Charles Ives - The Unanswered Question und Central Park in the Dark

  • Vorbemerkung: da das Musikstück, dem dieser Thread gilt, mit nur ungefähr sechs Minuten sehr kurz ist, möchte ich mich anschließend auch seinem Pendant, dem ähnlich kurzen CENTRAL PARK IN THE DARK widmen. Das soll aber nicht bedeuten, dass sich nicht andere, die sich schon vorher dazu äußern möchten, weil es ein Schlaglicht auf diese Komposition wirft, dies nicht tun können. Auch andere kürzere Konzertstücke von Charles Ives, die kaum in einem eigenen Thread berücksichtigt werden, können und sollten im weiteren Verlauf des Threads hier gerne ihre Heimat finden.


    Obwohl dort einige Komponisten des 20, Jahrhunderts aufgeführt werden, wurde der Name Charles Ives (1874-1954) in dem Thread über Komponisten - Die Aufsteiger der letzten 40 Jahre bezeichnenderweise kein einziges Mal erwähnt, obwohl kein einziger Komponist seiner Generation in dieser Zeit einen so steilen Aufstieg von nahezu totaler Obskurität zu einem der anerkanntesten Vertreter der musikalischen Moderne zu verzeichnen hatte. Ist sein Stern womöglich schon wieder im Sinken begriffen? Das wäre nicht nur schade, sondern in höchstem Maße ungerecht, denn Ives selbst konnte nur den Beginn dieser Neuentdeckung noch persönlich erleben – meist am Radio in seiner Abgeschiedenheit in Neu England, wo er die wenigen Übertragungen von Aufführungen seiner Werke durch Leonard Bernstein und gelegentlich auch andere mithörte.


    Diese Neuentdeckung verdankte er in hohem Maße dem persönlichen Einsatz Bernsteins, der sich schon früh für Ives' provokant kühne Kompositionen begeisterte und mehr als jeder andere zu ihrer Verbreitung beitrug, nachdem er Ives’ Partituren noch mit ihm selbst durchgegangen war und sich so den Anspruch einer gewissen Autorisierung seiner Interpretationen erworben hatte. Vor allem Ives’ zweite Sinfonie, die damals gerne mit THE UNANSWERED QUESTION gekoppelt wurde, war unter Bernsteins Leitung ein großer Erfolg geworden, der das Publikum – wenigstens bis zu einem gewissen Grade - auch für seine weit schwieriger zu verdauenden späteren Werke öffnete, die heute noch höher angesiedelt werden, wie man u. a. diesen Threads entnehmen kann:


    Charles Ives - Die Sinfonien
    Charles Ives: UNIVERSE SYMPHONY
    Ives, Charles : 2. Sinfonie
    Ives, Charles: Streichquartette


    Entgegen einer verbreiteten Ansicht, die daher rührt, dass Ives schon 1921 krankheitsbedingt (Herzschwäche, Diabetes, Depressionen) das Komponieren ganz aufgab und sich auf seinen Broterwerb als Mitinhaber einer erfolgreichen Versicherungsvertretung konzentrierte, war Ives keineswegs ein Autodidakt. Vielmehr kam er durch seinen Vater, der eine Blaskapelle leitete, schon sehr früh mit Musik in Berührung, war schon mit 14 Jahren als Organist tätig und absolvierte er ein regelrechtes Musikstudium an der Yale Universität. Für die konventionellen Kompositionspraktiken seiner Zeit zeigte er jedoch von Anfang an nur wenig Interesse, wenn ihm auch die Vorliebe seiner Jugend für die volkstümlichen Klänge der Blaskapellen und Kirchengesänge, die er gerne in seinen Werken aufscheinen ließ, lebenslang erhalten blieb.


    Schon in seinen frühesten Werken begann er mit der für ihn typischen Konfrontation völlig konträrer Musiken zu experimentieren, die er gerne ohne nennenswerte Rücksicht auf eine bestimmte Tonalität, die er dennoch kaum je vollkommen verließ, zusammenprallen ließ. Das machte ihn zwar zu einem Neutöner, aber keineswegs einen Atonalen. Trotzdem rief diese Musik bei seinen Zeitgenossen überwiegend Befremden und Ablehnung hervor, obwohl selbst ein Gustav Mahler bei einer Amerikareise Ives’ außerordentliches Talent erkannt und gelobt hatte, allerdings anhand von dessen frühen Sinfonien, insbesondere der dritten (leider kann ich die Belegstelle dieser Erinnerung derzeit nicht finden), und auch Arnold Schönberg später sein Ausnahmetalent erkannte, als er schrieb: „Es lebt ein großer Mann in diesem Land – ein Komponist. Er hat das Problem gelöst, wie man sein Selbst erhalten und dennoch lernen kann. Missachtung begegnet er mit Verachtung. Er ist nicht gezwungen, Lob oder Tadel hinzunehmen. Sein Name ist Ives.“


    THE UNANSWERED QUESTION ist das bekannteste und wahrschenlich populärste von Ives’ Werken, was vor allem zwei Gründe hat: es fußt auf einer sehr eingängigen, tonalen Basis und irritiert deshalb sehr wenig, und es ist zudem kurz genug, dass man es gerne als modernes Feigenblatt in alle möglichen Konzertprogramme einbaute, so dass man es mit Abstand am häufigsten zu hören bekam. Wie viele kürzere Orchesterwerke von Ives ist es ein Stück Programmmusik, dessen Gehalt schon in seinem Titel, „Die unbeantwortete Frage“, zum Ausdruck kommt.


    Es beginnt mit ruhigen und sehr leisen Streicherakkorden in G-Dur (Ives wollte die Streicher sogar physisch von der Bühne oder in den Hintergrund des Orchesters verbannen), die sich ohne Unterbrechung durch das gesamte Stück durchzieht. Laut Ives’ eigener Aussage repräsentieren sie „das Schweigen der Druiden, die nichts hören, nichts sehen und nichts wissen“. In dieses Schweigen hinein, bzw. auf dieses hinauf, lagert sich die „Frage“ der Trompete in fünf Tönen (Partiturbesitzer oder Leute mit absolutem Gehör mögen diese bitte benennen), die sechs mal wiederholt wird. Auf diese Frage versuchen die Holzbläser (Flöten, Klarinetten, Oboen) in einer dritten Musikschicht verschiedene "Antworten" zu geben, die aber immer unbefriedigender und in ihrer an Verzweiflung grenzenden Dringlichkeit stets chaotischer und schriller werden. Einmal stimmen sie in einer konzertierten Bemühung sogar einen besonders unsinnig wirkenden, sehr schräägen Anklang an das Weihnachtslied „Kling Glöckchen, klingelingeling" an. Die Antworten fallen naturgemäß unbefriedigend aus. Dann wird die Frage ein letztes Mal wiederholt, bleibt aber ohne Antwort, und das Schweigen der Druiden klingt leise aus.


    Das war es schon. Runde sechs Minuten für eine unbeantwortete Kernfrage, bei der man sich bis hin zu der Frage nach dem Sinn des Lebens, wie Ives selbst anregte, denken kann, was immer man will. Aber was es (sonst noch) ist, das zu diskutieren sei erst einmal Euch überlassen, bevor ich einige Aufnahmen vorstelle. Vorab nennen möchte ich aber die für mich befriedigendste, weil sie nahe an der Interpretation Bernsteins eine optimale Klangqualität bietet, die Bernsteins Aufnahme leider abgeht, und zudem mit einer sehr guten Auswahl von anderen Orchesterwerken von Charles Ives kombiniert ist, die wenig Gefahren von Doubletten mit sich bringt und durchweg eine für meine Ohren sehr hohe Interpretationsqualität bietet:



    :hello: Jacques Rideamus

  • Lieber Jacques,


    vielen Dank für diese klare und informative Einführung in ein Werk, das auch mir - und das schon seit meiner Jugend - nahe steht: Ives war für mich eines der Einfallsportale in mein Verständnis für die Musik des 20. Jahrhunderts.


    Hier zunächst zwei Anmerkungen (Weiteres ggf. später):


    a)

    Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    [...] Trotzdem rief diese Musik bei seinen Zeitgenossen überwiegend Befremden und Ablehnung hervor, obwohl selbst ein Gustav Mahler bei einer Amerikareise Ives’ außerordentliches Talent erkannt und gelobt hatte, allerdings anhand von dessen frühen Sinfonien, insbesondere der dritten (leider kann ich die Belegstelle dieser Erinnerung derzeit nicht finden) [...]


    In meiner Erinnerung wohnt die Geschichte, daß Gustav Mahler auf seiner Amerika-Tournee von Charles Ives die Partitur von dessen 3. Symphonie ("The Camp Meeting") erhalten habe; Mahler sei so angetan gewesen, daß er eine Aufführung geplant habe, wozu es dann aber nicht kam. Auch die Partitur ging verloren und Ives mußte aus seinem Gedächtnis, da er keine Kopie behalten hatte, das Werk erneut niederschreiben. Wahr oder nicht wahr? Ich weiß es nicht.


    b) Im Internet habe ich eine möglicherweise aufschlußreiche Analyse gefunden, mit vollständiger Partitur von The Unanswered Question und der ausführlichen Erläuterung des Komponisten samt deutscher Übersetzung:


    "http://www.wisskirchen-online.de/02604198de125ab01/index.html" und dann die PDF-Datei über das Werk herunterladen!

  • Lieber Gurnemanz,


    vielen Dank für die schnelle Reaktion und vor allem für den sehr hilfreichen Link mit der Partitur und den originalen Erläuterungen von Ives - sogar in deutscher Sprache. Den sollte sich wirklich jeder ansehen, der sich mit dem Werk beschäftigt.


    Deine Erinnerung an die Mahler-Anekdote deckt sich übrigens mit meiner, wie ich jetzt merke. Offensichtlich wurde diese Geschichte gernew kolportiert, und man kann nur hoffen, dass sie stimmt. Zuzutrauen wäre es jemandem wie Ives, der sich stets so weit vom Konzertbetrieb fern gehalten hat.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Auch ich bin mit diesem Werk seit Jahren vertraut und kann mich sehr gut an mein erstes Hörerlebnis erinnern: schlichtweg :faint: :faint: :faint:


    Diese Musik kann einem derart unter die Haut gehen, ganz selten hatte ich sowas zuvor erlebt. Zwei, drei Jahre später erfurhr ich von einem Bekannten, obwohl mit den verschiedenen Deutungen des Werkes nicht unvertraut, sehr erhellendes über die Entstehungsgeschichte. Ives hatte für diese wundervollen sechs Minuten eine deutliche längere Entstehungszeit vorangestellt. Der perfekt ausgehörte dissonante Trompetenklang, wie wir ihn kennen, ist derjenige der endgültigen Fassung, einer Reise des Komponisten zu einer vollkommenen Entsprechung seiner Vorstellung der unbeantworteten Frage.



    Auf dieser CD lässt sich wunderbar die Original-Fassung mit der revidierten, endgültigen vergleichen. Das Füntton-Motiv der "fragenden Trompete" endet mit in der Endfassung einem kleinen Terzsprung von der 4. zur 5. Note.
    In der Originalfassung ist der 5. Ton identisch mit dem 1. - freilich eine winzige Änderung. Hört man im Anschluss an die bekannte Endfassung die originale, so stellt man fest, wie Ives durch diese kleine Änderung im Motiv eine deutlich andere Wirkung erzielt: die Frage erscheint dringlicher, radiakler, weniger zurückhaltend und noch deutlich kontrastierender zu den tonalitätsgebundenen, der alten Tradition verpflichteten Streicherakkorden.
    Die Quo-Vadis-Deutung, die das Werk als eine Frage nach Entwicklung der Musik an sich sieht und nach der der Tonailität bzw. Atonalität im speziellen, wird IMO erst zur Gänze in der Endfassung deutlich.
    Hier wirft von Beginn an die Trompete eine zum Streicherklang herb-dissonantes Motiv auf, eines das die statische Ruhe der Streicherakkorde (die alten Herren?) stört, während die Urfassung fast noch als später Bruckner gelten könnte.


    Inwieweit weitere Änderungen vorgenommen worden sidn, entzieht sich leider meiner Kenntnis, diese ist jedoch die eminenteste.


    :hello:
    Wulf

  • Anfang bis Mitte der 70er habe ich dieses Werk mit Herbert Kegel und dem RSO Leipzig erlebt, und es hat keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, gehörte sogar eher in der Kategorie: "Na, die hier begeistert klatschen und mit den Beinen trampeln, die wollen sich doch nur wichtig machen..."
    Aber der musikalische Geschmack entwickelt sich, und es gibt auch noch Tamino und der Appetit machende Einführungsartikel hat mich hungrig gemacht. Eine Aufnahme besitze ich zwar nicht, aber dank Internet habe ich jetzt die Frage ziemlich oft unbeantwortet im Raum stehen lassen...
    Wow! :faint: Ich hab was verpasst! Oder auch nicht?

    Als erstes habe ich das New Tokyo Chamber Orchestra gehört. Ja, dachte ich mir. So ähnlich wird das damals beim RSO auch geklungen haben. Aber was fand ich daran schlimm? Also mal das nächste hören...
    G. Dudamel, Orchester der Mailänder Scala. Das soll das gleiche Werk sein??? :no: Glattgebügelt, rundgelutscht, auf Wohlklang geeicht. Die Fragen höre ich gerade noch, aber die Antworten gehen im Gewaber des Streicherklanges unter.
    Dann noch Bernstein mit den N.Y.Ph. Eine völlig andere Liga, aber nach meinem Erstkontakt mit den Japanern bin ich wohl für anderes verloren. Andererseits, das Dilemma der nicht beantworteten Frage, der gleichsam letzte klagende Versuch der Trompete, das habe ich nur hier so deutlich wahrgenommen...
    Was mich bei den Japanern so fasziniert hat, ist der extrem zurückgenommene Klangteppich der Streicher. Frage und (versuchte) Antwort sind hier viel expressiver, verstörender. Dazu kaum wahrnehmbar im Hintergrund die Botschaft: Hier ist noch etwas, was jenseits eurer Fragen und Erklärungsversuche steht..


    Soviel mein erster Eindruck...


    :hello:
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Liebe Ives-Freunde,


    dieses Kurzwerk von Charles Ives gehört zu den Werken, von denen ich mal nicht zig Aufnahmen zur Verfügung habe, sondern diese beiden CD´s mit
    Bernstein / New Yorker PH:



    The Unanswered Question, Holyday Symphony
    SONY, ADD



    Central Park in the Dark, Sinfonien Nr.2 und 3
    SONY, ADD


    Da Bernstein ein persönlicher Ives-Freund war und mit Ives über seine Werke geredet hat ist diese IMO autentisch. Eine andere Aufnahme wäre für mich quasi sinnlos. Was soll man bei dem Werk noch mehr rausholen, als bei Bernstein ?
    Ich hatte diese Aufnahme schon früher auf CBS-LP und kenne und wollte auch nie eine andere besitzen. Laut Jaques ist die MTT-Aufnahme klangtechnisch besser, weil neuer - OK. Aber wirklich schlechten Klang hat Bernstein´s CBS-Aufnahme auch nicht, denn sonst würde ich mich für diese gar nicht interessieren. Zwischen den Zeilen lese ich aber, dass Bernstein´s Interpretation maßstabsetzend ist.


    Das Werk ist in seiner Stimmung sehr düster. Ich habe glesen, das es daher gerne als Filmmusik häufig bei Todesszenen Verwendung findet, z.B. in den Filmen: "Lola rennt" (1998..) von Tom Tykwer, "The Thin Red Line" / "Der schmale Grat" (1998..) von Terrence Malick.



    :hello: Jacques hat im ersten TOP-Eingangs-Beitrag schon so umfassend über die Inhalte dieses Werkes geschrieben, sodaß sich beinahe weitere Unterhaltungen gemäß "Alle sprechen über das über das Werk" erübrigen.
    Von daher kann ich die eingeschränkte Teilnahme etwas nachvollziehen.


    ;) Vielleicht sollten wir bei zukünftigen Besprechungen bei "Alle sprechen über das Werk: XY" nicht gleich im ersten Beitrag alles vorwegnehmen. Das sollte sich in der Diskussion ergeben.
    Wenn ich ehrlich bin, fällt mir zu dem Thema, nach dem bisher hier geschriebenen Inhalten, jetzt auch nicht viel mehr ein.




    :hello: Jetzt bin ich gespannt, was Jacques zu
    Central Park in the Dark schreibt.
    Auch hier habe, kenne und schätze ich die oben abgebildete Bernstein-CBS-Aufnahme.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Lieber Wolfgang teleton,


    Jacques wird sich im Hinblick auf CENTRAL PARK IN THE DAR erst einmal an Deine Empfehlung halten und Euch das Feld frei lassen. Genau zu diesem Zweck, und weil mir klar ist, dass mindestens das offensichtliche Interpretationsspektrum zu THE UNANSWERED QUESTION begrenzt ist, habe ich ja gleich zu Beginn die Möglichkeit eröffnet, diesen Thread allgemein zu einer Diskussion über die kürzeren Orchesterstücke von Charles Ives zu nutzen, also im Prinzip alle jenseits der Sinfonien, die schon eigene Threads haben. An der werde ich mich auch gerne weiter beteiligen, und für die ändere ich bei gegebenem Anlass auch gerne den Threadtitel.


    Deine Aufzählung von markanten Filmeinsätzen des Stückes möchte ich noch um Mike Nichols' hervorragenden WIT mit Emma Thompson ergänzen. Bezeichnenderweise geht es auch darin um den Tod, denn er zeigt - übrigens mit enormem Witz und Erkenntniswert - die Auseinandersetzung einer krebskranken Frau mit ihrem Leben.


    Warum ist das eigentlich so? Liegt es wirklich nur daran, dass sich die Titelfrage mit den "letzten Dingen" beschäftigt? Dafür gäbe es aber auch viele andere Stücke, die zum Teil auch besser geeignet sind, weil sie die Tautologie von Ives' Stück und dessen Titel vermeiden. Man denke an den beliebten Einsatz von Samuel Barbers Streicheradagio, das ursprünglich auch nicht dafür gedacht war, als Trauerstück. Auch Ives' Bearbeitung des populären "Beautiful River" (Shall We Gather at the River" ) von Robert Lowry war ja ursprünglich nicht für den Einsatz als Begräbnislied in Western gedacht, wo John Ford sie besonders gerne einsetzte.


    Ich selbst empfinde THE UNANSWERED QUESTION aber auch keineswegs als trübe oder gar traurig. Gedankenschwer vielleicht, wenn auch auf eine fast plakativ direkte Art. Eher scheint mir z. B. die beschriebene schräge Weihnachtsliedvariante des Frageensembles für eine selten angesprochene, humorig-satirische Ader bei Ives zu sprechen, die man in seinen anderen Werken auch erkennen kann, die man aber oft viel zu ernst nimmt, als müsse man seine freche Progressivität gegen den Vorwurf des selbst implizit Unseriösen verteidigen.


    Ich denke also schon, dass das Stück noch ein paar unbeantwortete Fragen in sich birgt. Und die anderen Kompositionen von Charles Ives sowieso.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Eher scheint mir z. B. die beschriebene schräge Weihnachtsliedvariante des Frageensembles für eine selten angesprochene, humorig-satirische Ader bei Ives zu sprechen, ...


    Wobei ich mir nicht so sicher bin, ob das gewollt ist, oder nur ein zufälliger Anklang...

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Zitat

    Original von Reinhard


    Wobei ich mir nicht so sicher bin, ob das gewollt ist, oder nur ein zufälliger Anklang...


    Ich bin mir da auch keineswegs sicher und habe auch keine verbürgte Quelle dafür. Das ist tatsächlich ein total subjektiver Höreindruck.


    Wobei ich mir genauso unsicher bin, ob der Anklang ausgerechnet an dieser einzig konzertierten Stelle der Holzbläser wirklich nur Zufall ist. Ich mag aber auch nicht ausschließen, halte es sogar für wahrscheinlich, dass dieses Lied in Amerika gar nicht als solches bekannt war - ähnlich wie man dort die Melodie von "Oh Tannenbaum" eher als die Hymne des Staates Maryland ("O Maryland" kannte. Ich habe aber noch keinen Hinweis darauf gefunden, unter welcher Flagge diese Melodie in Neu England sonst gesegelt sein könnte. Gerade bei Ives bin ich aber sehr zuversichtlich, dass es sich um ein Zitat handelt.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von teleton
    Da Bernstein ein persönlicher Ives-Freund war und mit Ives über seine Werke geredet hat ist diese IMO autentisch. Eine andere Aufnahme wäre für mich quasi sinnlos. Was soll man bei dem Werk noch mehr rausholen, als bei Bernstein ?


    Die Bernstein-Aufnahme ist schon hervorragend, keine Frage. Die Alternative unter Tilson Thomas ist für mich allerdings nicht sinnlos, da Bernstein ENTGEGEN der Konzeption von Ives das Ende des Werkes wohl deutlich länger ausklingen lässt. Tilson Thomas stützt sich auf die revidierte Fassung des Ives-Notenmaterials und hält den Streicherakkord nicht so lange wie Bernstein. Ich müsste die Aufnahmen nochmal vergleichen, um das zu verifizieren, zumindest hat es mir so ein befreundeter Komponist mal erzählt.


    :hello:
    Wulf

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus


    Ich denke also schon, dass das Stück noch ein paar unbeantwortete Fragen in sich birgt.
    :hello: Jacques Rideamus


    Sonst müssten wir es ja auch umbenennen ;) Im Ernst: ob es sich um philosophische Sinnfrage oder z.B. - wie Bernstein angedeutet hat - um die Frage nach Tonalität/Atonalität etc. handelt, liegt im letztendlich im Auge des Betrachters. Das Werk lässt sich wohl auf einige Weisen deuten.


    :hello:
    Wulf

  • Jacques hat es bereits in seiner Einführung angesprochen, ich will nur nochmals deutlich machen, worin die Eigenartigkeit der "Question" besteht:
    1) Es gibt einen Streichersatz in reinen Dreiklängen. Dieser Streichersatz hat keinerlei Bezug zu den restlichen Vorgängen. Er "ist" einfach, unveränderlich, unbeeinflußbar, er kommt nirgendwo her, führt nirgendwo hin, reagiert auf nichts und löst keine Reaktionen aus.


    Beziehungslos darüber gelagert sind:


    2) Ein Trompetensignal
    2a) Eine Holzbläser-Passage.


    Ich spreche von 2 und 2a, weil diese beiden Elemente zwar miteinander ebenfalls nichts zu tun haben, was das Material betrifft, 2 aber 2a auslöst - zumindest sechs Mal, beim siebenten Mal bleibt die Holzbläser-Antwort aus. 2) bleibt dabei stets gleich, während die Holzbläser-Antwort bei jedem Mal zunehmend hektischer und dissonanter wird.
    2 ist nicht tonartengebunden, 2a versucht, eine Tonart zu finden, kommt aber immer weiter davon ab.
    Die Schichten sind miteinander nicht koordiniert, 2 und 2a nur insoferne, als 2a auf 2 folgen muß. Beide sind von 1) in Tempio und Metrum unabhängig.


    Die Idee einer Schichtung von klanglichem Hintergrund und darüberliegenden Ereignissen hat auf die US-Musik nach Ives großen Einfluß ausgeübt. Speziell George Crumb hat diese Idee in mehreren Werken übernommen.


    Die Originalversion der "Question" war übrigens für vier Flöten, Trompete und Streichquartett instrumentiert, als Titel schwebten Ives zuerst vor: "A Contemplation of a Serious Matter" und "The Unanswered Perennial Question". Die Originalversion stammt aus dem Jahr 1908, die Orchesterfassung aus 1930-35.


    Bernsteins Interpretation als die Frage nach der Tonalität ist - typisch für Bernstein - sehr egozentrisch: Bernstein beschäftigte sich selbst dermaßen mit dem Gegensatz von tonal-atonal, daß er dazu eine Art Philosophie entwickelte, die er in seinen Harvard-Vorlesungen (bezeichnender Weise "The unanswered Question" betitelt) darlegte. Daß Ives Stück auch in diesem Zusammenhang funktioniert, spricht für Ives. Der freilich wohl eher einen metaphysischen Zusammenhang im Sinn hatte.


    :hello:

    ...

  • Beim Lesen von Wulfs Kommentar zu Tilson Thomas, der beide Versionen der "Unanswered Question" eingespielt hat, habe ich schließlich bemerkt, dass die Doppel-CD bei mir nur anders aussieht:



    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat

    Zitat Edwin:
    Die Idee einer Schichtung von klanglichem Hintergrund und darüberliegenden Ereignissen hat auf die US-Musik nach Ives großen Einfluß ausgeübt.


    Ja, in diesem Zusammenhang habe ich folgendes bemerkt und gelesen:


    Bei The Unanswered Question ist der Klangteppich im Hintergrund tonal gestaltet. Die darübrliegenden Ereignisse im Vordergrund weitgehend atonal.


    Jetzt vorweggenommen - in Central Park in the Dark ist das Verhältnis genau umgekehrt. Der Klangteppich im Hintergrund ist atonal und das Geschehen im Vordergrund tonal aufgebaut.


    :hello: Achtet mal auf diese Gegebenheiten - sehr interessant.


    Die Werke gehören beide zusammen, denn Ives hat sie unter dem Titel Two Contemplations I + II herausgebracht, wie das Textheft der SONY-CD unkommentiert zeigt.


    -----------


    Ich hatte ja gestern geschrieben, das ich nur die Bernstein-Aufnahme habe und kenne. Doch da hatte ich eine hochmusikalische CD mit Amerikanischer Orchestermusik vom Bernstein-Schüler Lukas Foss / Milwaukee Symphony Orchestra bei mir übersehen.


    Hier ist The Unanswered Question neben Kurzwerken von Bernstein, Schuman, Ruggieri, Copland, Barber, Cowell und Ives enthalten.
    Lukas Foss ist auf der ganzen CD seine hohe Musikalität und sein Augenmerk auf wunderschön sich ausbreitenden Klang anzumerken.
    Bei The Unanswered Question schießt er ein bischen zu weit in Richtung Schönklang und gestaltet schon den Klangteppich wunderschön mit innerer Ruhe. Die Frage der Trompeten wirkt schön, aber Inhaltsleer. Das Ganze ohne Ecken und Kanten - :D aber schön.
    Ich vermute, das Foss hier ebenso auf Wohlklang getrimmt hat, wie Reinhard von Dudamels Interpretation berichtete (ein paar Beiträge darüber).


    OT zu Foss:
    Auf der Foss - CD (ProArte, 1984, DDD) ist auch Barbers Adagio enthalten, das er zu wunderschön spielen läßt, leider dann blutleer ohne den ff-Höhepunkt, der bei ihm höchstens mf erreicht.
    Dafür ist eine Ersteinspielung von Coplands "Variationen on a Shaker Melody" aus Appalachian Spring vorhanden. Bernsteins Candide - Ouvertüre habe ich allerdings kaum je so fetzig gehört, wie hier mit Foss !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Neben der faltenfrei gebügelten Interpretation Dudamels auf YouTube gibt es noch eine viel extremere, die ich als Rundfunkmitschnitt im Netz gefunden habe. Sie wurde von Marek Janowski mit dem Tonhallenorchester Zürich eingespielt. Mit 5:58 ist sie normal lang, aber man muss sie mal gehört haben, wenn man eine Ahnung davon bekommen will, was man mit einer Partitur anfangen kann, obwohl alle Noten "Richtig" intoniert werden. Hier werden nämlich die Streicherakkorde wie ein Konzert gespielt und jeder Ton einzeln aufgelöst, so dass das Stück wie eine verschleppte Version von Pachelbels Kanon mit obligater Trompete und distonierenden Holzbläsern klingt. Nicht reizlos, aber natürlich total am Werk vorbei, als wäre es von Karajan auf puren Schönklang hin "gestaltet" worden. Dem hätte übrigens Dudamels Vortrag bestimmt gefallen.


    Eine ganz andere und mit Anstand die schnellste Lesart bot Ives' Komponistenkollege Aron Copland mit den Prager Sinfonikern. Er kommt mit 4:57 aus und gefällt mir fast noch mehr als Bernstein, weil er auf alles Bedeutungsschwangere verzichtet und "nur" die Partitur spielt. Leider gibt es die nicht kommerziel, und ist die Tonqualität meines Rundfunkmitschnitts bestenfalls durchschnittlich. Dennoch lohnt es sich, nach dieser Aufnahme zu suchen.


    Noch drei Sekunden weniger brauchte Dohnanyi mit den Hamburger Philharmonikern in einem übertragenen Konzert vom Oktober 2004. Hier gefällt mir besonders, wie er das Stichwort "Stille", das mit den Streichern verbunden ist, ernst nimmt und diese am Rande des nicht mehr deutlich hörbaren spielen lässt, was ja Ives Vorstellung entspricht, der sie weiter weg setzen wollte. Gäbe es diese Interpretation käuflich zu erwerben, würde ich sie zu den besonders zu Empfehlenden rechnen. Aber vielleicht ist seine Lesart in diesem Doppelalbum ja ähnlich, obwohl es deswegen kaum eine Anschafng lohnt, da die beiden anderen Einspielungen bei den Taminos, die sie mal gehört haben, wenig Beifall fanden:



    Ich finde übrigens teletons Einbringung von CENTRAL PARK IN THE DARK keineswegs verfrüht. Im Gegenteil: ich würde mch freuen, wenn jemand Lust hat, das Werk etwas ausführlicher darzustellen, da ich gerade mal wieder Zeitprobleme habe.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Verschiedene musikalische und außermusikalische Gründe halten mich im Moment davon ab, meine eigenen Aufnahmen von The Unanswered Question in Ruhe vorzunehmen, mir Gedanken zu machen und diese dann ggf. hier zu präsentieren. Aber das kommt vielleicht noch.


    Stattdessen komme ich auf die von mir bereits erwähnte höchst lesenswerte Homepage zurück: "http://www.wisskirchen-online.de/". Der Autor, Herr Hubert Wißkirchen, hat mir auf meine Anfrage hin freundlicherweise erlaubt, die von ihm vorgenommene Übersetzung des Vorworts des Komponisten hier einzustellen. Interessant finde ich, wie präzise sich Ives einerseits die Realisierung seines Werks vorstellt und wie er andererseits recht tolerant ist, was die konkrete instrumentale Umsetzung angeht, und den Ausführenden Freiheiten läßt. Auch dem Komponisten scheint bewußt zu sein, daß es die Interpretation seines Werks nicht geben kann und wird - so wie sich "die immerwährende Frage nach dem Sein" auch für uns immer wieder neu und immer wieder anders stellt?


  • Zitat

    Original von Gurnemanz
    Verschiedene musikalische und außermusikalische Gründe halten mich im Moment davon ab, meine eigenen Aufnahmen von The Unanswered Question in Ruhe vorzunehmen, mir Gedanken zu machen und diese dann ggf. hier zu präsentieren. Aber das kommt vielleicht noch.


    [quote]Charles Ives: The Unanswered Question (1908 )
    Foreword


    ... Die "kämpfenden Antworten" scheinen – im Verlauf des Stückes und nach einer "geheimen Besprechung" – die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens einzusehen, und beginnen damit, die "Frage" nachzuäffen. Der Unmut ist für einen Augenblick überwunden. Nachdem die Flöten verschwinden, wird "die Frage" ein letztes Mal gestellt, und "die Stille" wird im Hintergrund hörbar, in "ungestörter Einsamkeit"....

    (/quote]


    Lieber Gurnemanz,


    vielen Dank für die Einstellung des vollständigen Vorworts von Charles Ives, das ich mangels Autorisierung nur im Auszug zitieren konnte. Dabei war der fettgedruckte Teil entweder in dem mir vorliegenden Text entweder nicht enthalten, oder ich habe ihn sträflich überlesen. Die Aussage über die Imitation der Frage betrifft nämlich genau die Passage, aus der ich - offenbar zu Unrecht - eine Anspielung auf ein Weihnachtslied herausgehört habe. Tatsächlich kam ich nicht darauf, dass sie tatsächlich die Frage nachäfft und übertreibend kurz weiter spinnt. Das war eine jener Situationen, wo man sich, kaum, dass man darauf gestoßen wurde, fragt, wo man eigentlich seine Ohren hatte, als man das (nicht) hörte.


    Womit wieder mal erwiesen ist, dass sich eine engagierte Beteiligung an diesen Threads sehr lohnen kann, und deshalb hoffe ich, dass die Auskunft über die Ergebnisse Deines Vergleichshörens tatsächlich noch kommt.


    Manchmal muss man diesen Threads einfach etwas Zeit lassen, denn nicht jeder hat zu jeder Zeit Lust, sich mit einem bestimmten Werk zu befassen ohne damit gleich Desinteresse auszudrücken.


    Darüber freut sich, wie immer, wenn hier eine gute Diskussion in Gang kommt,


    :hello: Jacques Rideamus

  • So, ich höre heute zum x-tenmal erneut dieses Werk - eigentlich so richtig aufmerksam geworden durch die Nominierung vor ein paar Monaten, fand ich es wirklich fragwürdig, weil einem die verschiedensten Gedanken durch den Kopf gingen. Also bekam es meine Stimme und nun will ich mich auch mal äußern.


    Vielen Dank aber erst mal für die bisherigen Worte.
    Gleich im Einführungsbeitrag wurden meine eigenen, uninformierten Gedanken in gewisser Weise bestätigt, was denn hier so abläuft. Denn allein durch den Titel habe ich mir mit der Musik meine eigene Geschichte kreiert, welche sich ganz gut mit der wahren deckt (an Druiden habe ich selbstverständlich nicht gedacht).


    Die Streicher wirken auf mich schwebend und etwas erhaben mysteriös. Gleichzeitig kann ich mir aber auch sehr, sehr gut vorstellen, dass wenn man einfach mal Teil 2 und 2a (Edwin) weglässt, man 6min Entspannungsmusik hat - vielleicht kennt der ein oder andere das Gefühl nach einem Saunagang einfach die Augen zu schließen und seine Gedanken treiben zu lassen - schwebend hier und dort hin sich bewegend.


    Anregend fand ich die Information mit der (eher tödlich verwendeten) Filmmusik - ein Gefühl, dass bei der Musik eigentlich gar nicht in mir aufkeimte. Aber letztlich kann man es als unbeantwortete Frage in den Raum werfen, was eben folgen wird...genauso gut stellt sich diese Frage aber auch an den Anfang aller Dinge - eine ebenso unbeantwortete Frage.
    Na ja...ich denke, dass ließe sich noch ein bisschen fortführen, was denn so alles unbeantwortet ist.





    Joa...zu meinen anderen Gedanken zählte eigentlich nur noch (mehr ist mir jetzt jedenfalls nicht mehr hängen geblieben), dass eben dieser Ärger des Unwissens sich sehr schön steigert...ich weiß, alles schön gehört - aber wäre da nicht der Streicherausklang (bei Bernstein wirklich recht lang), dann würde man irgendwie voll unbefriedigt zurückgelassen werden. Durch diese Länge entsteht aber auch wieder etwas wie Gleichgültigkeit - oder eben Resignation...

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo Maik,


    mit der Abbildung der DG-CD erinnerst Du mich daran, das ich diese CD ja auch in meiner Bernsteins-Amerikans-DG-6CD-Box habe.
    Hier ist ja die DG-Neuaufnahme von Bernstein, ebenfalls mit den New Yorker PH beider Ives-Werke vorhanden.


    Bisher habe jetzt diesem Thread entsprechend nämlich nur die Bernstein-CBS-Aufnahmen (SONY) betrachtet und gehört.


    Damit ist auch der Satz von Jacques hinfällig, der bezüglich der CBS-Aufnahmen aus den 60ern schrieb:

    Zitat

    ...weil sie nahe an der Interpretation Bernsteins eine optimale Klangqualität bietet, die Bernsteins Aufnahme leider abgeht.


    Die DG-CD ist aber auch klanglich auf hohem aktuellem Standard.


    Ich bin gespannt ob ich entscheidende Unterschiede zu CBS und DG feststellen werde.
    ;) Aus meiner Erinnerung heraus (habe die DG-CD vor ca.zwei Jahren zuletzt gehört) nämlich nicht !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,


    zu den Fragen der Tonalität wurde ja schon viel Erhellendes gesagt, da kann ich nun rein gar nichts beitragen. Ich erinnere mich aber an meine Eindrücke des allerersten Hörens beider Werke. Zunächst erschienen sie mir mit ihren grundierenden Streichern relativ gleich. Doch beim mehrmaligen Hören stellte sich bei mir folgendes Gefühl ein: Während The Unanswered Question auf mich wie ein erstarrtes Bild, eine eisgefrorene Landschaft wirkt, so höre ich in Central Park in the Dark eher einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen, bewegte Bilder, die nach und nach vorbeiziehen.


    Laut Ives soll dieses musikalische Diptychon ein Nachsinnen über "Ernstes" und "Unernstes" sein. Es klingt für mich aber eben auch wie eine Studie über Stillstand und Bewegung. Mag vielleicht Quatsch sein... ?(


    Die bislang genannten Aufnahmen besitze ich nicht. The Unanswered Question habe ich in der Einspielung mit Morton Gould und dem Chicago Symphony Orchestra (1966, RCA). Eine sehr schöne Fassung, leider mit ziemlichem Grundrauschen behaftet.


    Meine recht solide Version von Central Park in the Dark ist vom Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig mit Wolf-Dieter Hausschild (1981,Eterna). Auf dieser CD befindet sich als Hauptwerk Holidays, das ich mir die nächsten Tage mal wieder vorknöpfen möchte und was ja hier auch besprochen werden kann, wenn ich Jacques richtig verstanden habe.



    LG
    B.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Barbirolli
    ...
    Meine recht solide Version von Central Park in the Dark ist vom Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig mit Wolf-Dieter Hausschild (1981,Eterna). Auf dieser CD befindet sich als Hauptwerk Holidays, das ich mir die nächsten Tage mal wieder vorknöpfen möchte und was ja hier auch besprochen werden kann, wenn ich Jacques richtig verstanden habe.


    LG
    B.


    Da hast Du mich völlig richtig verstanden. Allerdings gibt es zu Ives' Symphonien schon einen eigenen Thread, der durchaus auch weiter bestückt werden kann: Charles Ives - Die Sinfonien


    Ich dachte eher an die kürzeren Werke bis hin zu THREE PLACES IN NEW ENGLAND. ZUnächst aber sollten wir uns in der Tat CENTRAL PARK IN THE DARK zuwenden. Da finde ich Deinen Hinweis auf die gegensätzliche "Mobilität" oder Temperatur der beiden Stücke alles andere als Quatsch. Leider komme ich heute wohl nicht mehr dazu, auch zu diesem Werk etwas zu sagen, da ich es erst einmal wieder gründlicher hören muss. Das sollte aber niemanden daran hindern, die Ariadnefäden, die schon dazu gelegt wurden, schon jetzt aufzugreifen und dieses Werk vielleicht einfach mal zu beschreiben.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Die Verwendung im Film war mir neu (habe "Lola rennt" nur einmal damals vor 10 Jahren gesehen, da kannte ich den Ives vermutlich noch nicht).
    Ich finde die kontrastierende Einordnung von Barbirolli ebenfalls ziemlich plausibel. Central Park in the Dark ist m.E das typischere Ives-Stück - mehr oder weniger einer Variante der "realistischen" Soundscapes mit Kirmes und drei Militärkapellen wie in einigen der "Three Places" oder "Holidays" (was eigentlich keine Sinfonie, sondern eher eine posthum veröffentlichte Suite ist).
    Nur eben, daß es als "Nachtstück" ein wenig ruhiger ist. Die unbeantwortete Frage ist jedenfalls abstrakter, egal wie tiefsinnig diese Frage nun gedeutet werden mag.


    Ich halte es allerdings für sinnvoller, "Three Places..." u.ä. in gesonderten threads zu besprechen, oder?


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich halte es allerdings für sinnvoller, "Three Places..." u.ä. in gesonderten threads zu besprechen, oder?


    JR


    Soll mir Recht sein, wenn es dann auch jemand tut.


    Bleiben wir also vorerst bei diesen Geschwisterstücken.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Nachdem der Thread schon eine Weile ruht, möchte ich ihn mit ein paar Worten zu dem von Ives als Pendant zu THE UNANSWERED QUESTION geschriebenen CENTRAL PARK IN THE DARK noch einmal erwecken, bevor "alle" wieder ein neu nominiertes Stück hören.


    Beide Stücke sind einander konzeptionell zu ähnlich, beginnen sie doch beide mit einer Streichersuggestion des Dunkels, um im Konzertbetrieb gut zusammen zu passen, weshalb ein Verleger es später mit den später entstandenen "Genrestücken" HALLOWEEN und THE POND (REMEMBRANCE) in einen - unautorisierten - Zyklus namens THREE OUTDOOR SCENES einfügte. Ob es da besser funktioniert, wage ich zu bezweifeln, denn schon die Notwendigkeit eines Chores in THE POND macht eine Aufführung problematisch, wenn man es nicht, was allerdings eine hervorragende Idee wäre, als Zugabe oder Zwischenstück eines Sinfoniekonzertes mit Chor einplant. Dieses "Erinnerungsfragment" auf einen eigenen Text von Ives, erinnert an seinen Vater, den Kapellmeister George Ives, der selbst gerne mit Klängen experimentierte und seinen Sohn stark beeinflusste und lenkte, aber schon während dessen Studienzeit verstarb:
    A sound of a distant horn
    O'ershadowed lake is born,
    My father's song.


    (Der Klang von fernem Horn
    Geboren über schattigem See,
    Meines Vaters Lied)


    Auch dieses Stück beginnt mit einer - hier allerdings extrem kurzen - ruhigen Streichereinleitung, bevor das Klavier und sofort danach der Chor einsetzen und einen für Ives höchst ungewöhnlichen, fast archaischen Klangteppich erzeugen, der abbricht, wenn man sich gerade eingehört hat, als habe Ives ein erinnertes Fragment eines Traums notiert und nicht weiter ausführen wollen oder können. Ich weiß zu wenig über dieses Stück um hier intensiver darauf einzugehen, lege aber allen Interessenten an den konservativen Wurzeln von Ives' Musik nahe, es sich einmal in der schon obern genannten Aufnahme von Michael Tilson Thomas anzuhören. Englischsprachige Interessenten können den Einfluss von Ives' Vater auch auf dieser interessanten Website weiter verfolgen: http://w3.rz-berlin.mpg.de/cmp/ives_fathers_influence.html


    HALLOWEEN kenne ich leider nicht. Vielleicht können Inhabe der o. g. Bernstein-DG - Einspielung etwas dazu sagen, denn diese THREE OUTDOOR SCENES haben eigentlich nichts mit den von Ives selbst zusammengestellten oder autorisierten längeren Werken wie THREE PLACES IN NEW ENGLAND zu tun.


    CENTRAL PARK IN THE DARK wurde von Ives, nachdem er schon früh die ersten Ideen dazu skizziert hatte, im gleichen Jahr wie THE PARK abgeschlossen, also 1906. Von den drei hier bislang besprochenen Werken klingt es am typischsten nach dem Ives der unbefangen kakophonischen Konfrontation verschiedener Musikquellen und -stile. Hier liefert er uns ein fast naives Stimmungsbild, das womöglich jemand hören konnte, der zu Ives' Zeiten in der Nähe des Central Park in New York wohnte, wenn ich auch für die damaligen Anwohner hoffe, dass es dort nie so laut zuging wie in Bernsteins CBS-Aufnahme, auf die ich mich hier beziehe. Durch den zunächst dunklen und ruhigen Park erklingen Fragmente populärer Musik. Diese werden überlagert von synkopierenden Klaviere, die sich an einem Ragtime versuchen und schließlich von einer vorbei ziehenden Blaskapelle, bevor wieder Ruhe einkehrt, von ein paar Klangfetzen der Bläser abgesehen.


    Ives nannte diesen klanglichen "Cartoon" wie er das Stück auch bezeichnete, im Kontrast zu der unbeantworteten, tiefen Sinnfrage eine "Betrachtung über eine unernste Angelegenheit" oder eben "Der Central Park im Dunkeln in der guten alten Sommerzeit".


    Man sollte deshalb vielleicht auch nicht mehr hinein geheimsen als es ist: eine Studie über Klangschichten, die auf Ives eine zunehmende und bleibende Faszination ausübten. Mich erinnern sie immer etwas an die später in Mode kommenden Übereinanderkopierungen alter Genrefotografien.


    Aber vielleicht fällt Euch mehr dazu ein als mir.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Auch Michael Gielen hat The Unanswered Question und Central Park in the Dark eingespielt, mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Hänssler, aufg. 1995):



    Im Vergleich zu Bernstein führt er in The Unanswered Question die Streicher straffer und kühler, was mir gut gefällt: auch ohne den Zwist von Trompete und Flöten käme da kaum der Eindruck von Entspannungsmusik auf. Interessant ist, daß die Trompete deutlich leiser dazukommt: ein zartes, aber hartnäckiges Fragen - auch das Flötenquartett klingt weniger schrill.


    In Central Park in the Dark läßt sich Gielen deutlich mehr Zeit: 10:43 statt 7:52 (Bernstein/CBS) bzw. 7:11 (Bernstein/DGG). Dadurch ergibt sich für mich so etwas wie die Zurücknahme der Bescheibung der nächtlichen Stimmung zugunsten eines Werks, das sich auch als "absolute Musik" ohne Programm auffassen läßt, auch wenn das so nicht in der Intention des Komponisten liegt. Ives beschrieb Central Park in the Dark selbst (Zitat aus dem Booklet der Hänssler-CD):

    Zitat

    Dieses Stück gibt sich als ein Klanggemälde von Klängen der Natur und von Ereignissen, die den Menschen vor, wer weiß, dreißig Jahren etwa zu Ohren gekommen wären (ehe die Verbrennungsmaschine und das Radio Erde und Luft für sich allein in Anspruch genommen haben), falls sie in einer Sommernacht auf einer Bank im Central Park saßen. Die Streicher sind für die Geräusche der Nacht und die ruhige Dunkelheit zuständig; unterbrochen werden sie von Klängen aus dem Casino über den Teich herüber - von Straßensängern, die vom Circle heraufkommen und, unter anderem, die Lieder jener Tage singen - von einigen 'Nachteulen' aus Healy’s Restaurant, die den neuesten, wenn nicht den Freshman March pfeifen - 'gelegentlich Angeheiterten', einer Straßenparade oder einer 'Störung' in der Ferne - von Nachrichtenjungen, die 'uxtries' ausrufen - von mechanischen Klavieren, die sich im Apartment House 'jenseits der Gartenmauer' eine Ragtime-Schlacht liefern, in deren Chor eine Straßenbahn und eine Straßenband einstimmen - einer Feuerwehr, einem durchgehenden Fiakerpferd, das draußen, jenseits des Zaunes landet, und Reisenden, die schreien; woraufhin erneut die Dunkelheit zu hören ist - ein Echo noch über den Teich herüberweht - und wir nach Hause gehen.


    Bei Bernstein hört man das, bei Gielen weniger, was ich aber nicht unbedingt als Nachteil empfinde, weil hier Ives mitten ins 20. Jahrhundert gerückt wird: Das Kühne, Moderne der Partitur wird deutlich.

  • Charles Ives , der am 20. Oktober 1874 geboren wurde, starb am 19. Mai 1954. Zu seinem Todestag habe ich diese CD ausgesucht:



    Heute ist sein 61. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).