Musik für Fromme - oder - das religiöse Bonuselement

  • Zitat

    Original von rappy
    Es lässt sich theoretisch alles, was das menschliche Gehirn als angenehm empfindet, analysieren und in Gesetze fassen. Warum sollte das bei Musik anders sein?


    Verzeihung, aber es sollte Dir klar sein, dass die verschiedenen menschlichen Gehirne komplett unterschiedliche Musik als angenehm oder unangenehm empfinden. Ich kenne Leute, die Xenakis als angenehm empfinden und Mendelsohn als unangenehm.


    Gehen wir mal wieder zur Erotik: Was der eine als angenehm empfindet widert den anderen an.


    Das ist also nicht nur ein künstlerisches Phänomen, dass sich NICHT alles, was als angenehm empfunden wird, in Gesetze fassen läßt.

  • Zitat

    Original von rappy
    Beispiel: Gott wird als allwissend und allmächtig deklariert, gibt aber gleichzeitig dem Menschen den freien Willen. Freier Wille bedeutet, die Zukunft ist offen. Gott soll aber allwissend sein, also muss er auch die Zukunft kennen. Also können wir keinen freien Willen haben.


    Deine "Logik" ist so tiefschürfend wie diese hier: Napoleon ist ein Mensch, ich bin ein Mensch, also bin ich Napoleon!


    Ich denke, daß in der Diskussion ein Punkt erreicht worden ist, wo die Musik - um die es immer noch geht - nur noch ein Randdasein fristet. Auf theologische Diskussionen dieses Niveaus, bei der der Verfasser meint, mit ein, zwei scheinklugen Sätzen mit Kindergartenlogik 2000 Jahre Christentum aus den Angeln gehoben zu haben, werde ich mich nicht einlassen. Bisher war es sehr interessant (bis auf die Beiträge von thdeck, die ich persönlich vom Stil her als unangemessen empfinde). Ich habe jedenfalls einige gute Argumente und Standpunkte kennengelernt. Und es wird sicher nicht die letzte Gelegenheit sein, dieses Thema anzuschneiden, so daß ich mich hier - wenn nicht noch was ganz Interessantes passiert - aus der Diskussion ausklinken werde. Ich finde auch, es wäre schade, wenn Thomas als Moderator den Thread beenden müßte, weil er doch noch ausartet.


    Mal sehen, ob ich heute noch die Zeit finde, KSM zu antworten. Wenn nicht, dann Samstag abend oder Sonntag.

  • Zitat

    Original von musicophil
    A2: mit jener Formulierung kann ich mich nicht vereinigen. Denn jedenfalls sind für mich Gedanke und Gefühle unzertrennlich bei solcher Musik mit einander verbunden. Wie ich eher schrieb "Es ist, alsob eine extra Saite klingt". Das wort "wichtig" ist hier also fehl am Platz.


    A3: auch hier kann ich nicht mit Deiner Wahl übereinstimmen. Denn, wie stets betont, es ist die Kombination von Text + Musik. Die Musik an sich ist etwas anders oder kann etwas anders sein. Diese Bemerkung ist also überflüssig, denn wurde mehrmals beantwortet.
    Eigentlich deutest Du sogar selbst bei B2 darauf.


    Ad A2) Wenn Masetto schreibt: "Es geht ums Gefühl" schließe ich daraus, dass ihm der Gedanke weniger wichtig ist - vielleicht ein Mißverständnis.
    Ad A3) Nein, dort (B2) ging es um Trennung von künstlerischer Qualität und spiritueller Qualität. Glockenton war es - glaube ich - der meinte, dass auch Bachs Instrumentalmusik spirituell sei. Dort gibt es keinen Text. Somit muss er annehmen, dass die Spiritualität auch ohne die Kombination Wort+Text da sei.
    :hello:

  • Logisch, da jedes Gehirn anders ist, gelten für jedes auch eigene Gesetze. Manche Gesetze gelten für fast alle (z. B. Stimmführungsgesetze) - in diesem Bereich sind sich wohl die meisten Gehirne recht ähnlich - und andere unterscheiden sich stark.
    Um deutlich zu machen, es gibt keine absoluten Gesetze, die auf jeden zutreffen, da jeder unterschiedlich ist.


    @Robert: In deinem Beispiel verbirgt sich ein Fehlschluss (Wenn A Element von B, so sind alle Bs A).
    Was hat dieser damit zu tun, dass sich Indeterminismus und Allmacht grundsätzlich ausschließen?

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

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    Original von rappy
    Logisch, da jedes Gehirn anders ist, gelten für jedes auch eigene Gesetze. Manche Gesetze gelten für fast alle (z. B. Stimmführungsgesetze) - in diesem Bereich sind sich wohl die meisten Gehirne recht ähnlich - und andere unterscheiden sich stark.
    Um deutlich zu machen, es gibt keine absoluten Gesetze, die auf jeden zutreffen, da jeder unterschiedlich ist.


    Irgendwie steige ich hier aus. Du solltest mE nicht "Gesetze" sondern "Tendenzen" sagen. Schließlich verstoßen massenweise die Komponisten gegen in irgendwelchen Lehrbüchern formulierte Stimmführungsregeln, die aber eine Ahnung von der damaligen Tendenz verdeutlichen. "Gesetz" darf man mE hier nicht sagen.

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    Original von rappy


    Zum Thema: Ich bin nach wie vor Meinung, dass es ausschließlich künstlichere Tiefe gibt. Musik kommt dann gut an, wenn bestimmte "Gesetze" - mal ganz banal: Kadenzen; das gilt natürlich für alle Dinge, auch komplexere, bei denen mal oft sagt "das ist Gefühl, das kann man nicht mit Regeln erklären" (in Wirklichkeit sind es auch Regeln, nur sie sind zu komplex um sie so zu formulieren. Der Mensch nimmt sie unbewusst wahr) - befolgt werden. Dann empfindet man die so genannte "künstlerische Tiefe" - was eine "religiöse Tiefe", die angeblich unabhängig davon ist, sein soll, weiß ich nicht. Mal ganz provokant: wie kann Einbildung Tiefe haben? ;)


    Lieber Rappy,


    1.Zu Deinem Exkurs wäre einiges zu sagen und zu schreiben, aber dann weichen wir vom Thema des Threads ab und ziehen uns die Ungnade der Moderation zu, also verzichte ich auf eine Replik. Nur soviel: Thomas von Aquin und Co. sind in Sachen formaler Logik sehr beschlagen gewesen. :D


    2. Ausschließlich künstlerische Tiefe? Wenn Du das lediglich auf Instrumentalmusik beziehst, würde ich Dir zustimmen. Bei geistlicher Musik gehört der vertonte Text immer mit dazu und verleiht dieser Musik eine zusätzliche Dimension. Und dieser (für mich untrennbare) Zusammenklang aus Wort und Musik bringt dann beim Gläubigen eine besondere Saite zum Schwingen. (Mir gefällt diese Metapher von Paul so gut, dass ich sie hier einfach einmal klaue :D)


    Diese zusätzliche Dimension ist ja vom Komponisten bewusst mit einkalkuliert worden, wenn er geistliche Musik komponiert, die für den kirchlichen Raum gedacht ist. Was diese Dimension mit "Einbildung" zu haben soll, ist mir nicht klar.


    Und eine grundsätzliche Anmerkung: Religiöse Gefühle als Placebo-Effekte zu deklarieren halte ich gelinde gesagt für inadäquat.




    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zitat

    Original von rappy
    Es lässt sich theoretisch alles, was das menschliche Gehirn als angenehm empfindet, analysieren und in Gesetze fassen. Warum sollte das bei Musik anders sein?


    Hallo Rappy,


    Es ist zwar schon lange her, daß ich Medizin studierte und ein wenig lernte, wie das Gehirn funktioniert und reagiert. Weil ich Pathologische Anatomie tat, beschäftigte ich mich weiter nicht damit.
    Aber noch immer folge ich interessiert die Resultate der Hirnforschung.


    Soweit ich informiert bin, bekommt man erst jetzt eine vage Ahnung, wie einzelne Gehirngebiete reagieren auf Anregungen.
    Es ist jedenfalls bei weitem noch nicht so, daß sich die Gehirnfunktion in gute Modellen fassen läßt. Um von Gesetzen zu schweigen.


    Deine Behauptung finde ich deshalb ziemlich kühn.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Irgendwie steige ich hier aus. Du solltest mE nicht "Gesetze" sondern "Tendenzen" sagen. Schließlich verstoßen massenweise die Komponisten gegen in irgendwelchen Lehrbüchern formulierte Stimmführungsregeln, die aber eine Ahnung von der damaligen Tendenz verdeutlichen. "Gesetz" darf man mE hier nicht sagen.


    Die Idee, es gäbe eindeutige Reaktionstendenzen menschlicher Gehirne und Wahrnehmungssysteme, die festlegen, welche Musik schön gefunden wird (und daher, welche gespielt wird) scheint mir durch die Musikgeschichte und die Vielfalt der menschlichen Musikkulturen widerlegt. Wenn überhaupt gibt es sehr allgemeine Reaktionen auf sehr allgemeine klang- und Rhythmus-Muster. Stimmführungsregeln usw. sind zu 99 % konventionell, da das Tonsystem, auf dem sie beruhen, kulturell entstanden ist. In indischer oder persischer Musik mit Drittel- oder Viertelton (oder was weiß ich) -Skalen gelten sie nicht nur nicht, sondern sie sind überhaupt nicht anwendbar.


    Es widerspricht übrigens der Idee eines (Natur)gesetzes, dass man für jedes Gehirn ein eigenes benötigt :D Wenn man für jeden Stein ein extra Fallgesetz bräuchte, verdiente es den Namen nicht. Ein Gesetz ist per def. etwas Allgemeines.


    Das Problem von Allwissenheit und (In-)determinismus ist in der Tat sehr dornig. Es wird seit über 2300 Jahren kontrovers diskutiert und füllt annähernd soviel Bücher wie die Gottesbeweise (es war den meisten spätantiken und mittelalterlichen Theologen und Philosophen selsbtverständlich bekannt). Die erste Behandlung (logisch, noch ohne theologische Komponente) findet sich in Aristoteles: De Interpretatione (Peri hermeneias), Kap. 9. Man google etwa nach "contingentia futura", bringe aber viel Zeit und Geduld mit. Noch völlig ohne Theologie ist das eine sehr komplexe Fragestellung, die alle möglichen tiefliegenden Gebiete der Philosophie tangiert und auf die es keine schnelle und simple Antwort gibt.


    Das ist nun aber wirklcih völlig OT...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von observator
    christkind (=gott)


    Nun übertreib mal nicht. "Christkind" und z.B. Nikolaus und St. Martin waren ja durchaus reale Personen, aus denen die Geschichtsschreibung [vorsichtig ausgedrückt] soetwas wie Kunstfiguren gemacht hat.


    Zitat

    wobei ich finde, dass das leben mit gottglauben schon schwer genug ist, richtig hart wird's aber erst ohne... :rolleyes:


    Erwartest Du jetzt Mitleid? Das wäre ja durchaus ein Grund, sich bekehren zu lassen. Bei mir ist's aber exakt umgekehrt.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli


    Erwartest Du jetzt Mitleid? Das wäre ja durchaus ein Grund, sich bekehren zu lassen. Bei mir ist's aber exakt umgekehrt.


    Darunter leiden wir fast tagtäglich. :D

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  • Zitat

    Original von Caesar73
    Und dieser (für mich untrennbare) Zusammenklang aus Wort und Musik bringt dann beim Gläubigen eine besondere Saite zum Schwingen. (Mir gefällt diese Metapher von Paul so gut, dass ich sie hier einfach einmal klaue :D)


    Pardon - das war von mir:


    Zitat

    Religiöse Hörer sind sozusagen der Meinung, durch eine von religiösen Menschen komponierte Musik werde in ihnen selber eine Saite zum Klingen gebracht, die nicht-religiöse Menschen nicht hören können, weil diese Saite in ihnen gar nicht vorhanden ist.


    :D


    Ansonsten:
    Top-Diskussion. Ich bin stolz auf uns.


    Alfons


  • Lieber Alphons,


    Ich schwöre Dir, ich habe jene Zeile wirklich unabhängig von Dir selbst bedacht.
    Das kam, weil ich plötzlich etwas erklären mußte, wo die Fremdspracheschranke es zu schwer für mich machte um es in eine klare Sprache zu schreiben.
    Da suchte ich deshalb nach Metaphere und Beispiele, die jener komplizierten Beitrag trotzdem verdeutlichen konnten.


    Und außerdem, ist Dein Beitrag jener Beitrag, wo ich schrieb, ich brauche Zeit sie zu verdauen? Vielleicht hast Du gesehen, daß es danach ziemlich hektisch wurde.
    Also bis jetzt habe ich sie leider noch nicht richtig lesen können. Denn Du schriebest nicht das ABC, sondern endete fast bei Z.
    Vielleicht, wenn ich sie gelesen und verarbeitet habe, reagiere ich noch. Falls inzwischen die Zeit das nicht eingeholt hat.


    Ich denke, weil wir allen hier - mehr oder weniger - uns um Musik bekümmern, liegt ein Vergleich mit einer Saite ziemlich nahe.


    LG, Paul


    PS Du kannst in meinem Beispiel von Nachrichtensprecher sehen, daß auch jenes Beispiel irgendeine Verbindung mit Klänge hat.

  • Zitat


    Original von Kurzstueckmeister
    Glockenton war es - glaube ich - der meinte, dass auch Bachs Instrumentalmusik spirituell sei. Dort gibt es keinen Text. Somit muss er annehmen, dass die Spiritualität auch ohne die Kombination Wort+Text da sei.


    Ja, in der Tat, das war er, und das meint er sogar auch wirklich :]


    Mein wichtigster "Beweis" hierfür kann natürlich nicht unter naturwissenschaftlichen Laborbedingungen geführt werden, und er wird auch hier nur den wenigsten als logisch nachvollziehbar erscheinen.
    Für mich zutreffend könnte ich es vielleicht mit einem abgewandelten Zitat versuchen zu beschreiben:
    Der Geist (der aus dieser Instrumentalmusik spricht) gibt (darüber) Zeugnis meinem Geist....
    Der "Klang" dieser unerklärlich ins Bewusstsein sprechende "Stimme" scheint mir ( als Gläubigen) also vertraut zu sein.


    Um von dieser sehr persönlich-subjektiven Ebene etwas wegzukommen, möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass es zum Thema der Spiritualität in Bachs Musik auch musikwissenschaftliche Arbeiten gibt, die meinen äusserst subjektiven und individuellen Eindrücken nicht unbedingt zu widersprechen scheinen:


    In den Cöthener Bach-Heften 6 und 7 hat z.B. Helga Thoene in Ihren Aufsätzen "Ciaccona - Tanz oder Tombeau" (1994) und "Der verschlüsselte Lobgesang. Sonata 1 g-Moll" (1998 ) anhand eines Komposition Bachs für Viioline Solo sehr eindrücklich dargelegt, dass in dieser Instrumentalmusik geistliche Inhalte ( Choraltexte/Melodien, Christussymbole u.v.m.) verborgen sein mögen.
    Mehr dazu gibt es z.B. hier , hier und hier.


    Dies sind einige meiner vielen und persönlichen Begründungen dafür, dass diese Spiritualität auch in Bachs Instrumentalmusik vorhanden ist, und diese auch durchaus erfahren werden kann.
    Der eigene Glaube scheint mir für diese Art des Erlebens tatsächlich hilfreich zu sein. Ob er dazu jedoch absolut notwendig ist, vermag ich nicht wirklich zu beurteilen.


    Selbstverständlich meine und behaupte ich nun nicht, dass diese -zunächst nur für mich stichhaltigen- Argumente auch für Andere irgendeine Gültigkeit haben müssten, insbesondere nicht für Atheisten, Agnostiker, usw.
    Das gebietet allein schon die für solche "brenzligen" Themen enorm wichtige Toleranz; also die wertvolle Fähigkeit, abweichende Standpunkte auch einmal stehen lassen zu können.


    Gut, dass man bei Tamino überwiegend davon ausgehen darf, dass diese Toleranz in allen Richtungen grundsätzlich vorhanden ist.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Bernd,


    Ungeachtet die Tatsache, daß für Dich offenbar jene "Empfindung" bei mehr Musik statt findet als bei mir, kannst Du bestätigen, daß eine Kombination von religösen Text + Musik mehr ist für ein Gläubiger als die Summe der Einzelteile?
    Oder gilt das für Dich nicht?


    LG, Paul

  • Hallo Paul,


    doch, dass kann ich so bestätigen.
    Ich beziehe es allerdings in erster Linie auf Bachs Musik.


    Wenn es z.B. bei Beethoven "fromm wird", kann ich jene Einheit zwischen Musik und Text jedenfalls auf dieser "geistlichen Ebene" kaum empfinden.
    Anderen mag es durchaus anders gehen.


    Trotzdem liebe ich Beethovens Musik natürlich sehr :jubel: sehr ! :D


    Gruss in die Niederlande ! :hello:
    Bernd

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Zitat

    Original von Robert Stuhr


    Die sind mit Sicherheit nicht komischer als die Aussagen von "Atheisten" über gläubige Christen. Wenn ich mir den Stil Deiner Argumente ansehe, dann erwecken sie den Eindruck, als ob ein bieder-empörter "Atheist" gegen Gläubige poltert.


    Wenn ich die gleiche Neigung zu vorschnellen, unreflektierten Vermutungen hätte, könnte ich jetzt schreiben, das da jemand nur deshalb so poltert, weil er tief in seinem Innersten doch noch nagende Zweifel an seinem "Atheismus" (den ich bewußt in Klammern setze) hat, die er durch lautstarkes Getöse ersetzt. Schreibe ich aber nicht... :D


    Robert, ich kann deinen Ärger durchaus verstehen. Ich hab ja nur eure Argumente umgedreht, das kommt dann zwangsläufig so an.


    Ich höre mir generell immer die Argumente der Gegenseite an und nehme auch Kritik ernst. Ich sehe z.B. ein, dass meine Ausführungen provokant wirken können, ich werde das jetzt bleiben lassen. Inhaltlich bin ich nach wie vor nicht überzeugt.


    Vielleicht noch eine kurze Info: Atheismus ist keine Weltanschauung. Es ist einfach die Abwesenheit von Religion. So wie ein Nicht-Bergsteiger kein Bergfeind ist, er braucht nur keine Berge. Ich glaube z.B. auch nicht an Elfen. Trotzdem könnte es sein, dass morgen schon eine an meiner Tür klingelt. Ich werde auch jedweder Gottheit gegenüber aufgeschlossen sein, falls sie sich jemals dazu herablassen sollte, mit mir in Kontakt zu treten. Ich werde aber ganz bestimmt nicht den Fehler der alten Germanen, Griechen oder Römer machen: da glaubt man jahrhundertelang an richtig tolle Götter, pflanzt Eichen, baut Tempel. Und irgendwann kommen irgendwelche Missionare, erklären das alles für Unfug, reißen die Tempel ab und fällen die Eichen. Und alles war für die Katz. Das wird mir nicht passieren. Falls es einen Gott gibt, wird er mir sicher zustimmen.



    Thomas Deck

  • Salut,


    ich fand die Vielgötterei damals bei den Griechen und Römern gar nicht mal so übel. Da konnte man mal den Gott der Dirigenten verfluchen, jenen der Streichquartette anhimmeln oder jenen der CD-Versandhäuser ein Opfer bringen... Hatte man es sich mit dem Gott der Sonne versaut, konnte man sich ja getrost mit dem des Regens anfreunden. Mit nur einem Gott ist man da etwas unflexibel... außerdem fand ich's immer lustig, wenn die da oben sich in der Wolle hatten und es gab immer einen, dem man alles in die Schuhe schieben konnte. War die Kutsche im Eimer, wußte man: Der Reisegott hatte schlechte Laune; wurden CDs plötzlich grundlos teurer, konnte man Inflatius verklagen [daher stammt die heute sogenannte Inflation]; kam die Post nicht, war Copycos krank.... usw. Einer ist uns zum Glück erhalten geblieben: Petrus, der im Moment ziemlich arg mit Wolkenschieben beschäftigt ist und sie auch nicht mehr gerade halten kann, denn sie laufen andauernd aus.


    :motz:


    Und welch geniale Orator... äh - Opern würden uns heute ohne die antike Götterwelt fehlen!


    Zitat

    Das wird mir nicht passieren


    Dafür aber könnte Dir im Umkehrschluß passieren, dass Du einen wichtigen Tempelbau verpasst - und dann kannst Du Dich nicht mal selbst verfluchen. :D


    Als "Musik für Fromme" und solche, die es vielleicht werden wollen, empfehle ich ernsthaft:


    [jpc]8850641 [/jpc]


    Joseph Martin Kraus
    Der Tod Jesu


    Als ich den Chor "Der Rächer kommt" zum erstenmal hörte, glaubte ich zutiefst erschrocken, er stünde wahrhaft neben mir und würde mich gleich mitnehmen... immer dieses schlechte Gewissen :rolleyes:


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Lieber Ulli,


    Ich mußte lachen bei Deiner Bemerkung über den Chor "Der Rächer kommt".


    Das erinnert mich an das Gebet des Agnosticus:
    "Gott, wenn du bestehst, rette meine Seele, wenn ich eine habe".


    LG, Paul

  • Salut,


    ich muß schon sagen: Ich bin selten derart zusammengezuckt, da ich das Werk ja noch nicht kannte :O


    Kraus hat's extra für mich geschrieben - es funktioniert also doch. :D


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • Mensch, Ulli. Du hast in letzter Zeit so wenig über den Kraus berichtet, ich hatte schon die Befürchtung, es habe sich bei Dir ausgekraust.


    Dem scheint aber zum Glück nicht so zu sein! :D

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  • Zitat

    Original von Wulf
    Mensch, Ulli. Du hast in letzter Zeit so wenig über den Kraus berichtet, ich hatte schon die Befürchtung, es habe sich bei Dir ausgekraust.


    Dem scheint aber zum Glück nicht so zu sein! :D


    Keine Panik, werther Freund!


    Mein Krausregal ist ziemlich voll, es fehlt eigentlich nichts Besonderes mehr von dem, was erhältlich ist... ich schreibe nur selten, was ich gerade so höre...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli
    ich fand die Vielgötterei damals bei den Griechen und Römern gar nicht mal so übel.


    Von der Idee her fand ich das auch nicht schlecht, aber die Sippschaft (egal ob germanisch, griechisch oder römisch) hat mich nie überzeugt. Die Christen zogen die logische Konsequenz:
    1. Abschaffung der Vielgötterei.
    2. Wiedereinführung durch die Hintertür mittels Heiligenverehrung.


    Ich habe natürlich auch meine Lieblingsheiligen.


    Frauen:
    Cäcilia (Musikexpertin)
    Katharina von Alexandria (hat ein paar Wichtigtuer niedergequasselt und auch diverse Folterknechte zur Verzweiflung gebracht)


    Männer:
    Thomas (hat gesundes Misstrauen)
    Johannes (ist bis zum Ende bei Jesus geblieben; hat als Autor der Apokalypse die Künstler zu "interessanten" Bildern inspiriert)


    Um mal wieder on topic zu kommen:


    Gibt es beeindruckende musikalische Interpretationen der Johannesoffenbarung?


    Ich habe das Requiem von Berlioz. Wie ist das von Verdi? Was gibt es sonst noch?



    Thomas Deck

  • Hallo Thomas,


    ich könnte Dir ein Oratorium empfehlen, das zwischen 1935 und 1937 entstanden ist:


    Das Buch mit den sieben Siegeln von Franz Schmidt (1874-1939)


    Da findest Du die von Dir gesuchte apokalyptische Thematik in voller Bandbreite und mit viel Dramatik vertont - ein spannendes Werk!

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Ich erinnere mich eine Redensart meiner seligen Großmutter: "Erst wenn man in Not ist, lernt man beten".


    Eltern, die ein geliebtes Kind drohen zu verlieren. Verwandten, die im Krieg sind. Menschen, die unterdrückt werden. Leicht können mehr Beispiele gegeben werden.


    Da dachte ich:


    1. Wir leben eigentlich in eine Luxuszeit. Sind wir in Not. Nicht echt. Hat das vielleicht unsere Einstellung beeinflußt, wenn wir religiöse Musik hören.
    Es ist bekannt, daß Musik während eine Beerdigung oft sehr ergreifend sein kann.


    2. Gibt es vielleicht solche Epochen, wo mehr Not war als üblich, und vielleicht (deshalb) mehr religiöse Musik geschrieben wurde.


    3. Kann man anderseits bemerken, daß da, wo eine längere Friede herrscht, weniger - laß ich es mal so nennen - kirchliche Musik komponiert wurde?


    4. Bedeutet das, daß Wohlfahrt und Religion bzw. Religionsmusik sich anti-zyklisch zu einander verhalten?


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Glockenton
    Hallo Paul,


    doch, dass kann ich so bestätigen.
    Ich beziehe es allerdings in erster Linie auf Bachs Musik.


    Wenn es z.B. bei Beethoven "fromm wird", kann ich jene Einheit zwischen Musik und Text jedenfalls auf dieser "geistlichen Ebene" kaum empfinden.
    Anderen mag es durchaus anders gehen.


    Das kann ich ja auch bestätigen. Verdis Requiem tut mir wirklich nichts.


    Offenbar muß also von vornherein für einer bereits eine Affinität zur Musik bestehen, will es, zusammen mit Text, das "Bonuselement" geben.


    Die Kriterien werden immer mehr verfeinert.


    LG, Paul

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  • Hallo Marc,


    Zitat

    Original von MarcCologne:
    ich könnte Dir ein Oratorium empfehlen, das zwischen 1935 und 1937 entstanden ist:


    Das Buch mit den sieben Siegeln von Franz Schmidt (1874-1939).


    Da findest Du die von Dir gesuchte apokalyptische Thematik in voller Bandbreite und mit viel Dramatik vertont - ein spannendes Werk!


    Was Das Buch mit sieben Siegeln (ohne 'den') betrifft, habe ich selten ein langweiligeres und langwierigeres Werk gehört als dieses - insbesondere, wenn man bedenkt, welche Thematik hier vertont wurde! Was daran dramatisch oder spannend sein soll, konnte ich nach mehrmaligem Durchhören nicht entdecken.


    Oder gibt es besonders fesselnde Einspielungen des Werkes, die den "spannenden" Charakter prägnant hervorzaubern? (Ich besitze die Orfeo-Einspielung unter Lothar Zagroseks Leitung von 1984.)


    :hello:
    Johannes

  • Zitat

    Original von thdeck


    Ich habe das Requiem von Berlioz. Wie ist das von Verdi? Was gibt es sonst noch?


    Lieber Thomas,


    zu Verdi guckst Du hier:
    Für mich gehört Verdis Requiem zu den beeindruckendsten Requiem, insbesondere die Dies Irae Sequenz hat - besonders im Konzert- eine ungeheure emotionale Wirkung. Obwohl für den Konzertsaal komponiert, in einem solchen uraufgeführt, bringt diese Musik besagte Saite bei mir besonders zum Klingen. Ein interessantes Detail in diesem Zusammenhang: Verdi war selbst bekennender Agnostiker- wenn ich mich recht erinnere.


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zitat

    Original von thdeck
    Um mal wieder on topic zu kommen:


    Gibt es beeindruckende musikalische Interpretationen der Johannesoffenbarung?


    Hallo Thomas,


    in Anbetracht der Dramatik, die diesem Text innewohnt, gibt es erstaunlich wenige Vertonungen von längeren Passagen davon. Mir fällt da zuerst das Oratorium Die vier letzten Dinge von Joseph Eybler ein.


    Relativ oft wurde dagegen das 12. Kapitel vertont, in dem es um den Kampf des Erzengel Michael gegen den Drachen geht. Meist sind das Kantaten mit dem Titel Es erhub sich ein Streit geschrieben zum Michaelisfest.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Letzlich gibt es kein besonderes Rezeptionsorgan der Gläubigen, sie können nichts anderes hören als die Heiden, Gott muß daher wohl oder übel zu den Geschöpfen durch Mittel reden, die alle wahrnehmen können. Die geistliche Musik bildet da keine Ausnahme.


    Hallo Johannes,


    Gläubigen werden immer beschuldigt, etwas zu behaupten, daß sie nicht beweisen können.
    Wo ist Deine Behauptung bewiesen? Und wann?
    Denn vergiß nicht, Du redest hier von "hören", aber meinst das verarbeiten von Schallwellen im Gehirn. Und gerade dort ist das Glatteis.


    Und außerdem hast Du eine Sache vergessen. Es gibt oft genug Verwarnungen. Und trotzdem passieren viele Unglücke. Offenbar wollen Menschen nicht immer hören. Und in diesem Falle, wo wir reden über Musik, soll man das sogar wortwörtlich nehmen.


    LG, Paul

  • Sicherlich, bei Bach empfinde ich auch ein ganz anderes Gefühl, wenn ich Musik höre, als bei Beethoven oder Verdi, ein viel welt- und alltagfremderes, so könnte man es nennen, eben auch darum, weil die Musik viel älter ist.
    Ob man dieses andere Gefühl aber jetzt unbedingt mit Religion in Verbindung bringen muss, nur weil die Texte religiöse sind, das verstehe ich jetzt nicht ganz.


    Zitat

    4. Bedeutet das, daß Wohlfahrt und Religion bzw. Religionsmusik sich anti-zyklisch zu einander verhalten?


    Es ist wohl wahr, dass viele Menschen in schlechten Situationen Trost finden, indem sie sich beispielsweise vorstellen, nach ihrem Tod in einem leidfreien Paradies zu leben.
    Andererseits wirkt Gott auf mich einschränkend. Ich fühle mich ohne eine höhere Macht einfach freier, einer nicht-religiösen Gesellschaft stehen viel mehr Wege offen, weil sie sich nicht an alte Werte klammern muss.
    Also das ist alles Ansichtssache, man kann es so oder so sehen, Fakt ist, dass das menschliche Verlangen nichts über den Wahrheitsgehalt aussagt. Der Satz "So viele Menschen glauben an Gott, deshalb muss es ihn geben." ist vergleichbar mit einer Aussage wie "So viele Menschen trinken Cola, deshalb muss sie gesund sein.".


    Aber jetzt weichen wir wirklich zu weit vom Thema ab. Wie wärs, wenn im OT weiterdiskutiert wird?


    @Paul: Johannes behauptet, dass etwas, worüber es keinerlei Indizien gibt (ein "religöses Organ"), nicht existiert.
    Wer behauptet, dass so etwas existiert, muss es beweisen, nicht wer es verneint.
    Sonst müsstest du auch glauben, dass ein unsichtbarer Kugelschreiber, den man nicht fühlen kann, an deiner Decke klebt. Oder kannst du es widerlegen?

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

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