Von "kaputtgesungenen" SängerInnen - Die heutige Relativität einer Einordnung

  • Da ich Jonas Kaufmann primär als Wagner-Sänger sehe

    Es ist dir ja unbenommen, ihn primär als Wagner-Sänger zu sehen, aber er sieht sich nicht primär als Wagner-Sänger und singt Wagner ja auch kaum, nur immer mal wieder in größeren Abständen. Italieninisches und französisches Fach singt er viel häufiger als Wagner. Die anspruchsvollsten Wagner-Partien wie Tannhäuser, Tristan oder Siegfried hat er noch gar nicht im Repertoire. Seiffert und Botha singen zwar auch italienisches Fach, aber live doch viel mehr Wagner als Kaufmann, und das seit 25 bzw. 18 Jahren. Ich hatte Kaufmann bisher erst einmal liv als Wagner-Sänger, Lohengrin 2009 in München, und das fand ich mit Verlaub nicht so dolle...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat Stimmenliebhaber

    Zitat

    Ich hatte Kaufmann bisher erst einmal liv als Wagner-Sänger, Lohengrin 2009 in München, und das fand ich mit Verlaub nicht so dolle...


    Das kann ich in diesem Fall sogar gut verstehen, hier paßt sein Timbre m. E. nämlich gar nicht. Ich erwarte hier z. B. eher ein silbrig-glänzendes Timbre, und das hat Kaufmann – der aber viele andere Qualitäten hat – nicht. Ich finde im Übrigen, es zeugt von einem realistischen Umgang mit seiner Stimme, wenn er die ganz schweren Wagnerpartien nicht alle im Repertoire hat und italienisches und französisches Fach singt: sozusagen zum Erhalt der Stimmkultur. Also ist er kein Beispiel für "kaputtgesungen".
    Dazu würde ich allerdings etwa Siegfried Jerusalem zählen, der extrem schnell schwere Wagner-Partien übernommen hat und damit hörbar seine Stimme schädigte. Ich denke insgesamt sind Sänger, die technisch perfekt singen und eine gute Einschätzung ihrer Stimmleistung haben zwar vorhanden, aber die Versuchungen sind groß, schnell die großen Rollen zu übernehmen. Eine Karriere wie Alfredo Kraus wird doch eher die Ausnahme bleiben.


    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Habe mir heute auf arte Jonas Kaufmann angesehen und angehört. Bildnisarie, lieber schweigen. Siegmund und Parsifal Weltklasse, Gralserzählung: viel Licht, aber auch viel Schatten. Die "Taube" Weltspitze, hätten Gigli und Bergonzi, wenn sie es denn gesungen hätten, nicht besser machen können. Sein "Ritter" grauenhaft und am Schluss werden auch deutliche Abnutzungserscheinungen bei sehr lautem Singen in der Höhe deutlich. Ferner fällt auf, dass er Voklale nicht offen sondern gedeckt singt, die sich dann verfärben, aus a wird auo, aus i wird ü usw.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Dazu würde ich allerdings etwa Siegfried Jerusalem zählen, der extrem schnell schwere Wagner-Partien übernommen hat und damit hörbar seine Stimme schädigte.


    Absolut, ganz meine Meinung!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Habe mir heute auf arte Jonas Kaufmann angesehen und angehört. Bildnisarie, lieber schweigen. Siegmund und Parsifal Weltklasse, Gralserzählung: viel Licht, aber auch viel Schatten. Die "Taube" Weltspitze, hätten Gigli und Bergonzi, wenn sie es denn gesungen hätten, nicht besser machen können. Sein "Ritter" grauenhaft und am Schluss werden auch deutliche Abnutzungserscheinungen bei sehr lautem Singen in der Höhe deutlich. Ferner fällt auf, dass er Voklale nicht offen sondern gedeckt singt, die sich dann verfärben, aus a wird auo, aus i wird ü usw.


    LG, Bernward


    Ich darf an deine Worte anknüpfen, lieber Bernwart. Habe die Sendung - es war ein Konzertmitschnitt aus München von 2010 - auch verfolgt und war über einige "Gesänge" sehr bestürzt. Schlimmstes Beispiel war sein Florestan: Da ging es am Schluss nur noch ums nackte Überleben. <<Zorr Fräähäät ens häämmlesche Rääch>> war schwerlich identifizierbar als "zur Freiheit, ins himmlische Reich".
    Dagegen ist seine Züricher Aufnahme von 2004 ff noch als ordentlich zu bezeichnen, obwohl die Misere damals ihren Anfang nahm. Inzwischen haben die "Amfortas, die Wunde" und die Wääääälse-Brülle an seinen Stimmbändern genagt, so daß die Gralserzählung zur Hälfte nur noch aus heißer Luft besteht.
    Der beste lebende Wagner-Tenor? Nein, tut mir leid.


    Was für ein Ohrenschmaus sind doch die alten Fidelio-Aufnahmen von Wolfgang Windgassen oder Peter Anders!


    Ich schreibe das mit einer gewissen Wehmut, kenne ich doch Jonas Kaufmann aus seiner lyrischen Stuttgarter Zeit noch sehr gut. Und aus dieser Begeisterung und Bewunderung habe ich auch 2007 den Kaufmann-Thread hier bei Tamino gestartet. Das gehört nun unwiderruflich der Vergangenheit an.

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Lieber Siegfried, liebe Freunde,


    vielleicht sollten wir nicht nur in durchaus verständlicher Wehmut über die allzu früh verbrauchten Sänger-Koryphäen weinen, sondern uns Gedanken über die neuen aufsteigenden Sterne wie die Tenöre Vincent Schirrmacher und Thorsten Büttner machen. Aber wenn ich z. B. den raschen Aufstieg von Vincent Schirrmacher ins jugendlich heldische Fach und die Vielzahl der Partien und Abende sehe, die er bereits singt (Du, lieber Siegfried, wirst ihn im Festkonzert während des diesjährigen Künstlertreffens der Gottlob-Frick-Gesellschaft u. a. als Florestan erleben) dann habe ich bereits wieder größte Bedenken.
    Wahrscheinlich ist es das heutige System, dass lange Sängerkarrieren eher verhindert. Offenbar gibt es auch kaum noch so kluge Tenöre wie Wolfgang Windgassen, die trotz nicht allzu großer stimmlicher Mittel durch sängerische Klugheit eine lange Weltkarriere machen konnten.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • John McCormack erzielte die höchsten Schellack-Verkäufe lange nach Überschreitung des stimmlichen Zenits. Und, ehrlich: singen konnte er nicht mehr, aber er konnte noch singen!


    Da nehm´ ich diesen 52jährigen McCormack im Jahr 1936 mit Handkuss.

  • Na endlich sagt das hier mal jemand...


    Trotzdem war er in der Schönheit des Timbres und in der Intelligenz allen Tenören seines Fachs überlegen und ist bis heute von keinem auch nur annähernd erreicht worden.
    Wenn man weiter zurückgeht, kann man natürlich Sänger wie Suthaus, Vöker oder Melchior finden, die ihm in den stimmlichem Mitteln überlegen waren.
    Aber bitte, schweigt mir von Hopf, Kozub, Thomas oder gar Kollo und Jerusalem usw., usw.
    Es mag sein, dass man das nur konstatieren kann, wenn man ihn live im Vergleich mit seinen Nachfolgern erlebt hat.

  • Trotzdem war er in der Schönheit des Timbres und in der Intelligenz allen Tenören seines Fachs überlegen und ist bis heute von keinem auch nur annähernd erreicht worden.

    Das ist wie so häufig auch Geschmackssache, ich finde etwa das Timbre von Peter Seiffert (immer noch) weit schöner. Auch Siukola hatte für mich ein absolutes "Wow"-Timbre, das Windgassen so für mich nie hatte. Dazu hatte Siukola die Stimmkraft eines Melchior.
    Windgassen hat für meinen Geschmack immer auch etwas Mauliges, Verwaschenes in Stimme und Diktion, artikulierte häufig nicht deutlich, ist selten expressiv und vom Material her wirklich eher ein lyrischer als ein heldischer Tenor - gerade in der Bayreuther "Tristan"-Paarung Nilsson-Windgassen erlebe ich ihn in der Live-Einspielung als zu überragenden Birgit Nilsson ungleichgewichtig.



    Aber bitte, schweigt mir von Hopf

    Warum? Sein Timbre mag Geschmackssache sein und auch er hatte Unarten, wenn auch andere als Windgassen, aber an heldischer Durchschlagskraft dürfte er Windgassen doch deutlich überflügeln, denn Hopf ist meines Erachtens ein "echter" Heldentenor. Wenn ich alleine an seinen falschen Dimitri in der Münchner Aufnahme mit Hotter als Boris denke - ich kenne keine einzige Aufnahme, in der mich Windgassen auch nur annähernd so sehr überzeugt wie Hopf dort.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Zitat von »m.joho«

    Warum? Sein Timbre mag Geschmackssache sein und auch er hatte Unarten, wenn auch andere als Windgassen, aber an heldischer Durchschlagskraft dürfte er Windgassen doch deutlich überflügeln, denn Hopf ist meines Erachtens ein "echter" Heldentenor. Wenn ich alleine an seinen falschen Dimitri in der Münchner Aufnahme mit Hotter als Boris denke - ich kenne keine einzige Aufnahme, in der mich Windgassen auch nur annähernd so sehr überzeugt wie Hopf dort.


    Das ist übrigens die einzige (!) Aufnahme, in welcher ich Hopf wirklich grossartig finde und in der er noch nicht die spätere (für mich) "proletarische" Sprachbehandlung entwckelt hatte.
    Im Wagnerfach ist z.B. Hopfs Tannhäuser unter Konwitschny der Tiefpunkt dieser ansonsten hervorragenden Aufnahme.
    Immer wenn ich ihn höre habe ich den Satz einer Sopranistin, die häufig mit ihm sang: "ein dummer Tenor!"
    Zugegebenermassen waren seine stimmlichen Mittel Windgassen weit überlegen. Eine Parallele im italienischen Fach ist für mich der Vergleich von del Monaco mit Bergonzi, aber der letztere ist der weitaus differenziertere Sänger.

  • Das ist übrigens die einzige (!) Aufnahme, in welcher ich Hopf wirklich grossartig finde und in der er noch nicht die spätere (für mich) "proletarische" Sprachbehandlung entwckelt hatte.

    Die einzige, so weit würde ich nicht gehen wollen, aber eine der besten ganz sicher. Das mit der "proletarischen" Sprachbehandlung mag stimmen, wobei "proletarisch" für mich (vielleicht im Gegensatz zu dir) kein Schimpfwort ist, sondern auch für ehrlich, direkt, deutlich steht - raffiniert war Hopf sicher nie wirklich, aber ist Windgassens Sprachbehandlung raffiniert? Sie ist zumindest deulich undeutlicher...



    Im Wagnerfach ist z.B. Hopfs Tannhäuser unter Konwitschny der Tiefpunkt dieser ansonsten hervorragenden Aufnahme.

    Grümmer, FiDi, Frick und Wunderlich sind besser, keine Frage, und bei seinem "Elisabeth" im 1. und 3. Akt zog es mir nicht nur einmal die Schuhe aus (das mag "proletarisch" im negativen Sinne sein, wobei es durchaus eruptiv und auch emotional ist, aber eben nicht wirklich schön). Ich habe dann andere Aufnahmen getestet, einige MET-Mitschnitte mit Melchior (den ich als den größten Wagner-Tenor des letzten Jahrhunderts verehre, allerdings als Tristan, Siegmund, Siegfried und selbst Lohengrin weit mehr schätze denn als Tannhäuser, die Linie, die man dafür braucht, die hat er so nicht wirklich bzw. das gehört nicht zu seinen Stärken), den Bayreuth-54-Live-Mitschnitt mit Vinay (das geht gar nicht, Totaleinbruch bei "Erbarm dich mein!" und auch sonst nicht schön), Bayreuth 61 und 62 mit Windgassen (für mich zu maulig und verwaschen in der Artikulation, zu wenig stimmlicher Ausdruck und Emotion, die Zerrissenheit dieser Rolle kommt für mich bei ihm nicht rüber), Haitink-Studio mit Klaus König, den ich live sehr geliebt habe, aber er war leider kein Studio-Sänger, klingt gehemmt und steril, Kozub aus dem La Fenice, großartig, hinreißend, aber insgesamt eine miese Aufführung mit schlechten Partnern (außer Kehl als Venus), mäßigem Chor (auf italienisch!) und Orchester, die Ensembles wackeln und sind furchtbar unausgeglichen - sodass ich letztlich reumütig zur Konwitschny-Studio-Aufnahme zurückgekehrt bin, auch weil ich keinen anderen Tannhäuser gefunden habe, der mich als Gesamtpaket in dieser Rolle mehr überzeugt hat - Kozub ja, aber emotionaler ist eigentlich Hopf)



    Immer wenn ich ihn höre habe ich den Satz einer Sopranistin, die häufig mit ihm sang: "ein dummer Tenor!"

    Zweifellos, da muss man sich nur auf Youtube die da-capo-Sendung ansehen, um das bestätigt zu finden. Aber wie lautet ein Witz so schön:
    Wie viele intelligente Tenöre passen in eine Telefonzelle? - Alle! :D



    Zugegebenermassen waren seine stimmlichen Mittel Windgassen weit überlegen. Eine Parallele im italienischen Fach ist für mich der Vergleich von del Monaco mit Bergonzi, aber der letztere ist der weitaus differenziertere Sänger.

    Sicher, aber den Otello konnte Bergonzi nicht wirklich singen, daran änderte auch sein ganz später konzertanter Versuch in New York nichts. Nun gut, Windgassen hat alle großen Wagner-Rollen gesungen, aber als Erik, Lohengrin, Stolzing, Loge, Siegmund und Parsifal (also im Fach des jugendlichen Heldentenors) überzeugt er mich doch weit mehr denn als Florestan, Rienzi, Tannhäuser, Tristan, Siegfried und Othello - und gerade bei Verdi finde ich Hopf als Radames weit besser.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

    2 Mal editiert, zuletzt von Stimmenliebhaber ()

  • Macht es wirklich Sinn, einen Sänger gegen den anderen aufzuwiegen - mal abgesehen davon, dass das hier gar nicht das Thema ist. Ich würde Sänger nicht pauschal sondern immer nur am Beispiel ganz bestimmter Rollen miteinander vergleichen. Nur wenn jemand den Windgassen noch selbst erlebt hat auf der Bühne, müssen doch Jerusalem oder Kozub nicht schlechter sein. Wieso denn? Nicht jeder hatte schließlich mehr Gelegenheit, Windgassen live zu erleben. Der Mann ist seit vierzig Jahren tot. Die Tondokumente sind immer nur das Abbild. Nicht mehr. An Windgassen schätze ich, was er mit seiner relativ kleinen Stimme alles machen konnte. Das ist enorm. Nach meinen, nur auf die Platte angewiesenen Eindrücken macht er aber alles gleich. Immer Windgassen und nicht differenziert Florestan, Parsifal, Siegfried usw. Sein Erik gefällt mir am besten. Er klang immer so schön jung. Es gibt zwar viele objektive Kriterien für die Bewertung von Stimmen, die subjektive Erfahrung steht meistens darüber. Deshalb irren wir uns ja alle so oft. In der Kunst mach irren aber auch Spaß.


    Für Hopf hatte ich immer eine Schwäche. Es ist mir völlig egal, ob er Abitur hatte oder nicht und ob ihn jemand als "dumm" bezeichnete. Was ist schon dumm? Ein Sänger soll singen, und das konnte er. Singen ist seine Möglichkeit, etwas zu bewirken und zu schaffen. Das reicht doch aus. Oder?


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hallo,


    zunächst möchte ich allen danken, die sich an diesem Thread beteiligt haben ! Sie haben mir geholfen, die Fragen zu beantworten, die ich unterschwellig in diesem Thread impliziert habe. Ich fasse zusammen:


    1.) Fachpresse, Medien und Fans haben nicht wirklich Parameter, an denen sie aufzeigen können, ob und wann SängerInnen als "kaputtgesungen" eingeordnet werden können.
    2.) Fachpresse, Medien und Fans verlangen von SängerInnen immer Höchstleistungen. Jede, auch gefühlte Unterschreitung, einer Höchstleistung wird sofort skandalisiert und zur Katastrophe überhöht. Hierbei ist das Auditorium heute meist nicht mehr in der Lage, Leistungen zu erkennen und einzuordnen.
    3.) SängerInnen sind erbarmungslosen Marktgesetzen unterworfen, die sie zwingen, immer weiter zu singen, wobei dann von den Plattenfirmen immer weiter Werbung gemacht wird, über Stimmkrise und Stimmruin hinweg bis zum unwiderruflichen Ende !


    Meinen Dank an alle !


    Antalwin

  • Übrigens, lieber Bernward Gerlach,


    Beniamino Gigli hat während seiner Karriere Lohengrin gesungen, natürlich in italienischer Sprache. Leider wurden keine Auszüge daraus auf Schallplatte verewigt !


    Gruß,


    Antalwin

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  • Na endlich sagt das hier mal jemand... ;)


    Windgassen war für mich der bedeutendste, faszinierendste und ausdrucksstärkste Wagner-Tenor all seiner Fachkollegen, die ich live in Wien und Stuttgart erleben durfte.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Aber bitte, schweigt mir von Hopf, Kozub, Thomas oder gar Kollo und Jerusalem usw., usw


    Also schweigen wir von den Vorgenannten und nennen Ernst Gruber (1918-1979) - das ist (war) ein Wagner-Tenor wie ich ihn mir vorstelle!

  • Also schweigen wir von den Vorgenannten


    Nein, man muss von den Vorgenannten nicht schweigen, nicht von Jess Thomas (was für ein Lohengrin unter Kempe!), nicht von Hans Hopf, nicht mal von René Kollo (alles in allem mein überzeugendster live erlebter Siegfried) und schon gar nicht von Ernst Kozub!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hans Hopf ist ein Beispiel, wie ein unbestritten bedeutender, hervorragender Tenor kaputt kritisiert werden kann und sein Ruf und sein Image sich besonders für die Nachwelt nicht leistungsgerecht darstellen. Hans Hopf war ein Sänger mit in jüngeren Jahren nahezu unerschöpflichen stimmlichen Mitteln. Die Stimme hatte ein solides baritonales Fundament, sprach in allen Lagen gut an. Hopf hatte den sogenannten "endlosen" Atem, ein schönes Timbre und vor allem eine bombensichere, strahlende Höhe. Selten habe ich den Pedro in "Tiefland", den Radames in "Aida" und die Schmiedelieder im "Ring" eindrucksvoller und stimmlich mitreissender gesungen gehört als von Hans Hopf. Der Sänger hatte in Amerika einen ganz hervorragenden Ruf und galt lange Zeit als der führende Wagner-Tenor an der MET. Zum Ende seiner Karriere war ihm die "Stimme etwas in den Hals gerutscht" und die großen Heldenpartien konnten nicht mehr so mühelos wie in besten Tagen bewältigt werden. Meines Erachtens lagen die Probleme in der Persönlichkeit des Sängers und seinem oft zwiespältigen Auftreten. Als Privatperson war Hopf der verlässliche Kumpel, kameradschaftlich, offen, direkt und sehr hilfsbereit. Sobald jedoch Publikum da war, mimte er den großen, überheblichen Tenorstar.
    Hopf war ein Repräsentant der zu Ende gehenden Epoche der stimmlich dominierenden Heldentenöre. Die durch Wieland und Wolfgang Wagner revolutionierte Aufführungspraxis von Wagners Musikdramen erforderte jedoch einen anderen Sängertypus, den Sängerdarsteller und hier war Wolfgang Windgassen die perfekte Verkörperung dieses Sängerideals. Meines Erachtens sollte man Hopf und Windgassen deshalb nur bedingt vergleichen, zum einen der ganz aus seinen stimmlichen Mitteln heraus wirkende Hans Hopf und auf der anderen Seite die weit universellere Künstlerpersönlichkeit Wolfgang Windgassen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • und schon gar nicht von Ernst Kozub


    Natürlich hat »Stimmenliebhaber« recht mit dieser Feststellung; oft fehlt etwas Respekt vor künstlerischen Leistungen.
    Ernst Kozub gehört übrigens zu meinen eindrucksvollsten Live-Erlebnissen im Rahmen von Opernaufführungen, auch wenn es damals nicht Wagner war an diesen Abenden.

  • Alle genannten Tenöre mit Ausnahme von Ernst Kozub habe ich noch live erlebt:
    Bei Hopf, der leider auch keine Stimme hatte, die man als "phonogen" bezeichnen kann, hat mich zwar einerseits seine strahlende Höhe beeindruckt, aber eben auch seine "Simplitzität" der Darstellung enttäuscht.
    Jess Thomas habe ich erst in den 70ern gehört, als seine Stimme, die von der Phonstärke her gesehen beeindruckend war, durch eine ungenügende Technik schon ziemlich abgesungen war. Rein optisch war er eine erfreuliche Erscheinung, nur wurde seine Darstellung durch arge Mundverzerrungen, was er wohl, wenn er nichts zu singen hatte, deshalb vorgenommen hat, um seine Kehle zu lockern, arg beeinträchtigt.
    Bei Kollo, dessen Timbre (man höre sich seine erste Platte mit Wagnerauszügen vom Beginn der 70erjahre an), ursprünglich sehr schön war, störte mich die jährlich zunehmende Tendenz die hohen Töne von unten her anzusingen.
    Der technische Fehler bei Jerusalem lag darin, dass er versuchte die Bruststimme mit riesigem Kraftaufwand in die Höhe zu stemmen (daher auch die ewigen Zuckungen seines Kopfes). Dies führte dazu, dass er im dritten Akt jeder Wagner-Oper (zu seinem Glück hat die Walküre nur zwei Akte) im Grunde ausgesungen war und er die Partie nur noch heiser beenden konnte. Daher gelangen ihm live weder die Gralserzählungen, noch die Preislieder je zufriedenstellend.
    Windgassen hingegen hat seine Partien immer so gestaltet, dass er sich alles kräftesparend (oekonomisch) einteilte, und dass somit der letzte Akt meistens der beste wurde. Einzig bei seinem letzten Jung-Siegfried im Alter von 55 Jahren gelang ihm das altersbedingt nicht mehr.
    Dazu kamen immer seine durchdachte Darstellung und natürlich sein Timbre, das von mir (wie auch von Birgit Nilsson) als sehr schön empfunden wurde, was aber selbstverständlich eine Geschmacksfrage ist.
    All dies wollte ich kurz nachtragen, da ich ja einen grossen Teil der Diskussion "verschuldet" habe, indem ich auf Stimmenliebhabers "Windgassen-Kritik" eine Erwiderung schrieb.

  • Windgassen hingegen hat seine Partien immer so gestaltet, dass er sich alles kräftesparend (oekonomisch) einteilte, und dass somit der letzte Akt meistens der beste wurde. Einzig bei seinem letzten Jung-Siegfried im Alter von 55 Jahren gelang ihm das altersbedingt nicht mehr.


    Dazu kamen immer seine durchdachte Darstellung und natürlich sein Timbre, das von mir (wie auch von Birgit Nilsson) als sehr schön empfunden wurde, was aber selbstverständlich eine Geschmacksfrage ist.


    All dies wollte ich kurz nachtragen, da ich ja einen grossen Teil der Diskussion "verschuldet" habe, indem ich auf Stimmenliebhabers "Windgassen-Kritik" eine Erwiderung schrieb.

    Lieber Marcel,


    Du hast doch nichts verschuldet. Durch Deinen Beitrag ist eine interessante Diskussion über bedeutende Tenöre der letzten Jahrzehnte in Gang gesetzt worden. Der Vergleich Hopf - Windgassen wird auch in den Fachmedien immer geführt. Du hast Windgassen mit seiner "Ökonomie des Singens" sehr knapp und treffend beschrieben. Bei Hopf reizt es mich immer gegen die permanente Unterschätzung dieses Tenors zu argumentieren. Windgassen dagegen erhält in der Regel die ihm absolut gebührende, hohe Wertschätzung.


    Herzlichst
    Operus

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  • Selten habe ich den Pedro in "Tiefland", den Radames in "Aida" und die Schmiedelieder im "Ring" eindrucksvoller und stimmlich mitreissender gesungen gehört als von Hans Hopf.

    Lieber Operus, herzlichen Dank für diesen deinen Beitrag zur Hopf-"Rehabilitation". :)
    Pedro ist auch so eine Rolle, die ich auf Platte eigentlich nie überzeugender gehört habe als von Hopf (ich meine die Aufnahme mit Schöffler als Sebastiano) :rolleyes:



    Windgassen hingegen hat seine Partien immer so gestaltet, dass er sich alles kräftesparend (oekonomisch) einteilte, und dass somit der letzte Akt meistens der beste wurde.

    Das erinnert mich an viele gelesene Kritiken zu Sachs-Interpreten: Die ersten beiden Akte schonte er sich noch, um dann in der Schlussansprache richtig loszulegen... 8-)



    sein Timbre, das von mir (wie auch von Birgit Nilsson) als sehr schön empfunden wurde

    Dass die Nilsson ihn als ihren Lieblingspartner mochte, ist verständlich - da musste sie nur mit halber Stimme singen und hatte immer noch deutlich mehr Power als er... :D



    Stimmenliebhabers "Windgassen-Kritik" eine Erwiderung schrieb.

    Ich habe anfangs eigentlich nur Operus bezüglich der "begrenzten stimmlichen Mittel" Windgassens Recht gegeben, weil das dieser Heiligenverehrung, die einige hier posthum mit Windgassen betreiben, wohltuend realistisch entgegentritt.



    Bei Hopf reizt es mich immer gegen die permanente Unterschätzung dieses Tenors zu argumentieren.

    Bravo und nochmals Danke dafür!



    Windgassen dagegen erhält in der Regel die ihm absolut gebührende, hohe Wertschätzung.

    Mit leichter Tendenz zur Überschätzung bei einigen... ;)


    Wirklich, mal ehrlich und Tacheles, wenn hier behauptet wurde, dass neben und nach Windgassen niemand auch nur annähernd so gut singen konnte wie er, dann ist das schon eine SEHR subjektive Sicht der Dinge, die objektiv vielen anderen großes Unrecht tut - "Rheingold1976" allgemein und "Operus" speziell zu Hopf haben das dankenswerterweise schon richtig gestellt. :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hallo,


    es ehrt mich zwar sehr, daß in meinem Thread die alte Frage, ob Wolfgang Windgassen ein echter Heldentenor war, oder nicht, wieder aufgegriffen wird, aber ich habe mich zu dieser Frage im Thread über Windgassen hinlänglich geäußert und habe harten Gegenwind auf mein Haupt beschworen ! Ich würde daher verschlagen, die Diskussion dort oder in meinem eigenen Thread "Wer ist wann ein Wagnertenor ?" fortzusetzen. Um es nochmals ganz deutlich zu sagen: Windgassen war ein hervorragender Techniker und kluger Disponierer, der sich aufgrund dieser Tatsachen für Jahrzehnte in einem für seine Stimme zu schweren Fach bewundernswert halten konnte. Er war ein guter Erik, Lohengrin, Stolzing und Loge, aber für Tannhäuser, Tristan, Siegmund, Siegfried und Parsifal bevorzuge ich baritonale Heldentenöre, wie Melchior, Lorenz, Svanholm, Suthaus, Treptow, Aldenhoff, Vinay, Hopf und Kozub ! Hier stehe ich und kann nicht anders !


    Gruß,
    Antalwin

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  • Lieber Antalwin,


    noch mehr ehrt Dich, dass Du fest und unerschütterlich zu Deiner Meinung stehst. Wie fast immer gibt es allerdings ausgezeichnete Beispiele für differierende Standpunkte. Dahinter steckt meiner Ansicht nach, dass schwerpunktmäßig ausgehend von Neu-Bayreuth ein neuer Sängertyp - nämlich der des intelligent gestaltenden Sängerschauspielers gefordert wurde - und sich besondes im modernen Musiktheater durchgesetzt hat. Fast alle von Dir geannten Ternöre sind Repräsentanten des traditionellen Heldentenorideals.
    Ähnliche Entwidklungen sind in anderen Stimmfächern ebenfalls zu konstatieren: Es gibt kaum noch echte Hochdramatische oder tiefschwarze basso profundo. Selbst bei den Dirigenten sind die großen, pathetischen Pultheroen verschwunden.Bedauerlich oder notwendige Zeitenwende und Weiterentwicklung?


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Er war ein guter Erik, Lohengrin, Stolzing und Loge, aber für Tannhäuser, Tristan, Siegmund, Siegfried und Parsifal bevorzuge ich baritonale Heldentenöre, wie Melchior, Lorenz, Svanholm, Suthaus, Treptow, Aldenhoff, Vinay, Hopf und Kozub !

    Lieber Antalwin, so ähnlich hatte ich es ja in dieser Rubrik für mich auch schon formuliert:


    Nun gut, Windgassen hat alle großen Wagner-Rollen gesungen, aber als Erik, Lohengrin, Stolzing, Loge, Siegmund und Parsifal (also im Fach des jugendlichen Heldentenors) überzeugt er mich doch weit mehr denn als Florestan, Rienzi, Tannhäuser, Tristan, Siegfried

    Du siehst, beim Siegmund und beim "reinen Toren" Parsifal bin ich sogar viel gnädiger und positiver gestimmt als du. :)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Vielen Dank, Operus !


    Du liegst vollkommen richtig ! Ohne Neu-Bayreuth hätte Windgassen niemals so eine Karriere gemacht. Wieland Wagner wollte die Partien seines Großvaters entheroisieren, also traf es zuerst den baritonalen Heldentenor des älteren Typus, der von 1951-1970 nur noch wenig in Bayreuth eingesetzt wurden, oder, aus Gründen einer gewollten Internationalisierung, nur noch, wenn er nicht deutscher Zunge war: Vinay, King, Vickers, Thomas, Wenkhoff, Elming. Meines Erachtens wollte Wieland Wagner SängerInnen vermeiden, die zu "deutsch" wirkten. (Was immer das auch sein mag). Um auf Bässe zu schwenken: Die ständige Bevorzugung des sowohl stimmphysisch als auch stimmtechnisch weniger befähigten Josef Greindl, gegenüber dem von uns beiden geliebten Gottlob Frick, ist hierfür meines Erachtens ein signifikantes Beispiel.


    Gruß,
    Antalwin

  • Um auf Bässe zu schwenken: Die ständige Bevorzugung des sowohl stimmphysisch als auch stimmtechnisch weniger befähigten Josef Greindl, gegenüber dem von uns beiden geliebten Gottlob Frick, ist hierfür meines Erachtens ein signifikantes Beispiel.

    Tut mir Leid, aber so ganz verstehe ich diesen Beitrag nicht. Warum war Greindl ein "internationalerer" Sänger als Frick? Greindl gehörte wie Hotter zu den "vorbelasteten" Sängern, auf die Wieland und Wolfgang 1951 ganz bewusst verzichteten - um ab 1952 wieder reumütig auf sie zurückzugreifen, als sie merkten, dass es ohne diese nicht ging. Es muss also künstlerische Gründe gehabt haben, dass Greindl von den Wagner-Enkeln vorgezogen wurde. Ein älterer Bekannter von mir, der sowohl Greindl als auch Frick noch häufig live erlebt hat, versichert mir (der beide nur von Aufnahmen her kennt), dass Greindl der WEIT eindrucksvollere Darsteller gewesen sein soll als Frick, gerade in seriösen bis finsteren Partien wie Hagen und König Philipp.
    Hinzu kam als weiterer Grund, dass Frick auch bei anderen Sommerfestivals ein gefragter Interpret war, nicht zuletzt bei den Salzburger Festspielen - beides gleichzeitig war schon damals schwierig.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Greindl gehörte wie Hotter zu den "vorbelasteten" Sängern, auf die Wieland und Wolfgang 1951 ganz bewusst verzichteten - um ab 1952 wieder reumütig auf sie zurückzugreifen, als sie merkten, dass es ohne diese nicht ging. Es muss also künstlerische Gründe gehabt haben, dass Greindl von den Wagner-Enkeln vorgezogen wurde.


    Nun, es war ja wohl auch ein bisschen so, dass Wieland und Wolfgang selbst nicht gern durch Sänger aus "Onkel Wolfs" Zeiten an die eigene Verstrickungen erinnert werden wollten. Wenn ich es richtig sehe, dann hatte Greindl lediglich bei den so genannten Kriegsfestspielen als Pogner in den "Meistersingern" mitgewirkt. Ich halte ihn auch für einen der besten Vertreter seines Fachs bis hinein in die sechziger Jahres des vorigen Jahrhunderts. Sein später Hagen im "Ring" unter Böhm hat eine Gefährlichkeit, die einen das Blut gerinnen lässt. Wenn er Siegfried im ersten Aufzug der "Götterdämmerung" willkommen heißt, dann ist das Urteil über diesen just in diesem Moment bereits gesprochen. Ich stelle ihn dann - operus möge mir das bitte verzeihen :hello: - sogar noch über Frick, den ich als Hagen nicht ganz so differenziert und verschlagen finde. Er ist nach meinem Empfinden direkter.


    Eines muss man auch bedenken, nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Heldentenöre knapp. Viele Karrieren neigten sich dem Ende. Der Rückgriff auf subtilere Sänger, wie auch Aldenhoff einer gewesen ist, war auch der Not geschuldet. Leider kam Ernst Gruber, der in Bayreuth vorgesungen hatte, nicht zum Zuge. Er widersprach Wieland in einer Besetzungsfrage und hatte darauf hin für alle Zeit verspielt. Gruber hätte ein Vakuum füllen können.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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