Hallo!
Nun geht’s um die Symphonie A-dur Hob.I:87:
Das Werk ist vermutlich 1785 entstanden, gemeinsam mit Nr. 83 also die älteste der „Pariser“ Symphonien. Diese Jahreszahl trägt zumindest der (in Paris) erhaltene Autograph. „Vermutlich“ schrieb ich, da ich in einer anderen Quelle zur Datierung die Bemerkung fand: „Möglicherweise entstand das Stück noch vor 1784“. Weiß dazu jemand näheres? Das würde das Werk freilich entstehungsgeschichtlich weit weg von den fünf Schwersterwerken rücken.
In der Besetzung trägt Haydn zumindest nicht dem reichhaltig besetzten Pariser Orchester Rechnung (in den anderen Werken des Zyklus aber meist auch nicht): Flöte, 2 Oboen, 2 Fagotti, 2 Hörner und Streicher nebst Cembalo-Continuo (dieses ist aber nur selten bei heutigen Aufführungen zu hören).
Die drei Aufnahmen, die ich gehört habe, mit zugehörigen Zeiten:
Neville Marriner (1981): 6:41 – 5:58 – 4:02 – 4:23
Adam Fischer (1994): 7:00 – 6:42 – 4:14 – 4:39
Nikolaus Harnoncourt (2002): 11:16 – 7:18 – 4:55 – 6:30
Harnoncourt merkt zu dieser Symphonie an „seltene Tonart“. In der Tat ist das ja gar nicht so abwegige A-dur in den Symphonien mit Nummer > 65 nur dieses einzige Mal Grundtonart (auch unter seinen letzten 35 Streichquartetten gibt es nur ein A-dur-Werk).
Was er aber mit „total ungewöhnliche Form“ meint, verstehe ich nicht. Mir kommt die Symphonie im Vergleich zu den anderen „Parisern“ sogar tendenziell archaischer, strukturell einfacher vor.
Marriner und Fischer sind von Ausdruck unter Interpretation nahe beieinander und gefallen mir beide recht gut. Harnoncourt ist etwas extremer – v.a. durch breitere Tempi und expressivere, dramatischere Gebärden. Bei den Zeiten muß man aber beachten, daß NH im 1. und im 4. Satz Durchführung und Reprise wiederholt. Zumindest beim 1. Satz finde ich das auch wichtig und richtig so. Für mich sind alle drei Aufnahmen etwa gleichwertig, eine liebste habe ich nicht.
1. Satz (Vivace):
Das Auffällige am Beginn ist der auffällige Beginn. Ohne Einleitung geht es gleich los mit dem flotten Vivace-Hauptsatz (ist zwar bei No. 82 auch der Fall, aber beim späten Haydn doch eher selten). Der Satz ist sehr vorwärtsdrängend und auch etwas hektisch (z.B. durch die ständigen rhythmischen Achtel im Hintergrund. Auch im eher kurzen, entspannten 2. Thema, das von den Holzbläsern getragen wird, sind die hektischen Achtel der Streicher präsent. In der Schlußgruppe taucht dann nochmal ein neues Motiv auf, kann man aber wohl nicht als 3. Thema durchgehen lassen.
Das entspannte Dreitonmotiv des Seitensatzes taucht dann in der Durchführung in dramatischerer Form auf (zunächst markant in den Streichern, dann trüb in den Bläsern). Die Durchführung ist ansonsten eine übliche Haydnsche, bis – ja bis nach einem Diminuendo eine (fermatierte? kann man das mal nachsehen?) Generalpause den musikalischen Fluß kurz anhält. Danach kommt nicht direkt die Reprise (das wäre wohl zu effekthascherisch gewesen), sondern nochmal eine Wiederholung der letzten Durchführungs-Takte.
Daß der Satz bei Harnoncourt expressiver und dramatischer wirkt als bei Marriner und Fischer, hatte ich bereits erwähnt. Aber in seinen Arbeitsnotizen zu dem Werk (die im Booklet abgedruckt sind; auch bei den anderen „Parisern“ wird darüber zu sprechen sein) berichtet er gar von „Drama, Erstarrung (und damit ist nicht die Generalpasue vor der Reprise gemeint!) und (E-dur-)Gewalt“ - da ist wohl die Phantasie etwas in ihm durchgegangen? Denn dynamische und harmonische Kontraste sind in klassischen Symphonien ja üblich und hier nicht auffälliger als sonstwo, finde ich.
Frage an die Notenleser: Inwiefern sind alle Teile des Satzes motivisch miteinander verknüpft (hatte ich so irgendwo gelesen)?
2. Satz (Adagio):
Kann mir jemand sagen, welche Form der Satz hat? Ist es eine Sonatensatzform mit einer sehr kurzen und blassen Durchführung? Ich meine, grob die Form A-B-Kadenz (s.u.)-A'-A-B-Kadenz-Coda erkannt zu haben?
Dieser hübsche D-dur-Satz beeindruckt v.a. Durch die individuelle Klangfärbung durch die Holzbläser, die teilweise ähnlich wie in einer Sinfonia Concertante solistisch agieren. Insbesondere am Schluß des 1. Teils (Exposition?) und vor der Coda klingt es wie eine gemeinsame Holzbläser-Kadenz.
3. Satz (Menuett):
Harnoncourts Sicht vom „skurrilen Ausdruckstanz“ kann ich hier nicht teilen (auch wenn er den Satz doch in diese Richtung spielen läßt). Mir scheint es eher ein Menuett des „alten Typs“ zu sein (im Gegensatz zu den moderneren Scherzo-Menuetten). Auffällig am Trio ist die solistische Oboe.
4. Satz (Vivace):
Dieser abschließende Sonatensatz ist ein ebenso heiterer und flotter Satz wie der erste. Hier ist der Vivace-Fluß wegen der monothematischen Anlage kaum durchbrochen (zumindest ist mir kein echter Seitensatz aufgefallen). In der Durchführung kommen ein paar dunklere Töne hinzu, aber die werden stets postwendend mit einer heiteren Passage fortgeführt. Insofern kann man den Satz als ein typisches Kehraus-Finale bezeichnen.
In diesem Falle finde ich Harnoncourts Wiederholung von Durchführung und Reprise überflüssig. Erstens übergewichtet er dadurch IMO diesen Satz und zweitens irritiert es mich stets, wenn es nach den Schlußakkorden nochmal weitergeht. Denn mir kommt es vor, als sei der Schluß der ersten Reprise und der wiederholten Reprise identisch, d.h. es wird das Satzende zweimal gleich gespielt, und es gibt keine richtige Coda. Ist das korrekt? Aber es steht in den Noten, daß die Reprise zu wiederholen ist? (da ich ohnehin nicht notenlesen kann, habe ich mir natürlich auch keine Noten zur Symphonie besorgt)
Noch eine Frage: Bei Fischer ist das Tempo „Presto“ angegeben. Sonst habe ich stets die Angabe „Vivace“ gefunden. Da Haydn ja sorgfältig zwischen den beiden Bezeichnungen unterschieden hat, frage ich mich, ob es zwei verschiedene Überlieferungen gibt oder ob Fischers Angabe falsch ist.
Das häufige Hören des Werkes hat womöglich dazu geführt, daß es vom letzten Platz der „Pariser“ in meiner Beliebtheit weggekommen ist. Das werde ich in den kommenden Wochen überprüfen.
Viele Grüße,
Pius.
in Paris Ende des 18. Jahrhunderts