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Anders geht das aber auch gar nicht, eine Oper transportiert große Gefühle, keine komlexen Gedankengebäude.
sic!Als ein Freund komplexer Gedankengebaeude.
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Original von Holger
Also zum Thema.Wenn eine Partitur interpretiert wird, meine ich, dass es kein Qualitaetsmerkmal ist, sie zu aendern. Den Reiz einer mehr oder weniger gelungenen Interpretation machen doch gerade die Luecken in der Partitur aus. Also die gewissen, reizvollen Verzoegerungen, die Variation der Tempi, der Dynamik, etc. Wird die Partitur geaendert, ist es doch keine Interpretation mehr, sondern eine Bearbeitung - wuerde ich sagen.
Lieber Holger,
auch ich bin für eine strikte Beachtung der Partitur. Du hast zu Recht festgestellt, dass die Partitur einen breiten Raum für Interpretationen lässt. Aber ein paar Einschränkungen dieser grundsätzlichen Position möchte ich schon benennen, denn es geht voraus, dass es um den Sinn und nicht um den Buchstaben der Partitur geht. Je nachdem kann man mit dem Buchstabieren den Sinn verfehlen. Ich nenne einmal zwei Begründungen, in die Partitur enzugreifen:
1) Bedingungen des Raumes und des Orchesters: wie eine gelungene Interpretation von Bach-Kantaten à la Rifkin am Raum scheitern kann, habe ich unlängst in der Kölner Philharmonie erlebt. Auf der CD hat Junghänel mit der Besetzung sicher Recht, in einem kleineren Raum auch, aber in der Kölner Philharmonie konnte das Konzept nicht überzeugen.
Wenn Berlioz, Wagner oder Richard Strauss Gluck-Opern bearbeitet haben, waren das zunächst einmal Anpassungen an Opernhäuser und Hörgewohnheiten der jeweiligen Gegenwart, an die zur Verfügung stehenden Orchester und ihre Musiker, an konkrete Sänger - das hat übrigens jeder Komponist mit seinen Opern zu Lebzeiten auch gemacht.
Wir haben im Moment eine Richtung vorherrschen, die nach dem Originalklang fahndet. Das ist auch etwas, das ich seit Jahren mitgetragen habe. Aber der Originalklang braucht auch die Originalohren, die originalen Bedingungen der Aufführung. Wer sich da auskennt, wird mit beiden Händen abwinken. Teil der ästhetischen Kommunikation ist immer auch das konkrete Publikum in einem konkreten Raum, alles andere ist nur graue Theorie.
2) Bedingungen des heutigen Hörens. Vieles, was wie heute an harmonischen Wohllaut empfinden, wurde von den Hörern der Entstehungszeit nicht so gehört. Bei Gluck beschwerte sich etwa Metastasio über seine raue und wilde Musik, Mozart galt als schwierig und dissonant, eben ein Moderner, was Beethoven anging, verweise ich auf meine Signatur.
Wenn wir heute nicht mehr die Mollhaltigkeit und die Dissonanzen von Glucks Ouvertüre zum Orfeo hören, verfälschen wir das Stück, wenn wir es als festliche C-dur-Musik zelebrieren. In der Partitur stehen genügend Hinweise auf eine verstörende Interpretation bis hin zu all den strukturellen Verknüpfungen, die ein Normalhörer sowieso nicht wahrnimmt. Wenn ich also mit historischem Instrumentarium und flottem Tempo nur eine Festmusik produziere, gehorche ich den Buchstaben, nicht aber dem Sinn der Partitur.
Was für die Partitur gilt, gilt meiner Meinung nach in vermehrtem Maße dem Libretto.
ZitatIch meine, in analoger Weise sollte auch ein Libretto interpretiert werden.
Da stimme ich nun zu
Um den Sinn und nicht um den Buchstaben des Librettos muss es gehen - um nichts sonst!
ZitatWenn das so nicht geschieht, dann sehe ich dafuer nur zwei Erklaerungen:
1.) Mit dem Stueck ist einfach so nichts mehr anzufangen. Teile davon sind zu gut, um es einfach im geschichtlichen Muelleimer vergammeln zu lassen, aber es gehoert ueberarbeitet/aktualisiert.
Meine Bewertung: Finde ich guten Grund. Aber man sollte das dann trotzdem als "Bearbeitung" deklarieren, das wuerde ich jedenfalls dann fuer optimal halten.
Zunächst einmal: ich habe gar nichts einzuwenden gegen deine Forderung, eine Bearbeitung des Librettos eine Bearbeitung zu nennen. Ich kann da auch nicht so ganz verstehen, warum man da so zurückhaltend ist. Wohlgemerkt: "Die Zauberflöte" von Mozart nach einem Libretto von Schikaneder. Bearbeitet und inszeniert von Neuenfels. Nicht etwa Mozart/Neuenfels: "Die Zauberflöte". Ob man das nun so angibt, was ohnedies jeder weiß, hängt von dem Umfang der Eingriffe ab. Aber das gilt selbstverständlich auch für Wieland Wagners Inszenierung des Parsifal ...
Jedes Stück entwickelt sich weiter im Laufe seiner Geschichte. Wenn es dies nicht mehr tut, dann ist es wirklich ein Museumsstück. Immer neue Schichten und Aspekte des Werkes leuchten im Laufe der Zeiten auf, an die der Autor nicht einmal gedacht haben muss, sie liegen im unbewussten Kontext der Zeit und ihrer geschichtlich-gesellschaftlichen Bewegung.
Damit die Handlung der Musik (die ja eine Sprache spricht, die über die zeitliche Beschränkung der Entstehungszeit hinausgeht) nicht widerspricht, braucht es Eingriffe in die Darstellung, sonst wird das Überwinden der Todesangst der Konstanze in "Martern aller Arten" nur ein wohlfeiler Singsang. Wie man die Bedeutungsschichten und die unterschiedlichen Aspekte eines Stücks Musiktheater in einer strikten und stimmigen Interpretation auf die Bühne bekommt - dafür braucht man die besten Regisseure, welchem Lager sie sich zurechnen oder sie zugerechnet werden.
Zitat2.) Mit dem Stueck ist einfach nichts mehr anzufangen. Aber - historisch gesehen - ist es zu bedeutsam, um es im geschichtlichen Muelleimer vergammeln zu lassen. Es gehoert daher tradiert - der Bildung halber. Die Auffuehrung ist eine Art "Anschauungsunterricht". Integraler Bestandteil einer Unterrichtseinheit ist - selbstverstaendlich - das Paedagogisieren des Lehrers, will sagen: Die bewusste Lenkung der Schuelerblicke; eine Fokussierung der historischen Bedeutung des Stueckes.
Meine Bewertung: Trotz eines Rattenschwanzes moeglicher und sehr legitimer Anfragen an diese Art Ansatz finde ich selbst das akzeptabel. Aber auch hier meine ich: Kennzeichnungspflicht. (Koennte mir etwa vorstellen: "!!!Achtung Lehrveranstaltung!!!"
).
Auch da bin ich durchaus deiner Meinung. Es gibt vieles, das ich mir als Musikhistoriker einmal zu erleben gewünscht habe, aber das ist doch ein mehr als partikulares Interesse. Immerhin lässt mich die gegenwärtige Bewegung der "Authentizität" eine Menge solcher verbotenen Feste feiern
Liebe Grüße
Peter
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Lieber Peter,
Herzlichst,
Medard -
Ich kann mich Medards Verneigung vor Peters Plädoyer einer ZEITGEMÄSSEN( dazu zählen die äusseren Umstände auch für mich) und gerade deshalb wahrhaftigen und authentischen Operninterpretation nur heftigst anschliessen!!!!
Wer das leugent, kann sich nur allzu leicht in einem verstaubten Museum wiederfinden, das allenfalls noch nostalgischen Wert für die Ewig-Gestrigen hat oder romatische Gefühle befriedigt. Aber von keinerlei Interesse mehr für junge Generationen und neugierige, analytische, aufgeschlossene Ohren sein wird.
Wenn man sich vor Augen hält, was z.B Gluck und Mozart zu ihrer Zeit waren, kann man allein schon deshalb, nciht das Sakrilieg begehen, sie heute in die Mumien-Kiste zu stecken. Peter hat das für mich absolut zwingend dargelegt .Fairy Queen
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Hallo Peter et alii.
Ich muss zugeben, dass ich mit dem Anbetungssmiley gegenueber eher skeptisch eingestellt bin - als Christ, verstaendlich. Gestern Abend habe ich hier Teile von "Any Dream Will Do" gesehen, da wird der naechste "Joseph" fuer Webbers Musical gesucht. Da sass dann Andrew "Lord Frog" Lloyd Webber auf gueldener Kathedra und als zu Beginn die Juroren vorgestellt wurden und sein Name gefallen war, wandten sich seine beiden Nachbarn in eben solcher Anbetungsgeste ihm zu, was nicht nur ich peinlich fand - His Lordship Webber himself auch.
@Peter
Ich verstehe nicht ganz, ob bzw. inwiefern du meinen Beitrag kritisierst. Ich denke, du kritisierst mich, aber ich bin nicht sicher.Z. B. worauf beziehst du deine Ausfuehrungen zum Raum? Du meinst da Aenderungen etwa der Dynamik, vielleicht in gewissem Masse der Notenwerte? Das wuerde ich als Interpretation einstufen und nicht als Bearbeitung.
Das Thema "Originalklang". Es ist mir auch hier nicht ganz klar, was du meinst. Ich besitze etwa die Einspielung der Matthaeuspassion von McCreesh (... und ich habe gerade gesehen, dass die bei Amazon fuer 90€ steht, das ist ja Wahnsinn! Ich habe dafuer noch 30€ bezahlt!). Ich habe mir diese Aufnahme auf Anraten eines (mehr als) hervorragenden Organisten und Bach-Fans (der ist - im Gegensatz zu mir - wirklich Bach-Fan) gekauft. Die Aufnahme orientiert sich, was die Besetzung angeht, an den Bedingungen der Bachzeit. Trotzdem ist die Aufnahme atem(be)raubend. Ich persoenlich finde, die Passion gewinnt enorm dadurch, dass kein Kammerchor im Einsatz ist, sondern die Chorstuecke von den Solisten getragen sind. Trotzdem, warum nicht einen Kammerchor die Chorpartien singen lassen?
Partitur und Libretto sind original. Mehr nicht. Und nicht selten - wie etwa bei Hoffmanns Erzaehlungen - gibt es auch mehrere Libretti und Partituren, die original sind und die Konzertanten haben die "Qual" der Wahl.Was ist denn nun der "Sinn" eines Librettos? Ich verstehe deine Ausfuehrungen so, dass du der Meinung bist, der "Buchstabe" des Librettos enthuelle den "Sinn". Genau das sagst du doch, wenn du von "Mollhaltigkeit", "Dissonanzen" und "strukturellen Verknuepfungen" sprichst, oder? Das heisst, was du einforderst, ist nichts anderes als genaues Lesen von Partitur und Libretto, oder?
Ein "Sinn" jenseits des Textes koennte lediglich in den Leerstellen des Textes gefunden werden.
Nun brauche ich dir nicht durchzudeklinieren, was etwa bei folgender Zeile aus einem bekannten Libretto an leerem Raum der Interpretation belassen ist:"La scena si finge nella città di Mantova e suoi dintorni.
Epoca, il secolo XVI."Etwa aus Mantua einen Luxusliner zu machen? Ist das genaues Lesen?
Ich meine, dass man durchaus auch dem Publikum zutrauen darf, sich Gedanken ueber die "Aktualitaet" eines Stueckes zu machen.
Als Theologe bin ich in Sachen Hermeneutik ja kein Analphabet. Und meiner Erfahrung nach hilft es fuer das Verstaendnis der Weihnachtsgeschichte ueberhaupt nichts, aus Maria und Joseph zwei Obdachlose unserer Tage zu machen.
Ganz abgesehen davon: Natuerlich kann man die Weihnachtsgeschichte in unsere Tage legen. Und "Jesus of Montreal" habe ich etwa gar nicht schlecht in Erinnerung (ist allerdings schon lange her, dass ich's gesehen habe).
Auch wenn ich es fuer kuenstlerisch wertvoller halte, durch Musik und Spiel die Aktualitaet (die doch wohl keineswegs in einer - im weitesten Sinne - "ideologischen" Aussage bestehen muss, sondern doch auch schlich darin bestehen kann, dass ein Stueck auch, sagen wir, nach 200 Jahren noch hoechst unterhaltsam ist) eines Stueckes rueberzubringen als durch effekthascherische, scheingeniale inszenatorische Kunstgriffe, so mag eine Inszenierung hin und wieder trotz eben solcher unterm Strich gelungen sein. Nur waere ich dann eben - wie ich ja schon geschrieben habe und da hast du mir ja auch zugestimmt - fuer eine Kennzeichnung. Da mag dann statt "Bearbeitung" im Opernprogramm auch "aktualisiert"/"in einer modernen Inszenierung", o. ae. stehen.Weitaus problematischer - das wirst du an meinem Schreibstil gemerkt haben - finde ich dieses Paedagogisieren bei Inszenierungen a la (accent aigu ist mit englischer Tastatur so wenig machbar wie dt. ae) Heeresrufer als SS-Mann finde ich erheblich abstossender: Natuerlich war Wagner Teil einer historischen Bewegung, die schliesslich im Nationalsozialismus muendete, so what? Da kann jeder soweit, wie er moechte, sich mit beschaeftigen. Wagner selbst hat - soweit ich weiss - keine Juden umgebracht (und im Gegensatz zu Gesualdo auch sonst niemanden). Auch in seinen Werken kommen keine Juden vor. Er hat zwar unschoene Sachen ueber Juden geschrieben, aber auch nicht dazu aufgerufen, Juden zu toeten. Er hat zweifelsohne eine Art deutschnationale Kunst schaffen wollen - aber Verdis Opern tragen auch nationalistische Merkmale (was keine Entschuldigung ist). Auch solche Scherzereien wie diese Rhein-links-rechts-Geschichte kann ich mit Humor nehmen. Wer daran rumaendert faellt doch in dieselbe Falle, in die auch Wagner gefallen ist. (Letztere Bemerkungen gehoeren nicht in diesen Thread sind aber - leider - bei derzeitigem Diskussionsstand unbedingt unverzichtbar). Lohengrin und Tristan sind tiefromantisch; Parzifal gar pazifistisch. Wenn jedem Kuenstler seine Fehler in seinen Werken nachgetragen wuerden, wohin fuehrte das? Da kann man sich im Musikunterricht mit beschaeftigen, auf die Opernbuehne gehoeren solche Scherzereien - mit Verlaub - nicht.
Lieber Peter, bitte fuehle dich von dem Geschriebenen weder kritisiert noch angegriffen. Ich moechte lediglich meine Position praezisieren und deine besser verstehen. Weit auseinander - wenn ueberhaupt - liegen wir meinungsmaessig, so mein Gefuehl, nicht. Wg. meiner Polemik hie und da bitte ich um Nachsicht.
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Original von Holger
@Peter
Ich verstehe nicht ganz, ob bzw. inwiefern du meinen Beitrag kritisierst. Ich denke, du kritisierst mich, aber ich bin nicht sicher.Nun, diese Unsicherheit nehme ich schon mal als Lob, wie ich das lustige Smiley auch nicht anders nahm. In der Übertreibung liegt auch ein
gutes Stück Ironie, das gilt für alle Smileys. Humor gehört für mich zum Glauben, aber Theologie ist bekanntlicherweise etwas anderes als Glauben.ZitatZ. B. worauf beziehst du deine Ausfuehrungen zum Raum? Du meinst da Aenderungen etwa der Dynamik, vielleicht in gewissem Masse der Notenwerte? Das wuerde ich als Interpretation einstufen und nicht als Bearbeitung.
Dabei bleibt es nicht stehen, und kann oft genug auch nicht stehen bleiben. Das fängt vom Instrumentarium an, das evt. nicht vorhanden ist (wie etwa die Zinken in der 1. Szene des Orfeo, damals klangliches Symbol einer Begräbnismusik), heute anders klingt, im Raum anders klingt, verdoppelt werden muss und geht bis zu den bekannten Eingriffen in die Partituren, die eine geforderte Klanggestalt zu gegebenen Bedingungen herstellen. Die Aufführungspraxis der Zeit von Gluck, Mozart und Beethoven beinhaltete das Zufügen und das Weglassen von einzelnen Instrumenten. Dazu probierte der Komponist auch eine Vielzahl von Varianten aus, wie etwa die neue Beethoven-Ausgabe deutlich machte, die nun plötzlich dem Dirigenten eine Reihe von Auswahlmöglichkeiten bietet. Ich halte es schon für wichtig, dass man den ursprüngliche Klang kennt, wie etwa die Flötenstellen in der Zauberflötenouvertüre (Bsp. T. 58 ). Für die damalige Flöte geschrieben, bedeutet diese chromatische Skala, dass die Töne nur auf "holprig ungleichen Stufen mit unterschiedlich klingenden Tönen" (Born) erklommen werden konnten. Auf den meisten meiner Aufnahmen, ob nun "authentisch" oder nicht entschwebt die Melodie "mühelos-gleichmäßig" nach oben. Ausgerechnet die "unauthentische" Aufnahme unter Furtwängler gibt einen adäquaten Klangeindruck. Zwischen Interpretation und Bearbeitung gibt es noch ein Riesenreich an Schattierungen.
ZitatDas Thema "Originalklang". Es ist mir auch hier nicht ganz klar, was du meinst. Ich besitze etwa die Einspielung der Matthaeuspassion von McCreesh (... und ich habe gerade gesehen, dass die bei Amazon fuer 90€ steht, das ist ja Wahnsinn! Ich habe dafuer noch 30€ bezahlt!). Ich habe mir diese Aufnahme auf Anraten eines (mehr als) hervorragenden Organisten und Bach-Fans (der ist - im Gegensatz zu mir - wirklich Bach-Fan) gekauft.
Sollte ich hier die theologische Spitzfindigkeit anmerken, dass ein Bach-Fan kein Bach-Liebhaber ist?
ZitatDie Aufnahme orientiert sich, was die Besetzung angeht, an den Bedingungen der Bachzeit. Trotzdem ist die Aufnahme atem(be)raubend.
Du wirst mir zugestehen, dass es zu Bachzeit keine Aufzeichnungen auf CDs gab. Die Bedingungen der CDs (Aufnahme im Studio unter idealen Klangbedingungen) erleichtern es in enormen Maße, dass es solche Erlebnisse geben kann.
ZitatIch persoenlich finde, die Passion gewinnt enorm dadurch, dass kein Kammerchor im Einsatz ist, sondern die Chorstuecke von den Solisten getragen sind. Trotzdem, warum nicht einen Kammerchor die Chorpartien singen lassen?
Ich höre ja auch solche Aufnahmen hin und wieder gern, möchte aber erst einmal festhalten, dass eine konzertante Aufführung (oder gar eine Studioeinspielung) eines Oratoriums und die Aufführung einer Oper auf einer Bühne doch ein großer Unterschied ist.
Was die Matthäus-Passion angeht, so muss ich sagen, dass für mich Aufnahmen wie die unter Mengelberg, Ramin oder Werner einen wesentlich größeren Emotionsgehalt haben, mit dem ich mich identifizieren kann. Aber sprechen wir doch lieber gleich von der Oper:
Händels Giulio Cesare in Egitto hat ja auch einen Chor. Der Not gehorchend, nicht dem inneren Triebe, besetzte er ihn vor allem mit Solisten, die im Moment sonst nicht eingesetzt wurden. Das mag auf einer CD hingehen, auf der Bühne wirkt ein solcher Notbehelf heute eher lächerlich. Da gibt es machtvolle Klänge im Orchester und nun flötet ein Quartett als Schar der jubelnden Römer ...
Nun, als Avantgarde-Regisseur würde mir sicher noch etwas dazu einfallen, die Viere könnten ja ein Schild tragen: "Wir sind das römische Heer", das hätte doch den Charakter des epischen Theaters. Insofern überrascht es mich nicht, dass nicht wenige der "authentischen" Opernaufführungen, die ich erlebte, sich mit dem modernen Musiktheater gut verbanden, während etwa die von mir (wegen Baker) geschätzte Aufführung des ENO unter Mackerras die Scharen der Römer sich auf die Bühne drängen ließ, alle in glänzender Rüstung, wie es sich gehört.
Du merkst schon, ich will die Widersprüche der Wirklichkeit aushalten, die Widersprüche meiner musikalischen Bildung und meines Geschmackes - und da gibt es keine so einfache Antwort. Da bin ich mir mit der (katholischen) Theologie etwa bei der Transsubstantiationslehre, mit der ich das Vergnügen hatte, mich unlängst auseinandersetzen zu dürfen, durchaus verwandt.
Im Reich der Kunst kann es diese Sicherheit nicht geben, die mir bei Adepten häufig begegnet. Sie haben ein Schibboleth, das ihnen ein zwingendes Kriterium gibt, was gut ist und was nicht. Ich muss mir mühsam, aber voller Lust von Kunstwerk zu Kunstwerk, von Aufführung zu Aufführung meine Kriterien neu erarbeiten, alles bisher Gehörte kritisch überprüfen - und gehe in die Aufführungen mit den Augen und Ohren eines Kindes: Neues zu erfahren, nicht das Alte bestätigt zu finden. Die Aufführungen, die diesen Kriterien genügen, werden mir einen neuen Einblick in ein Kunstwerk verschaffen können, das in seiner Vielfalt nie zu Ende ist, sei es nun die Matthäus-Passion oder Giulio Cesare in Egitto.
Zum Weiteren werde ich einen neuen Beitrag beginnen, der erste Teil meiner Antwort ist schon lang genug geworden.
Nur eines noch:
ZitatLieber Peter, bitte fuehle dich von dem Geschriebenen weder kritisiert noch angegriffen. Ich moechte lediglich meine Position praezisieren und deine besser verstehen. Weit auseinander - wenn ueberhaupt - liegen wir meinungsmaessig, so mein Gefuehl, nicht. Wg. meiner Polemik hie und da bitte ich um Nachsicht.
Lieber Holger, im Gegenteil: Jede konstruktive Kritik ist mir lieb und willkommen, vor allem wenn sie in einer solchen Freundlichkeit vorgetragen wird, wie von dir. Ich bin sehr gerne Peripathetiker, jemand der seine Gedanken im Fortschreiten entwickelt, Fragen stellt, den Dialog braucht, um über die eigenen Scheuklappen hinweg zu sehen. Deine Antwort ist mir sehr willkommen, weil ich weiterdenken kann - und deshalb ist meine Antwort vielleicht schon etwas zu lang ausgefallen.
LG Peter
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Hrgh. Ich kann lediglich 360Min. nach Verfassen eines Beitrages noch aendern. Gut, dann sollen meine Smiley-Auslassungen wohl drin bleiben.
@Peter et alii (besonders Fairy Queen & Medard): Auch wenn meine Ausfuehrungen zu dem Smiley meine Meinung dazu repraesentieren, kann ich die trotzdem mit Humor nehmen.
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Zitat
Original von Holger
Hrgh. Ich kann lediglich 360Min. nach Verfassen eines Beitrages noch aendern. Gut, dann sollen meine Smiley-Auslassungen wohl drin bleiben.@Peter et alii (besonders Fairy Queen & Medard): Auch wenn meine Ausfuehrungen zu dem Smiley meine Meinung dazu repraesentieren, kann ich die trotzdem mit Humor nehmen.
Hallo Holger,
hatte ich auch nicht anders vermutet. Im Übrigen: »Anbetung« signalisiert der Jubel-Smiley doch gar nicht (ich glaube, eine solche Gebets-Haltung ist selbst unter Protestanten inzwischen gemeinhin ziemlich unüblich geworden, oder ?), eher etwas über-emphatische Zustimmung eben - somit erspart der Smiley mir lange zustimmende Floskeln sparen ...
Ganz herzlich,
Medard -
Zitat
Original von Holger
@Peter et alii (besonders Fairy Queen & Medard): Auch wenn meine Ausfuehrungen zu dem Smiley meine Meinung dazu repraesentieren, kann ich die trotzdem mit Humor nehmen.Wenn man dem Mauszeiger ein wenig auf dem Smiley verweilt, liest man, was sie bedeuten. Es ist halt eine Konvention. Ich könnte jetzt scharfsinnige Erwägungen anstellen, warum du bei einer (zweideutigen) Darstellung des Jubels gleich an Unterwürfigkeit denkst
Tempora mutantur: Früher haben wir unsere Scherze über Klecks-Bilder aus der Psychologie gemacht, jetzt machen wir sie über Ikonen (icons) aus dem Internet ...
LG Peter
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Ich habe doch von "Anbetungsgeste" gesprochen. Das hat natuerlich implizite etwas mit Unterwuerfigkeit zu tun.
Ich habe das mit dem Mauszeiger noch nicht ausprobiert gehabt, da erscheint bei mir "Jubel". Aber wenn der Smiley nicht eine immanente Aussage haette, dann koennte man ja gleich ein Schild mit "JUBEL" drauf einfuehren.
Ich bitte wirklich, das mit dem Smiley nicht zu tragisch zu nehmen. Ein anderer "Liebling" von mir ist etwa der hier:
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Lieber Holger, ich nehme gar nichts tragisch und bin voll mit der Unterwerfung und Anbetung einverstanden.
Ich unterwerfe mich mit grösster masochistischer Lust und gebührender weiblicher Demut allen überlegenen Männern und da sie ja selbstverständlich ALLE überlegen sind, werde ich demnächst keine eigenen Postings mehr SCHREIBEN, sondern nur noch bejubeln......
Das Weib schweige in den Threads!!!
Wer hat das gesagt??? Paulus oder Martinus oder Petrus oder Alfredus?????? Oder gar Basilius??????
Padrus ganz sciher nciht!!!!!Ich wohl doch zu lange im Dante'schen Inferno....... wo ist hier der Teufel-Smilie?????????
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Natuerlich war Wagner Teil einer historischen Bewegung, die schliesslich im Nationalsozialismus muendete, so what? Da kann jeder soweit, wie er moechte, sich mit beschaeftigen. Wagner selbst hat - soweit ich weiss - keine Juden umgebracht (und im Gegensatz zu Gesualdo auch sonst niemanden). Auch in seinen Werken kommen keine Juden vor. Er hat zwar unschoene Sachen ueber Juden geschrieben, aber auch nicht dazu aufgerufen, Juden zu toeten. Er hat zweifelsohne eine Art deutschnationale Kunst schaffen wollen - aber Verdis Opern tragen auch nationalistische Merkmale (was keine Entschuldigung ist). Auch solche Scherzereien wie diese Rhein-links-rechts-Geschichte kann ich mit Humor nehmen. Wer daran rumaendert faellt doch in dieselbe Falle, in die auch Wagner gefallen ist. (Letztere Bemerkungen gehoeren nicht in diesen Thread sind aber - leider - bei derzeitigem Diskussionsstand unbedingt unverzichtbar). Lohengrin und Tristan sind tiefromantisch; Parzifal gar pazifistisch. Wenn jedem Kuenstler seine Fehler in seinen Werken nachgetragen wuerden, wohin fuehrte das? Da kann man sich im Musikunterricht mit beschaeftigen, auf die Opernbuehne gehoeren solche Scherzereien - mit Verlaub - nicht.
Lieber Holger,
ich will jetzt nicht zum x-ten Mal die Diskussion "Wagner und der Nationalsozialismus" aufwärmen, aber ich schaffe es trotzdem nicht, Sätze wie diese zu lesen, ohne dir zu sagen, dass mir dabei die Gänsehaut kommt. Auch Hitler hat persönlich keinen Juden getötet .... NEIN, ich will Wagner jetzt NICHT mit Hitler gleichsetzen, aber deinen Persilschein, dass jemand quasi nicht für die Folgen seiner Ideen verantwortlich ist (Er hat ja "nur" gegen die Juden geschrieben, und wenn andere das halt konsequent in die Tat umsetzen, ist's nicht seine Schuld...), kann ich so nicht akzeptieren. Und auch deine Gleichsetzung des Risorgimento mit dem Deutschnationalismus hinkt sowohl historisch als auch ideologisch.
Und glaubst du wirklich, die Nazis hätten "pazifistische Opern" aufgeführt, wo wirklich alles eliminiert wurde, was nur im Verdacht stand, pazifistisches Gedankengut zu enthalten?
Sorry, aber das musste ich einfach los werden.
lg Severina -
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Original von severina
Auch Hitler hat persönlich keinen Juden getötet ....
Sorry Severina,Darf ich etwas verbessern? Hitler hat im WK I als Soldat gekämpft, und könnte also theoretisch persönlich Juden getötet haben. Du meinst "ermordet". Denn m.W. war Ernst Röhm kein Jude, und wenn meine Quellen stimmen, hat AH jedenfalls diese Person selbst erschossen.
LG, Paul
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Original von musicophil
Sorry Severina,Darf ich etwas verbessern? Hitler hat im WK I als Soldat gekämpft, und könnte also theoretisch persönlich Juden getötet haben. Du meinst "ermordet". Denn m.W. war Ernst Röhm kein Jude, und wenn meine Quellen stimmen, hat AH jedenfalls diese Person selbst erschossen.
LG, Paul
Hallo Paul, das ist schon klar, aber ich habe mich natürlich auf die NS-Zeit bezogen und wollte vor allem Holgers Ansicht relativieren, man dürfe Wagners Antisemitismus nicht so eng sehen, schließlich habe er persönlich keinen Juden getötet. Aber er hat, natürlich nicht nur er, den ideologischen Nährboden bereitet, auf dem die teuflische Saat des Nationalsozialismus gedeihen konnte. Aber in diesem Thread sind wir völlig OT, zu diesem THema gibt es ohnehin bereits zwei andere.
lg Severina -
Zitat
Original von musicophil
und wenn meine Quellen stimmen, hat AH jedenfalls diese Person selbst erschossen.LG, Paul
Das trifft nun definitiv nicht zu, wie man beispielsweise Kershaws Hitlerbiographie entnehmen kann. Röhm und die anderen SA-Anführer, die in Bad Wiessee festgenommen wurden, wurden ins Münchner Gefängnis Stadelheim überführt und dort exekutiert. Röhm wurde von Theodor Eicke, dem Kommandanten des KZ Dachau, in seiner Zelle erschossen. Gleichzeitig kam es zu den Ermordungen einer Reihe mißliebiger Personen in Berlin und dem ganzen Reichsgebiet, wobei man nicht allzu wählerisch vorging. In München wurde etwa ein Musikkritiker Opfer einer Namensverwechslung...
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Da hab ich was für Euch: anläßlich von "Hoffmann's Erzählungen" an der WSO fand ich im Programmheft folgendes (Ausschnitt). Für die, die es vielleicht nicht wissen: Offenbach konnte seine Oper nicht vollenden, er hinterließ Skizzen, die zusammengetragen werden mußten.
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HANS-JOCHEN GENZEL AUTHENTISCHER „HOFFMANN"?......
......Was heißt auf dem Theater authentisch? Wo liegt der Maßstab für die Bewertung der Qualität einer Theateraufführung? Zweifellos liegt er in erster Linie darin, wie es dem jeweiligen Ensemble gelungen ist, die Intentionen der Werkschöpfer, Komponist und Librettist, zu verwirklichen. Aber das allein wäre Selbstzweck, der an der eigentlichen Funktion von Theater vorbeiginge. Theater ist Interpretation. Und zwar Interpretation für die Zuschauer, vor denen es spielt, aktuelle Interpretation also für die jeweilige Gegenwart. Eine Erschließung des „Ringes des Nibelungen" oder von „Hoffmanns Erzählungen" aus dem Geist ihrer Schöpfer ohne den Bezug zu den Interessen, Erfahrungen und Problemen der aktuellen Zuschauer führt letztlich zur Beschädigung des Werkes, das ja immer in der Absicht seiner Schöpfer eine theatralische und, wenn sie es mit ihrer Arbeit ernst meinten, auch eine moralische Wirkung entfalten sollte. Theaterabsicht ist nicht Museumsbewahrung, sondern aufrührendes Eingreifen in Lebensvorgänge von und zwischen den Menschen. Die Authentizität einer Theateraufführung liegt immer in ihrem Wahrheitsgehalt gegenüber ihrem Publikum.
Die Wahrheit aber ist die Wahrheit der Autoren. Eine Wahrheit gegen die Autoren, mag sie noch so überzeugend sein, ist eine Verfälschung. Wenn die Wahrheit eines Kunstwerkes seinen Interpreten nicht ausreicht, wenn sie sie nicht entdecken und zu ihrer eigenen Wahrheit machen können, müssen sie, wenn sie verantwortlich handeln, die Hände davon lassen und sich ein Werk für ihre Interpretation suchen, mit dem sie sich identifizieren können.
Was wiederum nicht bedeutet, sich der „Vorlage" unkritisch preiszugeben. Interpretation heißt auch Stellung nehmen, darlegen, wo man im Detail anderer Meinung ist, wo man aus anderen Erfahrungen weiter denken kann oder wo man in der schöpferischen Hinterlassenschaft des Komponisten bereits weiterführende Hinweise findet.
Wie bei jeder anderen Aufführung heißt das auch bei „Hoffmanns Erzählungen", den Intentionen des Komponisten auf die" Spur zu kommen, um zu erfahren, ob sie mit den Intentionen ihrer Interpreten und des neuen Publikums korrespondieren. Nur von einem solchen Gesichtspunkt aus kann verantwortungsvoll die Fassung für die Aufführung erarbeitet werden. Dazu muß man aber auch versuchen, die Wege nachzuvollziehen, die der Komponist zu seinem Stoff und mit ihm gegangen ist.
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......(Hans-Jochen Genzel, 1981-1998 Chefdramaturg der Komischen Oper Berlin)
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LG
Austria -
Zitat
Original von Holger
Partitur und Libretto sind original. Mehr nicht.Lieber Holger,
als Exeget weißt du ja, wie schwierig die Frage des Originalen ist. Für eine gewisse Zeit erfährt ein Kunstwerk eine Fixation oder eine Reihe von Fixationen. Allen sind die Probleme um die Fassungen der Bruckner-Sinfonien wohl bekannt, setze ich voraus. Doch ein Bühnenwerk wird von Aufführung zu Aufführung modifiziert, jedesmal wenn Gluck ein Werk neu aufführte, hat er Eingriffe vorgenommen. Was ist nun das Original: das gedruckte Libretto (das der Zauberflöte lag schon vor der Vollendung vor und weicht von der Fassung der Uraufführung ab), das Libretto der Uraufführung, das Libretto der Aufführung "letzter Hand"? Sind Wendungen wie "Die Stunde naht, wo ich dem Gouverneur die Briefschaften bringen muß, welche Fidelio abholen sollte." sakrosankt, wie papiernern sie auch sind? Es gibt Wendungen, die bei spontanes Lachen auslösen können - sie verstellen heute den Sinn der Worte, statt ihn zu befördern.
ZitatUnd nicht selten - wie etwa bei Hoffmanns Erzaehlungen - gibt es auch mehrere Libretti und Partituren, die original sind und die Konzertanten haben die "Qual" der Wahl.
Was ist denn nun der "Sinn" eines Librettos? Ich verstehe deine Ausfuehrungen so, dass du der Meinung bist, der "Buchstabe" des Librettos enthuelle den "Sinn".
Bei mir gilt eindeutig: Prima la musica, poi le parole. Was den gesungenen Text angeht, so ist er Teil der klanglichen Verwirklichung. Er ist für mich schützenswerter als der Dialog (wie viele kennen schon die ganzen Dialoge der Zauberflöte. Sogar in Werken mit wissenschaftlichem Anspruch liest man, dass Monostatos die Bastonade erhalten hat - hat er nicht, siehe Libretto). Was aber die Einrichtung in Ort und Zeit angeht, so ist die in vermehrtem Maße davon abhängig, wie wir heute die Oper erleben. Oft genug ist sie eine zufällige im "originalen" Libretto (dazu weiter unten).
ZitatGenau das sagst du doch, wenn du von "Mollhaltigkeit", "Dissonanzen" und "strukturellen Verknuepfungen" sprichst, oder? Das heisst, was du einforderst, ist nichts anderes als genaues Lesen von Partitur und Libretto, oder?
Ich schrieb von der genauen Beachtung der Partitur, nicht des Librettos. Beide mögen einmal eine Einheit gewesen sein (wenn auch nicht immer), aber sie haben sich oft genug voneinander entfernt. Das "Ägyptische" der Zauberflöte hat heute nicht mehr den Sinn, den es noch in der Spätaufklärung hatte - es weist in die falsche Richtung. Solange es unwichtige bemalte Kulissen sind, die in der Oper keine Rolle spielen, mag es angehen, wird aber der Bühnenraum einbezogen in die Aussage der Oper, dann wird das "Ägyptische" gerade der Aussage entgegen stehen.
ZitatEin "Sinn" jenseits des Textes koennte lediglich in den Leerstellen des Textes gefunden werden.
Nun brauche ich dir nicht durchzudeklinieren, was etwa bei folgender Zeile aus einem bekannten Libretto an leerem Raum der Interpretation belassen ist:"La scena si finge nella città di Mantova e suoi dintorni.
Epoca, il secolo XVI."Ein schönes Beispiel! Damit knickst du vor der österreichischen Zensur ebenso ein wie Verdi das wider Willen tun musste, als er Hugos "Le roi s'amuse" nach Mantua verlegte. Willst du jetzt gar das Unrecht dieser Zensur rechtfertigen, als später Vollstreckungsbeamter der österreichischen Monarchie?
ZitatEtwa aus Mantua einen Luxusliner zu machen? Ist das genaues Lesen?
Sagen wir so, ein wenig Kenntnis der Operngeschichte erleichtert zweifellos die Argumentation.
Es wurde hier schon - zu Recht - geschrieben, dass es um Gefühle, um große Gefühle in der Oper geht. Wenn ich diese besser auf einem Luxusliner erreichen kann, weil ich so die historische Schranke zwischen der damaligen Realisation und unserem heutigen Erleben aufhebe, soll es von mir aus auf dem Luxusliner spielen. Es muss nur den gleichen Grad an Affekten bei den Zuschauern erwecken können, den das Werk zu seiner Entstehung bei den damaligen Zuschauern erweckte, dann bin ich's zufrieden. Wo sich der König auf Kosten Gildas amüsiert, ist mir gleich, aber die vulkanische Glut der Empfindungen möchte ich erleben können wie diese manische Unterwerfung von Rigoletto unter das Schicksal.
ZitatIch meine, dass man durchaus auch dem Publikum zutrauen darf, sich Gedanken ueber die "Aktualitaet" eines Stueckes zu machen.
Bei der Kenntnis, die ich über das Wissen des Publikums habe, fällt es mir schwer, dir zuzustimmen.
ZitatAls Theologe bin ich in Sachen Hermeneutik ja kein Analphabet. Und meiner Erfahrung nach hilft es fuer das Verstaendnis der Weihnachtsgeschichte ueberhaupt nichts, aus Maria und Joseph zwei Obdachlose unserer Tage zu machen.
Und das ist es doch, was in den Kirchen gang und gäbe ist - und zum Beispiel Kollekten für die Obdachlosen rechtfertigt. Da mögen unsere Theologien auseinander gehen, aber die Exegese mit dem vierfachen Schriftsinn dürfte auch deiner Kirche keine unbekannte Größe sein.
Wir haben in der Oper nicht mit kultischen Handlungen zu tun, sondern mit Theater, das bitte ich doch zu berücksichtigen. Bei einer kultischen Handlung kann gerade die genaueste Wiederholung die Voraussetzung der kultischen Wirkung sein, beim Theater führt das gleiche in die Wirkungslosigkeit.
ZitatAuch wenn ich es fuer kuenstlerisch wertvoller halte, durch Musik und Spiel die Aktualitaet (die doch wohl keineswegs in einer - im weitesten Sinne - "ideologischen" Aussage bestehen muss, sondern doch auch schlich darin bestehen kann, dass ein Stueck auch, sagen wir, nach 200 Jahren noch hoechst unterhaltsam ist) eines Stueckes rueberzubringen als durch effekthascherische, scheingeniale inszenatorische Kunstgriffe, so mag eine Inszenierung hin und wieder trotz eben solcher unterm Strich gelungen sein.
Wenn du von "scheingenial" sprichst, hast du dein Urteil schon in der Tasche. Aber auch hier sind wir nicht in der Kirche, Kunstgriffe sind nicht nur erlaubt, sie sind erwünscht, solange es Theater gibt. Der Erfolg der "Zauberflöte" war zunächst nicht das Menschheitsdrama, es war die Maschinenkommödie.
ZitatNur waere ich dann eben - wie ich ja schon geschrieben habe und da hast du mir ja auch zugestimmt - fuer eine Kennzeichnung. Da mag dann statt "Bearbeitung" im Opernprogramm auch "aktualisiert"/"in einer modernen Inszenierung", o. ae. stehen.
Da habe ich - wie gesagt - nichts dagegen. Ansonsten nehme ich mir als gutes Exempel die "Bibel in gerechter Sprache" vor, die steht in meinem Regal als immerwährende Warnung vor einer Grenze, die man nicht überschreiten sollte.
Zur Frage des Heeresrufer werde ich doch noch einen dritten Beitrag brauchen ...
LG Peter
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Also ich lass es mir nicht nehmen :
Die "Geschichte" der meisten Opern ist längst bekannt - man weiß wie es ausgeht - zumindest wenn man ein paar Jährchen am Buckel hat....
Was interessant ist ist jedoch WIE die Geschichte VERPACKT wird. Und hier - ich gestehe es offen - ist mir das "historische Ambiente" - realitätsnah , versteht sich - äusserst wichtig.
Ich lächle über den abergläubischen Rigoletto, wundere mich über die einfältige Gilda und finde den selbstgefälligen siegessicheren Herzog sehr gut gezeichnet. Noch besser fast der "ehrsame" Sparafucile, der ein "ehrlicher" Mörder sein will - in Wahrheit ist er ein Stümper - Gilda lebt noch im Sack...
Auch seine Schwester versteht ihr Gewerbe nicht: Sie verliebt sich in einen Freier - ein Kunstfehler sondergleichen.Aber die herrliche Musik- gepaart mit dem (hoffentlich) historischen Ambiente - das ist das was diese Oper sehenswert macht. Ich werde nicht müde das zu wiederholen. Ein (nicht unerheblicher) Teil des Operngenusses ist der Blick durch den Bühnenrahmen in eine längst vergangene Zeit. Wenn die auflebt - dann lebe auch ich auf....
mfg
aus Wien
Alfred -
Zitat
Original von Alfred_Schmidt
Also ich lass es mir nicht nehmen :Lieber Alfred,
das sollst du dir auch nicht nehmen lassen, wie es unterschiedliche Zugänge zur Musik gibt, gibt es auch unterschiedliche Zugänge zur Oper. Gegen einen Historienschinken, wenn er denn gut gemacht wird, habe ich nichts einzuwenden, möchte aber hin und wieder die Oper auch anders befragt sehen: manchmal regt es mich nur auf, manchmal ist es eine Erleuchtung, die für mich neue Aspekte der Oper offenbart.
ZitatDie "Geschichte" der meisten Opern ist längst bekannt - man weiß wie es ausgeht - zumindest wenn man ein paar Jährchen am Buckel hat....
Was interessant ist ist jedoch WIE die Geschichte VERPACKT wird. Und hier - ich gestehe es offen - ist mir das "historische Ambiente" - realitätsnah , versteht sich - äusserst wichtig.
Ich lächle über den abergläubischen Rigoletto, wundere mich über die einfältige Gilda und finde den selbstgefälligen siegessicheren Herzog sehr gut gezeichnet. Noch besser fast der "ehrsame" Sparafucile, der ein "ehrlicher" Mörder sein will - in Wahrheit ist er ein Stümper - Gilda lebt noch im Sack...
Auch seine Schwester versteht ihr Gewerbe nicht: Sie verliebt sich in einen Freier - ein Kunstfehler sondergleichen.Und dann kommt z.B. das Wunder Callas, das aus dem hübschen Entchen Gilda eine Frau macht, deren Opferbereitschaft man am Ende akzeptiert. Dieses Wunder der Verwandlung können große Künstler bewirken, die ein neues Rollenbild kreieren, aber sie brauchen eben auch die großen Regisseure, die ein solches Rollenbild glaubhaft machen.
ZitatAber die herrliche Musik- gepaart mit dem (hoffentlich) historischen Ambiente - das ist das was diese Oper sehenswert macht. Ich werde nicht müde das zu wiederholen. Ein (nicht unerheblicher) Teil des Operngenusses ist der Blick durch den Bühnenrahmen in eine längst vergangene Zeit. Wenn die auflebt - dann lebe auch ich auf....
Das sei dir auch aus vollem Herzen gegönnt. Ich wünschte mir hin und wieder auch ein Privattheater, wo die Stücke nach meinem Gusto aufgeführt werden. Da ich es mir nicht leisten kann, muss ich mit dem vorlieb nehmen, was mir begegnet.
Den Rigoletto habe ich häufig in eben einem solchen Ambiente gesehen, wie du es begeistert schilderst. Manchmal war es - dank der musikalischen Verwirklichung - eine Offenbarung, öfters nicht. Das ginge mir nicht anders in einem "nichthistorischen" Ambiente, da unterscheiden sich unsere Geschmäcker. Wenn beiden Geschmäcker Genüge getan würde auf unseren Bühnen, bestünde nicht so ein nutzloser Streit, bei dem der eine dem anderen seine Existenzberechtigung absprechen möchte. Beide sind uneingeschränkt existenzberechtigt.
Was ich hier in diesem Thread einzubringen versuche, ist um Verständnis für beide Richtungen zu erreichen. Am Ende wollen wir doch über die Musik und die unauslotbaren Tiefen des Kunstwerks reden, nicht über Dinge, die nicht zuletzt zeitbedingt waren und zeitbedingt sind. Und dann müssen wir immer die Schale der Inszenierung durchstoßen, welche das auch immer ist.
Mit freundlichem Gruß
Peter
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Lieber Peter, bei der unglaublichen Sprach- Wissens- und Gedankenmâchtigkeit, die Du in diesem Thread(und nciht nur hier.....) an den Tag legst, wage ich ja kaum noch zu antworten.
Wenn ein Theologe und ein Linguist/Musik/Literaturwissenschaftler argumentieren, werde ich innerlich immer noch so daumennagelgross wie mein Ncikname ja vorgibtAber zum Rigoletto môchte ich trotzdem noch was sagen, denn ich habe letztes Jahr an einer deutschen Provinzbühne eine Inszenierung gesehen, die mich sehr überzeugt hat und die ein richtiger Kompromiss zwsichen modern und historisierend war.
Der historische Bezug war durch die Kostüme hergestellt und dadurch dass Drucke von Mantegna-Fresken aus dem Palazzo Ducale di Mantova das sonst serh schlcihte Bühnenbild schmückten.
Abgesehen davon waren aber sehr viele moderen Elemente und Ideen eingeflochten und von verstaubt und museal konnte deshalb gottseidank nciht die Rede sein.
Der Herzog war als das gezeigt, was er ist: ein serh gebildeter, nciht unsympathischer und den Künsten und Liebeskünsten verfallener Renaissancefürst . Er trug eine geschlechtsbetonende Renaissance Hose(ich weiss leider nciht den Fach-Namen für diese Kleidungsstücke), schreib seinen Geliebten die Verse, die von Gilda inspiriert waren, auf den nackten Rücken(so wie Goethe in den Römischen Elegien) und an seinem Hof herrschte ein sittenloses aber gleichwohl serh kutiviertes Treiben. Das wurde deutlich aber geschmackvoll gezeigt.
Gilda war von Anfang an mit der Liliensymbolik markiert(gleichzeitig Unschuld und Tod) und die Beziehung Vater/Tochter hatte zwar kienen plakativen aber doch angedeuteten "inzestuösen" Beigeschmack VON SEITEN DES VATERS, der seine Tochter in gewisser Weise als Ersatz für die verlorene Ehefrau in Besitz nimmt(nicht sexuell, aber mit übergrosser Zärtlichkeit und ungesundem Anspruch).
Das verzweiflete Scheitern des Rigoletto und der Opfertod der Gilda rührten in diesen psychologisch ANgedeuteten Zusammenhängen ganz besonders. Gilda hat aufgrund ihrer überbehüteten Erziehung gar keine Chance, die Liebe in normaler Weise zu erleben sondern verhält sich genauso radikal und wie ihr Vater. Alles oder nichts.
Ich mag keine Holzhammerinszenierungen, die mich brutal auf eine manchmal serh fragwürdige Scihtweise des Regisseurs festnageln wollen, sei sie politisch oder psychoanalythisch.
Ich mag aber auch kein Opernmuseum, das nur noch romantische Gefühle und ewig-Gestriges befriedigen will und kann.
Wenn Kunst nur noch ein nettes ästhetisches Erlebnis wird und nicht mehr aufstört, zum Neu-Denken anregt und aufregt, dann hat sie ihren Sinn verfehlt. Von daher muss , wie ja Peter schon viel besser gesagt hat, in jeder einzelnen Auffûhrung neu nach ienem stringentem ästhetischen Konzept geschaut werden, egal ob in historischem oder modernem Gewand. Ich lasse mich stets neu überraschen, begeistern oder abstossen-nur LANGWEILEN lasse ich mich nciht, dann stehe ich auf und gehe! :boese2:Fairy Queen
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Hab's mir anders überlegt.
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Zitat
Original von Holger
Weitaus problematischer - das wirst du an meinem Schreibstil gemerkt haben - finde ich dieses Paedagogisieren bei InszenierungenLieber Holger,
hier ein kurzes Einhalten. Spätestens seit Ovids "docet" ist auch in der Reflexion über Kunst die "lehrhafte" Seite bekannt, ob es die Katharsis ist (wie schon bei Aristoteles steht) oder auch die lehrhafte Dichtung, wie man sie auch schon in der Antike finden kann, etwa bei den Fabeln. Wenn du das Pädagogische aus der Kunst hinauskomplimentieren willst, dann brichst du mit dem Kunstbegriff, wie er die letzten 3000 Jahre Geltung hatte.
Dass man als Pädagoge immer schnell meint, dass man es aber geschickter anfangen könne, dass der andere Pädagoge da einen Holzhammerverweis macht, wo man in seiner eigenen unergründlichen Weisheit nur eine zarte Andeutung für richtig findet, kenne ich aus meiner eigenen jahrzehntelangen Praxis zur Genüge.
Es kann also nicht um "Pädagogisieren" gehen, sondern wohl mehr um falsches Pädagogisieren. Da sind wir aber - so glaube ich - in einem sehr umstrittenen Bereich, was für den einen richtig ist, ist für den anderen falsch - und beide haben soviel Recht wie Unrecht.[/quote]
Zitata la (accent aigu ist mit englischer Tastatur so wenig machbar wie dt. ae) Heeresrufer als SS-Mann finde ich erheblich abstossender:
Die Wortwahl "abstoßend" finde ich in diesem Zusammenhang erstaunlich. Ich entnehme dem aber, dass es für Dich doch eher ein Geschmacksurteil ist, als etwas worüber man doch ein etwas objektivierenderes Werturteil fällen könnte.
ZitatNatuerlich war Wagner Teil einer historischen Bewegung, die schliesslich im Nationalsozialismus muendete, so what? Da kann jeder soweit, wie er moechte, sich mit beschaeftigen. Wagner selbst hat - soweit ich weiss - keine Juden umgebracht (und im Gegensatz zu Gesualdo auch sonst niemanden). Auch in seinen Werken kommen keine Juden vor. Er hat zwar unschoene Sachen ueber Juden geschrieben, aber auch nicht dazu aufgerufen, Juden zu toeten. Er hat zweifelsohne eine Art deutschnationale Kunst schaffen wollen - aber Verdis Opern tragen auch nationalistische Merkmale (was keine Entschuldigung ist).
Ich glaube, dass Du da nicht richtig informiert bist. Die Diskussion darüber gehört nun nicht hier hin. Um nur einen kleinen Hinweis zu geben, was für ein Brandmaterial Du da aufgeschichtet hast: Von Cosima ist überliefert, dass Wagner scherzte, er wolle die Juden bei einer Aufführung von Lessings Nathan in einem Theater einsperren und verbrennen. In der Partitur kommen eine ganze Reihe von Anspielungen auf Juden vor bzw. von dem, was Wagner unter jüdischer Musik verstanden hat, immer gekoppelt mit als negativ dargestellten Personen oder Handlungen. Der Nationalismus Verdis war von einer ganz anderen (liberalen) Machart als der Wagners. Aber mit den Statements möchte ich es auch hier belassen. Am richtigen Ort bin ich gerne bereit in extenso mein Wissen und meine Schlüsse aus diesem Wissen mitzuteilen und zu diskutieren.
Im Lohengrin ging es um einen Fingerzeig auf das, was Edwin benannt hat. Dieser Fingerzeig ist legitim. Wie er nun geschieht und wie er Teil einer Interpretation wird, ist eine andere Sache. Aber erst im Ganzen einer Interpretation kann er beurteilt werden. Blitzende Waffen, die geweiht werden, sollten eigentlich eher Deinen Abscheu hervorrufen als der Hinweis darauf, was mit den Waffen Abscheuliches angerichtet werden kann.
ZitatAuch solche Scherzereien wie diese Rhein-links-rechts-Geschichte kann ich mit Humor nehmen.
Dabei war bei mir auch ein wenig Insider-Spaß mit der Rivalität zwischen Köln (linksrheinisch) und Leverkusen (rechtsrheinisch). Ich hatte gehofft, dass der Karnevalist von der anderen Rheinseite das auch so verstehen würde. (Kölner und Leverkusener sind wie Ösis und Dösis - für den Rest der Welt)
ZitatWer daran rumaendert faellt doch in dieselbe Falle, in die auch Wagner gefallen ist. (Letztere Bemerkungen gehoeren nicht in diesen Thread sind aber - leider - bei derzeitigem Diskussionsstand unbedingt unverzichtbar). Lohengrin und Tristan sind tiefromantisch; Parzifal gar pazifistisch. Wenn jedem Kuenstler seine Fehler in seinen Werken nachgetragen wuerden, wohin fuehrte das?
Nun, es geht nicht einfach um "Fehler" des Komponisten, weiß Gott gerade nicht bei einem so großen Musikdramatiker wie Wagner. Zumindest in dem Lande, aus dem ich komme, wird man aber nicht einfach die Rezeption der letzten tausend Jahre beiseite schieben können, wo sich dieses Werk als bestgeeigneter Transmissionsriemen für eine unmenschliche Politik einsetzen ließ. Dass da die Familie Wagner, die Hohe Frau in Wahnfried, ihr gerüttelt Teil daran hatte, dass eben dieser Aspekt Wagners als seine große und zukunftsträchtige Errungenschaft gefeiert wurde, kann ich nicht außer Acht lassen. Die Opfer können nicht mehr auf der Bühne stehen, sie sind Asche und Rauch geworden, dass man sie aber nicht in dem Rausch vergisst, der auch auf ihrem Todeswege aufspielte, ist für mich eine Frage der Selbsterkenntnis. Und die gehört doch zur Katharsis, wenn ich mich nicht irre.
ZitatDa kann man sich im Musikunterricht mit beschaeftigen, auf die Opernbuehne gehoeren solche Scherzereien - mit Verlaub - nicht.
Du kannst es ja von Deiner Insel aus als Scherz verstehen. Ich kann nicht mitlachen, wenn Wagner scherzt.
Wenn das Bewusstsein um die Implikationen dem gebildeten Opernpublikum so bekannt ist, wie es dem damaligen bei den "scherzhaften" Anspielungen auf Juden in Wagners Opern - die Anspielungen wurden mit schäumendem Beifall bedacht - dann kann man auch die Art des Totengedenkens vor der Tür lassen. Mir scheint die Zeit noch nicht ganz gekommen zu sein.
Wenn man einmal diese Tatsachen mit im Sinne hat, so meine ich, kann man auch Wagners Werk bewundernd erleben, mit der ganzen Gefühlsbreite, die ihm gebührt. ich habe etwas gegen das Eifern, ich habe aber mehr noch gegen das Verschweigen.
ZitatLieber Peter, bitte fuehle dich von dem Geschriebenen weder kritisiert noch angegriffen. Ich moechte lediglich meine Position praezisieren und deine besser verstehen. Weit auseinander - wenn ueberhaupt - liegen wir meinungsmaessig, so mein Gefuehl, nicht. Wg. meiner Polemik hie und da bitte ich um Nachsicht.
Am Ende noch einmal, ich fühle mich durchaus nicht kritisiert oder angegriffen. Du hast eine Anzahl von Überlegungen bei mir in Gang gesetzt, die ohne Deinen Beitrag nicht entstanden wären. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ich setze auch gerne die Diskussion mit Dir fort, über Wagners Antisemitismus und Nähe zum Faschismus in den Threads, wo dies thematisiert werden kann, über Deutungsmöglichkeiten von Opern und ihre Darstellbarkeit auf der Bühne hier.
LG Peter
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Zitat
Original von pbrixius
Ich setze auch gerne die Diskussion mit Dir fort, über Wagners Antisemitismus und Nähe zum Faschismus in den Threads, wo dies thematisiert werden kann...Hallo Peter und Holger,
dazu bietet sich dieser Thread an:
Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein kleiner Schritt - Das Phänomen Richard Wagner
in dem (spätestens ab der zweiten Seite) das Thema ausführlich debattiert wurde und ein bestimmter Erkenntnisstand erreicht worden ist.
Viele Grüße
Bernd
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Zitat
Original von Zwielicht
dazu bietet sich dieser Thread an:
Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein kleiner Schritt - Das Phänomen Richard Wagner
in dem (spätestens ab der zweiten Seite) das Thema ausführlich debattiert wurde und ein bestimmter Erkenntnisstand erreicht worden ist.
Hallo Bernd,
vielen Dank für den Hinweis, da werde ich mich mal in einer ruhigen Stunde hinsetzen und sorgfältig lesen, was schon alles eingebracht worden ist.
LG Peter
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Hallo Peter,
Hut ab vor Deiner Argumentation - auch wenn ich Deine Meinung in Bezug auf Wagner nicht teile.Ich bitte um einen Augenblick Geduld, ich komme gleich wieder auf Inszenierungen zu sprechen.
Machen wir ein Gedankenexperiment: Tun wir so, als wäre der Weltgeschichte ihr größter Verbrecher, also Adolf Hitler, erspart geblieben. Wie stünde Wagner da?
Meiner Meinung nach als einer der bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte mit einem verabscheuungswürdigen Charakter, geprägt von völlig jenseitigen Moralvorstellungen und einem höchst widerwärtigen Antisemitismus. Ein großer Künstler mit miesem Charakter, wie es wohl einige gibt. Basta.Nun hat es aber diesen Hitler gegeben, und der hat, zum Leidwesen von allen Wagner-Begeisterten (von denen viele, auch ich, alle miltanten und rechtsextremen Strömungen aus tiefster Seele ablehnen), eben diesen Wagner gemocht. Aus unserem Wissen heraus können wir die Verbindungslinien ziehen - und kommen zum Schluss, dass Wagner ein Wegbereiter Hitlers war.
Nur: Ist das wirklich richtig?
Meiner Meinung nach nur teilweise. Aus unserem heutigen besseren Wissen heraus urteilen wir in der Sache meiner Meinung nach zu einseitig. Wagners verquaste Schriften und die (laut Marcel Prawy Wagner wahrscheinlich in den Mund gelegten) Aussprüche in Cosimas Tagebüchern enthüllen für mich immer wieder einen echten Kotzbrocken, der aber von Hitler doch ebenso meilenweit entfernt ist wie Nietzsches Übermenschen-Konstrukt.
Neues Gedankenexperiment: Nehmen wir an, wir erführen, daß der gewisse Osama ein Fan des US-feindlich eingestellten Hans Werner Henze ist und am Tag vor dem 11. September dessen "Voices" gehört hätte, eine Abrechnung mit den USA - wäre Henze dann mitverantwortlich für die Toten des WTC?
Meiner Meinung nach nicht - denn selbst eine verbrecherische Überlegung ist nicht identisch mit dem Verbrechen selbst. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob, im Fall Wagner, eine Mitschuld besteht, denn immerhin lagen zwischen Wagners Wirrnissen und Hitlers Verbrechen der Erste Weltkrieg, der Vertrag von Versailles, die sozialen Umstände nach dem Weltkrieg.
Nun komme ich aber zu den Inszenierungen.
Aus unserem besseren Wissen heraus, sind wir meiner Meinung nach berechtigt, diese uns klar gewordenen bzw. von diversen Künstlern subjektiv so empfundenen Verbindungslinien in der Werkinterpretation darzustellen. Wenn der Heerrufer als SS-Mann interpretiert wird, ist das keine Verleumdung des Werkes, sondern die Darstellung des Werkes in einem bestimmten politischen Zusammenhang, der sich aus heutiger Sicht ergibt.
Daß ich persönlich die Inflation von SS-Personal auf der Opernbühne mittlerweile eher als abstumpfend denn als Aufregung verursachend empfinde, steht auf einem anderen Blatt.
-
Zitat
Original von Edwin Baumgartner
auch wenn ich Deine Meinung in Bezug auf Wagner nicht teile.Na, da bin ich auch erst am Beginn einer dialektischen Bewegung. Ich verrate so ungern, wo die mich noch überall hinführen wird oder könnte, denn ich möchte gerne die Argumente und Erfahrungen mit einbeziehen, die es hier gibt. Kurz: ich habe erst eine Seite einer komplexen Künstlerpersönlichkeit angesprochen, deren Werk einzigartig ist.
ZitatIch bitte um einen Augenblick Geduld, ich komme gleich wieder auf Inszenierungen zu sprechen.
Machen wir ein Gedankenexperiment: Tun wir so, als wäre der Weltgeschichte ihr größter Verbrecher, also Adolf Hitler, erspart geblieben. Wie stünde Wagner da?
Meiner Meinung nach als einer der bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte mit einem verabscheuungswürdigen Charakter, geprägt von völlig jenseitigen Moralvorstellungen und einem höchst widerwärtigen Antisemitismus. Ein großer Künstler mit miesem Charakter, wie es wohl einige gibt. Basta.Da sind wir uns einig. Aber um Charakter geht es im Allgemeinen in der Kunst nicht. Von Racine ist auch einiges sehr Unangenehmes zu vermelden, der von mir hochgeschätzte Gesualdo hat auch Blut am Degen. Es ist bei Wagner nur deshalb so schwer, weil er immer auch die Einheit von Kunst und Politik behauptete, ja die Politik ja in Kunst aufgehen lassen wollte, was uns denn zu eben jener Ästhetisierung der Gewalt bringt, die ein wesentlicher Bestandteil des Faschismus war. Er ist darin natürlich nicht allein, die Größe seiner Kunst machte ihn allerdings in so besonderem Maße einflussreich.
ZitatNun hat es aber diesen Hitler gegeben, und der hat, zum Leidwesen von allen Wagner-Begeisterten (von denen viele, auch ich, alle miltanten und rechtsextremen Strömungen aus tiefster Seele ablehnen), eben diesen Wagner gemocht. Aus unserem Wissen heraus können wir die Verbindungslinien ziehen - und kommen zum Schluss, dass Wagner ein Wegbereiter Hitlers war.
Nur: Ist das wirklich richtig?
Meiner Meinung nach nur teilweise.
Hier meine ungeteilte Zustimmung
Er wurde eben nicht nur benutzt, er wurde auch missbraucht, nicht zuletzt von seiner Sippe, bei der nur der unglückliche Siegfried eine gute Figur machte. Nietzsche wird man wohl kaum den Missbrauch zurechnen können, den Schwester und Schwager seinem Werk zufügten. Das Recht auf Diskriminierung hat Wagner auch.
ZitatAus unserem heutigen besseren Wissen heraus urteilen wir in der Sache meiner Meinung nach zu einseitig. Wagners verquaste Schriften und die (laut Marcel Prawy Wagner wahrscheinlich in den Mund gelegten) Aussprüche in Cosimas Tagebüchern enthüllen für mich immer wieder einen echten Kotzbrocken, der aber von Hitler doch ebenso meilenweit entfernt ist wie Nietzsches Übermenschen-Konstrukt.
Es gibt gute Argumente für die Authentizität von CT, wenn man natürlich auch hermeneutische Arbeit leisten muss. Aber das können wir ja im Wagner-Thread vielleicht mal ausführlicher beleuchten. Als schlichten Bauplatz, auf dem man sich mit den argumentativen Ziegelsteinen pro oder kontra versorgen kann, sind die Tagebücher sicher nicht zu verstehen.
ZitatNeues Gedankenexperiment: Nehmen wir an, wir erführen, daß der gewisse Osama ein Fan des US-feindlich eingestellten Hans Werner Henze ist und am Tag vor dem 11. September dessen "Voices" gehört hätte, eine Abrechnung mit den USA - wäre Henze dann mitverantwortlich für die Toten des WTC?
Meiner Meinung nach nicht - denn selbst eine verbrecherische Überlegung ist nicht identisch mit dem Verbrechen selbst. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob, im Fall Wagner, eine Mitschuld besteht, denn immerhin lagen zwischen Wagners Wirrnissen und Hitlers Verbrechen der Erste Weltkrieg, der Vertrag von Versailles, die sozialen Umstände nach dem Weltkrieg.
Eine Frage nach Schuld ist meines Erachtens ohnedies keine legitime Fragestellung, denn die Indizien sind mehr als widersprüchlich. Ob nun Scholzsche Freisprechung oder Zelinskysche Verurteilung, für beides reicht es meiner Meinung nach nicht aus. Was die Rezeption bis in die heutigen Tage angeht - das ist eine ganz andere Sache!
ZitatNun komme ich aber zu den Inszenierungen.
Aus unserem besseren Wissen heraus, sind wir meiner Meinung nach berechtigt, diese uns klar gewordenen bzw. von diversen Künstlern subjektiv so empfundenen Verbindungslinien in der Werkinterpretation darzustellen. Wenn der Heerrufer als SS-Mann interpretiert wird, ist das keine Verleumdung des Werkes, sondern die Darstellung des Werkes in einem bestimmten politischen Zusammenhang, der sich aus heutiger Sicht ergibt.
Daß ich persönlich die Inflation von SS-Personal auf der Opernbühne mittlerweile eher als abstumpfend denn als Aufregung verursachend empfinde, steht auf einem anderen Blatt.
Dem stimme ich ohne Abstriche zu.
LG Peter
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Mit Verlaub, ich finde eine Inszenierung mit SS-Männer genauso verrückt UND :kotz: wie eine Inszenierung, wo Großinquisitor Torquemada ersetzt wird durch Osama bin Laden.
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Zitat
Original von musicophil
Mit Verlaub, ich finde eine Inszenierung mit SS-Männer genauso verrückt UND :kotz: wie eine Inszenierung, wo Großinquisitor Torquemada ersetzt wird durch Osama bin Laden.Ich freue mich, dass du den Unterschied zwischen einem Geschmacksurteil und einer Argumentation verstanden hast. Die Anstrengung des Denkens vor dem Urteilen lasse ich mir als Kind der Aufklärung nicht nehmen.
LG Peter
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Hallo Edwin,
ich stimme dir voll und ganz zu, wenn du sagst, dass Wagner keine Mitschuld (auch keine Mitverantwortung) an den Toten des 2.WK trägt, denn wären die Zeitumstände anders gewesen, wäre Hitler wohl das geblieben, was er am Anfang seiner polit. Laufbahn war - ein belächelter Wirtshausdemagoge. Was ich oben meinte, war eben, dass AUCH Wagner ein winziger Bestandteil des fruchtbaren Bodens war, auf dem die verderbliche Saat des NS aufgehen konnte. Natürlich wäre Hitler auch ohne Stehplatzbesuche an der WSO zu dem geworden, was er geworden ist, für seinen Antisemitismus brauchte er keinen Wagner, das hätte im Wien um 1900 Eulen nach Athen tragen geheißen.... Aber er muss wohl "eine verwandte Seele" gespürt haben, ob zu Recht oder zu Unrecht, maße ich mir nicht an zu beurteilen.
Ich hätte dieses THema auch gar nicht mehr aufgegriffen - schon gar nicht hier im falschen Thread - hätte mich nicht Holgers flapsiges "So what? ff" ein bisschen aufgeregt.......
lg Severina