Im wunderschönen Monat Mai - Robert Schumann: Dichterliebe - Liederkreis op 48

  • Zitat

    Original von Matthias Oberg
    Es gibt nämlich nicht das Ironiekonzept der Romantik, sondern sie unterscheiden sich genauer besehen erheblich voneinander - gerade auch das Schumanns und Eichendorfs - und das ist auch keine "Spitzfindigkeit", sondern hat durchaus Einfluss auf ihre Werke.


    Lieber Matthias,


    vielen Dank für Deine Mühe, ein wenig genauer hinzusehen und einiges über die philosophischen Hintergründe (was man natürlich spielend ausbauen könnte, denn zwischen und nach Kant und Hegel gibt es ja noch Einiges mehr) zu berichten. Die unterschiedlichen Ironiekonzepte setzen sich ja auch bei den einzelnen Dichter nicht auf gleiche Weise um, dazu kommen die Einflüsse aus der Aufklärung einerseits, auf die Du hingewiesen hast, aber auch das aufdämmernde Biedermeier, wofür wieder Eichendorff mit seiner langen Lebensspanne am Ende herhalten kann.


    Für Außenstehende mag das ein wenig verwirrend, aber auch bewusstseinserweiternd sein, zu erfahren, wie gerade zentrale Begriffe leben und aus ihrer wohlgemuten, aber unscharfen Verallgemeinerung heraustreten. Sie gewinnen erst wieder im Individuellen ihre scharfen Konturen. Wenn man einzelne Künstler als Beleg nehmen will für Epochenbegriffe, entziehen sie sich zu Recht und bestehen auf Eigenes.


    Liebe Grüße Peter

  • III.


    Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne,
    Die liebt’ ich einst alle in Liebeswonne.
    Ich lieb’ sie nicht mehr, ich liebe alleine
    Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine;
    Sie selber, aller Liebe Wonne,
    Ist Rose und Lilie und Taube und Sonne.
    (Ich liebe alleine
    Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine, die Eine.)



    Bei Heine steht in allen Ausgaben noch „Bronne“ statt „Wonne“ – das ist offenbar von Schumann geändert worden. Das Heine’sche Gedicht endet im übrigen auf „Sonne“, während Schumann am Ende einen Teil des dritten Verses sowie den vierten Vers wiederholt (hier in Klammern gesetzt).


    Wieder wird die Natur mit der Liebe in Verbindung gebracht, wieder gibt es Blumen und Vögel, sogar ganz spezifische: Rose, Lilie, Taube. Dazu kommt noch die Sonne, auch diese in der deutschen Sprache weiblich. Alles mehr oder weniger explizite Zeichen der Liebe, die Rose und Lilie werden von Heine ständig in diesem Zusammenhang verkuppelt. Aber das lyrische Ich braucht keine Zeichen mehr, denn es ist völlig fixiert auf „die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine“ – die Geliebte, die alles überschattet, die alles in sich aufhebt. Im nächsten Gedicht/Lied gibt es folgerichtig keine Natur mehr, nur noch die Angebetete. Das ändert sich dann aber schnell wieder.


    25 Sekunden plus/minus dauert das Lied – das kürzeste der „Dichterliebe“. Hat Schumann jemals ein kürzeres komponiert? Gibt es überhaupt vor Schumann irgendein Lied, das so kurz wäre? (Mir ist „Der stürmische Morgen“ aus Schuberts „Winterreise“ eingefallen, auch im Kontext eines Zyklus – das dauert auch keine Minute, ist allerdings immer noch doppelt so lang wie unser Lied.) Diese Kürze finde ich kühn – sie ist natürlich nur innerhalb eines Zyklus möglich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das Lied aus seinem Zusammenhang löst und einzeln vorträgt. Die geringe Dauer steht aber m.E. auch für den utopischen Moment der nur für einen Augenblick (scheinbar) erfüllten Liebe. Meine obige Sottise „25 Sekunden Glück – der Rest ist Leiden“ war nicht nur als Scherz gedacht.


    Die Frage, ob hier Schumann tatsächlich das ungetrübte Glück in Musik gesetzt hat, muss gestellt werden. Fischer-Dieskau ist in seinem Buch über Schumanns Vokalwerk immerhin der Meinung, dass der „Text etwas aus dem gegebenen Zusammenhang herausfällt. Denn dieses atemlose kurze Glücksgeständnis will zur Bitternis und Wehmut des Zyklus nicht recht passen. Hier wird der eingeschobene Tempo-Gegensatz zwischen vorangegangenem und folgendem Lied in Schumanns Plan gelegen haben.“ Ein seltsames Urteil, wie ich finde, das den auch von Heine gewollten Kontrast völlig verkennt.


    Nicht nur der Aufreihung „Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine“ haftet unverkennbar etwas Überspanntes, auch Infantiles an – es wird der Eindruck suggeriert, als sprudelten die Worte nur so hervor. Schumann hat das m.E. kongenial umgesetzt. Die Tempo- und Charaktervorschrift ist „Munter“, die Sechzehntel des Klaviers wirken geradezu aufdringlich hüpfend, darüber beschreibt die Singstimme Kurven nach oben und unten, die gewissermaßen das obsessive Kreisen um die „Eine, Feine“ etc. charakterisieren. Das in D-dur stehende Lied weist nur wenige tonartfremde Töne auf – eine Stelle gibt es allerdings, die sich als kurzfristige, fast schmerzliche Irritation empfinden lässt: in Takt 10 erscheint in der Klavier-Unterstimme ein tonartfemdes C, das in einer absteigenden Legato-Linie weitergeführt wird – darüber steigt die Gesangsstimme mit den Worten „ist Rose und Lilie und Taube“ nach oben auf (ebenfalls mit einem C), gleichzeitig ist ein Ritardando vorgeschrieben. Nach dieser kaum merklichen (freudigen? schmerzlichen?) Gefühlsstauung schnurrt das Lied ab Takt 13 seinem Ende zu, ohne einen einzigen Ton, der nicht der D-dur-Leiter angehört, mit einem diesmal wohligen, bekräftigenden Ritardando auf der letzten Wiederholung von „die Eine“. Die Singstimme errreicht zum Schluss den Grundton, das Klavier läuft sich noch aus und endet mit einem fast aufreizend munteren Mezzoforte-Sprung auf die Tonika.


    Dynamisch ist mit Ausnahme einiger cresc.- und dimin.-Klammern weitgehend Mezzoforte vorgeschrieben – es gibt also keinen Grund zu säuseln. Fischer-Dieskau bemerkt: „Ein Virtuosenkunststückchen, von Richard Tauber auf einer alten Platte zu hören und vielfach nachgeahmt, nämlich die ganze Miniatur auf einen Atem hinzuwispern, ist nicht anzuraten.“ Und Gerald Moore meint in seinem Buch über Schumanns Liederzyklen: „Ist er [der Sänger] eitel, kann er dieses kürzeste aller Lieder mit einem einzigen Atemzug in der Mitte des Liedes durchhalten – um so schlimmer für ihn und für Schumann.“



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht


    Hat Schumann jemals ein kürzeres komponiert? Gibt es überhaupt vor Schumann irgendein Lied, das so kurz wäre?


    Lieber Bernd,


    "Aus dem Schenkenbuch im Divan Nr.1" ("Sitz ich allein") aus Myrten dürfte nahe drankommen, je nach Interpretation natürlich, und wenn man's nicht "Nach Belieben Da Capo zu singen" gedenkt.
    Allerdings fände der Sänger hier mehr Gelegenheit zum Luftholen...


    audiamus



    .

  • Zitat

    Original von audiamus


    Lieber Bernd,


    "Aus dem Schenkenbuch im Divan Nr.1" ("Sitz ich allein") aus Myrten dürfte nahe drankommen, je nach Interpretation natürlich, und wenn man's nicht "Nach Belieben Da Capo zu singen" gedenkt.
    Allerdings fände der Sänger hier mehr Gelegenheit zum Luftholen...



    Lieber audiamus,


    hab's gleich überprüft: Ian Bostridge und Graham Johnson brauchen für "Sitz ich allein" 35 Sekunden, wobei sich natürlich ein geringfügig schnelleres Tempo und ein weniger starkes Auskosten der "ad libitum - ritard."-Passage denken lassen.


    Das mit dem "Nach Belieben Da Capo zu singen" wusste ich gar nicht, das ist ja recht originell. Bei entsprechender Ausdauer der Interpreten könnte so aus einem der kürzesten eines der längsten Kunstlieder der Romantik werden... :D



    Viele Grüße


    Bernd

  • Lieber Bernd,
    danke für diese schöne Vorstellung und Analyse! Ich hab' nur eine kurze Bemerkung zu FiDis Einschätzung »Denn dieses atemlose kurze Glücksgeständnis will zur Bitternis und Wehmut des Zyklus nicht recht passen. Hier wird der eingeschobene Tempo-Gegensatz zwischen vorangegangenem und folgendem Lied in Schumanns Plan gelegen haben.«, zu ergänzen und Deine Entgegnung auf FiDi zu bekräftigen.


    Ich denke, daß weder der Heinesche Text noch Schumanns Umgang mit dem Textstand (etwa die Wiederholung der zweiten Hälfte des dritten und des vierten Verses am Ende des Liedchens und zudem noch die abschließende Doppelung des »die Eine«) und die Vertonung von ungetrübtem Glück zeugen. Die Euphorie des Textchens ist doch eine ziemlich fadenscheinige, was etwa in den deutlich übdrehten daktylischen Rhythmen der beiden ersten Verse (die übrigens daselbst bereits ein ziemliches Sprachtempo suggerieren) und ihrer Stauung auf der ersten Silbe des Wortes »Liebeswonne« (a/áaa/áaa/áaa/áa // a/áaa/áaa/Á-a/áa) sichtbar wird. Diese mündet dann im dritten Vers in einen nahezu penetranten fanfarenstoßartigen Rhythmus (a/áaa/Á-a/áaa/áa ). Auf den infantilen - und IMO eindeutig ironischen - Charakter der Rheinung »Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine« hast Du ja schion hingewiesen, wobei der ironisierend infantile Charakter ja zudem auf formaler Ebene durch die Aneinanderreihung von fünf Reimwörtern verstärkt wird: »alleine, Kleine, Feine, Reine, Eine« - von Schuman am Ende durch die Verdoppelung des letzten Worten dann gewissermaßen auf die Spitze getrieben.


    Ich finde das Schumanns Musik den übdreht-euphorischen Charakter dieses kleinen Gedichtchens recht genau trifft.
    Viele Grüße,
    Medard

  • Lieber Bernd,


    es wäre ja ein Da Capo ad libitum, nicht ad infinitum...
    Aber wer weiß, was für einen Fusel der selige Säufer da vor sich hat, vielleicht regt er ja zum Om mani padme Humpen an.
    Shetler und Schreier brauchen für einen Durchgang 32 Sekunden, bringen allerdings die Wiederholung.

  • Zitat

    Original von audiamus
    Lieber Bernd,


    es wäre ja ein Da Capo ad libitum, nicht ad infinitum...



    Da ist doch wieder mal die Fantasie mit mir durchgegangen... :no: :O :D



    Naja, wie heißt es im Gedicht:


    Niemand setzt mir Schranken, ich hab so meine eignen Gedanken... :pfeif:

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Ich denke, daß weder der Heinesche Text noch Schumanns Umgang mit dem Textstand (etwa die Wiederholung der zweiten Hälfte des dritten und des vierten Verses am Ende des Liedchens und zudem noch die abschließende Doppelung des »die Eine«) und die Vertonung von ungetrübtem Glück zeugen. Die Euphorie des Textchens ist doch eine ziemlich fadenscheinige, was zum einen in den deutlich übdrehten daktylischen Rhythmen der beiden ersten Verse (die übrigens daselbst bereits ein ziemliches Sprachtempo suggerieren) und ihrer Stauung auf der ersten Silbe des Wortes »Liebeswonne« (a/áaa/áaa/áaa/áa // a/áaa/áaa/Á-a/áa). Diese mündet dann im dritten Vers in einen nahezu panetranten fanfarenstoßartigen Rhythmus (a/áaa/Á-a/áaa/áa ). Auf den infantilen - und IMO eindeutig ironischen -– Charakter der Rheinung »Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine« hast Du ja schion hingewiesen, wobei der ironisierend infantile Charakter ja zudem auf formaler Ebene durch die Aneinanderreihung von fünf Reimwörtern verstärkt wird: »alleine, Kleine, Feine, Reine, Eine« - von Schuman am Ende durch die Verdoppelung des letzten Worten dann gewissermaßen auf die Spitze getrieben.


    Lieber Medard,


    danke für Deine Ergänzung, die ich sehr wichtig finde. Auf Ausführungen zu Versmaßen etc. habe ich lieber verzichtet, das war schon immer meine schwache Seite :O. Der Kommentar der Düsseldorfer Heine-Ausgabe, den ich mir ausgeliehen habe, hat zu dem Gedicht kaum was zu sagen, brummelt aber etwas von hyperbolischer Liebeslyrik und Zusammenziehung des französischen Rondeau (früher auch Rondel genannt), ein Rund- oder Ringelgedicht mit nur zwei Reimen, was hier der Fall ist, aber in der Regel mit mindestens acht Versen. Naja, da finde ich Deine Erläuterungen doch bedeutend anschaulicher...


    Zitat

    Ich finde das Schumanns Musik den übdreht-euphorischen Charakter dieses kleinen Gedichtchens recht genau trifft.


    Sehe ich genauso - Schumann pointiert das ziemlich stark.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Klawirr
    danke für diese schöne Vorstellung und Analyse! Ich hab' nur eine kurze Bemerkung zu FiDis Einschätzung »Denn dieses atemlose kurze Glücksgeständnis will zur Bitternis und Wehmut des Zyklus nicht recht passen. Hier wird der eingeschobene Tempo-Gegensatz zwischen vorangegangenem und folgendem Lied in Schumanns Plan gelegen haben.«, zu ergänzen und Deine Entgegnung auf FiDi zu bekräftigen.


    Ich denke, daß weder der Heinesche Text noch Schumanns Umgang mit dem Textstand (etwa die Wiederholung der zweiten Hälfte des dritten und des vierten Verses am Ende des Liedchens und zudem noch die abschließende Doppelung des »die Eine«) und die Vertonung von ungetrübtem Glück zeugen. Die Euphorie des Textchens ist doch eine ziemlich fadenscheinige, was zum einen in den deutlich überdrehten daktylischen Rhythmen der beiden ersten Verse (die übrigens daselbst bereits ein ziemliches Sprachtempo suggerieren) und ihrer Stauung auf der ersten Silbe des Wortes »Liebeswonne« (a/áaa/áaa/áaa/áa // a/áaa/áaa/Á-a/áa). Diese mündet dann im dritten Vers in einen nahezu panetranten fanfarenstoßartigen Rhythmus (a/áaa/Á-a/áaa/áa ). Auf den infantilen - und IMO eindeutig ironischen -– Charakter der Rheinung »Die


    Also der Rhein, der Heilige Strom, kommt hier noch nicht vor.. ;)
    Im Ernst, ich weiß eigentlich nicht genau, warum die verliebte Euphorie fadenscheinig und unernst genommen werden soll. Daß sie nicht von Dauer ist, ist ja klar und durch die Kürze und den Kontext auch deutlich genug. Sie wird also durch den Zusammenhang ausreichend relativiert, so daß man das Lied selbst durchaus ernst nehmen kann. Denn mir scheint sie, inklusive des Infantilen (obwohl man hier sicher ein Augenzwinkern vermuten darf), keine gar so verkehrte Darstellung des entsprechenden emotionalen Zustands.


    Zitat


    Ich finde das Schumanns Musik den übdreht-euphorischen Charakter dieses kleinen Gedichtchens recht genau trifft.


    Ich auch.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Medard,


    was mir zu diesem Lied einfiel, ist von Dir schon erläutert worden, also schließe ich mich Deinen Ausführungen pragmatischerweise mal an.

    Ich sehe in diesem Lied auch keinen ungetrübten Glücksmoment, sondern insbesondere durch die Übertreibung der Binnenreime auf
    "-eine" wiederum eine ironische Brechung, die durch Schumanns Begleitung (gewollt naiv-infantil, ein bißchen "hüpfend") und die Wiederholung am Ende noch intensiviert wird.


    Frage an alle: Wie ist es mit der Symbolik der "Rose", "Lilie", "Taube", "Sonne". Stehen sie auch für das Metaphysische oder Religiöse, dem hier entsagt wird, indem das Ich sich ganz auf das irdische Glück mit der "Kleinen, Feinen usw" konzentriert?


    :hello: Petra


    edit: Habe mich in meiner Antwort mit Johannes überschnitten. Das Ich des Gedichtes nimmt seine Euphorie sicherlich ernst, aber eine ironische Relativierung durch die ständigen "-eine" höre ich bei Heine schon.

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Im Ernst, ich weiß eigentlich nicht genau, warum die verliebte Euphorie fadenscheinig und unernst genommen werden soll. Daß sie nicht von Dauer ist, ist ja klar und durch die Kürze und den Kontext auch deutlich genug. Sie wird also durch den Zusammenhang ausreichend relativiert, so daß man das Lied selbst durchaus ernst nehmen kann. Denn mir scheint sie, inklusive des Infantilen (obwohl man hier sicher ein Augenzwinkern vermuten darf), keine gar so verkehrte Darstellung des entsprechenden emotionalen Zustands.



    Ich sehe gar nicht so sehr den Widerspruch zwischen "ernst" und "ironisch" - bzw. ich sehe den Widerspruch eher als zentrale (poetologische) Pointe: Für den Liebenden ist das Gedicht "authentischer" ( ;)) Ausdruck seines überschwänglichen Gefühls, für den Außenstehenden oder Zurückblickenden ist es potentiell banal bzw. infantil bzw. befremdlich. Genauso, wie es später in "Ein Jüngling liebt ein Mädchen" geschildert wird: Die Vorgänge sind letztlich die immer gleichen, aber das hier und jetzt liebende Individuum ist eben doch mit ganzem Herzen und allen Konsequenzen dabei.


    Auf der Ebene des Rezipienten oder Interpreten: Es ist sowohl eine identifikatorische wie auch eine reflektierte Lektüre möglich - beide widersprechen sich vielleicht auch, vor allem aber ergänzen sie sich.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Vorschlag:


    Da hier zu einem Lied mehr als in den meisten kompletten Threads (außer Karajan) gepostet wird, lasst doch bei "Thema" die Überschriften zu den Liedern stehen. So behält man besser den Überblick.



    audiamus

  • Zitat

    Original von petra
    Frage an alle: Wie ist es mit der Symbolik der "Rose", "Lilie", "Taube", "Sonne". Stehen sie auch für das Metaphysische oder Religiöse, dem hier entsagt wird, indem das Ich sich ganz auf das irdische Glück mit der "Kleinen, Feinen usw" konzentriert?



    Man muss m.E. immer sehr vorsichtig sein, vermeintliche Symbole zu eindeutig auf den Punkt zu bringen - wie das zahlreiche Symbollexika wohlfeil vorgaukeln. Es ist eine Frage des Kontextes, auf den man sich bezieht.


    Natürlich sind die Rose und die Lilie auch Mariensymbole, ebenso kann die Taube für den Heiligen Geist stehen und die Sonne kriegt man da auch noch irgendwo unter.


    Andererseits finden sich Rose und Lilie im "Buch der Lieder" ständig als Zeichen für körperliche Liebe (Rosenmündlein, Rosenwänglein, Lilienarme, Lilienfinger usw.). Ebenso die Taube - Fairy hat schon die Turteltaube angesprochen. Die Lilie kehrt ja auch mehrdeutig im übernächsten Lied wieder zurück.


    Letztlich sehe ich die Pointe wieder in der Vieldeutigkeit: Gerade aus der Tatsache, dass bestimmte Gegenstände und Lebewesen für ganz verschiedene, ja sogar gegensätzliche Bedeutungsfelder stehen können, schlägt Heine Kapital - wenn er später z.B. das Gesicht der Geliebten mit dem der Madonna überblendet.


    Insofern werden Rose, Lilie, Taube, Sonne in der Geliebten im dreifachen (Hegel'schen :P) Sinn aufgehoben: sie werden (als Zeichen der irdischen Liebe) von der Geliebten emporgehoben, sie werden (als christliche Zeichen) durch sie entwertet und sie werden (alle zusammen) in ihr aufbewahrt und verändert. So ähnlich jedenfalls. ;)



    Viele Grüße


    Bernd

  • Lieber Bernd,


    Zitat

    Original von Zwielicht:
    Insofern werden Rose, Lilie, Taube, Sonne in der Geliebten im dreifachen (Hegel'schen :P ) Sinn aufgehoben: sie werden (als Zeichen der irdischen Liebe) von der Geliebten emporgehoben, sie werden (als christliche Zeichen) durch sie entwertet und sie werden (alle zusammen) in ihr aufbewahrt und verändert. So ähnlich jedenfalls. ;)


    Genauso hatte ich meine Frage verstanden (und deshalb das Wörtchen "auch" hineingeschmuggelt ;) ): Dass es die Geliebte als "Rose, Lilie ..." sieht, sagt das Ich ja explizit: "Sie selber ist ..."


    Als reale Objekte "Rose etc" liebt er diese Dinge/Lebewesen nicht mehr, und dies könnte man dann ja auch auf die christlichen Symbole beziehen, als die sie ebenfalls entwertet werden. Also im Klartext: "Als Reales und als Symbole liebe ich sie nicht mehr, nur noch als Allegorie für meine Geliebte" oder so ähnlich ;).


    :hello: Petra

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Also der Rhein, der Heilige Strom, kommt hier noch nicht vor.. ;)


    :hahahaha: Manchmal sollte man sich doch etws mehr Zeit nehmen, bevor man auf »Antwort erstellen« drückt (es gab dann ja auch noch »panetrant« und ein Sätzchen ohne Prädikat)...


    Zitat

    Im Ernst, ich weiß eigentlich nicht genau, warum die verliebte Euphorie fadenscheinig und unernst genommen werden soll. Daß sie nicht von Dauer ist, ist ja klar und durch die Kürze und den Kontext auch deutlich genug. Sie wird also durch den Zusammenhang ausreichend relativiert, so daß man das Lied selbst durchaus ernst nehmen kann. Denn mir scheint sie, inklusive des Infantilen (obwohl man hier sicher ein Augenzwinkern vermuten darf), keine gar so verkehrte Darstellung des entsprechenden emotionalen Zustands.


    Vielleicht habe ich mich da mißverständlich ausgedrückt: ich stimme Dir zu, daß der »entsprechende emotionale Zustand« nicht verkehrt dargestellt wird. Ich meine jedoch, daß Heine gerade die realistätsblinde Euphorie ironisiert (und zwar über die rhetorischen Strukturen nicht auf der Ebene der Wortsemantiken) und damit zugleich die (aus seiner Perspektive) wirklichkeitsfernen und verklärenden romantischen Diskurs über die Liebe unterminiert, indem er einige der Versatzstücke dieses Diskurses (eben etwa Taube, Rose, Lilie, Sonne, die Reine, die Eine) schlicht aufrheint :D, äh, aufreiht und damit letztlich ihrer konventionellen metaphorischen Aufgeladenheit entledigt bzw. sie zu Hohlformeln macht: sie erscheinen wie Worthülsen, die aus dem Bild-Fundus der Romantik gekramt und auf das Objekt der Begierde/des Begehrens projiziert werden (sie - »die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine« - ist ja schließlich »Rose und Lilie und Taube und Sonne« zugleich).


    Und der fanfarenmäßige Vers »Ich lieb’ sie nicht mehr, ich liebe alleine« ist ja schon in seiner den natürlichen Sprachfluß aufbrechenden Akzentsetzung (die Akzente/Hebungen der ersten Vershälfte liegen auf »Lieb'« und »mehr«, während ein natürlich semantisierender Sprachfluß auf »Lieb'« und stärker noch »nicht« akzentuieren würde) sowie die in Folge dessen in der Mitte der Verses entstehende Stauung, lassen die in dem Vers getroffene Feststellung doch etwas gewaltsam erscheinen und verweisen IMO auf eine gewisse Bodenlosigkeit der Zustandes in dem der Sprecher sich befindet (wenn man den Rhythmus der ersten Vershälfte anders begreifen würde, nämlich davon ausginge, daß wir eine Schwebung über »nicht mehr« anzunehmen hätten, würde dies eigentlich in dieselbe Richtung weisen).


    Daher glaube ich, daß durch die Ironisierung auf einer abstrakteren Ebene der Eindruck einer Fadenscheinigkeit der Euphorie erzeugt wird: der Text kommentiert sich gewisserweise selbst, resp. die rhetorische Struktur kommentiert die augenscheinliche wortsemantische Struktur.


    Insofern stimme ich Bernd zu:


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Ich sehe gar nicht so sehr den Widerspruch zwischen "ernst" und "ironisch" - bzw. ich sehe den Widerspruch eher als zentrale (poetologische) Pointe: Für den Liebenden ist das Gedicht "authentischer" ( ;)) Ausdruck seines überschwänglichen Gefühls, für den Außenstehenden oder Zurückblickenden ist es potentiell banal bzw. infantil bzw. befremdlich.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Ihr seit ja schon weit gekommen!


    Bernds und Medards Beiträge finde ich sehr überzeugend. Anmerken kann ich nur noch Kleinigkeiten.
    Hübsch fand z.B. noch den kleinen Seufzer im Klavierpart bei "Liebeswonne". Britten akzentuiert das noch durch eine leichte Synkopierung. Dann nehmen die "Seufzer" bei allem leichten, schnellen "Hüpfen" als dominierendem "Klima" des kurzen Stücks, zu: Erst durch das synkopierte c + Auflösungszeichen im Klavierpart am Beginn einer Abwärtsbewegung, dann erscheint das c + Auflösungszeichen noch zweimal im Seufzermotiv in der Singstimme.


    Bemerkenswert fand ich auch den Schluß in der Singstimme auf "die Eine!" Ich habe den Schluß in der Singstimme, nach dem "hüpfenden" Überschwang zu den Wortreihungen, wie "KLeine", "Feine", "Reine", "Eine", auch wie ein etwas erschöpftes Aufseufzen empfunden, das gleichzeitig etwas Insistierendes hat: "die Eine!" - gleichzeitig bei allem heftigen, schwärmerischen Insistieren schon wieder nicht ganz frei vom Fragenden. Und wird dann die Seelenlage des armen "lyrische Ichs" im abschließenden Klavierpart wiederholt, gar vertieft? Beim ersten Hören hätte ich es erwartet, aber: Nöö! Es folgt wieder das locker-leichte "Hüpfen" mit einem ausnahmsweise in diesem Zyklus eher banalem, erwartbaren Schlußton.
    Bekomme ich bei der Steigerung zum letzten "die Eine!" noch Mitleid, muß ich im abschließenden Klavierpart, jedenfalls so, wie Britten das spielt, immer Lachen. Das ist schon böse ironisch!


    :hello: Matthias


    P.S.: Danke an Peter Brixius für Deinen freundlichen und scharfsinnigen Kommentar, dem ich voll zustimme:

    Zitat

    Die unterschiedlichen Ironiekonzepte setzen sich ja auch bei den einzelnen Dichter nicht auf gleiche Weise um, dazu kommen die Einflüsse aus der Aufklärung einerseits, auf die Du hingewiesen hast, aber auch das aufdämmernde Biedermeier, wofür wieder Eichendorf mit seiner langen Lebensspanne am Ende herhalten kann.
    Für Außenstehende mag das ein wenig verwirrend, aber auch bewusstseinserweiternd sein, zu erfahren, wie gerade zentrale Begriffe leben und aus ihrer wohlgemuten, aber unscharfen Verallgemeinerung heraustreten. Sie gewinnen erst wieder im Individuellen ihre scharfen Konturen. Wenn man einzelne Künstler als Beleg nehmen will für Epochenbegriffe, entziehen sie sich zu Recht und bestehen auf Eigenes.

  • Ach je,


    nach meinem rituellen Heilige-Handgranaten-Werfen komme ich zurück an die Gestade der Vernunft und finde ein neuartiges Konzept vor, das in unseren Liedzyklus und all seine mannigfaltigen Bezüge ein hübsches Bildungsprogramm zu integrieren sucht. Das macht zwar ein teleologisches Lesen unmöglich und zwingt von Zeit zu Zeit zu einer gewissen Kursorik bei der heimischen Rezeption. Aber der Effekt ist toll - nach dieser Impfung kann ich mir meine tägliche Schwanitz-Lektüre, dank derer ich Orientierung in einer komplizierten Welt finde, vorerst sparen. Der Spaß hier ist ja noch ergiebiger. Wenn der olle Schumann gewußt hätte, was er da anrichtet!


    Herr Graf, da muß man doch nicht grollen und dreist Bezüge einfordern. Nimm', was der Herr Dir an Brosamen herbeikullert (frei übersetzt) und sei ein wenig dankbarer, Christ oder Humanist! Erst die Demut bildet wirklich.


    Bald auch was zu unserm Liedel vom sich erholenden GI!

  • Na, ihr ward ja heute superfleissig! :jubel: Da ist doch glatt eine Freude, nach Hause an den Computer zu kommen, auch wenn der 1. Maientag noch so wunderschön war.


    Zur Rose und Lilie und Taube und Sonne nun auch noch mein Kommentar.
    Ich stimme mit euch Allen überein, dass Schumann dieses Lied genau richtig vertont hat. und es ist tatsächlich das Kürzeste aller mir bis dato bekannten Lieder. Das macht es für den Sänger natürlich besonders schwierig. Keine Chance zum Einfinden, man ist drin oder nciht und schon ist es rum. Wer das auf einen Atem singt, ist wahrscheinlich mit dem JÜngling unseres Zyklus seelenverwandt..... :faint:


    Was die Ironie darinnen angeht,neige ich eher zu J.R.s Ansicht. Die bittere Ironie sieht man als Reflektierender ganz deutlich , wenn man den ganzen Zyklus kennt.
    Das Lied für sich genommen, ist aber m.E. eine kurze Oase kindlichen Glücks und mit seiner infantilen Wortwahl, Anhäufung von Kosenamen und Atemlosigkeit passt es haargenau zum Zustand eines nciht ganz zurechnungsfähigen Verliebten. Das Attribut "infantil" ist selbstverständlich keine Frage des Alter oder der Geisteskompetenz; dieser Regressions- Zustand kann auchden 60 jährigen Philosophie-Professor noch treffen oder einen 80 jährigen Dcihterfürsten. :D


    Ich nehme das Lied daher für"nciht-ironisch", aber da ich weiss, dass die Desillusionierung und das zwangsläufige "Erwachsenwerden" auf den Fuss folgt, finde ich eher eine Art mitleidiger Melanchiolie darinnen. Wenn man bedenkt, dass die Kindheit der einzige Zustand ungetrübten Glücks ist, dann bekommt dieser "infantile Ausbruch" der nur 25 Sekunden dauern darf,(besser als in Bernds bonmot kann man es eh nicht mehr ausdrücken) noch eine weitere Ebene.


    Was die Symbolik der Rose und Taube und Lilie angeht, finde ich das hier vermutete Vermischen von Sakralem und Profanem besonders spannend und bin ja mit meiner Madonna im Kölner Dom bald sowieso bei diesem Thema.
    Danke für all diese schönen Beiträge heute!



    F.Q.



  • Es bleibt mir alleine das kleine, aber feine Ausrufezeichen! In dichtester und präzisester Form hast Du das pointiert, was mir noch allzu nebulös aus der Tastatur kriechen wollte.
    Zustimmung und Dank!


    Angefügt sei höchstens noch die schwindelnde Vertonung, die das Moment der Lächerlichkeit und der Phrasenhaftigkeit noch unterstreicht - zum ernstlich schwelgerischen Ausbruch reicht die Zeit nicht.


    Christian

  • Guten Morgen!(ob es ein leuchtender Sommermorgen wird, zeichnet sich hier noch nicht so richtig ab)
    Noch ein kurzer Nachtrag zu unserem Lied. Schon bei meiner Beschäftigung mit dem Eichendorff-Zyklus wurde ganz deutlich , dass bei Schumann die Tonarten kein Zufall sind. Schon gar nciht in einem so eng verknüpften Zyklus wie diesem hier.
    Die Rose, die Lilie steht in D-Dur und interessanterweise steht das übernächste Lied,"Ich will meine Seele tauchen" in dem es auch um die Lilie geht, in der parallelen Molltonart h-moll.
    Dieses Phänomen von paralleler Dur-und moll-Tonart taucht im Zyklus noch öfter auf, z.B. beim vorletzten und letzten Lied. E-Dur-cis moll oder bei 7 und 8 C-Dur -a moll. Meines Erachtens wird da von Schumann jedesmal ein Thema, ein Symbol, eine Stimmung von Dur nach moll gesetzt. Dazu komme ich dann noch konkret an entsprechender Stelle, denn ich möchte hier keiner Interpretation vorgreifen.
    Beim derzeitigen Lied ist es die Lilie, die von einer kindlich -überschwänglichen Kosenamen-Konnotation zum Kelch des nahenden Leidens wird.


    Fairy Queen

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  • IV.


    Wenn ich in deine Augen seh’,
    So schwindet all mein Leid und Weh;
    Doch wenn ich küsse deinen Mund,
    So werd’ ich ganz und gar gesund.


    Wenn ich mich lehn’ an deine Brust,
    Kommt’s über mich wie Himmelslust;
    Doch wenn du sprichst: ich liebe dich!
    So muß ich weinen bitterlich.




    In diesem Gedicht gibt es keine Blumen oder Vögel mehr, nur noch die Geliebte. An sie, vor allem an ihren Körper vollzieht das lyrische Ich eine Annäherung: Blick in die Augen, Kuss auf den Mund, Berührung der Brüste (letzteres im Zeitalter der Zensur schon recht gewagt – in einem anderen Gedicht Heines musste der „schneeweiße Busen“ durch eine „schneeweiße Schulter“ ersetzt werden). In der ersten Strophe hat die körperliche Annäherung offenbar eine physisch und psychisch heilende Wirkung (ein alter Topos). Eine Irritation dann in der zweiten Strophe: die unverkennbar erotische Lust („kommt’s über mich“) wird zur „Himmelslust“ – ein erster Hinweis auf die Überblendung von „irdischer“ und „himmlischer“ Liebe, die fürderhin im Zyklus eine große Rolle spielen wird. Als folgerichtige Steigerung könnte man in den letzten beiden Versen den Geschlechtsakt selbst erwarten, der aber nicht eintritt bzw. durch die Liebeserklärung der Angebeteten ersetzt wird. Der Mund, der in den parallelen Versen der ersten Strophe noch geküsst wird, spricht jetzt. Die rätselhafte (?) Reaktion des Geliebten: er weint, und zwar „bitterlich“, wie der Petrus der Lutherbibel nach seinem Verrat.


    Wenn man will, kann man dieses „bitterliche Weinen“ als Wendepunkt des Zyklus verstehen (bei Schumann, nicht unbedingt bei Heine). Im nächsten Lied ist die intime Beziehung offenbar passé, nur noch eine Erinnerung. Umso stärker der Erklärungsbedarf dieser Tränen. Man kann sie auf einer gewissermaßen realistisch-narrativen Ebene psychologisierend deuten: Der Liebende ahnt oder weiß, dass die Geliebte nicht die Wahrheit sagt, dass sie ihn verraten wird. Man kann die Stelle fundamentaler als Sprachkritik verstehen – wer spricht, lügt. Oder auch selbstreferentiell auf den ganzen Zyklus beziehen, der die Frau, ihren Kuss und ihren Körper durch das lyrische Sprechen mit Buchstaben, Worten und Versen zu fassen und zu ersetzen sucht. Man kann diesen Überlegungen sicher vieles hinzufügen – und die Sache wird nicht dadurch einfacher, dass Heine in seinem Manuskript ernsthaft die Alternative erwogen hat: „Doch wenn du sprichst: Ich liebe dich / Dann wein’ ich still und freudiglich“ (Düsseldorfer Ausgabe, Bd. I/2, Apparat, S. 779).


    Schumann hat ein an der Oberfläche ruhiges Lied komponiert, in G-dur, die Tempovorschrift ist „Langsam“. Die Stimme bewegt sich weitgehend in einem natürlichen Sprechrhythmus. Besonders charakteristisch ist eine Art Kanonstruktur: Wenn die Singstimme pausiert, imitiert das Klavier ihren Rhythmus – wobei dieser allerdings einer ständigen Metamorphose unterworfen ist. Man sieht und hört die Struktur des variierten Strophenlieds durchaus, aber Schumann hat jeglichen Schematismus vermieden. In der ersten Strophe sticht die Passage „so werd ich ganz und gar gesund“ durch ihren emphatischen Gestus und die hohe Lage – das g wird erreicht – hervor (es gibt eine tiefer notierte Alternative, die aber ersichtlich nur als Notbehelf dient). Besonders eindrucksvoll fand ich schon immer die Vertonung der ersten beiden Verse der zweiten Strophe – eigentlich nur eine geringe Variation ihres Pendants am Anfang, aber den Gestus des „über mich kommenden“ nachzeichnend und von einer Art verinnerlichter Ekstase. Hier gibt es unendlich viele Nuancen und der Sänger hat m.E. beachtlichen Spielraum, diese zu gestalten – wie emphatisch soll der vollständigen Gesundung Nachdruck verliehen werden (m.E. nicht zu stark), mit welcher Dynamik ist der Himmelslust zu begegnen (m.E. mit sehr reduzierter)?


    Die „Pointe“ des Gedichts ist musikalisch nicht übermäßig stark hervorgehoben, eher im Gegenteil: der Sprechrhythmus wird beibehalten, Stimmlage und Dynamik sind in keiner Weise exponiert. Aber: ein schmerzlich wirkender verminderter Septimenakkord auf dem Wort „sprichst“ fällt aus dem harmonischen Rahmen, zerschneidet zumindest kurzfristig das Stimmungsgewebe. Schumann hat sicherlich nicht zufällig dieses Wort so betont – das Sprechen, nicht aber das Liebesgeständnis und schon gar nicht das darauffolgende Weinen wird musikalisch am stärksten markiert. Nach diesem Akkord folgt eine absteigende Linie aus Achteln im Klavier, dann in a-moll die drei Worte der Geliebten – mit einer Ritardando-Vorschrift versehen. Sänger und Pianist können entscheiden, wie stark sie das Ritardando ausführen und wieviel Gewicht sie damit dem Liebesgeständnis verleihen. Die ganze Passage hat etwas Gepresstes (ein Wort, das FiDi in Bezug auf das Lied benutzt). Danach ist die Vertonung des letzten Verses, die man sich auch ganz anders vorstellen könnte, geradezu eine Antiklimax, leitet sie doch wieder zur G-dur-Tonika zurück. Im sechstaktigen Nachspiel des Klaviers (immerhin mehr als ein Viertel des ganzen Lieds!) tut sich im Vergleich zu anderen Postludien des Zyklus gar nicht mehr so viel – der Grundrhythmus klingt dreimal nach, wobei ständig das tonartfremde F hineinklingt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Danke, lieber Bernd, für Deine wieder sehr genaue und konzentrierte kleine Erschließung hier!


    Zitat

    ...ein erster Hinweis auf die Überblendung von „irdischer“ und „himmlischer“ Liebe...


    Wunderbar formuliert. Du sprichst sehr richtig von einer "Irritation", ob aber der (gewiß nur sacht anzudeutende - wir dürfen nicht zuviel erwarten) Geschlechtsakt tatsächlich eine "folgerichtige Steigerung" wäre? Mit einem "Schwenk nach oben" als bloßem Intermezzo? Ich überlege noch. Das scheint mir beides in unterschiedlicher Intensität stets gegenwärtig. Viel wird davon abhängen, wie man die unwillkürlichen Tränen deuten mag.


    Und hier ist mir ausnahmsweise einmal eine unbestimmt gehaltene "Auslegung" sehr lieb. Ich würde das Weinen einmal - lokal beschränkt sozusagen - rein topologisch verstanden wissen wollen, dann - in Ausdehnung auf den Gesamtkontext - zunächst schlicht als Ventil für einen Gefühlsstau, -überschwang, auch -mix, der sich ergeben hat.


    Interessant scheint mir hier zu fragen, weshalb dieser Affektencocktail, der zum Teil in großem Gestus vorgetragen und womöglich mehr behauptet als erlebt wird (das ist zu überprüfen), überhaupt kredenzt wird? Denn das kommt schon ein wenig stark, daß sich hier selbstbewußtes Liebhabertum mit unattraktiven Tränenattacken beständig abwechseln. Geweint wird ja auch vor und nach unserem Lied, so daß ich es vielleicht nicht der Tränen wegen als Wendepunkt werten möchte.


    Die "intime Beziehung" scheint mir auch in der Folge noch immer wieder innig aufzuflackern, allerdings dann beinahe ausschließlich in Naturbildern, die eine (verlorene und daher umso sehnlicher zurückerstrebte?) Intaktheit des Gefühlshaushaltes suggerieren könnten.


    Ganz vortrefflich gefällt mir Dein Vorschlag der Übersetzung oder Verbalisierung des Körpers, lieber Bernd. Man kann generell sogar von einer Artifizialisierung (und damit Stilisierung) der natürlichen Gegebenheiten sprechen, sowohl der Emotionen und Gedanken als auch der physischen Erlebnisse. Genau dazwischen scheint sich mir unsere "Geschichte" abzuspielen. Die eigentlichen Ereignisse des Liebens und Verlassenwerdens sind für das Lyrische Ich nicht exakt zu lokalisieren, auf keiner der Ebenen rein festzumachen. Gefühle werden stets durch Natur bildhaft repräsentiert, physische Gegebenheiten durch emotionale Analogien greifbar zu machen versucht.


    Ich bin noch nicht ganz im Klaren, wie das Weinen generell zu fassen ist, aber wir haben ja auch noch eine Strecke des Weges vor uns.


    In jedem Falle Dank für die auch analytisch auf das Wesentliche beschränkte Liedvorstellung!


    Alex.

  • Lieber Zwielicht, en passant nur eine kleine Ergänzung:
    die Struktur der umgekehrt erwarteten Steigerung ist in diesem Lied serh ähnlch wie bei "Ich hab ihm Traum geweinet"


    Auch da erscheint am Ende eine Gefühlsregung als Antiklimax.
    Diese ganze traurige Liebes-Geschichte ist ja eine Art Antiklimax.


    Ich würde gerne noch ein bisschen bei dem "Ich liebe dich" bleiben, denn das wird musiklaisch SEHR unterschiedlich interpretiert und ist wie du ja schon schilderst sicher nciht eindeutig zu verstehen. ?(


    Ich habe heute übrigens zwei Aufnahmen der dcihterliebe mit weiblichen Sängern-Lotte Lehmann und Barbara Bonney-erstanden und bin SEHR gespannt!


    Fairy Queen leider in Eile

  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    Du sprichst sehr richtig von einer "Irritation", ob aber der (gewiß nur sacht anzudeutende - wir dürfen nicht zuviel erwarten) Geschlechtsakt tatsächlich eine "folgerichtige Steigerung" wäre? Mit einem "Schwenk nach oben" als bloßem Intermezzo? Ich überlege noch.


    Lieber Alex,


    den Geschlechtsakt hatte ich mir als Klimax der Kette "Anschauen - Küssen - Brust berühren" imaginiert. Natürlich nicht in der Erwartung, dass Heine tatsächlich blanke Sexualität in Verse fasst, sondern in Form von Auslassungen, Metaphern, Ersatzhandlungen (dass man das Weinen auch als eine solche verstehen könnte, war mir gar nicht eingefallen). Ich will das nicht überstrapazieren, meine aber, dass sich beim nächsten Lied nicht zufällig eine recht aufdringliche Metapher für den Akt und christliche Zeichen überlagern.




    Zitat

    Und hier ist mir ausnahmsweise einmal eine unbestimmt gehaltene "Auslegung" sehr lieb. Ich würde das Weinen einmal - lokal beschränkt sozusagen - rein topologisch verstanden wissen wollen, dann - in Ausdehnung auf den Gesamtkontext - zunächst schlicht als Ventil für einen Gefühlsstau, -überschwang, auch -mix, der sich ergeben hat.


    Interessant scheint mir hier zu fragen, weshalb dieser Affektencocktail, der zum Teil in großem Gestus vorgetragen und womöglich mehr behauptet als erlebt wird (das ist zu überprüfen), überhaupt kredenzt wird? Denn das kommt schon ein wenig stark, daß sich hier selbstbewußtes Liebhabertum mit unattraktiven Tränenattacken beständig abwechseln. Geweint wird ja auch vor und nach unserem Lied, so daß ich es vielleicht nicht der Tränen wegen als Wendepunkt werten möchte.


    Die "intime Beziehung" scheint mir auch in der Folge noch immer wieder innig aufzuflackern, allerdings dann beinahe ausschließlich in Naturbildern, die eine (verlorene und daher umso sehnlicher zurückerstrebte?) Intaktheit des Gefühlshaushaltes suggerieren könnten.


    Beim Weinen plädiere ich durchaus auch für eine unbestimmt gehaltene "Auslegung". Das einzige, was mich irritiert, ist das starke Wort "bitterlich". Auf dem "Wendepunkt" bestehe ich nicht unbedingt - aber wenn man dem Zyklus auch eine narrative Dimension zubilligt, finde ich es schon evident, dass im nächsten Lied von dem "einst", "in wunderbar süßer Stund" gegebenen Kuss die Rede ist. Da ist der Status unseres Liedes schon ein unwiederbringlich verlorener.


    Ansonsten: Zustimmung zu allem, was Du geschrieben hast!



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Lieber Zwielicht, en passant nur eine kleine Ergänzung:
    die Struktur der umgekehrt erwarteten Steigerung ist in diesem Lied serh ähnlch wie bei "Ich hab ihm Traum geweinet"


    Auch da erscheint am Ende eine Gefühlsregung als Antiklimax.
    Diese ganze traurige Liebes-Geschichte ist ja eine Art Antiklimax.


    Liebe Fairy,


    das ist mit Sicherheit eine der zentralen Querbeziehungen in diesem Zyklus, über die wir noch sprechen müssen!



    Zitat

    Ich würde gerne noch ein bisschen bei dem "Ich liebe dich" bleiben, denn das wird musiklaisch SEHR unterschiedlich interpretiert und ist wie du ja schon schilderst sicher nciht eindeutig zu verstehen. ?(


    Tja, da habe ich mich absichtlich ein bisschen zurückgehalten - es sind bestimmt ganz unterschiedliche Formen der Interpretation möglich, sowohl der Worte Heines wie auch der Vertonung Schumanns. Man kann das pathetisch aufladen und verzögern, man kann das emphatisch bekräftigend singen, man kann das flüchtig flüstern...



    Zitat

    Ich habe heute übrigens zwei Aufnahmen der dcihterliebe mit weiblichen Sängern-Lotte Lehmann und Barbara Bonney-erstanden und bin SEHR gespannt!



    Es hat angeblich auch mal eine mit Brigitte Fassbaender gegeben - kennt die jemand?


    Un wer kennt den Dichterliebe-Film mit Christine Schäfer und Natascha Osterkorn am Klavier, der von Schäfers verstorbenem Ehemann Oliver Herrmann gedreht worden ist? Soviel ich weiß, in verschiedenen Berliner Locations (Wohnzimmer, U-Bahn, Nachtlokal etc.).


    "Im wunderschönen Monat Mai" kann man sich bei Youtube angucken:


    "http://www.youtube.com/watch?v=GMv5GEoE-Yw"



    Auf der entsprechenden DVD ist die "Dichterliebe" mit Schönbergs "Pierrot lunaire" gekoppelt:





    Viele Grüße


    Bernd

  • Lieber Bernd,
    ich kann mich dem Dank nur anschließen - erschöpfend Deine Analyse. Beinahe ;) ! Nur ein kleiner Einwand - zu dieser Stelle:



    Zitat

    Original von Zwielicht
    An sie, vor allem an ihren Körper vollzieht das lyrische Ich eine Annäherung: Blick in die Augen, Kuss auf den Mund, Berührung der Brüste (letzteres im Zeitalter der Zensur schon recht gewagt – in einem anderen Gedicht Heines musste der „schneeweiße Busen“ durch eine „schneeweiße Schulter“ ersetzt werden).


    Na, na, na: »Berührung der Brüste« :no: - ein bissel keuscher hat's der gute Heine doch gefaßt :D . Ich glaube eigentlich nicht, daß der Vers »Wenn ich mich lehn’ an deine Brust« (nicht: »Wenn ich mich lehn an Deine Brüste« - hätte weder ins Reimschema gepaßt noch ins Versmaß - und erst recht nicht »Wenn ich berühre Deine Brüste«. Obwohl: würde auf »Himmelslüste« reimen, und dann hätten die beiden Verse weiblich kadenziert, was im Kontext des Gedichtes dann tatsächlich sexuell konnotiert gewesen wäre), jedenfalls: ich glaube nicht, daß der Vers: »Wenn ich mich lehn’ an deine Brust« die Schere des Zensors oder der Sittenpolizei hat fürchten müssen. Das »an die Brust lehnen« ist IMO eher recht harmlos (und im Kontext der Lyrik um 1800 nicht unbedingt unkonventionell), so daß ich jedenfalls danach zunächst nicht unmittelbar einen Geschlachtsakt erwartet hätte - aber vielleicht klebe ich wieder mal zu sehr am Text...


    Viele Grüße,
    Medard

  • Lieber Bernd, ich habe inzwsichen 6 Interpretationen gehört(die beiden Damen stehen noch aus) und bei dem "Ich liebe dich" ist wirklich Alles möglich. Richtig spöttisch bringt es nur DIFIDI . Alle Anderen nehmen "Ich liebe dich" eher als zärtlcihe und so sehnsuchtserfüllte wie hoffnungslose Verheissung, der eine kürzer, der andere länger, lauter oder wie du sagst"geflüstert". Souzay dehnt fast unendlich und mir gefällt das besonders gut.
    Die allzu kurzlebige Hoffnung auf Gegenliebe wird in der Illusion gedehnt. oder, nach eurer mehr "materialistischen" Interpretation-der physische Akt(soll ich weinen dann übertragen als Ejakulation verstehen?????), der , wenn man den gesamten Zyklus heranzieht, ja nur einmal in diesem Lied hier Raum bekommt wird illusionär gedehnt.


    Ich finde diese Materialisierung auch interessant, weiss aber Heines Bilder da nciht richtig zu deuten. "Sich an die Brust lehnen" ist dasselbe wie Brust berühren(wie du es beschreibst)????????
    Musste/Durfte die Erotik bei Heine so verklausuliert werden, dass das plausibel wird oder kann das nciht auch auf eine mehr oder weniger keusche bzw weitestgehend unerfüllte Liebe hindeuten und Weinen ist wirklich nur Weinen und sonst nichts?
    Ich habe da weit mehr Fragen als Antworten. ?(


    Zumal dann glech die Lilie (Symbol der Reinheit und des Todes) und eine Ersatz- Madonna(ebenfalls Reinheitssymbol) in den nächsten Liedern auftauchen und man auch nciht unbedingt davon ausgehen kann, dass Männer der Zeit Heines oder Schumanns vor der Eheschliesssung mit potentiellen Bräuten mehr als in die Augen sehen, Kuss und an die Brust lehnen vollziehen konnten.
    Interessant finde ich , dass sich hier ER an IHRE Brust lehnt, denn auf Bildern sieht man das genau umgekehrt: sie sucht Schutz an seiner starken Brust.


    Etwas ungeordnete Gedanken zur Nacht und ich wundere mich immer wieder, wieviel doch in einem so kleinen Lied stecken kann. 8o


    Ich möchte noch hinzufügen, dass dieses Lied eines der am angenerhmsten zu Singenden des ganzen Zyklus ist.Sowohl Tessitur als auch Melodieführung sind sehr sängfreundlich komponiert.


    Bonne nuit


    F.Q.



    P.S. Die von Dir angefragten Interpretationen habe ich leider nciht, wobei ich die Sache mit Christine Schäfer besonders interessant finde!



    Nachtrag: habe mich mit Klawirrs Posting überschnitten: wir teilen wohl ausnahmsweise mal eine Meinung hinscihtlch der Brust..... :yes:

  • Zitat

    Original von Klawirr
    so daß ich jedenfalls danach zunächst nicht unmittelbar einen Geschlachtsakt erwartet hätte


    Lieber Medard,


    so blutig hatte ich mir das auch nicht vorgestellt... :D



    Zitat

    Original von Klawirr
    Na, na, na: »Berührung der Brüste« :no: - ein bissel keuscher hat's der gute Heine doch gefaßt :D . Ich glaube eigentlich nicht, daß der Vers »Wenn ich mich lehn’ an deine Brust« (nicht: »Wenn ich mich lehn an Deine Brüste« - hätte weder ins Reimschema gepaßt noch ins Versmaß - und erst recht nicht »Wenn ich berühre Deine Brüste«. Obwohl: würde auf »Himmelslüste« reimen, und dann hätten die beiden Verse weiblich kadenziert, was im Kontext des Gedichtes dann tatsächlich sexuell konnotiert gewesen wäre), jedenfalls: ich glaube nicht, daß der Vers: »Wenn ich mich lehn’ an deine Brust« die Schere des Zensors oder der Sittenpolizei hat fürchten müssen. Das »an die Brust lehnen« ist IMO eher recht harmlos (und im Kontext der Lyrik um 1800 nicht unbedingt unkonventionell), so daß ich jedenfalls danach zunächst nicht unmittelbar einen Geschlachtsakt erwartet hätte - aber vielleicht klebe ich wieder mal zu sehr am Text...



    Vielleicht ist da wieder die (Männer-)Fantasie mit mir durchgegangen :D. Ich gebe auch zu, dass da Brust im Singular steht. Andererseits besteht eine weibliche Brust doch zumeist aus Brüsten und da finde ich ein "Anlehnen" schon einen recht intimen Akt.


    Möglicherweise klebe ich da aber auch zu sehr an der außerliterarischen Realität. Ein Kontext von zeitgenössischen keuschen literarischen Belegen könnte mich möglicherweise zu züchtigeren Interpretationen verführen. :D



    Zitat

    Original von Fairy Queen
    Interessant finde ich , dass sich hier ER an IHRE Brust lehnt, denn auf Bildern sieht man das genau umgekehrt: sie sucht Schutz an seiner starken Brust.


    Liebe Fairy,


    stimmt, das ist hochinteressant - den umgekehrten Fall würde ich auch nie als erotischen Akt begreifen. Wobei Heine nach meiner Erinnerung oft die erotische Aktivität der Frau betont.


    Auf die Schnelle find ich jetzt nur einen Vierzeiler, bei dem Heine auch Zensur befürchtete (aus den "Reisebildern"):


    Als sie mich umschlang mit zärtlichem Pressen,
    Da ist meine Seele gen Himmel geflogen!
    Ich ließ sie fliegen, und hab' unterdessen
    Den Nektar von ihren Lippen gezogen.


    Da gibt's schon ein paar Überschneidungen zu unserem Gedicht (der Tonfall ist natürlich ein anderer) - auch wenn ich zugebe, dass "zärtliches Pressen" etwas anderes ist "an die Brust lehnen".


    Naja, ich überschlaf das mal und sehe das morgen bestimmt schon viel nüchterner. :D Ich will auch dieses Detail nicht überstrapazieren.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Liebe Fairy,


    stimmt, das ist hochinteressant - den umgekehrten Fall würde ich auch nie als erotischen Akt begreifen.



    Ich aber!!!!!!
    Zumindest dann, wenn ohnhehin eine solche Art von Beziehung im Raume steht oder angestrebt wird. Gerade in keuschen Biedermeier-Zeiten musste frau ja irgendwie- möglichst schamhaft- mitteilen, dass körperliche Annäherung erwünscht und nciht ausgeschlossen war. Was ist denn da besser und "umkompromittierender, als gleichzeitg noch an den Beschützerinstinkt des Herren zu appellieren und die Femme fragile zu spielen? Nach dem Motto "E gia il resto capirà".......
    Das waren noch Zeiten als die Männer das kapierten! :D







    Ich habe das Ganze inzwischen überschlafen und denke, dass Weinen hier wirklich weinen ist und nchts mit Geschlechtsakt zu tun hat.Eher, damit, dass dieser NICHT stattfinden kann und wird.





    Gazn besonders Guten Maien-Morgen an alle dichtenden und liebenden Taminos! :hello:

  • Liebe Alle,


    worüber ich schon einige Male nachgegrübelt habe, ohne allerdings in dieser Hinsicht eine bestimmte Interpretationsrichtung auszumachen, ist der Gegensatz zwischen der sinnlichen Erfahrung des Ich und dem bloßen Aussprechen als abstrakter Handlung.


    Im vorigen Lied hatten wir ja eine Umdeutung auf der Symbolebene ausgemacht: Metaphysische Symbole werden jetzt auf die Geliebte übertragen ("Sie selber aber ist mir ..."), was ja auch eine Erhöhung der sinnlichen Erfahrung und der irdischen Liebe bedeutet.
    Auch in diesem Lied ist die positive Steigerung mit sinnlichen Erfahrungen, das "bitterliche Weinen" dagegen mit sprachlichen Gefühlsäußerungen verbunden.


    :hello: Petra

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