alle Menschen, auch geniale Komponisten, haben ihre menschlichen Mängel, Schwächen, sei es im Umgang mit der Mitwelt, bei der Arbeit, etcetc. Das ändert nichts an ihren (meist) genialen "Produkten". Das gilt auch für Bach, Mozart Beethoven.
Hallo Bachianer,
das ist natürlich richtig - aber auch sehr allgemein. Man kann selbstverständlich nicht einfach mit der Behauptung der "Genialität" - die wiederum sehr unspezifisch allgemein ist - kompositorische Schwächen im Besonderen entschuldigen. Ästhetische Kritik ist immer erlaubt. Es gilt aber auch für das Umgekehrte: Wenn man "Schwächen" kritisiert, muss man sie ebenfalls im Besonderen in einer sorgfältigen Werkanalyse nachweisen - sonst bleibt diese Behauptung genauso unverbindlich allgemein und unbegründet wie die gegenteilige: "Ein Genie hat keine Schwächen!"
Der Albertibass ist, über einige Takte eingesetzt, ein durchaus legitimes, harmonisches Bassfundament um z.B. ein gesangliches Thema vorzustellen, aber bitte nicht über zig Takte /mehrere Seiten. Muster-Negativbeispiel: die "Sonata facile", KV 545, 2. Satz: Andante. Dort wird der Spieler/Hörer 105 Takte fast ununterbrochen mit diesen Bässen beschäftigt, aus meiner Sicht eine Zumutung, also eine menschliche, kompositorische Schwäche/Mangel. Man könnte das als Arbeitsunlust/faulheit bezeichnen.
Da bin ich durchaus nicht Deiner Meinung! Und ich versuche auch einmal zu erklären, warum!
Anders als bei Beethoven höre ich nicht alle Mozart-Klaviersonaten öfters - sondern nur ganz bestimmte, obwohl ich eine ganze Rehe von Gesamtaufnahmen der Mozart-Sonaten haben. Es gibt etliche Sonaten von Mozart, die mich nicht unbedingt so sehr berühren, dass ich etwas vermisse, wenn ich sie längere Zeit nicht höre. Die Sonate KV 545 gehört allerdings zu den Sonaten, die ich sehr gerne höre, obwohl sie eine "einfache" Sonate ist. Sicher gibt es andere Sonaten, die bei mir "noch höher im Kurs" stehen, aber das tut dem keinen Abbruch, dass ich diese Sonate wirklich wunderschön finde. Das gilt offenbar auch für die Interpreten. Sie wird von den großen Pianisten immer wieder gerne auch im Konzert gespielt. Ein Svjatoslav Richter z.B. hat zwar sehr viel gespielt, aber wenn er ein Stück partou nicht mochte - und es war ihm egal, ob das von den "Genies" Mozart oder Beethoven stammte - hat er es einfach nicht gespielt. Also muss diese Musik doch etwas haben, was sie so anziehend macht auch für so ungemein ernsthafte und gewissenhafte Musiker wie Richter, Arrau und Co.
Mozart hat diese Sonate "Sonata facile" genannt - was ja doch ein Hinweis darauf ist, dass hier die Ansprüche ganz bewusst zurückgeschraubt werden. Ich gehe davon aus, dass er ganz gezielt hier die Alberti-Bässe eingesetzt hat, weil er für einen Kreis von Klavierspielern schreibt, die aus ihrer Spielpraxis mit Alberti-Bässen vertraut sind. Da besteht dann keine Gefahr, dass er sie mit allzu viel Ambitioniertheit als Komponist überfordert. In allen drei Sätzen werden nun Alberti-Bässe verwendet. Ungewöhnlich ist in der Tat, dass er den langsamen Satz komplett mit Alberti-Bässen unterlegt. Nun ist das wohl aber so ziemlich das einzige Beispiel, wo Mozart das tut in seinen Klavierkompositionen (mir fällt jetzt spontan jedenfalls kein zweites ein), so dass allein aus diesem Grund für mich die Annahme nicht besonders plausibel ist, dass Mozart dies aus Verlegenheit oder Nachlässigkeit getan hat. Nein, er wollte dieses "Experiment" wohl ganz bewusst machen. Vielleicht ist gerade das ambitioniert: "Ich, Mozart, zeige Euch, dass ich überall und soviel ich will Alberti-Bässe verwenden kann, ohne dass der Eindruck von ordinärem Alberti-Gedudel entsteht!"
Mich stören diese Alberti-Bässe in dieser Sonate an keiner Stelle - auch nicht im Andante-Satz! Da habe ich mich gefragt natürlich, warum, und habe mir den Notentext dazu angeschaut. Schon im Kopfsatz fällt auf, wie kunstvoll Mozart die Alberti-Bässe einsetzt. Da werden die musikalischen Mittel sehr geschickt abgewechselt, so dass zu keinem Moment Langeweile und der Eindruck von "Gedudel" auftaucht. Und wie ist es im langsamen Satz? Wenn man genau hinschaut, sieht man auch hier Mozarts Kunstfertigkeit: Die Alberti-Bässe sind als Sechzehntel notiert. Er löst in der Folge die Melodie sehr schnell auch in Sechzehntelbewegungen auf, die zudem auch noch Akkordbrechungen enthalten. Damit verschwindet der Eindruck einer Hierarchie von Melodiestimme und (monotoner) Alberti-Bass-Begleitung, indem ein homogener Tonsatz entsteht mit ausgefüllten Stimmen. Es ist ja bezeichnend, dass Mozart auch im Finalsatz nur da Alberti-Bässe einsetzt, wo auch die rechte Hand genau parallel ebenfalls Sechzehntelbewegungen spielt. Das spricht dafür, dass Mozart als Komponist das alles sehr bewusst tut und genau weiß, was er will. Damit verschwindet schlicht der Eindruck von zur Melodiestimme nur beiherspielendem "Gedudel", sondern statt dessen entsteht ein (Gesamt-)Eindruck von Lebendigkeit und Bewegtheit der Musik, eine Art "Allstimmigkeit", um einen Ausdruck von Ernst Kurth zu benutzen. Besonders gefällt mir die Interpretation von Claudio Arrau - er spielt den Andante-Satz sehr langsam, kann deshalb aber sehr schön herausarbeiten, dass die Begleitung nicht nur nebenbei untergründig dudelt, sondern die harmonischen Stütztöne für die Melodiebewegung enthält, von der sie sich gleichsam immer wieder abstößt. Besonders offensichtlich ist das im harmonisch kühnen Mittelteil, der sich von der Schlichtheit des Hauptteils sehr deutlich abhebt, wo die Basslinie sehr originell ist. Ein Claudio Arrau arbeitet das wirklich aufregend heraus.
Ich glaube, dass diese Sonate, obwohl sie von Mozart als "Sonata facile" überschrieben ist, doch zu den bedeutenden gehört und nicht zufällig auch bei den Interpreten so beliebt ist. Die Einfachheit kommt dem klassischen Gestaltungsprinzip, der Bemühung um klare und einfach-fassliche Formen, entgegen. Insofern ist diese Sonate für mich auch als ein Versuch zu werten, ein Klassizitätsideal zu verwirklichen - gerade in der vermeintlichen Simplizität. Das steigert letztlich auch die Empfindsamkeit, wenn die schlichte Melodik nicht von einem überkomplexen Tonsatz überwuchert wird.
Vielleicht kannst Du Alberti-Bässe einfach nicht leiden und bist so auf sie fixiert, dass Du all das, was ich beschrieben habe, nicht wahrnimmst?
Kennst du die "Sonaten mit veränderten Reprisen" von CPEB? Dort zeigt CPEB exemplarisch, wie Wiederholungen verändert werden können, ohne ihren Grundcharakter zu schädigen. Er hat das so exemplarisch vorgeführt wissend, dass Spieler von sich aus Wiederholungen spielerisch verändern und dabei auch musikalischer "Mist" rauskommen kann.
CPEB ist bei mir leider so ein "blinder Fleck". Ich würde ihn aber einfach nicht mit Mozart hier vergleichen wollen. (Vielleicht kannst Du mir mal eine Aufnahme empfehlen? Ich habe schon seit längerem vor, mich endlich intensiver mit CPEB zu beschäftigen! )
Mozart war, ist und bleibt ein genialer Komponist.
In der Tat!
Schöne Grüße
Holger