John Cage (1912 - 1992) gilt als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jh. Zumindest, dass er zu den einflussreichsten Komponisten zu zählen ist, wird heute außer Frage stehen.
Dabei mag der Beginn seiner Komponistenlaufbahn nicht ganz so erfolgversprechend gewesen sein. Wenn ich mich recht erinnere erkannte Schönberg einen Mangel an Gefühl für Harmonik, nahm ihm aber dennoch das Versprechen ab, sein Leben der Musik zu weihen.
Das ist in jedem Falle interessant. Cages Mangel an Gefühl für Harmonik ist nämlich nicht nur von biographischem und amerikanischem Interesse, sondern hat weitestreichende Folgen nicht nur für Cages und Amerikas Musik. Cage hatte einen gewissen Ekel vor abgegriffenen heruntergekommenen harmonischen Wendungen wie sie die Salonmusik jener Zeit prägte, offenbar das, was damals in Amerika in der Gesellschaft der Cage angehörte quasi als Strandgut europäischer Kunstmusik fälschlich für solche gehalten wurde. Cage lernte also wohl früh vor allem den schlechten Geschmack kennen und reagierte darauf, indem er peinlichst bemüht war, den schlechten Geschmack zu vermeiden.
Was komponierte er also, der sich vor Salonschnulzen ekelnde, der kein Gefühl für Harmonik hatte (nur dafür, wie sie nicht sein durfte)? Zunächst Werke für Schlagzeug ("1st/2nd construction in metal"). Dann funktionierte er das Klavier als Schlaginstrument um, indem er es präparierte. Die Präparation ermöglichte es, dass das Klavier ein gesamtes Schlagzeugorchester ersetzte. Das neue Instrument konnte reiche Klangfarbenmelodien spielen, einfach indem man Skalen darauf hämmerte (z.B. auch in den "Sonatas and interludes").
Hier ist ein wichtiger Punkt erreicht: Die Schriftlichkeit der Noten (Skala) und das Ergebnis beginnen auseinanderzudriften. Auch die konkrete kompositorische Entscheidung (Skala) und das klingende Ergebnis.
Man sollte das auch als logische Weiterentwicklung der ursprünglichen Angst vor dem schlechten Geschmack lesen: Zwischen der Detailentscheidung und dem Endresultat steht eine Art Apparat/ein Regelwerk: die Präparation. Der Zusammenhang zur Kitschphobie wird beim Streichquartett deutlicher: Zuerst werden ein paar Akkorde festgelegt, von denen jeder einem Melodieton zugeordnet wird (die Regel). Anschließend wird eine Melodie komponiert. Die harmonische Abfolge entsteht also dem Melodieschreibenden unbewußt, indem sie sich aus der Zuordnungsregel ergibt. Somit kann der schlechte Geschmack des Komponisten nicht die Komposition versauen, weil er (harmonisch) ausgeschaltet ist.
Die Aleatorik, für die Cage am berühmtesten ist, ist abermals logische Konsequenz: Da das Entscheidende die Regel ist, fixiert Cage nur mehr die Regel. Damit verschiebt er die in der europäischen Kunstmusik seit langem festgefahrene Grenze der Aufgabenbereiche zwischen Komponist und Interpret. Beispiele: Variations, 4'33" und das sehr reichhaltige Klavierkonzert mit diversen graphischen Konzepten im Klavierpart, die auch graphisch sehr reizvoll sind.
An dieser Stelle expandieren die Aufgaben, die Cage sich stellt. Elektronisches wie das zwischen Musiktheorie, Hörspiel und Komposition angesiedelte "Lecture on nothing" oder Theatralisches wie das Fluxus-Stück "Dinner Music", wo die Interpreten zu Tisch sitzen und mit dem Besteck musizieren - mag die Unbeschränktheit der Bereiche, auf die Cage sein musikalisches Bestreben ausdehnt, veranschaulichen.
Im Spätwerk findet er zu festeren Notationsformen zurück oft mit langen Fermaten eine Art Ausklang zu seinem Werk schaffend, das ihn wieder in die Nähe seines großen Kollegen Feldman bringt.