In diesem Thread soll es um Richard Wagners Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" gehen. Es soll dabei nicht um Einspielungen gehen, sondern darum, was Regisseure aus dem "Ring" gemacht haben. Nach Möglichkeit sollten jene "Ringe" diskutiert werden, die auf DVD erhältlich sind (damit jeder eine Chance hat mitzudiskutieren); wenn der besprochene "Ring" nicht auf DVD erhältlich ist, bitte ich zumindest um eine genaue Schilderung dessen, was der Regisseur und der Bühnenbildner entwickelt haben. Wertungen allein würden in solchen Fällen all jene von der Diskussion ausschließen, die die Inszenierung nicht kennen und auch nicht kennenlernen können.
Beginnen will ich mit den zwei "Ring"-Inszenierungen, die man geradezu als Antipoden werten kann: Patrice Chéreaus Bayreuther "Ring" und Otto Schenks "Ring" an der "MET".
In beiden Fällen handelt es sich um große Häuser mit entsprechender finanzieller Ausstattung, es mußte also nicht auf Verlegenheitslösungen zurückgegriffen werden.
Was die beiden "Ringe" unterscheidet, ist der Ansatz der Produktion: Bayreuth wollte einen in jeder Hinsicht modernen "Ring" präsentieren. Auch musikalisch sollte ein neues Licht auf Wagner geworfen werden, dafür garantierte Dirigent Pierre Boulez, der einen rhythmisch betonten, extrem durchsichtigen Wagnerstil pflegt und diese Musik als Vorboten der (impressionistischen und expressionistischen) Zukunft begreift.
An der MET dirigierte James Levine einen langsamen, betont romantischen Wagner-Stil, der diese Musik als genialen Schlußstein der Romantik begreift.
In beiden Fällen stimmten die musikalische Sicht des Dirigenten und die szenische des Regisseurs überein.
Das Grundkonzept ist bei Patrice Chéreau eine Inszenierung aus sozialkritischem Ansatz - was seltsamer Weise durchaus mit den alten germanen konform geht. Die betrachteten nämlich das Gold als Wurzel des Bösen - und bei Chéreau wird aus Gold Geld, also Kapital.
Chéreau verlegt den "Ring" etwa in die Zeit seiner Entstehung in der Überzeugung, daß Wagner im "Ring" bewußt oder unbewußt die sozialen Spannungen seiner Zeit mitverarbeitet hat. Gleichzeitig blendet Chéreau in der Zeit zurück und voraus, um bestimmte Szenen in einem archetypischen zeitlichen Kontext zu konkretisieren.
Dabei charakterisiert Chéreau einzelne Gestalten auf neue Weise: Wotan ist als Großkapitalist mit manischem Machtanspruch unsympathisch, Alberich und Mime werden durch die Umstände in ihre Rollen gedrängt, Siegmund ist der intellektuelle freie Held, Siegfried ein wenig sympathischer und unintellektueller Haudrauf. Die kapitalistische Gesellschaft, so Chéreaus Botschaft, braucht unintellektuelle Handlanger eher als mitdenkende Intellektuelle.
Trotz dieses Grundkonzeptes sind die Figuren sehr menschlich - unsympathische Charaktere offenbaren sympathische Facetten und sympathische Charaktere handeln nicht immer sympathisch.
In der gesamten Regie dienen Gewalt und Mitleid als emotionale Triebfedern. Die große Gestik ist abgeschafft zugunsten einer filmisch präzisen Regie, die auch gerade nicht singende, aber auf der Bühne befindliche Personen ausformt, also nie einfach wegblendet.
Otto Schenk versucht, Wagners Regieanweisungen soweit als möglich umzusetzen und den "Ring" von einem Mythos zu einem Märchen herabzustufen.
----------------------------
Ich möchte wirklich am Anfang beginnen,also mit der Ersten Szene "Rheingold" - wir werden ja sehen, wohin sich dieser Thread entwickelt.
Chéreau und Schenk meiden beide die Tiefen des Rheins, sondern begnügen sich mit dessen Ufern - Alberich braucht also weder Sauerstoffflasche noch Kiemen, um den Nixlein nachstellen zu können.
Bei Chéreau ist gleich das erste Bild provokant und großartig zugleich: Ein Staudamm signalisiert, daß die Natur nicht mehr unberührt ist. Der Staudamm ist von Gischt umtost, über dem Staudamm steht ein fahler Mond. Die Rheintöchter törnen Alberich an und verspotten ihn im Handumdrehen - ein perfides Spiel wenig sympathischer Frauen mit einem Underdog, der mit Gewalt (Raub) und Fluch seine verwundete Seele kurieren will. Alberichs Handlungsweise wird verständlich.
Otto Schenks erstes Bild ist schon problematisch: Wo sind wir? Die pittoreske, wie einem überillustrierten Kinderbuch entsprungene Szenerie sagt: Eindeutig am Ufer des Rheins. Aber die Tanzbewegungen der Rheintöchter scheinen doch wieder Wasser suggerieren zu wollen.
Schenk macht auch sofort klar: Alberich ist der Böse. Er erscheint mit Buckeln und Auswüchsen wie ein Gnom und wird als lächerliche Figur gezeichnet. Der Böse ist ohne Ursache böse, wir müssen dem Regisseur ohne eigenes Nachdenken glauben.
Beim Raub des Rheingolds wackelt obendrein die Kulisse - eine spitz zulaufende Bodenerhebung -, wodurch unfreiwillig komisch signalisiert wird: Wir sind im guten alten Kulissentheater, nicht Deuten sondern Nachstellen ist Trumpf.
Und damit will ich einmal die Eröffnung abschließen und eröffne die Diskussion.