Operninszenierungen - modern vs. "altmodisch"

  • @Edwin


    Oh, das tut mir leid. Sono disperata completamente! :O :O :(:( Aber vielleicht ist es ein Trost, daß das auch meine geheimen Regiepläne waren, und die sind nun auch ein alter Hut. Der wahre Künstler darf sein Kunst aber der Nachwelt nicht einfach vorenthalten, sondern muß sie uneigennützig dem unwissenden Publikum mitteilen, auf das dies von seiner Unwissenheit errettet werde! :baeh01: :baeh01:

  • Hallo Maddalena,


    gibt es sowas auch für "How to Opera à la Opa"? ;)


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Nein, soweit ich weiß, nicht, aber wie wär's denn mal mit "How to opera à la Punk?" ;)

  • Hallo Severina,


    die Antwort an Dich fällt mir etwas schwer, weil wir uns auf völlig unterschiedlichen Ebenen bewegen. Ein Beispiel: ich käme nie auf die Idee, in die Oper nur zum Hören zu gehen, da würde ich lieber zu Hause Musik hören. Für mich gehört die Szene, das Bild, zum Gesamteindruck im Theater zwingend dazu.


    Ich selbst habe noch nie einen Regisseur erlebt, der öffentlich erklärt, wie schlecht das Stück eigentlich ist, das er gerade inszeniert. Im Gegenteil: manchmal helfen Regisseure durch ihre Realisation einem schwachen Stück auf. Kosky kenne ich noch nicht, aber in den kommenden Monaten werde ich drei seiner Inszenierungen sehen können, vermutlich schreibe ich dann auch hier ein paar Sätze dazu.


    Genau da liegt der Unterschied: ich erwarte von der Regie genau diese Arbeit, das mir - bsplsw. - etwas über das Stück erzählt wird, auch, warum ich mir das anschauen soll, etwas, das mich zwingt, Stellung zum gezeigten zu beziehen. Regie ist für mich ein genauso wichtiger und gleichberechtigter Teil einer Produktion wie die musikalische Umsetzung.


    Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten: Martin Kusej schätze ich auch sehr, seinen "Fidelio", die "Gezeichneten" und vor allem "Otello" allesamt Stuttgart, haben mir sehr gefallen. "Carmen" in Berlin hätte ich gerne gesehen, dafür habe ich aber keine Karten bekommen - was vermutlich an Villazon gelegen hat.


    Zwei Bemerkungen noch: gerade Neuenfels legt grossen Wert darauf, dass er seine Inszenierungen aus der Musik heraus entwickelt, das Libretto ist für ihn etwas untergeordnet - das sieht man seinen Inszenierungen auch an, wie ich finde.


    Und: ich finde das immer wieder toll, dass um bestimmte Produktionen heftig gestritten wird (meistens nur in der Premiere, später beruhigen sich die Gemüter recht schnell wieder) - ich denke immer: solange Theater und Musiktheater solche Emotionen weckt, lebt die darstellende Kunst, bleibt lebendig und ist eine Bereicherung für unseren Alltag.


    Gruss

  • Hallo Stefan,


    darüber kann man sicher trefflich streiten, ob eine Inszenierung den "Nerv" eines Stückes trifft und die Umsetzung zwingend ist. Ich tue mich schwer damit, wenn ich das Gefühl habe, die Menschen wollen eigentlich ein Stück immer nur so sehen, wie sie es schon x-Mal zuvor gesehen haben - und jede Abweichung von diesem Bild gilt als Sakrileg. Jetzt ist Berlin in der etwas merkwürdigen Situation, dass im Moment an drei Opernhäusern drei verschiedene Inszenierungen der "Zauberflöte" auf dem Spielplan stehen. Warum muss man dann unbedingt in die Neuenfels-Premiere gehen, wenn man doch wissen kann, was einen da so ungefähr erwartet (den Namen Neuenfels dürften in der letzten Zeit selbst Menschen gehört haben, die nicht oft ins Theater gehen...)? Verstehe ich nicht... "Werktreue" gefällt mir nicht - das unterstellt, dass Neuenfels nicht am Stück dran ist, das Gegenteil ist der Fall, er liest sehr genau und kommt zu mitunter verblüffenden, szenischen Umsetzungen - das macht aus ihm einen wichtigen Regisseur unserer Gegenwart.


    "Putzfrauen-Aida", das ist auch so ein Schlagwort - ich erinnere mich gut, an die vielen Reszensenten, die damals schäumten und sich ähnlicher Vokabeln bedienten. Es ist eine fünfminütige Szene aus einem Dreistundenabend...


    Aber du hast schon recht: es war ein aufregender Abend, es gab viel zu sehen (auch zu hören, Michael Gielen sei dank) und die Personenführung war damals noch fast ungewohnt dicht am Schauspiel dran.


    Für mich ist ein Sänger immer auch ein Darsteller und ich verzeihe einem guten Darsteller auch eine schwächere stimmliche Leistung. Zur Professionalität gehört für mich auch dazu, dass man sich als Sänger in ein ungewohntes Konzept einfügt. Nebenbei: die "Zauberflöte" in Berlin bleibt für die Sänger/innen im Rahmen des absolut üblichen.


    Trotzdem finde ich es Klasse, dass es Sänger wie Gabriel Sadé gibt, der den Alviano in Stuttgart ("Gezeichneten") in der Anfangszene nackt singt.


    LG

  • Lieber Alviano,
    ich verstehe deine Sichtweise sehr gut und habe auch kein Problem damit, aber wie du richtig schreibst, argumentieren wir von einer völlig unterschiedlichen Basis aus. Für dich ist Oper eine "Kopfsache", für mich eine "Bauchsache", das heißt, mir geht es in erster Linie um die Emotionen, welche die Musik und die Stimmen in mir wecken und weniger um intellektuelle Herausforderung - die hole ich mir am Sprechtheater! Regietheater goutiere ich dann, wenn ich den berühmten roten Faden erkennen kann und mich das "Denken" nicht vom Fühlen ablenkt, wenn du weißt, was ich meine.
    Außerdem - und das formuliere ich jetzt absichtlich überspitzt - finde ich die meisten ach so genialen Einfälle ziemlich banal, siehe mein Beispiel zu unserem "Otello". Der so genannte "No- na-Effekt!" Bei deiner Schilderung des "Don Carlo" musste ich an Schillers "Räuber" denken, wo seit Jahrzehnten kein Regisseur glaubt ohne Terroristen auskommen zu können. Das hat doch bereits einen Bart! Ich fühle mich von gewissen Regisseuren eigentlich ziemlich verschaukelt, denn um die Aktualität des "Don Carlo" (inclusive der Rolle der glorreichen katholischen Kirche quer durch die Jahrhunderte) zu erfassen, brauche ich eigentlich keine Nachhilfe durch den Herrn Bieito. Mich regt außerdem eine neutrale Regie viel mehr zum Nachdenken an, weil ich da frei in meinen Assoziationen bin und nicht in ein "So-ist-es-und-basta"-Korsett gezwängt werde.
    Aber ich finde es generell spannend, wie unterschiedlich doch die Zugänge zur Oper sein können! sonst hätten wir ja auch nichts zu diskutieren. :hello:
    Schöne Grüße, Severina

  • Zitat

    Ich selbst habe noch nie einen Regisseur erlebt, der öffentlich erklärt, wie schlecht das Stück eigentlich ist, das er gerade inszeniert.


    Na ja, so direkt vielleicht nicht, aber leicht verklausuliert gibt es das schon des öfteren... ;)



    Zitat

    Zwei Bemerkungen noch: gerade Neuenfels legt grossen Wert darauf, dass er seine Inszenierungen aus der Musik heraus entwickelt, das Libretto ist für ihn etwas untergeordnet - das sieht man seinen Inszenierungen auch an, wie ich finde.


    Eine interessante und kühne Behauptung. Wenn der Komponist auch nur einigermaßen getaugt hat, dürfte es eigentlich keinen großen Unterschied machen. Für mich ist das eher die Standardausrede dafür, dass dem Regisseur das Libretto eben nicht gut genug gewesen ist, oder er gewisse Vorstellungen darüber hat, wie es hätte sein können oder müssen (siehe vorigen Punkt!).



    Zitat

    Und: ich finde das immer wieder toll, dass um bestimmte Produktionen heftig gestritten wird (meistens nur in der Premiere, später beruhigen sich die Gemüter recht schnell wieder) - ich denke immer: solange Theater und Musiktheater solche Emotionen weckt, lebt die darstellende Kunst, bleibt lebendig und ist eine Bereicherung für unseren Alltag.


    Da ist allerdings etwas dran!



    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Vor einigen Tagen blieb ich bei der morgendlichen Zeitungslektüre an den folgenden Zeilen hängen (Hab mal im Altpapierstapel gekramt :D):


    Zitat

    F.A.Z.-Feuilleton vom 24.11.06, Eleonore Büning interviewt Heinrich Neuhaus und dieser antwortet auf die Frage, ob das Publikum nicht auch einen Anspruch auf Kunstgenuss habe:


    "Ja, hat es. Nur kann man Kunst nicht so genießen wie eine Massage in der Sauna. Ich glaube, dass Entspannung tatsächlich in keiner Kunstform möglich ist. Kunst beinhaltet eine Erregung, die sogar manchmal ins Überspannte geht. Es gibt keinen schlaffen Bogen in der Kunst. Es geht nicht um Fortsetzung der Lebensrealität, es geht um ihre Verwandlung und Übersetzung."

    "


    Ich glaube, diese Aussage trifft einen Nerv und zeigt zwei verbreitete Herangehensweisen an die Kunst auf, die letztendlich die meist unverrückbaren Standpunkte bei solchen Diskussionen bestimmen. Schubladengerecht findet der eine sein Heil in der Saunamassage, der andere vergnügt sich eher bei einem Ultramarathon - schwitzen tun beide. :D***
    Aus diversen erhitzten Debatten dieses Forums lassen sich diese Standpunkte immer mehr oder weniger deutlich herauslesen, besonders präsent meist beim Thema "Moderne" und/oder Operninszenierung, aber auch schlicht bei der Interpretation eines Musikstückes.


    Auffällig ist , dass es Komponisten gibt, die sich für eine Art des Genusses wenig zu eignen scheinen ( "typischer" Schostakowitsch z.B. oder später Mahler wird zumeist von den Saunagängern abgelehnt), während manche wiederum wie Mozart, Beethoven oder Bach beide Lager bedienen.


    Auf den ersten Blick unabhängig davon existiert dann auch oft ein zementierter ästhetischer Standpunkt, der dem einen schon beim Nachdenken über silberne Glocken-Hoden zum Brechreiz führt, während sich der andere bei der bloßen Vorstellung historischer Kostüme schon unwohl fühlt. Meist lässt sich das dann sehr treffend den oben genannten Schubladen zuordnen, wenn man diese mit dem notwendigen Körnchen Salz nimmt, dessen die nie passgenauen Schubladen nun einmal bedürfen.


    Leider ist das Resultat oft ernüchternd: Das, was Alviano unter einer "klugen" Inszenierung versteht, ist meist einfach nebensächlich, da es sich schlicht aus der Herangehensweise des Rezensenten ergibt, was klug sein kann.


    Zitat

    Alviano schrieb
    Jetzt ist Berlin in der etwas merkwürdigen Situation, dass im Moment an drei Opernhäusern drei verschiedene Inszenierungen der "Zauberflöte" auf dem Spielplan stehen. Warum muss man dann unbedingt in die Neuenfels-Premiere gehen, wenn man doch wissen kann, was einen da so ungefähr erwartet


    Aus diversen persönlichen psychologischen Studien in endlosen Schlangen an Vorverkaufs- und Abendkassen habe ich den Eindruck gewonnen, dass es eine Menge Leute gibt, die Kultur als Konsumgut analog zum (meist nur spärlich vorhandenem :D) Geld behandeln. Man strebt möglichst viel davon an und redet gerne darüber. Letztendlich führt das zu einem gewissen Status und man fühlt sich nicht mehr so arm. Und so wie für Geld viele Opfer gebracht werden, tut sich dann auch der Saunagänger eine Neuhausinszenierung an. Nicht zu verwechseln ist diese Gruppe mit dem "Gelegenheits-Kultur-als-Statussymbol-Konsumenten"


    Gruß
    Sascha





    ***Strafanzeige bei Bedarf stellen unter http://www.hinkendevergleiche.de


  • Was einzig heißt, dass Bach und Beethoven, aber auch Mozart vielleicht leichter mißzuverstehen sind als Schostakowitsch. Wie meine Signatur (aufgrund der zulässigen Zeichenanzahl kann ich die Quelle leider nicht angeben, J. Johnsons Buch "Who needs classical music"), halte ich die Saunasichtweise für eine Perversion und Degeneration, oder um mit den drastischen Mitteln moderner Inszenierungen zu reden, eine Kastration der Kunst. Wenn Kunst zu Wellness degeneriert ist, ist sie keine mehr und kann keinerlei Anspruch (etwa auf Finanzierung oder entgegengebrachte Achtung) anmelden. Nur in diesem Degenerationsfall ist gerechtfertigt, vom "Anspruch" des Publikums auszugehen.


    Sonst ist völlig klar, dass es gerade andersherum sein muß: Nicht ich habe einen Anspruch drauf, dass eine Sinfonie von Beethoven oder ein Drama von Shakespeare mein Bedürfnis nach Genuß, Zerstreuung oder was immer befriedigen, sondern diese Kunstwerke stellen ihrerseits einen Anspruch an mich
    Das ist so ähnlich, wie das moralische Gesetz verlangt, mich und meine Interessen zurückzustellen und die Interessen der Mitmenschen zu berücksichtigen (wobei man auch diesen Vergleich nicht überstrapazieren darf)
    (Dass beide dieser Denkweisen in einer Zeit, in der es darauf ankommen soll, wer zahlt, und jegliche Ansprüche, die nicht in bare Münze umzusetzen sind, von vielen kaum noch verstanden werden, eher unpopulär sind, ist kaum verwunderlich)


    Gewiß sind solche Sachen komplex und es gab in der Kunst- und Musikgeschichte Epochen, in denen Kunst unauflöslich mit gewissen Funktionen (aber früher selten mit Wellness, sondern mit konkreten sozialen oder repräsentativen Aufgaben) verflochten war. So sehr, dass es bei oberflächlicher Betrachtung scheinen mag, diese Aufgaben seien das wesentliche gewesen.
    Ein vermutlich etwas zu einfacher Ausweg ist hier zu sagen, dass dieser funktionale Aspekt dem Kunstcharakter entweder nicht im Wege stand oder sich der Kunstanspruch trotz der Funktion "durchsetzen" konnte. Wenn wir heute eine Bach-Kantate oder die "Wassermusik", unabhängig von ihren liturgischen oder repräsentativen Funktionen im Konzert aufführen und als Kunstwerke wahrnehmen, ist das ein Beleg dafür, dass diese Stücke sich nicht in ihrer zeitgenössischen Funktion erschöpfen.
    Dabei ist immer sehr gefährlich aus vorübergehenden historischen Verträglichkeiten von Funktionserfüllung und Kunstcharakter zu schließen, dass das immer so sein müßte: Mozart und Haydn oder Shakespeare konnten Kunstanspruch bzw. ihre künsterischen Ziele und eine gewisse Popularität relativ problemlos verbinden, was dem späten Bach, Schönberg, Carter oder Joyce nicht ohne weiteres möglich war. Daraus folgt aber gar nichts für die relative Qualität der Kunst der Fuge gegenüber einer Haydn-Sinfonie


    Zitat


    Leider ist das Resultat oft ernüchternd: Das, was Alviano unter einer "klugen" Inszenierung versteht, ist meist einfach nebensächlich, da es sich schlicht aus der Herangehensweise des Rezensenten ergibt, was klug sein kann.


    Das verstehe ich jetzt nicht...? "Dumm kann man sich stellen, auch wenn man schlau ist, umgekehrt fällt es viel schwerer" mag abgedroschen sein, aber es ist doch etwas dran. Man kann nicht beliebigen Blödsinn klug finden (vielleicht allerdings unterhaltsam ;))


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • "Man kann nicht beliebigen Blödsinn klug finden!??" - ich schlucke jetzt einmal vornehm einige Antworten hinunter, die mir dazu einfielen....
    Danke, JR, dass ich nun endlich weiß, was ich bin, nämlich pervers. Ob das auch die vielen Taminoaner wissen, die immer wieder beschreiben, welche Glücksgefühle Musik in ihnen auslöst? Denn, das habe ich jetzt gelernt, eine Oper darf mich nicht "glücklich machen", und tut sie dies doch, bin ich einfach zu blöd um ihren tieferen Sinn zu begreifen.
    Kastration? Oh ja, aber in einem anderen Sinn! Ich fühle mich tatsächlich kastriert, kastriert in meiner Fantasie und meinem freien Willen, wenn ich vorgeschrieben bekomme, wie ich ein Werk zu deuten habe, was ich dabei zu empfinden habe. Ich will mir meine eigenen Gedanken machen dürfen, eigene Bezüge zu meiner Lebenswirklichkeit herstellen.
    Ja, und außerdem möchte ich Musik einfach genießen dürfen, sie einfach als eine Bereicherung in meinem Leben empfinden ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen und als geistig minderbemittelt abqualifiziert zu werden. Ich gönne jedem sein Vergnügen an Neuenfels & Co - das meine ich jetzt keineswegs ironisch - und bin an einem Gedankenaustausch mit Anhängern des Regietheaters ehrlich interessiert, Vorassetzung ist allerdings der Respekt vor der Position des anderen. Diese Arronganz des "Ich- alleine-weiß-was-Kunst-ist-und-soll" und alle, die anders denken, sind blöd (oder pervers) stößt mir ziemlich sauer auf. Im Unterschied dazu hat mir Alviano gestern sehr wohl Denkanstöße gegeben und mir vor allem klar gemacht, worin für ihn die Faszination einer Bieito-Regie liegt.
    Sorry, ich wollte jetzt wirklich niemandem zu nahe treten, aber diese Grundhaltung (s.o.) ärgert mich wirklich.
    SChöne Grüße, Severina

  • Hallo,
    Ich muß mich wiederholen : Eine Operninszenierung sollte
    weder modern ,noch altmodisch sein.Eine Operninszenierung
    sollte dem Werk entsprechend sein.Wenn man eine Oper
    hört und sieht,und die Regie bemerkt,ist etwas falsch.
    Wenn man die Regie nicht bemerkt,ist sie richtig.
    Das ist meine subjektive Meinung.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    Wenn man eine Oper hört und sieht, und die Regie bemerkt,ist etwas falsch.


    Hallo Herbert,


    mit dieser Formulierung kann ich mich anfreunden. Ich würde das auch auf die "Interpretation" übertragen: Wenn man merkt, dass der Interpret interpretiert, dann ist auch etwas falsch. (Es sei denn, man hört extra drauf. Aber wenn man nur "auf die Musik" hört, sollte die "Interpretation" im Bewußtsein des Hörers problemlos verschwinden.)


    :hello:


  • Eine wagemutige Hypothese. Schon die Frage, ob man zwischen "Werk" und "Interpretation" eine klare Trennlinie ziehen kann, wäre zu beantworten. Und ob jemand eine Interpretation oder eine Opernregie "bemerkt", dürfte wohl stark vom Vorwissen und Erfahrungshorizont des jeweiligen Rezipienten abhängig sein. Ein intersubjektiv überprüfbares Verfahren ist das jedenfalls nicht. Und für mich persönlich auch kein wünschenswertes.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Ein intersubjektiv überprüfbares Verfahren ist das jedenfalls nicht. Und für mich persönlich auch kein wünschenswertes.


    Nein. Ich hab mich nur gefreut, einmal nicht bei einem Beitrag von Herbert komplett entgegengesetzter Ansicht zu sein ...
    ;)
    Tatsächlich ist das "nicht bemerken" natürlich Illusion ...

  • Also ich will Herberts These einmal für meinen Verstand mit zwei Beispielen verdeutlichen:


    1) Wenn ich den "Ring" in der Regie von Patrice Chéreau sehe und mir primär auffällt, welch ungeheuer modernes, spannendes Musiktheater Wagners Tetralogie ist, dann ist Chéreaus Regie richtig.


    2) Wenn ich die "Meistersinger" in der Regie von Otto Schenk sehe, und mir primär auffällt, wie alle auf der Bühne herumzappeln und gestikulieren und blödeln und der Sachs einen Nachttopf beiseite schafft, dann ist Schenks Regie falsch.


    Ja - damit kann ich sehr gut leben!


    :hello:

    ...

  • Hallo Kurzstueckmeister,
    ich bin nicht der Meinung,daß es Illusion ist.
    Wenn Bühnenbild und Regie stimmen,sind sie natürlich
    im Unterbewußtsein da,aber man denkt wärend der
    Aufführung nicht dauernd z.B. in "Macbeth":Warum
    kommen die Hexen mit einem Hubschrauber?Warum
    hat Macbeth ein Handy, etc.
    Also,mich lenkt sowas von der Musik ab,und die spielt
    doch in der Oper die Hauptrolle,oder?


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Herbert, das Problem besteht leider darin, dass jeder eine andere Auffassung davon hat, was "dem Werk entspricht". Für den Rezensenten der Grazer "Carmen" z.B. (Sorry, weiß jetzt nicht, von wem der Beitrag war) entsprach die Inszenierung durchaus dem Werk, ich bezweifle, das ich das auch so ehen würde.
    Edwin, bezüglich Otto Schenk stimmen wir offensichtlich überein, der nervt mich auch in den meisten Fällen. (Seinen "L'Elisir" allerdings mag ich immer noch sehr.)
    lg Severina

  • Ja, Herbert, ganz genau - mit Deinen Beispielen sind wir bei Otto Schenk gelandet. Warum hat der Sachs einen Nachttopf? Warum zappelt Beckmesser wie ein Tetraspastiker etc.


    Ich finde, daß Du absolut recht hast - nur kann man Deine Argumentation wesentlich vernichtender auf "konservative" Inszenierungen anwenden, die nicht versuchen, ein Konzept mit innerer Logik zu befolgen, sondern die einfach Regieanweisungen nachstellen.


    Wobei ich der Überzeugung bin, daß es beim sogenannten Regietheater Grauenhaftes gibt - aber eben beim "konservativen" Theater auch.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    Also,mich lenkt sowas von der Musik ab,und die spielt
    doch in der Oper die Hauptrolle,oder?


    Ja, so habe ich das auch verstanden und gemeint. Aber "bemerken" wird man die Regie trotzdem in jedem Falle, nur dass man sie eventuell fälschlicherweise für einen Bestandteil der Oper selbst hält. Wo die Grenze ist, ist freilich auch schwer festzustellen, wie Zwielicht richtig angemerkt hat.


    Nehmen wir Lulu. Wedekinds Regieanweisungen sind Bestandteil des Theaterstücks und wenn ich das lese, begeistert mich durchaus auch die Vorstellung dieses Bühnenraums, in dem die Personen gleich aneinandervorbeireden werden und jeder Akt seine Leiche einfordert. Ich will auch diese Räume sehen! Die Regie wird dennoch nicht durch die Regieanweisungen überflüssig gemacht, so genau ist Wedekind auch nicht.


    Von mir aus soll man auch Regietheater machen, nur will ich auch Theateraufführungen mit "Werktreue" zur Verfügung haben. Und wer mir jetzt diesen Begriff madig machen will, soll in Wedekinds "Lulu" die Beschreibung der Räume nachlesen.

  • Hallo Edwin,


    ich habe auf der "Merker"-Seite gelesen, dass Du in Wien einer Podiumsdiskussion zum Thema "Regietheater - warum wir es so scheußlich finden, aber rechtlich rein gar nichts dagegen tun können" beigewohnt hast, die u.a. vom Sohn des allmächtigen Staatsopern-Impressarios einberufen wurde. Du warst mit Deiner relativ regiefreundlichen Einstellung wohl ziemlich in der Minderheit, oder?


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Giselher,
    Michael Lakner, derzeit Intendant der Lehar-Festspiele in Bad Ischl, und ich waren in der Minderheit, weil wir beide für einen vernünftigen Umgang mit der Problematik eintraten. Hätten wir ebenso blind dem Regietheater das Wort geredet, wie dessen Gegner einem "konservativen" Theater, hätten wir sicher auch nicht viele, aber möglicherweise mehr Befürworter gefunden.


    Ich kann jetzt nur für mich, nicht für Lakner sprechen (obwohl wir auch im privaten Gespräch nachher weitegehend übereinstimmten): Ich bin dafür, daß der Regisseur sich mit dem Werk auseinandersetzt, daß er verdammt nocheinmal denkt, und diese Überlegungen so auf die Bühne stellt, daß man ihnen folgen kann. Kurz: Was der Dirigent musikalisch tut, soll der Regisseur szenisch machen.


    Nun kann das Ergebnis durchaus "konservativ" sein: Ich liebe etwa heiß die Inszenierungen von Jean Pierre Ponnelle, der eine ganz eigene Ästhetik gefunden hat und dessen Bayreuther "Tristan" zu den tiefsten Eindrücken gehört, die ich aus Bayreuth mitnehmen konnte.


    Es kann aber auch in eine Richtung gehen, die man ebenfalls schon als "Regietheater" bezeichnet, obwohl der Regisseur nichts macht, was dem Geist des Werkes diametral entgegengesetzt wäre, sondern nur Inhalte des Werkes neu akzentuiert. Meine Beispiele dafür sind Chéreaus "Ring" (Bayreuth), Christine Mielitz' "Parsifal" (Wien), Peter Konwitschnys "Don Carlos" (Wien).


    Was Herbert oben anspricht, sind Trotteleien, die ein totales Mißverständnis des Regietheaters seitens einiger Regisseure sind, denen nichts einfällt.
    Alle diese Beispiele gehören für mich in die Kategorie "Schnickschnack". Ob nun die "Macbeth"-Hexen im Hubschrauber kommen oder auf Motorrädern, ist letzten Endes ebenso egal, wie wenn Sachs eben einen Nachttopf in der Hand hat oder Hunding eine Gulschsuppe so schlürft, daß er sich von oben bis unten damit bekleckert.
    Ich kann jederzeit zu jedem beliebigen Bühnenwerk solchen Schnickschnack erfinden - mit dem Ergebnis, daß der eine Teil des Publikums tobt vor Wut und der andere jubelt.
    Nur hat dieser Schnickschnack weder mit gutem konservativen Theater noch mit gutem Regietheater etwas zu tun.
    Schnickschnack bleibt Schnickschnack - und ist abzulehnen.


    Wenn nun eine Regietheater-Inszenierung primär aus diesem Schnickschnack besteht - und das tun sehr viele -, spricht das meiner Meinung nach nicht gegen das Regietheater, sondern nur gegen dessen Primitivisierung durch Regisseure, die auf Kosten eines Werkes auf sich aufmerksam machen möchten.
    Solchen rate ich: Wenn Du nicht denken kannst, inszeniere lieber konservativ, dann fällt es zwar auch, aber nicht gar so sehr auf.


    Nur rede ich ja nicht von dieser Dekadenz des Regietheaters, sondern ich rede von Regisseuren, die mir ein Werk auf eine völlig neue, sich dennoch mit dem Werk deckende Weise erzählen.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin
    ich glaube,da sind wir auf einem Nenner.
    Ich habe nichts gegen neue Sichten ,sofern man ein
    Konzept dahinter findet,das dem Werk und dessen
    Schöpfer dienlich ist.Ich nenne einige Beispiele von
    Theaterleuten,deren Arbeit ich bewunderte.Da waren
    O.F.Schuh mit C.Neher,deren Inszenierungen ich in Köln
    !959-60 bewundert habe,da war W.Wagner,G.Friedrich,oder
    J.P.Ponelle.Das sind für mich ,positive Beispiele für Opernregie.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Herbert,
    ja, da gehen wir wirklich d'accord. Das ist genau die Richtung, die ich als moderne Regie bezeichne.
    Nur: Wir müssen weiterdenken, schließlich lebt von den von Dir genannten (leider) keiner mehr, und es ist wichtig, diese Art des Musiktheaters weiterzuführen - nicht den Stil, sondern das Denken.


    Vielfach wird heute aber entweder betulich altmodisch inszeniert oder albern modern - und da geht meiner Meinung nach das eine in eine ebenso falsche Richtung wie das andere.


    :hello:

    ...


  • Ein gewisses Problem sehe ich allerdings darin, daß man die Arbeiten der genannten Namen heute nur noch mit Einschränkungen beurteilen kann. Die Zeit des "Schuhhaus Sawallisch" lag vor der Phase der Fernseh- und Filmaufzeichnung, und von Wieland Wagners Arbeiten ist auch nur sehr wenig audiovisuell dokumentiert und zugänglich (ich halte immer noch Ausschau nach der Aufzeichnung der Schusterstube von 1963 und der "Lulu"... - kann mir da jemand weiterhelfen???) Den "Tristan" und die "Walküre" habe ich zwar, aber die schlechte Qualität der Aufzeichnung und die Tatsache, daß es Schwarz-Weiß-Sendungen sind (womit die ganze Licht- und Farbregie verlorengeht) bieten lediglich einen vagen Eindruck ; die Personenführung läßt sich zwar beobachten, ist aber für heutige Maßstäbe ausgesprochen bieder (als ich Dr. Friedrich, dem Leiter des Wahnfriedarchivs, die Walküre zukommen ließ, meinte er sinngemäß: das erinnere aus der heutigen Perspektive doch eher an das Stadttheater Soest). Bei Ponnelle und Friedrich ist die Lage besser, und beide schätze ich sehr. Allerdings muß man bei Ponnelle halt immer im Auge behalten, daß es sich meist um explizite Filme handelt, die zwar oft auf Bühnenaufführungen basieren, aber die Anforderungen des anderen Mediums mit einbeziehen (Ausnahmen sind Cardillac und Lear, die vom Fernsehen während einer Vorstellung live aufgezeichnet wurden).. Wie eine solche Produktion dann im Haus gewirkt hat, ist eine andere Frage. Und von Friedrich gibt es ja auch Bühnenaufzeichnungen UND Filme, was zwei Paar Stiefel sind.

  • Ihr sprecht mir beinahe aus der Seele! :yes:Ein Problem besteht meiner Meinung nach darin, dass viele nur die Extrempositionen sehen, also entweder Otto Schenk oder Calixto Bieito. Die ganze Bandbreite dazwischen - von sehr klugem, psychologischem Regietheater (den Konwitschny-Carlos finde ich auch ganz ausgezeichnet) bis zu reinem Schnickschnack, wie Edwin es bezeichnet - geht dabei oft unter.
    Falls Alviano noch einmal reinschaut: Es gibt eine weitere Gemeinsamkeit zwischen uns: Wie du bevorzuge ich Sänger, die auch gute Schauspieler sind, reiner Schöngesang genügt mir auf der Bühne nicht, dafür habe ich meine CD's! :pfeif:
    lg Severina

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Vielfach wird heute aber entweder betulich altmodisch inszeniert oder albern modern - und da geht meiner Meinung nach das eine in eine ebenso falsche Richtung wie das andere.


    Das entspricht aber nicht meiner Erfahrung. Extreme Inszenierungen, wie sie Bieito macht (und die ich ausdrücklich nicht "albern" finde), sind nach wie vor absolute Ausnahmen. "Betulich altmodische" Regie findet man noch gelegentlich an bestimmten Bühnen - die Regel sind sie aber keinesfalls. Die meisten Regisseure (und Bühnenbildner) bewegen sich irgendwo dazwischen, und zwar in alle möglichen Richtungen und auf allen denkbaren qualitativen Ebenen. Man müsste konkrete Kriterien nennen. Das aber ist zugegebenermaßen schwierig.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,
    ich empfehle Dir einen Besuch der Wiener Volksoper und fallweise der Wiener Staatsoper - was man da fallweise an Verstaubtem zu sehen bekommt, öffnet einem die Augen...
    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    ich habe ja von "bestimmten Bühnen" mit traditioneller Optik gesprochen und ausdrücklich keine Namen genannt - ich wollte ja nicht unhöflich sein :D. (Ich bin kein intimer Kenner der Wiener Opernszene, habe aber in den letzten zehn Jahren relativ regelmäßig die Staatsoper und seltener die Volksoper besucht.) Meine Bemerkung bezog sich aber auf den deutschsprachigen Raum insgesamt, und da ist Wien quantitativ - und ich fürchte auch qualitativ ;) - nur ein kleiner Ausschnitt des Spektrums...


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von severina
    "Man kann nicht beliebigen Blödsinn klug finden!??" - ich schlucke jetzt einmal vornehm einige Antworten hinunter, die mir dazu einfielen....
    Danke, JR, dass ich nun endlich weiß, was ich bin, nämlich pervers. Ob das


    Natürlich gibt es vereinzelt dumme oder verwirrte Leute, die Blödsinn gut finden. Aber halbwegs intelligente Leute eben nicht beliebigen. Loriot oder Monty Python und eine ganze Menge im Theater ist "höherer Blödsinn", den ziemlich viele Leute auf brillante Weise unterhaltsam finden. Aber das ist nebensächlich.
    Hast Du überhaupt gelesen, was ich geschrieben und worauf ich mich (in Antracis posting) bezogen habe? Wenn Du ähnlich gründlich Kunst rezipierst, wundert mich überhaupt nichts mehr. Ich habe kein Wort über irgendwelchen spezifischen Inszenierungen oder Prinzipien, denen sie folgen sollten, verloren, sondern bezog mich einzig darauf, dass es eine Perversion, ein Mißbrauch ist, wenn Kunst (hier meinetwegen Oper) mit Sauna, Massage o.ä. austauschbar wird. Bist Du ernsthaft der Ansicht, Oper ist im Grunde so was wie ein warmes Bad?


    Zitat


    auch die vielen Taminoaner wissen, die immer wieder beschreiben, welche Glücksgefühle Musik in ihnen auslöst? Denn, das habe ich jetzt gelernt, eine Oper darf mich nicht "glücklich machen", und tut sie dies doch, bin ich einfach zu blöd um ihren tieferen Sinn zu begreifen.


    Wo steht, dass eine Oper Dich nicht "glücklich" machen darf? Ich schrieb lediglich, dass Kunst nicht dazu verkommen darf, dass sie in erster Linie benutzt wird wie ein warmes Bad. Dafür gibt es Wellness-Hotels.
    Es geht auch gar nicht um den absurden Gegensatz zwischen "Kopf und Bauch". (Wenn überhaupt (wie sich an den erbosten Reaktionen ja überdeutlich zeigt) richten sich die verhaßten moderne Inszenierungen ja ohnehin eher an den "Bauch".)


    Zitat


    Kastration? Oh ja, aber in einem anderen Sinn! Ich fühle mich tatsächlich kastriert, kastriert in meiner Fantasie und meinem freien Willen, wenn ich vorgeschrieben bekomme, wie ich ein Werk zu deuten habe, was ich dabei zu empfinden habe. Ich will mir meine eigenen Gedanken machen dürfen, eigene Bezüge zu meiner Lebenswirklichkeit herstellen.


    Keiner verbietet Dir das. Aber in KEINER Kunst, die wie Musik, Tanz, Theater eines Interpreten bedarf, ist zu verhindern, dass jemand "deinen freien Willen nimmt". Wenn ein Dirigent ein Stück 30% langsamer oder schneller nimmt als ich es mir vorstelle, nimmt er mir in diesem Moment natürlich die Freiheit, es in dem von mir als angemessen empfundenem Tempo zu hören. Aber dafür eröffnet er mir, wenn seine Interpretation gelungen ist, etwas Neues, was mir vorher nicht klar war. Die einzige Möglichkeit, so etwas zu vermeiden ist selber spielen (oder im Kopf nachvollziehen), was doch wohl keine Lösung darstellt (für mich u.a. nicht, weil ich das beides nicht gut genug kann). Jeder Interpret ist immer auch Mitschöpfer, das ist unvermeidlich.


    Und auch wenn wir als Laien natürlich alle unsere Meinung haben, finde ich es ziemlich dreist, wenn man in einem Fall, in dem ein professioneller Musiker (oder Regisseur) eine bestimmte interpretatorische Entscheidung trifft, mit der wir nicht einverstanden sind, sofort laut loszublöken. Auf jedem anderen Gebiet würde der Profi den Laien erstmal bitten, sich entsprechend mit dem Stück zu befassen (wenn er ihn nicht gleich aufgrund seines naßforschen Besserwissertums auslachen würde). Aber in der Oper ist natürlich jeder Experte und viel schlauer als irgendsoein Regisseurs-Fuzzi. Wie man den Profis Arroganz vorwerfen, aber im selben Moment selbst sehr viel arroganter sein kann, indem man die eigene Meinung zum Standard für den Experten erhebt, ist mir schleierhaft... :rolleyes:


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    Vorassetzung ist allerdings der Respekt vor der Position des anderen. Diese Arronganz des "Ich- alleine-weiß-was-Kunst-ist-und-soll" und alle, die anders denken, sind blöd (oder pervers) stößt mir ziemlich sauer auf.


    Ich behaupte nicht zu wissen, was Kunst soll (nur, was sie nicht soll). Aber dass Kunst nicht dieselbe Aufgabe hat wie ein Wellness-Tag ist seit ca. 2400 Jahren unter praktisch allen Künstlern und Leuten, die sich theoretisch mit Kunst befassen, unumstritten. Das ist keinesfalls meine exotische Privatmeinung, sondern weitgehend Standard von Aristoteles bis ins 20. Jhd. Die antike Tragödie (die bekanntlich eine Inspiration bei der Entstehung der Oper war), sollte Furcht, Schauder und Mitleid bei den Zuschauern auslösen, nicht sanftes Wohlbehagen.
    Es ist nicht meine Schuld, dass das anscheinend heute nicht in der Schule gelernt wird und weitgehend aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden zu sein scheint. (Viele würden indes sagen, dass das in Zeiten von Dauerberieselung, Kulturindustrie und Reduktion von jeglichem Wert auf den Tauschwert, kein Wunder ist) Zur Kunst gehört Autonomie und das bedeutet u.a., dass sie uns nicht das bietet, was wir gerne hätten, sondern eigenen Gesetzen folgt, eben Ansprüche an uns stellt. Wer Ansprüche auf Genuß anmeldet, weil er bezahlt hat, soll ins Wellness-Hotel (oder an einen anderen Ort, wo Genuß gegen Geld zu haben ist) gehen.
    Ich bitte das nicht als Generalablaß für jeden Quark, den sich ein Regisseur ausdenkt, zu verstehen. Natürlich gibt es viel Fragwürdiges, ebenso wie in "konventionellen" Inszenierungen. Aber der Grundsatz der Autonomie ist einfach zu wichtig, um ihn aufzugeben.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber JR, lassen wir's einfach, wir scheinen ständig aneinander vorbeizureden ?( Ich habe schon begriffen, worum es in Antracis Artikel ging (so minderbemittelt bin ich nun auch wieder nicht), und natürlich setze ich Oper nicht mit einem warmen Bad gleich, wenn ich ihr auch durchaus wellness-Funktionen zuschreibe. Warum darf Musik nicht "wellness" für die Seele sein? (Insofern finde ich den Vergleich gar nicht sooo falsch!) Warum ist es so frevelhaft, einmal (und ich sage jetzt NICHT immer!) den intellektuellen Ansatz zu vergessen und sich einfach "hineinfallen" zu lassen und ein Musikstück zur Entspannung, als Aufheller in einer düsteren Stimmungsphase auf sich wirken zu lassen?
    Aber dazu "darf Kunst nicht verkommen", wie du schreibst. Ich denke, sie hält es aus!
    Die Autonomie, die du ansprichst, ist mir ebenso wichtig. Ich habe ja ausdrücklich "Respekt vor der Position des anderen" eingefordert, d.h. ich respektiere die Sicht eines Herrn Neuenfels, nehme aber für mich das Recht in Anspruch, diese Sicht nicht zu teilen, ohne deshalb als doof abgestempelt zu werden. Wenn du MEINE Zeilen genau gelesen hättest, wüsstest du, dass ich mir eben NICHT anmaße zu wissen, was Kunst ist, weil das von der subjektiven Betrachtungsweise eines jeden abhängt. Ich teile z.B. deine Definition von Kunst nicht, deshalb ist sie aber nicht falsch oder absurd - es ist eben DEINE Sicht, aber nicht DIE Sicht schlechthin. Das und nichts anderes wollte ich mit meinem Beitrag zum Ausdruck bringen.
    Im übrigen gibt's immer wieder Regisseure, die als Quereinsteiger zur Oper kommen und tatsächlich wenig bis keine Ahnung von der Musik haben - frag' bitte einmal die Sänger oder Dirigenten!! Und wenn du forderst, die "interpretatorische Entscheidung" eines Regisseurs zu akzeptieren, so frage ich dich, ob du das auch einem Otto Schenk oder Franco Zeffirelli zugestehst, die eher den Wellness-Faktor der Musik befördern.....
    Ich fürchte, wir kommen auf keinen gemeinsamen Nenner, aber das müssen wir ja auch nicht.
    Schöne Grüße, Severina