Ich könnte mir vorstellen, dass eine gelungene Inszenierung mit oder ohne zeitliche Versetzung sicher niemanden abschreckt, solange dabei das Stück noch als solches erkennbar bleibt.
Bei "Carmen" sind zwei Aspekte entscheidend, der Stoff ist dankbar und die Oper ist sehr robust und verkraftet eine Menge Regieeinfälle (darunter durchaus auch weniger gelungene). Allerdings würde ich eine "Carmen Jones" zum Beispiel eher als Adaption der Oper "Carmen" denn als moderne Inszenierung sehen.
Entscheidend mag bei "Carmen" sein (oder auch bei "Tosca" ), dass die Geschichte eine gewisse Zeitlosigkeit hat, was sicher auch damit zu tun hat, dass eine Menge Hintergrundinformationen aus der Novelle (besonders was Don Jose betrifft) in der Oper weggelassen wurden. (Im Libretto wird zum Beispiel nur angedeutet, dass Jose schon einmal getötet hat, weswegen er überhaupt erst bei den Soldaten in Sevilla gelandet ist. Jose ist also nicht einfach ein braver Soldat, den die Liebe zu einer Frau ruiniert, sondern er ist eigentlich von Anfang eine Persönlichkeit mit Schattenseiten, die letztlich die Oberhand gewinnen.
ZitatLibretti, die nicht dezidiert auf die Zeit aufmerksam machen, in der sie spielen (wie etwa Andrea Chenier oder ähnliches) kann man getrost verpflanzen, wenn das Drama in einer anderen Form stärker bewegen kann. Rigoletto könnte ich mir gut im heutigen Berlin vorstellen - mit Rigoletto als strengem Muslim-Vater und dem Zusammenstoßen zwei völlig verschiedener Weltanschauungen. Es gäbe unzählige weitere Beispiele.
Rigoletto als Moslem-Vater erscheint mir weniger überzeugend, denn ein strenger Moslem würde keineswegs eine Stelle als "Hofnarr" annehmen und in Abhängigkeit zu einem reichen Christen stehen, für den er den Kuppler spielt.
Dagegen habe ich den Eindruck, dass die Idee mit dem Gangster- oder Mafiamilieu (der Herzog als Pate) bei dieser Oper ganz gut funktioniert.
Auch bei "Aida" glaube ich, dass die Sache ganz gut funktionieren könnte, allerdings nicht, indem aus Aida eine Putzfrau wird. Als Kirk-Verschnitt kann ich mir allerdings Radames auch nicht vorstellen, denn der ist gewöhnlich immer erfolgreich und kann seine Gegner austricksen, wobei Frauen, die ihn lieben und nicht zu den Bösen gehören, gewöhnlich ihr Leben lassen müssen.
Allerdings könnte ein Phantasy-Spektakel á la "Krieg der Sterne" vielleicht ganz gut funktionieren, vorausgesetzt die Handlung der Oper wird erzählt und die Konflikte zwischen den Figuren überzeugend herausgearbeitet. Da wäre es schon ein netter Show-Effekt, wenn der Radames in der Raumkapsel im Triumphzug mitfährt oder Liebenden am Schluss in einem Raumschiff ins All geschickt werden und eine vor dem Radarschirm sitzende Amneris den Abflug beobachtet.
Bei Opern allerdings, die kaum bekannt sind oder "Ausgrabungen" wäre ich gegen Experimente mit zeitlicher Versetzung (zumindest ehe die Werke nicht ein wenig bekannter sind). Die sollten doch zunächst einmal mit dem vorgegebenen zeitlichen Rahmen auf ihre Bühnenwirksamkeit erprobt werden.