Alle sprechen über dasselbe Musikwerk

  • Ich oute mich (leicht zu spät) noch als kein allzugroßer Fan dieser Musik. Das liegt glaube ich vor allem daran, dass mir der 'Spanische Tonfall' von allen europäischen mit am wenigsten liegt. Spanische Folklore, Lokalkolorit oder - mit Blick auf den Threadverlauf - wie auch immer wir das nennen wollen, gefällt mir einfach nicht besonders bzw. begeistert mich nicht. Irgendwer hatte auch von den ewig gleichen Phrasen im Bass geschrieben, das fällt mir ebenfalls auf. Insgesamt tröpfelt es für meinen Geschmack immer so vor sich hin - freilich mit Steigerungen und spanischen Klängen.


    Aber: Wie immer in diesem Thread habe ich natürlich auch einen Gewinn aus der Beschäftigung mit einem mir unbekannten Werk. Denn Albéniz höre ich wirklich so gut wie nie. Und eine gewisse Sinnlichkeit kann man diesem Stück nicht absprechen, das hat durchaus was! Pianistisch klingt es brillant aber im Gegensatz zu anderen Stücken des Zyklus klingt es 'spielbar'.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Ich oute mich (leicht zu spät) noch als kein allzugroßer Fan dieser Musik. Das liegt glaube ich vor allem daran, dass mir der 'Spanische Tonfall' von allen europäischen mit am wenigsten liegt. Spanische Folklore, Lokalkolorit oder - mit Blick auf den Threadverlauf - wie auch immer wir das nennen wollen, gefällt mir einfach nicht besonders bzw. begeistert mich nicht. Irgendwer hatte auch von den ewig gleichen Phrasen im Bass geschrieben, das fällt mir ebenfalls auf. Insgesamt tröpfelt es für meinen Geschmack immer so vor sich hin - freilich mit Steigerungen und spanischen Klängen.


    Aber: Wie immer in diesem Thread habe ich natürlich auch einen Gewinn aus der Beschäftigung mit einem mir unbekannten Werk. Denn Albéniz höre ich wirklich so gut wie nie. Und eine gewisse Sinnlichkeit kann man diesem Stück nicht absprechen, das hat durchaus was! Pianistisch klingt es brillant aber im Gegensatz zu anderen Stücken des Zyklus klingt es 'spielbar'.


    Ich pflichte Dir im Wesentlichen bei. Irgendwie hat das Stück auch bei mir nicht so recht gezündet, wobei es weniger das Folkloristische ist, sondern eher die gewisse kompositorische Eintönigkeit, die es für mich zu einem recht zähen Hörerlebnis gemacht hat. Trotzdem ist auch das wieder eine Weiterbildung, für die ich dankbar bin.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Bei dem kommenden Beitrag habe ich ein wenig gegrübelt, für welchen Zyklus der angedachten Werkgruppe ich mich entscheiden solle. Bislang hatten wir in unserem Projekt noch keine Vorstellung von Orchesterliedern. Nun bin ich alles andere als ein Fachmann für Lieder, dennoch gibt es zwei Orchersterliedzyklen, die mich vom ersten Hören an sehr beeindruckt haben. Das wären zunächst die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss, und sodann der Zyklus, um die es jetzt gehen soll, die „Kindertotenlieder“ von Gustav Mahler. Zu Beginn der Adventszeit mag das vielleicht ein wenig unpassend scheinen, das neue Kirchenjahr hat begonnen, alles sollte Zuversicht atmen aber dennoch: diese fünf Lieder zählen mit zum Ergreifendstem und gleichzeitig Tröstendstem, was die Verbindung von Musik und Text an Totenklage zu bieten hat.


    Gustav Mahler schrieb die "Kindertotenlieder" auf Gedichte von Friedrich Rückert, der in kurzer Aufeinanderfolge den Verlust zweier seiner Kinder zu beklagen hatte. Im Winter 1833 erkrankten fünf seiner damals sechs Kinder an Scharlach, eine Krankheit, die zu der Zeit medizinisch nicht therapierbar war. Das sechste Kind weilte aus Zufallsgründen bei der Großmutter. Zunächst starb am 31.12. die Tochter, tags drauf der um weniges älter Sohn (die beiden drei und vier Jahre alt). Die übrigen Geschwister genasen von der Krankheit. Dieser gelehrte Dichter, Wissenschaftler, Sprachgelehrter und Begründer der deutschen Orientalistik, dem wir neben nachdenkenswerten Gedichten und Parabeln im Allgemeinen und wunderbaren Liebesgedichten (an seine Frau) im Besonderen, die schönsten Übersetzungen von Suren des Koran, aber auch anderer persischer Autoren verdanken, dieser Friedrich Rückert fiel in unfassbare Trauer über den Tod dieser seiner beiden Kinder. Und er schrieb Gedichte, um mit dieser Trauer umzugehen, insgesamt 585 Stück (Angabe in der Werkausgabe). Eine andere Zählung spricht von 428 Gedichten (Wikipedia), von denen allerdings nur die wenigsten zu seinen Lebzeiten veröffentlicht worden sind. Gustav Mahler, der selber unter seinen Geschwistern viele früh verstorbene zu beklagen hatte, eine große Sympathie für das Werk von Rückert hegte und in dieser Schaffensphase immer wieder Texte von Rückert vertonte, suchte sich aus dieser großen Zahl (im wird allerdings nur der eher schmale veröffentlichte Teil bekannt gewesen sein) eine Auswahl von fünf Gedichte aus.


    Komponiert wurden die fünf Lieder zwischen 1901 und 1904, die Lieder 1, 3 und 4 1901, Mahler war da noch ledig, und die letzten nach einer Pause im Jahre 1904. Zwischenzeitlich war Mahler mit Alma Schindler verheiratet, ein gemeinsames Kind war zur Welt gekommen. Alma Mahler allerdings war unglücklich darüber, daß Mahler die Komposition der "Kindertotenlieder" wieder aufgenommen hatte. Sie sah das gleichsam als ein Menetekel und tatsächlich verstarb im Jahr 1907 die gemeinsame Tochter von Gustav und Alma Mahler, wie die Kinder von Rückert, an Scharlach. „Ich kann es wohl begreifen, dass man so furchtbare Texte komponiert, wenn man keine Kinder hat oder wenn man Kinder verloren hat,“ reagierte sie gereizt, „ich kann es aber nicht verstehen dass man den Tod von Kindern besingen kann, wenn sie eine halbe Stunde vorher, heiter und gesund, geherzt und geküsst hat. Um Gottes willen, du malst den Teufel an die Wand." Die Uraufführung fand am 29. Januar 1905 statt, mit einer Kammerbesetzung der Wiener Philharmoniker im kleineren Musikvereinssaal, der die Intimität der Lieder noch unterstrich. Über die seinerzeitige Rezeption und den Erfolg der Aufführung ist mir leider nichts bekannt. Geschrieben sind die Lieder für Mezzosopran oder Bariton Solo. Was ich bei der Instrumentenwahl im Orchester bemerkenswert finde sind die akzentsetzenden Glockenspiel, Tamtam, Celesta und Harfe


    Mit der Meinung, dass in den "Kindertotenliedern" der Tod der Kinder besungen würde, scheint Alma die Texte missverstanden zu haben. Für Rückert war es Trauerbewältigung mit sehr starken reflektiven Momenten, und Mahlers Musik unterstreicht genau diese Aspekte der Gedichtauswahl. Keinesfalls wird in den „Kindertotenliedern“ der Tod von Kindern besungen, er wird beklagt. Das macht die Werke aber auch so ergreifend. Mahler hat sich die Texte aus dem Konvolutvon Rückerts offenbar sehr gezielt ausgesucht. Jedes spiegelt auf seine Weise das Wechselbad der Gefühle angesichts des Verlustes. Und so finden sich in den Texten Trauer, Verdrängen, jähes Aufbegehren und, ja, auch das, Zuversicht und Tröstung. Hier zunächst die einzelnen Texte:


    1. Nun will die Sonn' so hell aufgehn


    Nun will die Sonn' so hell aufgehn,
    Als sei kein Unglück die Nacht geschehn!
    Das Unglück geschah nur mir allein!
    Die Sonne, sie scheinet allgemein!


    Du mußt nicht die Nacht in dir verschränken,
    Mußt sie ins ew'ge Licht versenken!
    Ein Lämplein verlosch in meinem Zelt!
    Heil sei dem Freudenlicht der Welt!


    2. Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen


    Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen
    Ihr sprühtet mir in manchem Augenblicke.
    O Augen, gleichsam, um in einem Blicke
    Zu drängen eure ganze Macht zusammen.


    Doch ahnt' ich nicht, weil Nebel mich umschwammen,
    Gewoben vom verblendenden Geschicke,
    Daß sich der Strahl bereits zur Heimkehr schicke,
    Dorthin, von wannen alle Strahlen stammen.


    Ihr wolltet mir mit eurem Leuchten sagen:
    Wir möchten nah dir immer bleiben gerne!
    Doch ist uns das vom Schicksal abgeschlagen.


    Sieh' recht uns an, denn bald sind wir dir ferne!
    Was dir noch Augen sind in diesen Tagen:
    In künft'gen Nächten sind es dir nur Sterne.


    3. Wenn dein Mütterlein


    Wenn dein Mütterlein
    tritt zur Tür herein,
    Und den Kopf ich drehe,
    ihr entgegen sehe,
    Fällt auf ihr Gesicht
    erst der Blick mir nicht,
    Sondern auf die Stelle,
    näher nach der Schwelle,
    Dort, wo würde dein
    lieb Gesichten sein,
    Wenn du freudenhelle
    trätest mit herein,
    Wie sonst, mein Töchterlein.


    Wenn dein Mütterlein
    tritt zur Tür herein,
    Mit der Kerze Schimmer,
    ist es mir, als immer
    Kämst du mit herein,
    huschtest hinterdrein,
    Als wie sonst ins Zimmer!
    O du, des Vaters Zelle,
    Ach, zu schnell
    erloschner Freudenschein!


    4. Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen


    Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen,
    Bald werden sie wieder nach Hause gelangen,
    Der Tag ist schön, o sei nicht bang,
    Sie machen nur einen weiten Gang.


    Ja wohl, sie sind nur ausgegangen,
    Und werden jetzt nach Haus gelangen,
    O, sei nicht bang, der Tag ist schön,
    Sie machen den Gang zu jenen Höh'n.


    Sie sind uns nur voraus gegangen,
    Und werden nicht hier nach Haus verlangen,
    Wir holen sie ein auf jenen Höh'n
    Im Sonnenschein, der Tag ist schön.


    5. In diesem Wetter


    In diesem Wetter, in diesem Braus,
    Nie hätt' ich gesendet die Kinder hinaus;
    Man hat sie getragen hinaus,
    Ich durfte nichts dazu sagen!


    In diesem Wetter, in diesem Saus,
    Nie hätt' ich gelassen die Kinder hinaus,
    Ich fürchtete sie erkranken;
    Das sind nun eitle Gedanken.


    In diesem Wetter, in diesem Graus,
    Nie hätt' ich gelassen die Kinder hinaus;
    Ich sorgte, sie stürben morgen,
    Das ist nun nicht zu besorgen.


    In diesem Wetter, in diesem Graus!
    Nie hätt' ich gesendet die Kinder hinaus!
    Man hat sie hinaus getragen,
    ich durfte nichts dazu sagen!


    In diesem Wetter, in diesem Saus, in diesem Braus,
    Sie ruh'n als wie in der Mutter Haus,
    Von keinem Sturm erschrecket,
    Von Gottes Hand bedecket.


    Das letzte der Lieder „In diesem Wetter, diesem Braus“ ist für mich das Bemerkenswertes der fünf. Es startet mit einer sehr ruppigen Orchestereinleitung und webt einen dramatischen Teppich für die ersten drei Strophen des Liedes. Dann ein Bruch: die letzte Strophe ist tröstlich, sie sagt „Loslassen“ und so endet das musikalische Orchesterdrama und wird abgelöst von sanften Klängen. Mahler lässt das Lied nicht abrupt enden, für die letzten zwei Minuten des Liedes spricht nur noch die Musik


    An Aufnahmen der "Kindertotenlieder" leidet es nun wahrlich keinen Mangel, für eine Sänger oder eine Sängerin dürften sie eine ungemeine Herausforderung sein. Das beginnt bei der notwendigen Balance zwischen Orchester und Stimme und endet bei der notwendigen Gestaltungsnotwendigkeit dieser emotional sehr fordernden Texte.


    Gleich 13 Jahre nach der Uraufführung und kurz nach der Einführung der elektrischen Schallaufzeichnung entstand die erste Aufnahme davon. Unter der Leitung von Jascha Horenstein sang Heinrich Rehkemper, eine Aufnahme, die in meine Ohren Maßstäbe setzt. Das liegt nicht nur am Dirigat Horensteins, der mit Furtwänglers Billigung und Ermunterung die Berliner Philharmoniker dirigierte, sondern an der Stimme Rehkämpers, der die Lieder imO nicht nur singt, sondern sehr intensiv gestaltet. Jascha Horenstein als einer der bedeutendsten Mahler-Exegeten seiner Generation (Walter / Klemperer / Horenstein) hatte die Kindertotenlieder immer wieder auf seinem Programm, es gibt eine weitere, spätere Studioaufnahme mit Norman Foster und Mitschnitte mit Janet Baker oder Marian Anderson.


    Bei den Damen bewegt mich die Aufnahme von Brigitte Fassbender unter der Leitung von Sergiu Celibidache am meisten (hier nur das 5. Lied):



    Ähnlich wie bei Rehkemper gelingt auch ihr das Durchleben und Übertragen der Emotionen, die den Liedern innewohnen. Die Gesangsstimme verstummt in dieser Aufnahme bei min 5:18, sie wird übernommen und fortgeführt vom Orchester das die trauernde Zuversicht der letzten Verse tröstend umhüllt.


    Ebenfalls packend die klare Altstimme von Kathleen Ferrier und das Dirigat von Bruno Walter



    Bei Otto Klemperer hadere ich ein wenig mit seinem Dirigat des 5. Liedes, das so gar nicht wetterbrausend wirkt. Das Abgehackt-Dramatische in der Partitur arbeitet Horenstein wunderbar heraus, bei Klemp wirkt es eher wie ein gemächliches Schreiten. Was bei dieser Kombination mit George London allerdings Jammern auf hohem Niveau ist.



    Weitere, wie ich finde, hörenswerte Aufnahmen sind die von Hermann Prey und Bernhard Haitink



    Dietrich Fischer Dieskau und Lorin Maazel (live)



    Janet Baker und Leonard Bernsteinhttps://www.youtube.com/watch?v=0sbokLv6ORU


    Und noch ein ältere, nämlich Kirsten Flagstad und Adrian Boult



    Das sollte nun erst einmal Diskussionsgrundlage sein.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ein schöner Vorschlag!

    Bei Mahlers drei bekannten Liederzyklen nahmen die Kindertotenlieder hinter den Liedern eines fahrenden Gesellen auf Platz 1 und den Rückert-Liedern auf Platz 2 immer das Schlusslicht ein, die Kindertotenlieder wollten bislang nie so wirklich an mich. Insofern schön, dass wir uns jetzt zwei Wochen damit beschäftigen werden, ich habe die Hoffnung, dass mir die Kindertotenlieder näher gebracht werden können.

    Und wie es der Zufall will, habe ich erst vor knapp einer Woche an einem Tag Bernsteins Sony-Aufnahmen mit Janet Baker/Israel Philharmonic Orchestra (1974) und Jennie Tourel/New York Philharmonic (1960) gehört. An Aufnahmen mangelt es mir jedenfalls nicht, ich freue mich auf die tiefergehende Beschäftigung mit den Liedern!


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Das ist natürlich tolle Musik, die von Thomas Pape hervorragend vorgestellt worden ist.


    Ich habe an dieser Stelle aber ein Problem, für das Mahler nichts kann. Seit ich selbst Vater eines kleinen Sohnes bin, kann ich die "Kindertotenlieder" nicht mehr anhören.


    Deswegen bitte ich um Euer Verständnis, wenn ich in dieser Runde nicht an der Diskussion teilnehme.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Lieber Thomas Pape Vielen Dank für die Vorstellung dieser Musik. Sie ist für mich neu. Ich habe mir jetzt eine Einspielung bestellt wo ein Klavier begleitet, um mich einzugewöhnen. :) Aber ich werde natürlich auch die Orchesterfassung hören-


    PS: Ich höre sie gerade in der historischen Version mit Heinrich Rehkemper

  • Von den Kindertotenliedern nach Friedrich Rückert (1788-1866) besitze ich zwei unterschiedliche Kammerversionen:



    Bearbeitung für Kammerensemble

    von Reiner Riehn (*1941)


    Sara Mingardo, Alt

    Grazia Raimondi, Violine

    Silvio Di Rocco, Viola

    Olaf Laneri, Klavier

    Luigi Piovano, Violoncello

    Musici Aurei

    Luigi Piovano


    Reiner Riehn hat diesen Liederzyklus, den Mahler zwischen 1901 und 1904 komponierte, 1987 für Kammerensemble eingerichtet: Flöte, Oboe, Clarinette, Bass-Clarinette, Fagott, Horn in F, Harmonium, Klavier, Schlagzeug (Triangel, Glockenspiel), 2 Violinen, Viola, Violoncello und Contrabaß.

    Gerhardt Müller-Hornbach weicht bei seiner etwa 2005/2006 entstandenen Bearbeitung von der Instrumentation leicht ab und verwendet neben der Oboe abwechselnd auch eine Oboe d'amore sowie ein Englischhorn, verzichtet aber auf die Bass-Clarinette:



    Bearbeitung für Kammerensemble

    von Gerhardt Müller-Hornbach


    Klaus Mertens, Bass-Bariton

    Mutare Ensemble

    Gerhard Müller-Hornbach


    Die Instrumentierung ist bei beiden Arrangeuren recht ähnlich umgesetzt; beide Einspielungen spielen in jeweils gleichen Tonarten, weshalb es sehr interessant ist, die vorgeschriebene "mittlere Singstimme" (Mahler) zu vergleichen: einmal Bass-Bariton (Klaus Mertens) und einmal Alt (Sara Mingardo). Beeindruckender wegen der teilweise exorbitant tiefen Stimme empfinde ich jedenfalls Sara Mingardo, was aber nicht heißt, daß ich Klaus Mertens sonore Stimme weniger mag. Die Oboen klingen in der Müller-Hornach-Variante etwas schärfer (wenn keine d'amore oder das Englischhorn eingesetzt wird), diese Einspielung lässt sich auch insgesamt etwa 2 Minuten mehr Zeit, besonders Nr. 1 wird deutlich mehr ausgekostet, weshalb aber Mingardos Interpretation keineswegs gehetzt klingt. Bei beiden Einspielungen stehen unterschiedlich mal die Bläser, mal die Steicher etwas mehr im Vordergrund: gerade bei Nr. 5 "In diesem Wetter" ist der Unterschied sehr eklatant. Außerdem gesellt sich bei Müller-Hornbach bei diesem Lied noch ein Tam Tam (wie in Mahlers Original) hinzu.


    Insgesamt liebe ich all diese Lieder sehr, meine Vorliebe ist Nr. 3 "Wenn dein Mütterlein" und Nr. 5 "In diesem Wetter"; textlich gehört auch Nr. 4 "Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen!" zu meinen Favoriten. Irgendwie assoziiere ich beim Hören dieser Lieder stets "Hänsel & Gretel" - das ein oder andere Lied könnte man sicher problemlos in Humperdincks Oper unterbringen...

    Welche der beiden CDs mir wirklich besser gefällt, kann ich kaum sagen: die Singstimmen können unterschiedlicher wohl kaum sein und beide gehören zu den Spitzensingstimmen unserer Zeit (das werde ich dann wohl in Abhängigkeit von der Tagesform von Fall zu Fall entscheiden müssen). Über die Frage, ob Männer- oder Frauenstimme passender ist, mag man geteilter Meinung sein; die Texte Rückerts sind diesbezüglich m. E. nicht wirklich festgelegt (bei Nr. 3 könnte man erneut streiten...) - historisch korrekt wäre der Einsatz einer männlichen Stimme, denn Friedrich Weidemann (1871-1919) sang diese Lieder bei der Uraufführung am 29. Januar 1905.


    Die Transparenz der solistischen Besetzung ist bei beiden hervorragend, allerdings mit deutlich unterscheidbarer Gewichtung (s.o.), Klavier und Harmonium kommen mir akustisch allerdings bei beiden etwas zu kurz; umso erfreuter bin ich, den Klang dieser beiden Instrumente gelegentlich zu vernehmen.


    Vielleicht erinnert sich der ein oder andere auch an die DiFiDi-DVD mit den Kinderbackbuchsongs „Kindertortenlieder“?

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

  • Die Kindertotenlieder sind mir wohl bekannt und ich höre sie in jeder Mahler-Phase gerne. Übrigens geht es mir ein bisschen wie Symbol : Seit wir eine Tochter haben, muss ich doch teilweise sehr schlucken bei diesen Texten und ihrer durch die Musik verstärkten Wirkung. Letztlich drücken diese Lieder meiner Meinung nach das aus, was vielleicht das schlimmste ist, was im Leben passieren kann (zumal wir mit den medizinischen Möglichkeiten unserer Zeit ohnehin nicht mehr an das Kindersterben 'gewöhnt' sind - was nicht bedeuten soll, dass es nicht zu allen Zeiten für die Eltern furchtbar war). Nr. 3-5 beeindrucken mich am meisten.


    Musikalisch mag ich am meisten "Wenn dein Mütterlein" mit dieser herrlichen, aber auch unsagbar traurigen Englischhorn-Melodie. Eine Melodie, die man nie wieder vergisst, die mich tief ins Mark trifft, besonders auch in ihrer kunstvollen Linie und Verarbeitung. Bei der Stelle "dort wo würde dein lieb Gesichtchen sein, wenn du freudenhelle trätest mit herein" kommen mir als Vater in der Tat die Tränen. Wie unsagbar traurig! Anklänge an Bachs "Herr nun lass in Friede" BWV 337 sind wohl kein Zufall. Im Gegenteil: Dieses Lied, dem im eigentlichen Sinne und im Gegensatz zu den anderen vier Lieder kein Trost innewohnt, wird in einen religiösen Kontext gestellt. Im Choral heißt es: "Herr nun lass in Friede, lebenssatt und müde, deinen Diener fahren, zu den Himmelscharen. Selig und im Stillen, doch nach deinem Willen". Besondere Ähnlichkeit ergibt sich in der abfallenden Melodielinie von "Selig und im Stillen, doch nach deinem Willen". Auch das vielleicht kein Zufall, denn der erste Choralteil passt überhaupt nicht, wirkt eher wie Hohn: Kein Kind ist lebenssatt. Doch der Tod des Kindes im Stillen und offensichtlich nicht nach dem eigenen Willen, sondern nach einem anderen (entweder kontingent oder als Kontingenzbewältigung eben auch Gott zu gesprochen) verleiht dem Gefühl des lyrischen Ichs recht passend Ausdruck und wenn schon keinen Trost, dann wenigstens Verständnis. Das ist eine großartige Verbindung.


    Auch Nr. 4, "Oft denk ich sie sind nur ausgegangen" berührt mich. Die auffahrende Melodik mit ihrer tänzerischen Eleganz musikalisiert die falsche Hoffnung, die sich implizit im Text versteckt. Um mit der Trauer fertig zu werden, stellt das lyrische Ich sich vor, wie es wäre, wenn die Kinder einfach nur mal ausgegangen wären und "bald werden sie wieder nach Hause gelangen". In der Tat: "Der Tag ist schön, o sei nicht bang". In der finalen Verklärung und Verzückung der hohen Streicher zum Wort "Sonnenschein" steigt diese Hoffnung bzw. dieser Selbstbetrug gleichsam empor - ich höre es als Gebet.


    Nr. 5 "In diesem Wetter" erinnert mich klanglich an einige Wunderhorn-Lieder. Wie ich in Helmut Hofmann s geistreicher Besprechung grade nochmal nachgelesen und bestätigt gefunden habe: Das lyrische Ich ist nun auf sich, auf seine Existenz und auf das Existenzielle (Vergleich zum Wetter) geworfen. Letztlich entspricht die aufgewühlte Begleitung sicher der Gefühlswelt des lyrischen Ichs. Die eigene Liebe und Fürsorge wird in Kontrast zur Grausamkeit der Welt gestellt: "In diesem Wetter in diesem Braus, nie hätt ich gesendet die Kinder hinaus, man hat sie hinaus getragen, ich durfte nichts dazu sagen". Sicherlich ein existenzielles Gefühl bei der Konfrontation mit dem Tod: Ohnmacht. Sie wird wunderbar musikalisiert: Allmählich weicht die Unruhe und wütende Ohnmacht am Ende einer Resigniation. Die liegenden Holzbläser und die wiegenden Streicher verklingen. Sie beinhalten Resignation, Trauer, Endgültigkeit, vielleicht auch einen Funken Trost.


    Wie aus seinen anderen Liederzyklen zitiert Mahler in seinem sinfonischen Werk auch die Kindertotenlieder. Hier allerdings viel weniger auffällig, als insbesondere bei den Wunderhorn-Liedern oder auch bei "Ich bin der Welt abhanden gekommen" aus den Rückert-Liedern. Im Finale der 9. Sinfonie tauchen aber Wendungen aus "Oft denk ich sie sind nur ausgegangen" auf. Die verklingende Musik dieses Finales wird dabei mit "innigster Empfindung" und immer wieder "ersterbend" gespielt. Eine Gemeinsamkeit zu den Kindertotenliedern; auch hier ein Abschied.


    Ich mag besonders die Interpretation der Berliner unter Karl Böhm, gesungen von DFD (hier kann ich sein Timbre gut haben).

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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  • Bei mir gibt es den doppelten Mahler: den Liederkomponisten und den Sinfoniker, wobei ich die Sinfonien 1-4 zur Hälfte den Liedern zurechne. Sinfonie 1: Zitate "Lieder eines fahrenden Gesellen". Sinfonie 2: "Urlicht"; Sinfonie 3: "O Mensch"; Sinfonie 4: "Das himmlische Leben."

    Die Sinfonien 5-9 sind mir immer fremd geblieben, obwohl sie sehr schöne einzelne Sätze enthalten.

    Ich habe sie alle auch live gehört, aber das hat nichts ausgelöst, mir sie noch mal "einzuverleiben", wie ich das bei 1-4 gemacht habe. Bei den Sinfonien 2-4 kommt sogar Pingel' s Rasiermesser zum Tragen. Bevor ich mir eine Aufnahme ganz anhöre oder zulege, höre ich, meist über YT, mir erst die Lieder an; danach behalte ich die Aufnahme oder höre sie gar nicht.

    Die Mahlerschen Liederzyklen begleiten mich seit meiner Studentenzeit. In meinem Wiener Semester (1965) habe ich sie bei Spaziergängen im Prater (mein Studentenheim war 100 m vom Prater entfernt) oder bei kleinen Wanderungen in der Umgebung (Kahlenberg) leise oder im Kopf gesungen. Die Lieder eines fahrenden Gesellen konnte ich zuerst (ich hatte am Anfang immer die Texte mit), dann kamen die "Kindertotenlieder", dann das "Lied von der Erde", hier aber nur "Der Abschied". Später dann die Wunderhornlieder und die Rückertlieder. Danach dann eines der frühen Werke, "Das klagende Lied".

    Bei einem befreundeten Ehepaar haben wir bei Treffen oft die schönsten Mahlerlieder mit Klavierbegleitung gesungen

    Die Kindertotenlieder kenne ich also seit über 60 Jahren und ich bin ihrer noch nicht überdrüssig geworden. Dass die Kollegen Symbol und Tristan sie gar nicht oder mit Vorsicht hören, kann ich gut verstehen. Ich selber habe es erlebt, dass eine befreundete Familie ein Kind (8 Jahre) verloren hat. Ich selber habe keine Kinder, bin aber gut befreundet mit Familien, die insgesamt 11 Kinder oder Enkel haben. Die kenne ich alle von der Babyzeit an, habe aber eine gute Bindung nach wie vor, obwohl sie schon Teenies oder Studenten sind. Seitdem kann ich nachfühlen, wie es Eltern geht, die ein Kind verlieren.


    Ich habe mal in einige der hier vorgestellten Aufnahmen reingehört. Da bei mir immer das Stück an erster Stelle steht, kann ich mit alten Aufnahmen vor der CD-Zeit nichts anfangen. Das gilt bei mir für alle alten Aufnahmen. Ich finde auch, dass man die wirkliche Qualität der Sänger nicht einschätzen kann; vielleichtgibt es hier ja Kenner, die das können. Ich kann es nicht und lasse es. Bei diesem Stück liegen mir auch die Frauenstimmen nicht. Im Grunde liegt das auch daran, dass ich auf Fischer-Dieskau "sozialisiert" bin, der mir hier unübertroffen erscheint, vor allem sein Legato in den ruhigen Stellen. Da stimme ich Tristan zu.


    Nachtrag: Rückert hat den Gedichtband "Liebesfrühling" für seine Frau geschrieben, daraus kenne ich nur das Lied "Liebst du um Schönheit". Mahlers "Kindertotenlieder" ist eine sehr kleine Auswahl aus dem gleichnamigen Gedichtband Rückerts.

    Was ist der Unterschied zwischen der SPD und der Titanic? Die SPD kann den Eisberg jetzt schon sehen!

  • Übrigens geht es mir ein bisschen wie Symbol : Seit wir eine Tochter haben, muss ich doch teilweise sehr schlucken bei diesen Texten und ihrer durch die Musik verstärkten Wirkung.


    Symbol: "Seit ich selbst Vater eines kleinen Sohnes bin, kann ich die "Kindertotenlieder" nicht mehr anhören"

    Hierzu Christian Gerhaher:

    "Ich singe diesen Zyklus oft, weil er so großartig ist, aber ich habe immer ein schlechtes Gefühl dabei und denke, wenn sich Menschen im Publikum befinden, die ein Kind verloren haben, kann man ihnen das eigentlich nicht antun (schließlich waren ja auch die um die 400 Gedichte Rückerts über den Tod seiner Kinder und das Leiden der Eltern daran nicht für die Öffentlichkeit gedacht).

    Ich empfinde es fast als eine Art Anmaßung, nicht nur vom Komponisten, sondern auch vom Interpreten, das auf der Bühne darzustellen. Es ist ein schwieriger, dennoch unverzichtbarer Zyklus."

    (Christian Gerhaher, "Halb Worte sind`s, halb Melodie", Gespräche mit Vera Baur. Henschel-Verlag 2015, S. 111/12).


    Hatte Alma Mahler vielleicht doch ein wenig recht mit ihrer Kritik an dieser Komposition Mahlers?

  • Und nun noch eine These Christian Gerhahers, vielleicht als Anregung zur gegenstandsbezogenen Diskussion:


    "Dieser Zyklus ist in seiner Thematik einzigartig und, wie ich finde, auch problematisch. Was hier geschieht und womit man hier konfrontiert wird, ist in meinen Augen am Rande der Indiskretion. Ich habe vor allem mit dem letzten Lied In diesem Winter große Schwierigkeiten, obwohl, vielleicht aber auch weil es mit dem Wiegenlied einen so versöhnlichen Ausgang findet. Dieser Wintersturm, der zum Herzenssturm wird, ist zwar illustrativ gekonnt und eindrücklich dargestellt, geht in der Vereinnahmung des Bildes des trauernden Elternteils in meinen Augen aber zu weit.

    Die Reaktion der Eltern auf den Tod des Kindes wird hier in einer fast manipulativen Weise imaginiert, wie sie dem von Mahler sonst immer gewahrten Geschmack meines Erachtens nicht mehr ganz entspricht. "

    (a. a. O., S. 111)


    Meine Meinung dazu:

    Höchst bemerkenswert ist: Den Liedern geht, bei aller inneren Betroffenheit des Komponisten durch ihren Gegenstand, jegliche Sentimentalität und klangliche Rührseligkeit ab. Der Mahler-Biograph Jens Malte Fischer hat schon recht, wenn er feststellt:

    „Hier spricht und singt jemand, der gelernt hat, seine Gefühle aufs äußerste zu kontrollieren, nicht in Weinkrämpfen zusammenzubrechen.“ Und man möchte hinzufügen: Dieser hochgradig emotional kontrollierte liedkompositorische Umgang mit den von starker emotionaler Betroffenheit geprägten lyrischen Texten Rückerts macht die eigentliche musikalisch-künstlerische Größe dieses Werkes aus.


    Warum aber vermag es dann seine Hörer dennoch so zu erschüttern, dass einer seiner Interpreten, Christian Gerhaher nämlich, zu dem Bekenntnis gelangt:

    „Ich singe diesen Zyklus oft, weil er so großartig ist, aber ich habe immer ein schlechtes Gefühl dabei und denke, wenn sich Menschen im Publikum befinden, die ein Kind verloren haben, kann man ihnen das eigentlich nicht antun.“

    Die Antwort auf diese Frage dürfte in eben diesem liedkompositorischen Konzept Mahlers zu finden sein. Weil es, selbst im letzten Lied, nicht auf die schiere Evokation von Emotionen mit klanglichen Mitteln ausgerichtet ist, sondern die semantische Dimension von Rückerts lyrischen Texten mit einer polyphon strukturierten und darin gleichsam dem Geist der Sachlichkeit verpflichteten Liedmusik auslotet, gewinnt die künstlerisch-musikalische Auseinandersetzung mit der lyrischen Artikulation des Erlebnisses des Kindestods eine solch erschütternde Wirkung.

  • (schließlich waren ja auch die um die 400 Gedichte Rückerts über den Tod seiner Kinder und das Leiden der Eltern daran nicht für die Öffentlichkeit gedacht)

    Ob sie so ganz und gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren kann ich nicht sagen. Offenbar sind doch einig davon zu Lebzeiten in Druck gegangen. Sagt Wikipedia. In meiner, von Conrad Beyer besorgten Werkausgabe der Werke Rückerts von 1896 bilden sie zumindest keine eigene Gruppe. Was davon in der Lese des Jahres 1834 auftaucht müsste ich in Ruhe nachlesen. Vollständig veröffentlicht wurden sie zunächst durch einen Sohn Rückerts, in der Ausgabe von Wohlschläger finden sich alle Gedichte und zudem die Tagebucheinträge von Rückerts Frau, die das Leiden der Kinder und der Familie beschreiben.


    Es ist mir bewusst, dass die "Kindertotenlieder" jenseits des Musikalischen eine Herausforderung sind. Die Indiskretion, die Gerhaher anspricht, scheint mir aber eher darin zu bestehen, daß Rücker dem Verlustschmerz Sprach verleiht, denn alles, auch der Schemrz, will in irgendeiner Form versprachlicht sein, damit ich es als Betroffener selbst verstehen kann. Und da, wo die Sprache nicht hinlangt, übernimmt die Musik.


    Jenseits der von Mahler vertonten Gedichte scheint immer wieder der Orientalist Rückert durch, einige Gedichte folgen dder Struktur arabischen Ghaselen. Das sind keine einfach hingeworfenen Texte, das ist hohe Literatur. Ich habe selber eine Stieftochter und die ist 32. Als die vergangene Woche zum Chmions-League-Spiel nach Zagreb geflogen war hatte ich bis zu ihrer Rückkehr das Hören der Kindertotenlieder eingestellt (besonders Nr. 5). Da war mir doch sehr mulmig (was sonst kaum vorkommt). Nicht nuir kleine Kinder werdne von der (stief-)väterlichen Sorge begleitet. Ich bertrachte das jetzt einmal als ein Leistung von Musik und Text, wie mir ebenbürtiges nicht bekannt ist.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Von Helmut Hofmann, von Euch anderen ganz ebenso, kann ich hier viel lernen. Und überdies gibt es ja seinen detaillierten Faden zu den Liedern im Einzelnen, den er oben verlinkt hat.


    Eine Reihe von Einspielungen finde ich im Regal, wobei ich nun kein Liedspezialist bin.


    Janet Baker/ Hallé Orchestra/ John Barbirolli (1967)

    Siegfried Lorenz/ Gewandhausorchester Leipzig/ Kurt Masur (1980?)

    Dietrich Fischer-Dieskau/ Berliner Philharmoniker/ (1955)

    Kathleen Ferrier/ Wieder Philharmoniker/ Bruno Walter (1949)


    Meines Erachtens wird das Persönliche durch die Texte Rückerts und durch die ungemein griffige Musik Mahlers durchaus auf eine Ebene gehoben, die vom allzu Subjektiven abstrahiert. Und ich meine schon auch, dass die Lieder, die ich gerne, aber nicht oft höre und die freilich sehr oft im Konzertsaal, auf Tonträger sowieso oder im Rundfunk dargeboten werden, bewusst jegliche Rührseliigkeit vermeiden. Eher - und das gehört aber bereits zur Abstraktion, meine ich - wird, etwa in der Wettersymbolik, die innere Aufruhr thematisiert. Ich will es mir nicht vorstellen müssen, aber ich könnte mir vorstellen, dass unter den Gefühlsregungen Betroffener im Persönlichen Letzteres wesentlicher ist.


    Gewiss geht das kritische Zitat von Gerhaher nicht ganz in diese Richtung und gewiss will ich ihm da eine andere Kompetenz zubilligen. Das "schlechte Gefühl" wiederum halte ich eigentlich für unnötig. Wer in ein Konzert geht, weiß doch eigentlich, was er zu hören bekommt - und sei es nur der Titel, wenn er die Musik nicht kennt. Doch was weiß ich da schon!


    Wie relevant erscheint Euch eigentlich der Unterscheid, ob eine Frau, ob ein Mann singt?


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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  • Höchst bemerkenswert ist: Den Liedern geht, bei aller inneren Betroffenheit des Komponisten durch ihren Gegenstand, jegliche Sentimentalität und klangliche Rührseligkeit ab. Der Mahler-Biograph Jens Malte Fischer hat schon recht, wenn er feststellt:

    „Hier spricht und singt jemand, der gelernt hat, seine Gefühle aufs äußerste zu kontrollieren, nicht in Weinkrämpfen zusammenzubrechen.“ Und man möchte hinzufügen: Dieser hochgradig emotional kontrollierte liedkompositorische Umgang mit den von starker emotionaler Betroffenheit geprägten lyrischen Texten Rückerts macht die eigentliche musikalisch-künstlerische Größe dieses Werkes aus.

    Dem stimme ich zu, lieber Helmut. Die Lieder sind in der Tat bemerkenswert unsentimental, wenn auch "Wenn dein Mütterlein" wirklich auch musikalisch tieftraurig ist. Alles andere wäre vermutlich auch nicht aushaltbar.

    Dementsprechend empfinde ich diese Werke auch nicht als unzumutbar - jeder Hörer kann zudem selber entscheiden, ob er sich diesen Werken und diesem Themenkomplex widmen möchte.

    Dass aber die Texte, verbunden mit der Musik - wie unsentimental sie auch sein mag - beim ansprechbaren Hörer dennoch Traurigkeit etc. auslösen können, liegt auch auf der Hand. Eben weil, wie Thomas sagt, die Musik über das sagbare Wort hinaus geht.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Eure letzten Beiträge machen es mir leichter zu sagen - was ich mit Sicherheit sowieso vorhatte zu sagen:

    Ich werde diese Liedern Nier hören - ich wollte sie lebenslang nicht hören - und damit wird sich auch nichts ändern Ein zu Depessionen neigender Mensch erwarte von Musik Aufhellung der Stummung und er will nicht niedergedrückt werden - notaben wenn es ihm derzeit gesungeitlich eher schlecht geht. ICh hatte es schon - in Bezug auf andere Mitspieler in diesem Thread - schon mal geschrieben: Auch die Ablehnung eines Werkes - aus welchen Gründen immer - ist eine Stellungnahne - ein aktives Mittun an diesem Thread. Es wäre wohl auch sehr unwahrscheinlich, wenn alle vorgestellten Werke allen entsprächen.

    Immerhin ist die von den Mitgliedern insgesamt getroffene Auswahl eher bemerkenswert: Von wenigen Ausnahmen abgesehen neigen sie sich dem eher sperrigen bis düsteren Teil der klassischen TEil der klassischen Musik zu. Das dürfte aber eine allgenein Zeiterscheinung sein.


    LG aus der Metropole Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Wenn dein Mütterlein...


    Wie für Tamino ist auch dieses Lied (auf 5 komme ich noch) für mich das Lieblingslied. Ich habe lange nachgedacht, warum eigentlich. Hier gelingt Rückert und Mahler etwas, das man vielleicht als "Porträt" bezeichnen kann. Es geht also nicht um Sturmgebraus und Verzweiflung, sondern hier finden wir ein intimes Porträt von Mutter (undeutlich), Vater (mit einem Ausbruch am Schluss des Liedes) und der kleinen Tochter. Insgesamt wie ein gemaltes Bild (2x "Freudenschein"), das sich auch im Gehirn so darstellt. Dazu ein geniales Wort, das man nie vorher und nachher gehört hat und auch nie wieder vergisst: freudenhell.

    Das Leben raubt uns mehr als der Tod (Johannes Brahms)

    Ich glaube übrigens auch, dass dieser Zyklus sich nicht nur an Eltern richtet, sondern an jeden Menschen, der lebensbedrohende Verluste erlebt hat, wonach er erlebt, was Mahler in einem anderen Lied vertont hat: Ich bin der Welt abhanden gekommen.



    Was ist der Unterschied zwischen der SPD und der Titanic? Die SPD kann den Eisberg jetzt schon sehen!

  • (In Zeile drei sind zwei Wörter vertauscht: hinaus getragen).

    Ich habe immer gerätselt, was dieser Vers bedeutet; es stellt sich so dar, als ob es einen Unglücksfall gab, den der Vater verhindert hätte, wenn man ihn gelassen hätte.

    Was ist der Unterschied zwischen der SPD und der Titanic? Die SPD kann den Eisberg jetzt schon sehen!

  • es stellt sich so dar, als ob es einen Unglücksfall gab, den der Vater verhindert hätte, wenn man ihn gelassen hätte.

    Für mich nicht; Schlafes Bruder hat sie ihm - naturgemäß ohne vorherige einvernehmlich endende Verhandlungen - einfach genommen. Das ist die Erkenntnis und Akzeptanz des Geschehenen.

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

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  • Für mich nicht; Schlafes Bruder hat sie ihm - naturgemäß ohne vorherige einvernehmlich endende Verhandlungen - einfach genommen. Das ist die Erkenntnis und Akzeptanz des Geschehenen.

    Das ist zutreffend als Verständnis dieser Worte. Und es ist "Erkenntnis", "Akzeptanz" aber ist es nicht. Vom Kontext her, in dem sie stehen.

  • Opernheld mit T: Tristan?! ;)

    Du siehst, wie sehr du hier schon angekommen bist, also eine Freudsche Fehlleistung der angenehmeren Art.

    Was ist der Unterschied zwischen der SPD und der Titanic? Die SPD kann den Eisberg jetzt schon sehen!

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  • Die letzte Zeile („Das ist nun nicht zu besorgen“), so meine ich, sehr wohl.

    "Ich sorgte, sie stürben morgen,
    Das ist nun nicht zu besorgen".

    Ich lese das als Feststellung eines Sachverhalts. Die "Erkenntnis" - um deinen Begriff zu benutzen - der faktischen Gegebenheiten.

    Eine Akzeptanz derselben vermag ich nicht daraus herauszulesen. Eine solche findet in diesem Text auch keinen Ausdruck.

    Ich gehe mal interpretierend auf ihn ein:


    In diesem Wetter, in diesem Braus,
    nie hätt´ ich gesendet die Kinder hinaus;
    man hat sie getragen, getragen hinaus; (R.: ohne Wiederholung)
    ich durfte nichts dazu sagen. (R.: dazu nichts)

    In diesem Wetter, in diesem Saus,
    nie hätt´ ich gelassen die Kinder hinaus,
    ich fürchtete, sie erkranken;
    das sind nun eitle Gedanken.

    In diesem Wetter, in diesem Graus,
    hätt´ ich gelassen die Kinder hinaus,
    ich sorgte, sie stürben morgen,
    das ist nun nicht zu besorgen.

    In diesem Wetter, in diesem Graus!
    Nie hätt´ ich gesendet die Kinder hinaus;
    man hat sie hinausgetragen,
    ich durfte nichts dazu sagen! (R.: dazu nichts)

    In diesem Wetter, in diesem Saus, in diesem Braus, (R.: ohne „in diesem Saus“)
    sie ruh´n, sie ruh´n als wie in der Mutter, der Mutter Haus,
    (R.: Sie ruhn als wie in der Mutter Haus)
    von keinem Sturm (R.: Sturme) erschrecket,
    von Gottes Hand bedecket, (hier endet das Rückert-Gedicht)
    sie ruh´n, sie ruh´n wie in der Mutter Haus, wie in der Mutter Haus.

    Das lyrische Ich zeigt sich in diesem Gedicht als in seinem Leid ganz und gar auf sich selbst zurückgeworfen. Es wird sich seiner elementaren Hilflosigkeit bewusst. Die Quelle ist die erschreckende Erfahrung, dass die Kinder in eine grausige Welt außerhalb des sie beschützenden Hauses hinausgetragen werden, ohne dass es etwas dagegen ausrichten kann. Es wird nicht gefragt. „Man hat sie hinausgetragen, / ich durfte nichts dazu sagen!“, so stellt es erbittert fest.

    Alle seine Besorgnis um das Leben der Kinder, alle Fürsorglichkeit, die es für sie aufbrachte, sie konnten den Tod nicht verhindern. Das permanente konjunktivische „Nie hätt´ich“ wirkt wie eine Beschwörung dieser Fürsorge, die sich nun als nutzlos erweist. Es ist das Ausgeliefert-Sein des Menschen an den elementaren, ihm gegenüber gleichgültigen Gang von Natur und Welt, das sich hier lyrischen Ausdruck verschafft.
    Mit diesem Ausgeliefert-Sein kann es sich nicht wirklich abfinden, kann es nicht akzeptieren. Aus den faktischen Gegebenheiten vermag es nur herauszufinden und sich zu trösten in dem Glauben, den es in der letzten Strophe zum Ausdruck bringt: „Sie ruh´n als wie in der Mutter, der Mutter Haus, von keinem Sturm erschrecket, von Gottes Hand bedecket“

    Mahler musste sich in seiner Weltsicht zutiefst davon angesprochen fühlen, - und angesprochen auch von dem in der letzten Strophe vorgefundenen lyrischen Entwurf einer Befreiung und Erlösung von diesem Geworfen-Sein des Menschen in einen übermächtigen Weltenlauf: Es ist das Gefühl und das Wissen eines Geborgen-Seins im Glauben.

  • Aus den faktischen Gegebenheiten vermag es nur herauszufinden und sich zu trösten in dem Glauben, den es in der letzten Strophe zum Ausdruck bringt: „Sie ruh´n als wie in der Mutter, der Mutter Haus, von keinem Sturm erschrecket, von Gottes Hand bedecket“

    Ich habe die letzte Strophe, ähnlich wie Du, als beruhigendes Element erfahren. Ist dieser Trost nicht doch etwas wie "Abfinden" und schließlich "Akzeptanz"?

  • Ist dieser Trost nicht doch etwas wie "Abfinden" und schließlich "Akzeptanz"?

    Akzeptanz würde ich verneinen. Unsere Sprache ist ja gottlob vielschichtig genug. Auch würde ich unterstellen, dass ein solch technokratisches Wort nicht zum Wortschatz Rückerts zähle. Abfinden würde die zumindest in der Vertonung Mahlers liegende Entrückung nicht erklären. Womit Mahler freilich Rückert interpretiert. Aber dennoch: der persönliche Erfahrungshintergrund der beiden ist ähnlich, und ich würde diese letzten Versen mit dem Wort "Tröstung" überschreiben wollen. Oder, eher zeitgängig, "Verklärung. Inwieweit man bei diesem Denken in der jüdisch-arabischen Gedankenwelt nachsuchen müsste lasse ich einmal außen vor.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Von der Anzahl und Reihenfolge der Lieder her passen die Texte ziemlich gut auf die 5 Trauerphasen.

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

  • Von der Anzahl und Reihenfolge der Lieder her passen die Texte ziemlich gut auf die 5 Trauerphasen.

    Verhandlung und Depression wären aber getauscht würde ich sagen. "Wenn dein Mütterlein" Depression, "Oft denk ich" Verhandlung...

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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