Alle sprechen über dasselbe Musikwerk

  • Noch kurz ein Gedanke zum Cantus firmus. Dieses Lamentione "Incipit lamentatio Jeremiae Prophetae" gehörte in der Gregorianik traditionell in die Karwoche, was der Gattung nach zwar passend, inhaltlich aber nur indirekt logisch erscheint. Es wird eine Verbindung von den Klageliedern Jeremias zum Kreuzestod Jesu gezogen obwohl Jeremia weniger traditionell im Lichte messianischer Verheißung gelesen wird, als z.B. Jesaja. Diese Lamentiones sind eine eigene Gattung der Prophetie, die uns heute von Jeremia am bekanntesten ist, die jedoch in hebräischen, aramäischen und weiteren Quellen tausendfach auch von heute unbekannten Verfassern vorliegen. In der Regel geht es in diesen Texten eher um Bedrohung und Untergang Israels, weniger um den kommenden Messias und natürlich noch weniger um individuelle Trauer am Grab (wenngleich sie interessanterweise im typischen Versmaß einer jüdischen Totenklage verfasst sind). Dass Mozart diese alte und völlig ander konutierte Melodie hier in einer Trauermusik der Freimaurer verwendet

    Das wurde häufig kritisch betrachtet; im von mir w.o. verlinkten Essay zum Bezug zu M. Haydns Schrattenbach-Requiem heißt es u.a.


    Das Choralthema stammt aus verschiedenen Verwendungskontexten. Lange wurde vermutet, dass als Grundlage lediglich die traditionelle gregorianische Choralmelodie der Lamentationen des Jeremias diente, die in der katholischen Karwochenliturgie gesungen werden. Dieser Aspekt mag zunächst befremden, doch bemerkte der Musikwissenschaftler Philippe A. Autexier, dass die Thematik der Lamentationen, nämlich die Zerstörung des Jerusalemer Tempels (der Cantus firmus erscheint auch im jüdischen Tempelgesang), im freimaurerischen Kontext symbolisch nur die Zerstörung des „leiblichen Tempels“ eines Freimaurers und dessen Erhebung in den Meistergrad ausdrücken könne.

    Nach dieser Deutung bestünde also ein direkter Bezug zwischen freimaurerischem Ritual und der Komposition.

    Aber auch:


    Zitat

    Einen alternativen Erklärungsansatz liefert Helmut Hell. Durch seine Analyse auf Basis gregorianischer Stilistik gelingt es ihm, per Ausschlussverfahren den Psalmtext herauszufiltern, der seiner Meinung nach ausschließlich auf das gregorianische Choralthema verwendet werden konnte. Es handelt sich um den ersten Vers des bekannten Psalm 133, dessen Text lautet: „Ecce quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum.“ Luther übersetzt dies mit: „Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ Dieser Psalm betont das für die Freimaurerei bedeutende Ideal der Brüderlichkeit. Noch heute hat dieser Psalm für die Freimaurer eine besondere Bedeutung. Ein enger Zusammenhang zwischen der Trauermusik und dem freimaurerischem Denken ist auch bei dieser Deutungsvariante gegeben.


    Die Entscheidung, welche dieser Auffassungen nun die überzeugendste ist, sei jedem selbst überlassen. Sie weisen jedoch alle darauf hin, dass das Werk in seiner musikalischen Anlage freimaurerisch-rituelle und religiöse Züge aufweist. Mozart schuf auf diese Weise eine der Trauermusik inhärente Verbindung zur freimaurerischen Praxis und Weltanschauung und machte sein Werk deshalb auch ohne Text zu einer genuin freimaurerischen Musik.

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

  • Das ist durchaus spannend. Beide herausgearbeiteten möglichen Bezüge sind allerdings eher vage. Zerstörung des Tempels in den Lamentationes (über den Umweg der christlichen Gregorianik) als Äquivalent zum leiblichen Tempel wäre nicht so abwegig. Denn die Terminologie des Tempels spielt bei den Freimaurern ja eine wichtige Rolle ("Tempel der Humanität", "Tempelarbeit" etc.).

    Dass nur Psalm 133 in der Vulgata-Übersetzung silbentechnisch auf die Melodie passt, scheint mir sehr unwahrscheinlich - ohne dass ich den Ehrgeiz hätte, das jetzt zu überprüfen. Und auch der Bezug von den "einträchtigen Brüdern" zu den Freimaurerlogen wäre eher dezent, wenngleich möglich. Mir persönlich scheint der Link über die verschiedenen Tempel stimmiger.


    Jedenfalls ist der Bezug eher gering und im Vordergrund stand vielleicht einfach auch der Charakter dieser Melodie. Dass Mozart, Teilzeit-Freimaurer und wenig eifriger Katholik kein Problem mit synkretistischer Vermischung hatte, liegt auf der Hand.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Bestünde ja noch die Möglichkeit der von mir nicht zitierten mittleren Passage betreffend M. Haydns Requiem, bei dessen Uraufführung Mozart selbst mitwirkte (da gibt es auch einige Parallelen zu Mozarts Requiem, z.B. das erste „et lux perpetua“):



    Auch der harmonische Wechsel ist praktisch identisch.

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

  • Bestünde ja noch die Möglichkeit der von mir nicht zitierten mittleren Passage betreffend M. Haydns Requiem

    Da würde ich sogar von ausgehen, dass Mozart sich daran orientiert hat. Seine Kenntnis dieser Musik samt Mitwirkung und die harmonische Ähnlichkeit sprechen absolut dafür.

    Aber damit ist M. Haydn nur ein weiterer Zwischenschritt, denn Mozart wird diesen Cantus firmus nicht gedankenlos, sondern mit Absicht übernommen haben. Die genauen Beweggründe dafür bleiben unbekannt - aber da würde ich die gregorianische Herkunft und Verortung im Tempel-Bedeutungsfeld nicht so schnell verwerfen.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Ich wollte gerade noch ergänzen, daß Mozart den cf M. Haydns eventuell ohne den Kontext zu hinterfragen implementiert hat, aber Deine Argumente überzeugen mich doch mehr.

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

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  • Obwohl ich nicht gerade der große Mozart-Liebhaber bin, kannte ich dieses Stück schon und habe auch Gefallen daran gefunden. Es ist mir in der Aufnahme von Eugen Jochum mit den Bamberger Symphonikern schon im Zuge meines kürzlichen Durchhörens der sehr empfehlenswerten 18-CD-Box "Bamberg Symphony - The first 70 years" begegnet. Im Vergleich dazu habe ich die mit Noten versehene Haselböck-Aufnahme gehört, die knapp eine Minute schneller ist. Letztere ist deutlich leichtgewichtiger und konzentriert sich mehr auf die tröstenderen, versöhnlicheren Passagen bzw. Dur-Aufhellungen, die mir schon beim Hören der Jochum-Aufnahme bei meiner Erstbegegnung überrascht auffielen.


    Wie auch einigen anderen Stimmen hier gefällt mir besonders dieses Nebeneinander von Düsternis und Trost.

    Die ersten Takte bestätigen direkt den Eindruck, den man vom Titel erhält. Trotz des düsteren Beginns werden hier auch schon direkt lichtere Momente gestreut, auch in der forte-Passage fallen die Dur-Takte (etwa T. 19) besonders auf.

    Der Holzbläserchoral trägt dann in seiner notentechnischen Schlichtheit gut einen feierlichen Charakter bei. Auch mir sind die gegensätzlichen, wellenartigen Streicherbewegungen positiv in den Blick geraten. Dass dann anschließend wieder Passagen des Beginns aufgegriffen werden, verschafft dem kurzen Stück eine tolle "Rundheit" und Geschlossenheit. Der Dur-Schlussakkord besiegelt dann erneut das Tröstliche der Musik, was ich mit jedem Hören trotz der durchgehenden Verwendung einzelner Dur-Takte überraschend finde.

    Spannend finde ich auch die Kürze des Stückes. In nur etwas über 4 bzw. 5 Minuten Dauer schafft Mozart es mMn prima, verschiedene Facetten von Trauer angemessen gewichtet abzubilden, eine erstaunliche Stimmigkeit und Geschlossenheit zu gestalten und trotzdem dafür zu sorgen, dass in der kurzen Zeit "alles erzählt" ist. Kurz, kompakt und knackig quasi. Gefällt mir gut!


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Wie versprochen möchte ich heute ein neues Musikstück für die Diskussion nominieren.


    Es handelt sich um das Klavierkonzert (1985-1988) von György Ligeti (1923-2006).


    Mit dem Entstehungsdatum ca. Mitte bis Ende der 1980er Jahre gehört das Klavierkonzert zu Ligetis Spätwerk. Andere bedeutende Werke aus dieser Schaffensperiode sind (unter anderem) das Horntrio, die Klavieretüden, das Violinkonzert sowie das Hamburgische Konzert.


    Ein Signum dieser späteren Schaffensphase sind komplexe rhythmische Strukturen, die man auch im Klavierkonzert hört. Ligeti selbst nannte als Inspiration für sein Spätwerk die komplexen Kompositionen für mechanisches Klavier des mexikanischen Eigenbrötlers Conlon Nancarrow, die afrikanische Musik der Subsahara-Region sowie die fraktale Geometrie.


    Zurück zum Klavierkonzert: Dieses besteht aus fünf Sätzen. Einige Einblicke liefert ein englischsprachiger Wikipedia-Eintrag:


    https://en.wikipedia.org/wiki/Piano_Concerto_(Ligeti)


    Sehr viel ausführlicher wird das Stück in Constantin Floros' Ligeti-Buch erörtert: Constantin Floros: György Ligeti – Jenseits von Avantgarde und Postmoderne. (= Komponisten unserer Zeit, Band 26.) Lafite, Wien 1996.


    Nun sollte man bei diesen Literatur-Optionen nicht versäumen, sich das Stück auch anzuhören. Dies kann man z. B. mit diesem Video inklusive Partitur machen:



    Dem Video liegt eine Aufnahme mit Pierre-Laurent Aimard am Klavier sowie Pierre Boulez am Pult zugrunde. Als Orchester spielt das Ensemble Intercontemporain. Beim Forumspartner findet man diese Aufnahme als Teil dieser Sammlung:



    Warum habe ich dieses Stück ausgewählt? Erstens bin ich Ligeti-Verehrer. Zweitens fasziniert mich Ligetis spätere Phase ganz besonders.


    Drittens könnte ich mir vorstellen, dass das Stück interessanten Diskussionsstoff liefert, weil mir Floros' Buchtitel ("Jenseits von Avantgarde und Postmoderne") hier besonders treffend scheint. Für die Avantgarde Darmstädter-Donaueschinger Prägung dürfte das Stück mit seinem deutlichen Bezug auf eine traditionelle Gattung (das gute alte Konzert für Klavier und Orchester) zu konventionell-konservativ sein. Für einen Vertreter der Postmoderne wiederum ist es viel zu avanciert und komplex.


    Viertens: Das Stück macht einfach Spaß! Wer glaubt, dass Neue Musik immer nur herausfordernd sein muss, kann hier eines Besseren belehrt werden.


    In diesem Sinne: Uns allen viel Freude mit Ligetis Klavierkonzert!


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Danke Symbol für das erste Werk in diesem Spiel, dass ich noch gar nicht kenne und das meine Hörgewohnheiten mit Sicherheit herausfordern wird! :S

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Warum habe ich dieses Stück ausgewählt? Erstens bin ich Ligeti-Verehrer. Zweitens fasziniert mich Ligetis spätere Phase ganz besonders.


    Drittens könnte ich mir vorstellen, dass das Stück interessanten Diskussionsstoff liefert, weil mir Floros' Buchtitel ("Jenseits von Avantgarde und Postmoderne") hier besonders treffend scheint. Für die Avantgarde Darmstädter-Donaueschinger Prägung dürfte das Stück mit seinem deutlichen Bezug auf eine traditionelle Gattung (das gute alte Konzert für Klavier und Orchester) zu konventionell-konservativ sein. Für einen Vertreter der Postmoderne wiederum ist es viel zu avanciert und komplex.


    Viertens: Das Stück macht einfach Spaß! Wer glaubt, dass Neue Musik immer nur herausfordernd sein muss, kann hier eines Besseren belehrt werden.

    Mich stört weder die konventionelle Anlage noch die avandgardistische Ausführung, im Gegenteil finde ich den Kontrast gerade reizvoll. Was ich dann allerdings doch etwas schade finde, ist die allzu deutliche Zweitverwendung bekannter Elemente vor allem aus den Etüden und dem Horntrio: Der erste Satz basiert auf derselben Idee der zunehmenden rhyhtmischen Asynchronität wie die erste Etüde "Desordre" (die ihrerseits auf den dritten Satz des Horntrios Bezug nimmt), und verwendet auch weitgehend dasselbe Material. Der zweite Satz mit den absteigenden Lamento-Figuren ähnelt bis in viele Details dem Schlussatz des Horntrios, der dritte übernimmt Technik (mehrere scheinbar verschiedene Tempi übereinander) und thematische Elemente aus der Etüde "Herbst in Warschau". Alle drei Sätze klingen beinahe wie orchestrierte Erweiterungen der jeweiligen Vorlagen. Dabei fehlt ihnen deren Konzentration, und es ist die Frage, ob der unterhaltsame Gewinn an Farbigkeit und Abwechslungsreichtum das wirklich wett macht. Am stärksten finde ich den vierten Satz, der mit der Idee der kompositorischen "Selbstähnlichkeit" virtuos, spielerisch und auch witzig umgeht. Das Finale macht Spaß, enthält aber, wenn man Ligeti kennt, auch wieder viele aus früheren Stücken bekannte Ideen und Elemente. Insgesamt hatte ich schon beim ersten Kennenlernen des Konzerts (ca. Anfang der 90er Jahre) den Eindruck einer etwas nachlassenden Inspiration und des Rückgriffs auf Bewährtes. Übrigens auch bei den Etüden: Auch da finde die beiden ersten Bände deutlich stärker als den dritten, der mir zu "selbstähnlich" ist ;).

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Mich stört weder die konventionelle Anlage noch die avandgardistische Ausführung, im Gegenteil finde ich den Kontrast gerade reizvoll.


    Das geht mir ähnlich. :)


    Was ich dann allerdings doch etwas schade finde, ist die allzu deutliche Zweitverwendung bekannter Elemente vor allem aus den Etüden und dem Horntrio: Der erste Satz basiert auf derselben Idee der zunehmenden rhyhtmischen Asynchronität wie die erste Etüde "Desordre" (die ihrerseits auf den dritten Satz des Horntrios Bezug nimmt), und verwendet auch weitgehend dasselbe Material. Der zweite Satz mit den absteigenden Lamento-Figuren ähnelt bis in viele Details dem Schlussatz des Horntrios, der dritte übernimmt Technik (mehrere scheinbar verschiedene Tempi übereinander) und thematische Elemente aus der Etüde "Herbst in Warschau". Alle drei Sätze klingen beinahe wie orchestrierte Erweiterungen der jeweiligen Vorlagen. Dabei fehlt ihnen deren Konzentration, und es ist die Frage, ob der unterhaltsame Gewinn an Farbigkeit und Abwechslungsreichtum das wirklich wett macht. Am stärksten finde ich den vierten Satz, der mit der Idee der kompositorischen "Selbstähnlichkeit" virtuos, spielerisch und auch witzig umgeht. Das Finale macht Spaß, enthält aber, wenn man Ligeti kennt, auch wieder viele aus früheren Stücken bekannte Ideen und Elemente.


    Bei Gustav Mahler stört man sich ja auch nicht an der Verwendung der Wunderhorn-Lieder in den Sinfonien... :untertauch: Spaß beiseite: Sicherlich kann man selbst ohne einen Blick in die Details hören, dass Horntrio, Etüden und Klavierkonzert sozusagen Schlucke aus derselben Flasche sind. Bei den Etüden und dem Klavierkonzert kommt hinzu, dass ihre Entstehung sich zeitlich ziemlich überschnitten haben. Der zeitliche Ablauf ist mir hierbei nicht vollständig klar (ich bin gerade nicht zuhause und habe das Floros-Buch daher nicht zur Hand, bin mir aber auch nicht sicher, ob das dort ausdrücklich ausgeführt wird). Sehe ich es richtig, dass erste Arbeiten an dem Konzert und der erste Band der Etüden sich ziemlich stark überschnitten haben (ca. 1985), der zweite Band der Etüden aber dann nach dem Konzert entstanden ist (ab 1988)? Nun sind "Desordre" und "Herbst in Warschau" natürlich im ersten Band, aber was ist hier Henne und was ist Ei? Kann es eventuell sein, dass Ligeti diese Ideen nahezu parallel in den Etüden und im Konzert ausgeführt hat? Das Horntrio war vorher fertig (1982), das ist klar.


    Insgesamt hatte ich schon beim ersten Kennenlernen des Konzerts (ca. Anfang der 90er Jahre) den Eindruck einer etwas nachlassenden Inspiration und des Rückgriffs auf Bewährtes.


    Das finde ich angesichts des zeitlichen Ablaufs etwas erstaunlich. Das Horntrio war ja ein recht deutlicher stilistischer Wendepunkt für Ligeti und sozusagen der markante Beginn seines Spätstils. Die nächsten bedeutenden Werke waren der erste Band der Etüden und eben das Klavierkonzert (der zweite Band der Etüden war erst 1994 fertig, ich vermute aber, dass einzelne Stücke bereits vorher zur Aufführung gekommen sind, ohne das jetzt genauer recherchiert zu haben). Anfang der 1990er Jahre lagen im Spätstil also nur das Horntrio sowie einige der Etüden vor, so dass ich vermutet hätte, dass das Konzert immer noch recht "frisch" gewirkt haben dürfte.


    Ich bezweifle Deinen Eindruck nicht, sondern frage eher aus historischem Interesse nach, da ich selbst zu dieser Zeit Teenager war und mich noch nicht für Ligeti interessiert habe. :)


    Übrigens auch bei den Etüden: Auch da finde die beiden ersten Bände deutlich stärker als den dritten, der mir zu "selbstähnlich" ist ;).


    Dem stimme ich im Prinzip zu, das dürfte aber vermutlich ziemlicher Konsens unter Ligeti-Fans sein (wobei ich "White on White" schon toll finde). Aus einer gut unterrichteten Quelle habe ich gehört, dass Ligeti wohl unbedingt 24 Etüden fertigstellen wollte, um es Chopin gleichzutun (mit dessen op. 10 und op. 25). Dazu hätte der dritte Band zehn Etüden umfassen müssen, vier konnte Ligeti letztlich noch fertigstellen. Er war zu dieser Zeit wohl schon recht krank und in seiner Arbeit deutlich verlangsamt. Auch das Hamburgische Konzert wirkt als "spätes Spätwerk" ja irgendwie leichtgewichtiger als die Vorgängerkonzerte für Klavier und Violine.


    LG :hello:

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  • Sicherlich kann man selbst ohne einen Blick in die Details hören, dass Horntrio, Etüden und Klavierkonzert sozusagen Schlücke aus derselben Flasche sind. Bei den Etüden und dem Klavierkonzert kommt hinzu, dass ihre Entstehung sich zeitlich ziemlich überschnitten haben. Der zeitliche Ablauf ist mir hierbei nicht vollständig klar (ich bin gerade nicht zuhause und habe das Floros-Buch daher nicht zur Hand, bin mir aber auch nicht sicher, ob das dort ausdrücklich ausgeführt wird). Sehe ich es richtig, dass erste Arbeiten an dem Konzert und der erste Band der Etüden sich ziemlich stark überschnitten haben (ca. 1985), der zweite Band der Etüden aber dann nach dem Konzert entstanden ist (ab 1988)? Nun sind "Desordre" und "Herbst in Warschau" natürlich im ersten Band, aber was ist hier Henne und was ist Ei? Kann es eventuell sein, dass Ligeti diese Ideen nahezu parallel in den Etüden und im Konzert ausgeführt hat? Das Horntrio war vorher fertig (1982), das ist klar.

    Die Uraufführungsdaten sind (laut "Ligeti, eine Monographie in Essays" von Ulrich Dibelius):

    Horntrio 7.8.1982
    1. Etüde 15.4.1986
    2., 3. und 6. Etüde 24.9.1985
    4. und 5. Etüde 1.11.1985
    Klavierkonzert 1. bis 3. Satz 23.10.1986
    Klavierkonzert vollständig 29.2.1988
    7. und 8. Etüde 23.9.1988
    9. Etüde 5.5.1990
    12. Etüde 23.5.1993


    Natürlich weiß ich nicht, ab wann Ligeti jeweils an den Stücken gearbeitet hat, aber ganz sicher liegen die 1. ("Desordre") und die 6. Etüde ("Herbst in Warschau") zeitlich in der Nähe der entsprechenden Sätze des Klavierkonzertes, genauer gesagt ein halbes bzw. ein gutes ganzes Jahr davor. Bei der Uraufführung von "Vertige" (Etüde Nr. 9) durch Volker Banfield war ich damals übrigens dabei. Beim selben Festival in Gütersloh habe ich damals vermutlich auch zum ersten Mal das Klavierkonzert gehört, und fand es nach den Etüden und dem extrem starken Horntrio irgendwie redundant :).


    Das finde ich angesichts des zeitlichen Ablaufs etwas erstaunlich. Das Horntrio war ja ein recht deutlicher stilistischer Wendepunkt für Ligeti und sozusagen der markante Beginn seines Spätstils.

    Wie würdest Du die Drei Stücke für zwei Klaviere einordnen? Die sind immerhin schon von 1976, und ich finde eigentlich, dass sie schon in vielem auf die Etüden vorausweisen (nicht zuletzt, und wie ich leidvoll erfahren musste, im abenteuerlichen Schwierigkeitsgrad). Dort gibt es bereits die sogenannte "Illusionsrhythmik", also Rhythmen, die nicht real gespielt werden sondern sich aus der Überlagerung verschiedener "Patterns" beim Hören ergeben, es gibt rhythmisch und lokal auseinanderlaufende, sich "verflüssigende" Stimmen und zum ersten Mal die Technik der blockierten Tasten (siehe Etüde Nr. 3) und auch die Ligeti-typischen plötzlichen Ab- und Umbrüche. Das Horn-Trio ist demgegenüber technisch eigentlich kein "Fortschritt". Um Missverständnissen vorzubeugen: Das tut seiner Qualität und auch seiner Bedeutung meines Erachtens keinerlei Abbruch. Aber neu ist bei ihm vielleicht nur bzw. vor allem der Bezug zur musikalischen Romantik, und da natürlich primär zu Brahms. Gerade weil z.B. sein Finale von überwältigender persönlicher Ausdruckskraft ist, störte mich aber der "zweite Aufguss" im Klavierkonzert wie gesagt von Anfang an etwas, auch wenn der Satz dort natürlich ebenfalls für sich genommen sehr stark ist. Ich kann ihn nur nicht ganz "für sich" hören und finde ihn auch nicht ganz so konzentriert und konsequent wie im Trio.


    Dem stimme ich im Prinzip zu, das dürfte aber vermutlich ziemlicher Konsens unter Ligeti-Fans sein (wobei ich "White on White" schon toll finde). Aus einer gut unterrichteten Quelle habe ich gehört, dass Ligeti wohl unbedingt 24 Etüden fertigstellen wollte, um es Chopin gleichzutun (mit dessen op. 10 und op. 25). Dazu hätte der dritte Band zehn Etüden umfassen müssen, vier konnte Ligeti letztlich noch fertigstellen. Er war zu dieser Zeit wohl schon recht krank und in seiner Arbeit deutlich verlangsamt.

    Ja, die Idee war zweifellos, 24 Etüden zu schreiben. Pierre-Laurent Aimard hat im letzten Jahr bei seinem Klavierabend in Bochum (Klavierfestival Ruhr) mit dem dritten Band begonnen, und zwar in der Reihenfolge 15-18-16-17, dann die beiden ersten Bände folgen lassen, aber auch dabei mit Umstellung einzelner Etüden ("Cord à vides" vor "Desordre" und "Fem" vor Galamb Borong"). Das ist dramaturgisch eine gute Lösung, um zu verstecken, dass die letzten Etüden schwächer sind ;).

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    (Theodor W. Adorno)

  • Ich gestehe, daß ch mit der Auswahl der Tamino Mitglieder so meine Problem habe, und mich die Hinwendung zu sperrigen Werken doch ein wenig wundert. Dies nur als staunende Feststellung und nicht als Kritik. Nur ein einziges der bislang hier vorgestellten Werke befindet sich in meine Sammlung (mein Vorschlag natürlich ausgenommen)

    Ob das der Reputation unseres Forums nützt oder schadet, weiß ich nicht - es wird sich weisen.

    Eigenartigerweise sehe ich mich gezwungen als "Verteidiger " von Herrn Ligeti aufzutreten, wenn er eigene Themen - aus welchen Gründen immer - mehrfach einsetzt. Mozart hat das gemacht, Beethoven ebenso. Bachs Brandenburgische Konzerte waren eine "Zweitverwertung". Wohl in Vorahnung darauf, daß es keine Bezahlung geben würde hat er dem Markgrafen sechs bereits vor einiger Zeit komponierte Konzerte zusammengewürfelt und als neue ihm gewidmete Kompositionen "verkauft" Rossini hat die Ouvertüre zum "Il Barbiere di Siviglia" in DREI verxschiedenen Opern vervendet. Ebenso eine Arie sowohl in besagtem Barbier (von einem Tenor) als auch in "La Cenerentola" (von einem Mezzo/Alt)

    In "La Cenerentola" verwendete Rossini die Ouvertüre von "La Gazetta" etc etc... Haydn bot bestellte Kompositionen oft in Kopien an drei verschiedene Käufer an.Mervermarktung war also nicht unüblich war also nicht unüblich....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Was ich dann allerdings doch etwas schade finde, ist die allzu deutliche Zweitverwendung bekannter Elemente vor allem aus den Etüden und dem Horntrio:

    Ich habe das immer etwas anders empfunden. Desordre ist klar am Beginn des Klavierkonzertes herauszuhören, Herbst in Warschau, habe ich jetzt erst so gehört. :) Das Horntrio ist mir leider noch nicht so lange bekannt, so dass ich eher umgekehrt höre (im zweiten Satz ist Etüdenrhythmik klar herauszuhören).


    Im Booklet steht, dass Ligeti seit 1980 mit dem Gedanken an ein Klavierkonzert spielte, aber erst mit den Etüden fündig wurde. Ich sehe und höre da eigentlich kein Problem. Das Klavierkonzert muss als Werk für sich überzeugen können. Eventuell stört Dich da tatsächlich schon Deine Erfahrung des Kennenlernens.


    Die Ähnlichkeit mit der ersten Etüde empfand ich als eine bewusste Herausforderung. Ligeti zeigt doch damit eine auskomponierte Vision, die die Etüde(n) alleine nicht geben kann/können. Der zweite Satz erinnert mich eher an Bartók, und erreicht für mich eine spezifische musikalische Qualität, die ich in den Etüden nicht wiederfinde. Dieser bedrohliche Orgelpunkt zu Beginn ist erstaunlich. Das Prinzip rhythmischer Schichtung, was bei Ligeti sonst so wichtig ist, weicht hier einer melodischen Konstruktion oder vertue ich da?


    Alle drei Sätze klingen beinahe wie orchestrierte Erweiterungen der jeweiligen Vorlagen.

    Ja, das kann sein, wenn man es so hören will. Wie klingt das Werk denn für sich? Ich finde die Orchestrierung sehr gelungen und ohne das Wissen um die Etüden würde ich es für ein sehr gelungenes Konzert halten. Wobei es für mich keine Spannung zwischen Solisten und Orchester gibt, sondern zwischen rhythmischen Strukturen und stärkeren melodischen Linien ...


    Aber die zwei Wochen sind noch nicht durch :hello:

  • Die Uraufführungsdaten sind (laut "Ligeti, eine Monographie in Essays" von Ulrich Dibelius)


    Vielen Dank, das ist sehr informativ! Das Dibelius-Buch kenne ich noch nicht, ich sollte es mir beizeiten wohl mal zulegen.


    Natürlich weiß ich nicht, ab wann Ligeti jeweils an den Stücken gearbeitet hat, aber ganz sicher liegen die 1. ("Desordre") und die 6. Etüde ("Herbst in Warschau") zeitlich in der Nähe der entsprechenden Sätze des Klavierkonzertes, genauer gesagt ein halbes bzw. ein gutes ganzes Jahr davor.


    Ich weiß, dass ich jetzt ziemlich spekuliere, aber ich vermute auf Basis der Uraufführungsdaten, dass Ligeti in eher geringem zeitlichen Abstand an den ersten Etüden und dem Klavierkonzert gearbeitet haben dürfte. Ligeti galt zwar als harter und sehr konzentrierter Arbeiter (der z. B. nur telefonierte, wenn man ihn per Brief um einen Anruf gebeten hat - er wollte nicht gestört werden), aber er hat (anders als z. B. Rihm) nicht schnell komponiert. So hat er für die etwas über 20 min. Musik des Klavierkonzerts ca. drei Jahre benötigt. Wenn so viele Stücke dieser Komplexität in so enger zeitlicher Abfolge uraufgeführt wurden, habe ich insofern Zweifel daran, dass Ligetis Arbeit an den Stücken streng nacheinander erfolgt ist.


    Es ist m. E. auch offen, ob das Jahr 1985 als Entstehungszeit für die ersten Sätze des Klavierkonzerts und die ersten Etüden wirklich korrekt ist. Ich kann mir schwer vorstellen, dass Ligeti erst das 1982 uraufgeführte Horntrio als Stück im neu gefundenen Spätstil schreibt, dann drei Jahre pausiert und dann in einen Klavier-orientierten Schaffensrausch mit den Etüden und dem Konzert gerät. Es dürfte sehr viel plausibler sein, dass ziemlich direkt nach dem Horntrio umfangreiche Skizzen für die Klavierwerke entstanden sind.


    Beim selben Festival in Gütersloh habe ich damals vermutlich auch zum ersten Mal das Klavierkonzert gehört, und fand es nach den Etüden und dem extrem starken Horntrio irgendwie redundant :).


    Redundant ist es höchstens insofern, dass es keine vollkommen grundlegend neuen kompositionstechnischen Ideen zur Klangwelt des Horntrios und der ersten Etüden hinzufügt - wenn dem denn wirklich so ist, ich werde das in dem Floros-Buch nochmal nachlesen (wenn ich dazu komme, was ich sehr hoffe).


    Das Klavierkonzert erreicht allein schon aufgrund des Orchestersatzes eine vielstimmige Komplexität, die weder ein Trio noch eine Komposition für ein Soloinstrument erreichen können. So gesehen könnte man es auch als eine Art Gipfelwerk deuten, in welchem die Ideen des Horntrios und der ersten Etüden in einer Großform (dem klassischen Solokonzert) in kulminierender Weise verwendet und ausgearbeitet werden.


    Wie würdest Du die Drei Stücke für zwei Klaviere einordnen? Die sind immerhin schon von 1976, und ich finde eigentlich, dass sie schon in vielem auf die Etüden vorausweisen (nicht zuletzt, und wie ich leidvoll erfahren musste, im abenteuerlichen Schwierigkeitsgrad). Dort gibt es bereits die sogenannte "Illusionsrhythmik", also Rhythmen, die nicht real gespielt werden sondern sich aus der Überlagerung verschiedener "Patterns" beim Hören ergeben, es gibt rhythmisch und lokal auseinanderlaufende, sich "verflüssigende" Stimmen und zum ersten Mal die Technik der blockierten Tasten (siehe Etüde Nr. 3) und auch die Ligeti-typischen plötzlichen Ab- und Umbrüche. Das Horn-Trio ist demgegenüber technisch eigentlich kein "Fortschritt". Um Missverständnissen vorzubeugen: Das tut seiner Qualität und auch seiner Bedeutung meines Erachtens keinerlei Abbruch. Aber neu ist bei ihm vielleicht nur bzw. vor allem der Bezug zur musikalischen Romantik, und da natürlich primär zu Brahms. Gerade weil z.B. sein Finale von überwältigender persönlicher Ausdruckskraft ist, störte mich aber der "zweite Aufguss" im Klavierkonzert wie gesagt von Anfang an etwas, auch wenn der Satz dort natürlich ebenfalls für sich genommen sehr stark ist. Ich kann ihn nur nicht ganz "für sich" hören und finde ihn auch nicht ganz so konzentriert und konsequent wie im Trio.


    Ich bin durch Deine Ausführungen zu den Drei Stücken für zwei Klaviere (nochmal vielen Dank dafür!) erstmals auf dieses Werk aufmerksam geworden - vorher ist es mir irgendwie entgangen (warum auch immer). Die Drei Stücke haben mich sofort gepackt und haben an meinem Kenntnisstand der "Ligetologie" einige Zweifel geweckt. Dieser lautete (vereinfacht), dass Ligeti nach "Le Grand Macabre" in eine Art Schaffenskrise geriet und sich im Horntrio dann erstmals der neu gefundene Spätstil manifestiert habe. In der Tat stimme ich Dir aber vollkommen zu, dass sich viele Elemente der Klangwelt von Ligetis Spätstil bereits in den Drei Stücken findet. So gesehen ist die Entwicklung des Spätstils wohl doch etwas komplexer verlaufen als skizziert.


    Ja, die Idee war zweifellos, 24 Etüden zu schreiben. Pierre-Laurent Aimard hat im letzten Jahr bei seinem Klavierabend in Bochum (Klavierfestival Ruhr) mit dem dritten Band begonnen, und zwar in der Reihenfolge 15-18-16-17, dann die beiden ersten Bände folgen lassen, aber auch dabei mit Umstellung einzelner Etüden ("Cord à vides" vor "Desordre" und "Fem" vor Galamb Borong"). Das ist dramaturgisch eine gute Lösung, um zu verstecken, dass die letzten Etüden schwächer sind ;).


    Ich finde eine derartige Vorgehensweise überaus plausibel, noch zumal es ja keinen Zwang gibt, die Etüden als kompletten Zyklus in der Reihenfolge ihrer Nummerierung zu spielen. Übrigens muss ich (halb OT) gestehen, dass ein kompletter Hördurchgang der Chopin-Etüden mein Sitzfleisch durchaus herausfordert - einzelne Stücke gerne, aber im Block ist mir das etwas zu viel. Ligeti fällt mir da tendenziell leichter, unabhängig von der Reihenfolge... :untertauch:


    LG :hello:

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  • Wie klingt das Werk denn für sich? Ich finde die Orchestrierung sehr gelungen und ohne das Wissen um die Etüden würde ich es für ein sehr gelungenes Konzert halten.

    Ja, ich behaupte auch nicht, dass es schlecht ist. Wie es "für sich" klingt, weiß ich nicht, weil ich es nicht für sich hören kann. Das ist so ähnlich wie bei Bartoks phänomenaler Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug im Verhältnis zu der überflüssigen späteren Version mit Orchester. Brahms hat mal an seinen Verleger geschrieben: "Daß Sie nicht begreifen, welche Lächerlichkeit in diesem Wiederkäuen der eignen Werke liegt!". Ich begreife das...

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  • Ich gestehe, daß ch mit der Auswahl der Tamino Mitglieder so meine Problem habe, und mich die Hinwendung zu sperrigen Werken doch ein wenig wundert. Dies nur als staunende Feststellung und nicht als Kritik.


    Ich muss im Gegenzug gestehen, dass ich das Stück nicht sonderlich sperrig, sondern eigentlich sehr unterhaltsam finde. :untertauch: Ich könnte mir übrigens auch gut vorstellen, in der nächsten Runde z. B. eine Haydn-Sinfonie oder Beethoven-Klaviersonate auszuwählen.


    Eigenartigerweise sehe ich mich gezwungen als "Verteidiger " von Herrn Ligeti aufzutreten, wenn er eigene Themen - aus welchen Gründen immer - mehrfach einsetzt. Mozart hat das gemacht, Beethoven ebenso. Bachs Brandenburgische Konzerte waren eine "Zweitverwertung". Wohl in Vorahnung darauf, daß es keine Bezahlung geben würde hat er dem Markgrafen sechs bereits vor einiger Zeit komponierte Konzerte zusammengewürfelt und als neue ihm gewidmete Kompositionen "verkauft" Rossini hat die Ouvertüre zum "Il Barbiere di Siviglia" in DREI verxschiedenen Opern vervendet. Ebenso eine Arie sowohl in besagtem Barbier (von einem Tenor) als auch in "La Cenerentola" (von einem Mezzo/Alt)

    In "La Cenerentola" verwendete Rossini die Ouvertüre von "La Gazetta" etc etc... Haydn bot bestellte Kompositionen oft in Kopien an drei verschiedene Käufer an.Mervermarktung war also nicht unüblich war also nicht unüblich....


    In der Tat haben die großen Komponisten gute Ideen gerne mehr als einmal verwendet, teilweise abgewandelt, teilweise kaum verändert. Besser gut kopiert (vor allem von sich selbst) als besch... neu erfunden. ^^


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Nur ein einziges der bislang hier vorgestellten Werke befindet sich in meine Sammlung (mein Vorschlag natürlich ausgenommen)

    Der Haydn doch sicher auch?

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

  • Brahms hat mal an seinen Verleger geschrieben: "Daß Sie nicht begreifen, welche Lächerlichkeit in diesem Wiederkäuen der eignen Werke liegt!". Ich begreife das...


    Nur habe ich meine Zweifel, dass man im vorliegenden Fall von einem "Wiederkäuen der eignen Werke" sprechen kann, eher vielleicht von einer Ausarbeitung und Fortführung von Ideen aus kammermusikalischen Formen im Rahmen einer größeren orchestralen Form. Würdest Du denn auch bei Mahlers Verwendung der Wunderhorn-Lieder in den frühen Sinfonien von einem "Wiederkäuen" sprechen? Oder bei Mozarts Klarinettenkonzert mit seiner gewissen Nähe zum Klarinettenquintett?


    LG :hello:

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  • Würdest Du denn auch bei Mahlers Verwendung der Wunderhorn-Lieder in den frühen Sinfonien von einem "Wiederkäuen" sprechen?

    Nein, aber das ist auch nicht vergleichbar: Z.B. "Desordre" und der erste Satz des Klavierkonzerts bestehen im Kern aus derselben (primär rhythmischen) Idee der auseinanderlaufenden Stimmen, mit derselben technischen Ausführung (eine Hand spielt auf den weißen, die andere auf den schwarzen Tasten, aufsteigende Achtelketten mit zunehmend asynchron akzentuierten Melodietönen, selbst die "Melodien" sind sehr ähnlich). Das ist für mich keine neue Komposition unter Verwendung vorhandenen Materials sondern dieselbe Idee, beinahe gleich, nur bunter umgesetzt. Am meisten stört es mich bei einem "Ausdruckssatz" wie dem Finale des Horntrios: Wenn man dessen überwältigend intensive, persönliche Klage einfach in einem anderen Zusammenhang, aber mit ganz ähnlicher Ausführung zweitverwertet, wertet man sie für mein Empfinden ab. Das ist etwas vollkommen anderes, als wenn Mahler ein Volkslied zum Zentrum einer hochkomplexen Symphonie macht. So faszinierend Ligetis spätere Werke zweifellos sind: Mich irritiert da doch auch dieses starre Festhalten an wenigen fixen Ideen und ihren bis in die Einzelheiten bewährten Ausführungen. Vorhin habe ich noch einmal Aimards Mitschnitt der 18 Etüden aus Bochum gehört und empfand auch da bei aller Faszination eine gewisse Eintönigkeit der Ideen. In der Hinsicht sind die Vorbilder Chopin und Debussy meines Erachtens eindeutig überlegen.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Ich habe in Floros' Ligeti-Buch das Kapitel zum Klavierkonzert überflogen, und die Sache stellt sich (gerade auch bezüglich der Entstehungsgeschichte von Horntrio, Etüden und Klavierkonzert) dann doch etwas komplexer dar als bisher hier von uns diskutiert.


    Nun ist es heute schon spät, und der Nachwuchs fordert sein Recht... :) Ich hoffe, dass ich morgen die Zeit finde, das noch näher auszuführen.


    LG :hello:

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  • Im Urlaub war Musikhören so richtig nicht möglich - die Maurische Trauermusik von Mozart ist ein eindrucksvolles Stück. Dazu habe ich hier so viele kluge und lehrreiche Dinge gelesen, so dass ich mich entschlossen habe, nicht auch noch meinen Senf dazuzugeben. ^^


    Das Ligeti-Konzert - eine sehr gute Wahl! - habe ich mir gestern zu Gemüte geführt. Was mir dabei durch den Kopf ging: Franz Liszt hat die einfache Gegenüberstellung Klavier-Orchester unterwandert und das Klavier mehr oder weniger als eine Stimme unter den Orchesterstimmen behandelt - also das Orchester emanzipiert. Ligeti finde ich radikalisiert diese Tendenz. Das geht so weit, dass im 2. Satz das Klavier kaum noch zu hören ist. Die Frage ist deshalb, ob das überhaupt noch ein Klavierkonzert und was das für ein Beitrag zu dieser speziellen Gattung ist. Eine gewisse Antwort: Der andere Bezug bei mir ist "Prometheus" von Alexander Scriabin. Das ist ein Orchesterstück mit eingebundenem Klaviersolo, also kein eigentliches Klavierkonzert mehr, dass vom Dialog mit dem Klavier als souveränem Instrument lebt. Das Stück von Ligeti finde ich interessant - besonders den 2. Satz fast ohne Klavier, den Ausdruck von Leere - ungemein beeindruckend. Aber als Klavierkonzert kommt es für mich dann doch nicht an die Konzerte von Bartok etwa heran. Kompositorisch ist das ungemein klar. Aber für mich jedenfalls gilt: Ich würde das Ligeti-Konzert nicht nennen, wenn es darum geht, was für mich in der Gattung "Klavierkonzert" die unverzichtbaren Stücke sind.

  • Ich habe in Floros' Ligeti-Buch das Kapitel zum Klavierkonzert überflogen, und die Sache stellt sich (gerade auch bezüglich der Entstehungsgeschichte von Horntrio, Etüden und Klavierkonzert) dann doch etwas komplexer dar als bisher hier von uns diskutiert.


    Ich möchte hierauf nochmal zurückkommen.


    Floros hat für sein Kapitel zu Ligetis Klavierkonzert nicht nur die Partitur, sondern auch das umfangreiche Skizzenmaterial studiert. Er führt aus, dass Ligeti bereits ab 1980 mit Plänen zur Komposition eines Klavierkonzerts begonnen habe, aber wohl Schwierigkeiten hatte, einen Einstieg zu finden (mit vielen verworfenen Ideen). Das Horntrio entstand dann 1982. Ab November 1984, vor allem aber 1985 arbeitete Ligeti an den ersten Etüden, und dies brachte den Durchbruch beim Klavierkonzert, so dass dann die ersten drei Sätze des Konzerts relativ zügig entstanden sind.


    Natürlich wäre es sicherlich unzutreffend, die Etüden aufgrund dieses Ablaufs zu Vorstudien für das Konzert abzuqualifizieren, aber insgesamt scheint es mir doch so zu sein, dass die Entstehung aller drei Werke bzw. Werkgruppen - Horntrio, erste Etüden, Klavierkonzert - sehr stark miteinander verwoben war. So falsch es wäre, die Etüden zu Vorstudien zu deklarieren, so unzutreffend scheint es mir vor dem Hintergrund des zeitlichen Ablaufs zu sein, das Klavierkonzert als eine Art Aufguss der anderen Werke einzustufen.


    Zu der Beziehung des Konzerts zu den Etüden schreibt Floros, dass einige Konzepte der Etüden, insbesondere die Polyrhtymik und Polymetrik, im Konzert ins Maximale gesteigert seien.


    Ein Schlüsselaspekt des Konzerts ist für ihn Ligetis Spiel mit nicht-temperierten Stimmungen, die aus dessen Beschäftigung mit außereuropäischen Musikkulturen resultierten. Floros erläutert recht ausführlich, wie Ligeti Illusionen einer äquidistanten Stimmung erzeugt und spricht in diesem Zusammenhang von "Quasi-Äquidistanzialität".


    Insgesamt ist Floros' Analyse des Konzerts sehr tiefgehend, und ich hatte gestern leider nicht die Zeit, sie in angemessener Gründlichkeit zu lesen. Seine Ausführungen scheinen mir aber überaus informativ zu sein, und sein Buch scheint auf einem sehr gründlichen Studium des Materials und verschiedener Informationsquellen zu beruhen.


    LG :hello:

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  • Zu der Beziehung des Konzerts zu den Etüden schreibt Floros, dass einige Konzepte der Etüden, insbesondere die Polyrhtymik und Polymetrik, im Konzert ins Maximale gesteigert seien.

    Es stimmt sicherlich, dass die Komplexität des Konzertes die der Etüden übertrifft. Allerdings hat Ligeti selbst ja schon im "Poéme symphonique" für hundert Metronome und dann auch in den Drei Stücken für zwei Klaviere das Phänomen erforscht, dass es dabei eine Grenze der Hörbarkeit gibt, die paradoxerweise dazu führt, dass irgendwann die höhere Komplexität als das Gegenteil erscheint. Insofern stellt sich (mir) die Frage, was mit der "ins Maximale gesteigerten" Polyrhythmik und Polymetrik eigentlich gewonnen ist. Ulrich Dibelius beschreibt den Unterschied zwischen den Etüden und dem Konzert so: "Das eine läßt sich erläutern und beschreiben, das andere eigentlich nur noch hören." Dieser Gegensatz irritiert mich: "Hören" bedeutet doch nicht nur "empfinden" sondern auch "nachvollziehen" oder "verstehen". Dibelius meint das durchaus positiv, aber auch hier ist doch die Frage: Was ist es denn genau, das man hinter bzw. dank der Überkomplexität hört? Zwar gibt es viele musikalische Werke, deren komplexe kompositorische Strukturen primär eine Art stabilisierendes Gerüst und gar nicht zum "Hören" gedacht sind, aber dann würde sich die Frage nach dem Ausdruck stellen: Geht der Kopfsatz des Klavierkonzertes im Ausdruck über "Desordre" hinaus? Ich finde eher das Gegenteil.


    So falsch es wäre, die Etüden zu Vorstudien zu deklarieren, so unzutreffend scheint es mir vor dem Hintergrund des zeitlichen Ablaufs zu sein, das Klavierkonzert als eine Art Aufguss der anderen Werke einzustufen.

    Das mag sein, aber die Ähnlichkeiten in Struktur, technischer Machart und thematischem Material sind ja unüberhörbar, wie auch immer die Entstehungsgeschichte gewesen sein mag.

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    (Theodor W. Adorno)

  • Geht der Kopfsatz des Klavierkonzertes im Ausdruck über "Desordre" hinaus? Ich finde eher das Gegenteil.


    Das sehe ich anders. Ich habe gerade mal die Probe aufs Exempel gemacht und habe mir beide Stücke ("Desordre" und den ersten Satz des Klavierkonzerts) hintereinander angehört. "Desordre" ist natürlich ein tolles Stück, aber es dient halt doch recht wesentlich der Herausstellung einer technischen Idee - eine Etüde halt. Beim ersten Satz des Klavierkonzerts habe ich sehr viel mehr den Eindruck, dass die technische Idee des Klaviersatzes bloßes Material als Teil eines musikalischen Gesamtausdrucks ist. Es gibt dort sehr viel mehr zu entdecken, z. B. die einprägsamen Motive in den Bläsern oder die Perkussion, die gegen den Klaviersatz versetzt läuft. Das ist natürlich komplex und üppig, aber ich halte es immer noch für ziemlich durchhörbar.


    Das mag sein, aber die Ähnlichkeiten in Struktur, technischer Machart und thematischem Material sind ja unüberhörbar, wie auch immer die Entstehungsgeschichte gewesen sein mag.


    Ist es denn ein Malus, wenn ein Komponist auf Basis guter Ideen mehrere Stücke verfertigt? Ich finde nicht.


    LG :hello:

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  • Das sehe ich anders. Ich habe gerade mal die Probe aufs Exempel gemacht und habe mir beide Stücke ("Desordre" und den ersten Satz des Klavierkonzerts) hintereinander angehört. "Desordre" ist natürlich ein tolles Stück, aber es dient halt doch recht wesentlich der Herausstellung einer technischen Idee - eine Etüde halt. Beim ersten Satz des Klavierkonzerts habe ich sehr viel mehr den Eindruck, dass die technische Idee des Klaviersatzes bloßes Material als Teil eines musikalischen Gesamtausdrucks ist. Es gibt dort sehr viel mehr zu entdecken, z. B. die einprägsamen Motive in den Bläsern oder die Perkussion, die gegen den Klaviersatz versetzt läuft. Das ist natürlich komplex und üppig, aber ich halte es immer noch für ziemlich durchhörbar.

    Den Effekt mit den Hornmelodien kann man nur dann "entdecken", wenn man ihn noch nicht aus dem Horntrio kennt :). Die Perkussion mischt auf dieselbe Art bei der "Unordnung" mit wie die Akzente in den beiden Klavierhänden, was die Sache zwar bunter aber nicht wirklich vielschichtiger macht. Vielleicht haben wir auch ein unterschiedliches Verständnis von "Ausdruck": Ich finde, dass "Desordre" ein extrem ausdrucksvolles Stück ist: Der allmähliche Zerfall der Ordnung bis hin zur völligen Auflösung ist für mich weit mehr als die "Herausstellung einer technischen Idee". Beim Klavierkonzert bleibt der Ausdruck vergleichsweise unbestimmt, zwar mit einer spielerischen, auch witzigen Leichtigkeit und Buntheit, aber ohne die Konsequenz und Klarheit der Etüde.


    Ist es denn ein Malus, wenn ein Komponist auf Basis guter Ideen mehrere Stücke verfertigt? Ich finde nicht.

    Wenn auf der Basis derselben Ideen sehr ähnliche Stücke herauskommen und zudem die Zahl der Ideen überschaubar ist, ist das für mich schon ein Malus. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich mag Ligetis Spätwerke, aber dass z.B. der zweite Satz des Horntrios sehr ähnlich in "Fanfares" wiederkehrt, Thema und Grundidee des dritten Satzes u.a. in "Automne à Varsovie" und im zweiten Satz des Klavierkonzertes (dort noch verbunden mit "Continuum"), "Desordre" im ersten usw., ist mir in der Summe zu vorhersehbar, ebenso wie der Gesamtzyklus der Etüden. Wenn man Ligeti kennt, ist das Klavierkonzert schon beim ersten Hören nicht mehr "neu", obwohl es zweifellos unterhaltsam und gut komponiert ist.

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  • Vielleicht haben wir auch ein unterschiedliches Verständnis von "Ausdruck": Ich finde, dass "Desordre" ein extrem ausdrucksvolles Stück ist: Der allmähliche Zerfall der Ordnung bis hin zur völligen Auflösung ist für mich weit mehr als die "Herausstellung einer technischen Idee".

    Das sehe ich auch so.


    Beim Klavierkonzert bleibt der Ausdruck vergleichsweise unbestimmt, zwar mit einer spielerischen, auch witzigen Leichtigkeit und Buntheit, aber ohne die Konsequenz und Klarheit der Etüde.

    Ja, es wird bunter und ist nicht so konsequent. Diese Ambivalenz empfinde ich sehr häufig beim Orchestersatz. Das kann doch auch eine Stärke sein? Für mich als alten Kammermusikhörer ist das immer etwas schwierig und ich kannte zugegebenermaßen das Horntrio nicht, als ich sein Klavierkonzert erstmals hörte. Für mich geht ein Konzert immer etwas mehr in Richtung "Unterhaltung" als eine Étude. Aber den zweiten Satz empfinde nicht zuletzt durch die Orchestrierung auch als eine Verkörperung von Ödnis. Die Orchestrierung (und durchaus auch die klanglichlichen Möglichkeiten der einzelnen Instrumente) eröffnet einen Klangraum, den das Klavier alleine nur sehr abstrakt realisieren könnte. Dieser Satz ist für mich überhaupt der beeindruckendste vom Konzert.


    Ich bin mir gar nicht sicher, ob Du das am Ende nicht genauso siehst. Es scheint eine gewisse Enttäuschung zu überwiegen, dass doch sehr viel Material wiederverwendet wurde. Aber "für sich" gesehen - damit meine ich die Loslösung von den Etüden und dem Horntrio - scheint es mir doch ein sehr unterhaltendes Werk zu sein, was keineswegs einfach durch das Hören der Etüden zu ersetzen wäre.

  • Ich bin mir gar nicht sicher, ob Du das am Ende nicht genauso siehst. Es scheint eine gewisse Enttäuschung zu überwiegen, dass doch sehr viel Material wiederverwendet wurde. Aber "für sich" gesehen - damit meine ich die Loslösung von den Etüden und dem Horntrio - scheint es mir doch ein sehr unterhaltendes Werk zu sein, was keineswegs einfach durch das Hören der Etüden zu ersetzen wäre.

    Ja, so kann man es sagen. Dadurch, dass wir die ganze Zeit auf diesem einen Aspekt rumreiten, entsteht vielleicht der falsche Eindruck, ich wollte das Stück schlecht machen. Das will ich nicht, und es ist natürlich auch nicht schlecht. Aber ich habe heute mal wieder in Fredrik Ullens Aufnahme der 100 Transcendental Studies von Kaikhosru Sorabji reingehört und fand, dass die an Abwechslungs- und Einfallsreichtum Ligeti weit übertreffen.

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    (Theodor W. Adorno)

  • Ich habe es geschafft, diesem grauenhaften Krach fast 4 Minuten lang zuzuhören. Das finde ich äußerst tapfer!!


    Würde ich mit so etwas unerwartet bei einem Konzert konfrontiert (Programmänderung), ich würde Schmerzensgeld einklagen. Da braucht es auch keine Schulnote, eine 6 wäre geschmeichelt.

  • Ich fürchte, zwischen den Apologeten des Ligeti-Stücks und den Traditionalisten, die ihre musikalische Heimat beispielsweise in der Wiener Klassik haben, gibt es schlicht keine Kommunikationsgrundlage. Das ist wie mit einem Anhänger des Brutalismus und einem Liebhaber von Kathedralen - wo dieser die schöne Linie, die mühsam erreichte, nur scheinbare Leichtigkeit rühmt, schwärmt jener von der "Ehrlichkeit" rohen Betons. Wo dieser darauf hinweist, dass die Natur immer kurvig, niemals eckig ist, behauptet jener, die Aufgabe der Kunst seie es nicht, die Natur nachzuahmen.


    Insofern ist die Schnittmenge zwar die, der sogenannten E-Musik zugeneigt zu sein, aber hier werde ich zumindest nichts mehr beitragen können, da ich diese Musik schlicht unter "Geräuschsachen" und "vertane Lebenszeit" subsumiere.


    Gutes Hören


    Christian Hasiewicz

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Also dann - aufgrund der Selbstverpflichtung ab ins klangliche Fegefeuer.

    Rechnet nicht damit, daß die Beurteilung besser wird als oben, sie wird nur ausführlicher.

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