Der Hinweis von Schneewittchen im Thema „Heute live im Web“ hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass auf arte concert meine Lieblingsoper Carmen zu sehen wäre. Leider hat er den Regisseur Oliver Py nicht genannt, sonst hätte wahrscheinlich von vorn herein davon Abstand genommen. Es handelte sich zwar nicht um eine Live-Übertragung, sondern um eine Aufzeichnung aus 2014 und die Oper ist auch vollständig auf youtube zu „genießen“.
Wer viel nackte Haut und barbusige Damen, steife Chöre und Rampensingen (ein Argument, das von Gegnern konventioneller Inszenierungen häufig den Liebhabern partiturgetreuer Inszenierungen entgegengehalten wird), wer einen roten langen Handschuh als „La fleur, que tu m’avais jettèe“ und vieles andere dumme Zeug anzusehen vermag, der ist hier richtig. Alle vier Akte spielen in und um ein Bordell. Von Zigeunern, Schmuggel, Felsenschlucht, Stierkampf keine Spur.
Damit man das Bordell von allen Seiten (auch schon während des Vorspiels) „bewundern“ kann, wird die Drehbühne ständig gedreht. Dann stellt sich der Chor steif vor die Kasse zum Nachtlokal auf und singt. Nur ab und zu kommt etwas Bewegung hinein, wenn ein Zuschauer (zu denen auch die Polizisten gehören) von einer Prostituierten „befummelt“ wird. Michaela sucht aus den Fenster im ersten Stock eines Stundenhotels heraus ihren José. Der Kinderchor darf von der Seite her singend zuschauen, wie sich Frauen abküssen oder einer der Polizisten mit eindeutigen Bewegungen abgeknutscht wird.
Dann dreht sich die Szene und zeigt eine Bühne im Nachtlokal, auf der ein Chor weitgehend nackter Prostituierter eine Show vorführt. Unglaubhaft erscheint dabei der Männerchor, der in Richtung dieser Bühne auf Stühlen sitzt, aber statt sich dieser „reizende“ Show anzusehen, sich singend zum Publikum im Saal wendet. Weshalb er dann für das, was er gar nicht gesehen hat, klatscht, bleibt mir unverständlich.
Dann kommt der Höhepunkt der Show, Carmen mit drei Feigenblättern bekleidet und einer lebendigen Boa um den Hals, der barbusige Chor im Hintergrund begleitet ihre Habanera.
Auf einer anderen Seite des wiederum gedrehten Bordells trifft sich José mit Michaela. Während er sie auffordert, von seiner Mutter zu erzählen, schaut er schon jetzt – weit vor dem im Libretto vorgesehenen Moment - dauernd nach Carmen aus. Er rennt sogar während der Erzählung mehrfach die Treppe zu ersten Stock des Bordells hinauf, wo Carmen ein paar Male erscheint, und sogar in das Bordell hinein, aus dem er dann herausgeworfen wird. So klingt sein „“Mère, je la vois“ anschließend völlig unglaubwürdig.
Hier habe ich dann aufgegeben, mir diesen Unsinn weiter in seiner ganzen Länge anzusehen, sondern nur noch der Information halber durch Weiterschalten in einzelne Szenen hineingeschaut:
Lillas Pastia ist natürlich wieder das Bordellinnere und weitere Nackedeiszenen auf der Bühne. Der Torero singt zwar von Stierkampf, ist aber wohl nur einer der Chansonsänger der Nachtlokalshow. In weiteren Bordellszenen ziehen sich Männer aus und schlüpfen in Frauenkleider.
Die Felsenschlucht ist natürlich auch wieder das Bordell mit weiteren Bordellszenen. Die einzige treffende Idee des Regisseurs ist sicherlich, dass sich José für einen Auftritt als Clown schminkt.
Michaela darf während ihrer Arie „Je dis que rien ne m’epouvante“ die düstere Bordellwand, die zu dieser Szene hereingedreht wird, mit einer Parole beschmieren.
Auch der letzte Akt im Bordell hat mit Torero und Stierkampf absolut nichts zu tun.
Ich kann abschließend dazu nur sagen: Wenn das die erste Vorstellung von Carmen gewesen wäre, die ich im Leben gesehen hätte, wäre diese Oper wohl nie meine Lieblingsoper geworden.
Liebe Grüße
Gerhard