Richard Strauss für Aussteiger

  • Hallo Herbert,


    da machst Du es mir aber etwas schwer :) Ich könnte jetzt gleich sagen, ohne JSB hätte die gesamte Musikgeschichte eine andere Entwicklung genommen. Nur wissen wir heute - auch dank der vielen Tonträger - dass auch Bach, klar, seine Wurzeln hatte. Da gab es nicht nur Buxtehude, sondern auch Pachelbel, Knüpfer, Rosenmüller, die Bach-Familie... Worauf will ich hinaus? Natürlich entwickelt sich Musik immer weiter - und es gibt gute und weniger gute Komponisten, das hat mit persönlichem Geschmack, ob ich die mag oder nicht so gerne deren Musik höre, erstmal nichts zu tun. Anders liessen sich Werke musikgeschichtlich, musikwissenschaftlich gar nicht einordnen (eine interessante Frage ist doch - für mich zumindest - ob z. B. Claude Debussy nicht der "wichtigere" Komponist gegenüber Richard Wagner war, wenn ich die Gesamtentwicklung betrachte). Vor diesem Hintergrund ist die Musik von Dr. Richard Strauss, gemessen an ihrer Zeit, verglichen mit anderen Komponisten, die zur selben Zeit wirkten, nicht herausragend und natürlich relativiert sich damit auch der Stellenwert des Komponisten.


    Herzliche Grüsse

  • Hallo Liebestraum,


    ist das wirklich so? Haben Komponisten immer nur den Publikumserfolg im Blick? Schreker war ein zu seiner Zeit enorm erfogreicher Komponist. Aber in seinen Stücken findet sich sehr viel von seiner Persönlichkeit, von Konflikten, die auch seine privaten waren. Er erzählt in seinen Kompositionen etwas über sich. Ich bin sicher: auch, weil es ihn getrieben hat, sich genau so mitzuteilen, unabhängig vom Publikum. Janacek - auch da bin ich überzeugt, dass sich jemand musiksprachlich genau so äussern musste, egal, ob man ihn verstand oder mochte. Berg, Violinkonzert, "Andenken eines Engels"... Keine Musik, die nach Beifall schielt, würde ich sagen. Steve Reich "Different trains", eine Musik, die mich tief berührt, bestimmt kein Publikumsrenner und ein letztes Beispiel: Schönberg "A survivor of Warsaw", ein Stück, nach dem man nicht wirklich applaudieren kann.


    Zum Vergleich: "Salome" und "Elektra" kamen nicht wirklich gut an - Strauss schwenkt um und komponiert den "Rosenkavalier". Max von Schillings schmeisst Schönberg und Schreker aus ihren Ämtern, Strauss komponiert "Arabella" und wird Vorsitzender der Reichsmusikkammer (nur hat er sich verrechnet: die Übermenschen mögen seine Musik nicht ganz so, wie er das gerne hätte, trotz Clemens Krauss) - er komponiert 1942 - Europa brennt! - "Capriccio", 1946 sind die "Metamorphosen" alles, was Strauss zu den Millionen Toten einfällt.


    Was ist von einem Komponisten zu halten, der allen Ernstes fordert, es soll zwei Opernhäuser geben, um "erstrangige" von "zweitrangiger" Kunst zu trennen? Im erstrangigen sollen z. B. Werke von Strauss (sic!), Wagner Beethoven, im "zweitrangigen" Werke von Donizetti, Leoncavallo oder Offenbach gezeigt werden?


    Gruss

  • Hallo Alviano,


    Zitat

    Worauf will ich hinaus? Natürlich entwickelt sich Musik immer weiter - und es gibt gute und weniger gute Komponisten, das hat mit persönlichem Geschmack, ob ich die mag oder nicht so gerne deren Musik höre, erstmal nichts zu tun


    Und wer genau entscheidet, ob ein Komponist zu den "guten" oder "weniger guten" gehört?


    Anders liessen sich Werke musikgeschichtlich, musikwissenschaftlich gar nicht einordnen (eine interessante Frage ist doch - für mich zumindest - ob z. B. Claude Debussy nicht der "wichtigere" Komponist gegenüber Richard Wagner war, wenn ich die Gesamtentwicklung betrachte).


    Diese Gegenüberstellung verstehe ich überhaupt nicht. Weshalb soll Debussy bedeutender für die "Gesamtentwicklung" (Gesamtentwicklung wohin?) gewesen sein als Wagner? Ohne den Tristan ist ein Großteil der Musik des frühen 20. Jahrhunderts gar nicht denkbar.


    Zitat

    Vor diesem Hintergrund ist die Musik von Dr. Richard Strauss, gemessen an ihrer Zeit, verglichen mit anderen Komponisten, die zur selben Zeit wirkten, nicht herausragend und natürlich relativiert sich damit auch der Stellenwert des Komponisten.


    Nochmals die Frage, wer denn eigentlich jetzt abschließend darüber urteilt, ob die Musik von Strauss herausragend ist oder nicht? Du? Edwin? Das Publikum? Der Musikwissenschaftler xy? Was macht Musik überhaupt herausragend?


    Zitat

    Pfitzners "Rose" hat einen grauenhaften Text, stimmt schon. Und in die x Wiederholungen des fis in der Ouvertüre gehört ein vorsichtiger Strich. Aber was dann folgt, ist IMO eine sehr schöne, wunderbar melodiöse nachromantische Oper.


    Ganz meine Meinung, Edwin. Wobei Arabella für meine Ohren auch eine sehr schöne, wunderbar melodiöse Oper ist.... :D
    Mal im Ernst: Ich halte es für ziemlich witzlos, Pfitzner und Strauss gegeneinander auszuspielen. Beide waren geniale Komponisten, die melodisch ungemein inspirierte und handwerklich äußerst raffiniert gebaute Musik geschrieben haben - auch wenn sie nicht immer der "Gesamtentwicklung" im Sinne eines positivistischen Fortschrittsgedanken gedient haben.


    Zitat

    Schreker packt sofort mit der Handlung und findet immer einen interessanten Vortragstonfall. Es wird nie langweilig. Während ich bei Strauss schon sehr bald beginne auf die Uhr zu schauen, konnte mich der Schreker sogar bei einer konzertanten Aufführung restlos gefangen nehmen.


    Da geht es mir gerade umgekehrt. Nach spätestens 10 Minuten wirkt die Schrekersche Klangschwüle auf mich ausgesprochen einschläfernd - da fehlen einfach die melodisch- motivisch klaren Elemente, die ich bei Strauss (ich rede jetzt nicht von der Ägyptischen Helena) und Pfitzner immer wieder auf beglückende Art und Weise finden kann.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Edwin,


    ich bitte um Nachsicht, wenn ich jetzt vom Thema abschweife. Mit dem "Palestrina" habe ich mich in jüngeren Jahren sehr schwer getan. Das hat sich zwischenzeitlich völlig geändert - vielleicht tatsächlich eine Frage des Lebensalters... Heute kenne ich allerdings auch (neben einigen Liedern) das "Herz", den "Armen Heinrich", das "Christelflein" und "Von deutscher Seele". Das zweite Werk von Pfitzner, das ich bewusst kennengelernt habe, war die "Rose vom Liebesgarten". Die Musik hat mir total gut gefallen - und das Libretto, nunja, "Fredegundis" käme vermutlich im direkten Vergleich besser weg... Heute, über zwanzig Jahre später, nachdem ich die "Rose" kennenlernen durfte, kann ich mich noch an dieses Erlebnis erinnern. Die Vermutung, dass der Eindruck damals ein bleibender gewesen sein muss, ist absolut zulässig :). Allerdings: nicht nur der Nachtwunderer ist ein alter Bekannter, auch den Rheintöchtern begegnet man und Siegfried ist auch deutlich verifizierbar. Ich würde andere Werke sicher lieber einmal szenisch erleben wollen, aber: bei allen Vorbehalten - klar, reizen würde mich die "Rose" dann doch sicherlich.


    Kannst Du zwei Sätze zu Kaminski sagen? Kein Plan - ein weisser Fleck für mich.


    Wenn ich im Kaffeesatz lesen darf: Du warst eventuell live in der "Christopherus"-Aufführung, von der ich einen Band-Mitschnitt besitze? Wien 1992? Also, bei "Capriccio" schaue ich nicht so auf die Uhr - das passiert mir eher bei "Ägyptische Helena" oder "Danae" - aber ich hab eine Vorstellung davon, was Du meinst.


    Ich hab immer etwas Mühe, wenn ich zwischen den Epochen springe. Ich höre gerade einen Scarlatti - da fällt der Wechsel zu Schreker schon schwer. Aber ich bin wild entschlossen, diesen Vergleich "Capriccio" -"Christopherus" nachzuvollziehen.


    Herzliche Grüsse nach Wien


    :hello:

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  • Hallo Bernd,


    vielen Dank für Deine Erwiderung (auch) auf meine Anmerkungen. Es ist jetzt nach Mitternacht, heute ist zwar Freitag, aber der normale berufliche Alltag wird hart, deshalb nur kurz: genau, Du hast die Frage eigentlich schon selbst gestellt: ist "Tristan" tatsächlich so bedeutend? Und wenn ja, warum?


    "Arabella" melodiös? Doch, jaaa, warum nicht? :)


    "Und Du sollst mein Gebieter sein" oder "Aber der Richtige", da stehen wir voll dahinter...


    Macht Spass, Gruss zurück

  • sorry, - mal deutliche worte: wenn ich das hier alles so lese, da kann man ja nur noch mit den händen über den kopf zusammenschlagen - was habt ihr (oder zumindest sehr viele) gegen strauss? natürlich hat er auch schlechte, grauenhaft langweilige werke komponiert.
    aber hat das nicht fast jeder komponist?
    es kommt auf die guten, großen oder gar genialen werke drauf an. und die finden sich bei strauss in nicht kleiner zahl.


    ich jedenfalls möchte ihn keinesfalls missen (auch wenns nicht mein lieblingskomponist ist).


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Hallo Alviano,


    zum Glück arbeite ich weitgehend selbst und ständig, deshalb muß ich morgen nicht ganz so früh raus....


    Zitat

    ...ist "Tristan" tatsächlich so bedeutend? Und wenn ja, warum?


    Scheinbar "objektiv" musikwissenschaftlich ist der "Tristan" so bedeutend wegen seiner vorher so nicht denkbaren chromatischen Melodik und Harmonik. Im Gegensatz zu den anderen Wagner-Opern gibt es in ihm kein eindeutiges tonales Zentrum, und insofern ist er das Vorbild für alle nachfolgenden "Auflösungserscheinungen".
    Weniger objektiv gesehen ist der Tristan ein Kunstwerk, welches einen völlig aus dieser Welt entrücken kann. Mit 16 oder 17 habe ich das selber erlebt, da wurde diese Oper am hiesigen Theater achtmal gegeben, und ich habe keine Vorstellung verpaßt. Noch heute würde ich sagen, daß diese acht Abende zu mit den stärksten, intensivsten Eindrücken in meinem Leben zählen.


    Zitat

    ...was habt ihr (oder zumindest sehr viele) gegen strauss? natürlich hat er auch schlechte, grauenhaft langweilige werke komponiert.


    Eben! Ich finde es reichlich unfair, wenn hier ständig die Helena oder das Heldenleben ins Feld geführt werden.
    Das rein Illustrative ín den Strausschen Tondichtungen interessiert mich auch nicht sonderlich. Aber es gibt ja nicht nur den Don Quichotte oder den Zarathustra, sondern auch das Duett-Concertino, das zweite Hornkonzert, die Metamorphosen und das Oboenkonzert....


    Viele Grüße


    Bernd.

  • Hallo allerseits,


    Klingsor schrieb:

    Zitat

    was habt ihr (oder zumindest sehr viele) gegen strauss? natürlich hat er auch schlechte, grauenhaft langweilige werke komponiert.
    aber hat das nicht fast jeder komponist?
    es kommt auf die guten, großen oder gar genialen werke drauf an. und die finden sich bei strauss in nicht kleiner zahl.


    Ja, ganz richtig! Strauss ist auch einer meiner liebsten Favoriten, und es gibt doch wirklich viele schöne, spannende, bewundernswerte, tief beeindruckende und anrührende Werke des Komponisten, die es allemal lohnen, sich eingehend mit ihnen zu beschäftigen. Und auch wenn sich das ein oder andere Stück findet, das man eher mittelmäßig oder für sich selbst uninteressant findet, ist man ja nicht gezwungen, es sich anzuhören.


    Das einzige, was mich völlig annervt, ist die - hier so interessant diskutierte - seltsame Situation, daß Strauss mit seinen Werken auf sämtlichen Konzert- und Opernbühnen so extrem präsent ist und viel gespielt wird, dafür aber die anderen Komponisten, die in diesem Thread bereits zur Sprache kamen, mit ihren mindestens ebenso beeindruckenden Meisterwerken kaum aufgeführt oder gar vollkommen ignoriert werden. (Erklärungsversuche sind hier ja verschiedentlich in die Diskussion eingebracht worden.)
    Nun schließt sich für mich die Frage an:
    Wird sich diese nach wie vor anhaltende Ungleichgewichtung in absehbarer Zeit korrigieren? Oder wird sich das Publikum noch viele weitere Jahrzehnte mit dem (besonders im Bereich der Oper) extrem schmalen Repertoirekatalog begnügen?


    Johannes

  • Hallo Bernd,


    zugegeben: mein Arbeitstag war heute etwas anstrengender, als sonst...


    Vielen Dank für Deine kurzen Anmerkungen zum "Tristan", das, was Du schreibst, ist mir nachvollziehbar. Und da bin ich schon bei Deiner Frage, wer denn jetzt festlegt, wie Musik zu bewerten ist. Es gibt die Möglichkeit, zu beschreiben, warum sich ein Werk von anderen abhebt und eventuell Auswirkungen auf andere, nachfolgende Werke hat. Das ist ein seriöser Ansatz, den Stellenwert eines Komponisten oder eines Stückes zu umreissen. Um auf mein Beispiel kurz einzugehen: ich frage mich immer wieder, ob sich die Musik ohne Wagner und ohne den "Tristan" genauso entwickelt hätte, wie wir sie heute kennen. Ob dann bsplsw. einem Komponsten wie Debussy eine grössere Beachtung zu Teil geworden wäre. Bei ihm findet man auch soetwas wie die unendliche Melodie und eine interessante Orchesterbehandlung, inklusive einer spannenden Musik-Wort-Bindung.


    Deshalb würde ich Deine Feststellung, dass ohne den "Tristan" vieles an nachfolgender Musik so gar nicht denkbar wäre, in dieser Absolutheit nicht übernehmen (bitte nicht missverstehen - ich sage auf keinen Fall, dass die Einschätzung fehlerhaft ist!), sondern ich würde sie zum Anlass für anregende Gespräche, Austausch und zum Nachdenken nutzen.


    Deine Ergänzung über das persönliche Erleben (also die subjektive Seite) haben mir auch gut gefallen. Jeder von uns hat wohl solche Erlebnisse, die sich (glücklicherweise) jeder Bewertung entziehen.


    So, aber bevor jetzt geschimpft wird: das Thema hier heisst "Strauss" - und ich finde es ganz toll, die unterschiedlichen Einschätzungen kennenlernen zu dürfen, auch und gerade die, wo ich eher mit :no: reagiere.


    Gruss

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  • Zitat

    Original von Guercoeur
    Wird sich diese nach wie vor anhaltende Ungleichgewichtung in absehbarer Zeit korrigieren? Oder wird sich das Publikum noch viele weitere Jahrzehnte mit dem (besonders im Bereich der Oper) extrem schmalen Repertoirekatalog begnügen?


    Ich fürchte, bevor sich der Repertoirekatalog im allgemeinen Bewusstsein verbreitert, verschwindet das Genre Oper überhaupt aus ebenjenem... :rolleyes:

  • Hallo Klingsor,
    natürlich haben alle Komponisten auch langweilige und schwache Werke komponiert. Der Unterschied ist, daß die aber nicht aufgeführt werden, während man den Strauss'schen Langweilern wie "Heldenleben", "Domestica", "Capriccio", "Arabella", "Tod und Verklärung" etc. etc. nicht nur immer wieder begegnet, sondern auch immer wieder im Zusammenhang mit ihnen zu lesen bekommt, welch wunderbarer Meister dieser Strauss war - während ich den Verdacht habe, daß keine Bühne "Arabella" spielen würde, wenn der Komponist Reznicek wäre und kein Dirigent das "Heldenleben", wenn Paul Graener als Urheber auf der Partitur stünde. Und das ist es, was mich gegen Strauss aufbringt: Er usurpiert die Führerschaft unter den Komponisten des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ohne daß die Musik das rechtfertigen würde.


    ------------------------------


    Hallo Alviano,
    das dürfte genau die "Christophorus"-Aufführung sein, die ich gehört habe. Mittlerweile besitze ich die CD von cpo. Ein meiner Meinung nach extrem interessantes Werk, das ganz weggeht von Schrekers bis dahin praktizierten Klängen - und doch nach Schreker klingt. Meiner Meinung nach die perfekte Konversationsoper.


    Ad Kaminski kann ich leider wenig sagen, ich kenne ein paar Orgel- und ein paar Chorwerke von ihm: Musik von großer Kraft; ich habe immer das Gefühl, daß Kaminskis Musik Zeichen setzt, eine Art Res-Facta-Prägung. Ein guter Bekannter, dessen Geschmack ich eigentlich vertraue, behauptet aufgrund eines Klavierauszugs, dass eine Kaminski-Oper ("Jürg Jenatsch"? - bin mir im Moment nicht ganz sicher) zum musikalisch besten gehört, was er aus dieser Zeit kennt. Übrigens: Big Berlin Bear ist ein Kaminski-Kenner - ein wesentlich besserer als ich; ich glaube, er hat sogar einen Thread zu diesem Komponisten bei Tamino.


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    Hallo Bernd,

    Zitat

    Das rein Illustrative ín den Strausschen Tondichtungen interessiert mich auch nicht sonderlich. Aber es gibt ja nicht nur den Don Quichotte oder den Zarathustra, sondern auch das Duett-Concertino, das zweite Hornkonzert, die Metamorphosen und das Oboenkonzert....


    Willst Du jetzt damit sagen, daß Du das Oboenkonzert und das Duettconcertino für starke Werke hältst?


    Zitat

    Wobei Arabella für meine Ohren auch eine sehr schöne, wunderbar melodiöse Oper ist...


    "Aber der Richtige..." ist eine so gute Melodie, daß ich mich immer gewundert habe, sie in einem so uninspirierten Werk zu finden. Eine Melodie, die fast dazu angetan war, mein Urteil über Strauss' melodische Begabung zu relativieren. Und dann erzählte Marcel Prawy, daß es sich um ein Volkslied aus einem der Staaten des früheren Jugoslawien handelt. Mir fiel ein Stein vom Herzen - ich hatte Strauss also doch richtig eingeschätzt, nämlich als extrem schwachen Melodiker.


    Und was Schreker anlangt: Lieber schwüle Klangekstase als celestaverziertes Schlagobers. :D


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    Zitat

    Willst Du jetzt damit sagen, daß Du das Oboenkonzert und das Duettconcertino für starke Werke hältst


    Ja, das will ich damit sagen. Der Anfang des Duett-Concertinos hat mich schon beim ersten Hören vor etwa 25 Jahren vom Stuhl gerissen, und zwar wegen seiner melodischen Kraft und Inspiriertheit. Und die Reminiszenz des langsamen Satzes aus dem Oboenkonzert ist gut gespielt (eigentlich kann speziell DAS nur Holliger) ein wunderbar ferner, ganz tief entrückter Traum.


    Zitat

    "Aber der Richtige..." ist eine so gute Melodie, daß ich mich immer gewundert habe, sie in einem so uninspirierten Werk zu finden


    Außer "Aber der Richtige" und "Und du wirst mein Gebieter sein" gibt es in Arabella noch jede Menge hinreißender Melodien. Kann es sein, daß du diese Oper schon länger nicht mehr gehört hast? Wundern würde es mich nicht, denn sie wird im Gegensatz zu deinen Behauptungen fast gar nicht gespielt. Ich hatte überhaupt erst einmal Gelegenheit, sie auf der Bühne zu erleben, und das war 1985 oder 86 im fernen Hamburg. In Düsseldorf, Köln, Essen oder Dortmund begegnet man viel eher einer Oper von Zemlinsky als der Arabella. Gleiches gilt für Capriccio . Hier in Deutschland wirst du (von München vielleicht abgesehen) auf den Spielplänen völlig vergeblich danach suchen.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Und das ist es, was mich gegen Strauss aufbringt: Er usurpiert die Führerschaft unter den Komponisten des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ohne daß die Musik das rechtfertigen würde.


    Strauss kann doch gar nichts mehr usurpieren, weil er - zumindest meinem Wissen nach - schon einige Zeit nicht mehr unter uns weilt. Es sind vielmehr Intendanten und Musikdirektoren, die sich dafür entscheiden, seine Werke aufzuführen, ohne dass sie von einer Reichskulturkammer oder ähnlichem dazu gezwungen würden.


    Mich stört auch, dass hier du und auch Alviano den Eindruck erwecken wollen, als gäbe es gute Musik in einem objektiven Sinne. Das stört mich auch bei anderen Themen in diesem Forum. Es entbehrt meiner Meinung nach jeder Grundlage, seitenlang auszuführen, welcher Komponist besser ist als ein anderer oder wer in die erste, zweite oder dritte Garnitur der Tonkünstler einzuordnen sei. Wie alle Kunst ist Musik eine Angelegenheit subjektiven ästhetischen Empfindens. Dazu kommen im Lauf der Rezeptionsgeschichte auch ideologisch motivierte Kanonbildung und nicht zuletzt eine große Portion Zufall, bis sich dann schließlich ein Name etabliert hat. Dass einer dieser Namen Richard Strauss ist, hat eine Menge Gründe, aber nicht zuletzt wird er daher oft gespielt, weil ihn viele Kulturfunktionäre mit teilweise großer musikhistorischer Bildung für dessen würdig halten. Mit Usurpation hat das nichts zu tun. Es ist ein sehr begrüßenswertes Anliegen, auf wenig gespielte Komponisten hinzuweisen, aber ich verstehe nicht ganz, warum das unbedingt auf Kosten von Richard Strauss vor sich gehen muss.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Mich stört auch, dass hier du und auch Alviano den Eindruck erwecken wollen, als gäbe es gute Musik in einem objektiven Sinne.



    Genau das ist auch mein Problem, zumindestens dann, wenn es sich um Komponisten handelt, denen ein gewisses Mindestniveau von niemandem abgesprochen werden kann.


    Edwin sagen die Melodien in der Arabella oder im Duett-Concertino nichts, während ich mich neulich bei einer Aufführung von Schostakowitschs Cellokonzert grässlich gelangweilt habe. Ich besitze keine einzige Schostakowitsch-CD und werde mir vermutlich auch nie eine kaufen. Trotzdem würde ich nie behaupten, Schostakowitsch sei ein chronisch überschätzter Komponist. Die Menschen sind nun mal unterschiedlich und für unterschiedliche Reize empfänglich!


    Zitat

    Und da bin ich schon bei Deiner Frage, wer denn jetzt festlegt, wie Musik zu bewerten ist. Es gibt die Möglichkeit, zu beschreiben, warum sich ein Werk von anderen abhebt und eventuell Auswirkungen auf andere, nachfolgende Werke hat. Das ist ein seriöser Ansatz, den Stellenwert eines Komponisten oder eines Stückes zu umreissen.


    Alviano, dir war ich noch eine Antwort schuldig. Nein, die Auswirkungen eines Stückes auf andere, nachfolgende Werke sind für mich kein eindeutiges Kriterium für seinen ästhetischen Stellenwert. In der Musik geht es in erster Linie doch nicht um "Fortschritt" (sonst wäre Mozart ja eindeutig "besser" als Bach und Beethoven "besser" als Mozart etc. usf.), sondern darum, die immer wichtigen Dinge möglichst treffend zum Ausdruck zu bringen. Das kann man mit vorwärts, aber auch mit rückwärts gewandten Mitteln tun.
    Ich hatte immer schon immer eine besondere Vorliebe für die nach hinten blickenden Komponisten ...


    Viele Grüße


    Bernd

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Er usurpiert die Führerschaft unter den Komponisten des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ohne daß die Musik das rechtfertigen würde.


    hallo, edwin, hier schlägst du dich mit deiner eigenen aussage: was kann denn strauss dafür, daß er nach seinem tode noch so (relativ) häufig 'gespielt' wird?


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Daß Strauss ein schlechter Melodiker war, ist keine neue Erkenntnis. Sie wurde übrigens, in einem seltenen Anflug von Selbsterkenntnis, von Strauss geteilt: Er schreibt in einer Selbstdarstellung (und darin war er ja musikalisch wie verbal ein Könner) ungefähr, er habe die Gabe, kleine Motive so abzuwandeln, daß sie für Melodien gehalten werden.
    Wenn man sich die sogenannten großen Strauss-Melodien daraufhin ansieht, merkt man sehr schnell, daß diese (Selbst-)Kritik nicht von ungefähr kommt: Meistens sind es Dreiton- oder Viertonzellen, die durch kleine Rückungen sequenziert und harmonisch und instrumentationstechnisch aufgepeppt werden. Ein ideales Beispiel: "Frau ohne Schatten"/"Mir anvertraut" - die auf diese Worte gesungene Floskel wird wiederholt, bzw. sequenziert wiederholt bis zum Abwinken. Daß daraus scheinbar eine reichhaltige Melodie wird, hat mit den Differenzierungen der Begleitung zu tun, nicht mit der Melodie selbst.


    Nun zu Strauss, der seine Position usurpiert: Wer waren die Komponisten, die Strauss in den Jahren seiner Hochblüte ernsthaft Konkurrenz machten? Schreker, Zemlinsky, Korngold, Braunfels, Krenek, Weill, Pfitzner in der Oper, im Konzertsaal vor allem Mahler.
    Und nun wollen wir überlegen, was so um das Jahr 1933 in Deutschland, um 1938 auch in Österreich begann und bis 1945 dauerte. Von allen genannten Komponisten, wurde nur Pfitzner weitergespielt. Strauss stand plötzlich mit einer einzigen Ausnahme also ohne ernsthafte Konkurrenz da.


    Nach 1945 wurde eine völlig andere ästhetische Richtung aufgearbeitet, man setzte nicht bei Schreker und Korngold an, sondern bei Schönberg und Webern - also auch hier ein Traditionsbruch.


    Er mag zwar für die Entwicklung der Musik heilsam gewesen sein, trieb aber das Publikum immer weiter in die Strauss-Opern, weil die Alternative mit Schreker und Korngold einfach nicht mehr gegeben war.


    Als dann bei Schreker, Zemlinsky und Korngold eine vorsichtige Renaissance einsetzte, knüpfte die ebenfalls nicht mehr an den Rausch dieser Opernsensationen an, sondern brach die Werke meist durch Regietheater. Statt sie also dem Repertoire zurückzugeben, wurden diese Opern als exotische Paradiesvögel behandelt - und bald wieder ins Archiv zurückgelegt.


    In dieser ganzen Zeit war die Strauss-Rezeption ohne eine Unterbrechung. Und selbst, wenn Strauss als Regietheater aufgeführt wurde, hatten seine Werke im Bewußtsein des Publikums eine völlig andere Position.


    Das geht so weit, daß ein Opernintendant (nicht Holender) mir einmal sagte, er spiele jetzt "Capriccio" im Bewußtsein, ein elendes Werk auf die Bühne zu bringen, viel lieber würde er es mit Janaceks "Totenhaus", Schrekers "Schatzgräber" oder Korngolds "Heliane" versuchen. Ich fragte ihn darauf mit einiger Verwunderung, warum er es dann nicht mache. Antwort: Weil die Leute in einen Strauss hineingehen, und wenn es der letzte Mist ist. Die anderen muß man behandeln wie zeitgenössische Musik, Strauss kann man spielen wie einen Puccini.


    Ich habe diese Antwort diversen Dirigenten und Intendanten unter die Nase gerieben - und nahezu alle stimmten zu.


    Daß man Strauss "wie einen Puccini" spielen kann (damit ist natürlich nicht der Stil gemeint, sondern die Stellung im Normalbetrieb) hängt wohl primär mit der oben geschilderten historischen Situation zusammen, nicht mit der musikalischen Qualität.


    Und wer mir das nicht glaubt, wage bitte einen Vergleich: Man nehme eine "Arabella" (also ein relativ häufig gespieltes und von diversen Forianern heftig verteidigtes Werk) und vergleiche sie mit folgenden Opern:


    Stilistisch mit
    - "Die Gezeichneten", "Der Schatzgräber" von Schreker
    - "Die tote Stadt", "DasWunder der Heliane" von Korngold
    - "König Roger" von Szymanowski


    Inhaltlich (bezogen auf die intime häusliche Thematik, die Werkauswahl richtet sich nicht nach dem Entstehungszeitraum der "Arabella") mit:
    - "Vanessa" von Barber
    - "A Quiet Place" von Bernstein
    - "Maria Golovin" von Menotti


    Zeitbezogen (stilistische und inhaltliche Parallelen außer Acht lassend, bezogen auf die Entstehungszeit bis 1933)
    - "Mahagonny" (Weill)
    - "Cardillac" (Hindemith)
    - "Die Brautwahl", "Doktor Faustus" (Busoni)
    - "Die Nase", "Lady Macbeth von Mzensk" von Schostakowitsch
    - "Christophe Colombe" von Milhaud


    Und nach diesen Vergleichen bitte ich um die ehrliche Antwort: Ist es wirklich eindeutig der musikalischen Qualität zu verdanken, daß "Arabella" häufiger gespielt wird als die im Vergleich aufgezählten Opern?


    :hello:

    ...

  • Hallo Bernd,
    ich bin froh zu hören, daß Strauss sein Duettconcertino und sein Oboenkonzert nicht ganz umsonst geschrieben hat.
    Angesichts des vitalen Neoklassizismus eines Strawinskij oder Hindemith müsste man ja sonst die Mozart-Nachahmungen des alternden Strauss geradezu aus Mitleid spielen... :D
    :hello:

    ...

  • Ich halte es da ebenfalls mit Klemperer, der schlicht und ergreifend den SPÄTEN Strauss als "MIST" bezeichnete und davon nur die "Metamorphosen" ausnahm, das als einziges der späten Strauss-Werke NICHT diesem "Heileweltpseudomozartkitsch" huldigt, sondern sich eher an Beethoven und Bach orientiert. Edwin wird mir gewiss recht geben, daß auch dieses Werk nicht sonderlich originell ist, aber das was Strauss aus dem "fremden Strickmuster" macht, ist geradezu anbetungswürdig ! :jubel: :jubel: :jubel:
    Mich erstaunt eher, daß fast alle jene, die hier und in anderen threads Strauss so engagiert und vehement verteidigten, mit diesem Werk offenbar eher wenig anfangen können.... Woran das wohl liegen mag ?


    In dieselbe Kategorie gehört auch sein spätes Chorwerk "An den Baum Daphne", Text J. Gregor, das ich unbedingt in einen zu erstellenden Kanon
    immerwährender Chor-Literatur aufnehmen würde.


    Fatalerweise geht der späte Pfitzner ebenfalls den straussschen Weg der "Mozart-Epigonie". Dessen Stücke werden, zu Recht , meine ich, mit weitgehender Nichtachtung gewürdigt, wohingegen Straussens Duettconcertino und das Oboenkonzert, auch das späte Hornkonzert kann dem hinzugefügt werden, doch recht häufig zu hören sind.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • Hallo Edwin,


    Zitat

    Man nehme eine "Arabella" (also ein relativ häufig gespieltes und von diversen Forianern heftig verteidigtes Werk)


    Zum hundertsten Mal: Arabella ist außerhalb von Wien kein häufig gespieltes Werk, sondern eine absolute Rarität. Leider!


    Der "seltene Anflug von Selbsterkenntnis" bezog sich auf den Vergleich mit Mozart, nicht mit den von dir ins Feld geführten Unmelodikern des frühen 20. Jahrhunderts.
    Für meine Ohren steckt im ersten Akt des Rosenkavaliers mehr inspirierte Melodik als in dem ganzen von dir zusammengestellten Opernkonvolut (wobe ich die Brautwahl, König Roger und die Schatzgräber zugegebenermaßen nicht kenne).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Ich halte es da ebenfalls mit Klemperer, der schlicht und ergreifend den SPÄTEN Strauss als "MIST" bezeichnete


    Es ist Klemperers gutes Recht, den späten Strauss für Mist zu halten. Ich hngegen liebe gerade das Alterswerk inclusive der Metamorphosen ganz besonders (und auch einige von Pfitzners letzten Kompositionen - vor allem die beiden Sinfonien - sprechen mich stark an).


    Es wird aber niemand - auch nicht Edwin :D - objektiv und allgemeingültig nachweisen können, daß eine Oper wie Capriccio nichts taugt.


    Man kommt auch nicht weiter, wenn man sich auf vermeintliche Autoritäten beruft (ich könnte jetzt Glenn Gould ins Feld führen, der vom späten Strauss begeistert war).


    Für mich und meine Ohren ist fast alles von Strawinsky (außer Pulcinella, aber da stammt das melodisch-motivische Material ja nicht von Strawinsky) ganz großer, grottenöde zu hörender "Mist". Nur hüte ich mich, zu glauben, daß sich das für alle anderen Ohren ebenso verhalten muß.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd, also ich glaube nicht, daß Edwin, ich oder wer immer sonst, die ganze musikalische Welt dahingehend missionieren wollen, Strauss NICHT mehr, und statt dessen anderes um jeden Preis hören und aufführen zu müssen.


    Ich geb aber unumwunden zu, daß es mich schon irritiert, wenn du zum Beispiel die üppige, spätromantische Melodik in den Werken Korngolds und Schrekers
    zu HÖREN nicht in der Lage bist, ganz unabhängig davon, ob dir das gefällt oder nicht. Ich habe volles Verständnis dafür, daß jemandem Hindemiths "Cardillac" oder auch Schostakowitschs "Die Nase" in ihrer zugegeben expressionistischen Grellheit sauer aufstoßen können, aber nach dem, was du hier, um den Hanslickschen Terminus "vom musikalisch Schönen" in den Kontext zu setzen, an ästhetischen Prämissen von dir gibst, müssten Werke wie Kaminskis "Aphelius" oder auch "Jürg Jenatsch" ebenso wie Bernsteins wundervoll introvertierter "Quiet Place"
    dein pures Entzücken hervorrufen. Daß es ganz offensichtlich NICHT an dem ist, bereitet mir ein wenig Kopfzerbrechen, aber das Forum ist ja schliesslich dazu da, über dergleichen aufzuklären.


    PS: Falls dich Sehnsucht nach der deiner Meinung nach in Deutschland zu wenig gespielten "Arabella" überkommt, also in Dresden ist das Werk in schöner (imO langweiliger) Regelmässigkeiit zu hören.


    Mir geht es , Strawinski betreffend, eher umgekehrt wie dir. Ich finde so ziemlich ALLES, was er vor 1945 komponiert hat, mehr oder weniger uninteressant; die meisten NACH diesem Datum entstandenen Werke jedoch zähle ich zum Beglückendsten, was die Musik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Daß ich mich damit weitab einer ansonsten weit verbreiteten Meinung bewege, kümmert mich, offen gesagt, garnicht.


    Herzlich :hello:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BBB,


    jedem seine eigene ästhetische Welt...ich gucke schon auch ab und an mal über deren Rand!


    Arabella in Dresden? Eigentlich wollte ich die Oper noch mal sehen, ohne dafür ans andere Ende der Republik fahren zu müssen. Angesichts von 5-6 großen Opernhäusern im Umkreis von 150 Kilometern sollte das bei einem "relativ häufig" gespielten Werk im Laufe der Jahre ja kein Problem darstellen, oder? :D


    In einem Punkt gebe ich euch allerdings Recht: Ich brauche, obwohl es sich um zwei geniale Werke handelt, auch nicht in jedem dritten Jahr in jedem zweiten Theater die Salome oder den Rosenkavalier. Stattdessen gerne mal ein Schreker oder Kaminski - oder eben auch eine Daphne oder Danae :D!


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Nach 1945 wurde eine völlig andere ästhetische Richtung aufgearbeitet, man setzte nicht bei Schreker und Korngold an, sondern bei Schönberg und Webern - also auch hier ein Traditionsbruch.


    ich will hier ja jetzt keinen politischen streit vom zaun brechen, aber:
    a) d.h. du wirfst strauss unmittelbare und intrigante einflußnahme auf die spielplangestaltung vor? wenn nein, was kann er für die machenschaften der nazis?
    b) und nocheinmal: was kann strauss dafür, daß das publikum NACH 45 solch eine kehrtwende vollzog?


    sorry, aber mir kommt es hier so vor, als ob manche sich nur einen 'hass-komponisten' ausgesucht haben, um sich ihr mütchen zu kühlen. und das mit dem schlechten melodiker könnte man weitergesponnen auch beethoven vorwerfen, wie ich schon des öfteren gelesen habe ... tätre das seiner bedeutung einen abbruch?


    also, zusammengefaßt, da ich mich hier nicht mehr weiter beteiligen werde: ich bin KEIN strauss-fanatiker, ich hatte sogar lange jahre schwierigkeiten mit ihm, ich finde viele werke schlecht oder grauslig langweilig, aber ich schätze seine bedeutenden werke, zu denen ich u.a.
    den till, den zarathustra, die alpensymphonie, den don juan, die salome, elektra, den rosenkavalier (trotz längen), die frau ohne schatten, die vier letzten lieder, die klavierlieder, die metamorphosen, die deutsche motette, an den baum daphne etc. (und viele ausschnitte aus anderen werken) zähle


    ich denke, ein wenig entspannung bei der diskussion täte gut ... verbindliche grüße :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

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  • Nur am Rande:


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Als dann bei Schreker, Zemlinsky und Korngold eine vorsichtige Renaissance einsetzte, knüpfte die ebenfalls nicht mehr an den Rausch dieser Opernsensationen an, sondern brach die Werke meist durch Regietheater. Statt sie also dem Repertoire zurückzugeben, wurden diese Opern als exotische Paradiesvögel behandelt - und bald wieder ins Archiv zurückgelegt.


    Wurden diese Komponisten nicht ins allgemeine Bewußtsein gerückt, als Emi(?) die Reihe "Entartete Musik" auflegte? Das war doch sicher Anlaß, Opern dieser Komponisten vermehrt aufzuführen.


    Zitat

    Man nehme eine "Arabella" (also ein relativ häufig gespieltes [...] Werk)


    Selbst das Aalto in Essen, das als Strauss-Hochburg gilt, hat die Arabella m.W. seit 2000 nicht im Spielplan gehabt, geschweige eines der anderen genannten Häuser in NRW. (Ich verfolge die Spielpläne als subjektive Strauss-Gegnerin nach Aufführungen seiner Werke nicht so konzentriert :stumm: ) .

  • Guten Morgen.


    Auch ich sehe mich (hallo, Klingsor!) keineswegs als Strauss-Fanatiker. Mein Verhältnis zu ihm hat sich im Laufe der Zeit sogar etwas abgekühlt. Dennoch finde ich die Art und Weise, in der hier zum Teil versucht wird, ihn niederzuschreiben, etwas befremdlich.


    Da wird ihm unter anderem vorgeworfen, dass er mit seinen Werken Erfolg haben wollte. Aha. Das ist natürlich ein schlimmes Vergehen. Oder dass er über Lebzeiten hinaus Spielpläne usurpiert. Oweia.


    Ich empfinde das als unnötig. Strauss hat seinen Stellenwert in der Musikgeschichte. Und meines Wissens hat eigentlich jeder, der sich hier äußerte, auch Werke von Strauss benannt, die ihm zusagten. Insofern kann man sich doch darauf einigen, dass er ein Komponist von Bedeutung war (und ist). Dass nun der eine oder andere (wie üblich) namentlich populärere Werke nicht schätzt, ist sein gutes Recht (ebenso, wie sie doch zu schätzen).


    Als viel wichtiger erscheint mir als weniger bewanderter Klassik-Freund der Hinweis auf andere Werke von Zeitgenossen von Strauss. Darauf könnte man allerdings auch ohne "Schaum vorm Maul" hinweisen. Der Botschaft würde das keinen Abbruch tun.


    :hello:


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Hallo Edwin,
    es entspricht keineswegs den Tatsachen,daß man nach 1945
    auf Schönberg und Webern setzte,das kam erst später,zumal
    die in Sachen Oper auch nicht sehr fruchtbar waren.Es war,
    zumindest hier in Köln so,daß fast jede Woche die
    Aufführung einer Oper stattfand,die während der Nazizeit
    nicht gespielt wurde.Die meisten dieser Werke
    wurden nach der Premiere noch eine Weile lang aufgeführt
    und verschwanden dann wieder vom Spielplan.Warum ?
    Die Operhäuser müssen natürlich für ein Publikum spielen,
    und nicht für einige Kritiker oder elitäre Musikwissenschaftler.
    Daß dann wieder Strauss kam ,und bis heute überall auf der
    Welt in der Oper ,wie im Konzertsaal,oder auf Tonträgern
    Bestand hat,ist der Wille der Musikfreunde.



    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Bernd,


    vielen Dank für Deine Rückantwort. Mir fällt auf, dass wir uns da ein wenig auf zwei Ebenen bewegen: von "ästhetischem Stellenwert" habe ich nicht gesprochen. Das ist auch kein Begriff, der für mich wirklich fassbar wäre.


    "Mozart besser als Bach" funktioniert natürlich auch nicht. Aber beide haben gemeinsam, dass sie erst von der Nachwelt in ihrer Bedeutung richtig erkannt wurden, dürfen also wohl zu recht als aus ihrer Zeit herausragend betrachtet werden - und zwar nicht nur, weil sie - ich sags mal platt - schöne Musik geschrieben haben.


    Unser tatsächlicher Dissens besteht darin, dass ich glaube, dass es Kriterien gibt, die die Bewertung und Einordnung von Musik ermöglichen.


    Du selbst hast den "Tristan" benannt - als ein Stück, dass aufgrund bestimmter Kriterien Auswirkungen für die nachfolgende Zeit und die Weiterentwicklung von Musik hatte.


    Bei Strauss setze ich da ein Fragezeichen - wobei es doch jedem völlig unbenommen bleibt, für sich festzustellen, dass er die Musik von Strauss klasse findet und gerne hört.


    Ich hab hier viele Beiträge gerne gelesen, weil ich sie als Bereicherung empfunden habe. So z.B. die kleinen Hinweise von Edwin bzgl. der "Frau ohne Schatten", ein Stück, das ich verhältnismässig gut kenne und bei dem ich deshalb die erwähnten Stellen sofort im Ohr habe. Ich habe richtig Lust bekommen, das mal wieder zu hören und auf diese Dinge verstärkt zu achten.


    Ohhh, für "König Roger" von Szymanowski möchte ich aber gerne Reklame machen - ein spannendes Stück mit anspruchsvollen Gesangspartien und einer ganz eigenen, wie ich finde, fesselnden Musiksprache - dabei kaum länger als eine "Salomé". Das könnte Dir eventuell gefallen.


    Wenn Schreker nicht so Deine Richtung ist, fällts schwer, Dir nochmal den "Schatzgräber" ans Herz zu legen, aber wenn sichs ergibt: hör doch einfach mal rein, vielleicht gefällts ja doch?


    Und "Brautwahl" (Busoni) verdient sicher auch eine stärkere Beachtung. Mir ist der "Doktor Faust" näher, vor allem, die Eingangs- und die Schluss-Szene.


    Es gibt aus der Zeit soviel zu entdecken.


    Gruss

  • Hallo zusammen,


    es ist hier zwar schon einmal festgestellt worden, aber eine Wiederholung schadet m.E. nicht: Unter "Kennern" im weitesten Sinn gehört es fast schon zum guten Ton, über Richard Strauss die Nase zu rümpfen. Dafür gibt es gute Gründe und auch bei mir lösen viele Kompositionen von Strauss bestenfalls ein Achselzucken aus. Trotzdem kann man über Komponisten bzw. ihre Werke auch jenseits der beliebten Kategorien "findichgut", "findichnichtsogut" und "findichschlecht" diskutieren. Und da finde ich den "Fall Strauss" zunehmend interessant. Man könnte gerade in Bezug auf das Spätwerk von einer "Ästhetik der Oberfläche" (von mir aus auch: "der Oberflächlichkeit") sprechen, die ich durchaus "modern" finde und die nur noch ganz selten (dann allerdings bewegend) durchbrochen wird (Metamorphosen, "Im Abendrot"). Der mit Abstand interessanteste Beitrag zu diesem Thema ist hier schon einmal von C. Huth im Thread über die Alpensymphonie verlinkt worden. Bei diesem Werk, das ich früher höchstens mit der Kneifzange angefasst habe, haben mich die Aussagen des reaktionärer Umtriebe unverdächtigen Helmut Lachenmann kalt erwischt. Ich verlinke hier nochmals das Gespräch Lachenmanns mit Max Nyffeler über die Alpensymphonie (und hoffe, dass das erlaubt ist - ansonsten bitte löschen):


    http://www.beckmesser.de/kompo…enmann/alpensinfonie.html


    "Die Alpensinfonie ist keine unreflektierte Musik. Sie gibt sich ungebrochen, aber das ist etwas anderes als unreflektiert."
    "Wir verdrehen die Augen bei Mahler und kneifen sie bei Richard Strauss skeptisch zusammen. Wir sind taub und voreingenommen."
    Und zur "Ästhetik der Oberfläche":
    "Der samtene Klang beim «Eintritt in den Wald» , die Celesta- und Harfenkaskaden bei den Wasserspielen, sind die oberflächlich? Meinetwegen, aber jede Oberfläche verdeckt etwas. Denken Sie an Schostakowitsch. Der hat ganze Potemkinsche Dörfer komponiert, mit zackigen Marschsignalen, mit der schrill-giftigen Heiterkeit von Piccoloflöten und gackernden Fagotten, und aus jedem Ton sprechen Angst und Katastrophe. Ich denke, so funktioniert Dialektik, um das vergilbte Wort mal wieder zu verwenden."
    Und, gewissermaßen als Resumé:
    "Auch banal ist komplex."


    Ich glaube, es lohnt sich, bei Richard Strauss wieder einzusteigen.


    Viele Grüße


    Bernd

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