Paul Dessau (1894-1979):
DIE VERURTEILUNG DES LUKULLUS
Oper
in 12 Szenen - Libretto von Bertolt Brecht
Uraufführung der 1. Fassung als „Das Verhör des Lukullus“ am 17. März 1951 in Berlin, Deutsche Staatsoper;
Erstaufführung der 2. Fassung am 12. Oktober.1951 ebenda.
Personen
der Handlung:
Lukullus,
römischer
Feldherr (Tenor)
Friesgestalten:
Der König (Bass)
Die Königin (Sopran)
Zwei Kinder (stumm)
Zwei Legionäre (Bässe)
Lasus, Koch des Lukullus (Tenor)
Der Kirschbaumträger (Tenor)
Totenschöffen:
Das Fischweib (Alt)
Die Kurtisane (Mezzosopran)
Der Lehrer (Tenor)
Der Bäcker (Tenor)
Der Bauer (Tenor)
Tertullia, eine alte Frau (Alt)
Frauenstimmen (Soprane im Orchester)
Stimmen der drei Ausruferinnen (Soprane)
Der Totenrichter (Bass)
Eine kommentierende Frauenstimme (Sopran im Orchester)
Fünf Offiziere (drei Tenöre, zwei Bässe)
Sprecher des Totengerichts
Drei Ausrufer
Zwei junge Mädchen
Zwei Kaufleute
Zwei Frauen
Zwei Plebejer
Ein Kutscher
Chor, Statisten: Menge, Volk, Sklaven, Schatten
Kinderchor.
Ort und Zeit: Rom und das Schattenreich im Altertum (etwa 56 v. Chr.).
Szene
1: Der Trauerzug.
Der römische Feldherr Lukullus ist
gestorben und die wichtigsten Männer Roms geben seinem Katafalk das
letzte und ehrende Totengeleit. Ein riesiger Fries, der sein Grabmal
schmücken soll, und auf dem seine ruhmreichen Taten dargestellt
sind, wird von Offizieren seines Regiments hinter dem Katafalk
hergetragen. Nur das Volk, das neugierig an der Wegstrecke steht und
den Trauerzug beobachtend begleitet, steht dem Ruhm des Feldherrn
ablehnend gegenüber, denn es hatte nicht nur unter seiner Herrschaft
zu leiden, sondern auch unter seinen Kriegen. Man darf sich also
nicht wundern, dass es den Lobeshymnen auf Lukullus keinen Glauben
schenkt, sondern im Chor ausruft
Wann wird man uns mit dem
Gewäsch von Ruhm verschonen?
Zweite
und dritte Szene: Das Begräbnis.
An der berühmten
Via Appia wird der Katafalk in einem Staatsakt in dem vorbereiteten
Grab beigesetzt. Fünf Offiziere verabschieden sich mit
militärischen Ehrenbezeigungen von ihrem ehemaligen Befehlshaber und
wenden sich dann zynisch ihren Vergnügungen zu.
Vierte
Szene: In den Lesebüchern.
Was
in vielen Ländern üblich ist, wird auch in Rom praktiziert: Die
Schulkinder müssen die Daten der Kriegszüge und Schlachten
des römischen Eroberers auswendig lernen und wie mit dem Bogenpfeil
geschossen aufsagen können.
Fünfte
Szene: Der Empfang.
Im Vorraum zum Schattenreich muss
Lukullus warten und regt sich darüber auf, dass er nicht sofort
vorgelassen wird; die ihm auf der Erde gewährte Vorzugsbehandlung
gilt hier nicht. Die alte Tertullia, die vor ihm an der Reihe ist,
versucht ihn zu beruhigen und klärt ihn auf, dass vor den Richtern
des Schattenreiches alle „Kandidaten“ gleich seien, denn
auf den Nutzen eines Menschen geben sie das meiste.
Sechste
Szene: Wahl des Fürsprechers.
Nach
Tertullias Verhandlung, die schnell vonstatten geht, wird Lukullus
aufgerufen und soll vor den Totenrichtern – einem Richter
mit fünf Schöffen (einem früheren Fischweib, einer Kurtisane,
einem Lehrer, einem Becker und einem Bauern) – Rechenschaft
ablegen, ob er den Menschen „genützt oder geschadet habe“. Der
ehemalige Feldherr wird aufgefordert, einen Fürsprecher zu benennen,
und er wählt ohne lange zu überlegen, Alexander den Großen –
offensichtlich sein großes Vorbild. Doch den kennt man hier nicht!
Lukullus ist entsetzt, dass man hier den großen König und Eroberer
nicht kennt und wählt den Fried, der seinen Triumphzug abbildet.
Siebte
Szene: Herbeischaffen des Frieses.
Die Totenrichter
bestehen zu Lukullus’ Erstaunen darauf, dass man die Schatten der
auf dem Fries abgebildeten Menschen zum Erscheinen aufruft. Darunter
sind natürlich auch Opfer seiner Machenschaften. Sein Einspruch
gegen die Anordnung des Gerichts ist aber vergeblich.
Achte Szene: Das Verhör.
Der Fries wird von Sklaven herbeigeschafft und das Gericht ruft die Abgebildeten zur Aussage auf: ein König und seine Königin, zwei Legionäre, zwei Kinder, ein Koch und ein Kirschbaumträger sind als Zeugen aufgerufen, Lukullus’ Handlungen zu beschreiben. Das Gericht erfährt, dass der König samt seinem Reich unterworfen wurde, und seine Königin die von der Soldateska des Lukullus vergewaltigt wurde. Eine Kurtisane belastet Lukullus ebenfalls schwer, außerdem sagen zwei Kinder stellvertretend für Tausende von getöteten Kindern in den 53 von Lukullus zerstörten Städten ungünstig gegen ihn aus. Lukullus hält sich aber für schuldlos und behauptet, dass der König auch nicht gerade ein Ausbund an Gerechtigkeit gewesen sei. Lukullus verteidigt sich mit dem Hinweis, er habe schließlich auf Befehl Roms gehandelt. Das weist der Lehrer-Schöffe jedoch zurück mit dem Hinweis, dass nicht das Volk von Rom, sondern dass die Reichen hinter dem Befehl steckten. Zu Gunsten von Lukullus wird vermerkt, dass er Gold nach Rom gebracht und damit den Staatshaushalt stabilisiert habe. Plötzlich bemerkt der Richter, dass der Feldherr müde wirkt und ordnet eine Pause an.
Neunte
Szene: Rom.
In der Verhandlungspause belauscht
Lukullus das Gespräch von zwei hinzugekommenen Schatten, die das
harte Los der römischen Bevölkerung schildern. Der Feldherr sehnt
sich zurück nach Rom.
Zehnte
Szene: Das Verhör wird fortgesetzt.
Das Fischweib,
eine der Schöffen, hat nie etwas von dem Gold bemerkt und will
wissen, was mit dem Gold geschehen sei. Lukullus wirft ein, dass er
nicht „für Roms Fischweiber“ in den Krieg gezogen sei – aber
mit „unseren Söhnen“ antwortet das Fischweib und teilt mit, dass
man auch ihren Sohn eingezogen habe, der dann in einem der blutigen
Kriege als Legionär getötet wurde. Zwei Legionäre werden
aufgerufen und befragt, aber Lukullus lehnt es ab, mit diesen Zeugen
zu sprechen, denn die „verstehen nichts vom Krieg“. Der
Totenrichter ist von der Argumentation des Fischweibs angetan und
wirft ein, dass gerade sie sehr wohl den Krieg beurteilen könne,
denn sie habe ihren Sohn durch den Krieg verloren.
Elfte
Szene: Weiter im Verhör.
Die
Triumphe und Taten des Lukullus, meint das Gericht, können nicht für
ihn sprechen, vielleicht aber seine Schwächen, die möglicherweise
menschliche Züge auffinden ließen. Folglich lässt Lukullus seinen
Koch rufen und der spricht für seinen Herrn. Als ein
Liebhaber köstlicher Speisen bot Lukullus seinem Koch alle
Möglichkeiten, sich zu einem Meister seiner Kunst zu entwickeln. Der
Bauer, einer der Schöffen, lobt die Einführung des Kirschbaums aus
Asien als die bedeutendste Tat des Feldherrn. Leider aber ist das
auch ein Negativum, denn es wurden 80.000 Legionäre für die
„Eroberung“ des Kirschbaums geopfert.
Zwölfte Szene: Das Urteil.
Diese 80.000 Gefallenen treten auf und mit ihnen spricht das Gericht schließlich das Urteil: „80 000 Menschen für einen Kirschbaum! Ins Nichts mit ihm und mit allen wie er“...
Anmerkungen:
1939 schrieb Brecht in seinem schwedischen (nach anderer Lesart in Dänemark) Exil das 1940 von Radio Beromünster (Bern) gesendete Hörspiel „Das Verhör des Lukullus“. Da Dessau einer Vertonung zunächst ablehnte, bot Brecht den Text Igor Strawinsky an, der allerdings auch absagte; später komponierte Roger Sessions das Radiostück „The Trial of Lucullus“ (1947).
Unter dem Eindruck der Nürnberger Prozesse wurde der ursprüngliche Schluss, der Gut und Böse gegeneinander abwog und kein Urteil fällte („Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück“), in der Oper dahingehend abgeändert, dass die Richter verkündeten: „Ah ja, ins Nichts mit ihm, und ins Nichts mit allen wie er!“ Als Zwischenstation auf dem Weg von dem anfänglichen Radiostück zur endgültigen Opernfassung fungierte die Probeaufführung (als „Das Verhör des Lukullus“) im März 1951. Bereits der endgültige Titel der Neubearbeitung, „Die Verurteilung des Lukullus“, zeigt die veränderte Akzentuierung an; die Premiere fand im Oktober 1951 unter Hermann Scherchen statt. In der Inszenierung von Wolf Völker und den Bühnenbildern von Caspar Neher sang Alfred Hülgert die Titelrolle. Als verbindlich hat sich eine Fassung (5. Fassung) mit vereinfachten Dialogen anlässlich der Leipziger Aufführung von 1957 erwiesen. Auch nach dieser Version nahm Dessau für eine Neuaufführung (Regie: Ruth Berghaus) an der Deutschen Staatsoper Berlin 1960 weitere Veränderungen vor, desgleichen für eine dortige Neueinstudierung anlässlich seines 70. Geburtstages 1965, die Berghaus-Inszenierung stand bis 2000 auf dem Spielplan der Berliner Staatsoper. Eine bemerkenswerte Inszenierung realisierte Dietrich Hilsdorf 1994 in Dessau.
(Quelle der Anmerkungen: Rolf Fath)