Regietheater - Konzepttheater - altbackene versus moderne Inszenierung

  • Zitat

    Zitat von Operus: Sie signalisiert allerdings nach meinem Empfinden strikte Ablehnung.

    Lieber Hans,


    genau das ist es, was ich damit nicht sagen wollte. Ich habe dieser Wort gewählt, weil ich damit diese völlig entstellten Inszenierungen, die ich tatsächlich strikt ablehne, gegenüber dem - wie ich es oft auch schon betont habe - verwaschenen Begriff "Regietheater" abgrenzen wollte. Wie schon mehrmals hier erklärt und an Beispielen verdeutlicht habe, kenne ich auch einige Inszenierungen, die man als "Regietheater" bezeichnen würde, die für mich durchaus akzeptabel sind, weil sie die Handlung unangetastet lassen und man auch Ort und Zeit zu erkennen vermag. Beispiele habe ich ja mit dem fliegenden Holländer von Harry Kupfer (Bayreuth 1985) gegeben, den ich so durchaus so akzeptieren kann, obwohl mir andere Inszenierungen noch besser gefallen. Im Vergleich zu dem derzeit laufenden entsetzlich entstellten fliegenden Holländer in Bayreuth ist das ja wirklich Gold. Ebenso habe ich die Tristan-Inszenierung von Chereau aus der Scala gelobt. Und ich besitze noch weitere Inszenierungen. Und so besitze ich noch weitere Inszenierungen, die ich mir gerne ansehe (z.B. den auch schon genannten Faust von Gounod und den Mefistofele von Boito - mit beiden konnte sich z.B. auch LaRoche ein wenig, wenn auch nicht vollständig - anfreunden). In allen Fällen ist die Handlung, die Werk des Schöpfers darstellt, unangetastet (und nur der ist für mich der Künstler, den Regisseur kann ich allenthalben als Künstler ansehen, wenn er es versteht, - wie Hami es sehr schön ausgedrückt hat, im Rahmen des vorgegebenen Werkes kreativ zu sein. Eine neue Handlung zu erfinden, dazu aber die Musik eines Fremden zu missbrauchen, ist für mich kein Kunststück). Der Fliegende Holländer ist auch der Fliegende Holländer und nicht irgendein Produkt mit QR-Code, Daland auch Daland und kein Ventilator- oder Püppchenfabrikant und die Spinnerinnen Spinnerinnen und keine Ventilatorverkäuferinnen im Krankenschwesterdress, Erik ein Jäger und kein Hausmeister mit Silikonpistole, Gewitter und Sturm sind miterlebbar, der Auftritt des Holländers (mit Geisterschiff und nicht in irgendeinem Computerraum) ist wirklich dramatisch und nicht durch lächerliche Gestalten, die um ihn herumtanzen nur noch eine Farce. Ebenso könnte man es für Tristan, Faust und Mefistofele ausdrücken. Und ich habe noch weitere, aber dann würde dieser Beitrag zu lang.
    Wenn ich mich aber in der letzten Zeit umsehe, ich kann es ja nur noch im Fernsehen oder auf DVD erleben, weil hier rundherum fast auch nur noch entstellte Inszenierungen laufen, wie nach dem Nazi-Tannhäuser der kürzlich in Düsseldorf inszenierte Bankensanierer Lohengrin, der hier auch schon besprochen wurde, und bei uns auch nur noch völlig veränderte und umgedeutete Inszenierungen eingekauft werden, und wenn ich auch erlebe, was das Fernsehen die letzen Jahre bietet (Inszenierungen wie der Salzburger Don Carlo oder die Wiener Fanciulla del West bilden die seltene Ausnahme), dann ist das für mich leider fast nur noch Verunstaltungstheater. Und dieses Wort soll auch bewusst Sprengkraft haben, es ist ja gegen eine Sache und deren Verursacher, nicht gegen ein Mitglied dieses Forums gerichtet, das anderer Meinung ist.
    Einzelne andere drücken sich hingegen oft drastisch, ja beleidigend, gegen Mitglieder dieses Forums. Oder findest du es als "Brücke", wenn -gleich nachdem du dieses vermittelnde Wort in die Diskussion geworfen hast - die Zuschauer, die solche Sachen nicht goutieren, als anspruchslos bezeichnet werden? Ich wollte das nur konstatieren, es berührt mich aber in keinem Fall.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ja so ist das mit allen Bewertungen, sie erschweren die Sachdiskussion ungemein. Nehmen wir das Beispiel "Genusshörer", das oft tendenziös mit anspruchslos, rückständig, nicht auf aktuellem Stand bis hin zu intellektuell unterbelichtet in rabulistisch abwertender Absicht verwendet wird. Ich gestehe, dass ich besonders bei den Meistern des Belcanto mit starken Erwartungen an hohen Genuss in die Oper gehe, also in diesem Fall ein nahezu exzessiver Genusshörer bin. Aber das heißt doch nicht, dass ich mich von einer Operninszenierung nicht auch erschüttern, herausfordern, nachdenklich und gesellschaftskritisch aufrütteln lassen wil. Eine Erwartung schließt doch die andere nicht aus. Für mich ist es ideal, wenn ich beim beim spontanen Erleben begeistert bin, in einer reflektierenden Nachbetrachtung oder Diskussiion dann jedoch analytisch, tiefergehende Erkennntnisse gewinnen kann.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • weil hier rundherum fast auch nur noch entstellte Inszenierungen laufen, wie nach dem Nazi-Tannhäuser der kürzlich in Düsseldorf inszenierte Bankensanierer Lohengrin


    Nicht nur die Häufigkeit dieser wegweisenden Inszenierungen sondern auch deren Übergreifen auf sämtliche Bereiche des Opernschaffens, also auch auf die Opera buffa, die Märchenoper und die Spieloper, erwecken in mir den Verdacht, dass hier nur noch nach Schema regissiert wird, was nicht gerade auf eine übermäßig entwickelte kreative Begabung der entsprechenden Regisseure deutet.


    Der Stockholmer Lohengrin kommt neben geradezu lächerlich-komischen Einfällen ebenfalls nicht ohne Uniformen und Hinweis auf irgenwelche Diktaturen aus. Der Gedanke liegt nahe, dass diese global konzertierte Aktionen in vielen Fällen nicht aus dem Wunsch geboren sind, sich ernsthaft mit dem Sujet auseinander zu setzten, sondern eher als gängigen Gimmick, das heißt als Masche zu betrachten sind.


    Viel erreicht hat diese vermeintliche Anti-Diktatur-Propaganda bisher recht wenig.
    Ein aufmerksamer Betrachter der weltweiten politischen Entwicklung wird es bestätigen: Nicht die Diktaturen werden mehr demokratisch, sondern die Demokratien mehr diktatorisch.


    Trotz Regietheater!

  • Ich möchte an dieser Stelle für die Moderation des Meisters Operus danken.


    Als hoffentlich einigermaßen aufgeschlossener Opernliebhaber im zweiten Glied sehe ich im Rahmen der hiesigen Regietheater-Threads immer wieder die Gefahr einer sich hochschaukelnden Zuspitzung - und die sehe ich auf beiden Seiten. Wenn Holger Kaletha in zumeist ruhigem und sachlichem Ton eine heuristische, dialektische Sicht des Philosophen einnimmt, so würde ich mir bisweilen wünschen, dass er dümmlich-provokative Inszenierungen, von denen es gewiss jede Menge gibt, entweder ganz konkret verteidigt oder ganz einfach zugesteht, dass die Kritiker in der Sache möglicherweise schlicht Recht haben.


    Das geschieht mir zu selten, aber es würde den Wind aus den Segeln nehmen - und es wäre meines Erachtens schlicht angebracht. Ansonsten bestätigt sich für mich in der Tat der Eindruck, dass es auch von seiner Seite nicht gewollt ist, moderierend zu wirken.


    Soweit die drei Pfennige eines nur sekundär Tangierten.


    :hello: Wolfgang


    EDIT: Hami, der böse Mensch aus dem Norden, traf soeben diverse Nägel auf Köpfen.

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • meines Erachtens müssen wir auch auf die "Sprengkraft" unserer Sprache aufpassen. Die von Dir oft verwendete Wortschöpfung "Verunstaltungstheater" ist drastisch deutlich und markant bezeichnend. Sie signalisiert allerdings nach meinem Empfinden strikte Ablehnung.
    Wie Du selbst ausführst gibt es sehr akzeptable neue Regieansätze, diese sollten auch wir eher dem traditionellen Musiktheater Verbundene in den akzeptablen Teilen tolerieren und respektieren und die Diskussion nicht durch eine pauschalierende Wortwahl
    erschweren.


    Lieber Hans, lieber Gerhard


    ich kann Gerhard gut verstehen, daß er das Wort "Verunstaltungstheater" verwendet. Ich weiß, daß er damit solche Regieleistungen einstuft, bei denen der Regisseur die Handlung und die Musik nicht mehr konform zum Wort stehen läßt. Beispiele dazu sind die nicht nur von ihm zitierten div. Lohengrins, Ringe in Bayreuth, Meistersinger, Hollände, Frauen ohne Schatten, Tannhäuser u.a.. Gerhard wendet "Verunstaltungstheater" als Begriff auschließlich für solche "Ergüsse" an, was meiner Meinung nach auch korrekt ist. Es ist immer sinnentstellend, wenn sich z.B. Lohengrin beim Schwan bedankt - aber kein Schwan da ist.


    Sicher durch meine Anwesenheit im Forum habe auch ich gelernt, vorsichtige Regie-Änderungen zu akzeptieren. Beispiele dazu sind der Mefistofele aus Palermo mit Furlanetto und Filianoti, der Faust mit Furlanetto, Isokoski und Giordano (Paris), die Luise Miller aus Lyon von 1988 oder die tote Stadt aus Straßburg. Hierbei war und ist es möglich, auch mit neuen Bildern den Zusammenhang zum Original herzustellen. Dabei waren völlige Neudeutungen nicht Thema der Regie - und gegen die wehre ich mich genauso wie Gerhard. Und wenn man dann noch als psychisch krank bezeichnet wird, wenn man die "Verunstaltungen" nicht mag, dann läuft bei mir ein Glas über.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Soweit die drei Pfennige eines nur sekundär Tangierten.


    EDIT: Hami, der böse Mensch aus dem Norden, traf soeben diverse Nägel auf Köpfen.


    Und noch böser macht mich die Entdeckung, dass die Ewig-Gestrigen immer noch nicht wissen, welche Währung schon seit langem im Teutonenreich regiert.
    Sekundär tangieren reicht also doch nicht. 8o


  • EDIT: Hami, der böse Mensch aus dem Norden, traf soeben diverse Nägel auf Köpfen.


    Und noch böser macht mich die Entdeckung, dass die Ewig-Gestrigen immer noch nicht wissen, welche Währung schon seit langem im Teutonenreich regiert.
    Sekundär tangieren reicht also doch nicht. 8o

    X( :cursing: :jubel: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Vielleicht ist es nun tatsächlich zu gewagt, dem Regietheater zu unterstellen, es operiere regellos - akzeptiert, obwohl ich da die beachteten Regeln nicht immer erkennen kann, was wahrscheinlich an meiner Unerfahrenheit für dieses Thema liegt.
    Andererseits hielte ich es für zu gewagt, die vergleichsweise eher seltenen künstlerischen Regelverstösse, die solche Originalgenies wie Bach oder Beethoven sich herausnahmen, anzuführen, um bestimmten Sonderlichkeiten, die sich manche Regisseure heute herausnehmen, einen Freifahrtsschein zu erteilen - also jetzt immer unter der Prämisse, das Kunstaussübung ein Regelwerk brauche.
    Müssten diese Herrschaften dazu nicht auf ihrem Gebiet vergleichbare Genies wie die beiden oben genannten grossen Komponistennamen sein? Ein Gustav Gründgens z.B. galt ja unter Schauspielern als Genie auf dem Gebiet des Sprechtheaters. Ich kann nicht beurteilen, ob man nun einigen RT-Opernregisseuren den Status von Genies zusprechen könnte - aber mir kommt es so vor, als wäre das eher nicht der Fall. Wenn doch, dann wären es doch sehr umstrittene Genies, aber das waren ja bestimmte Komponisten auch.


    Lieber Glockenton,


    von "Regelverstößen" in der Kunst zu reden, setzt voraus, daß es da allgemeinverbindliche Regeln gibt vergleichbar solchen der Logik und Mathematik. Das Problem ist aber, daß die Maßstäbe selbst, aufgrund derer man Regeln formuliert, schon an sich strittig sind. Der Fehler, der dann passiert, ist immer wieder, daß man "Regelverstöße" konstatiert, die im Grunde gar keine sind, weil man sich einfach auf ein anderes Prinzip stützt.


    In dieser Hinsicht halte ich den Begriff "Verunstaltungstheater" - mal abgesehen von dem polemischen Inhalt - für völlig verfehlt. Ich erinnere mich an ein Konzert vor langen Jahren, wo Cyprien Katsaris in der Düsseldorfer Tonhalle u.a. eine Liszt-Transkription einer Beethoven-Symphonie spielte. Darauf erschien in der "Rheinischen Post" eine hochpolemische Kritik: Ein solches Machwerk gehöre nicht in den Konzertsaal und Katsaris habe sich mit diesem Programm als seriöser, Ernst zu nehmender Interpret endgültig verabschiedet! Der betreffende Kritiker hielt also die komplette Literatur von Transkriptionen, Paraphrasen (also Liszt, Busoni, Godowsky usw.) für "Verunstaltungen" der Orignalwerke und es folglich für "moralisch" nicht akzeptabel, sie überhaupt aufzuführen. Da wurde also mit dem Argument der "Werktreue" und dem Anspruch einer originalgetreuen Aufführung eine musikalische Literaturgattung und der Interpret gleich mit vollständig diskreditiert. (In der Orgelbewegung hat es solche Dinge ja auch gegeben, indem man z.B. die ganzen barocken "verspielten" Register einfach abmontiert hat, weil sie den Puristen ein Dorn im Auge waren.) Warum so etwas natürlich nicht geht, zeigt sich exemplarisch hier. Busoni wußte genau, daß Transkriptionen anrüchig sind und hat darauf mit einer ziemlich komplexen Apologie geantwortet, wo er sagte: Das "Werk", dem man "treu" sein soll, ist nicht das, was in der Partitur steht, sondern die Idee, die es verkörpert. Das faktisch vom Komponisten geschriebene Werk ist nach Busoni selber immer schon eine "Transkription" - nämlich die eines musikalischen "Gedankens". Und deshalb darf man diese Idee und diesen Gedanken auch weiter transkribieren. Der Vorwurf der Verunstaltung zielt demnach ins Lehre - nicht, weil irgendwelche "Regeln" befolgt oder nicht befolgt werden, sondern weil hier eben das Werk grundlegend anders aufgefaßt wird, nämlich als so etwas wie eine Idee. In der Romantik gibt es zudem die Vorstellung, daß "Werke" keine abgeschlossenen, fertigen Gebilde sind, sondern so etwas wie ein work in progress, an dem jede Generation weiterdichtet. Das geschieht etwa in den Paraphrasen, wo der "Gedanke" eines Werks Grundlage dafür ist, dass man ihn musikalisch weiter denkt. (Liszt hat ja eine ganze Reihe wirklich wie ich finde schöner Opern-Paraphrasen geschrieben.) Der Vorwurf der "Verunstaltung" zielt auch hier ins Leere, weil man so einfach einen ganz bestimmten Werkbegriff dogmatisch verabsolutiert, welcher für die Komponisten selber, die solche Transkripionen schrieben, überhaupt nicht maßgeblich war.


    Man kommt glaube ich in dieser Diskussion keinen Schritt weiter, wenn man mit ästhetischen Prinzipien "moralisiert". Gerade der Aspekt der "Werktreue" ist dafür ein schönes Beispiel. Leute die vom Theater kommen, kennen natürlich die Theatergeschichte von Berufs wegen und eben auch die im Nationalsozialismus. Daß sie völlig "allergisch" auf diese ganze Rede von "Werktreue" sind, hat letztlich damit zu tun. Ich zitiere mal aus einer Dissertation (ohne die Fußnoten), die an der FU-Berlin geschrieben wurde (Titel: "Das zuchtvolle Theater. Das Gründgens-Theater und die NS-Kulturpolitik"):


    Wie verhielt sich nun der Diskurs der „Werktreue“ zur nationalsozialistischen Kulturpolitik? War der Rückzug auf „großes Klassikertheater“ in klaren, unangreifbaren Inszenierungen die – vielleicht einzig mögliche – Weise, „ästhetische Opposition“ (nach dem Begriff von Karsten Witte1) zu leisten gegen eine NS-Kulturpolitik, die – so wurde nach 1945 behauptet oder vermutet – vom Theater eine „Politisierung“, eine „Plebejisierung“ (im KdF-Sinne)2 und/oder ein „Irrationalisierung“, d. h. die Zuwendung zu einer „Überwältigungsästhetik“gefordert habe?


    Tatsächlich galt die Wiederherstellung eines „werkgetreu“ inszenierten Klassikertheaters als Kern der „Gesundung“ des Theaterwesens unter Obhut des NS-Regimes. Ein im Völkischen Beobachter zur „Reichstagswahl“ vom 26. März 1936 veröffentlichter plakativer Aufruf an die „Deutschen Künstler“ fasst noch einmal das bereits in der „Kampfzeit“ entworfene stereotype Horrorbild des Theaters der Weimarer „Verfallszeit“ zusammen. Nicht nur, dass Autoren wie Bruckner, Brecht, Toller oder Carl Sternheim die „klassische Forderung des Theaters als eine moralische Anstalt“ zunichte gemacht hätten, sondern, wie das Weimarer „System“ das „wirklich Große der Vergangenheit besudelt“ habe (so eine zitierte Hitler-Formulierung), wird ausdrücklich auch an der Inszenierungspraxis festgemacht:


    „Über das spielplanpolitische Gesicht des Theaters hinaus waren die deutschen Bühnen zu einem Tummelplatz extravaganter Regie-Ideen herabgewürdigt worden. Nur eine kleine Gemeinde intellektueller Snobs erfreute sich an diesem
    Experimentier-Kabarett der von den Herren Kerr und Genossen gelobten Regisseure wie Piscator usw. und ‚Stars‘.
    Verschwunden war der ehrlich kämpfende und sich dem Dichtwerk verbunden fühlende Schauspieler und Theaterleiter...“

    Dass es sich beim (später so genannten) „Regietheater“ – im Gegensatz zur Arbeit von „sich dem Dichtwerk verbundenen fühlenden“ Theaterleuten – um das Austoben einer subjektiven Willkür eitler Regisseure handle, das eigentlich niemand sehen wolle und nur durch Kritiker -Cliquen künstlich hochgejubelt werde, entspricht dem wiederkehrenden Argumentationsmuster der „Werktreue“-Ideologie. So richtete sich z. B. das von Gründgens‘ initiierte „Düsseldorfer Manifest“ von 1952 in sehr ähnlicher Weise „gegen eine willkürliche Interpretation der Dichtung durch ungerechtfertigte Experimente, die sich zwischen Werk und Zuhörer drängen.“Und Goebbels selbst benutzte den Begriff der Werktreue, etwa als er 1942 per Erlass gegen die „kleinliche Bilderstürmerei“ mancher Intendanten einschritt, die sich offenbar veranlasst sahen, religiöse Szenen in „stehenden Werken von anerkanntem Wert“ (Goebbels) abzuändern: „Ich ersuche bei der Aufführung solcher Stücke um das notwendige kulturhistorische
    Verständnis und um werkgetreue Inscenierung“, so der
    Propagandaminister.


    Es ist von daher also mehr als verständlich, dass Theaterleute allergisch (oder schlicht mit Mißachtung) auf solche Diskussionen reagieren, wenn sie hier geführt werden. Und zu Recht dürfen sie einklagen, dass man nicht einfach ausblenden darf, was ein solcher Diskurs für eine - fatale - Geschichte hat.


    Hilfreicher finde ich da schon den Ansatz, den es unter Altphilologen gibt, die sich z.B. mit dem Problem des "Regietheaters" bei einer Sophokles-Aufführung auseinandersetzen. So kritisiert z.B. Hellmut Flashar ("Inszenierungen der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne") durchaus einzelne Inszenierungen, hält dem "Regietheater" aber zugute, daß ihm "die volle Wiederentdeckung der politischen Dimension der griechischen Tragödie" gelinge. Ich finde immer, man sollte künstlerische Leistungen erst einmal an ihrem eigenen Anspruch messen. Wenn es um ästhetische Grundsatzentscheidungen geht, gibt es immer zugleich einen Gewinn und Verlust. Wo "Werktreue" ausdrücklich nicht mehr gewollt wird, macht es letztlich keinen Sinn, dies immer wieder "moralisch" vorzuhalten als "Verlust". Entscheidend ist vielmehr die Frage: Was gewinnen wir dadurch? Diese Frage gilt es kritisch zu beantworten.


    Schöne Grüße
    Holger


  • Ich habe Deiner Argumentation als solcher nichts entgegenzuhalten, Holger.


    Vielleicht erinnerst Du Dich an Hans Peter Kerkeling und seinen Hurz ?


    Bitte erkläre mir diese Komposition produktions- und rezeptionsästhetisch!


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Zitat von LaRoche: Sicher durch meine Anwesenheit im Forum habe auch ich gelernt, vorsichtige Regie-Änderungen zu akzeptieren. Beispiele dazu sind der Mefistofele aus Palermo mit Furlanetto und Filianoti, der Faust mit Furlanetto, Isokoski und Giordano (Paris), die Luise Miller aus Lyon von 1988 oder die tote Stadt aus Straßburg. Hierbei war und ist es möglich, auch mit neuen Bildern den Zusammenhang zum Original herzustellen. Dabei waren völlige Neudeutungen nicht Thema der Regie - und gegen die wehre ich mich genauso wie Gerhard.

    Lieber la Roche,


    damit hast du genau das bestätigt, was ich schon an verschiedenen Stellen gesagt habe. Ich hatte, auch schon bevor ich in Forum eintrat, einige Aufnahmen, die man in die Kategorie "Regietheater" einordnen würde, nicht nur die von dir und von mir schon genannten. Ja, schon die Inszenierungen von von Wieland und Wolfgang Wagner, die lediglich die Bühne überladenen Bühnenbildern entrümpeln haben. Ich besitze z.B. den Parsifal in einer Aufnahme von 1999, inszeniert von Wolfgang Wagner, in der - trotz einiger Abstrahierungen immer noch der Wald, Klingsors Zauberschloss und die Gralsburg zu erkennen sind (was hat z. B. der dritte Akt im Bundestag zusuchen?). Die Handlung und die Figuren bleiben unverändert. Die Inszenierung ist packend und zeigt, dass der Parsifal sich tatsächlich inszenieren lässt.
    Ich habe ja schon und könnte hier noch andere Inszenierungen aufzählen, die man unter den Begriff "Regietheater" einordnen würde, die aber die Handlung und die Personen nicht verändern, deren Orte und Zeit durchaus erkennen lassen und Text und Musik voll erfüllen. Deshalb nenne ich im Gegensatz dazu die heute meist gängigen Entstellungen der Handlung und der Figuren und die in meinen Augen völlig unnötigen Veränderungen von Ort und Zeit "Verunstaltungstheater".
    Und dieser Begriff ist ja auch schon von anderen hier übernommen und als richtig anerkannt worden.

    Zitat

    ZItat von Hami: Verständlich. Das Köstritzer ist eben nichts als Schaum!

    Lieber Hami,


    deine "bitterbösen" Spitzen finde ich einfach köstlich. Ich glaube aber, dass LaRoche das Verunstaltungstheater lieber meidet, als dass er seinen Ärger über das dafür hinausgeworfene Geld und die unnütz vertane Zeit anschliessend in mindestens 20 Glas Köstritzer ertränken muss. Ich gehe nach einem schönen Opernerlebnis - und das wurde ja auch hier schon angesprochen - in der Regel nach Hause und erlebe es dort noch einmal nach. Aber nach solchen Verunstaltungen würde ich mich wohl auch erst einmal besaufen. Und da ich den Gang in solch eine Verunstaltung für mich inzwischen ausgeschlossen habe, bin ich jetzt ständig nüchtern.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Vielleicht erinnerst Du Dich an Hans Peter Kerkeling und seinen Hurz ?


    Bitte erkläre mir diese Komposition produktions- und rezeptionsästhetisch!


    Das kenne ich natürlich, lieber Wolfgang und finde es wirklich köstlich - die Parodie ist Klasse gemacht! Ich habe schrecklich lachen müssen! Sie beruht natürlich darauf, daß der Hörer an einen Sinn glaubt, den er im Grunde gar nicht versteht, ein uneingelöstes Sinnversprechen. Parodien haben das Gute, auf Probleme hinzuweisen, und da liegt natürlich eins. Das genau zu analysieren, wäre wirklich mal spannend!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Dass es sich beim (später so genannten) „Regietheater“ – im Gegensatz zur Arbeit von „sich dem Dichtwerk verbundenen fühlenden“ Theaterleuten – um das Austoben einer subjektiven Willkür eitler Regisseure handle, das eigentlich niemand sehen wolle und nur durch Kritiker -Cliquen künstlich hochgejubelt werde, entspricht dem wiederkehrenden Argumentationsmuster der „Werktreue“-Ideologie.


    Der Begriff Kritiker-Clique ist aber ziemlich nichtssagend und "repetitive Kritik" ist ebenfalls kein Werturteil, weil Wiederholung per se nichts am Inhalt ändert. Möglicherweise strapaziert sie Aufnahmefähigkeit des Rezepienten, was aber an der Aussage auch nichts ändert.


    Ferner finde ich es nicht sehr konstruktiv, das Kunstverständnis eines Kriegsverbrechers zu zitieren, um damit seine Einstellung auf diesem Gebiet zu diffamieren.


    Goebbels Lieblingsspeise könnte ja Schnitzel mit Kartoffelsalat gewesen sein. Sollten deswegen die Österreicher ihre Ernährung umstellen?

  • Lieber Hami,


    deine "bitterbösen" Spitzen finde ich einfach köstlich. Ich glaube aber, dass LaRoche das Verunstaltungstheater lieber meidet, als dass er seinen Ärger über das dafür hinausgeworfene Geld und die unnütz vertane Zeit anschliessend in mindestens 20 Glas Köstritzer ertränken muss. Ich gehe nach einem schönen Opernerlebnis - und das wurde ja auch hier schon angesprochen - in der Regel nach Hause und erlebe es dort noch einmal nach. Aber nach solchen Verunstaltungen würde ich mich wohl auch erst einmal besaufen. Und da ich den Gang in solch eine Verunstaltung für mich inzwischen ausgeschlossen habe, bin ich jetzt ständig nüchtern.


    Lieber Gerhard,


    ich hatte schon das Vergnügen, mit hami Köstritzer zu trinken. Er konnte gar nicht aufhören damit. Daher weiß ich seine Bemerkung wohl einzuschätzen. Der alte Schwede hat einen Bombenhumor, auch ohne Köstritzer. Wie köstlich könnte er schreiben, wenn er täglich Köstritzer trinken dürfte!!!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ferner finde ich es nicht sehr konstruktiv, das Kunstverständnis eines Kriegsverbrechers zu zitieren, um damit seine Einstellung auf diesem Gebiet zu diffamieren.


    Nehme bitte zur Kenntnis, dass es sich hier um eine wissenschaftliche Dissertation handelt. Da geht es um eine historische Unrtersuchung über die Aufgabe und die Rolle des Theaters in der NS-Zeit und die ästhetischen Argumente, die dort gebraucht worden, um eine bestimmte Form des Theaters, die schon damals verbreitet war, zu diskreditieren. Goebbels wird hier nicht als "Kriegsverbrecher" zitiert, sondern in seiner Funktion als Kulturminister, der nun mal maßgeblichen Einfluß ausübte. Was man dem Zitat entnehmen kann, ist, dass das Argument der "Werktreue" offenbar eingeführt wurde in einen Diskurs mit eindeutig diskriminierender Absicht. Und von daher ist verständlich, dass sich die Betreffenden deshalb auch diskriminiert fühlen, wenn so argumentiert wird. Dazu gehört eben auch, dass man dem "modernen" Theater und Theatermachern unterstellt, sie hätten keine ernsten und Ernst zu nehmenden Absichten, sondern machten dies aus purer Eitelkeit usw.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Was man dem Zitat entnehmen kann, ist, dass das Argument der "Werktreue" offenbar eingeführt wurde in einen Diskurs mit eindeutig diskriminierender Absicht.


    Schon richtig, lieber Holger,


    aber hier geht die Diskriminierung in die entgegengesetzte Richtung. Sag "Werktreue" und du zitierst nationalsozialistische Kulturpolitik.

  • Wenn ich das Ganze aber richtig verstehe, sind letzlich die Anfänge des RT als Reaktion auf die Kunstauffassung der Nazidiktatur zu verstehen und haben somit einen moralischen Aspekt in sich.
    Nachdem nun aber diese Anfänge schon über 60 Jahte zurückliegen und keinerlei Notwendigkeit für diese Moral mehr besteht, möge man mir verzeihen, wenn ich die Notwendigkeit ncht mehr erkennen kann und durch die sich seither stets wiederholende Bühnenaesthetik nur noch grenzenlos gelangweilt bin.
    Mir, der durch Wieland Wagners Aesthetik geprägt wurde, wäre mitllerweile zugegebenermassen sogar ein Kitschinszenierung à la Koons lieber, als die ewigen Müllhalden.

  • aber hier geht die Diskriminierung in die entgegengesetzte Richtung. Sag "Werktreue" und du zitierst nationalsozialistische Kulturpolitik.


    Das wäre dann auch polemisch und ist natürlich nicht so gemeint. Was aber eben auch heißt, dass man sich durchaus dessen bewußt sein und bleiben sollte, dass man sich eines Begriffes bedient mit diskriminierender Herkunft seiner Verwendung. Und kritisch darf man auch einmal anmerken, dass es leider in allzu vielen Diskussionen um das RT-Theater nicht dabei bleibt, dass man den betreffenden Regisseuren nur die Mißachtung des Prinzips der Werktreue sehr sachlich vorwirft. Nein - sie werden im gleichen Atemzug als selbstverliebt, uninteressiert an der Intention des Komponisten, inkompetent usw. hingestellt. Nimmt man all das zusammen, dann wird schon eine fatale Parallele zum Stil der NS-Zeit deutlich.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Zitat von LA Roche: ich hatte schon das Vergnügen, mit hami Köstritzer zu trinken. Er konnte gar nicht aufhören damit. Daher weiß ich seine Bemerkung wohl einzuschätzen. Der alte Schwede hat einen Bombenhumor, auch ohne Köstritzer. Wie köstlich könnte er schreiben, wenn er täglich Köstritzer trinken dürfte!!!

    Lieber LaRoche,


    da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich hatte das Vergnügen, mit dem "alten Schweden" Kölsch zu trinken und vor allem Williams Christ und wir hatten ebenfalls einen Heidenspass. Deshalb meine ich: Wie köstlich könnte er schreiben, wenn er täglich Kölsch trinken dürfte!
    Aber schnell wieder zum Thema zurück: Er hat - wie auch Dr.Pingel - eine wunderbare Art, seine Spitzen gegen die Verunstaltungen geschickt zu verpacken. Er kann aber auch sehr klar seine Meinung dazu sagen und dumme Argumente überzeugend widerlegen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Nimmt man all das zusammen, dann wird schon eine fatale Parallele zum Stil der NS-Zeit deutlich.


    Das würde ich auch so sehen, wenn ich überzeugt wäre, die Ablehnung allzu werkferner Inszenierungen wäre bei einem großen Teil der RT-Gegner von politischen Gründen diktiert, dazu noch mit der Ausrichtung auf ein Verbrecher-Regim.


    Ich glaube aber, dass heutzutage kaum jemand eingehende Kenntnisse der NS-Kulturpolitik besitzt. Da ist eben die Parallele zur NS-Zeit ein zwar unglücklicher aber nicht bedeutungsvoller Umstand.


    Das werden, glaube ich, außer M.Joho sicher noch viele andere so sehen. Natürlich ist es psychologisch verständlich, dass beachtungswertes Gedankengut ins Zwielicht gerät,
    nur weil es ehedem falsch gedeutet wurde, logisch ist es allerdings nicht.
    Wir haben gerade bei uns die Diskussion über die Sterbehilfe, die Gegner derselben natürlich gleich in die Nähe der NS-Euthanasie stellen und damit Punkte machen.
    Das erstickt natürlich jede sinnvolle Diskussion im Keime.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Nein - sie werden im gleichen Atemzug als selbstverliebt, uninteressiert an der Intention des Komponisten, inkompetent usw. hingestellt. Nimmt man all das zusammen, dann wird schon eine fatale Parallele zum Stil der NS-Zeit deutlich.


    Tja, lieber Holger, aber wie soll man es dann nennen, wenn das, was auf der Bühne abgeht, weder mit Ort und Zeit, wie vom Komponisten und Librettisten vorgegeben, noch mit dem Text irgendetwas zu tun hat? Beispiel der neueste Lohengrin im Bankermilieu: Laut Text geht es um eine Gerichtsverhandlung, die schließlich nach einem Gebet in einen Zweikampf als Gottesgericht mündet. Da sowas ja nun mal im heutigen Bankermilieu keinen Platz mehr hat, kriegt Telramund nach Lohengrins Ankunft einfach seine Kündigung. Obendrein ist da ständig von König, Grafen etc. die Rede. Weiter können also Bühnengeschehen und Text nicht auseinanderklaffen.
    Und wer so etwas auf die Bühne bringt, soll sich für die Intentionen des Komponisten, der ja in diesem Falle auch gleichzeitig der Librettist ist, auch nur andeutungsweise interessieren? Wenn also "selbstverliebt" und "uninteressiert an der Intention des Komponisten" deiner Ansicht nach nicht passen, wie würdest du dann die Einstellung eines solchen Regisseurs bezeichnen? Oder anders gefragt: Inszeniert er Deiner Meinung nach Wagners Lohengrin oder ein selbst erdachtes Stück, dass er nur mit Wagners Musik unterlegt? Und, lieber Holger - nun gib doch bitte endlich mal konkret Butter bei die Fische!


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Tja, lieber Holger, aber wie soll man es dann nennen, wenn das, was auf der Bühne abgeht, weder mit Ort und Zeit, wie vom Komponisten und Librettisten vorgegeben, noch mit dem Text irgendetwas zu tun hat? Beispiel der neueste Lohengrin im Bankermilieu: Laut Text geht es um eine Gerichtsverhandlung, die schließlich nach einem Gebet in einen Zweikampf als Gottesgericht mündet. Da sowas ja nun mal im heutigen Bankermilieu keinen Platz mehr hat, kriegt Telramund nach Lohengrins Ankunft einfach seine Kündigung. Obendrein ist da ständig von König, Grafen etc. die Rede. Weiter können also Bühnengeschehen und Text nicht auseinanderklaffen.
    Und wer so etwas auf die Bühne bringt, soll sich für die Intentionen des Komponisten, der ja in diesem Falle auch gleichzeitig der Librettist ist, auch nur andeutungsweise interessieren? Wenn also "selbstverliebt" und "uninteressiert an der Intention des Komponisten" deiner Ansicht nach nicht passen, wie würdest du dann die Einstellung eines solchen Regisseurs bezeichnen? Oder anders gefragt: Inszeniert er Deiner Meinung nach Wagners Lohengrin oder ein selbst erdachtes Stück, dass er nur mit Wagners Musik unterlegt? Und, lieber Holger - nun gib doch bitte endlich mal konkret Butter bei die Fische!


    Liebe M. Cortese,


    professionell betrachtet - von der klassischen Dramentheorie her - ist es einfach so, dass nirgendwo geschrieben steht, dass es verboten ist, die Handlung was Ort und Zeit angeht zu verschieben. (Das leitende Prinzip ist die Einheit der Handlung (der "Mythos"), und um sie zu garantieren, wird die Einheit von Raum und Zeit gefordert. Die Zeitverschiebung ist davon unberührt, weil sie die Einheit der Zeit ja weiter garantiert und gar nicht tangiert.) Der Vorwurf der "Inkompetenz" an den betreffenden Regisseur ist also diesbezüglich schlicht unberechtigt. Weiter ist es eben interpretationsbedürftig, worin die "Intention" des Komponisten eigentlich besteht, die man beachten soll. Wagner selber hat ausgeführt, dass ein Musikdrama für das Hier und Jetzt geschaffen wird, für ein zeitgenössisches Publikum. Folglich sind die Werke für ihn nicht "ewig" sondern sehr vergänglich. Was konkret heißt, sie sind in zukünftigen Jahrhunderten, wo ein ganz anderes Publikum existiert, nicht mehr aufführbar. Was also tun? Ist es eher im Sinne Wagners, seine Werke dann in der Mottenkiste zu lassen oder aber eben doch, sie durch gewisse Veränderungen weiterhin aufführbar zu machen und zu halten?


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ist es eher im Sinne Wagners, seine Werke dann in der Mottenkiste zu lassen oder aber eben doch, sie durch gewisse Veränderungen weiterhin aufführbar zu machen und zu halten?


    Lieber Holger,


    in dieser als Suggestivfrage gestellten These steckt ein Denkfehler in Form einer unzutreffenden Gleichsetzung; sie impliziert, dass Originaltreue gleichbedeutend ist mit "Mottenkiste". Dieses Argument wird auch durch Wiederholung nicht wahrer. Im Filmbereich restaurieren wir liebevoll und aufwändig Fritz Langs "Nibelungen", und die Wiederaufführungen werden auch von jungen Zuschauern besucht und bewundert. Beim Schauspiel gibt es originalgetreue Shakespeare-Aufführungen im Globe Theatre, oder man denke an das japanische Nō-Theater., das akribisch originalgetreu gepflegt wird. Und bei Wagner soll das nicht möglich sein, den Willen des Komponisten in den Mittelpunkt zu stellen? Das halte ich für dogmatisch und falsch.


    Und: Ich halte den aus deiner These folgenden Gedanken, dass Leute wie Castorf einen Wagner am Leben halten, für höchst amüsant.


    Allerdings hat Wagner selbst wohl durch den Satz des "Schafft Neues" ein vermeintliches Ermächtigungsgesetz für Regisseure geschaffen. Denen es dann oft an Gefühl für Rang fehlt, nämlich für den Rang zwischen des Meisters Werk und ihres künstlerisch sinnvollen Beitrags.


    Immerhin legitim finde ich den Gedanken, dass die Bühnentechnik bei Wagner noch nicht dem entsprach, was er umzusetzen bestrebt war. Daher auch meine Sympathie für den Ansatz der letzten New Yorker Produktion, die aber trotz moderner Technik im Ganzen Werktreue anstrebt.



    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Holger, es ist Dir doch klar, dass Du mit keinem Wort auf Mme Corteses Problemstellung eingegangen bist, oder? Wenn Hurz eine parodistische Vorlage zum Rezeptionsverhalten weltfremder Idealisten ist - um mich jetzt sehr vorsichtig auszudrücken -, warum sind es dann nicht auch brunzende Gestalten auf der Opernbühne - ebenfalls bestenfalls? (Im schlimmeren Fall sind es eben Ausgeburten geschmackloser Dilettanten, Spätkinder und Wichtigmacher). Warum verteidigst Du auf theoretischer Ebene fortwährend Erscheinungsformen, die Du auf praktischer Ebene nicht zu verteidigen vermagst? Weil sie nicht zu verteidigen sind? Weil es bisweilen nichts ist, was der Kaiser trägt, und weil der Intellektuelle es nicht wagen darf, dies beim Namen zu nennen? Und warum darf er es nicht wagen?


    Schlechte Interpretationen auf dem Klavier darf ich doch auch kritisieren, oder? Und Du findest bisweilen ebenso deutliche Worte!


    Es tut mir leid! Wie Du weißt, bin ich keineswegs ein prinzipieller Gegner dessen, was da "Regietheater" genannt wird. Es sind aber reine Ausflüchte in die Theorie, was von Deiner Seite kommt. Von daher verstehe ich mittlerweile die gereizten und auf die Beziehungsebene schielenden Reaktionen einiger hier im Forum, auch wenn ich deren Einwände bisweilen noch immer engstirnig finde.


    Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Lieber Holger,


    deine Argumente, was die Zeitverschiebung angeht, sind nicht ganz unberechtigt. Einige Opern vertragen das auch, ob sie dadurch für das Publikum attraktiver oder verständlicher werden, sei einmal dahingestellt. Ich meine aber, dass ein Werk wie Lohengrin das nicht verträgt, genau deswegen habe ich auf die Riesendivergenz zwischen dem Text und dem Bühnengeschehen hingewiesen. Von daher bin ich durchaus der Ansicht, das Werk nicht aufzuführen, wenn man denn der Ansicht ist, im "Originallook" passe es nicht in unsere Zeit, oder aber es bei einer konzertanten Aufführung zu belassen.


    Und ich sage auch durchaus nichts Neues mit der Forderung,, dass man, wenn man denn meint, alte Stücke für unsere Zeit aktualisieren und damit"aufführbar" machen zu müssen, sich dann gefälligst selbst ans Werk machen sollte und den Stoff sowohl textlich als auch musikalisch neu zu gestalten. Du weißt sicherlich besser als ich, dass das in früheren Zeiten ganz selbstverständlich so gehandhabt wurde. Wie oft wurden denn die antiken Mythen und die Stücke eines Aischylos, Sophokles und Euripides über die Jahrhunderte neu gefasst bzw. neu komponiert, und das bis weit ins vorige Jahrhundert, teilweise sogar bis heute. Aber was wir auf der Opernbühne sehen, ist eben die "Elektra" von Strauss/Hofmannsthal und nicht die von Strauss/Euripides. Und die "Fliegen" sind von Sartre. Der hat keineswegs behauptet, sein Stück sei von Aischylos. Es werden ja auch Versuche gemacht, alte Inhalte mit neuer Musik zu versehen,, die Crux ist nur, dass es die heutigen Komponisten nicht schaffen, attraktive Musik zu schreiben. Deswegen gibt es zwar häufig Uraufführungen, aber die wenigsten neuen Opern schaffen es ins Repertoire., was auch daran liegen mag, dass es als altmodisch oder seicht verschrien zu sein scheint, melodische Musik zu schreiben. Wer das versucht, wird in die U-Musik-Ecke verbannt, da ja Oper angeblich nicht unterhaltsam sein darf, obwohl sie das seit Jahrhunderten gewesen ist. Und weil es eben heute so wenige Komponisten gibt, die mit ihren Opern das Publikum anlocken, müssen partout die bestehenden Stücke "passend gemacht" werden, und das soll dann auch noch im Sinne ihrer Schöpfer sein? Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen.


    Viele Grüße
    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • in dieser als Suggestivfrage gestellten These steckt ein Denkfehler in Form einer unzutreffenden Gleichsetzung; sie impliziert, dass Originaltreue gleichbedeutend ist mit "Mottenkiste". Dieses Argument wird auch durch Wiederholung nicht wahrer. Im Filmbereich restaurieren wir liebevoll und aufwändig Fritz Langs "Nibelungen", und die Wiederaufführungen werden auch von jungen Zuschauern besucht und bewundert. Beim Schauspiel gibt es originalgetreue Shakespeare-Aufführungen im Globe Theatre, oder man denke an das japanische Nō-Theater., das akribisch originalgetreu gepflegt wird. Und bei Wagner soll das nicht möglich sein, den Willen des Komponisten in den Mittelpunkt zu stellen? Das halte ich für dogmatisch und falsch.

    Genau das ist für mich der springende Punkt in dieser ganzen Debatte. Der Gegensatz kann nicht sein "Mottenkiste" und "Regietheater". Es geht nicht darum, dass man Wotan mit Flügelhelm und Brünnhilde mit silbernem Harnisch sehen will. Unsere Zeit hat eine eigene Bildsprache und soll die ruhig auch verwenden. Aber für mich geht es darum, dass ich einige moderne Inszenierungen einfach handwerklich sauschlecht finde.


    Regie ist zunächst einmal Handwerk. Ihre Aufgabe ist es, dass Werk eines anderen zu reproduzieren und - das ist unvermeidlich - zu interpretieren. Aber eigentlich sollte dabei oberstes Gesetz sein, dass das Libretto den Rahmen steckt. Und wenn in der Cosi verdammt noch mal die Mädels die Vergackeierten sind, die nicht merken, dass die Jungs sie zum Affen machen, dann kann ich das frauenfeindlich und blöd finden. Aber ich kann es nicht einfach umfummeln, weil es mir nicht passt! Himmel, ich finde ja auch, dass Michaelangelos David in einem Punkt zu kurz gekommen ist. Haue ich ihm deswegen den Schniedel weg und pappe einen längeren dran? Überpinsele ich einen Goya, weil ich 'ne andere Idee habe, wie etwas darzustellen ist?


    Ein wirklich guter Regisseur ist für mich einer, der es schafft, innerhalb des Rahmens, den ihm das Libretto lässt, etwas spannendes zu machen. Seine Kreativität muss so weit reichen, dass er sich der Oper anpassen kann und nicht ums Verrecken versuchen muss, die Oper sich anzupassen! Wenn er das nicht schafft, hat er meines Erachtens versagt und sollte was anderes machen.


    ich möchte die Freunde des Regietheaters hören, wenn die Sänger auf der Bühne machen würden, was für ihre Regisseure völlig legitim ist. Die Arie wäre noch schöner mit drei hohen Cs mehr? Rein damit! Wen kratzt es, was Verdi wollte? Die Arie liegt zu tief? Transponieren wir sie einfach etwas - was juckt es, was Mozart sich dabei gedacht hat? Oper lebt, Oper darf verändern ...


    Sycorax
    "oder etwa doch nicht? Warum müssen die einen werkgetreu interpretieren und die anderen dürfen alles?"


  • Ich bitte Dich, lieber Wolfgang,


    bei meinem wiederholt konstatierten IQ von 87,237 sind meine Kopfmaße keinesfalls zu knapp bemessen.


    Wer spricht denn von Dir - wo doch in Deiner neuen Heimat die Intelligenz aus der alten sich mit der bildungstechnischen Anpassungsfähigkeit der neuen vereint und man per se den IQ stets verdoppeln darf.


    Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!



  • Lieber Christian, ich habe nie so richtig begriffen, was bei Wagner "Originaltreue" sein soll. Und ich habe nie in meinem Leben eine Wagner-Aufführung gesehen, die mit dem Original übereingestimmt hätte oder ihm treu gewesen wäre. Alles, was ich wahrgenommen habe, war Interpretation, Deutung oder aber auch Verhunzung. Mit Verhunzung meine ich jetzt nicht Castorf. In meiner Wohnung hängt ein signiertes Foto an der Wand, das Karl Erb als Parsifal zeigt. Er hat einen als solchen deutlich zu erkennenden Pappkelch in den Händen, steht vor einem kleinen altarähnlichem Möbelstück, über das eine Tischdecke gebreitet ist, die dringend gebügelt gehört. Das Gewand erinnert an eine sehr abgeschabte Soutane eines armen Dorfgeistlichen um 1900. Dieses Foto zeugt von unfreiwilliger Komik, es macht das Werk so kaputt wie eine völlig verunglückte Inszenierung aus dem Jahr 2014. Deshalb dient es mir auch als Warnung. Wenn ich meine Wagnerbücher durchblättere, an denen kein Mangel ist, finde ich solche Illustrationen zu Hauf. Das ging so durch die Jahrzehnte. So lange niemand die Axt an die Partitur anleget - und das machen auch Castorf & Co. nicht, bisher nicht, dann sehe ich Originaltreue (ich würde dieses Wort übrigens gar nicht benutzen, weil es rasch missverständlich sein kann) nicht verletzt. Es wurde an anderer Stelle schon oft auf Regisseure wie Wieland Wagner, Rennert, Everding und viele mehr verwiesen. Auch bei ihnen sehe ich optisch alles andere, nur keine Originaltreue. Da stimmt genau genommen auch nichts überein mit dem, was Wagner in seinen Textheften vorgab. Es ist nur noch nicht so neu und radikal wie heutzutage. Der Bruch mit dem Original ist es auch. Ich denke an das wunderbare Schlussbild von "Siegfried" aus dem Nachkriegsbayreuth. Dagegen müsste sich auch Widerstand regen, denn es hat nichts mit dem zu tun, was vorgeschrieben ist. Es ist dessen optische und ästhetische Umsetzung. In seiner Konsequenz der Bruch mit allem, was vorher war. Es gab in Bayreuth mal eine Interessante Ausstellungen über die technischen Lösungsversuche von 1876, das Fließen des Rheins darzustellen. Das war lächerlich aus heutiger Sicht. Schon die Wagnertöchter haben Zeder und Mordio geschimpft, als sich ihr Bruder Siegfried anschickte, die ersten Parsifal-Kulissen zu ersetzen. Darauf habe noch der Blick des Meisters geruht. Sie verteidigten eben auch die Originaltreue.


    Du nennst Langs "Nibelungen" und historisierende Shakespeare-Aufführungen. Wenn es denn die originale Abfilmung der ersten geschlossenen Aufführung des "Ringes" von Wagner geben würde, ich wäre der Erste, der eine restaurierte Fassung davon kaufen würde wie ich es auch bei Lang getan habe. Daraus aber eine Art Schlussfolgerung zu ziehen, dass man sich verbindlich an dort gesetzte Standards halten solle in der Zukunft, auf diesen Gedanken käme ich nicht. Hier wirken nämlich ganz unterschiedliche Voraussetzungen. Ich liebe alte restaurierte Taschenuhren und Uhrenketten - aber ich möchte nicht in die Zeit zurück, aus der sie kommen.


    Dich grüße ich an diesem Abend sehr herzlich!


    Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold,


    ich respektiere und schätze deine Meinung aufrichtig. Letztendlich geht es mir darum: Um Respekt vor dem Werk Wagners. Es bietet doch schon so vieles, bringt soviel mit, was erleuchtet werden will. Wie tief dagegen die Fallhöhe ins Triviale bei vielen Inszenierungen. So wie du die guten Sänger schätzt und ehrst, die nicht nur den richtigen, sondern den rechten Ton treffen, gibt es auch die richtige Tonalität bei der Inszenierung. Natürlich gibt es einen Raum für Varianz. Und es gehört zu unserer Demokratie und zur Kunstfreiheit, dass wir um die Frage des "richtig" und "treffend" wohl immer ringen werden.


    Einen ganz herzlichen Gruß zurück!


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose