Und genau dieses ideologische Gedankenkonstrukt akzeptiere ich so nicht: Selbstverständlich ist die Aufführung auch ein Kunstwerk, aber kein voraussetzungsloses im luftleeren Raum, denn es hat die Aufgabe, ein anderes Kunstwerk, nämlich das durch Text und Musik (Notentext) überlieferte Kunstwerk der Autoren, erlebbar zu machen
Es ist einfach zwecklos zu argumentieren, wie man sieht: Johannes Roehl hatte mal in einem sehr erhellenden längeren Beitrag gezeigt, dass die Tradition des Theaters theoretisch wie praktisch auszeichnet, dass die Aufführung das Werk ist und so gerade nicht die Aufführung intentional als die Realisierung eines von der Aufführung verschiedenen, dieser gegenüber selbständigen Werks anzusehen ist. Die Forderung der "werktreuen" Aufführung auch eines Theaterstücks bzw. einer Oper stammt überhaupt erst aus den 20iger Jahren des 20. Jhd. - wenn man von "ideologischem Gedankenkonstrukt" reden will, dann ist es also historisch gesehen schlicht die gerade mal 100 Jahre alte "Werktreue-Ideologie". Die Dramentheorie dagegen hat eine Geschichte, die 2500 Jahre alt ist, letztlich auf Aristoteles zurückgeht. Und bei Aristoteles - auf den sich alle nachgeborenen Dramentheoretiker bis in die Moderne beziehen - kommt bezeichnend der Gesichtspunkt des "Werks" in der Betrachtung des Dramas gar nicht vor. Beim Theater geht es nach Aristoteles nicht um die Aufführung von Werken, sondern die Darstellung von Handlungen. Die Aufführung muß einen "Mythos" - einen geschlossenen Handlungszusammenhang - herstellen, nicht mehr und nicht weniger. Ein anderes "Kriterium" für eine gelungene Aufführung gibt es nicht.
Schöne Grüße
Holger