Operninszenierungen - modern vs. "altmodisch"

  • Hallo Clemens.


    Im Prinzip hast du recht. Mir geht es aber auch nicht so sehr darum, gegen "moderne" Inszenierungen zu streiten (wie ich im Verlaufe der Diskussion gelernt habe!). Mir geht es vielmehr darum, dafür zu plädieren, bei einer Inszenierung weniger Bedeutungsvermittlung zu intendieren, sondern vielmehr eine möglichst angemessene "Bebilderung" darzubieten. (Bei "angemessen" sind für die Regie m.E. eher die Qualitäten der Mitwirkenden, die räumlichen Gegebenheiten, finanziellen Mittel, etc. zu bedenken als eine auf intellektuellem Wege erschlossene Interpretation des Regisseurs.)

    Viele Gruesse.
    Holger.

  • Lieber Andreas!
    Ich habe keineswegs Wolfgang Wagner gemeint,sonder W i e l a n d.
    Und der hat schon etwas anderes geboten wie sein,auch von mir nicht besonders geschätzter Bruder.
    Auch ich brauche kein 'verstaubtes' Kostümtheater,aber ich lege doch
    Wert darauf,daß wenigstens annähernd das geboten wird,was Librettist und Komponist vorgelegt haben.
    Es soll doch nicht so sein wie im Rosenkavalier in Salzburg,ich weiß das Jahr dieser für mich völlig entstellten Aufführung nicht mehr,wo man sich über den Wunsch H.v.Hoffmannsthals hinweg gesetzt hat,der seine Oper zur Zeit Maria Theresias spielen lassen wollte.Man kann das im Briefwechsel mit Strauß nachlesen.
    LG Lotosblume

  • Liebe Lotosblume,


    mein Verweis auf Wolfgang Wagner war nicht an Dich gerichtet.


    Unsere Ansichten unterscheiden sich, glaub ich, aber schon in einigen Punkten. Ich denke, dass es bspw. um an die interessanten Aspekte des Rosenkavalier zu kommen, es nicht so entscheidend ist, ob die Inszenierung sich wirklich an der Zeit Maria Theresias orientiert.


    Ein anderers Bsp. wäre die Salome. Ist dieses Werk wirklich nur vor dem Hintergrund der biblischen Zeit verstehbar. Ich halte das nicht für so wesentlich. In der Salome scheint es mir doch viel eher um Macht und Menschenverachtung zu gehen. Irgendwie sind da alle Täter und Opfer. - Alles Themen, die auch jenseits der biblischen Zeit von Relevanz sind und das machen halt für mich moderne Inszenierungen oft deutlicher.
    [Entschuldige, dass ich hier die Salome zur Hilfe nehmen. Aber dieses Werk liegt mir einfach eher als der Rosenkavalier]

  • Hallo Holger


    Mir geht es auch überhaupt nicht darum, gegen sogenannte "traditionelle" Inszenierungen zu streiten, ich sehe mich auch nicht, wie Herbert Henn das hier formuliert hat, als "Verfechter des sogenannten Regietheaters". Ich streite in erster Linie für gutes, lebendiges und authentisches Theater. Theater muss frei bleiben, es darf nicht reglementiert werden - auch wenn das bedeutet, daß man oft Dinge sieht, die einem nicht gefallen. An die ausführenden Künstler z. B. den Anspruch der "Werktreue" zu stellen, finde ich schlicht sinnlos, da letzlich nicht zu erfüllen. Wenn dieses das Kriterium für "richtiges" Theater wäre, dann dürfte man endlich keine Stücke mehr aufführen, deren Autoren zu ihrer Intention nicht mehr zu befragen sind, denn wer will letzterdings behaupten, hierüber die absolute Wahrheit zu kennen. Ausserdem sind die Themen, die von den Autoren in ihren Werken verarbeitet wurden, meistens ja auch nicht neu und dadurch schon einer "Verwandlung", einer Neuinterpretation unterworfen. Und das dieses "verwandeln" auf der Bühne fortgesetzt wird, ist m. E. nur folgerichtig und auch gar nicht zu vermeiden. Ich glaube kaum, daß eine Aufführung z. B. der Zauberflöte im Jahre 1850 soviel werktreuer war, als das heute der Fall ist.
    Auch bin ich der Überzeugung, daß nur durch das ständige Neu-Erfinden die Werke uns lebendig bleiben - damit meine ich nicht, daß alles gegen den Strich gebürstet oder zwanghaft ins Heute verlegt werden muss (ich kann das hier nicht oft genug betonen). Diese Werke sind ein kulturelles Erbe, welches man nicht nur wie ein Briefmarkenalbum zum Betrachten herauskramt, um sich an vergangene Zeiten zu erinnern (obwohl auch das ein vollkommen legitimer Aspekt ist), sondern es muss lebendig gehalten werden. Und das geht IMO nur durch Umwandlung und nicht durch reine Reproduktion schon vorhandener Aufführungspraxen. Das ist für mich auch ein wesentlicher Aspekt in der Unterscheidung von z. B. Darstellender und Bildender Kunst.
    Natürlich beinhaltet diese Sichtweise auch einen großen Widerspruch, der evtl. nicht zu überwinden ist - aber vielleicht geht es auch gar nicht darum.


    Hofmannsthal hat diesen Widersruch wunderbar erfasst:


    Verwandlung ist Leben des Lebens,
    ist das eigentliche Mysterium
    der schöpfenden Natur;
    Wer leben will, der muß
    über sich selbst hinwegkommen,
    muß sich verwandeln;
    er muß vergessen.
    Und dennoch ist ans Beharren,
    ans Nichtvergessen, an die Treue
    alle menschliche Würde geknüpft.
    Dies ist einer
    von den abgrundtiefen Widersprüchen,
    über denen das Dasein aufgebaut ist,
    wie der delphische Tempel
    über einem bodenlosen Erdspalt.

  • Hallo Lotosblume,
    der Rosenkavalier in Salzburg 2004 war eine Inszenierung von Robert Carson, den ich eigentlich sehr schätze. Ich habe von ihm Hoffmanns Erzählungen und Dialogues des Carmélites gesehen. Der Salzburger Rosenkavalier hat mich auch
    enttäuscht, nicht weil er in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts angesiedelt war, sondern weil er mir zuviel Spektakel enthielt. Regisseure von heute sind ja nicht mehr an Regieanweisungen von Librettisten gebunden.
    Es wäre schon interessant zu erfahren, wie die Kritik reagieren würde, wenn ein Regisseur es derzeit einmal wagte, Rosenkavalier im 18. Jahrhundert spielen zu lassen.


    LG :hello:


    Emotione

  • Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller
    ......
    Auch bin ich der Überzeugung, daß nur durch das ständige Neu-Erfinden die Werke uns lebendig bleiben - damit meine ich nicht, daß alles gegen den Strich gebürstet oder zwanghaft ins Heute verlegt werden muss (ich kann das hier nicht oft genug betonen). Diese Werke sind ein kulturelles Erbe, welches man nicht nur wie ein Briefmarkenalbum zum Betrachten herauskramt, um sich an vergangene Zeiten zu erinnern (obwohl auch das ein vollkommen legitimer Aspekt ist), sondern es muss lebendig gehalten werden. Und das geht IMO nur durch Umwandlung und nicht durch reine Reproduktion schon vorhandener Aufführungspraxen. Das ist für mich auch ein wesentlicher Aspekt in der Unterscheidung von z. B. Darstellender und Bildender Kunst.
    .....


    Ich finde auch, dass das ein ganz wichtiger Aspekt ist - :jubel: :jubel: :jubel:

  • Zitat

    Original von Emotione
    Regisseure von heute sind ja nicht mehr an Regieanweisungen von Librettisten gebunden.


    Liebe Emotione,


    Ausnahmsweise:
    Danke. Du bestätigst hiermit, was ich schon öfter behauptete. Es gibt sie, aber sie werden negiert.


    LG, Paul

  • Man mag mich für verrückt halten, aber es ist eine reine Tatsache, dass ich mir in den meisten Fällen überhaupt keine Gedanken über Ort und Zeit der Inszenierung mache, außer der Regisseur macht mich mit der Holzhammermethode darauf aufmerksam, indem er die Oper z. B. in einem Drive-In-Restaurant spielen lässt und das mit Plakaten und Leuchtschriften überdeutlich kundtut. Aber ich achte gar nicht darauf, ob ein Zimmer nun mit Möbeln aus der korrekten Epoche ausgestattet ist oder ob die Kostüme auch nur ansatzweise stimmen. Man kann mir einen Simon Boccanegra im schwarzen Anzug vorsetzen, eine Salome im grünen, pailettenbestickten Abendkleid, sogar einen Giulio Cesare in moderner Armeeuniform - und ich denke keinen Augenblick daran, ob das "stimmt". Für mich sind die Personen der genuesische Doge des Mittelalters, die kleine Prinzessin aus Judäa und der antike Diktator auf Lebenszeit, egal was sie anhaben. Voraussetzung ist nur, dass sie gut gespielt werden, sonst glaub ichs nicht! Dasselbe gilt für die Bühne: derselbe düster-graue Raum kann für mich einmal das königliche Arbeitszimmer im Escorial sein, dann das Gefängnis und im nächsten Akt das Kloster San Giusto. Ich weiß, dass es das ist, und das reicht mir. Es braucht nicht so auszusehen, außerdem würde ich es eh nicht wiedererkennen, weil ich noch nie im Escorial oder im Kloster San Giusto war, geschweige denn in einem Gefängnis des 16. Jahrhunderts. Wichtig ist mir nur, dass die Personen diesen Raum "beherrschen". Ich bin, scheints, so fixiert auf Personenführung und Charakterdarstellung, dass mir alle anderen Details einer Inszenierung egal sind.
    Und diese Charakterzeichnung gelingt in altmodischen Inszenierungen so gut wie nie zu meiner Zufriedenheit.

  • Hallo Philhellene :hello:


    Mir geht es da ganz ähnlich. Personenführung und Charakterdarstellung sind auch für mich das A und O im Theater. Weiter oben habe ich das schon mal so beschrieben:


    "In erster Linie interessiert mich im Theater die Darstellung der Menschen, ihrer Beziehungen zueinander, zu sich selbst und zu der Welt, in der sie (bzw. wir) leben, ihren Schicksalen, Verhaltensweisen und Motivationen. Ich finde nichts langweiliger, als reines "Ausstattungstheater", platte Sentimentalitäten etc., denn dann gehe ich doch lieber ins Kino. Ich finde den Vergleich von Theater und Hollywood-Filmen auch nicht besonders glücklich. Die wichtigste Qualität des Theaters ist für mich die Authentizität der Darstellung und zwar erstmal losgelöst von jeglicher Ausstattung, das bedeutet, daß die Darstellung der Handlung, der Figuren und ihrer Motivationen theoretisch erstmal auch ohne Kostüme und Bühnenbild begreifbar sein muss. Denn genau da liegt IMO der Punkt, an dem echtes Theater stattfindet - nämlich in der puren und klaren Darstellung menschlichen Verhaltens. Was dann hinzugefügt wird, muss auch in seiner semiotischen Bedeutung überprüft werden.
    (...) Ich halte es nicht für unbedingt notwendig, alle "alten" Werke krampfhaft gegen den Strich zu bürsten oder zwanghaft ins Heute zu verlegen - das sind berechtigte theatralische Mittel und Möglichkeiten, aber keine Allheilmittel. Mir ist eine authentische Darstellung von Menschen und Emotionen wichtig - und das geht IMO im Rokokokleid ebenso wie in Jeans. Und eben diese Form von authentischer menschlicher Darstellung ist für mich "modernes Theater", nicht die Tatsache, daß der Freischütz unter einer Autobahnbrücke spielt. Aber da ist besonders in der Oper noch so einiges zu erreichen..."

  • Hallo Phihellenne.
    Du sprichst mir aus dem Herzen,nur benötigen wir Regisseure die das möglich machen,


    Es muss gut gespielt werden.


    Rita

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  • Es wäre doch mal reizvoll, über heutige Aufführungspraxis zu sprechen und dabei diese äusserst schwammigen Begriffe wie "werktreu", "traditionell", "Regietheater", "modern" etc. zu untersagen, quasi als Spielregel. Es könnte doch sein, daß man dadurch viel genauer erklären müsste, was man letztlich meint und dadurch evtl. diese Schubladen-Begriffe vermeidet. Ich kann mich immer noch nicht mit diesen Begriffen anfreunden, da sie IMO einfach nur pauschalisieren. So manche Inszenierung die sich in einem scheinbar "modernen" Gewande zeigt, ist letzlich recht altbacken - und umgekehrt gibt´s das ja auch.

  • Zitat


    Original von Philhellene
    Dasselbe gilt für die Bühne: derselbe düster-graue Raum kann für mich einmal das königliche Arbeitszimmer im Escorial sein, dann das Gefängnis und im nächsten Akt das Kloster San Giusto. Ich weiß, dass es das ist, und das reicht mir. Es braucht nicht so auszusehen, außerdem würde ich es eh nicht wiedererkennen, weil ich noch nie im Escorial oder im Kloster San Giusto war, geschweige denn in einem Gefängnis des 16. Jahrhunderts. Wichtig ist mir nur, dass die Personen diesen Raum "beherrschen". Ich bin, scheints, so fixiert auf Personenführung und Charakterdarstellung, dass mir alle anderen Details einer Inszenierung egal sind.


    Hallo,


    Du denkst doch da nicht etwa an meinen Lieblingsregisseur?


    LG :hello:


    Emotione


  • Hallo Holger,


    ja, ich sehe das in Hinsicht auf die derzeit tätigen Regisseure auch so. Bzgl. des Publikums haben uns Clemens und Martin berechtigterweise korrigiert. Aber dennoch finde ich Deine Ausführungen sehr, sehr stimmig. Ich möchte noch einen Punkt hinzufügen: die Langeweile. Ich habe jetzt schon mehrfach von Regisseuren gelesen, dass sie ein Werk langweilt, weil sie es schon zig mal gesehen, gehört und inszeniert haben. Also, das kann ich so gar nicht nachvollziehen. Aber wirklich so ganz und gar nicht. Mal abgesehen von der Ignoranz und Verantwortung denjenigen gegenüber, die eine Oper zum ersten mal erleben.


    LG,


    Christoph

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    ja, ich sehe das in Hinsicht auf die derzeit tätigen Regisseure auch so. Bzgl. des Publikums haben uns Clemens und Martin berechtigterweise korrigiert. Aber dennoch finde ich Deine Ausführungen sehr, sehr stimmig. Ich möchte noch einen Punkt hinzufügen: die Langeweile. Ich habe jetzt schon mehrfach von Regisseuren gelesen, dass sie ein Werk langweilt, weil sie es schon zig mal gesehen, gehört und inszeniert haben. Also, das kann ich so gar nicht nachvollziehen. Aber wirklich so ganz und gar nicht. Mal abgesehen von der Ignoranz und Verantwortung denjenigen gegenüber, die eine Oper zum ersten mal erleben.


    Die Behauptung, dass die "Regielies" vor allem Berufsmusiker seien, war sicher falsch. Aber es sind wohl vor allem Leute, die gewisse Werke zigmal gehört haben und davon gelangweilt sind. Meine Reaktion ist, mich anderen Werken zu widmen. Der Musikbetrieb weiß aber, dass immer dieselben Werke die Säle voll machen, und reagiert ziemlich logisch, indem versucht wird, dieselben Werke immer "anders zu beleuchten", damit es dennoch nicht fad wird. Eine fatale Entwicklung, da so die Neugierde auf andere Werke schon gar nicht gefördert wird.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Die Behauptung, dass die "Regielies" vor allem Berufsmusiker seien, war sicher falsch. Aber es sind wohl vor allem Leute, die gewisse Werke zigmal gehört haben und davon gelangweilt sind.


    Also Leute... :no:


    Da wird das eine Vorurteil weggeräumt um direkt das nächste auszupacken. Ich gehe doch nicht in ein "modern" inszeniertes Stück, weil ich mir denke: och, ich hab Die Zauberflöte jetzt schon 10 Mal gehört und es hängt mir zu den Ohren raus, ich lass mir da mal von nem Regisseur was spannendes zu erzählen, dann wird Mozart vielleicht wieder erträglich.


    Sorry, Kurzstueckmeister, aber ich finde Deine Behauptung ziemlich absurd.


    @ Christoph


    Natürlich gibt es Regisseure, die das ein oder andere Stück langweilig finden, aber daß gibt es auch bei Sängern, Tänzern, Schauspielern, Musikern etc. Ausserdem halte ich das im Vergleich für eine Seltenheit und zudem eine Tatsache, die genauso auch die "traditionellen" Regisseure betrifft. Und welcher Regisseur inszeniert ein Stück schon wirklich zig-mal? "Moderne" Regie ist sicherlich nicht aus der Langweile einzelner Regisseure an einzelnen Stücken entstanden...

  • Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller
    Ich gehe doch nicht in ein "modern" inszeniertes Stück, weil ich mir denke: och, ich hab Die Zauberflöte jetzt schon 10 Mal gehört und es hängt mir zu den Ohren raus, ich lass mir da mal von nem Regisseur was spannendes zu erzählen, dann wird Mozart vielleicht wieder erträglich.


    :hahahaha:
    Stimmt, klingt nicht sehr realistisch ...
    Außerdem hätten dann die "Regielies" schon viel länger die Nase vorn.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    :hahahaha:
    Stimmt, klingt nicht sehr realistisch ...
    Außerdem hätten dann die "Regielies" schon viel länger die Nase vorn.
    :hello:


    Eben! :P


    Diese Diskussion sollte aber IMO auch nicht dazu dienen, krampfhaft zu versuchen, Opernbesucher in zwei Kategorien einzuteilen - es ist wirklich schlimm genug, daß wir das hier ständig schon mit der heutigen Aufführungspraxis machen.

  • Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller
    Diese Diskussion sollte aber IMO auch nicht dazu dienen, krampfhaft zu versuchen, Opernbesucher in zwei Kategorien einzuteilen - es ist wirklich schlimm genug, daß wir das hier ständig schon mit der heutigen Aufführungspraxis machen.


    Es läßt sich aber nicht leugnen, dass die jeweiligen Bedürfnisse komplett unterschiedliche sind. Wenn jemand quasi beide Bedürfnisse in der Brust trägt, gehört er zwar beiden Gruppen an, verschmilzt die Gruppen aber nicht (so wie ein Freund der Musik und der Bildenden Kunst 2 Gruppen angehört, die aber - gerade wie dieses Forum zeigt - keineswegs deckungsgleich sind).
    :hello:


    PS: Wir haben "Werktreue" im Betreff. Kann jemand diesen Begriff definieren?
    :baeh01:

  • Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller



    Natürlich gibt es Regisseure, die das ein oder andere Stück langweilig finden, aber daß gibt es auch bei Sängern, Tänzern, Schauspielern, Musikern etc. Ausserdem halte ich das im Vergleich für eine Seltenheit und zudem eine Tatsache, die genauso auch die "traditionellen" Regisseure betrifft. Und welcher Regisseur inszeniert ein Stück schon wirklich zig-mal? "Moderne" Regie ist sicherlich nicht aus der Langweile einzelner Regisseure an einzelnen Stücken entstanden...


    ...sondern?

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  • Zitat

    Original von Knusperhexe


    ...sondern?


    sondern weil sie als eine ästhetische Notwendigkeit empfunden wurde. Immerhin geht das, was hier als "moderne" Regie bezeichnet wird, schon bis ins späte 19. Jahrhundert zurück. Und viele Debatten, die wir heute führen, finden sich wortwörtlich bereits um 1920. Man muß sich nur einmal mit den Auseinandersetzungen um die Berliner Krolloper befassen und findet die gleichen Argumentationsstrukturen wie bei Verfechtern und Verächtern des "Regietheaters". Es gibt einfach nichts Neues unter der Sonne...

  • Zitat

    Original von Armin Diedrich


    sondern weil sie als eine ästhetische Notwendigkeit empfunden wurde. Immerhin geht das, was hier als "moderne" Regie bezeichnet wird, schon bis ins späte 19. Jahrhundert zurück. Und viele Debatten, die wir heute führen, finden sich wortwörtlich bereits um 1920. Man muß sich nur einmal mit den Auseinandersetzungen um die Berliner Krolloper befassen und findet die gleichen Argumentationsstrukturen wie bei Verfechtern und Verächtern des "Regietheaters". Es gibt einfach nichts Neues unter der Sonne...


    o.k. - und wie kommt diese gewaltige Kluft zwischen Seherwartungen des Publikums und tatsächlich gebotener Inszenierung zustande? In diesen Ausmaßen ist das doch wirklich erst eine Entwicklung der jügeren Vergangenheit.

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    o.k. - und wie kommt diese gewaltige Kluft zwischen Seherwartungen des Publikums und tatsächlich gebotener Inszenierung zustande? In diesen Ausmaßen ist das doch wirklich erst eine Entwicklung der jügeren Vergangenheit.


    Ich denke, da irrst Du. Ich lese gerade "Theater in Deutschland 1887-1945" von Günther Rühle. die "jüngere Vergangenheit" reicht immerhin schon bis zur Zeit um 1900 zurück, als Brahm den Naturalismus durchsetzte. Ganz heftig wurde es dann ab 1920: die Inszenierungen Jessners oder Piscators führten regelmßig zu Tumulten (bei der "Tell"-Premiere warf Bassermann seinen Hut ins Publikum und brüllte "Schmeißt die Krawallmacher raus!"). Generell ist das Beharrungsvermögen des Theaterpublikums wohl sehr hoch, was auch mit seiner sozialen und kulturellen Struktur zu tun haben dürfte. Das zu untersuchen wäre sehr aufschlußreich.

  • Hallo Armin,


    aber die von Dir genannten Beispiele sind Einzelfälle und beziehen sich evtl auch auf neue Stücke. Eine derart massive Uminterpretation des gesamten Repertoires an sämtlichen Theatern - nicht nur an einzelnen Spielstätten - , wie sie seit den 80ern (beim Schauspiel seit den 70ern) stattfindet hat es in dem Umfang vorher nie gegeben. Das grenzt ja schon an eine Revolution. Und wenn ich mich an die Schlagzeilen erinnere, wie "Kampf dem Plüschtheater", "Weg mit Opas Pleureusen", "Schock der Abonnenten" , "Mit der Uminterpretation von Hänsel und Gretel wurde nun auch die letzte heilige Theaterkuh geschlachtet" kann ich mit meiner Empfindung nicht ganz falsch liegen.


    Was mich an der ganzen Sache immer stören wird: Es erscheint mir so wenig gewachsen und daraus erklärt sich für mich auch die Diskrepanz zwischen einem nicht kleinen Teil des Publikum und dem heute so verfremdeten Bühnengeschehen.


    Und da sind wir dann wieder bei dem, was Holger zu Recht bemängelte: Hatte zur Zeit, als noch kein denken an Regiegewaltmärsche war, das Publikum bereits das Verlangen den Don Giovanni auf der Müllkippe, den Heerrufer als SS-Mann und das Knusperhaus als Heroinspritze zu sehen? Oder wurde das aufdoktriniert? Eine objektive Antwort wird es da wohl nie geben.


    Ich für meinen Teil und auch viele andere kann nur betonen: "Wir waren zufrieden mit dem Theater, wie es war. Aber das heute, das entspricht überwiegend leider in keinster Weise mehr unserer Auffassung von Theater. Der Zauber, der Spaß am verkleiden, das träumen, das Abtauchen in andere Welten - das alles ist wie weggeblasen!"
    LG,


    Christoph

  • Die Kroll-Oper war für ihre Zeit ganz klar eine Stätte zeitgemässen Musiktheaters - und wurde nicht umsonst von der Reaktion (und in Folge von den Nationalsozialisten) angefeindet.


    Nach dem zweiten Weltkrieg war klar, dass wenn es mit Bayreuth weitergehen sollte, dies nur mit einem Bruch mit dem Vorkriegs- und Kriegsbayreuth funktionieren konnte. Wieland Wagner war für seine Zeit schlichtweg radikal.


    Die Frankfurter Oper der "Ära Gielen", die auch eine Ära Zehelein war, galt als beispielhaft für zeitgemässes Musiktheater.


    Seit Jahren verteidigt die Staatsoper Stuttgart ihre Position, Impulsgeber für das Musiktheater ihrer Zeit zu sein.


    Bei allen Unterschieden in der Auffassung hat mir ein Statement gut gefallen:


    Zitat Clemens:


    Zitat

    Diese Diskussion sollte aber IMO auch nicht dazu dienen, krampfhaft zu versuchen, Opernbesucher in zwei Kategorien einzuteilen


    Man kann das gar nicht oft genug betonen...

  • Jüngere Vergangenheit ist halt ein sehr dehnbarer Begriff. Wenn ich die Klagen hier im Forum analysiere, scheint spätestens in den 70er Jahren eine merkliche Präsenz moderner Regiekonzepte quer durch die Spielstätten vorhanden gewesen zu sein. Prominent sind aber weiterhin schon die Inszenierungen Wieland Wagners in Bayreuth an immerhin gewichtiger Stelle, die uns schon zum Jahr 1951 führen. Es gibt aber auch interessante Dokumente zum modernen Regietheater auf der Opernbühne in der Weimarer Republik.


    Bedenkt man jetzt einmal die Uraufführungsdaten der letzten wirklichen Operschlachtrösser, beispielsweise Puccinis Turandot oder diverse Strauss-Werke, so geht das zeitlich ziemlich nahtlos ineinander über.


    Letzteres nun finde ich angesichts der Tatsache, dass es sich bei einem Bühnenwerk um eine zutiefst lebendige Kunstform handelt, nicht wirklich überraschend, sondern einfach nur natürlich. Die drastische Reduzierung von Uraufführungen brachte das aus meiner Sicht zwingend mit sich (zwingend nicht das Regietheater, aber eine Abkehr von der bloßen Nachstellung der Uraufführung), und mit wachsendem Abstand zur Uraufführung wird das halt immer deutlicher.


    Gruß
    Sascha

  • Zitat

    Original von Antracis
    Die drastische Reduzierung von Uraufführungen brachte das aus meiner Sicht zwingend mit sich (zwingend nicht das Regietheater, aber eine Abkehr von der bloßen Nachstellung der Uraufführung), und mit wachsendem Abstand zur Uraufführung wird das halt immer deutlicher.


    Jawohl, drum hat diese Regietheateromnipräsenz für mich einen besonders ekligen Beigeschmack ...

  • Ein paar fragmentarische Gedanken zur Entstehung des "Regietheaters" möchte ich denn doch noch anfügen:
    Über weite Strecken seiner Geschichte war das Theater entweder in einen kultischen Rahmen eingebunden (Griechenland, Mittelalter) oder eine Unterhaltungsform, die sich neben anderen behaupten mußte. Beides ist nicht gerade innovationsfördernd. Wofür sich das Publikum am meisten interessierte, war der Star. Das Verständnis der Theateraufführung als geschlossenes Ganzes und als autonomes Kunstwerk entwickelte sich erst im Lauf des 19. Jahrhunderts. Ein Ausgangspunkt dürfte Schiller sein ("Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?"), ein anderer ist sicher Wagners Gedanke des "Gesamtkunstwerks". Damit entwickelte sich auch der Beruf des Regisseurs vom reinen Abendspielleiter und Verkehrspolizisten weiter zu demjenigen, der für die Gesamtkonzeption der Aufführung verantwortlich war und damit auch künstlerisches Gewicht bekam. Hinzu kommt der Wandel in der sozialen und ökonomischen Funktion: bis gegen 1900 dominierte das Hoftheater, dessen Aufgabe die fürstlich-adlige Repräsentation war. parallel dazu gab es Privattheater, die auf eigene ökonomische Verantwortung betrieben wurden und dementsprechend auf Kostendeckung achten mußten. Die Vorausetzung, daß ein Regisseur künstlerisch tätig werden konnte und sich gegebenenfalls auch auf eine Konzentration mit dem Publikum einließ, war das öffentlich subventionierte Theater, das von einem gebildeten Bürgertum getragen und besucht wurde und über ein Repertoire verfügte. Diese Entwicklungen setzten um 1900 ein, und seitdem sind auch die fortwährenden Debatten zu beobachten: angefangen mit Otto Brahm und seiner Durchsetzung des Naturalismus über die zwanzigerJahre (die hier in Deutschland in erster Linie Berlin bedeuten, aber nicht hierauf beschränkt blieben) bis zu den massiven Auseinandersetzungen, die das "Neue Bayreuth" hervorrief.

  • Zitat

    Original von Armin Diedrich
    Ein paar fragmentarische Gedanken zur Entstehung des "Regietheaters" möchte ich denn doch noch anfügen:
    Über weite Strecken seiner Geschichte war das Theater entweder in einen kultischen Rahmen eingebunden (Griechenland, Mittelalter) oder eine Unterhaltungsform, die sich neben anderen behaupten mußte. Beides ist nicht gerade innovationsfördernd. Wofür sich das Publikum am meisten interessierte, war der Star. Das Verständnis der Theateraufführung als geschlossenes Ganzes und als autonomes Kunstwerk entwickelte sich erst im Lauf des 19. Jahrhunderts.


    Ha! Das heißt, dass erst seither die Entwicklung auf Vollgas läuft?
    :D
    Ich wußte auch nicht, dass bei Monteverdis Orfeo und ähnlichen ambitionierten Kunstprojekten der Star die Hauptsache war.

    Zitat

    Ein Ausgangspunkt dürfte Schiller sein ("Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?"), ein anderer ist sicher Wagners Gedanke des "Gesamtkunstwerks". Damit entwickelte sich auch der Beruf des Regisseurs vom reinen Abendspielleiter und Verkehrspolizisten weiter zu demjenigen, der für die Gesamtkonzeption der Aufführung verantwortlich war und damit auch künstlerisches Gewicht bekam.


    Wer war in der Barockoper für die Gesamtkonzeption zuständig?

    Zitat

    Hinzu kommt der Wandel in der sozialen und ökonomischen Funktion: bis gegen 1900 dominierte das Hoftheater, dessen Aufgabe die fürstlich-adlige Repräsentation war. parallel dazu gab es Privattheater, die auf eigene ökonomische Verantwortung betrieben wurden und dementsprechend auf Kostendeckung achten mußten. Die Vorausetzung, daß ein Regisseur künstlerisch tätig werden konnte und sich gegebenenfalls auch auf eine Konzentration mit dem Publikum einließ, war das öffentlich subventionierte Theater, das von einem gebildeten Bürgertum getragen und besucht wurde und über ein Repertoire verfügte. Diese Entwicklungen setzten um 1900 ein, und seitdem sind auch die fortwährenden Debatten zu beobachten: angefangen mit Otto Brahm und seiner Durchsetzung des Naturalismus über die zwanzigerJahre (die hier in Deutschland in erster Linie Berlin bedeuten, aber nicht hierauf beschränkt blieben) bis zu den massiven Auseinandersetzungen, die das "Neue Bayreuth" hervorrief.


    Warum kann ein Regisseur nur dann künstlerisch tätig sein, wenn der Laden subventioniert wird, während der Komponist es auch schon vorher kann (und seither offenbar immer weniger)?

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Warum kann ein Regisseur nur dann künstlerisch tätig sein, wenn der Laden subventioniert wird, während der Komponist es auch schon vorher kann (und seither offenbar immer weniger)?


    Die waren ALLE subventioniert... Oder abhängig...


    Bach war u.a. KIRCHENMUSIKER.
    Wagner hatte AUFTRAGGEBER (heute würde man sagen: Sponsoren).


    Um nur zwei zu nennen...


    Oder habe ich den Satz falsch verstanden?


    Matthias

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