singer wurde so oft vorgeworfen, zu kleines Repertoire gehabt zu haben und Stalins Liebling gewesen zu sein (was sein Erfolg erklären sollte). Ich finde, diese Rolle allein reicht Koslovski, um einen festen Platz in der Operngeschichte zu etablieren.
    Alexander Pirogov als Boris und Nikandr Chanaev, der Schuiski grotesk, fast wie einen bösen Märchen-Zauberer spielt, sind auch sehr beeindruckend.


    So ein Gespräch ist übrigens keine literarische Erfindung und wir kennen tatsächlich Beispiele von den Gesprächen zwischen Ivan dem schrecklichen und einem damals neben dem Kleml auf der Straße lebenden Schwachsinnigen. Seine Aussagen wurden in der Tat befürchtet und sogar befolgt.


  • G. F. Händel - Tamerlano, 3. Akt, Tod des Bajazet ("Empio per farti guerra" bis "Oh per me lieto")

    Die eingangs erwähnte "Szene" mitten in einer Barockoper. Mit diesem Beispiel findet auch eine Opera seria einen verdienten Platz in diesem Thread. Denn der Suizid des Bajazet bricht die Regeln der Opera seria in gewisser Weise auf. Tamerlano möchte Bajazet enthaupten lassen und seine Tochter mit dem niedrigsten Sklaven verheiraten, zur Strafe . Asteria versucht daraufhin Tamerlano zu vergiften, was Irene erkennt und verhindert. Asteria wird noch härter bestraft und Bajazet nimmt sich in Ausweglosigkeit das Leben. Und eben dies geschieht nicht nur - wie in der Barockoper vielleicht zu erwarten wäre - mit einer entweder wütenden oder tieftraurigen Abschiedsarie und dem toten Zusammensinken auf der Bühne, sondern in einer Art großer Szene: Bajazet hält einen großen Monolog als Rezitativ, der die Ausdrucksform des üblichen Rezitatives mindestens erweitert, wenn nicht sprengt. Er droht und verwünscht und klagt und wechselt rasend schnell in den Emotionen. Zur Szene gehört ebenfalls sein Abgang und prompte Wiederkehr, nun euphorisch ob des begangenen Suizids. Es folgt der Todeskampf samt Verwünschung auf offener Bühne. Als Asteria ihrem Vater folgen will hält Tamerlano sie davon ab, Bajazets Tod genügt ihm


    Hier ein Ausschnitt aus dem zweiten Teil der Szene:

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Eine Szene ist mit Sicherheit eine interessantere Einheit als eine, buchstäblich aus dem Kontext gerissene, Arie. Ich merke, wie anders ich die Stücke auf einer CD mit „der und die singen dies und das“ höre - die ganze Aufmerksamkeit wird ausschließlich der Gesangstechnik und dem Klang der Stimme und Orchester gewidmet. Eine Szene hingegen beinhaltet Dramaturgie - einen unverzichtbaren Bestandteil der Oper.


    Hier ist eine meiner Leblingsszenen - die Begegnung vom Schwachsinnigen mit Boris Godunov. (Ist sehr aktuell in meinem Leben, weil Ich seit Weihnachten eine stolze Besitzerin der DVD bin)

    Eine grandiose Szene, vor allem mit einer einprägsamen Melodie (Melodie ist in Szenen ja nicht verboten). Als weitere Beispiele fallen mir die beiden Szenen mit Pimen auf. Daran wagen sich nur erstklassige Bässe.

    Ich sehe mit großer Freude, wie sich das Thema entwickelt, vor allem, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass nicht Arien die Essenz großer Opern sind, sondern Szenen.

    Hier oben, im ersten Satz des Zitats, bezeichnet Provence sehr schlüssig, was mir bei der Erstellung des Themas vorschwebte.

    Was jetzt nicht heißt, dass Arien keine großen Kunstwerke sein können. Arien sind meist die Eingangspforte zu Opern überhaupt; bei mir waren sogar Operetten dabei (mit 14 konnte ich singen "Ach, ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst"; da war ich vom Küssen sowas von weit entfernt!).

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Ich nenne das Finale der Karmeliterinnen ("Salve Regina") von Francis Poulenc.


    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Ich nenne das Finale der Karmeliterinnen ("Salve Regina") von Francis Poulenc.

    Oh ja, eine unglaublich dichte und wahrhaft erschütternde Szene, wie sie alle nacheinander ermordet werden!

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Eine schöne kleine Szene findet sich in der Mitte dieser Oper: J. Massenet - Manon, 3. Akt, "Je marche sur tous les chemin"

    Szene begreife ich hier mal wieder eher als Sinneinheit, in der sich verschiedene Formen verbinden. Zunächst natürlich Manons gleichnamige Arie, in der sie glänzen kann. Und zwar glänzt hier vor allem die Person (die jeweilige Sängerin natürlich auch): Schön und von allen bewundert, selbstbewusst und auf der Höhe ihrer Jugend. Die Arie geht fließend in eine Gavotte über, in der sie gemeinsam mit dem Chor ihrer Bewunderer einen Lobegesang auf die Liebe und die Jugend anstimmt. Ein szenischer und musikalischer Höhepunkt dieser schönen Oper.


    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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  • Noch nicht genannt wurde die komplette Festwiese bei den "Meistersingern von Nürnberg" (für Nichtwagnerianer: die zweite Hälfte des abschließenden dritten Aktes). In älteren Inszenierungen war diese Szene vor den Toren der frühneuzeitlichen Reichsstadt Nürnberg für Regisseure die dankbare Möglichkeit besonderer Prachtentfaltung, der Aufzug der Zünfte und als Krönung schließlich derjenige der Meistersinger, Szenenapplaus inkludiert. Tempi passati.


    meistersingersetting.jpg

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Noch nicht genannt wurde die komplette Festwiese bei den "Meistersingern von Nürnberg"

    Das Festwiesenfinale hatte ich auch noch auf der imaginären Liste, lieber Joseph. Besonders der Einzug der Zünfte ist eine Szene die immer wieder großen paß macht, in ihrer bunten und volkstümlichen Art!

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Das Festwiesenfinale hatte ich auch noch auf der imaginären Liste, lieber Joseph. Besonders der Einzug der Zünfte ist eine Szene die immer wieder großen paß macht, in ihrer bunten und volkstümlichen Art!


    Diese fraglos tolle Szene (ich meine das gesamte Festwiesen-Finale) wird nur leider durch das nationalistische Getöse im Schlussgesang des Hans Sachs etwas eingetrübt. Peter Konwitschny hat hierfür eine interessante Lösung gefunden...


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Das Meistersingerfinale mit seiner großartigen Huldigung der einzigartigen Ausbildung und Leistungsfähigkeit deutscher Handwerksmeister hat nichts, aber auch gar nichts mit Nationalismus zu tun. Das haben erst die Nazis daraus gemacht, nicht Wagner.

    Wir sollten stolz sein darauf, daß nur fachliche Qualifikation Qualität schafft und uns auf allen Ebenen wieder mehr darauf besinnen. Es gab Zeiten nach 1945, da war "Made in Germany" noch ein weltweit geachtetes Markenzeichen.


    Das Meistersingerfinale gehört auch zu meinen Favoriten, was diesen Thread betrifft, besonders die oben genannte Aufführung aus der Met.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Eine schöne kleine Szene findet sich in der Mitte dieser Oper: J. Massenet - Manon, 3. Akt, "Je marche sur tous les chemin"

    Szene begreife ich hier mal wieder eher als Sinneinheit, in der sich verschiedene Formen verbinden. Zunächst natürlich Manons gleichnamige Arie, in der sie glänzen kann. Und zwar glänzt hier vor allem die Person (die jeweilige Sängerin natürlich auch): Schön und von allen bewundert, selbstbewusst und auf der Höhe ihrer Jugend. Die Arie geht fließend in eine Gavotte über, in der sie gemeinsam mit dem Chor ihrer Bewunderer einen Lobegesang auf die Liebe und die Jugend anstimmt. Ein szenischer und musikalischer Höhepunkt dieser schönen Oper.


    Diese Produktion der MET sah ich vor 10 Jahren mit Anna Netrebko und Piotr Beczala in den Hauptrollen besetzt. Es war ein in jeder Hinsicht bereichernder Opernabend.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Diese fraglos tolle Szene (ich meine das gesamte Festwiesen-Finale) wird nur leider durch das nationalistische Getöse im Schlussgesang des Hans Sachs etwas eingetrübt. Peter Konwitschny hat hierfür eine interessante Lösung gefunden...


    LG :hello:

    Naja, ich persönlich kann ein bisschen "Welschen Tand" und "deutsche Meister Ehr" gut hören, ohne gleich in Hass und puren Nationalismus auszubrechen. Wie die meisten Opernbesucher bin ich in der Lage das historisch einzuordnen. Ich brauche dafür keine Konwitschny-Lösung, die zwar fraglos interessant ist, aber das ist ja noch kein Qualitätsmerkmal an sich. Letztlich ist Konwitschny zu feige die Spannung auszuhalten (die originalen Sätze des Librettos erzeugen doch auch ohne Eingriff in den Text ein Echo im Zuhörer) und in den Text einzugreifen geht für mich in puncto Werktreue gar nicht.

    (Aber dieser schöne Thread soll nicht zu einem RT-Thread werden).

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Aus gegebenem Anlass möchte ich nennen: L. Janacek - Jenufa, 3. Akt, Geständnis der Küsterin & Finale

    Das lange Ende dieser Oper hat mich sehr mitgerissen. Zunächst gesteht die Küsterin den Kindermord, nachdem schon Jenufa selber beschuldigt wird. In einer großen Szene sind alle - eigentlich für die Hochzeit - versammelt. Das Geständnis ist musikalisch und textlich erschütternd. Die ganze Tragik der beiden Frauenfiguren wird deutlich und hörbar. Nach Geständnis und Versöhnung folgt noch ein zweites und letztes Finale (es wirkte auf mich ein bisschen angehängt): Laca und Jenufa finden bzw. bleiben auch angesichts der Ereignisse zusammen und finden ihr Glück, was die Oper zu ungewohnt harmonisch klaren Dur-Akkorden ausklingen lässt.


    Hier der finale Schluss mit Laca und Jenufa:

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Naja, ich persönlich kann ein bisschen "Welschen Tand" und "deutsche Meister Ehr" gut hören, ohne gleich in Hass und puren Nationalismus auszubrechen. Wie die meisten Opernbesucher bin ich in der Lage das historisch einzuordnen. Ich brauche dafür keine Konwitschny-Lösung, die zwar fraglos interessant ist, aber das ist ja noch kein Qualitätsmerkmal an sich. Letztlich ist Konwitschny zu feige die Spannung auszuhalten (die originalen Sätze des Librettos erzeugen doch auch ohne Eingriff in den Text ein Echo im Zuhörer) und in den Text einzugreifen geht für mich in puncto Werktreue gar nicht.

    (Aber dieser schöne Thread soll nicht zu einem RT-Thread werden).


    Das Problem liegt für mich vor allem darin, dass dieser nationalchauvinistische Ausbruch des Hans Sachs weder zu Wagners vorheriger Zeichnung der Figur noch in den Ablauf der Szene passt. In gewisser Hinsicht war Konwitschnys Lösung somit konsequent, weil er diesen Bruch quasi explizit gemacht hat. Ich finde das letztlich plausibler, als über die Stelle einfach hinwegzusingen.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • 1. Bitte: Welche Lösung hat Konwitschny denn gefunden? Ich kenne mich da nicht aus.

    2. Das Finale der Jenufa finde ich nicht angehängt. Jenufa und Laca haben ihre Lektion gelernt und sind bereit, zufrieden und treu miteinander zu leben. Typisch für Janacek ist hier, dass das Orchester (wie fast immer) seine eigene Sprache hat. Hier mit den weiten Bögen könnte man es als eine Apotheose des einfachen Glücks verstehen.

    Wenn es ein angehängtes Finale gibt, dann ist es das Finale von Don Giovanni.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Bringen wir mal Verdi ins Spiel: G. Verdi - MacBeth, 4. Akt, Nachtwandelszene

    MacBeth ist wirklich eine hervorragende Oper, musikalisch wie inhaltlich extrem stimmig und für mich bis Rigoletto mit Abstand die beste Verdi-Oper. Die Schlafwandelszene dieser Oper ist äußerst dicht und packend. Die Lady nachtwandelt durchs Schloss, dem Wahnsinn nahe, und wird von ihren Taten eingeholt. Sie redet wirr und gesteht ihre Taten. Dabei bricht sie unter dem Druck zusammen und stirbt schließlich. Die Szene enthält verschiedene Formen: Instrumentale Einleitung mit den schon zuvor bekannten, unheimlichen Motiven, dann ein Rezitativ-Gespräch zwischen Arzt und Kammerzofe, die sich über den Zustand der Lady austauschen. Immer wieder taucht das zögernde und unheimliche Motiv auf, dass die Albträume und den Wahnsinn darstellt. Dann folgt die lange Abschlussarie der Lady - die eigentlich Nachwandelszene, die mit verschiedenen Wahnsinssszenen der Operngeschichte verwandt ist. Immer wieder unterbrechen die entsetzten Kommentare der beiden Zuhörer (Arzt und Zofe) die Arie, was sie eher zur durchgehend handelnden (wenn auch nicht im eigentlichen Sinne durchkomponierten) Szene macht. Auch der deklamatorische Stil und der inhaltlich freie Monolog haben wenig mit einer klassischen Arie zu tun. Vorzutragen ist der Gesang "sotto voce", also gedämpft. Ein beeindruckendes Tongemälde ihres seelischen Verfalls. Im Laufe der Arie steigert sich die Dramatik, bis die Lady ihren Bühnentod sterben darf - dahingerafft vom eigenen Gewissen.


    Hier ein Filmausschnitt unter Chailly:

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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