Hallo, liebe Musikfreunde,
Schuberts 210. Geburtstag ist ein schöner Anlass, an das Werk zu erinnern, wo ich ihn völlig unbeschwert und erfüllt von Glück sehe, seine 2. Sinfonie in B-Dur. Im Winter 1814-15 entstanden, als Schubert 18 Jahre alt wurde, ist auch sie wie Beethovens 7. Sinfonie eine Musik der Liebe. Er hatte im November 1813 die Uraufführung der 7. Sinfonie gehört, und das war wohl immer sein Lieblingswerk von Beethoven. Wo Beethoven im Adagietto gerade eben die drohende Katastrophe vermeiden kann, komponiert er sie 1825-26 im langsamen Satz der Großen C-Dur Sinfonie aus. Doch davon ist die 2. Sinfonie noch 11 Jahre entfernt.
Seinen Lebensweg zu finden wurde ihm nicht einfach gemacht. Er kam als das 12. von 14 Kindern zur Welt. Die meisten von ihnen waren sehr früh gestorben, ein älterer Bruder und die jüngste Schwester während seiner ersten Lebensjahre. Mit wie viel Liebe wird sich die Mutter gesorgt haben, dass er - immer der Kleinste von allen - als einer der wenigen überlebt. Der Vater liebt die Musik, Schubert spielt im familiären Streichquartett die Bratsche. Als er 1808 die Aufnahme als Sänger für die Hofkapelle bestanden hatte, sieht der Vater ihn mit großen Erwartungen an das erst neu gegründete Konvikt ziehen. Doch bald kam es zu zermürdenden Auseinandersetzungen. Während der Vater wenigstens für einen Sohn die Karriere durch den Besuch der kaiserlichen Eliteschule zum Greifen nahe sah, wollte der nichts als Zeit und Muße zum Komponieren.
Das erste Lied entstand 1811 und handelt von Hagar, die verstoßen von Abraham in der Wüste Gott um Hilfe für sich und ihren Sohn bittet. Schubert kann sich mit ihr identifizieren. Sein Vater verbietet ihm von der Schule nachhause zu kommen. In dieser Zeit der Trennung starb im Mai 1812 die Mutter. Danach kommt es vorübergehend zu einer Versöhnung, doch im Herbst 1813 entscheidet sich Schubert gegen den Rat des älteren Freundes und des Vaters, das Konvikt zu verlassen. Die Anforderungen insbesondere in Mathematik werden ihm zu schwer, und er fühlt, dass er unter diesen Bedingungen keine Lieder schreiben kann.
Franz Schubert, Zeichnung von Kupelwieser 1813
Daher geht er kurze Zeit auf ein Lehrerseminar und beginnt in der Schule des Vaters als Hilfslehrer. Der Unterricht ist hart, aber er kann durchsetzen, dass ihm täglich einige Zeit zum Komponieren bleibt. In diesem Jahr entsteht die F-Dur Messe. Unter den Sängerinnen fällt ihm die etwas jüngere Therese Grob auf. Als er sie kennenlernt, komponiert er im Oktober 1814 das Lied von Gretchen am Spinnrad. Anfang 1815 schreibt er in einem Brief über seine Gefühle zu Therese. Alle Verdüsterung nach dem Verlust der Mutter, die gestorbenen Geschwister, von denen er höchstens die Gräber kennt, die Enge zuhause und die demütigende Prügel durch den Vater, der Unterricht am Konvikt, dem er nicht folgen kann und mag, das ist wie verflogen, wenn er sie trifft. In diesen Monaten entsteht die 2. Sinfonie.
Therese Grob (1798 - 1875), heiratete 1820 den Bäcker Johann Bergmann, beide hatten ein Kind, Amalia Bergmann (1824 - 1886), Schuberts Bruder Ignaz heiratete 1836 ihre Tante Wilhelmine
Für einen Moment ist er in der Musik mit sich selbst völlig im reinen. Wie viel Selbstbewußtsein, das Gefühl erwachender schöpferischer Kraft und Lebenslust. Das wird sich in keiner der späteren Schubertiaden mehr wiederholen, auch wenn er im Mittelpunkt eines Zirkels aufgeschlossener Musikliebhaber stehen wird. Zu Therese konnte er alle noch längst nicht überwundene Trauer vergessen, ohne sich irgend jemandem gegenüber schuldig fühlen zu müssen, und ohne die unsichere Frage, ob die Hörer an ihm und seiner Musik oder nur am gesellschaftlichen Ereignis interessiert sind.
Zwar weiß er früh, dass es mit Therese nicht so gehen wird, wie es anfangs erschien - er verfügt über kein ausreichendes, geregeltes Einkommen, ihre Eltern würden daher einem Eheantrag nicht zustimmen -, aber er hat seine musikalische Sprache gefunden. In den folgenden 2 Jahren schreibt er unter den schwierigen Bedingungen als Hilfslehrer 250 Lieder, darunter Wanderers Nachtlied Juli 1815, Heideröslein August 1815, Erlkönig Oktober 1815, Der König in Thule Anfang 1816. Wer will urteilen: War das schwerer für ihn, wie die erste Liebe ihn reif gemacht hatte für seine großen Lieder und seine unverwechselbare Ausdruckskraft, und ihn das Komponieren zugleich vom geliebten Mädchen wegführte in eine andere Welt, in der all die innersten Regungen doch hervorkommen konnten; oder für sie, die ihn gerade dadurch wachgerufen hatte, dass sie ganz einfach alles Gute für ihn wollte, und nun spüren mußte, wie er sich immer mehr von ihr entfremdete, je mehr sie ihm geholfen hatte, den eigenen Weg zu finden?
7 Jahre später schrieb er im Juli 1822 einen Traum auf, der wie eine Lebensbilanz klingt. "Lieder sang ich nun lange lange Jahre. Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich wieder Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe." Wenige Monate danach entstanden 1822 die beiden Sätze der h-Moll Sinfonie.
Die 2. Sinfonie steht unmittelbar bevor sich Schubert von Schmerz und Liebe "zerteilt" fühlte, wie er sich selbst im Traum sah. Als einziger hat William Steinberg mit dem WDR Sinfonieorchester Köln genau den Ton getroffen, wie ich diese Sinfonie verstehe. Die Aufnahme ist hin und wieder im Radio zu hören.
Viele Grüße,
Walter