Alle sprechen über dasselbe Musikwerk

  • Das liegt aber nicht an der Aufnahme, sondern an der Wiedergabe. Das hatte ich auch mal. Bei einer DVD waren bei Klavier ausgerechnet Bild und Ton nicht synchron. Beim neuen Gerät, was ich jetzt habe, stimmt es aber genau. Bei einem modernen AV-Receiver kann man das einstellen und den "Fehler" beheben. ;)

    Aus den Kommentaren der Nutzer ist aber ersichtlich, dass dieses Problem einige andere auch haben. Das ändert nichts an der mangelnden musikalischen Qualität der Aufnahme.

    Ich nehme mal ein anders Beispiel. In einer Aufnahme von "Herzog Blaubarts Burg" singt John Tomlinson den Blaubart. Und es ist ein Bild des Jammers, wie er sich anstrengt und abmüht. Das ist hier durchweg genauso, besonders bei den 4 Solisten.

    Wenn man danach die französische Aufnahme hört, denkt man, man hört ein anderes Stück.

    Anyway, neben einem superbekannten Stück burana) habe ich ein völlig neues, interessantes gehört (noces). Das ist ja oft tröstlich beim "Beifang"!

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

  • Lieber Dr. Pingel,


    es kann natürlich sein, dass dieser Fehler beim Hochladen des Videos in Youtube "eingebaut" wurde. Ich höre mir das nachher mal auf meiner Anlage an, ob das bei mir auch so unsynchron ist. Das zu erklären ist etwas für Techniker... ^^ Offenbar taucht dieses Problem bei Videos aber öfters auf, weswegen AV-Verstärker die Möglichkeit haben, Bild und Ton zu synchronisieren manuell. :hello:

  • Ich habe es mir gerade auch angesehen und angehört. Total nervig! Das Bild ist sehr deutlich verschoben zum Ton. Dann ist es besser nichts zu sehen, als die Mundbewegungen der Sängerin so deplatziert. =O


    Mit meiner kleinen Desktop-Anlage kann ich das leider nicht korrigieren. Da sollte Derjenige, der das hochgeladen hat, das nochmals neu machen.

  • Kaum zu glauben, aber auch Orffs Carmina gibt es historisch informiert:



    Yeree Suh, Yves Saelens, Thomas Bauer
    Collegium Vocale Gent, Cantate Domino
    Anima Eterna Brugge


    Jos van Immerseel


    Eine idealere Besetzung bei den Solisten kann ich mir kaum vorstellen.




    Man muß nur den Schuh umdrehen, dann wird ein Spieß daraus.
    (Johann König)

  • Kaum zu glauben, aber auch Orffs Carmina gibt es historisch informiert:


    Jos van Immerseel


    Eine idealere Besetzung bei den Solisten kann ich mir kaum vorstellen.


    Lass' mich mal raten: Lässt van Immerseel auch hier die Streicher ohne Vibrato spielen, so wie bei seinen Gershwin-Aufnahmen? Falls ja, ist die Aufnahme nicht "historisch informiert".


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

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  • Lass' mich mal raten: Lässt van Immerseel auch hier die Streicher ohne Vibrato spielen, so wie bei seinen Gershwin-Aufnahmen? Falls ja, ist die Aufnahme nicht "historisch informiert".


    LG :hello:

    Stimmt - das ist oder wäre sie dann eben gerade nicht! Auch Immerseels Poulenc trifft aus diesem Grund nun nicht die lautere Wahrheit und bei Ravel - Klavierkonzert für die linke Hand - würde man sich ebenfalls streiten können. (Ich muss gestehen, dass ich die Ravel-Aufnahme(n) mehrmals gehört habe, dass ich sie interessant finde - mit einem ganz kleinen Augenzwinkern bezüglich des Adjektivs -, aber spontan nicht sagen könnte, ob Vibrato praktiziert wird. Der Bolero wiederum ist nicht kaputt zu machen, meine ich.)

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Kaum zu glauben, aber auch Orffs Carmina gibt es historisch informiert:

    Ich gestehe, dass mir das dann doch zu weit geht. Knapp dreissig Jahre vor meiner Geburt geschrieben, was will man denn da kopieren? Den Spielstil der Frankfurter bei der Uraufführung? Das klingt mir doch sehr danach, Entwicklungen und Veränderungen zurückdrehen zu wollen. Ich hadere eher mit Arrangements der Carmina, etwa der Version für zwei Klavier statt Orchester. Das reissen selbst die besten Chöre nicht mehr. Dummerweise habe ich das mal live erlebt und dazu unsere Tochter auch noch eingeladen. Auf die Konzertankündigung hatte ich nicht weiter geschaut, da mir diese kastrierte Variante überhaupt nicht bekannt war. Hab's ertragen, muss ich nicht noch mal haben.


    Von den Carmina hatte ich im Radio zunächst nur den Einganschor gehört. 16 muss ich da gewesen sein und hatte sodann nichts bessere zu tun, als in die Dortmund Stadt- und Landesbibliothek zu gehen, un mir im Musikkeller die ganze Platte anzuhören. Wow, was für ein begeisterndes Werk. Und ein starke Kontrast zu Sibelius, den ich damals rauf und runter hörte. Kraftvoll zum Einen und doch viel Zartheit, streckenweise klingt's nach Samstag Abend im Sommer an der Stever bei Lüdighausen oder am Dortmund-Ems-Kanal bei Datteln (Einleitung von Swaz hi gat umbe z.b.), Kindheitserinnerungen irgendwie. Manchmal erzeugt Musik solche Bilder. Mit 16 hatte ich auch noch meine zwei Schulstunden Latein pro Woche. Gegenüber Ovid war Mittellatein dann doch ganz nett zu lesen (besonders der Counter-Vortrag vom armen gerösteten Schwan, die Vögel wurde in früheren Zeiten tatsächlich gegessen).


    Der Zufall fügte es, im Dortmunder Opernhaus standen die Carmina Burana damals auf dem Spielplan. Sogar mit Nachmittagsvorstellung. Bin mit dem Fahrrad in die Stadt geradelt, war allerdings ausverkauft. Vorm Opernhaus standen aber Leute, die ihre Tickets anboten, unter anderem ein ältere Herr, der seine Vormiete nicht wahrnehmen konnte. Für sechs Mark bekam ich die ausgeliehen (hab sie ihm tags drauf zurückgebracht und pfichtschuldigst berichtet). Ein Logenplatz war's. Da ich nie zuvor von meiner Mutter mitgenommen worden war ins Opernhaus (das war mein erster autarker Besuch da, ansonsten Plattentäter), war mir die Kleiderordnung in keiner Weise geläufig. Beulige Jeans, Parker, fettige Haare und pickeliges Gesicht, mir wurde zusehends mulmig zwischen all den feinen Leuten. Aber die Musik war hinreissend. Die Platte, die ich daraufhin anschaffte, war diese hier:



    Relativ neu zu der Zeit, vier Jahre zuvor erschienen. Spielhäufigkeit bei mir damals: etwa wie bei gleichaltrigen Freunden deren Pop-Platten (was die so als Musik bezeichneten). Tatsächlich auch wie eine Pop-LP, also, nicht als Ganzes, sondern Einzelstücke. Auch heute noch ein mich begeisterndes Werk.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich gestehe, dass mir das dann doch zu weit geht. Knapp dreissig Jahre vor meiner Geburt geschrieben, was will man denn da kopieren?

    Wieso kopieren?

    Zitat von jottpezeh


    Mit Instrumenten des frühen 20.Jahrhunderts und verblüffend bläserbetontem, explosivem Klang unterzieht der Dirigent den in Werbung, Film und Fernsehen schier totgedudelten Klassik-Hit einer radikalen Frischzellenkur. (...) Eine CD für Fans und Skeptiker gleichermaßen

    :)

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    (Johann König)

  • Wow, was für ein begeisterndes Werk.

    Dem kann ich mir nur anschliessen. Die beiden Folgewerke der Triloge sind indes hörbar schwächer. Als notorischer Widerspruchsgeist (auch wenn man das im Forum nicht sehen kann) habe ich das kritisch überprüftt: IMO ein verzweifelter Versuch an einen unbestreitbaren Erfolg anzuknüpfen. (wogegen ich "Die Kluge" und "Der Mond" für -wenn auch eigenwillige - Meisterwerke halte)


    An dieser Stelle muß ich Werner Hintze Abbitte leisten und Dank aussprechen:

    Ich Kannte Les Noces nicht" (wenngleich ich mich dunkel erinnere, daß es da bei den sei 15 Jahren ungehörten in meiner Sammlung eine Aufnahme gibt)und als er das Werk in Zusammenhang mitOrff vergleichend erwähnte, da habe ich gelich mit einer (unterschwellig !!) bissigen Bemerkung reagiert.

    Dabei hat er zumindest mei EINEM Teil seiner Behauptung recht, daß Orff nicht der erste war, der in diesem Stil komponiert hat. Daß Strawinsky "besser" sein soll sehe ich indes nicht - allenfalls (in diesem Zusammenhang) "origineller", wobei Stravinsky selbst geraus Werken der Vergangenheit abgekupfert hat, was mir meinen Zugang zu ihm erleichtert hat Auch er ist einer der ganz wenigen Komponisten des 20. Jahrhunderts den ich gerne höre.



    Hier ein Trailer aus Zürisch zu einer Aufführung von Les Noces. Daß das Werk Orff zumindest inspiriert haben könnte ist unüberhörbar.

    Was allerdings nichts daran nändert, daß Offs "Carmina" ganz toll ist - und - eigenartigerweise - bekannter und beliebter ist als sein - mutmaßliches - Vorbild.

    Orffs Werk konnte nicht mal durch die Versuche die "Originalmusik" zu rekonstruieren auch nur annährernd in seiner Beliebtr- und Berühmtheit - erschüttern.

    Über diese Versucche kann - bei Bedarf - auch hier geschrieben werden, obwohl im Titel nicht vorgesehen.

    Im Gegensatz zu üblichen Kompositionen auf Texte, die schon im Mittelalter oder sonstwann vertont wurden, kann sich Orff zumindest daran nicht orientiert haben, denn diese Rekonstruktionsversuche (eigentlich sind sie undurchführbar !!) entstanden alle später.


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Ich gestehe, dass mir das dann doch zu weit geht. Knapp dreissig Jahre vor meiner Geburt geschrieben, was will man denn da kopieren? Den Spielstil der Frankfurter bei der Uraufführung? Das klingt mir doch sehr danach, Entwicklungen und Veränderungen zurückdrehen zu wollen.

    Keine Sorge, das ist nicht gemeint. Das ist einfach nur Marketing. Mit Entwicklungen und Veränderungen hat das nichts zu tun. Man muss aber etwas tun, um potenzielle Käufer zu überzeugen. Und da ist nun mal HIP seit einiger Zeit eine sehr beliebte Vorspiegelung eines USP.

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  • Zu den quasi authentischen Aufnahmen zählt vermutlich die genannte unter der Leitung von Eugen Jochum. Andererseits gehört Berlin eigentlich gar nicht zu Bayern, obwohl gewisse Politiker ... aber lassen wir das.


    Die Jochum-Aufnahme finde ich nicht im Regal. Vielleicht habe ich sie schon gehört. Die folgende finde ich im Schrank ... als CD, wobei ich das Gefühl habe, dass ich sie auch schon verfilmt im Fernsehen verfolgt habe, und ich glaube, es waren einprägsam gelungene Bilder.


    Die kann nun nichts anderes sein als besonders authentisch mit hervorragenden Solisten (1) - und alles andere erscheint mir ebenso exzellent:



    (1) Kurt Eichhorn war Münchner. Prey stammte aus Berlin (siehe oben), Lucia Popp aus dem Großraum Bratislava, John van Kesteren aus den Niederlanden. Gehört das alles zu Bayern? Ach was. GSCHMARRI (= unsinnige Redeweise).


    :cheers: Wolfgang

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  • Was allerdings nichts daran nändert, daß Offs "Carmina" ganz toll ist - und - eigenartigerweise - bekannter und beliebter ist als sein - mutmaßliches - Vorbild.

    Wenn das ein Kriterium ist, schlägt Helene Fischer sämtliche Komponisten der europäischen Musikgeschichte aus dem Feld.

  • Was allerdings nichts daran nändert, daß Offs "Carmina" ganz toll ist - und - eigenartigerweise - bekannter und beliebter ist als sein - mutmaßliches - Vorbild.


    Wenn das ein Kriterium ist, schlägt Helene Fischer sämtliche Komponisten der europäischen Musikgeschichte aus dem Feld.

    Das ist häufig leider ein sehr unbrauchbares Kriterium, um die künstlerische Qualität eines Werkes zu beurteilen. Für mich ist Strawinskys Werk klar das wertvollere. Orffs Werk ist eine geglättete und verdaulich gemachte Version, wo auch der einfachere, weniger gebildete Geschmack schneller auf seine Kosten kommen mag.


    Trotz allem ist es natürlich ein faszinierendes Werk, wenn auch nicht sooo originell.


    Dass sich Orffs Werk für Popularisierung eignet, mehr als Strawinskys, zeigt der Erfolgshit The Mass der französischen Popgruppe ERA aus dem Jahr 2003



    das Werk hielt sich lange auf Top Positionen in diversen Charts. Bei Interesse



    ERA The Mass

  • Zu den quasi authentischen Aufnahmen zählt vermutlich die genannte unter der Leitung von Eugen Jochum.

    Der gute Eugen hat das Werk zweimal aufgenommen. Die erste Aufnahme erschien bereits 1952, dem Jahr der einführung der LP auf dem deutschen Markt, als Doppelalbum mit zwei 25 cm LPs mit Elfriede Trötschel, was für mich Kaufanreiz genug war. Schon interessant zu sehen, was da von Beginn der LP-Ära an als Schallplatte veröffentlicht wurde.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Wenn das ein Kriterium ist, schlägt Helene Fischer sämtliche Komponisten der europäischen Musikgeschichte aus dem Feld.

    Wobei Helene Fischer nicht die Sparte "Klassik" abdeckt - und somit nicht in die "europäische Musikgeschichte" gehört wie wir die verstehen


    Der gute Eugen hat das Werk zweimal aufgenommen. Die erste Aufnahme erschien bereits 1952, dem Jahr der einführung der LP auf dem deutschen Markt, als Doppelalbum mit zwei 25 cm LPs mit Elfriede Trötschel, was für mich Kaufanreiz genug war. Schon interessant zu sehen, was da von Beginn der LP-Ära an als Schallplatte veröffentlicht wurde.

    Die Aufnahme war sehr gelobt - allerdings war sie in MONO, was ab ca 1960 ein NO GO war. Alle in "EDLEM MONO" ("edel§ weil HIFI) aufgenommen Einspielungen (ca ab 1950) wurden damals aussortiert und auf den Müllhaufen der Tonaufnahme-Geschichte geworfen. Erst etwa 30 Jahre später hat man einiges wieder ausgegraben - und ich hab mich gewundert, daß man sich das traut - und daß es verkäuflich ist.

    Orffs Werk ist eine geglättete und verdaulich gemachte Version, wo auch der einfachere, weniger gebildete Geschmack schneller auf seine Kosten kommen mag.

    Ich würde es als eine (IMO unerfreuliche) Erscheinung unserer Zeit bezeichnen,d aß man gegen galtte und angenehm zu hörende Musik vorbehalte hat (Karajan ist hier ein typisches Beispiel)

    Elegant und glatt - das war über lange Abschnitte der Musikgeschichte das Credo. Manche Dirigenten entfernte "Brüche aus klassischen Werke, glätteten und überspielten sie, weil man sie als Unzulänglichkeiten des jeweiligen Komponisten und als unzumutbar fürs Klassikpublikum einstufte.

    Um wieder beim Thema zu bleiben: Carmina Burana ist hier nicht betroffen, wie erleben hier quasi ein idealisiertes Mittelalter - vergleichbar mit dem einst hochgeschätzten - heute teilweise geschmähten Baustil des Historismus.

    Nur daß die Carmina nicht geschmäht wird.


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Der gute Eugen hat das Werk zweimal aufgenommen. Die erste Aufnahme erschien bereits 1952, dem Jahr der einführung der LP auf dem deutschen Markt, als Doppelalbum mit zwei 25 cm LPs mit Elfriede Trötschel, was für mich Kaufanreiz genug war. Schon interessant zu sehen, was da von Beginn der LP-Ära an als Schallplatte veröffentlicht wurde.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Danke Dir! Wenn überhaupt, dann kenne ich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nur die neuere Aufnahme. Die angegebenen Solisten sprechen schon mal dafür.


    :cheers: Wolfgang

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  • Ich würde es als eine (IMO unerfreuliche) Erscheinung unserer Zeit bezeichnen,d aß man gegen galtte und angenehm zu hörende Musik vorbehalte hat (Karajan ist hier ein typisches Beispiel)

    Ich denke nicht, dass man da grundsätzlich Vorbehalte hat. Anders als Du sehe ich den unterhaltenden Aspekt vieler "klassischer" Musik eher zeitlich beschränkt und zwar tatsächlich auf die Zeit der höfischen Unterhaltung und ihrer Ausläufer. Gregorianik hatte nicht den Sinn zu unterhalten, Beethovens Große Fuge ganz sicher nicht und ich vermute auch, dass Bruckner mit seinen Sinfonien anderes im Sinn hatte :)


    Gute Musik erlaubt die ästhetische Auseinandersetzung und die hat natürlich zeitbedingt unvermeidbar immer ein etwas anderes Aussehen. Das Ohr eines mittelalterlichen Mönchs hört anders als das eines Höflings in absolutistischer Zeit, als das eines bourgoisen Bildungsbürgers oder noch einmal ganz anders als das eines Menschen, der die Folgen der Zerstörungen von zwei Weltkriegen sehen und erleben kann.


    Wobei Helene Fischer nicht die Sparte "Klassik" abdeckt - und somit nicht in die "europäische Musikgeschichte" gehört wie wir die verstehen

    Für mich gehört auch "Helene Fischer" zur europäischen Musikgeschichte, allerdings nicht zur musikalisch wertvollen ;).


    Es ist schon interessant zu sehen, wie Unterhaltung und musikalische Qualität im zwanzigsten Jahrhundert auseinanderdriften. Es ist auch nachvollziehbar, dass reine Unterhaltung, im Sinne von Fischer, unter einem gewissen Ideologieverdacht steht.


    Orffs Werk würde ich so allerdings nicht einordnen. Trotz seiner glättenden Wirkung findet sich hier eine Auseinandersetzung mit dem Mittelalter, die man allerdings genauer analysieren könnte

  • Es ist schon interessant zu sehen, wie Unterhaltung und musikalische Qualität im zwanzigsten Jahrhundert auseinanderdriften

    Ja - das ist bemerkenswert. Zyniker der ich bin, behaupte ich (diese Tendenz gibt es ja auch in Malerei etc) daß dies von ein paar Spinnern, die selbst keinen angenehmen Klang zustande brächten - selbst wenn sie es wollten - forciert wird.


    Helene Fischer - und Umfeld würde ich nicht zur "Europäschen Musikgeschichte" zählen. Daß sie von der Kalssikgemeinde nicht als "musikalisch wertvoll" eingestuft wird ist durchaus nicht abwertend.

    Sie macht das, was ich als "Alltags-"und Gebrauchsmusik" für "Otto Normalverbraucher" nenne - und damit erfüllt sie eine wichtige Aufgabe - allerdings ausserhalb meines "Tellerrands"

    Es gibt ga auch in Sachen Nahrung verschieden Gruppen und Kulturen, sie wird im englischen Sprachraum, der ja wahrhaft keie Hochburg kjulinarischer Genüsse ist - schlicht und einfach als "Food" bezeichnert und macht hier keinen Unterschied zum Tierfutter.

    Dennoch- und vielleicht gerade deshalb hat die englische "Esskultur" sich über den gesamten Erdball ausgebreitet.

    HIER unterscheidet man Zwischen "Fast food" -"Hausmannskost" - Bürgerlicher Küche" und "Haute Cuisine", wobei letztere ein Rückzugsgefecht bestreitet...


    Es ist schon interessant zu sehen, wie Unterhaltung und musikalische Qualität im zwanzigsten Jahrhundert auseinanderdriften. Es ist auch nachvollziehbar, dass reine Unterhaltung, im Sinne von Fischer, unter einem gewissen Ideologieverdacht steht.

    Der Fehler liegt darin, daß man hier "Konkurrenz" ortet. Diese Einstellung finden wird im Falle von Nahrung nicht. Der Besucher eines exquisiten Balles mit überteuertem Buffet ist durchaus nicht abgeneigt anschliessend an der Würstelbude seinen Hunger zu stillen...


    Trotz seiner glättenden Wirkung findet sich hier eine Auseinandersetzung mit dem Mittelalter,

    Vermutlich ist DIES ein wichtiger Punkt für das andauernd anhaltende Interesse....


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Das Ohr eines mittelalterlichen Mönchs hört anders als das eines Höflings in absolutistischer Zeit, als das eines bourgoisen Bildungsbürgers oder noch einmal ganz anders als das eines Menschen, der die Folgen der Zerstörungen von zwei Weltkriegen sehen und erleben kann.

    Das sehe ich ganz genau so. Woraus für mich allerdings auch folgert, da´ß das mit HIP eine komplizierte Sache ist. Den Klang und vor allem die Wahrnehmung von historisch rekonstruierten Musikaufführungen erschließt uns nicht das Lebensgefühl der Hörer der Uraufführungen. Insofern höre ich HIP nach dem Aspekt, ob es mir einen Mehrwert bringt im Vergleich zu anderen Aufführungen. Tatsächlich würde ich das für die Musik der Zeit vor van Beethoven bejahen. Bei Beethoven beginnt der Mehrwert zu schwinden, bei Chopin immerhin habenm die Flügel eine Qualität, dass man da schon wieder von einem Mehrwert sprechen kann, danach ist's nur noch was für Buchhalter.


    Die Carmina entstammen der Zwischenkriegszeit, der deutlich brutalere WK 1 scheint sich bei Orff wenig widerzuspiegeln, die Carmina sind wohl eher ein Rückzug in vermeintlich ruhigere Zeiten. So richtig gepasst hat das Werk den Nazis nicht, eher hat wohl sein Erfolg dazu geführt, es als modernes deutsches Werk zu verkaufen. Von Strwainsky unterscheidet es sich vor allem durch seine Melodiösität, das meiste lässt sich gut in der Straße pfeiffen. Auch wenn das bei Komponisten nicht zwingend geschätzt wird, ich halte das durchaus für eine musikalische Qualität. Den Orff würde ich jedenfalls nicht mit Starwinsky vergleichen wollen.

    Für mich gehört auch "Helene Fischer" zur europäischen Musikgeschichte, allerdings nicht zur musikalisch wertvollen ;) .

    Helene Fischer ist hauptsächlich eines: Interpretin und Tänzerin. In beidem ist sie vorzüglich ausgebildet und bringt bei live-Auftritten Höchstleitungen (nach den unvermeidlichen Fernsehschnipseln zu urteilen). Das, was sie so singt, gefällt mir überhaupt nicht, was aber nichts mit der Fischer zu tun hat, da ich dergleichen Musik freiwillig nicht höre.

    Helene Fischer - und Umfeld würde ich nicht zur "Europäschen Musikgeschichte" zählen.

    Aus oben genanntem Grund, es sei denn, Du beziehst Interpreten mit ein. Dann wäre sie immerhin genrespezifisch durchaus in der oberen Katgorie zu finden. Genrespezifische Interpreten gab's ja auch bei der Operette, wie Hertha Talmar, Franz Fehringer, Willi Hofmann (fallen mir gerade so ein, weil ich die immer gerne gehört habe), die man bestimmt keine Opern hat singen lassen. Als Operettenmsänger waren die göttlich.


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  • Woraus für mich allerdings auch folgert, da´ß das mit HIP eine komplizierte Sache ist. Den Klang und vor allem die Wahrnehmung von historisch rekonstruierten Musikaufführungen erschließt uns nicht das Lebensgefühl der Hörer der Uraufführungen.

    Das sehe ich genauso. Ich halte das sogar für unmöglich und daher für nicht erstrebenswert.

    Insofern höre ich HIP nach dem Aspekt, ob es mir einen Mehrwert bringt im Vergleich zu anderen Aufführungen.

    So mache ich das auch. Wobei ich Händel ganz offensichtlich nur über moderne (also "Hippe") Aufführungen näherkommen kann. Auch Bachs orchestrales Werk scheine ich nur so genießen zu können. Diese etwas altertümlichen Heransgehensweisen aus der Nachkriegsfrühzeit scheinen mir die Musik zu verkleistern und damit auch zu vermiesen.

    Tatsächlich würde ich das für die Musik der Zeit vor van Beethoven bejahen. Bei Beethoven beginnt der Mehrwert zu schwinden, bei Chopin immerhin habenm die Flügel eine Qualität, dass man da schon wieder von einem Mehrwert sprechen kann, danach ist's nur noch was für Buchhalter.

    Ich finde das schwierig zu bewerten. Mozart höre ich gerne mit modernem Flügel, aber auch "historisch" informiert. Am Ende hängt es an der Interpretation. Auch Beethoven hat seine Reize auf historischem Equipment. Man höre Brautigam mit den Sonaten oder das Chiaroscuro Quartet mit seinen Streichquartetten. Chopin auf historischen Instrumenten entwickelt auch andere Farben als man durch den Steinway gewöhnt ist. Als Bereicherung empfinde ich das allemal. Aber tatsächlich liefert die Interpretationsgeschichte auf modernem Instrumentarium auch überzeugende Einspielungen. András Schiff, den ich sonst eher atwas affektiert finde, spielt zum Beispiel die Brahms-Konzerte "historisch" informiert. Ich kann dem einiges abgewinnen. Am Ende ist es eine Fall zu Fall Entscheidung, die nie Ausschließlichkeit für sich beanspruchen kann.


    Zu Orff:


    Vermutlich ist DIES ein wichtiger Punkt für das andauernd anhaltende Interesse....

    Ich würde eher vermuten, dass das Werk wegen der ziemlich direkten (auch melodischen) Wirkung allgemeine Populariät genießt. Wichtig ist eben der bisher noch nicht analysierte Bezug zum Mittelalter, um darüberhinaus Qualitäten des Werkes zu ermitteln.

    Die Carmina entstammen der Zwischenkriegszeit, der deutlich brutalere WK 1 scheint sich bei Orff wenig widerzuspiegeln, die Carmina sind wohl eher ein Rückzug in vermeintlich ruhigere Zeiten.

    Das scheint mir tatsächlich neben diversen Wiederholungen auch eine Schwäche des Werkes zu sein, wenn auch auf hohem Niveau.

  • Woraus für mich allerdings auch folgert, da´ß das mit HIP eine komplizierte Sache ist.

    Hier bin bei Werner Hinze, der ja dezent angedeutet hat, daß HIP ein gutes Geschäft idt (IMO war !!) und man versucht sich vom herkömmlichen" abzugrenzen und interessant zu machen.



    So richtig gepasst hat das Werk den Nazis nicht, eher hat wohl sein Erfolg dazu geführt, es als modernes deutsches Werk zu verkaufen

    Sie waren sich da nicht schlüssig- vermtlich konnten sie nichts damit anfangen oder haben ein unerkanntes und unwillkommenes "politisches Potential" darin gesehen.

    Hitler selbst hat das Werk der Überleiferung nach gefallen, was es natürlich in den Augen der Anti-Faschisten als ablehnenswert bis verhasst erscheinen ließ:P


    Auch Bachs orchestrales Werk scheine ich nur so genießen zu können. Diese etwas altertümlichen Heransgehensweisen aus der Nachkriegsfrühzeit scheint mir die Musik zu verkleistern und damit auch zu vermiesen.

    Mit half HIP füt den Zugang zu Bach. DAs "Verkleistern" der Musik entstand dadurch, daß man zuviel Ehrfurcht vor dem Komponisten hatte - und nichts falsch machen konnte.


    Die Gefahr (man beobachte- wie ich Die Kurve finde !!!;))bestand bei Orff nicht. Den konnte man befragen. Ausserdem autorisierte er so ziemlich jede Einspielung - er war stets glücklich wenn das Werk gespielt wurde.

    So ein Renner gelang nicht jedem Komponisten des 20. Jahrhunderts. Zudem wurden einige während des dritten Reichs verboten - andere wieder nach dieser Ära - stigmatisiert ("Les Preludes" etc)

    Sowas ist Orff erspart geblieben, jegliche Verunglimpfungen (und es gab sie) prallten an ihm und diesem Werk ab. Er setzt seine Karriere ungehindert fort und ist bis heute gern gehört.


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Für mich ist Strawinskys Werk klar das wertvollere. Orffs Werk ist eine geglättete und verdaulich gemachte Version, wo auch der einfachere, weniger gebildete Geschmack schneller auf seine Kosten kommen mag.

    Man kann das so nennen, und es ist auch etwas dran. Ohne diese Glättung hätte Orff in den 1000 Jahren nicht die Position einnehmen können, die er hatte. Strawinsky wäre an der Stelle undenkbar gewesen. Man hätte seine allzu rauhe Musik nicht gewollt, und er hätte ein solches Angebot angewidert ausgeschlagen. Das ist ja klar. Und führt zu meinem Haupteinwand: Mich stört an diesem Stück – wie an all diesen antikisierenden Werken des Meisters - dass es sich anhört und liest, wie die Reichskanzlei aussah und Germania hätte aussehen sollen. Und das ist gewiss kein Zufall. Da ist mir dann ein Strawinsky nicht nur aus Qualitätsgründen lieber, sondern auch, weil seine Musik sich ganz und gar nicht zur Verherrlichung so eines oder irgend eines anderes politischen Systems eignet, eben weil sie durchgehend subversiv ist (schon die widerborstigen Akzente in »Pulcinella« sind da ja deutlich genug, und die sind immerhin so unauffällig, dass es vielen Dirigenten gelingt, sie unhörbar zu machen).

  • Lieber Werner Hintze !!

    Meine Hochachtung (ohne meine gewohnte Ironie !) - SO ehrlich hat sich bislang kein mir bekannter Autor , der das Werk ablehnt oder kritisch betrachtet. geäussert und politische Gründe für seine Ablehnung hat. Das wird zumeist damit kaschiert, daß man politisch unerwünschte Komponisten (oder Dirigenten)als minderwertig darstellt (gibts auch für "Stalin-Komponistn- lediglich bei Schostakowitsch fand man vielerlei Entschuldigungen)

    Ich würde Orff nicht als Verherrlicher eines politischen Systems sehen, (wir haben ja gelesen wi zwiespältig sein Werk gesehen wurde, weil man die Folgen nicht einschätzen konnte) sondern als jemand der den Zeitgeschmach traf, oder negativ formulieert- sie ihm anbiederte,

    Es gelang ihm, den Spagat zwischen "modern" und "tonal" herzustellen und thematisch ein interessantes Thema zu treffen.

    Und hier sind wir bei Strawinsky: Er wirkt irgendwie unsympathisch und von sich eingenommen - wenngleich ich seine Musik - bzw das was ich davon kenne - mag.

    Aber nicht weil sie "subversiv" ist.


    mfg aus Wien

    Alfred

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  • meinem Haupteinwand: Mich stört an diesem Stück – wie an all diesen antikisierenden Werken des Meisters - dass es sich anhört und liest, wie die Reichskanzlei aussah und Germania hätte aussehen sollen.

    Das ist eine Meinung und kein Einwand. Operationalisierung?

    Wie wäre es mit Wagner und dem Schluss der "Meistersinger"?

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Ein bisschen war ich ja schon überrascht, dass Alfred so etwas „Modernes“ ausgewählt hat. Aber vielleicht ist es auch nicht so überraschend, denn es gibt durchaus Bezüge zum Zeitalter Mozarts. Carmina Burana ist ein Stück, was wohl ewig jung bleiben wird. Die Musik ist einfach mitreißend und man kann sich seiner Wirkung kaum entziehen. Wobei ich sagen muss, dass es für meine musikalische Prägung keine Rolle gespielt hat. In der Schule, im Musikunterricht, erinnere ich mich nicht, dass es vorkam. Vielleicht hörte ich es irgendwann im Radio. Daran kann ich mich nicht erinnern. Meine Eltern besaßen auch keine Schallplatte von Orffs Meisterstück. In der Bielefelder Oetker-Halle hörte ich eine Aufführung, das war aber schon nach der Jahrtausendwende.


    Dieser schöne Thread verleitet – verpflichtet – mich nun, Carmina Burana sehr bewusst zu hören. Ist das nicht ein Vorläufer von Pop-Musik? Da ist etwas dran – nicht umsonst ist es bei Musikern aus diesem Bereich beliebt. Ich denke allerdings, man sollte sich ein wenig den musikgeschichtlichen Kontext vergegenwärtigen, um es in seiner Bedeutung richtig einzuschätzen. Orff selbst begann im spätromantisch-dekadenten Stil zu komponieren. Dass er Carmina Burana als sein op. 1 bezeichnete, ist von daher vor allem eine Selbstdistanzierung in Form einer bewussten Abkehr von romantischer Dekadenz, die ein betont artifizieller Stil ist. In Frankreich gab es die Group de Six, zu der Satie, Poulenc, Honegger und Auric gehörten. Dort ging es um die Wiedergewinnung einer neuen Einfachheit – und diesen Bestrebungen ist Orffs Carmina Burana verwandt. Allerdings steht das in einem deutschen Kontext, der auf die Frühklassik zurückgeht. Hans-Heinrich Eggebrecht analysierte das aufgeklärte Zeitalter um Mozart herum durch das Bemühen um „Verständlichkeit“, also einen gewissen Populismus. Das aufstrebende Bürgertum war eine Hörerschaft von gebildeten Laien, deren Horizont durch die Weltoffenheit gekennzeichnet war, die Niemanden ausschloss. Entsprechend bildete die Musik eine allgemeinverständliche Umgangssprache aus, die Jedermann ohne Anstrengung unmittelbar verstehen sollte. Dazu kam der Zeitgeist der sogenannten Empfindsamkeit, die das Künstliche verabscheute und dem Ideal der Natürlichkeit verpflichtet war – die zum Ausdruck kommen sollte in der einfachen, empfindsamen Melodie. Bei Orff spielt dazu noch die deutsche Tradition des Chorsingens eine Rolle – Carmina Burana ist wohl in erster Linie eine Musik zum Singen, also für die Praxis des Chorsingens gedacht, und in zweiter Linie erst für das Hören. Die im 19. Jhd. sehr einflussreiche Berliner Singschule propagierte das Ideal der Einfachheit und Empfindsamkeit und trug es weiter. Die populäre Eingängigkeit von Orffs Musik hat also eine lange Tradition.


    Dazu kommt aber der moderne Kontext. Das zeigt die Auswahl der Texte aus dem Mittelalter. Text und Musik sind betont Anti-Wagner und Anti-Romantik. Die Moderne des 20. Jhd. ist im Wesentlichen – nicht nur bei Orff – durch die Abkehr vom Wagnerianismus geprägt. Gleich zu Beginn wird die Schicksalsgöttin Fortuna besungen. Das natürlich nicht zufällig. Der Mensch der modernen Massengesellschaft des 20. Jhd. hat das Selbstbewusstsein des idealistischen Bürgertums des 19. Jhd. längst verloren, dass man Geschichte und das Leben aktiv gestalten und verändern kann. Man fühlt sich übermenschlichen Mächten ohnmächtig ausgeliefert. G.W.F. Hegel, der große Idealist, sprach einst von Kaiser Napoleon als dem „Weltgeist zu Pferde“ – das idealistische Bürgertum war überzeugt, dass Ideen in der Welt etwas bewirken können durch das handelnde Individuum. Carmina Burana dagegen ist in dieser Hinsicht komplett desillusioniert. Es nimmt das barocke carpe diem auf angesichts der Kontingenzerfahrung der Wechselhaftigkeit von Glück und Unglück. Der Ton ist sehr lebensbejahend – der Frühling wird besungen und man pflegt ungeniert den Immoralismus. Es gibt keine metaphysischen Illusionen, auch nicht die einer erhabenen „Tugend“, welche die Triebe bändigt. Hier sind die Texte wirklich frech – ungeniert wird das Erotische gefeiert. Das aber ganz ohne jegliche „Senta-Sentimentalität“ (Nietzsches ironisch Wagner-kritisches Wort). Der Abt ist ein Abt des Schlaraffenlandes. Es geht nur noch um Lust und Lebensfreude. Die Ermahnung der Tugend ist machtlos in dieser hedonistischen Welt, die von elementaren „Mächten“ bestimmt wird, dem Trieb und der Lust. Die Abdankung der Tugend, die Nutzlosigkeit von Idealen liegt auch in der Vergötterung des Schicksals. Die Reduktion auf das „Elementare“ ist ein Grundzug moderner Kunst – hier bei Orff sind es die elementaren Bedürfnisse. Göttlich ist der gebratene Schwan – vortrefflich gesungen von Gerhard Stolze in der Aufnahme von Eugen Jochum. Das ist wirklich urkomisch! Der Schwan ist das Symbol romantischer Schönheit und Erhabenheit. Und diese Romantik wird hier einfach „gegrillt“ – eine makabre Ironie, welche zeigt, dass es keine Transzendenz mehr gibt in dieser Welt, das Erhabene verschwunden ist. Es existieren nur die sehr irdischen Bedürfnisse des Menschlich-Allzumenschlichen. Der Hedonismus dieses irdischen Lebens hat so gar keinen Sinn mehr für die Schönheit, hustet also der romantischen Verklärung etwas und isst den romantischen Schwan ganz einfach genüsslich auf. Die Ironie dabei ist: Das Romantisch-Schöne zeigt sich genau darin als „nützlich“ für das Leben, indem es einfach aufgezehrt wird und sich dafür in ein Hässliches verwandelt, die schwarzgold verkohlten Flügel des armen weißen Schwans, die aber als kross gebratene Kruste leider so vortrefflich schmecken. Konsum statt erhabene Andacht preist dieser antiromantischer Hedonismus! Das ist noch ironischer als die Histoires naturelles von Jules Renard, die Maurice Ravel vertonte. Ravels Musik malt zunächst impressionistisch ein erhabenes Bild vom schwerelos über das Wasser gleitenden Schwan – romantischer als jede Romantik, bevor dann am Schluss (bei Ravel rezitativisch) die antiromantisch-ironische Brechung kommt: Der Schwan ist ganz prosaisch vollgefressen wie eine Gans!


    Die „unsterbliche“ Qualität von Orffs Musik ist ihre Treffsicherheit. Bei Picasso kann man bewundern, wie er in der Reduktion auf ganz wenige einfache Striche, wo aber jeder Strich absolut „sitzt“, das Wesentliche trifft. Genauso ist Orffs Musik. Sie ist deshalb nicht nur eine ins Populistisch-Seichte abgedriftete Kunstmusik. Solche Urteile halte ich für eine grobe Verkennung. Die Kunst liegt hier gerade im Einfachen, dem aufs Äußerste konzentrierten Charakteristischen. Das ist eine Präzision, die in anderer Hinsicht das musikalische Verständnis leicht macht: In dieser irdischen Welt gibt es keine „Hinterwelten“, die Dinge sind genau das, was sie ganz einfach sind. Es gibt keinen Schein, nur noch Sein. Ein Hyper-Realismus gleichsam, wo sich alles von selbst versteht. Einwände dagegen kann man haben – allerdings sind das dann metaphysische und keine künstlerisch-musikalischen. Ist eine solche vollkommen desillusionierte Welt der Umkehrung von Transzendenz in Reszendenz (mit dem Philosophen Karlheinz Volkmann-Schluck gesagt, der übrigens ein glühender Wagner-Verehrer war! ^^ ) wirklich erstrebenswert? Steht der Verlust der Ideale und Tugenden zugunsten der elementaren Lebensbedürfnisse nicht auch für den vollkommenen und zugleich sehr beunruhigenden Verlust der Utopie?


    Mein abschließender Dank an Alfred deshalb für das Vergnügen, Carmina Burana wieder gehört zu haben. :)

  • Ein bisschen war ich ja schon überrascht, dass Alfred so etwas „Modernes“ ausgewählt hat.

    Das war durchaus nicht unbeabsichtigt. Ich wollte eine wenig an dem Bild rütteln, das man sich von mir gemacht hat. Allerdings nur am Rande. Denn im Grunde bin ich mir selbst treu geblieben, sofern es um meine Forderung nach Eingängigkeit eines Werkes geht.

    Arüber hinaus wollte ich den Geschmack der Tamino Mitglieder Treffen, die ja der Wiener Klassik weitgehend ausgewichen sind und gern Musik der "Randgebiete" hören und hier vorstellen.Der Spagat war, ein ANHÖRBARES und BEEINDRUCKENDES Werk aus dem 20 Jahrhunderts zu wählen. das einen größeren Hörerkreis befriedigt.


    Die Musik ist einfach mitreißend und man kann sich seiner Wirkung kaum entziehen

    Volleübereinstimmung


    Die populäre Eingängigkeit von Orffs Musik hat also eine lange Tradition.

    Ebenfalls übereinstimmung.

    Man hat viel über die Komponisten der Wiener Klassik und Frühromantik geschrieben - und sie war durchewegs eingängig. Vivaldi war eingängig, Verdi war eingängig etc.

    Vor allem im 20 Jahrhundert wurde diese Tradition allmählich aufgegeben und sogar mit den Füßen getreten. Umso befriedigender ist es , ein Werk zu wählen daß hier aus der REihe springt (Er gibt mehrere Komponisten die hier zu erwähnen währen, z.B. Strawinsky, Schostakowitsch, Copland etc)


    Die „unsterbliche“ Qualität von Orffs Musik ist ihre Treffsicherheit.

    Ich finde, das ist eine wunderbare Formulierung, wie überhaupt der gesamte verdienstvolle Beitrag von Dr. Kaletha......


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Ich muss auch sagen, dass dieser thread sich gut entwickelt hat. Und natürlich passen die Carmina burana hier hin. Eine Bemerkung von mir hat jedoch kein Echo ausgelöst, was natürlich nichts Bewegendes ist, nämlich mein Urteil über die Qualität der drei Werke der "Trionfi". Die Reihenfolge war diese:

    1. Trionfo di Afrodite

    2. Catulli Carmina

    3. Carmina burana


    Das ist jetzt einfach schnell hingeschrieben und beruht nicht auf eingehendem Studium, aber durchaus auf exzessivem Hören. Vielleicht war es auch der Reiz des Neuen. Die Trionfi habe ich in der Kegel-Aufnahme in den Siebzigern aus der DDR mitgebracht und dadurch erst realisiert, dass es da zwei weitere tolle Stücke gibt, wobei die Kegel-Aufnahme immer noch so rasant ist wie am ersten Tag.

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

  • Man hat viel über die Komponisten der Wiener Klassik und Frühromantik geschrieben - und sie war durchewegs eingängig. Vivaldi war eingängig, Verdi war eingängig etc.

    Lieber Alfred,


    Eggebrecht nennt das auch sehr treffend "Öffentlichkeits- und Publikumsmusik" - der Begriff war mir entgangen zu zitieren. :) :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

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