Beethoven: Klaviersonate Nr 29 in B-Dur Op. 106 - ein Hammer

  • Zitat

    Original von Ulli
    :hello: [kannst Du bitte noch einen link geben, ich bin zu blöd zum Finden... :rolleyes: ]


    Leider scheint die Ausgabe vergriffen zu sein. Lediglich die Sonaten mit B.-S. aus den Endsechzigern (mit modernem Flügel) scheint es noch zu geben...


    :hello:

  • Es gibt noch die Aufnahme von Andrew Willis, der auf einem Hafner von 1835 spielt.


    Es ist ein Bestandteil einer Box: Beethoven, The Complete Piano Sonatas On Period Instruments mit Malcolm Bilson, Tom Betghin, David Breitman, Ursula Dütschler, Zvi Meniker, Bart van Oort und Andres Willis
    bei Claves


    Die Instrumente sind z.t. Originale oder Nachbauten


    Gruß aus Bonn :yes:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Zitat

    Original von Pius
    Zunächst mal zum von Beethoven selbst gewählten Beinahmen "Große Sonate für das Hammerklavier". Wieso hat sich der Name "Hammerklaviersonate" eingebürgert? Es ist doch selbstverständlich, daß sie für Hammerklavier komponiert wurde.


    Diesbezüglich ist unser Observator fündig geworden - und wegen des historischen Werts sei es hier verkündet:



    Zu Deutsch:


    An den Wohlgebornen Generalleutnant von Steiner
    zu eigenen Händen.


    Publicandum


    Wir haben nach eigener Prüfung und nach Anhörung unsers Konseils
    beschlossen und beschließen, daß hinfüro auf allen unsern Werken, wozu der
    Titel deutsch, statt Pianoforte Hammerklavier gesetzt werde, wornach sich unser
    bester Generalleutnant samt Adjutanten wie alle andern, die es betrifft, sogleich
    zu richten und solches ins Werk zu bringen haben.
    Statt Pianoforte Hammerklavier -
    Womit es sein Abkommen einmal für allemal hiemit hat.


    Gegeben usw.usw. am 23. Jänner 1817


    Vom
    Generalissimus


    - - m. p.


    Vicky P. Dia meint zur Fragestellung:


    Zitat

    Der Titel ist einfach eine damals gefundene Übersetzung des italienischen Begriffs "Pianoforte" und steht somit in der Tradition eines Versuches, italienische Musikterminologie durch deutsche Wörter zu ersetzen [...]. „Hammerklavier“ hat sich auch in anderen Sprachen durchgesetzt und scheint am besten geeignet, den titanischen Charakter und die Größe dieses Werkes zu beschreiben.


    Wobei hier "Übersetzung" richtiger "freie Übersetzung" heißen müsste. Das Werk wurde m. W. 1818 vollendet und ging dann ziemlich bald in den Druck bei Artaria und dürfte somit eines der ersten Werke gewesen sein, das unter dem Titel "Hammerklaviersonate" anstelle "Grande Sonata per il Pianoforte" veröffentlicht wurde. Offenbar hat die Holzhammermethode, mit welcher der neue Begriff durchgesetzt wurde, einen bis heute bleibenden Eindruck hinterlassen. Manche sollen beim Hören des Werkes sogar noch heute Kopfschmerzen bekommen...


    Ich finde diesen Text so schön, daß ich ihn mir ausgedruckt und aufs Notenpult meines Bösendorfers gelegt habe... [vielleicht bringt's ja was?]


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • So, inzwischen liegen ja die Gesamteinspielungen von Paul Lewis, Gerhard Oppitz und auch Andras Schiff vollständig vor. Die Aufnahme Andras Schiffs habe ich mir vor einigen Tagen zugelegt, komplett hören können habe ich sie allerdings noch nicht, vielleicht komme ich im Laufe des Tages dazu:




    Gelesen habe ich allerdings schon das Beiheft, das aus einem Interview mit dem Pianisten besteht, dabei kommt natürlich das Gespräch auf die Metronomangaben Beethovens für die Hammerklaviersonate, die ja die einzige Sonate ist, für die Metronomangaben Beethovens überliefert sind. Und die Frage ob- und wie diese Angaben Beethovens zu interpretieren sind, ob sie verbindlich zu nehmen seien, oder ob der taube Beethoven da schlicht nicht wußte was er da tat, ist umstritten. Zu dieser Frage ist ja weiter oben so einiges zu lesen. Andras Schiff steht jedenfalls auf dem Standpunkt, dass die Metronomangaben Beethovens für einen Pianisten verbindlich seien: Nur so käme der Charakter der einzelnen Sätze deutlich heraus. Schiff räumt allerdings auch ein, dass die "von Beethoven gewählten Tempi vom Pianisten eine unerhörte Kompetenz verlangen". Schiff hält sich jedenfalls an die Vorgaben Beethovens- schaut man sich die Laufzeiten der einzelnen Sätze an. Für das Adagio braucht Schiff rund 15 Minuten, also deutlich weniger als Entdecker der Langsamkeit wie Solomon, Arrau oder in neuerer Zeit Michael Korstick.


    Die Laufzeiten im Einzelnen:


    I. Allegro: [11:06]


    II. Scherzo. Assai vivace: [2:41]


    III. Adagio sostenuto: [15:29]


    IV. Largo - Allegro risoluto: [12:50]


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • ich habe eine Reihe Aufnahmen und Mitschnitte der Hakla. Am schwierigsten dürfte für die Pianisten der 4. Satz sein. Und da gefallen mir am bis jetzt besten folgende Pianisten(innen), ohne Rang-bzw. Reihenfolge:
    Andras Schiff (25.09.01 + 30.05.07: seine letzte Wiedergabe in Schwetzingen hat mir besser gefallen, als 01) ,
    Yukio Yokoyama,
    Guy F-F,
    Annie Fischer,
    Markus Becker,
    Michael Korstick.


    Als Hörer fiel mir auf, wenn der 4. Satz langsamer genommen wird, klingt er fad, vielleicht spricht diese Erfahrung für Beethovens Metronomangaben. Beim ersten Satz dürfen die Kontraste nicht verwischt werden...


    Beim 3. Satz finde ich Gulda-Studio sehr beeindrucknend. Er wählt ein zügigeres Tempo als manche andere.


    :hello:

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  • Die Tempobreite der Interpretationen im 2. und 4. Satz (Hauptteil) ist m.E. praktisch zu vernachlässigen. Auch wenn im Durchschnitt ein wenig langsamer, so liegen hier die meisten doch noch in der Nähe der Beethovenschen Angaben (im 10% Rahmen oder so).


    Die Stolpersteine sind der Kopfsatz und das Adagio, wo Abweichungen von 30% bis zum halben vorgeschlagenen Tempo eher die Regel als die Ausnahme sind. Unter den Aufnahmen, die ich kenne oder die hier gelistet wurden, ist Gulda der einzige, der im Adagio annähernd an der Vorgabe ist, s.o. Auch andere, die den Kopfsatz ziemlich zügig nehmen (Schnabel, Korstick, P. Serkin), meinen anscheinend, daß das adagio langsamer zu spielen sei. Schiff ist hier tatsächlich anscheinend einer der zügigsten. Nicht aber im Kopfsatz, wo Gulda, Peter Serkin, Schnabel und Korstick alle deutlich unter 10 min. bleiben (inkl. Wdh.).


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ich werde mir noch 1-mal den 3. Satz mit Korstick (28 Minuten dürfte in der Tat echt guinessverdächtig sein) reinziehen, bin gespannt ob jetzt bei mir der Funke rüberspringt wie bei Gulda. Die ganzen Tamino-Hakla-Beschreibungen darüber haben mich sehr neugierig gemacht. Ich habe mich die ganze Zeit bei Hakla sehr auf den 4. Satz fixiert. Er war bis jetzt mir der spannenste + wichtigste Satz .
    Der erste Satz klingt mir bei Schiff - wie soll ichs sagen ? - etwas sehr gefällig. Dennoch mag ich diesen letzten Live-Mitschnitt mit Schiff aus Schwetzingen und hat deshalb einen Ehrenplatz beim MP3-Player. Für mich ist im ersten Satz momentan z.B. wichtig das Fanfarenthema und wie es doch sehr sehr in Frage gestellt wird.... dieser Kontrast fetzt beim Hören .... aber es verbergen sich sicher noch eine Menge anderer Rätsel in dieser Sonate, die es zu entdecken gibt..
    vielleicht könnten andere Forianer auch mal darüber noch Feedback geben, um noch mehr Höranregungen zu geben....


    :hello:

  • Zitat

    Original von Amfortas08
    Für mich ist im ersten Satz momentan z.B. wichtig das Fanfarenthema und wie es doch sehr sehr in Frage gestellt wird.... dieser Kontrast fetzt beim Hören .... aber es verbergen sich sicher noch eine Menge anderer Rätsel in dieser Sonate, die es zu entdecken gibt..
    vielleicht könnten andere Forianer auch mal darüber noch Feedback geben, um noch mehr Höranregungen zu geben....


    Schaun mer mal :D


    Das Adagio steht sicher im Zentrum der Sonate- und so liegt die Versuchung diesen Satz zu zelebrieren sicher nahe. Wenn man sich die Liste der Intrepreten ansieht, die das Adagio so auffassen, sind das durchweg namhafte Beethoven-Interpreten. Den Satz in solch einem Tempo zu spielen- und zu vermeiden, dass sich die Musik dabei selbst zerlegt- ist sicher eine Herausforderung. Was problematisch an diesem Ansatz ist: die Balance zwischen den Sätzen. Der Schwerpunkt verschiebt sich hier sehr deutlich- und die übrigen Sätze wirken wie Beiwerk.


    Oppitz liegt bei seiner Interpretation ebenfalls über der 20 Minuten Marke. Die anderen Sätze fallen dagegen nicht aus dem Rahmen. Von den neueren Einspielungen der Sonate dürfte die Aufnahme Nikolai Demidenkos sicher interessant sein- nur besitze ich sie selbst nicht.


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Neben dem Adagio einer der faszinierendsten Sätze ist das Scherzo. Neben den anderen drei Sätzen kommt dieser Satz immer ein wenig kurz. Dieses Scherzo. Es hat etwas Geisterhaftes, wenn es mit der entsprechenden Verve interpretiert wird- und das schafft für mein Empfinden Glenn Gould ausgezeichnet!


    Das Scherzo beginnt, harmlos-leichtgängig mit einem liedhaften Thema- eine Stimmung die sich ab Mitte des Satzes völlig ins Gegenteil verkehrt, eine wuchtig-donnernde Passage, unterbrochen durch die Wiederkehr des ersten Themas- und dann ist dieser Satz vorbei. In knapp zweieinhalb Minuten. Mich erinnert dieses Scherzo an die Scherzi Chopins: Beide zeichnet die gleiche abgründige Doppelbödigkeit aus. Robert Schumanns charkterisierte Chopins Musik einmal so: "unter Blumen eingesenkte Kanonen". Was ebenso gut auf dieses Scherzo der Hammerklaviersonate passt.


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

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  • ich habe mir eben noch-mal das Adagio mit Korstick reingezogen. Mein Eindruck:
    ich hatte erst befürchtet der Satz würde zerfallen wie 10 Wochen alter Mamorkuchen. Nein das geschah überhaupt nicht. Keine Zerlegung, aber auch kein Zelebrieren. Sogar sehr emotionalisierend diese Wiedergabe, wie bei Gulda. Der Mittelteil (in C-Dur ? , weiss das jemand zufällig, sonst wähne ich, ist fis-moll vorherrschend ? aber vielleicht weiss jemand das genauer) klingt bei Gulda deutlicher + markanter, als bei Kostick... muss ich nochmal vergleichen.....


    Ja das Scherzo. Es fällt zunächst die motivische Verwandschaft zum 1. Satz auf und der Kontrast des Mittelteils also das es für mich schier zerfällt, scheinbar unverbunden, unvermittelt .... das klingt abgründig und das Blumen-Kanonen-Sprachbild trifft diese Spannung im Scherzo.... (Korstick :2:25)
    (Dieses Abrupte fällt mir auch beim a-moll-+ cis-moll- quartett auf)


    Ich habe dann noch 1-mal mir den 4. Satz mit Kostick (ca. 11:06) und mit Schiff (30.05.07 Schwetzingen) reingezogen: Schiff brauchte ca. 12:08 in Schwetzingen
    Bei Kostick ist der Schwerpunkt beim Drive, bei Schiff sind viele Details viel deutlicher als bei Korstick hörbar. Schiff klingt auch agressiver als Korstick.


    Ob bei der Hakla ein Satz Beiwerk ist, bin ich mir nicht sicher.. für mich war bisher der 4. Satz der wichtigste , aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher .....


    :hello:

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  • Selbstverständlich ist hier kein Satz "Beiwerk". Es gibt überhaupt kein reifes Beethovenstück, bei dem ein Satz oder Abschnitt so charakterisiert werden könnte.


    Mich erinnert das Scherzo nicht nur an Chopin (ist ja so ein bißchen Mazurka-Rhythmus im Hauptteil), sondern fast mehr noch an Schumanns doppelbödigen Humor. Es wird gemeinhin als Parodie oder ironisches Echo des heroischen Kopfsatzes gedeutet.


    Ich habe jetzt keine Muße, Finalsätze zum Vergleich anzuhören; ich glaube aber mich zu erinnern, daß die Spieldauerunterschiede hier hauptsächlich von der Einleitung und von der Flexibilität in der Fuge, z.B. die Episode, bei der ein neues Gegenthema in Vierteln oder so in den Vordergrund kommt, die sich jedenfalls deutlich langsamer anfühlt, obwohl kein Tempowechsel angezeigt ist, etwas langsamer zu spielen, weniger vom Grundtempo der Fuge. Und hier halte ich es auch für sinnvoller, ein klein wenig langsamer als markiert zu spielen, dabei aber einigermaßene Klarheit zu erzielen als halsbrecherisch und undurchhörbar.


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Selbstverständlich ist hier kein Satz "Beiwerk". Es gibt überhaupt kein reifes Beethovenstück, bei dem ein Satz oder Abschnitt so charakterisiert werden könnte.


    Als Beiwerk gewollt sicher nicht, nur liegt eben genau darin die Gefahr, wenn das Adagio so überdeutlich hervorgehoben wird: Die übrigen Sätze treten dadurch zwangsläufig ein wenig in den Hintergrund- die Proportionen stimmen einfach nicht mehr. Was den Rang der Interpretationen eines Solomon oder Arrau jetzt keineswegs mindern soll- nur kann man sich eben fragen, ob diese Deutung den Intentionen des Komponisten entspricht.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

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  • Zitat

    Original von Caesar73


    Als Beiwerk gewollt sicher nicht, nur liegt eben genau darin die Gefahr, wenn das Adagio so überdeutlich hervorgehoben wird: Die übrigen Sätze treten dadurch zwangsläufig ein wenig in den Hintergrund- die Proportionen stimmen einfach nicht mehr. Was den Rang der Interpretationen eines Solomon oder Arrau jetzt keineswegs mindern soll- nur kann man sich eben fragen, ob diese Deutung den Intentionen des Komponisten entspricht.


    Ich denke, dass Beethoven hier bewusst disproportional baut. Das Scherzo ist im Vergleich zum langsamen Satz extrem kurz und bleibt es auch, wenn das Adagio "nur" eine Viertelstunde dauert. Ein Parallelbeispiel wäre das Scherzo aus dem Streichquartett op. 130, das ja sogar noch etwas kürzer ist und sich (in der Urfassung) als Winzling gegen die gigantische Schlussfuge ausnimmt.


    Deshalb ist das Scherzo natürlich kein "Beiwerk", sondern eine extrem pointierte Form des Komponierens. Bei op. 106 kommt m.E. hinzu, dass dem Scherzo etwas Spukhaftes innewohnt: das artikuliert sich vor allem in den beiden Achtelschlägen, die immer stereotyp das mehrfach sequenzierte Motiv abschließen. Diese beiden Achtelschläge sind auch im unheimlichen Mittelteil präsent (bei manchen Pianisten hört man sie kaum, bei anderen zu stark) und verselbständigen sich dann in grimassenhafter Weise bei der Überleitung zum Hauptteil. Am Ende rennt sich der Satz auf ihnen fest und sie werden in einem berserkerhaften Presto-Crescendo in die Tasten gehämmert - ein Moment des "Ausflippens" wie später im Scherzo von op. 135. Nach dieser Passage verflüchtigt sich das nur noch dreimal wiederholte Scherzomotiv in die Höhe - das trägt zu diesem Eindruck des bewusst Flüchtigen, Geisterhaften erheblich bei.



    Beim langsamen Satz bin ich gespalten: ich finde das metronomgerechte Tempo Guldas absolut korrekt. Mein Liebling bleibt aber die langsame Arrau-Aufnahme, eine der schönsten Interpretationen von Klaviermusik, die ich kenne (besonders die Variante des Hauptthemas in 32teln und die darauffolgende gesteigerte Version des zweiten Themas - :faint:). Korstick dagegen erscheint mir völlig überdehnt, langsame Sätze überzeugen mich bei ihm eh selten.


    Arrau liefert auch eine fantastische Schlussfuge und einen sehr guten ersten Satz. Nur im Scherzo lässt er einfach jede Pointiertheit und jeden Witz vermissen, das war nicht seine Sache.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Lieber Bernd,



    Zitat

    Ich denke, dass Beethoven hier bewusst disproportional baut. Das Scherzo ist im Vergleich zum langsamen Satz extrem kurz und bleibt es auch, wenn das Adagio "nur" eine Viertelstunde dauert. Ein Parallelbeispiel wäre das Scherzo aus dem Streichquartett op. 130, das ja sogar noch etwas kürzer ist und sich (in der Urfassung) als Winzling gegen die gigantische Schlussfuge ausnimmt.


    ein interessanter Gedanke. Von der Seite habe ich das noch nie gesehen. Und diese Perspektive macht ausgesprochen Sinn.



    Zitat

    Beim langsamen Satz bin ich gespalten: ich finde das metronomgerechte Tempo Guldas absolut korrekt. Mein Liebling bleibt aber die langsame Arrau-Aufnahme, eine der schönsten Interpretationen von Klaviermusik, die ich kenne (besonders die Variante des Hauptthemas in 32teln und die darauffolgende gesteigerte Version des zweiten Themas - ). Korstick dagegen erscheint mir völlig überdehnt, langsame Sätze überzeugen mich bei ihm eh selten.


    Arrau liefert auch eine fantastische Schlussfuge und einen sehr guten ersten Satz. Nur im Scherzo lässt er einfach jede Pointiertheit und jeden Witz vermissen, das war nicht seine Sache.



    Mit der Einspielung Arraus geht es mir ähnlich wie Dir: Ein großartige Aufnahme Arraus- nur eben das Scherzo nicht. Aber den Charakter dieses Satzes zu treffen scheint ohnehin nicht einfach zu sein: Glenn Gould gelingt das beispielsweise- und nachdem ich die Aufnahme gestern rauf- und runter gehört habe- auch Andras Schiff.


    Die Einspielung Korsticks habe ich jetzt eine ganze Weile lang nicht mehr gehört- da dürfte es spannend sein, wie er op. 106 im Rahmen seiner neuen Gesamtaufnahme interpretieren wird. Ob er an seinem Konzept etwas verändern wird?


    Wie gefällt Dir denn die Einspielung Solomons?


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Der entscheidende Unterschied gegenüber op.130/133 besteht freilich darin, daß im Quartett alle Binnensätze von recht bescheidenen Ausmaßen sind.
    Aber anscheinend wird von einem Scherzo auch nicht verlangt, entsprechende Ausmaße zu haben. Sehr kurze Scherzi kommen schon in der Frühlingssonate, in op.28 oder der 10. Violinsonate vor. Und beim späten Beethoven spielen solche knappen Charakterstücke ja eine noch größerer Rolle; man denkt natürlich an die Bagatellen und der 2. Satz in op.110, der ja noch kürzer und v.a. wesentlich simpler ist als der hier. Die Situation in op.110 ist tatsächlich extremer, wenn man Rezitativ/Arioso dolente/Fuge als Einheit sieht.
    In op.106 gehört das Scherzo in gewisser Hinsicht zum Kopfsatz, als sarkastisches Echo. Die beiden Sätze zusammen sind dann etwa so lang wie Einleitung+Fuge und im Originaltempo ist das Adagio nur ein wenig länger.


    :hello:


    JR

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  • Meinem Eindruck nach gelingt Glenn Gould gerade auch der 3., der langsame Satz herausragend. Seine Interpretation (leider nicht im Studio, sondern für's kanadische Fernsehen aufgenommen - daher Mono) gehört mit 20' 42 zu den bedächtigeren. Im Vergleich zu den ähnlich langsamen Solomon (22' 20) und Gilels (19' 50) spielt Gould spannender. Bei ihm klingt's sanglicher (ich meine jetzt nur das, was aus dem Klavier 'rauskommt :D ) und rhythmisch flexibler - allein das berückende Rubato in den Stellen mit dem Walzer-Bass.
    Allerdings will ich eine interpretatorische Freiheit nicht verschweigen:
    Gegen Ende des Satzes gibt es eine Aufwallung in Form von immer schneller von den tiefen Tönen aufwärts laufenden Arpeggien, deren immer gleicher höchster Ton durch beschleunigte Wiederholung heraussticht. Darauf antwortet das Eingangsthema, laut Notentext wieder leise.
    Gould hingegen spielt es da so laut wie die Aufwallung selbst; man kann wohl sagen, dass das Eingangsthema gebrüllt wird. Vielleicht ist das insofern gerechtfertigt, als dass es nicht wie eine einfache Reprise klingen darf.
    Wenn man das Eingangsthema hier notengetreu leise spielt, muss es wie eine Antwort klingen, meiner Vorstellung nach mit beklemmender Wirkung, vielleicht so ähnlich wie resignierend wirkende Stellen bei Schubert.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von Caesar73
    Wie gefällt Dir denn die Einspielung Solomons?


    Lieber Christian,


    ich besitze keine einzige LP/CD mit Solomon :O. Eigentlich komisch, weil ich im Beethoven-Klaviersonaten-Buch von Joachim Kaiser schon früh Lobeshymnen auf diesen Pianisten gelesen habe. Aber damals bin ich wohl vor Mono zurückgeschreckt (oder die Platten waren nicht zu kriegen oder ich hatte kein Geld) und später hat sich's nicht ergeben...



    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich habe mir jetzt den Korstick gekauft und gehört (die gekoppelte Waldstein noch nicht). Wie ich mehr oder minder erwartet hatte, ist mein Votum gespalten. Die Ecksätze dürften die schnellsten (von Schnabel abgesehen, bei dem man aber nicht mehr viel erkennen kann) im Katalog sein und zeigen, daß Beethovens Angaben durchaus ernstgenommen werden können. Ich finde das Ergebnis faszinierend, wenn ich mir auch an einigen Stellen ein klein wenig mehr Flexibilität gewünscht hätte. Wobei Korstick nicht metronomisch spielt, sondern besonders im Kopfsatz die espressivo-Passagen durchaus etwas langsamer nimmt, was aber angesichts des höllischen Grundtempos immer noch sehr zügig ist.
    Man denkt an eine (nicht unumstrittene) angebliche Äußerung Beethovens, ein tempo solle nur für den Beginn eines Satzes gelten: Das Hauptthema anspringend und kraftvoll anstatt allzu majestätisch gefällt mir sehr, aber insgesamt ist der Satz schon ziemlich monomanisch (vielleicht war er so gedacht). Ähnlich in der Fuge, selbst wenn das Tempo hier ja üblicherweise schon sehr schnell genommen wird. Dieses Finale ist für mich auch nach 20 Jahren noch ein harter Brocken; ich finde es beinahe sperriger als op.133 (vermutlich weil ich mich mit letzerer mal mehr befaßt habe).
    Auch das Scherzo ist überzeugend: hintergründig, stellenweise spukhaft.


    ABER: Das vermutlich langsamste (28+ min., lt. Beiheft in einem take eingespielte) Adagio überzeugt mich ganz und gar nicht. Wenn ich die Musik nicht schon gut kennen würde, hätte ich hier vermutlich stellenweise große Schwierigkeiten, melodische Verläufe auszumachen. Die Passagen mit schnellen Noten (32tel) funktionieren naheliegenderweise recht gut (auch wenn sie durch die Zeitlupe einiges von ihrem leidenschaftlichen Charakter einbüßen), aber der Anfang, das Ende und einige andere Motive zerfallen m.E. in Einzelereignisse.
    Man hat hier ein ähnliches Gefühl wie in Goulds Appassionata...


    Mir leuchtet ein, daß man Beethovens Originaltempo zu schnell findet. Aber das verbreitete Tempo (20-30% langsamer, s.o.), bei dem der Satz dann nicht 13-14, sondern 17-20 min. dauert, ist hier ein Kompormiß. Nun ist Korstick offenbar nicht der Mann für Kompromisse. Aber die Begründung für das Adagio-Tempo, die er im Beiheft gibt (s.o.) halte ich ebenfalls nicht für einleuchtend.


    Dennoch: wer die Ecksätze in angemessener Weise, noch etwas zügiger als Gulda und kontrastreicher und leidenschaftlicher hören möchte, sollte hier zugreifen.
    Man darf gespannt sein, ob Korstick im Rahmen seinen Oehms-Zyklus diese Sonate, sowie op. 53 u. 109-111 noch einmal einspielen wird, oder ob die älteren dort wieder erscheinen werden. Da er sein Ultra-langsam-Tempo fürs Adagio aber für angemessen hält, wird das wohl diesbezüglich keine Verbesserung bringen.


    2**1 hat die Oehms-Aufnahmen recht günstig, ich wollte da eigentlich nochmal eine Stichprobe nehmen, aber er scheint die langsamen Sätze durchweg sehr breit zu nehmen, ich glaube, ich verschiebe das lieber noch etwas; habe eh genug Beethoven.


    :hello:


    JR

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  • Es fällt natürlich schwer, einen Bogen zu spannen zu diesem seit über 7 Jahtren brach liegenden Thread einer der größten Klaviersonaten aller Zeiten, und deswegen werde ich auch, wenn ich den Thread über die Klaviersonate Nr 3 vorläufig beendet habe, über die Rezensionen zur Hammewrklaviersonate einen neuen Thread eröffnen.
    Heute möchte ich aber, angeregt durch eine Meldung Sagitts im aktuellen Thread über die Sonate Nr. 3, eine kurze Meldung über die Aufführung Yuja Wangs der Hammerklavierosonate in der New Yorker Canegie-Hal einstellen.
    In der Tat, lieber Sagitt, ist es so, dass Yuja Wang kaum irgendein Hemmnis hat, um diese wohl mit als Schwierigste aller Sonaten zu Bezeichnende in einem so natürlichen Ablauf zu präsentieren, wie es nur irgend denkbar ist.
    Dabei ist zu überlegen, was mehr zu bewundern ist, ihr unerschöpfliches technisches Potential oder ihr erstaunliches tiefes musikalisches Verständnis, oder beides gleichzeitig:



    Spielzeiten: : 11:09 - 2:37 - 17:24 - 11:47 --- 42:57 min:
    Was ich auch noch bemerken möchte, dass mein Eindruck bei den bisherigen Liveerlebnissen mit ihr, dass sie trotz ihres exponierten Äußeren stets hinter das Werk zurücktritt, auch hier vollkommen zutraf.
    Wenn sie so weiter macht, werden wir noch viel Freude an ihr haben, und hoffentlich noch mit recht viel Beethoven.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi


    natürlich freue ich mich, von so berufener Seite Unterstützung zu erhalten. Nicht Vorurteilen zu vertrauen: jung, bloß äußerlich, seelenlos virtuos. Nein, Yuja Wang hat eine stupende Technik, zugleich aber auch eine höchst beachtliche Tiefe der Interpretation. Sie ist ein junges Girl aus New York, zugleich eine höchst ernsthafte Interpretin.


    Weiter Genesung und schöne Grüße
    Hans

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  • In der Tat, lieber Sagitt, ist es so, dass Yuja Wang kaum irgendein Hemmnis hat, um diese wohl mit als Schwierigste aller Sonaten zu Bezeichnende in einem so natürlichen Ablauf zu präsentieren, wie es nur irgend denkbar ist.


    Ich habe mir, lieber Willi, diesen Mitschnitt auf Youtube angeschaut und war auch beeindruckt, besonders vom wunderbar empfindsam gespielten langsamen Satz. Yuja Wang ist eine absolut ernsthafte Musikerin, die wenn sie spielt, nur noch für die Musik lebt. Und auch den Intellekt und Sachverstand hat sie (die Technik sowieso). Ihre chinesische Lehrerin, sagt sie, hat sie einst mit deutscher Klassik und Romantik von Mozart bis Brahms erzogen und ihr schlicht nichts anderes zu spielen gegeben. Alle anderen Komponisten - wie die Russen - hat sie erst beim Studium in den USA kennengelernt. Dass sie die Klassiker so gut kann, kommt also nicht von ungefähr. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Was für ein Mitschnitt! Ich habe ihn mir allerdings nur angehört (1. Satz und 4. Satz), das Bild lenkt einfach zu sehr ab. Die Fuge ist elektrisierend, mit solch einem Überblick und leidenschaftlichen Zug nach vorn hört man diesen Satz selten.


    Viele Grüße,
    Christian