Hänsel & Gretel: Sozialdrama oder "nur" romantisches Märchen?

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Pace, lieber Peter, ich versuche jetzt mal, Knuspi zu verstehen. Was den die Bäume hochtreibt ist weniger der Umstand der Existenz des sogen. Regietheaters (was auch immer meinen sol), sondern die Tatsache, daß er die Sachen, so wie er sie gerne sehen möchte, einfach nicht mehr geboten bekommt. Das ist freilich zum Mäusemelken, und das meine ich völlig ernst und ohne jede Ironie. In anderen Lebensbereichen kann man ja noch flüchten: wer die zeitgenössische Architektur nicht mag, der kann immer noch in einen Altbau ziehen, wem die Stadt zu laut ist, nun, der zieht aufs Land.


    Bei der Oper hingegen scheint's die Alternativen offensichtlich nicht zu geben. Aus Sicht derjenigen, die moderne Inszenierungsformen ablehnen (Knuspi hat da ja treffliche Gesellschaft bei Alfred) lässt sich immerhin feststellen, daß ich dem Besucher eine gewisse Breite in der Deutungsmöglichkeit wegnehme, indem ich mich auf einen bestimmten Deutungsaspekt festlege. Auf jeden Fall beraube ich ebenso ernst zu nehmende Fraktion von Opernliebhabern ihrer (Wunsch-)Bilder.


    In dem Punkt habe ich Knuspi mehrfach zugestimmt und mein Verständnis signalisiert. Warum er jetzt ausgerechnet bei mir anfängt, sich in dieser Art zu äußern, kann ich nicht nachvollziehen.


    Zitat

    Beide Positionen werden sich wohl kaum vermitteln lassen, jedenfalls dann nicht, wenn die Fraktion Alfred, Knuspi et altri auf ausschließlichen Konservenkonsum verwiesen wird und vom Opernbesuch, wie sich sich das vorstellen ausgeschlossen.


    Und vor diesem Hintergrund köchelt es bei den beiden gewaltig. Wie hier nachzulesen ist. Auch wenn ich ihre Auffassung oft nicht teile, verstehen kann ich's schon.


    Liebe Thomas, für mich gibt es wesentlich zu wenige Alternativen zu Gluck-Opern-Aufführungen - ich bin dann auf die eine "Iphigenie" angewiesen, wenn es sie überhaupt gibt. Dabei reise ich noch durch die Lande. Beschimpfe ich deshalb die Nicht-Gluck-Liebhaber? Was ist das für eine Art, aus dem eigenen Missvergnügen die Rechtfertigung zu ziehen, andere zu beschimpfen, die im Moment von dem Theater bedient werden?


    Ich bin auf jeden Fall über jede Gluck-Oper froh und frage gar nicht erst, wie sie inszeniert ist.


    Liebe Grüße Peter

  • Ich persönlich sehe da keine Zeitkritik drin,


    arbeitende Kinder, ja die gab es zu Humperdincks Zeiten, aber ich will doch nicht in die Oper gehen um Sozailkritik zu üben,


    ich sehe hier eine bezaubernde Oper, das Thema ist wenn man Märchen ernst nimmt ja grausam, aber ist die Wirklichkeitt nicht auch grausam?


    In der Oper sehe ich die relativ heile Welt "Wenn die Not am höchsten schreit...."


    Da habe ich die bezaubernde VHS Kasette, mit


    Hänsel - Brigitte Fassbaender,
    Gretel - Edita Guberova,
    Vater - Hermann Prey,
    Mutter - Helga Dernesch,
    Hexe - Sena Jurinac
    Sandmänchen - Norma Burrowes,
    Taumännchen - Elfriede Höbarth


    Die Wiener Sängerknaben, die Wiener Philharmoniker unter
    Sir Georg Solti


    Gerhard Janda, mit dem ich befreundet bin, hat da ein bezauberndes Bühnenbild geschaffen,


    und was will man mehr.


    Das ist ähnlich wie mit der Puppenfee, es ist für viele Kinder der Einstieg zur klassischen Musik, wenn auch Humperdinck nicht zur Klassik gehört,
    er hat sehr nett Kinderlieder mit seiner Musik verbunden.


    Und mir gefällt der Abendsegen, die Engel die da heruntersteigen,


    vielleicht bin ich noch kindlich im Gemüt, aber es schadet mir nicht, wenn ich da nicht gleich an sozialkritische Themen denke.

  • Zitat

    Original von oper337
    vielleicht bin ich noch kindlich im Gemüt, aber es schadet mir nicht, wenn ich da nicht gleich an sozialkritische Themen denke.


    Natürlich schadet es nicht. Es macht ja auch niemand einen Vorwurf.
    Genauso sollte es aber auch Musikliebhaber anderen Geschmacks zulässig sein es eben nicht in dieser Weise sehen bzw. hören zu wollen.
    Ich suche bei Opernbesuchen und im speziellen bei der Regie immer nach Inspiration im Sinne von interessanter Textdeutung da für mich die Kunst in der Hauptsache durch die Interpretation lebt und besteht. Ich will keinen "schönen Abend" verbringen sondern ich will gepackt und mitgerissen werden. Insofern brauche ich einen Regisseur ( und auch Dirigenten ) der sich sowohl tiefer mit dem Text und der Musik ausseinandersetzt als bloße Ausführung der Anweisungen.
    Dies unterscheidet sich natürlich stark von Komponist zu Komponist ( z.B. Strawinsky fordert den Dirigenten dezidiert auf nicht zu "interpretiern" sonder "auszuführen" ) aber Humperdinck hat soviel wunderbares in seiner Musik hinterlassen das es sich einfach lohnt diese Dinge auch hörbar zu machen genauso wie Witte im Text mehr bringt als ein bloßes "Kennenlernstück" für Kinder. Das wird mMn dem Werk in seiner Gesamtheit nicht gerecht.

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Ich bin schon erstaunt, welchen Ausbruch an Unfreundlichkeit diese Feststellung macht, die Du in jedem Buch über Interpretationen finden kannst - dass die Selbstausagen der Autoren über Werke ebenso Interpretationen sind und nicht mehr und nicht weniger Gewicht als jene anderer Hörer/Leser haben. Warum ist es, wenn ich diese Trivialität hier wiederhole, bei Dir "arrogant"?


    Also, ich fühlte mich von Deinem Statement etwas lapidar abgespeist. Wahrscheinlich weil Du mit Wucht in die von Thomas Pape - Danke Thomas - sehr einfühlsam beschrieben Wunde geschlagen hast, die Alfred und mich sehr schmerzt.


    Wenn ich Dich missverstanden haben sollte, so bitte ich um Entschuldigung, aber Deine Meinung ist mir immer noch nicht klar.

  • Zitat

    Original von Knusperhexe


    Also, ich fühlte mich von Deinem Statement etwas lapidar abgespeist. Wahrscheinlich weil Du mit Wucht in die von Thomas Pape - Danke Thomas - sehr einfühlsam beschrieben Wunde geschlagen hast, die Alfred und mich sehr schmerzt.


    Wenn ich Dich missverstanden haben sollte, so bitte ich um Entschuldigung, aber Deine Meinung ist mir immer noch nicht klar.


    Es kostet hier nichts, nachzufragen, wenn ein Satz zu knapp ausgefallen ist. Wo der Satz Wunden aufgerissen haben sollte, ist mir nicht klar. Ich schreibe es gerne auch ausführlicher:


    Es ging wohlgemerkt um das Libretto. Das besteht aus einem Text, dessen Worte verstanden werden wollen. Ich kann nun versuchen, diesen Text so zu verstehen, wie er "gemeint" ist. Dafür brauche ich ein großes Instrumentarium im Rahmen einer philologischen Arbeit. Selbst da werden Äußerungen der Autorin, wie der Text gemeint ist, zwar berücksichtigt, aber sind zweitrangig. Entscheidend ist, wie man (bei aller Mühe) den Text versteht, nicht wie er gemeint ist. Wie er gemeint ist, wird man ohnedies nur vermuten können, denn auch die Äußerungen über die eigenen Intentionen sind selbst wieder Interpretationen, die von dem abweichen, was im Text steht.


    Aber es reicht ja diese philologische Rekonstruktion einer vorgestellten Intention nicht aus. Die Wirkung des Textes heute ist entscheidend. Wenn ein Gebet "fromm" gemeint ist, heute aber als "frömmelnd" verstanden wird, müsste man den Wortlaut ändern, um es "fromm" zu machen. Tut man es nicht (und das ist ja die Regel, ob "Hänsel und Gretel" oder "Freischütz"), so ist die Wirkung des Gebetes unwahr - und den Text pflegt man als Kitsch zu bezeichnen. Selbstverständlich wollte die Autorin keinen Kitsch schreiben, sondern ein frommes Gebet - das ist ihr vielleicht ihrer eigenen Meinung nach gelungen - aber dann habe ich eben die (durchaus normale) Differenz zwischen Intention und Wirkung.


    Was den Text "rettet" (wie so viele Libretto-Texte) ist die Musik, die da ein wahrhaftiges Gefühl vermittelt, wo die Wörter für uns heute fragwürdig geworden sind. Das sind aber dann diese Stellen, bei denen man heute aufpassen muss, dass sie in der Interpretation nicht dieses Quäntchen Gefühl zuviel haben, das nun das Gesamte zum Kitsch werden lässt.


    Eine letzte Erklärung zu "was im Libretto steht": Literatur ist Kommunikation wie jede andere Form der Sprache. Es gibt dabei grob gesagt einen Sprecher und einen Hörer. Das eigenartige an geschriebener Literatur ist, dass es sich um eine "gefrorene" Kommunikation handelt, die erst wieder durch das Lesen bzw. das Sprechen bzw. das Singen aktuell wird: aber die Aktualisierung heißt eben, dass es Denotate (das "Objektive" des Wortgehaltes) und Konnotate (das "Subjektive" des Wortgehaltes) gibt - aus beiden Elementen erschließe ich als Hörer die Bedeutung des Gesagten. Mit dem Gesagten wird eine Beziehung zwischen Hörer und Text (hinter dem der Autor steht) hergestellt, in die sowohl der Autor wie der Hörer als "Schöpfer" der Kommunikation eingehen. Ein vom Leser/Hörer unabhängig bestehender "idealer" Text ist ... eben "idealisiert", den gibt es nicht.


    Bei schlechten Texten ist die Differenz von "gewollt" und vom Hörer/Leser "verstanden" eine, die man gerne als "gewollt, aber nicht gekonnt" kennzeichnet, bei literarisch guten Texten ist die Differenz zwischen "gewollt" und "verstanden" eine, die bei jeder erneuten Kommunikation Schichten freilegt, die uns berühren, von denen wir aber ausgehen müssen, dass sie vom Künstler zwar so angelegt sind, aber unbewusst. Auch hier ist es das Gleiche, ich zitiere mich "Worum es ihm ging" (z.B. bei einer jungen Dame Eindruck zu machen) "ist das eine, was aber im Text steht" (das was wir heute in der Marienbader Elegie lesen) "das andere".


    Was zum Henker ist daran verletzend, wenn ich das feststelle?


    Peter

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  • Zitat

    Original von pbrixius


    Was zum Henker ist daran verletzend, wenn ich das feststelle?


    Hallo Peter,


    vielen Dank, dass Du Dir so viel Mühe gemacht hast und mir Deinen Standpunkt näher erläutert hast.


    Ja, was ist daran verletzend? Es liegt wohl an meiner "Habachtstellung", die in Aussagen, so wie Du sie formulierst direkt einen Angriff gegen Alfreds und mein Theaterverständnis sehen. Ist ja auch oft genug vorgekommen. :DNicht nur hier im Forum, sondern beim Blick in die Rezensionen.


    Grundsätzlich gibt es für mich nichts veraltetes in den Libretti. In keinem. Bei "Hänsel und Gretel" gerate ich in Harnisch, wenn eine Frau Heidenreich die Texte modernisiert oder Regietheaterjünger meinen, dass die Botschaft in heutige Bilder übersetzt werden muss.


    In Berlin z.B gibt es einen Bühnenbildklasse für arbeitslose Architekten. Da gab es einen hochdotierten Wettbewerb zum Humperdinck. Guck Dir mal die Modellfotos an. Für mich ist das billigstes Kunstgewerbe, was da rausgekommen ist. An die Seele des Werks ist da keiner rangekommen. Und mir ist ein handwerklich gut gemaltes illusiionistisches Bühnenbild 1.000 Mal lieber als dieser pseudointellektuelle Krampf.


    Und ich werde nie nachvollziehen könne, wieso die Sichtweise auf die Werke, die über Jahrhunderte mehr oder weniger in gleichen Bahnen verlief, innerhalb der letzten 20 Jahre rigoros ausgemerzt wurde.



    Dass Du die Dusche dafür abgekriegt hast, tut mir leid. Aber gerade beim Humperdinck sehe ich rot. Ich wage mal zu sagen, dass es nichts gibt, was ich nicht zu diesem Komponisten gelesen habe. Von Programmheften der Jahrhundertwende bis zu Rezensionen und persönlichen Briefwechseln. Daher habe ich wohl in Deine Aussagen zu viel reininterpretiert.


    Viele Grüße,


    Christoph

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Ja, was ist daran verletzend? Es liegt wohl an meiner "Habachtstellung", die in Aussagen, so wie Du sie formulierst direkt einen Angriff gegen Alfreds und mein Theaterverständnis sehen. Ist ja auch oft genug vorgekommen. :DNicht nur hier im Forum, sondern beim Blick in die Rezensionen.


    Ich denke, lieber Knuspi, dass die Welt groß genug ist für eine Anzahl unterschiedlicher Theaterverständnisse. Was man mir allenfalls vorwerfen kann: Ich relativiere die anscheinend antagonistischen Positionen und versuche sie in der Gesamtheit zu verstehen. Das wird jedem Ultra - von der einen wie von der anderen Seite - etwas abverlangen, macht aber den Raum möglich, in dem man überhaupt diskutieren kann.


    Zitat

    Grundsätzlich gibt es für mich nichts veraltetes in den Libretti. In keinem. Bei "Hänsel und Gretel" gerate ich in Harnisch, wenn eine Frau Heidenreich die Texte modernisiert oder Regietheaterjünger meinen, dass die Botschaft in heutige Bilder übersetzt werden muss.


    Ich bin auch entschieden gegen die Eingriffe in den Text (das betrifft ja in gewisser Weise auch Übersetzungen), Praktiker pflegen sie mit unterschiedlichen Argumenten zu verteidigen. Wann hast Du schon mal eine "Zauberflöte" mit den kompletten Dialogen gesehen? Folge: Es hält sich hartnäckig die Ansicht, Sarastro habe Monostatos die Bastonade verabreichen lassen. Im Dialog steht aber, dass er davon absah ...


    Allerdings gibt es ein Problem, mir ist es gleich wie man es nennt, aber es besteht: Wörter sind in der heutigen Sprache ungewöhnlich geworden, haben ihren Sinn verändert - und können so den unbefangenen Hörer abstoßen oder am Verständnis hindern. Wenn ich dafür votiere, trotzdem den Originaltext des Fidelios zu benutzen, nehme ich eine "Extremposition" ein, die am Ende auch nicht von "konservativen" Regisseuren geteilt wird. Die Verballhornung des "Freischütz" durch neue Texte (wie in der Weil-Einspielung dokumentiert) kann auch mich zur Weißglut bringen. Aber ich muss damit leben, dass man dem heutigen Publikum diese gesprochenen Texte nicht mehr zumuten will. Gesungen werden dürfen sie, aber gesprochen nicht.


    Gerade deshalb ist es mir so wichtig, das Kunstwerk nicht von dem historischen Verständnis abzukoppeln (und deshalb möchte ich auch den Musikunterricht nicht abgeschafft haben - wenn Musik- & Literaturunterricht aus der Schule verschwunden sind, wird auch das Verständnis von historischen Texten verschwunden sein, ob nun in der Matthäus-Passion oder im Freischütz - oder auch in "Hänsel und Gretel".


    Zitat

    Dass Du die Dusche dafür abgekriegt hast, tut mir leid. Aber gerade beim Humperdinck sehe ich rot. Ich wage mal zu sagen, dass es nichts gibt, was ich nicht zu diesem Komponisten gelesen habe. Von Programmheften der Jahrhundertwende bis zu Rezensionen und persönlichen Briefwechseln. Daher habe ich wohl in Deine Aussagemn zu viel reininterpretiert.


    Nun, mit Duschen kann ich leben - ich wehre mich nur mit Nachdruck dagegen, wenn ich ein falsches Etikett aufgeklebt bekomme. Es mag ja nicht immer alles für jeden verständlich sein, was ich schreibe, obwohl ich mich sehr um Verständlichkeit bemühe. Aber dann bitte ich darum, einfach nachzufragen ...


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Allerdings gibt es ein Problem, mir ist es gleich wie man es nennt, aber es besteht: Wörter sind in der heutigen Sprache ungewöhnlich geworden, haben ihren Sinn verändert - und können so den unbefangenen Hörer abstoßen oder am Verständnis hindern. Wenn ich dafür votiere, trotzdem den Originaltext des Fidelios zu benutzen, nehme ich eine "Extremposition" ein, die am Ende auch nicht von "konservativen" Regisseuren geteilt wird. Die Verballhornung des "Freischütz" durch neue Texte (wie in der Weil-Einspielung dokumentiert) kann auch mich zur Weißglut bringen. Aber ich muss damit leben, dass man dem heutigen Publikum diese gesprochenen Texte nicht mehr zumuten will. Gesungen werden dürfen sie, aber gesprochen nicht.


    Du, in Köln wurde bei der letzten Freischütz-Inszenierung fast gar nichts an den Dialogen gestrichen. Ich fand das ganz toll, s.Thread.


    Bin leider gerade im Stress. demnächst wieder mehr.


    Liebe Grüße,


    Christoph

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Aber es reicht ja diese philologische Rekonstruktion einer vorgestellten Intention nicht aus. Die Wirkung des Textes heute ist entscheidend. Wenn ein Gebet "fromm" gemeint ist, heute aber als "frömmelnd" verstanden wird, müsste man den Wortlaut ändern, um es "fromm" zu machen. Tut man es nicht (und das ist ja die Regel, ob "Hänsel und Gretel" oder "Freischütz"), so ist die Wirkung des Gebetes unwahr - und den Text pflegt man als Kitsch zu bezeichnen.


    Hallo Peter,


    das ist ein nachvollziehbarer Gedanke. Mein Problem daran ist, dass Du davon ausgehst, dass heute etwas, was "fromm" gemeint war, als "frömmelnd" verstanden wird. Verstanden wird? Von wem? Muss ich mich nach dem richten? Wieso gerade nach dem?


    Ich wünsche mir (wie schon oft gesagt) auch für die eine Aufführung, die das, was als fromm gemeint war, nicht als frömmelnd verstehen würden, selbst wenn sie selbst Atheisten sind.


    Ich wünsche mir eine differenziertere Betrachtung des Publikums.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Mein Problem daran ist, dass Du davon ausgehst, dass heute etwas, was "fromm" gemeint war, als "frömmelnd" verstanden wird. Verstanden wird? Von wem? Muss ich mich nach dem richten? Wieso gerade nach dem?


    Zum einen muss das "fromm" Gemeinte nicht als "frömmelnd" verstanden werden. Aber die Tendenz ist, dass die Betonung des Gefühlsmäßigen (ein anderes Beispiel wäre das "Pathos", bzw. das Pathetische) heute skeptischer gesehen wird als vor 100 Jahren. Da gehen gerade auch die geschichtlichen Erfahrungen der letzten 100 Jahr mit ein.


    Wenn Du jetzt fragt "Von wem", dann kann ich antworten "Von mir nicht, aber von den meisten Leuten, sie ich kenne". Das gilt auch die die "frommen" Leute, die ihre Frömmigkeit sehr viel vernunftbetonter (vom Kopf her) äußern als gefühlsmäßig. Wenn das Wort "Kitsch" fällt, bezieht es sich häufig genug gerade auf den Bereich des Religiösen.


    "Muss ich mich danach richten" - selbstverständlich nein, tue ich auch nicht. Aber ich muss auch sehen, dass ich da eine Minderheitsposition einnehme. Das quasi "negativ" zu benennen, ist einfacher als zu sagen "Wer ist denn das (Durchschnitts-)Publikum und wie empfindet das?" Im Streit der Parteien vereinnahmt jede Seite das Publikum, deshalb ist die Übersicht nicht einfach und die Argumentation meist eher indirekt. Selbst die soziologischen Studien werden von denen begrüßt, deren Meinung sie scheinbar stärken, und von denen in Frage gestellt, deren Meinung sie widersprechen.


    Wenn wir uns da wenigstens einmal einig sein, dass moderne Inszenierungen, selbst wenn sie als kontrovers gehandelt werden, Ausdruck eines Zeitgeistes sind und nicht Willkürakte der jeweiligen Regisseure, können wir Aussagen machen, die der Wirklichkeit der Rezeption von Bühnenwerken näher kommen. Sie sind nicht der Zeitgeist, es gibt widersprüchliche Strömungen: Wo die eine Richtung den "Kopf" überbetont, betont die andere den "Bauch" über - je extremer die eine Richtung, umso extremer die andere Richtung. Wenn man da das Schlagwort vom "Verlust der Mitte" benutzte, so nur, um die Schwierigkeit zu beschreiben, überhaupt zwischen zweien sich scheinbar ausschließenden Richtung zu vermitteln. Dabei bedingen sich beide, keine wäre ohne die andere in ihrer Gestalt vorhanden.


    Während also beispielweise in der katholischen Kirche das "Fromme" immer stärker vom Kognitiven her gesehen wird (die Kirche sich protestantisiert), wird in außerkirchlichen Sekten umso mehr von einem empathischen Einverständnis ausgegangen.


    Zitat

    Ich wünsche mir (wie schon oft gesagt) auch für die eine Aufführung, die das, was als fromm gemeint war, nicht als frömmelnd verstehen würden, selbst wenn sie selbst Atheisten sind.


    Die "moderne" Frage ist wohl die, was das Fromme in Räumen außerhalb der Kirche zu suchen hat (wie die Frommen fragen, was die Darstellung der Frömmigkeit auf der Bühne zu suchen hat). Aber das ist ein weites Feld ...



    Zitat

    Ich wünsche mir eine differenziertere Betrachtung des Publikums.
    :hello:


    Das Problem noch einmal kurz gefasst: entweder fasse ich das Publikum von der Soziologie, sagen wir von der Statistik her. Da ist es keine Frage, dass es nicht "das" Publikum gibt, sondern Gruppen, die mit prozentuellem Anteil voneinander geschieden werde können. Damit habe ich vom Quantitativen eine differenzierte Betrachtung. Willst Du eine differenzierte Betrachtung von Seiten des Qualitativen, denn wirst Du sagen können, dass es sowohl das "sich identifizierende" Publikum gibt (das die Gefühlswelt des Abendsegens zu Tränen rührt) und das "skeptisch teilhabende" Publikum (das sich beim Abendsegen evt. peinlich berührt fühlt). Letzten Endes muss hier die Kommunikation zwischen Künstler und Publikum klappen (und das ist eine Gratwanderung)


    LG Peter

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    Original von pbrixius
    "Muss ich mich danach richten" - selbstverständlich nein, tue ich auch nicht. Aber ich muss auch sehen, dass ich da eine Minderheitsposition einnehme. Das quasi "negativ" zu benennen, ist einfacher als zu sagen "Wer ist denn das (Durchschnitts-)Publikum und wie empfindet das?" Im Streit der Parteien vereinnahmt jede Seite das Publikum, deshalb ist die Übersicht nicht einfach und die Argumentation meist eher indirekt. Selbst die soziologischen Studien werden von denen begrüßt, deren Meinung sie scheinbar stärken, und von denen in Frage gestellt, deren Meinung sie widersprechen.


    Es kommt noch dazu, dass das Publikum auch vom Angebot abhängt: Viele, die den gegenwärtigen Betrieb nicht mögen, bleiben zu Hause. Ein quantitatives Abwägen (das qualitative Abwägen der Publikumsteile habe ich gar nicht erwogen) ist also immer riskant.

    Zitat

    Während also beispielweise in der katholischen Kirche das "Fromme" immer stärker vom Kognitiven her gesehen wird (die Kirche sich protestantisiert), wird in außerkirchlichen Sekten umso mehr von einem empathischen Einverständnis ausgegangen.


    Ich hoffe aber, dass zumindest viele - zumindest genug Leute für die Rentabilität einer Aufführung (gibt es die überhaupt, die Rentabilität?) - die sich mit älterer Kunst/Literatur/Musik beschäftigen (also alles, was älter ist als z.B. 50 Jahre), sich ein wenig bemühen, die historisch bedingten anderen Sicht- und Ausdrucksweisen zu verstehen und mitzuempfinden. Eine schwarz-weiß-Sicht diesbezüglich, die alle Einfühlungsversuche ablehnt, die nicht einen akademisch-geschichtlichen Hintergrund haben, halte ich für übertrieben. Wie Du auch schon schriebst, bleiben in jedem Fall Reste der Verständnislosigkeit, damit kann man aber leben.

    Zitat

    Letzten Endes muss hier die Kommunikation zwischen Künstler und Publikum klappen (und das ist eine Gratwanderung)


    Und je mehr verschiedene - ja unvereinbare - Publikumsschichten man mit verschiedenen Konzepten bedient, umso mehr Kommunikation findet insgesamt statt. "Das Publikum" als Ganzes kann man nicht mit einem Modell beglücken.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Es kommt noch dazu, dass das Publikum auch vom Angebot abhängt: Viele, die den gegenwärtigen Betrieb nicht mögen, bleiben zu Hause. Ein quantitatives Abwägen (das qualitative Abwägen der Publikumsteile habe ich gar nicht erwogen) ist also immer riskant.


    Das ist eine Frage der statistischen Erhebung. Die eines Opernhauses selbst, da stimme ich Dir zu, ist aus dem von Dir genannten Grunde problematisch. Ich kann nur vermuten, dass die Zahl der Zuhausegebliebenen signifikant ist, allerdings auch nicht eine Mehrheit - sonst wäre ja die Lust an Skandalen schon vergangen, es gibt immer noch genügend Leute im Publikum, die sich provozieren lassen. Aber eine musiksoziologische Studie wird sich nicht auf die Besucher einer bestimmten Oper beschränken.


    Zitat

    Ich hoffe aber, dass zumindest viele - zumindest genug Leute für die Rentabilität einer Aufführung (gibt es die überhaupt, die Rentabilität?) - die sich mit älterer Kunst/Literatur/Musik beschäftigen (also alles, was älter ist als z.B. 50 Jahre), sich ein wenig bemühen, die historisch bedingten anderen Sicht- und Ausdrucksweisen zu verstehen und mitzuempfinden.


    Das Beschäftigen ist ja nicht so sehr das Problem (es ist auch eines), sondern das nicht wahrgenommene Missverstehen. Wenn ich in Pathos gleich falsches Pathos höre, unterstelle ich dem Komponisten eben das Unwahre, nicht das Wahre, wenn ich in einer Aufführung das Pathos zur Sprache kommen lasse - also entpathetisiere ich und bin der festen Überzeugung, dass ich jetzt genau das Wahre und Richtige tue - und früher eben das Verlogene und Falsche produziert wurde. Und das Publikum ist ähnlich "vorinformiert". Aber die "historisch informierte" Aufführung ist eben eine moderne, in der sich die moderne Ideologie verwirklicht. Und die Frömmigkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird allenfalls als Heuchelei wahrgenommen - oder als Kindererziehungsprogramm - daher der berühmte "Kinderglauben".


    Zitat

    Eine schwarz-weiß-Sicht diesbezüglich, die alle Einfühlungsversuche ablehnt, die nicht einen akademisch-geschichtlichen Hintergrund haben, halte ich für übertrieben. Wie Du auch schon schriebst, bleiben in jedem Fall Reste der Verständnislosigkeit, damit kann man aber leben.


    Der akademisch-geschichtliche Hintergrund ist allenfalls eine Hilfe, aber die Inszenierung (welcher Couleur auch immer) wird sich bei ihm nur da bedienen, wo er in dienender Funktion gebraucht wird: bei der Erarbeitung des Konzeptes und bei der Begründung des Konzeptes. Aber ein Regiekonzept ist nie eine 1:1-Übersetzung von akademisch-geschichtlichen Kenntnissen. Blickpunkt ist immer mehr ein vorgestelltes Publikum, ob man es nun positiv oder negativ miteinbeziehen will - mE ...


    Und je mehr verschiedene - ja unvereinbare - Publikumsschichten man mit verschiedenen Konzepten bedient, umso mehr Kommunikation findet insgesamt statt. "Das Publikum" als Ganzes kann man nicht mit einem Modell beglücken.
    [/quote]


    So sehe ich das auch.


    LG Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Aber die "historisch informierte" Aufführung ist eben eine moderne, in der sich die moderne Ideologie verwirklicht. Und die Frömmigkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird allenfalls als Heuchelei wahrgenommen - oder als Kindererziehungsprogramm - daher der berühmte "Kinderglauben".


    Hallo Peter,
    hier steige ich leider aus. Was meinst Du mit "historisch informierter" Aufführung? Und bedeutet der zweite Satz nicht schon wieder, dass alle die Frömmigkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts als Heuchelei wahrnehmen? (Als ob wir nicht von unseren Großeltern noch eine Ahnung von der Echtheit solcher Frömmigkeit im realen Leben mitbekommen hätten? Und selbst wenn nicht sollte man in der Lage sein, sich vorzustellen, dass es das gegeben hat, die Schilderungen aus den Federn der bürgerlichen Realisten der Literatur hat man ja auch in der Schule gelesen.)
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Und bedeutet der zweite Satz nicht schon wieder, dass alle die Frömmigkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts als Heuchelei wahrnehmen?


    Durchaus nicht, ich habe von einer modernen Ideologie gesprochen. Die meisten Ideologien des 20. Jahrhunderts sind kritisch gegenüber der Religion eingestellt. Dass nicht alle einer solchen Ideologie anhingen, ist mir nicht unbekannt, habe ich auch nicht unterstellt.

    Zitat

    (Als ob wir nicht von unseren Großeltern noch eine Ahnung von der Echtheit solcher Frömmigkeit im realen Leben mitbekommen hätten?


    Meinst Du jetzt mit wir alle? :baeh01:

    Zitat

    Und selbst wenn nicht sollte man in der Lage sein, sich vorzustellen, dass es das gegeben hat, die Schilderungen aus der Feder der bürgerlichen Realisten der Literatur hat man ja auch in der Schule gelesen.)


    So einfach ist das nicht, denn gerade in der Literatur des Realismus findet man ebenso wie in den Epochen vorher genügend Darstellungen von Heuchelei gerade im religiösen Bereich - vor allem, wenn sich die Kritik auf eine reale Kirche bezog (Übrigens ist der Schriftwechsel von Grieg voll:


    Aber diese Geistlichkeit, sie tötet jeden guten Trieb in uns! Nur eines sollten wir alle machen: uns aus der Staatskirche abmelden, diese Echse, die außer ihrer vollständigen Impotenz nichts anderes besitzt als einen giftigen Stachel, um mit ihm zu stechen (Brief an Björnson)


    und kurz vor seinem Tod schreibt er


    Den Gottesbegriff muss ich aufrecht erhalten, obgleich derselbe mit dem Begriff des Gebets nur zu oft in Kollision gerät. (Brief an Monastier-Schröder)


    Ich zitiere hier nur mal aus dem Briefwechsel Griegs, weil ich mich im Moment damit beschäftige. Aber es fällt mir nicht eben schwer, nach Stellen dieser Art bei Raabe oder bei Fontane zu suchen.


    LG Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Durchaus nicht, ich habe von einer modernen Ideologie gesprochen. Die meisten Ideologien des 20. Jahrhunderts sind kritisch gegenüber der Religion eingestellt. Dass nicht alle einer solchen Ideologie anhingen, ist mir nicht unbekannt, habe ich auch nicht unterstellt.


    Und selbst, wenn man womöglich Religionen generell für "Opium fürs Volk" hält, wird man nicht fromme Menschen für Heuchler halten müssen (was ja sogar ein Widerspruch zum Opium wäre).

    Zitat


    Meinst Du jetzt mit wir alle? :baeh01:


    ;)

    Zitat


    So einfach ist das nicht, denn gerade in der Literatur des Realismus findet man ebenso wie in den Epochen vorher genügend Darstellungen von Heuchelei gerade im religiösen Bereich


    Na freilich. Aber nicht nur. Soweit ich mich erinnere, ist der bürgerliche Realismus nicht davon geprägt, dass alle handelnden Personen nur heucheln oder gegen die staatsverordnete Religion rebellieren.
    :hello:

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Na freilich. Aber nicht nur. Soweit ich mich erinnere, ist der bürgerliche Realismus nicht davon geprägt, dass alle handelnden Personen nur heucheln oder gegen die staatsverordnete Religion rebellieren.
    :hello:


    Du hast schon Recht mit dem kritischen Blick auf Verallgemeinerung. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das religiöse Leben immer mehr eine Sache des privaten Raumes. Das gilt vor allem für das Gebet. Die Ausnahme war die Staatskirche (deshalb die beiden Zitate von Grieg), die aber von den Intellektuellen kritisch gesehen wurde. Dass in der Oper Gebete vorkommen, muss schon gerechtfertigt werden. Im Falle von Hänsel und Gretel - deshalb habe ich ja nach der Zielgruppe gefragt - hängt es damit zusammen, dass die Sängerinnen Kinder darstellen und das Schauspiel/das Melodram/die Oper für Kinder gedacht war. Kinder sagen die Wahrheit, ihr Gebet ist also "echt" - und wie um den Kinderglauben zu rechtfertigen, pflegen da ja Engel auf der Bühne zu erscheinen. Dieser Overkill von Schutzengel ist theologisch nicht gerechtfertigt - auch hier wird die Naivität der Kinder vorausgesetzt, dass "mehr" auch besser ist.


    Ich weiß nun nicht, wie Kinder darauf damals reagierten (wohl altersabhängig), aber Freud hat die Unschuldsvermutung von Kindern ja später zerstört. Erwachsene werden es damals als süße Reminiszenz an ihre Kinderzeit genommen haben - wie wir beide wohl heute auch. Hat man die Reminiszenz aber nicht - und die Zahl der Leute, die sie nicht haben, nimmt erheblich zu - liegt die von mir in Erwägung gezogene Skepsis nahe - übrigens heute umso stärker bei Kindern. Mein Schluss: zurückhaltend musizieren, zurückhaltend inszenieren.


    LG Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius



    Ich weiß nun nicht, wie Kinder darauf damals reagierten (wohl altersabhängig), aber Freud hat die Unschuldsvermutung von Kindern ja später zerstört. Erwachsene werden es damals als süße Reminiszenz an ihre Kinderzeit genommen haben - wie wir beide wohl heute auch. Hat man die Reminiszenz aber nicht - und die Zahl der Leute, die sie nicht haben, nimmt erheblich zu - liegt die von mir in Erwägung gezogene Skepsis nahe - übrigens heute umso stärker bei Kindern. Mein Schluss: zurückhaltend musizieren, zurückhaltend inszenieren.


    Hier steige ich fragmentarisch wieder ein: Jürgen Rose hat in der letzten international umjubelten Kölner-Inszenierung gesagt: "Kinder brauchen und haben ein recht auf die Engel".


    Als Kind habe ich gerade die Engelszene (in einer anderen inszenierung) geliebt. Gut, ich bin auch katholisch. Aber ich entsinne mich, dass ich auch mal mit einer Mitschülerin diese Oper gesehen habe und die hatte mit Kirche erziehungstechnisch nichts am Hut. Jedenfalls war auch sie hin und weg und wollte dann alles mögliche über Engel und Kirche wissen.


    Und: In den 30er gabe es in köln eine Hänsel-inszenierung, die bis heute in vielen Köpfen wahnsinnig präsent ist. Sogar unsere Fairy-Queen schrieb mal darüber hier im Forum, weil ihre Großmutter da einen Engel gespielt hat und diese Oper deswegen wohl zu ihren Lieblingen erkoren hat. Bei dieser Inszenierung jedenfalls muss die Engelstreppe der absolute Kracher gewesen sein. Leider gibt es keine Fotos. Ich habe nur aus unzähligen mündlichen Überlieferungen die Aufführung rekonstruieren können. Lecker!

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Als Kind habe ich gerade die Engelszene (in einer anderen inszenierung) geliebt. Gut, ich bin auch katholisch. Aber ich entsinne mich, dass ich auch mal mit einer Mitschülerin diese Oper gesehen habe und die hatte mit Kirche erziehungstechnisch nichts am Hut. Jedenfalls war auch sie hin und weg und wollte dann alles mögliche über Engel und Kirche wissen.


    Mein Problem ist schnell benannt: Ich war damals mit meiner Klasse in "Hänsel und Gretel", als ich noch auf dem Gymnasium war - in Trier eine durchaus im handwerklichen Sinne gediegene Inszenierung (mit einem Wald, der Dir gefallen hätte) - aber die Kommentare meiner Mitschüler waren gnadenlos. Ich habe mir selbst ein gutes Verhältnis auch zu dieser Szene bewahrt - nun kannte ich die Oper schon vorher von LPs und hatte mir mein eigenes Bild gemacht.


    Wenn mein Erlebnis von Kindern in dieser Oper nur ein "Ausreißer" ist, ziehe ich meine Bedenken zurück.


    LG Peter

  • Was mich bei der hochgelobten Karajan-Aufnahme abschreckt, ist, daß sie scheinbar in Mono ist (1953):



    Welche (Stereo-)Einspielungen sind ansonsten noch zu empfehlen?


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Joseph II. :hello:


    Eine der "rundesten" und in sich stimmigsten Stereo-Aufnahmen ist für mich die der EMI von 1989 unter Jeffrey Tate:



    Hänsel: Anne Sofie von Otter
    Gretel: Barbara Bonney
    Knusperhexe: Marjana Lipovsek
    Mutter: Hanna Schwarz
    Vater: Andreas Schmidt
    Sandmännchen: Barbara Hendricks
    Taumännchen: Eva Lind
    Jeffrey Tate; Tölzer Knabenchor, Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks


    Die ist nicht so artifiziell-süßlich wie Karajan, hat nicht so viel "Buttercreme" ;) wie Solti, ist aber musik-dramaturgisch immer sehr plausibel...
    (Mit Karajan und Schwarzkopf hab ich persönlich es eh nicht so, auch nicht mit der langweiligen Hexe von Else Schürhoff...)

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  • Die Empfehlung von Clemens hinsichtlich Tate kann ich nur unterstützen. Für mich eine der besten "Allround"-Leistungen der "Hänsel und Gretel"-Diskographie mit einem Ensemble auf einheitlich sehr hohem Niveau. Frau Lipovseks Hexe weiß alle stimmlichen Register zu ziehen ohne ins Knallchargenhafte abzugleiten, die Kinder sind mit Bonney und Otter sehr gut, die Eltern mit Schmidt und Schwarz außerordentlich gut besetzt. Luxus auch in den Nebenrollen mit Lind und Hendricks als Tau- und Sandmännchen. Dazu ein BRSO in Topform, man merkt, dass hier für heutige Verhältnisse intensiv vor den Aufnahmen geprobt wurde.

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von GiselherHH
    Frau Lipovseks Hexe weiß alle stimmlichen Register zu ziehen ohne ins Knallchargenhafte abzugleiten


    Ursprünglich war wohl Hildegard Behrens für diese Aufnahme als Hexe vorgesehen, Tate wollte dann aber, daß diese Partie einmal "wirklich gesungen" wird, was der Lipovsek IMO phantastisch gelingt - neben der jungen Christa Ludwig ist sie daher für mich die beste Hexe im Plattenvergleich!

  • Clemens hat vollkommen recht mit seiner Empfehlung für die Tate-Aufnahme.
    Ich würde jedoch gerne noch eine andere Aufnahme zur Diskussion stellen, die mir persönlich am meisten Spaß macht (von den neueren Aufnahmen):



    Aufnahme: 1994, Studio BR München
    (+Anhang: Dessauer Schluß)
    Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks
    Tölzer Knabenchor
    Chorleitung: Wolfgang Schady


    Gretel: Ruth Ziesak
    Hänsel: Jennifer Larmore
    Knusperhexe: Hanna Schwarz
    Mutter Gertrude: Hildegard Behrens
    Sandmännchen: Rosemary Joshua
    Taumännchen: Christine Schäfer
    Vater Peter: Bernd Weikl


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Darf ich auf diesen Thread hinweisen, der sehr gute Begründungen für und gegen die einzelnen Präferenzen enthält: TMOO - Hänsel und Gretel


    Leider kommt die Tate-Aufnahme darin noch nicht vor, aber bei der Besetzung und den Empfehlungen rückt sie gleich auf meine Wunschliste.


    :hello: Jacques Rideamus


  • Gute Idee, Harald :beatnik:


    Auch diese Aufnahme gehört zu meinen Favoriten (trotz des wirklich lächerlichen Cover :hahahaha: ): hier ist es so, daß die Titelrollen einmal "wirklich gesungen" werden (ohne jeglichen Versuch, "kindlich" wirken zu wollen), was der ganzen Sache IMO recht gut bekommt. Larmore erinnert mich im Stimmklang ganz stark an Anna Moffo (nur leider mit noch schlechterer Aussprache). Ich finde es durchaus interessant und angenehm, diese Rollen einmal ohne "Firlefanz" hören zu können. Behrens und Weikl als Eltern finde ich schlicht großartig - beide singen zwar nicht "schön", zeichnen aber absolut überzeugende Charaktere: keine Mutter klingt so verzweifelt, so am Rande ihrer Kräfte und Nerven. Dann die beiden kleinen Goldstücke dieser Aufnahme: Rosemary Joshua und Christine Schäfer - besser kann man sich Sand- und Taumännchen kaum wünschen. Hanna Schwarz übertreibt es für meinen Geschmack zu sehr, mir klingt sie zu atemlos und gehetzt - eine Spur mehr "Kontrolle" wäre ihrer Leistung ganz gut bekommen... Runnicles und das Orchester des Bayerischen Rdfks. kommen meiner Idealvorstellung recht nahe - ein wirklich voller, manchmal auch üppiger Klang, dabei mit aller nötigen Zurückhaltung - ohne Übertreibung, ohne Schwere, ohne unnötige Zuckerglasur...

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  • Danke schon mal für die Empfehlungen!


    Ich möchte noch auf zwei andere, ältere Aufnahmen zu sprechen kommen, zum einen die 1977er Solti-Aufnahme,



    von der es heißt: "In den Sophiensälen, Wien, entstandene Aufnahme, die in jeder Beziehung als Referenz gelten darf." (stereoplay 7 / 88 - allerdings auch schon eine 21 Jahre alte Rezension also),


    zum anderen auf die scheinbar einzige Aufnahme, wo Kinder Hänsel und Gretel singen, die von Wallberg aus dem Jahre 1974 (dessen "Königskinder" ja andernorts schon als referenzträchtig gelobt wurden),



    z. T. hochgelobt, z. T. verrissen, könnte ich mir doch einen Knabensopran als Hänsel zumindest auf dem Papier gut vorstellen.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wallberg und Referenzaufnahme geht eigentlich eh nicht zusammen :no: (sein "Königskinder"-Dirigat ist kaum der Rede wert): sein Versuch, die Titelpartien mit Kindern zu besetzen ist einfach in die Hose gegangen. Der Junge ist stimmlich schlicht überfordert, das Mädchen singt zwar recht hübsch, bleibt aber absolut eindimensional. Auch der Rest ist eher unspannend (selbst Hermann Prey) - nur Edda Moser gefällt mir als quirlig-agile Hexe, die viel Hinterfotzigkeit durblicken lässt...


    Solti muss man halt mögen: der trägt richtig dick auf! Es gibt Abende, wo ich seinen üppig-fetten Klang gern hab, aber dann brauch ich auch danach einen "Verdauungsschnaps"... ;) Fassbaender bin ich eh verfallen :jubel: und mit Popp zusammen ist das purer Stimmrausch - wenn es auch mehr nach Vollblut-Opernsängerinnen klingt, als nach Kindern. Berry ist ein eher gemütlich-gutmütiger Besenbinder, ein "Teddybär"-Vater, Hamari scheint von Konsonanten noch nie etwas gehört zu haben und Anny Schlemm klingt mir zu sehr nach einer "Walküre in Rente"... Und leider hat man hier auch die typische "Geräusch-Mixerei" der DECCA dieser Jahre - wo`s geht, wird unnötiger technischer Spökes gemacht... Schade, denn diese Aufnahme hat einen sehr runden und tiefen Klang.

  • Habe mir jetzt noch mal die neue Inszenierung von "Hänsel und Gretel" aus der MET angesehen. SCHEUSSLICH! Die Texte sind völllig frei und falsch ins Englische übersetzt, damit sie zu der modernisierten Aufführung passen. Am schlimmsten fand ich die Traumpantomime. Die verkommt zur Nummernrevue à la Berkley. Und dementsprechend sind ein paar frappierende Ähnlichkeiten zur der Traumsequenz von "The little princess" mit Shirley Temple festszustellen: Hier wie dort marschieren dickleibige Köche mit Unmengen von Essen ins Zimmer. Beim Templefilm ist das begründet, beim Hänsel ist durch das Negieren des Religiösen und der Reduzierung auf "Warm, satt und gemütlich" eine neuerliche Vergewaltigung durch das Regietheater zu ertragen.

  • Hat jemand eine Aufzeichnung dieser Produktion, die am 23 12. 1963 im NDR-Fernsehen lief?


    Hänsel und Gretel
    Märchenspiel in drei Bildern von Engelbert Humperdinck.
    Text von Adelheid Wette
    Mit Barbara Scherler (als Hänsel), Ria Urban (als Gretel), Marcel Cordes (als Peter, Besenbinder), Gertrud Burgstahler (als Gertrud, sein Weib), Lilian Bennigsen (als Hexe), Gisela Knabbe (als Sandmännchen), Oda Balsborg (als Taumännchen), Engel, Tiere, Lebkuchenkinder
    Es spielt das Sinfonieorchester des NDR unter Professor Carl Schuricht (Empfehlenswert: Ab 12)

  • Eine sehr gute und ausgewogene Aufnahme ist für mich die 1962 aufgenommene mit den Münchner Philharmonikern unter Fritz Lehmann. Ein Ensemble erster Klasse mit Gisela Litz und Rita Streich als Hänsel und Gretel; Horst Günter und Marianne Schech als Vater und Mutter; Res Fischer als glaubwürdig schaurig tiefsingende Hexe, sowie eine wunderbare Elisabeth Lindermeier als Sandmännchen. Diese Aufnahme ist für mich kaum zu übertreffen.


    Gruß Wolfgang

    W.S.

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