BWV 51: Jauchzet Gott in allen Landen
Kantate zum 15. Sonntag nach Trinitatis (wahrscheinlich Leipzig, 17. September 1730)
Lesungen:
Epistel: Gal. 5,25-6,10 (Mahnung zur Brüderlichkeit: Einer trage des anderen Last – Was der Mensch sät, das wird er ernten)
Evangelium: Matth. 6,24-34 (Aus der Bergpredigt: Aufforderung, nicht nach Essen, Trinken und Kleidung zu trachten, sondern nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit)
Fünf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 20 Minuten
Textdichter: unbekannt
Choral: Zusatzstrophe (Königsberg 1549) zum Lied von Johann Gramann ( 1548 )
Besetzung:
Solo: Sopran; Trompete, Violino I/II, Viola, Continuo
1. Aria Sopran, Trompete, Streicher, Continuo
Jauchzet Gott in allen Landen!
Was der Himmel und die Welt
An Geschöpfen in sich hält,
Müssen dessen Ruhm erhöhen,
Und wir wollen unser’m Gott
Gleichfalls itzt ein Opfer bringen,
Dass er uns in Kreuz und Not
Allezeit hat beigestanden.
2. Recitativo Sopran, Streicher, Continuo
Wir beten zu dem Tempel an,
Da Gottes Ehre wohnet,
Da dessen Treu’,
So täglich neu,
Mit lauter Segen lohnet.
Wir preisen, was er an uns hat getan.
Muss gleich der schwache Mund von seinen Wundern lallen,
So kann ein schlechtes Lob ihm dennoch wohlgefallen.
3. Aria Sopran, Continuo
Höchster, mache deine Güte
Ferner alle Morgen neu.
So soll vor die Vatertreu
Auch ein dankbares Gemüte
Durch ein frommes Leben weisen,
Dass wir deine Kinder heißen.
4. Chorale Sopran, Violino I/II, Continuo
Sei Lob und Preis mit Ehren
Gott Vater, Sohn, Heiligem Geist!
Der woll’ in uns vermehren,
Was er uns aus Gnaden verheißt,
Dass wir ihm fest vertrauen,
Gänzlich uns lass’n auf ihn,
Von Herzen auf ihn bauen.
Dass uns’r Herz, Mut und Sinn
Ihm festiglich anhangen;
Drauf singen wir zur Stund’:
Amen, wir werdn’s erlangen,
Glaub’n wir zu aller Stund’.
5. Finale Sopran, Trompete, Streicher, Continuo
Alleluja!
Diese Kantate ist wieder einmal ein Beitrag Bachs zur “Cantata“ im strengeren Wortsinne: Ein mehrteiliges Gesangsstück für Solostimme plus begleitendes Instrumentalensemble. Allzuviele dieser Solokantaten hat Bach ja nicht komponiert - trotzdem dürfte die hier besprochene Kantate zusammen mit der Solokantate für Bass BWV 82 "Ich habe genug“ zu seinen bekanntesten Kantaten überhaupt zählen.
Es scheint fast unglaublich, dass der Sopransolist zu Bachs Zeiten ein ungefähr zwölf- oder dreizehnjähriger Thomaner gewesen sein soll. Ob Bach nicht eher die Gelegenheit hatte, diese herrliche und ausgesprochen virtuose Kantate für eine Sopranistin (oder vielleicht wahrscheinlicher für einen Sopran-Kastraten) zu komponieren? Eventuell war ein(e) Solist(in) gerade auf der Durchreise in Leipzig und stand für einen solchen musikalischen Einsatz spontan zur Verfügung?
Da der Bezug zum Evangelium des heutigen Sonntags – obwohl vorhanden - nicht so besonders eng ist (siehe hierzu auch den Kommentar zur Kantate BWV 138), hat Bach die Komposition mit dem Zusatz “et In ogni Tempo“ versehen – sie konnte also „zu jeder Zeit“ im Kirchenjahr dargeboten werden.
Wann ergab sich schließlich schon mal die Gelegenheit, einen virtuosen Solo-Sopran kombiniert mit einem nicht minder anspruchsvollen Solo-Trompetenpart zur Verfügung zu haben?
Der Text der Kantate ist ja tatsächlich ein zu allen Zeiten passendes Loblied auf Gottes Güte und Herrlichkeit!
Als Solo-Trompeter stand Bach übrigens wohl wieder einmal der bewährte und versierte Leipziger Ratsmusiker und „Stadtpfeifer“ Johann Gottfried Reiche zur Verfügung, der schon so manchen virtuosen Trompetenpart in Bachkantaten aufgeführt hatte.
Bei vergleichbar virtuosen geistlichen Werken (ich denke z. B. an das “Et incarnatus est“ in Mozarts großer c-moll-Messe) liest man in Rezensionen oft etwas von einer zur Schau gestellten Virtuosität, die offenbar mehr dem Ruhme des Solisten als dem Ruhme Gottes zu dienen scheint...
Gerade in der Eingangsarie dieser Kantate ist Bach diesem Vorwurf meiner Meinung nach jedoch überhaupt nicht ausgesetzt – schließlich hält er sich eng an die Textvorgabe: Wie anders sollte er das „in allen Landen“ erfolgende „Jauchzen“ zum Lobe Gottes sonst vertonen, als mit geradezu überschäumenden Jubelrufen der Sopranstimme (und natürlich der mit ihr duettierenden Trompetenstimme)?
Ein fantastischer Satz, der geradezu vor Glück und Freude leichtfüßig angehüpft zu kommen scheint!
In diesem Zusammenhang sei auf eine Bearbeitung dieser Kantate hingewiesen, die Bachs ältester Sohn Wilhelm Friedemann Bach (1710-84) vorgenommen hat. Er fügte eine weitere Trompetenstimme und Pauken zum Orchestersatz hinzu. Meiner Meinung nach verfälscht dies den heiteren und leichtfüßigen Charakter der Kantate aber erheblich, indem das Ganze plötzlich einen pompös-herrschaftlichen Charakter bekommt, was zwar festlich klingen mag, aber der erwähnten leichtfüßig-fröhlichen Musik nicht mehr gerecht wird...
In den meisten Solokantaten Bachs taucht keine Choralstrophe auf (die ja eigentlich ein unverzichtbarer Teil der „klassischen“ Bachkantate ist!) – die hier besprochene Kantate hingegen enthält sogar einen recht umfangreichen Choral:
Der Solo-Sopran trägt die Choralweise vor und wird dabei von den 1. und 2. Violinen (in Kombination mit dem Continuo) umspielt. Ich habe keinen Hinweis finden können, ob diese Violinstimmen nun solistisch oder chorisch zu besetzen sind, so dass sich vermutlich jeder Interpret hierfür seine eigene Version wählen dürfte.
Dem Choral folgt noch ein kurzes, jubelndes Alleluja!, in dem Sopran und Trompete noch einmal alles geben dürfen – auf einen derartigen Schlusspunkt wollte Bach wahrscheinlich ungern verzichten bei so einer Besetzung (und das kann ich gut verstehen)!