Die Beurteilung von Stimmen und Gesang

  • Zitat

    Original von Antracis




    Naja, wenn ich sehr regelmäßig essen gehe, bekomme ich schon eine Vorstellung davon, was im Detail fehlen könnte. Das ergibt sich einfach aus der Erfahrung ,wenn man gelegentlich reflektiert, warum es nun gerade mal schmeckt.


    Vielleicht bist du ja Hobbykoch und kennst so manche Rezepte...


    Diejenigen, die am meisten Kritik üben, wissen oft am wenigsten.


    Liebe Grüsse

  • Eigentlcih ist es in fast allen Lebensbereichen so: je mehr man weiss und je weiser man wird, desto demütiger wird man. Oder sollte man werden.
    Wer selbst weiss, wie schwierig es ist, einen Mozart so zu singen oder zu spielen, dass er wie ein Kinderspiel klingt, kritisiert hinfort ganz anders als einer, der nur von aussen hinsieht. Grau ist alle Theorie wusste schon der olle Goethe!!!! :yes:

  • Zitat

    Original von musika
    Wenn ein Ton zu tief ist hört es ein Ohr evtuell, doch warum der Ton zu tief ist, vermag eben nur jemand sagen, der die Technik beherrscht.


    Das ist wahr - doch man muss ja eben nicht wissen, warum der Ton zu tief ist, um sagen zu können (dürfen), dass er zu tief ist. Deswegen ist man schließlich Zuhörer und nicht Lehrer. Ich glaube, es würde sich auch kein Zuhörer anmaßen, den betreffenden Sänger unterrichten zu wollen :D Aber anmerken, dass ein Ton zu tief ist, darf man doch auch als Zuhörer. Wie gesagt, es geht doch hier nicht um vernichtendes Niedermachen, sondern einfach um Äußern von Dingen, die einem aufgefallen sind. Wäre doch seltsam, da nur Positives erwähnen zu dürfen.
    Ich persönlich bin nach einem Auftritt sehr dankbar für konstruktive Kritik (und zwar ganz egal, ob sie von Sängern kommt oder nicht), da man sich dadurch weiterentwickeln kann. Leute, die nur loben und begeistert sind, gibt es sowieso im Überfluss - was natürlich auch schön ist ;)

  • Zitat

    Original von Mezzo
    Das ist wahr - doch man muss ja eben nicht wissen, warum der Ton zu tief ist, um sagen zu können (dürfen), dass er zu tief ist.


    Man könnte ja auch theoretisch alles aufnehmen und dann am PC mit geeigneter Software die Frequenzen überprüfen :rolleyes:


    Liebe Grüße


    Michael :hello:


  • Man kann natürlich auch einfach sagen, die korrekte Intonation im Gesang sei piepegal und Dieter Bohlen hören :rolleyes:


    :hello:
    Sascha

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  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Wer selbst weiss, wie schwierig es ist, einen Mozart so zu singen oder zu spielen, dass er wie ein Kinderspiel klingt, kritisiert hinfort ganz anders als einer, der nur von aussen hinsieht.


    Im Thread "Das Kunstlied vor Schubert" schrieb ich:


    Zitat

    Fast alle Lieder von sowohl Beethoven als Mozart habe ich früher gesungen. Mozart "Das Veilchen" ist für mich der "Trait-d'union" zu den spätere Schubertlieder. So wie er den Text in dieses Lied verklangt. Mit "Abendempfinden" und "Die Alte" kommt das bei mir an erster Stelle der Mozarts Lieder.
    Beethoven "An die ferne Geliebte" und "Ich liebe Dich".
    Was habe ich das "Ich liebe Dich" gehasst. Immer mußte ich es von meiner Lehrerin wieder und wieder einstudieren und immer fehlte etwas. Nicht innig genug, nicht besinnlich, nicht liebend... Alles fehlte offenbar. Wie lange wir es geübt haben, weiß ich nicht mehr, aber dieses Lied sagte mehr über die Liedkunst als ich je davor gedacht hatte.
    Sie behauptete immer "Je einfacher Musik scheint, je schwerer sie auszuführen ist".


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt
    @ Sascha
    Ob die von dir oben geschilderte Kopierarbeit sich wirklich lohnt, erscheint mir fraglich. Das Buch von Steane gibt es beispielsweise gerade bei zvab für 16 Euro.


    Hallo Thomas,


    Steanes Bücher sind nicht das Problem, es ging allein um "Opera on Record". Das ist aktuell schwer bzw. nur zu absurd hohen Preisen zu bekommen. Und in Berlin darüberhinaus nicht ausleihbar, sondern nur in einem Lesesaal einsehbar. Insofern kopiere ich - aber natürlich nicht alle 3 Bände, sondern nur die diskographischen Besprechungen einer weniger Opern, die mich besonders interessieren. Und warte weiter ab, bis es mal zu einem erträglichen Preis zu erwerben ist.


    Gruß
    Sascha

  • Lieber Paul, genau das meinte ich! Und je mehr ich selbst Erfahrung im Singen bekomme, desto klarer wird mir, dass das "Einfachste" das Schwerste und Schônste ist.
    Liebe solidarische simple Grüsse :lips:

  • Zitat

    Aber anmerken, dass ein Ton zu tief ist, darf man doch auch als Zuhörer. Wie gesagt, es geht doch hier nicht um vernichtendes Niedermachen, sondern einfach um Äußern von Dingen, die einem aufgefallen sind. Wäre doch seltsam, da nur Positives erwähnen zu dürfen.


    ich erkenne die schlechten Dirigenten sofort daran, wenn sie nur bemerken, daß der Ton zu tief ist, ohne daß sie die Ursache dazusagen. Zu behaupten, daß generell die Unterspannung schuld ist (und damit dem Sänger Faulheit oder Nachlässigkeit vorzuwerfen) ist banal und auch falsch.
    In den meisten Fällen sind nur falsche Vokale schuld... (je offener, desto größer die Gefahr zu sinken...)

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Natürlich stimmt es, dass nicht generell eine "Unterspannung" schuld ist. Aber ist es denn Aufgabe des Dirigenten, die Ursache dazuzusagen? Das sollte der Sänger doch eigentlich selbst merken und beheben.

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  • Hallo,


    Gesangskunst – Bewertung: Ein Versuch.


    1. Hier sollte es in erster Linie um den Kunstgesang in der KLASSISCHEN MUSIK: OPERNGESANG – KONZERTGESANG – LIEDGESANG – GESANG IN GEISTLICHEN WERKEN gehen.


    [Trotz dieser Prämisse habe ich das Thema in den Bereich: Opernforum gelegt. Einem Moderator bzw. einer Moderatorin steht es selbstverständlich frei, eine Umordnung vorzunehmen.]


    2. Da wir eine größere Anzahl von „Voting-Threads“ bzw. „Ranking-Threads“ bezüglich Sänger und Sängerinnen oder Opernaufnahmen etc. haben - an denen ich mich gerne beteilige – stellt sich mir aber immer wieder die Frage: Nach WAS und WIE beurteile ich hier?


    3. Wie kann man die sängerische Leistung einordnen, geht das überhaupt oder ist ein individuelles Ranking einfach eine reine momentane Laune und ausschließlich Geschmacksfrage?


    4. Wenn es sich lediglich um eine rein subjektive Geschmacksfrage handelt, z. B. bei einem Ranking der Sänger, d. h. man nimmt eine Grundauswahl allgemein anerkannter Sänger (z. B. aus Fischer, Jens Malte; Großen Stimmen…) und bestimmt eine Reihenfolge nach subjektivem Geschmack. Mögliche Probleme: Wie bewertet man Sänger, welche noch nicht bekannt sind? Wie beurteilt man einzelne Opernaufführungen? Wie beurteilt man einzelne Gesangsleistungen z. B. innerhalb einer Arie?


    5. Ist eine Objektivierung überhaupt möglich – gibt es objektivierbare Kriterien - und wenn ja - wie kann man die „Gesangsleistung“ bewerten und einordnen?


    6. Derzeit habe ich mir - nach einigem Literaturstudium (s. u.) - folgende Gedanken dazu gemacht, welche ich weiter unten darlege und zur Diskussion stelle.


    7. Es werden die Grundannahmen und meine Vorgehensweise der Bewertung grob dargestellt. Es handelt sich um einen Versuch oder besser um ein ‚Arbeitsprogramm’. Zurzeit verwende ich eine gleichmäßige Gewichtung bei den Hauptdeterminanten (Stimme, Technik, Expression, Timbre).



    A. Übersicht:


    Die Architektur (Statik) der Gesangskunst:


    Man stelle sich ein einfaches Haus vor:


    1. Fundament und Basis = Stimme
    2. Erste Etage = Technik
    3. Zweite Etage = Expression (stimmlich)
    4. Dach = Timbre


    (Leider weiß ich nicht wie man Schaubilder (PDF-Dateien) einbindet.)



    B. Fundament und Basis: Stimme = 25 %


    Parameter (Auswahl):


    - Stimmumfang
    - Stimmvolumen
    - Stimmeinsatz
    - Stimmabsatz
    - Stimmstärke
    - Stimmklang
    - Stimmsitz
    - Resonanz
    - Geschmeidigkeit in Forte, Piano, Höhe und Tiefe
    - Registerausgleich
    - Passagio
    - Intonationspräzision
    - Notentreue
    - Langer Atem
    - Gesunde Atemtechnik


    (Registerausgleich, Passagio, Vokalausgleich Intonationspräzision sowie „Langer Atem“ werden auch als typische Bestandteile des Belcanto i. e. S. gesehen.)



    C. Erste Etage: Technik = 25 %


    Parameter (Auswahl):


    - Legato
    - Schnelle Passagen
    - Messa di voce (Crescendo und Diminuendo: An- und Anschwellen der Stimme ohne Änderung der Tonhöhe...)
    - Koloraturen (Färbung; Verzierung über mehrere Takte mit größerem Tonumfang als bei den Fiorituren), (s. a. Expression; hier rein technisch)
    - Trillo (Triller)
    - Portamenti
    - Fiorituren (kurze Verzierung, Umspielung)
    - Appoggiaturen (kurze Verzierung, lange Vorschläge)
    - Vibrato (nicht: Tremolo siehe Garcia d. J.)
    - Accenti (Vorhalte)
    - Rubati (= „gestohlene Zeit“)
    - Sonstige Verzierungen und Ornamente (Acciaccatura (kurze Vorschläge, Doppelvorschläge, Schleifer, Nachschläge, Roulade)


    (Man möge mir den etwas willkürlichen Gebrauch von Ein- und Mehrzahl verzeihen!)



    D. Zweite Etage: Expression = 25 %


    Parameter (Auswahl):


    - Werk geht vor Künstler
    - Text- und werkgetreue Interpretation (Einhalten von Noten, Notenwerten, Rhythmus und Dynamik)
    - Gefühle, Erregung und Leidenschaft werden von der Stimme über Stimmfarben, Lautstärke, Phrasierung und Art des Atemholens wiedergegeben
    - Deutliche Aussprache (Diktion)
    - Darlegung der musikalischen Struktur
    - Erarbeitung des Charakters, Gesamtkontext und geschichtlicher Hintergrund
    - Klangschattierungen
    - Integration von Gesangspartie mit dem musikalischem Bewegungslauf
    - Intensität
    - Ökonomie des Singens (Anspannung und Entspannung der Atmung, Schwerpunktbildung u. a.)
    - Spontane Echtheit der Empfindung (Gefahr: Übertreibung und Nachahmung)



    E. Dach: Timbre = 25 % *


    Parameter (Auswahl):


    - Wiedererkennungsfaktor
    - Unverwechselbarkeit
    - Individualität
    - Timbre: Dunkel, Mittel, Hell und: Natürlich, Abgedunkelt, Aufgehellt


    * Hier ist aber weniger das subjektive Gefallen gemeint.



    F. Vorgehensweise (Grobschema)


    1. Identifizierung der einzelnen Parameter (Soll-Ist-Vergleich) mittels Gedächtnis oder Checkliste etc.


    2. Bewertung (gut – mittel – weniger gut oder vorhanden – nicht vorhanden etc.) - jeweils 25-Punkte-Skala.


    3. Zusammenfassendes Ergebnis: Stimme = 25 %, Technik = 25 %, Expression - 25 %, Timbre = 25 %.



    G. Zusammenfassung = 100 %


    - Darüber hinaus zählt gegebenenfalls die musikalische (sängerische) Lebensleistung, die Ausstrahlungskraft und Integrität der Persönlichkeit bei einer Sängerbewertung. (100 % + 10 %)?
    (Gesangskunst und Schauspielkunst ergeben den kompletten Opernkünstler!)


    - Denkbar wären auch eine Gewichtung: 40 % Stimme – 30 % Technik – 20 % Expression - 10 % Timbre oder eine Extremposition: 100 % Timbre nach rein subjektivem Geschmacksurteil.


    - Das Erkennen und die Bewertung der Einzelfaktoren fällt mir außerordentlich schwer. Zahlreiche Probleme treten auf - Beispiel: Wie soll der Stimmumfang eines Sängers anhand einer einzelnen Arie beurteilt werden etc.? Wie beurteilt man die Ausführung z. B. eines Trillers ohne die Partitur zur Hand zu haben oder zu kennen?


    - Die Gewichtung der einzelnen Faktoren innerhalb der Hauptdeterminanten ist ebenfalls diskussionswürdig.


    - Mir hat die Auseinandersetzung mit den einzelnen Gesangsparametern aber geholfen, eine bessere Bewertungsgrundlage zu schaffen und eine Bewertung näherungsweise vorzunehmen.


    - Eventuell könnte der Einwand kommen, dass die Basis immer die Technik ist, dazu: "Zuerst kam die Stimme...".


    - Objektivierung ist immer nur ein Näherungsversuch.



    Persönlich halte ich beide Gesangsstile: natürlicher oder verzierter (Belcanto-)Gesangsstil (canto fiorito) für legitim und komme durch die oben dargelegte Vierteilung der Hauptdeterminanten zu einer ausgewogenen Bewertung (?).


    Als nahezu komplette Gesangskünstler (zumindest für den Bereich: Oper) sehe ich: Enrico Caruso und Maria Callas. Caruso war, obwohl der Verismo-Sänger par excellence noch mit den ‚klassischen’ Belcantostil-Prinzipien vertraut und Callas verband als „dramatischer Koloratursopran“ m. E. beide Gesangsstile ebenfalls, somit kommen beide auf meiner Skala am höchsten.


    „Die Stimme verlagerte sich gemäß Opernstoff vom Himmel – Göttlichen (artifizielles Singen des Belcanto i. e. S.) zur Erde – Menschen (natürliches Singen der Romantik und des Verismo), wobei Bellini und Donizetti und der frühe Verdi den Übergang darstellen. Der Gesang muss deshalb nicht schlechter sein…, wenn man trotzdem die Technik des Belcanto beherrscht?“


    Eventuell ergeben sich z. B. für den Liedgesang weitere Parameter.



    Bis dann.



    Literaturauswahl (ordnungshalber gebe ich meine wichtigsten Quellen an):
    Häflinger, Ernst; Die Kunst des Gesangs, Geschichte – Technik – Repertoire; Mainz, London, Madrid, New York, Paris, Tokyo, Toronto; 4. erweiterte Auflage 2000.
    Seidner, Wolfram und Wendler, Jürgen; Die Singstimme, Phoniatrische Grundlagen der Gesangsausbildung; Berlin; 3. erweiterte Auflage 1997.
    Rodolfo Celetti; Geschichte des Belcanto; Kassel, 1. Auflage 1989.
    Fischer, Jens Malte; Großen Stimmen von Enrico Caruso bis Jessye Norman; Stuttgart; 1. Auflage 1995.
    Kesting, Jürgen; Die Großen Sänger in 4 Bänden; Hamburg; 1. Auflage 2008.
    Kesting, Jürgen; Die Großen Sänger in 3 Bänden; Düsseldorf; 1. Auflage 1986.
    Kesting, Jürgen; Die Großen Sänger des 20. Jahrhunderts; Düsseldorf, Wien, New York, Moskau; 1. Auflage 1993.
    Matheopoulos, Helena; Bravo – Berühmte Sänger über ihre großen Rollen; München; 1. Auflage 1988.
    Gargano, Pietro und Cesarini, Gianni; Caruso – Eine Biographie; München; 1. Auflage 1995.
    Kesting, Jürgen; Maria Callas; München; 3. Auflage 2000.[/I]

  • Liebe keith63,


    Du kannst ganz offensichtlich Gedanken lesen!:jubel::jubel::jubel: Just gestern waren ich und ein freundlicher Tamino in einer profunden Diskussion :D auf den Gedanken gekommen, dass es einer festen Grundlage bedarf, nach der wir (beides Nicht-Musiker, ich kann noch nicht mal Noten lesen) gesangliche Leistung überhaupt beurteilen können. Wir haben festgestellt, dass es einer qualifiziert ausgewählten Literaturliste bedarf, nach der wir uns richten können, weil irgendwann hat man das Beurteilen nach dem Motto "finde ich toll-finde ich doof" einfach satt! Und Du, o Wunder, hast das heute schon gemacht! Sei herzlichst gedankt! :hello::jubel::angel:


    Weisst Du, was ich zusätzlich zu Deiner tollen Liste der Merkmale wissen wollte?


    Ich bin sicher, in diesen ganzen tollen Büchern steht viel Theorie drin, was ich auch sehr interessant finde und mir unbedingt antue, trotzdem habe ich Bedenken, ob es möglich ist für jemanden wie mich, sich etwas Praktisches darunter vorzustellen.


    Deswegen ein Vorschlag dazu: Ich hätte gern zu jedem Deiner Parameter ein gesangliches Beispiel, etwa in der Art: Rubato - Oper XY, erster Teil, Arie XY bei den Worten DiesundDas, der Sänger A beherrscht diese Technik perfekt, besonders in Arie XY kann man das gut hören. Am liebsten hätte ich Beispiele aus bekannten Werken mit bekannten Künstlern, dass man möglichst leicht daran kommt oder sogar wie ein echter Opern-Dummie im YT nachschlagen kann.


    Es wäre vielleicht auch für andere musikalisch bewanderte Taminos eine Möglichkeit, dem weniger qualifizierten Teil der Community etwas Gutes anzutun! Also, liebe Taminos, ich wäre froh, an dieser Stelle zahlreiche Beispiele zu den o.g. musikalisch-technischen Begriffen zu finden! Pure Wonne wäre das!


    Eure entzückte


    Theodora

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  • Thema: Gesangskunst – Belcanto: Wie beurteilt man eine Gesangsleistung? (2)



    Hallo,


    wie man sieht, halte ich mich bei diesem – nach Hinweis entdecktem Thread – immer noch auf.


    1. Ist ein Vergleich zulässig?
    Der Vorgang des ‚Vergleichens’ ist ein Analysevorgang, der die Gleichheit nicht voraussetzt; daneben werden auch die Unterschiede erarbeitet. Somit kann man m. E. selbstverständlich z. B. Domingo mit Flórez vergleichen. „Vergleichen“ i. w. S. ist ein Hilfsmittel des Verstehensprozesses durch Veranschaulichung.


    2.Dürfen nur (Profi-)Sänger/Sängerinnen Kritik an anderen Sängern/Sängerinnen ausüben?
    Jeder - ob Profi, Amateur, Laie oder einfacher Hörer/Käufer (!) - darf kritisieren, ob tendenziell positiv oder negativ oder einem Totalverriss naheliegend. Er muss sich jedoch immer gewiss sein, dass diese Bewertung wiederum der Kritik unterliegt, und dass er seine Bewertungsmaßstäbe nachvollziehbar offen legt! Der Vergleich: „Kritiker….Eunuchen…“ ist oft eine Schutzbehauptung“ und fördert lediglich die Immunisierung. Die wichtigsten Kritiker und Wegbereiter der gesanglichen Entwicklung (und damit Hauptverantwortlichen) waren und sind immer die Komponisten und Librettisten und nicht die Sänger selbst.


    3. Subjektive Kriterien einer Beurteilung?
    Feststellungen persönlicher Natur: „Schönes Timbre“, „Gesang der berührt“ oder „Gesang der zu Herzen geht“ sind Umschreibungen/ Wortmalereien subjektiven Empfindens und haben m. E. in der eigentlichen Analyse nichts zu suchen. Diese könnten im abschließenden persönlichen (subjektiven) Fazit einer Kritik stehen?
    Zum Beispiel verlangte G. Verdi bekanntlich für die Rolle der Lady Macbeth „eine rau(h)e, erstickte, hohle und dämonische Stimme“, welche nicht einhergeht mit der im üblichen Sinne „schönen Stimme“.
    Weiteres Beispiel: Die Rollen-Interpretation und das Timbre i. e. S. der Ortrud von Rita Gorr kann man nicht als „timbreschön“ beschreiben, aber als rollengerecht, individuell und unverwechselbar. (Richard Wagner, Lohengrin, Boston Symphony Orchestra, Bostron Chorus Pro Musica, Kónya, Amara, Dooley, Gorr, Hines, Marsh unter Erich Leinsdorf; 2 CD Track 8: Zurück, Elsa!).
    Selbstverständlich kann man sich von persönlichen Geschmacksfragen nicht gänzlich frei machen, aber der Versuch der nachvollziehbaren Objektivierung muss immer zum Tragen kommen.


    4. Respekt gegenüber dem Sänger/der Sängerin?
    Der Respekt gegenüber Sängern, die sich einer Opernaufführung oder einem Konzert dem Publikum stellen, darf nach langer, harter und qualifizierter Ausbildung nicht abhandenkommen, insbesondere wenn es sich um Nachwuchs handelt, trotzdem ist die Kritik einer Gesangsleistung kein Tabu.


    5. Belcanto - Seelenlosigkeit?
    Der „echte“ Belcantogesang wird oft als „seelenlos“ oder „Gezwitscher“ abgetan. Das ist eine grundlegende Fehlinterpretation; ein Missverständnis. Dazu kann ich nur auf R. Celletti verweisen, der überzeugend beschreibt, dass der barocke Gesang genau das Gegenteil davon ist und das (damalige) Publikum dieses auch verstand. Beispielsweise war die sinnbildliche verzierte Vokalsprache eine Unterstreichung des mythischen Charakters der Figuren innerhalb einer phantastischen Welt und ihrer Wunder (vgl. Rodolfo Celletti, Geschichte des Belcanto, Kassel, 1. Auflage 1989, Seite 15ff.).


    Bis dann.

  • Lieber Keith 63,


    erst heute bin ich auf Deine ausgezeichneten Arbeiten zur Objektivierung der Beurteilung von Gesangsleistungen gestoßen. Die Zusammenfassung in den Listen mit den Kriterien plus Gewichtung ist sehr hilfreich. Ich habe die Liste gleich ausgedruckt. Danke.
    Nur - und das soll keinerlei Einschränkung sein- das ist die kognitive Ebene. Musik hören, genießen, sich davon berauschen lassen, hat aber auch viel mit Emotion zu tun. Hier im Forum tauchen oft von Benutzern Berührungsängste auf, weil man sich den Profis und Semi-Profis unterlegen fühlt. Allen diesen "unbelasteten, unverdorbenen" Musikfreunden möchte ich zurufen: Hört mit dem Bauch, laßt Euch begeistern und äußert dann ganz offen und unreflektiert, was Euch an diesem Interpreten und seiner Darbietung so gefällt. Je länger ich mich mit Musik, vor allem Oper, beschäftige, inzwischen sind es Jahrzehnte, um so untypischer höre ich. Mich bewegt sofort die Analyse, vielleicht sogar die Rezension, die ich schreiben muss. Darüber hinaus bin ich in vorausschauender Konzentration und Erwartung zu sehr auf die schwierigen, exponierten Stellen konzentriert. Erst kürzlich ging es mir so, dass ich in einer Aufführung von "Die Frau ohne Schatten" stark darauf fixiert war, wie schafft der junge, vielversprechende Tenor die eminent schweren hohen Passagen des Kaisers, statt mich auf das Gesamtwerlebnis zu konzentrieren.
    Wir sollten uns also durchaus um eine möglichst objektive Beurteilung von Sängern und Gesangsleistungen bemühen. Keith 63 liefert dazu
    hervorragende Anregungen und Materialien. Auf der anderen Seite sollten wir auch - egal was alle Experten sagen - zu unseren "Gänsehauterlebnissen" stehen und unsere Sängerlieblinge vergöttern. Bei mir sind das u.a Franco Corelli und Hans Hopf. Wenn ich Corelli als Manrico in Verdis "Troubadour" in der Stretta höre, dann ist das für mich Begeisterung pur, auch wenn ich weiß, dass Corelli zu übertriebener Lautstärke und zum Forcieren neigt. Ähnlich ist es bei Hans Hopf, einem narzistischen Sänger mit Hang zum Stemmen und überlangem Halten von Tönen. Seine Schmiedeieder oder Siegfrieds Tod "Brünnhilde, heilige Braut" sind für mich Sternstunden des Gesangs. Ich lasse mir also meinen Corelli und meinen Hopf , trotz der Einschränkungen und abweichenden Urteilen anderer, niiemals nehmen.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Original von operus
    Wir sollten uns also durchaus um eine möglichst objektive Beurteilung von Sängern und Gesangsleistungen bemühen....Auf der anderen Seite sollten wir auch - egal was alle Experten sagen - zu unseren "Gänsehauterlebnissen" stehen und unsere Sängerlieblinge vergöttern. Bei mir sind das u.a Franco Corelli und Hans Hopf.


    Operus



    Hallo Operus,


    vielen Dank. Unbedingt 'JA': Wir sollten zu unseren "Gänsehauterlebnissen" stehen!!!


    Obwohl der von Dir und mir geschätzte Corelli bei einigen Kritikern nicht so gut "wegkommt" (siehe besonders Kesting) bin ich von seiner Stimme in Bellinis Norma u. a. uneingeschränkt begeistert, obwohl ich mir wesentlicher technischer Mängel seines Gesangs gewiss bin. Aber Technik setze ich persönlich "nur" zu 25% an. Andere Qualitäten: Timbre, Stimme und Expression sind dafür wesentlich ausgeprägter...


    Ebenso geht es mir mit Lorenz (wie ich bereits des öfteren in anderen Threads geschrieben habe); auch dieser große Wagner-Sänger erhält bei Kesting schlechtere Kritiken. Ich bin von diesem ekstatischen durchschlagskräftigen Gesang fasziniert - ein "Gänsehauterlebnis".



    Nachtrag:


    Trotzdem ist eine 'objektivierende Analyse' des Gesangs meiner Meinung nach unverzichtbar. Ansonsten bleibt es beim einfachen Subjektivismus der Leidenschaft: "Gefällt mir....gefällt mir nicht" oder "finde ich gut...finde ich nicht gut" etc.. Das führt m. E. nicht weiter, so wie die Frage: Welches "Rot ist röter?".


    Ich unterstelle, dass z. B. Kesting seine "objektivierende" Bewertung etwas übermäßig an den sogenannten "Belcanto-Techniken" ausrichtet. Gut ist die Nachvollziehbarkeit seiner Benchmarks und selbstredend sein immenses Wissen.


    Bis dann.

  • Zitat

    Original von operus


    Nur - und das soll keinerlei Einschränkung sein- das ist die kognitive Ebene. Musik hören, genießen, sich davon berauschen lassen, hat aber auch viel mit Emotion zu tun. Hier im Forum tauchen oft von Benutzern Berührungsängste auf, weil man sich den Profis und Semi-Profis unterlegen fühlt. Allen diesen "unbelasteten, unverdorbenen" Musikfreunden möchte ich zurufen: Hört mit dem Bauch, laßt Euch begeistern und äußert dann ganz offen und unreflektiert, was Euch an diesem Interpreten und seiner Darbietung so gefällt. Je länger ich mich mit Musik, vor allem Oper, beschäftige, inzwischen sind es Jahrzehnte, um so untypischer höre ich. Mich bewegt sofort die Analyse, vielleicht sogar die Rezension, die ich schreiben muss. Darüber hinaus bin ich in vorausschauender Konzentration und Erwartung zu sehr auf die schwierigen, exponierten Stellen konzentriert. Erst kürzlich ging es mir so, dass ich in einer Aufführung von "Die Frau ohne Schatten" stark darauf fixiert war, wie schafft der junge, vielversprechende Tenor die eminent schweren hohen Passagen des Kaisers, statt mich auf das Gesamtwerlebnis zu konzentrieren.
    Wir sollten uns also durchaus um eine möglichst objektive Beurteilung von Sängern und Gesangsleistungen bemühen. Keith 63 liefert dazu
    hervorragende Anregungen und Materialien. Auf der anderen Seite sollten wir auch - egal was alle Experten sagen - zu unseren "Gänsehauterlebnissen" stehen und unsere Sängerlieblinge vergöttern. Bei mir sind das u.a Franco Corelli und Hans Hopf. Wenn ich Corelli als Manrico in Verdis "Troubadour" in der Stretta höre, dann ist das für mich Begeisterung pur, auch wenn ich weiß, dass Corelli zu übertriebener Lautstärke und zum Forcieren neigt. Ähnlich ist es bei Hans Hopf, einem narzistischen Sänger mit Hang zum Stemmen und überlangem Halten von Tönen. Seine Schmiedeieder oder Siegfrieds Tod "Brünnhilde, heilige Braut" sind für mich Sternstunden des Gesangs. Ich lasse mir also meinen Corelli und meinen Hopf , trotz der Einschränkungen und abweichenden Urteilen anderer, niiemals nehmen.
    Herzlichst
    Operus


    Lieber Operus,


    Dein Beitrag spricht mich sehr an. Ich habe bestimmt nicht Deine intensive jahrzehntelange Erfahrung was das Hören von Opern betrifft. Jedoch hatte ich schon immer eine sehr subjektive Liebe zu schönen Stimmen und ich höre "mit dem Herzen bzw. mit dem Bauch". Außerdem glaube ich, daß, wie gesagt meine Meinung, doch fast alle Menschen nach ihrem individuellen Geschmack hören, kann ich mir nicht anders vorstellen. Auch die großen Experten sind bestimmt nicht immer ganz objektiv.
    Ich bezweifle sowieso, daß man musikalische Erlebnisse nach festen, geschriebenen Kriterien beurteilen kann.
    Mit Corelli und einigen anderen Sängern geht es mir ähnlich wie Dir, ich habe ihn mir gestern Abend mal wieder, nach vielen anderen Tosca's, als Cavaradossi angehört. Und dachte mir, wow, keiner singt es bis heute schöner. Und mögen alle herfallen über ihn, wie sie wollen, ich liebe diese Stimme.


    Viele Grüße aus München


    die Emotions-Hörerin Kristin

  • Liebe Kristin! Lieber Operus!


    Ganz richtig geschrieben, wer mit dem Herz - und dem Bauchgefühl - hört, hat mehr, als wenn er die, vielleicht, etwas nicht ganz richtige Gesangsweise kritisiert.


    Jede Kritik ist erlaubt, aber man soll nie unfair sein, gerade Franco Corelli, den ich ja noch persönlich an der Winers Staatsoper hörte und sah, und auch wie gut sah er als Cavaradosssi oder Kalaf aus,


    und das kann ich auch als Mann sagen, da muss ja seine Tosca oder Liú, sowie Turandot verliebt werden - oder sein.


    Auch bei Hans Hopf hast Du Recht, hier spreche ich weniger von Wagner, als von Verdi, als in der Wiener Oper, nach 1955, als noch Deutsch gesungen wurde, was war es doch für ein Radames.


    Stemmen und überlanges Halten eines Tones, das hat mich persönlich nicht erschüttert.


    Mich hat eher ein Siepi als König Philipp im "Don Carlos" erschüttert, wie er traumhaft sang, und dem König, der aus Staatsrasison, die junge Elisabeth von Valois heiratet, ein Bild gab, wie es Schiller gewollt hat.


    Dieses Gesamtkunstwerk war einmalig, und ist es heute noch auf CDs oder LPs, wie ich sie habe.


    Liebe Grüße sendet Euch Beiden Euer Peter aus Wien. :hello: :hello: :hello:

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  • Zitat

    Original von oper337
    Ganz richtig geschrieben, wer mit dem Herz - und dem Bauchgefühl - hört, hat mehr, als wenn er die, vielleicht, etwas nicht ganz richtige Gesangsweise kritisiert...
    :



    Hallo Peter (oper337),


    "Welcher Bauch, welches Bauchgefühl?"
    "Welches Herz, welches Herzgefühl?"


    Rein anatomisch hört man mit den Ohren und dem Gehirn... ;)


    Entschuldige bitte, Musik ist immer Gefühl und damit auch Leidenschaft, d. h. Liebe und Hass etc. und geht m. E. von allen Künsten sofort "über" oder nicht. Ich bestreite dieses gar nicht.


    Aber darum geht es meiner Meinung nicht, sondern um die Möglichkeit - den Versuch - einer "objektivierenden" Analyse und Bewertung ohne subjektive 'metaphysische' Wortmalerei"!


    ...


    ("Welches Blau ist blauer.....s. o.") oder:
    ("D. Bohlen singt besser als F. Corelli...sagt 'mein Bauch' ")


    Bis dann.

  • Liebe Kristin,
    Brava! Bitte bleibe bei Deiner Meinung, erlebe und genieße Deine Sängerlieblinge. Wenn wir dabei in einer Klasse von Corelli und Co diskutieren wird uns auch kaum jemand pures Unverständnis vorwerfen können.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Keith,


    Deinen Bewertungsversuch finde ich hochinteressant. Eine derartige, systematische Aufstellung ist bestimmt hilfreich, um die Einzelheiten und Feinheiten verschiedener Stimmen besser zu erfassen. Ich habe aber zu einigen Deiner Parameter Fragen und möchte dann generell etwas zur Beurteilung fragen.


    Zunächst zu einigen Parametern:


    - Bei "Fundament und Basis" nennst Du Stimmvolumen und Stimmstärke. Worin unterscheiden die sich?
    - Dort finden sich auch Stimmsitz und Stimmklang sowie Resonanz. Prägen diese nicht das Timbre? Findet hier eine Doppelbewertung statt?
    - Bestimmte Resonanzen (im Bereich des sog. Sängerformanten) bestimmen ganz wesentlich die Tragfähigkeit der Stimme. Sollte man die Tragfähigkeit als Parameter hinzunehmen?
    - Ist Registerausgleich nicht ein Oberbegriff zum Passagio? Letzteres ist doch der Übergang von einem ins andere Register, insbesondere von der Modalstimme zur Randstimme bei gleichzeitigen klanglichen Ausgleich.
    - Beim "Dach": sind Wiedererkennungfaktor, Unverwechselbarkeit und Individualität nicht Synonyme? und zum Timbre s. 2. Spiegelstrich.


    Jetzt meine generelle Anmerkung bzw. Frage:


    Nach sehr langer Pause "erobere" ich mir jetzt wieder die Oper, meine CD stammen überwiegend aus Konzert, Lied, Oratorium, alte Musik. Dabei muß ich gestehen, dass die Sänger aus dem Opern- und Konzertbereich, die ich spontan nach wenigen Tönen erkenne, wohl an meinen Händen abzuzählen sind, wobei auch dann noch Verwechslungen vorkommen können. Für mich jedenfalls als Opern-Neueinsteiger ist der Eindruck entstanden, dass die Idealvorstellungen zum Europäischen Gesang relativ eng sind und die Unverwechselbarkeit nur auf wenige Ausnahmesänger zutrifft. Und vergleiche ich diese Situation mit anderen Musikbereichen, z.B. dem Jazz- und Bluesgesang, so kommt mir der klassische Gesang im Bezug zur Individualität sehr ärmlich vor.


    Ich frage mich nun, ob die Versuche, zu einer "objektiven" Beurteilungsgrundlage für Stimme und Gesang zu kommen nicht auch in Richtung Vereinheitlichung und noch weiterer Entindividualisierung gehen. In einem Gesangsforum sprach ein Gesangslehrer gar von "internationalem Gesangsstandard", und diesen Standard müßte ein Sänger schon erfüllen, um Erfolgreich zu sein. Engen wir uns in der Akzeptanz individueller Vielfältigkeit (diese evtl. auch zu Lasten einzelner von Dir genannter Parameter) ein und entgeht uns musikalischer Genuß, wenn wir sozusagen buchhalterisch nach festgelegten Kriterien sortieren und bewerten, inwieweit diese Kriterien erfüllt werden?


    Beste Grüße
    Manuel García

  • Zitat

    Original von operus
    ...Wenn wir dabei in einer Klasse von Corelli und Co diskutieren wird uns auch kaum jemand pures Unverständnis vorwerfen können.



    Hallo,


    "...in einer Klasse..."; "...diskutieren..." ;)


    Ketzerische Fragen:


    Welche Klasse (Sänger, Opernsänger...ganz allgemein?) und wer hat diese bestimmt und wonach? Dieses ist doch eine Bewertung oder nicht?


    Was wird denn diskutiert, wenn man einer Meinung ist...?



    Nochmals: Ich möchte niemanden seinen persönlichen Hörgenuss ausreden oder absprechen. Ob ein Sänger oder eine Stimme persönlich "gefällt" oder nicht ist nicht das Thema (siehe Threadtitel). Die Kritik einer Gesangsleistung und deren Kriterien ist kein persönlicher Angriff auf den Hörer.


    Bis dann.

  • Lieber Keith 63,


    bereits mit meiner ersten Antwort habe ich Dir bestätigt, dass Du mit Deinen Beurteilungskriterien und vor allem der Gewichtung eine ausgezeichnete Basis zur halbwegs objektiven Sängerbeurteilung geschaffen hast. Dank und Kompiment.
    Nur - und da wollte ich etwas gegensteuern, das ist die eine Seite der Medaille, die andere ist die emotionale Erlebnisqualität des Hörenden und seine besonderen Vorlieben, die neben allen kognitiven Erkenntnissen sein pesönliches Urteil prägen. (Siehe Kesting und seine nie zu erschüttenden Urteile über Maria Callas, selbst in ihren Krisenzeiten.)
    Die Klasse eines Sängers wird bestimmt durch Fachurteile, Rezensionen, Wettbewerbe, Opernhäuser an denen er singt, die Phonoindustrie, die Medien, die Popularität, das sich daraus ergebende Image usw.
    Mit Kristin habe ich in der Tat weinig zu diskutieren weil wir bei Franco Corelli einer Meinung sind. Nur Du weißt selbst sehr gut, dass gerade Corelli, auch hier im Forum, stark angegriffen wird. Ab jetzt ginge die Diskussion mit den "Corelli-Gegnern" los. Deshalb meinte ich Kristin sollte
    sich in ihrer persönlich positiven Meinung nicht erschüttern lassen.
    Übrigens greifst Du zur Untermauerung Deiner Urteile auf anerkannte Quellen zurück. Hier würde ich Dir noch das Buch "The grand Tradition" von John Steane und dessen Serie über die 100 berühmtesten Opernsänger in "Opera Now" empfehlen. Objektives Urteil oder auch wieder persönlich gefärbte Vorlieben? Was überwiegt, was gilt?
    Herzlichst
    Operus

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  • Hallo Operus,


    o. k.
    Aber bei Corelli sind auch wir einer Meinung (s. o.)! Das Stimmmaterial (bes. die Durchschlagskraft), die Expression (trotz Lispelns) und das Timbre (Wiedererkennungsfaktor bzw. Individualität) sind überwältigend.


    Vielen Dank für den Literaturtipp. Ich habe das Werk von J. Steane vor einiger Zeit einmal gelesen, aber nicht selbst zur Hand, so dass ich diesen nicht zitieren und als Quellenangabe angeben konnte.


    Tschüss.
    Bis dann.

  • Meine Lieben!


    Das mit dem Bauchgefühl, vielleich ist Intention besser ausgedrückt, war vielleicht nicht ganz richtig ausgedrückt, aber Franco Corelli hatte ich immer gerne,


    und lispeln, das ist mir nie aufgefallen.


    Aber nun zu meiner absoluten Lieblingssängerin Hilde Güden,


    die mochte ich in ihrer Glanzzeit und auch dann später noch,wo man schon merkte, dass sie nicht mehr ganz so war, wie früher.


    Ich denke überhaupt, zumindest war es in Wien so, dass wir unsere Sängerinnen, wie Hilde Zadek, Sena Jurinac, Christel Goltz......,oder unsere Tenöre wie Kmentt, Dermota, sowie Baritonen wie Kunz und Berry........ immer hoch schätzten, auch wenn die Stimme nachließ.


    Möglich, dass das künstlerisch nicht richtig ist, aber wir haben zu unseren Sängern gehalten, wenn sie gut waren, dann haben wir auch zu ihnen gehalten als ihre Strahlkraft nachließ.


    Liebe Grüße sendet Euch Peter aus dem regnerischen Wien. :hello: :hello:

  • Lieber Peter,


    genau das ist es! Deshalb ist Wien m. E. die Weltstadt der Oper, deshalb hat die Staatsoper die meisten Aufführungen im Jahr, deshalb werden in Östereich und speziell in Wien die höchsten Eintrittspreise für die Oper bezahlt, deshalb sind die Freunde der Wiener Staatsoper weltweit die stärkste Vereinigung dieser Art, deshalb hat das Wiener Publikum auch diese ganz besondere Beziehung zu seinen Sängerlieblingen und hält diesen ewig die Treue, deshalb sind auffälig viele Wiener und Österreicher Musikfreunde engagierte Diskussionspartner in unserem Foraum, deshalb konnte das Tamino-Klassik-Forum auch nur von einem Wiener gestartet werden.
    Also glückliches Österreich!
    Herzlichst
    Operus
    P.S. Übrigens war meine Mutter eine Wienerin und hat mich schon als Bub an Konzert und Oper herangeführt.

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  • Lieber Operus!


    Dich würde ich als Wiener Bürgermeister zu einem


    Ehrenwiener


    machen,


    so mache ich es als unpolitischer Mensch, denn Du hast genau die SängerInnen gern, die ich, und viele Opernbesucher, ins Herz geschlossen haben.


    Liebe Grüße an Dich, sowieso halber Wiener, Peter aus Wien. :hello:

  • Hallo Manuel García,


    zu Deinem Diskussionsbeitrag und Fragen folgende Antworten:


    Stimmvolumen und Stimmstärke:
    Stimmvolumen ist die Fülle, Rundung und Dynamik der Stimmen. Es ist nicht die Durchschlagskraft und der sogenannte Glanz der Stimme (vgl. Kesting, Jürgen; Maria Callas; München; 3. Auflage 2000; Seite 418 ). Stimmstärke definiere ich enger, als Lautstärke oder 'gar Schallkraft; als Funktion des Anblasedrucks.


    Timbre:
    Ja, alle Parameter meiner Kategorie ‚Stimme’ (und ‚Technik’) bedingen das Timbre. Mein Ansatz (Arbeitsprogramm) legt vielleicht willkürlich 4 Bereiche zugrunde; es erleichtert mir jedoch die Analyse und Bewertung. Darüber hinaus ist der eigenständige Bereich ‚Timbre’ ein gewisses „Korrektiv“, um einer möglichen Überbewertung des Bereichs ‚Technik’ entgegen zu wirken. Ich halte das individuelle, unverwechselbare und mit hohem Wiedererkennungsfaktor ausgestattete Timbre für außerordentlich wichtig, deshalb 25 Prozentanteile. Als Beispiele für Stimmen mit höchsten Wiedererkennungsfaktor möchte ich M. Callas (schon wieder…) und L. Pavarotti nennen. Besonders letztgenannten erwähne ich, da dieser nicht unbedingt zu meinen Lieblingssängern gehört, um meinen Anspruch der „Objektivität“ zu unterstreichen. Pavarottis Timbre ist einmalig, unabhängig ob das Timbre gefällt oder nicht!
    Die Ausprägung des eigenen Timbres war schon zur Belcanto-Ära ein wichtiges Ziel der Gesangsausbildung (vgl. Rodolfo Celletti; Geschichte des Belcanto; Kassel, 1. Auflage 1989; Seite 15). Um sehr speziellen Differenzierungen der Wortauslegung vorzugreifen, habe ich mehrere ähnliche oder gleichbedeutende (?) Begriffe verwendet.


    Tragfähigkeit der Stimme:
    Ja, gehört auf jeden Fall dazu. Danke.


    Registerausgleich und Passaggio:
    Meine Unterscheidung der Begriffe resultiert aus der Erkenntnis, dass die Gesangsexperten von unterschiedlicher Registeranzahl ausgehen. Einige benennen 2, andere 3 und wieder andere sogar 4 Register. Der Begriff ‚Passaggio’ aus der italienischen Gesangsschule (wenn man dieses überhaupt so sagen darf) bedeutet den Übergang zwischen Brust- und Kopfregister und beginnt bei E und F über dem mittleren C (vgl. Fischer, Jens Malte; Großen Stimmen von Enrico Caruso bis Jessye Norman; Stuttgart; 1. Auflage 1995; Seite 606f).


    Übergangstöne (vgl. Seidner, Wolfram und Wendler, Jürgen; Die Singstimme, Phoniatrische Grundlagen der Gesangsausbildung; Berlin; 3. erweiterte Auflage 1997; Seite 104):
    Bass: a bis d1
    Bariton: h bis e1
    Tenor: d1 bis f1
    Alt und Mezzo: h1, c2 bis d2, e2
    Sopran: d2 bis f2
    (evtl. auch größere Bereiche).


    M. E. verwendet man den Begriff „Passaggio“ bei Unterstellung zweier Register. Wenn es jedoch mehr als 2 Register und eine weitere Überbrückungsstelle geben sollte, halte ich es für angebracht eine Begriffsdifferenzierung vorzunehmen.


    Individualität vs. Vereinheitlichung der Gesangskunst:
    Ich hoffe auf und glaube an die Individualität der Stimmen. Eine weltweit einheitliche Gesangsschule gibt es darüber hinaus nicht. Trotzdem gibt es modische Präferenzen. Um es drastisch zu simplifizieren: Belcantogesang…Übergangsphase…veristischer Gesang und deutsche Gesangsschule (siehe Julius Hey im Zusammenhang mit Richard Wagner)...Renaissance des (nachempfundenen) Belcantogesangs... [Weitere nationale Unterscheidungen einmal unbeachtet.]


    Objektivierung – Vereinheitlichung:
    Mein Ansatz ist der Versuch einer „objektivierenden“ Betrachtung zwecks Analyse und Bewertung. Ich kann „buchhalterisch nach festgelegten Kriterien“ insbesondere Gesangsleistungen der Tonkonserve analysieren und bewerten, ohne dass mir die Freude an der Musik versagt bleibt. Gut ist gut und Mist ist Mist – reine Heldenanbetung reicht mir persönlich nicht. Ist doch spannend sich damit auseinanderzusetzen um zu erfahren, warum es gut oder schlecht ist bzw. was 'gut' bedeutet.
    Ich habe vor Sängern in einer (Live-)Opernaufführung den höchsten Respekt und betrachte es in erster Linie als Genuss und nicht als Abend der Kritikarbeit.


    Bis dann.

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